Leilet

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Tobias K.
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Beitrag von Tobias K. »

Ich bastele mir gerade eine Doppelsynopse mit Volltexten - einmal eine tabellarische Übersicht über die Quellen und May "Leilet", und einmal "Leilet" und die darauf folgenden Variationen. Wobei mein Eindruck bisher ist, dass da nur der Vergleich zwischen Leilet und Durch die Wüste lohnt, da ich vermute, dass dazwischen nur minimale Veränderungen auftreten. Aber ich habe noch keinen Volltext außer diesen beiden gefunden, lediglich die Hinweise im May-Wiki.

Auf jeden Fall fand ich dann beim Stöbern eine weitere potentielle Quelle, die zumindest bei May reizvolle Anlagen getroffen haben könnte:

"Wie man ein angesehener Arzt wird" ist eigentlich eine leichte Komödie, bedient aber auch Machtwünsche, besser: Die Hoffnung nach Wirksamkeit, die Sehsnucht nach Resonanz. Da will eine Frau einen anderen heiraten, den ihre Eltern für die bestimmt haben, und ein junger Arzt scheitert an der "fremden Kultur", wegen der er nichts werden kann - und gemeinsam planen sie ein Komplott.

Auf einer zweiten Ebene ist das durchaus ein Inhalt des Kapitels in "Durch die Wüste" - da wird einer für einen Arzt gehalten - weil er hilft. (Im Silbersee hingegen ist ja die Reiseapotheke klar Teil des Betruges, der nur darum funktioniert, weil der Arzt schnell genung den Ort wechselt.) Und zudem: Es geht hier um Schläue, um vorspiegeln, nicht um wahre Taten - das taucht bei May öfters noch auf, in seinen Büchern, aber auch in seinem Leben als Dr. Heilig z.B. Was ihm nicht 'geschmeckt' hätte ist, dass hier eine Frau am Betrug mitwirkt - das hätte er schon selber alles inszenieren müssen - oder zumindest die Frau im Glauben lassen, dass er es ist, der alles erfindet, ausführt. (Oder notfalls : Die Frau hätte ihn im Glauben lassen müssen...)

Fakismile unter https://upload.wikimedia.org/wikipedia/ ... 29_016.jpg
Textfassung: https://de.wikisource.org/wiki/Wie_man_ ... _Arzt_wird
aus: Gartenlaube, 1858.
"So scheint mein Rohr besser zu sein als das Eurige, obgleich es viel kleiner ist."
[Der Schatz im Silbersee, 217.]

"Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein."
[Der Sohn des Bärenjägers, 508.]
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rodger
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Re: Leilet

Beitrag von rodger »

tragophil hat geschrieben: 5.1.2020, 11:13 Machtwünsche

Die Hoffnung nach Wirksamkeit, die Sehsnucht nach Resonanz.
Der Zusammenhang zwischen Ersterem und Letzterem ist gut erkannt ...
Schläue, um vorspiegeln, nicht um wahre Taten
Interessanterweise macht er ja daraus keinerlei Hehl vor dem Leser.

In "Leilet" gibt er ein Opiat, in "Durch die Wüste" homöopathisch Ignatia, ist mir noch aufgefallen. Und daß er mit dem Schiffskapitän in "Leilet" noch ganz anders (unsympathisch) umspringt als in der späteren Fassung freundschaftlich-jovial. In "Leilet" ist er Arzt, in "Durch die Wüste" nicht.
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Tobias K.
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Re: Leilet

Beitrag von Tobias K. »

rodger hat geschrieben: 5.1.2020, 12:56 In "Leilet" ist er Arzt, in "Durch die Wüste" nicht.
Wobei er im Orientzyklus für einen großen, wichtigen Arzt gehalten wird. eine spannende Form von "Schuldverschiebung":

War er im wahren Leben ein Dr. Heilig und Betrüger (was er verblüffend unverstellt im "Schatz im Silbersee" spiegelte), war er in "Leilet" ein 'richtiger' Arzt und zuletzt in der Orientgeschichte einer, der "nur helfen" wollte, wie Hunde, die nur spielen wollen - und damit aber tatsächlich rettete. Es lag nicht an ihm, er hätte es gerne von sich gewiesen, es war das Volk, das ihm das alles zuschrieb. (Man imaginiere gütiges Schulterzucken.) Nur in dieser einen Szene musste er zur Rettung einer Frau die Rolle spielen, einer Frau, die er auch nicht für sich selber, sondern für einen anderen...! - Und ... naja... was konnte er dafür, dass er in Ostromdscha Bescheid wußte über Heilkräuter, besser als der betrügerische Mübarek... Auch da aber bleibt sein Unbewusstes unzähmbar; Demut schafft er nie lange. Die Versuchung packt den Helden an genau dieser Stelle: Da wird er in eine Falle gelockt, weil es heißt, er sei ein berühmter Arzt und vielleicht könne er seinen todkranken Landsmann retten. In meiner Wahrnehmung hielt er sich für ziemlich erhaben über "den Orient", vulgo: über seine gesamte reale Umgebung.

(Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich kenne die Versuchung selber sehr gut. Aber mich druckt ja der Karl-May-Verlag nicht. ... NOCH nicht, die werden das schon irgendwann begreifen... :mrgreen: )

Hier noch die Stelle aus dem Silbersee, weil ich sie so fabelhaft ehrlich finde. Sowas hat man in Filmen immer zu humoristischen Figuren ausgewalzt - in Wirklichkeit aber steckt dahinter Tragik von einem, der viel zu lange mit so was durchgekommen zu sein glaubt:
»Hm! Ich kenne Euch nicht.«
»Dem kann gleich abgeholfen werden. Ich bin nämlich Magister Doktor Jefferson Hartley, Physician und Farrier meines Berufes.«
»Also Menschen- und Roßarzt?«
»Arzt für Menschen und Tiere,« nickte der Yankee. »Habt Ihr Lust, so sollt Ihr mein Famulus sein, und ich zahle Euch den erwähnten Gehalt.«
»Aber ich verstehe nichts von der Sache,« erklärte Haller bescheiden.
»Ich auch nicht,« gestand der Magister.
»Nicht?« fragte der andre erstaunt. »Ihr müßt doch Medizin studiert haben?«
»Fällt mir gar nicht ein!«
»Aber, wenn Ihr Magister und auch Doktor seid - -!«
»Das bin ich allerdings! Diese Titel und Würden besitze ich; das weiß ich am allerbesten, denn ich selbst habe sie mir verliehen.«
»Ihr - - Ihr selbst?«
»Freilich! Ich bin offen gegen Euch, weil ich denke, daß Ihr meinen Antrag annehmen werdet. Eigentlich bin ich Schneider; dann wurde ich Friseur, nachher Tanzlehrer; später gründete ich ein Erziehungsinstitut für junge Ladies; als das aufhörte, griff ich zur Ziehharmonika und wurde wandernder Musikant. Seitdem habe ich mich noch in zehn bis zwanzig andern Branchen rühmlichst hervorgethan. Ich habe das Leben und die Menschen kennen gelernt, und diese Kenntnis gipfelt in der Erfahrung, daß ein gescheiter Kerl kein Dummkopf sein darf. Diese Menschen wollen betrogen sein; ja, man thut ihnen den größten Gefallen, und sie sind außerordentlich erkenntlich dafür, wenn man ihnen ein X für ein U vormacht. Besonders muß man ihren Fehlern schmeicheln, ihren geistigen und leiblichen Fehlern und Gebrechen, und darum habe ich mich auf diese letzteren gelegt und bin Arzt geworden. Hier seht Euch einmal meine Apotheke an!«
Er schloß den Kasten auf und schlug den Deckel desselben zurück. Das Innere hatte ein höchst elegantes Aussehen; es bestand aus fünfzig Fächern, welche mit Sammet ausgeschlagen und mit goldenen Linien und Arabesken verziert waren. Jedes Fach enthielt eine Phiole mit einer schön gefärbten Flüssigkeit. Es gab da Farben in allen möglichen Schattierungen und Abstufungen.
»Das also ist Eure Apotheke!« meinte Haller. »Woher bezieht Ihr die Medikamente?«
»Die mache ich mir selbst.«
»Ich denke, Ihr versteht nichts davon!«
»O, das verstehe ich schon! Es ist ja kinderleicht. Was Ihr da seht, ist alles weiter nichts als ein klein wenig Farbe und ein bißchen viel Wasser, Aqua genannt. In diesem Worte besteht mein ganzes Latein. Dazu habe ich mir die übrigen Ausdrücke selbst fabriziert; sie müssen möglichst schön klingen. Und so seht Ihr hier Aufschriften wie: Aqua salamandra, Aqua peloponnesia, Aqua chimborassolaria, Aqua invocabulataria und andre. Ihr glaubt gar nicht, welche Kuren ich mit diesen Wassern schon gemacht habe, und ich nehme Euch das gar nicht übel, denn ich glaube es selbst auch nicht. Die Hauptsache ist, daß man die Wirkung nicht abwartet, sondern das Honorar einzieht und sich aus dem Staube macht. Die Vereinigten Staaten sind groß, und ehe ich da herumkomme, können viele, viele Jahre vergehen, und ich bin inzwischen ein reicher Mann geworden. Das Leben kostet nichts, denn überall, wohin ich komme, setzt man mir mehr vor, als ich essen kann, und steckt mir, wenn ich gehe, auch noch die Taschen voll. Vor den Indianern brauche ich mich nicht zu fürchten, weil ich als Medizinmann bei ihnen für heilig und unantastbar gelte. Schlagt ein! Wollt Ihr mein Famulus sein?«
»Hm!« brummte Haller, indem er sich hinter dem Ohre kratzte. »Die Sache kommt mir bedenklich vor. Es ist keine Ehrlichkeit dabei.«
»Macht Euch nicht lächerlich! Der Glaube thut alles. Meine Patienten glauben an die Wirkung meiner Medizin und werden gesund davon. Ist das Betrug? Versucht es wenigstens zunächst einmal! Ihr habt Euch jetzt gestärkt, und da die Farm, nach der ich will, auf Eurem Wege liegt, so habt Ihr keinen Schaden davon.«
»Nun, versuchen will ich es, schon aus Dankbarkeit; aber ich habe kein Geschick, den Leuten etwas weiß zu machen.«
»Ist gar nicht nötig; das besorge ich schon selbst. Ihr habt ehrfurchtsvoll zu schweigen, und Eure ganze Arbeit besteht darin, diejenige Phiole aus dem Kasten zu langen, welche ich Euch bezeichne. Freilich müßt Ihr es Euch gefallen lassen, daß ich Euch dabei du nenne. Also vorwärts! Brechen wir auf!«
Er hing sich den Kasten wieder um, und dann schritten sie miteinander der Farm entgegen. Nach kaum einer halben Stunde sahen sie dieselbe von weitem liegen; sie schien nicht groß zu sein. Nun mußte Haller den Kasten tragen, da sich das nicht für den Prinzipal, Doktor und Magister schickte.
[Karl Mays Werke: Der Schatz im Silbersee. Karl Mays Werke, S. 38380-38383 (vgl. KMW-III.4, S. 250-252)]
Zuletzt geändert von Tobias K. am 5.1.2020, 13:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Leilet

Beitrag von Tobias K. »

rodger hat geschrieben: 5.1.2020, 12:56
tragophil hat geschrieben: 5.1.2020, 11:13 Machtwünsche

Die Hoffnung nach Wirksamkeit, die Sehsnucht nach Resonanz.
Der Zusammenhang zwischen Ersterem und Letzterem ist gut erkannt ...
Schläue, um vorspiegeln, nicht um wahre Taten
Interessanterweise macht er ja daraus keinerlei Hehl vor dem Leser.
Noch zu ersterem: Bedankt - es ist -ohne Dramatik- Erkenntnis aus langen Erkenntnisprozessen aus bester Anschauung verschiedenster Art. Ich mag das hier nicht ausführen.

Und zu zweiterem: Ich bin hoch überzeugt davon, dass May viel aus dem tapferen Schneiderlein gelernt - sich quasi damit identifiziert hat. Die beiden Aladschy sind für mich identisch mit den beiden Riesen aus dem tapferen Schneiderlein. Wer keine Muskelkraft hat, preist sein Hirn und ist stolz drauf. Auch das kenne ich nur zu gut. :geek:
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Re: Leilet

Beitrag von rodger »

Aufgrund der mehrfachen angedeuteten Aufrichtigkeiten kam mir just "Das Forum der zwei Aufrichtigen" (Titel frei nach Gottfried Keller) in den Sinn. :D

Wie schon kürzlich einmal erwähnt, ein starkes Thema, die Auseinandersetzung mit sich selber ...
Und damit es im Einzelfall nicht zu mitteilsam werden muß, wir haben ja Karl May als prominentes Anschauungsbeispiel ... :D
ohne Dramatik- Erkenntnis aus langen Erkenntnisprozessen aus bester Anschauung verschiedenster Art.
Ich frage mich manchmal, warum der späte May für sich selber nicht die Erkenntnisse aus seinen "Geisterschmiede"-Versen umsetzen konnte. Da hat er's kapiert. In den Versen. Im Leben dann am Ende jahrelang offenbar nicht ...
vulgo: über seine gesamte reale Umgebung
Sehr richtig. Mays Orient ist nicht der Orient, sein Amerika nicht Amerika usw., insofern sind nichtendenwollende Untersuchungen in Sachen Geographie & Land & Leute usw. nicht wirklich sinnvoll ...

In Sachen Schatz im Silbersee, die Passage in der ganz klar und deutlich wird daß der eine den anderen über die Klinge springen läßt, sozusagen zu seinem Bedauern aber weil die Angelegenheit halt wirklich nicht anders zu lösen war, ist auch sehr ehrlich und überzeugend ...
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Re: Leilet

Beitrag von Tobias K. »

rodger hat geschrieben: 5.1.2020, 17:07 Aufgrund der mehrfachen angedeuteten Aufrichtigkeiten kam mir just "Das Forum der zwei Aufrichtigen" (Titel frei nach Gottfried Keller) in den Sinn. :D
Edel sei der Mensch, aufrecht! - Und gut. (Frei nach dem Herrn Geheimagent)
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Re: Leilet

Beitrag von rodger »

"Alla gut" sagt man in Monnem (= Mannheim). Vorauseilender Gehorsam ? :mrgreen:
aufrecht! - Und gut.
könnte ein Werbeslogan für Sildenafil sein.
(ich seh' sie förmlich alle googeln ... :mrgreen: )
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Re: Leilet

Beitrag von Tobias K. »

Ohje... Das erklärt, warum Du Latte Igel vermisstest...
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Re: Leilet

Beitrag von rodger »

"Bitte bleiben Sie seriös"
(Savielly Tartakower)

Bei dem Film habe ich eine gewisse Dimension vermißt
(keine körperliche)

:mrgreen:
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Re: Leilet

Beitrag von Tobias K. »

Wenn Du seriös warst, bin ich äußerstiös.
Um mal Ellis Kaut zu zitieren.
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