A&D und The Pilgrim's Progress

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giesbert
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A&D und The Pilgrim's Progress

Beitrag von giesbert »

Gibt's darüber eigentlich schon Untersuchungen? fragte Sandhofer und meinte die Beziehung von "Ardistan und Dschinnistan" zu Bunyan "The Pilgrim's Progress".

Ich kenne bislang nur die einschlägigen Statements von Arno Schmidt, in dessen Werk der Name "Bunyan" eigentlich nur im Zusammenhang mit Karl Mays Spätwerk fällt.

Das klingt dann z. B. so wie in "Vom neuen Großmystiker" (1957):
Und er bleibt bei solcher [...] Probe seiner Spätkunst nicht stehen. Annähernd dem ‹Pilgrim’s Progress› des Bunyan vergleichbar, erzählt er auf 1200 Seiten die mystische Großfabel von Ardistan (= Erde; Irdenes) und Dschinnistan (= Hochland; Geisterwelt).

In einem pränatalen Zustand beginnt der (1908 entstandene, 1910 erstmalig in Buchform erschienene) Bericht; vor ihrer irdischen Existenz flüstern Seelen mit Seelen: der Held, nunmehr unverkennbar als ‹Schutzengel› angelegt, wird im Schiff ‹Wilâhde› (= Die Geburt) nach Ardistan entsandt. Dort befreit er ein ‹Kind Gottes›, den ‹Schirbani›, aus dem Stachelkäfig der Feindschaft und des Aberglaubens; aus heulend umkreisenden Geschlechtlichkeiten (symbolisiert in den bärenstarken Hunden, ‹Er› und ‹Sie›; die aber durch Kreuzung mit himmlischen Rassen zu ‹Bruder› und ‹Schwester› veredelt werden können – also ganz im Sinne des späten Tolstoi der ‹Kreutzersonate›). Durch mohammedanisch=feindliche Reitervölker, durch lamaistische Städte, wird der Erdengast geleitet, hinauf nach Dschinnistan, zu Gott: der erscheint persönlichst als liebevoller Vater, der den zurückgekehrten Sohn in die Arme schließt! (Für Feinde allerdings auch der ‹Emir›, ganz ‹Herr der Heerscharen›, an der Spitze blaugeschildeter Panzerreiter).

Und während bei dem Engländer alles doch recht puritanisch hölzern bleibt, wuchert May in blühend nackter Mystik, bei der man die Kühnheit und Anmut des Fortschreitens von einer Bilder= und Gedankenreihe zur anderen, ohne sich etwas zu vergeben, voll bewundern kann. Bedeutende Vorteile über den beschränkten Briten verschafft er sich zudem dadurch, daß er, sehr geschickt, eine historische und religionsphilosofische Entwicklung mit einer subjektiv=seelischen koppelt. Und zwar in weit vielfältigerem, farbigerem und künstlerisch konkurrenzfähigerem Sinne, als es vom bloßen Christentum her möglich wäre: der Nomade und Manichäer – denn das beides ist May letzten Endes! – hat sein angemessenes künstlerisches Ausdrucksmittel gefunden. Wie ergreifend und ewig=modern wird da etwa die Friedenssehnsucht der Menschen als Schrei nach Wasser verbildlicht, in den Gestalten der Brunnenengel, umheult=vergessen von kriegerischen wiederaufrüstenden Wildvölkern; auf den versandenden Sockeln nur die Spuren von Vogelfüßen; dennoch Treffpunkt aller, die überleben wollen.

Jedenfalls ist dieses Zwölfhundertseitenbuch von ‹Ardistan und Dschinnistan› nicht nur, wie May vor allem wollte (und man beachte die Naivität des Greises) »zur Lektüre für den Kaiser; für einflußreiche Menschen« gedacht – für die wohl am allerwenigsten! – sondern der, auch uns Außenstehenden geheimnisvoll=zugängliche Beleg, für das Vorhandensein einer eigenartigen geschlossenen Gedankenwelt; eines Binnenreiches, sehr wohl vergleichbar dem ‹Orplid› Mörikes, oder der ‹Gondal=World› der Brontë’s: ich weiß, was ich sage:

In seiner vierten Periode war Karl May der bisher letzte deutschsprachige Großmystiker!
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giesbert
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Beitrag von giesbert »

Bunyans Text kann man im Netz an vielen Stellen (auf englisch) nachlesen, zum Beispiel hier:
The Pilgrim’s Progress
John Bunyan

The most well-known allegory ever written, this journey of the protaganist, Christian, is simultaneously filled with vivid and full human portraits of its characters. With over 100,000 copies sold in Bunyan’s lifetime, this “most perfect and complex of fairy tales” succeeded in attracting audiences from every Christian sect.
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giesbert
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Beitrag von giesbert »

In den "Mitteilungen der KMG" findet sich in den beiden Heften 16 und 18 (Juni / Dezember 1973) ein Aufsatz von Werner F. Bonin zu May & Bunyan.

Die entsprechenden Ausgaben der "Mitteilungen" sind als "digitale Fotokopie" verfügbar:

http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/m-kmg/016/index.htm
http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/m-kmg/018/index.htm
Sandhofer
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Danke!

Beitrag von Sandhofer »

Hallo und Dank!

Aber ... ausgerechnet Jung ...

Dennoch: Bitte die Links nicht löschen; ich will sie mir zwischen Weihnachten und Neujahr mal ausdrucken. Ist zwar blutwenig, könnte aber als Start doch dienlich sein.

Grüsse

Sandhofer
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giesbert
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Re: Danke!

Beitrag von giesbert »

Sandhofer hat geschrieben:Dennoch: Bitte die Links nicht löschen;
wie kommst Du auf die Idee, ich könnte sie wieder löschen, die Links?

Aber das Thema scheint in der Tat noch niemanden wirklich gereizt zu haben. Seltsam.
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rodger
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Beitrag von rodger »

wie kommst Du auf die Idee, ich könnte sie wieder löschen, die Links?
Vielleicht erinnert er sich an die Links zum ehemaligen "Verschliffenen Diamanten", die wurden seinerzeit auch aus dem Verkehr gezogen.
Der Fall war anders gelagert, aber so etwas merkt man sich. Ich zumindest.
Sandhofer
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Re: Danke!

Beitrag von Sandhofer »

Hallo zusammen!
giesbert hat geschrieben:wie kommst Du auf die Idee, ich könnte sie wieder löschen, die Links?
Nun ja, das Internet ist tricky. Und kurzlebig. Und das Thema interessiert mich wirklich, nur habe ich im Moment wirklich gar keine Zeit, den Artikel herunterzuladen und auszudrucken.
giesbert hat geschrieben:Aber das Thema scheint in der Tat noch niemanden wirklich gereizt zu haben. Seltsam.
In der Tat. Wenn ich bedenke, was schon so alles mit Karl May verglichen wurde. :roll:

Grüsse

Sandhofer
Sandhofer
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Danke!

Beitrag von Sandhofer »

Hallo zusammen!

Danke! Kopiert!

Alles, was ich im Moment sagen kann, ist, dass zumindest die Dreiteilung der Landschaft beiben Autoren gemeinsam ist. Sümpfe finden sich ebenso bei Bunyan.

May ist sicher der bessere "Literat". Bunyan schreibt (nur) als Prediger. Aber die allegorische Sucht, allen Personen sprechende Namen zu geben, finde ich bei beiden.

" Das Weitere liest man später. - - -"

Grüsse

Sandhofer
Dernen
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Beitrag von Dernen »

Sprechende Namen, nur ganz nebenbei, sind ja etwas Schreckliches. Spätestens bei "Klöterjahn" habe ich schon damals - mehr als 30 Jahre her - gedacht: Meister (= Thomas Mann), hamse's nicht ein bißchen kleiner?
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giesbert
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Beitrag von giesbert »

Dernen hat geschrieben:Sprechende Namen, nur ganz nebenbei, sind ja etwas Schreckliches. Spätestens bei "Klöterjahn" habe ich schon damals - mehr als 30 Jahre her - gedacht: Meister (= Thomas Mann), hamse's nicht ein bißchen kleiner?
tja, das hab ich seinerzeit in der Schule gar nicht glauben wollen, dass TM das genau so gemeint haben könnte, wie ich das verstanden hatte 8-)

Aber zurück zu Bunyan: den fand und finde ich eigentlich ziemlich unlesbar und hielt & halte Arno Schmidts A&D-Lob "besser als Bunyan" für ein ziemlich vernichtendes Urteil.

Und damit ich's nur verrate: Das Spätwerk Mays ist mir bis dato eigentlich unbekannt (die frühe Lektüre der KMV-Bearbeitungen und gelegentliche Lektüre-Versuche der Fehsenfeld-Reprints zähle ich jetzt mal nicht). Und je weiter ich in der chronologischen Lektüre komme, desto stärker wird, je nun, mein Missbehagen, ja, mein Widerwille gegen die Texte. Schon "Weihnacht" ist doch ein eigentlich unlesbarer Schmuh (was für fürchterliche Dialoge! Was für eine verlogene Figurenzeichnung! Was für eine erbärmliche Fabel - schon die "komischen Szenen" zu Beginn sind ja schier unerträglich in ihrer ach so goldigen Einfalt), ein ganz fürchterlich weinerlicher Kitsch, ein Denkmal des Unvermögens. Es reicht ja nun nicht, Großes gewollte zu haben - man muss es auch können. Und May: Konnte nicht. Zumindest *das* nicht.

Was ich dagegen für mich eine echte (Wieder)Entdeckung war: die Kolportage-Romane, die Erzählungen für die Jugend und ca. die ersten 15 Fehsenfeld-Bände. Da ist ein ein unglaubliches erzählerisches Talent am Werk und gewissermaßen noch ganz naiv bei sich (dessen Entwicklung und Veränderung sicherlich ein spannendes Thema wäre -- müsste man dieses öde "symbolische" Zeug nicht auch noch lesen).

Mag sein, dass ich das später anders sehe und wer weiß, wie ich urteile, wenn ich es noch mal mit A&D versuche. Aber derzeit reizt mich kaum etwas weniger zur Lektüre als A&D.
Dernen
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Beitrag von Dernen »

Hallo Giesbert!

Mir geht es ähnlich. Es lebe die Kolportage! Mir geht nix über das "Waldröschen". Aber wirklich in einer Ausgabe nach dem Erstdruck, am liebsten noch im Reprint mit diesen schaurig-schönen Illustrationen.
Sandhofer
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schau her ...

Beitrag von Sandhofer »

Hallo zusammen!

Schau her, schau her ...

Und ich dachte bisher, ich sei der einzige, der Mays Kolportage über sein Alterswerk stellt ...

Grüsse

Sandhofer

PS. Bunyan, um nicht gänzlich OT zu geraten, wollte ja auch nicht Literatur verfassen, wollte nicht einmal symbolisch sein, sondern ganz simpel christlich-erbauend predigen. Als "Literatur" ist er ungeniessbar, als naiv-theologisches Werk "faszinierend" (um meinen Lieblings-Alien zu zitieren).
JennyFlorstedt
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Beitrag von JennyFlorstedt »

Dernen hat geschrieben: Mir geht es ähnlich. Es lebe die Kolportage! Mir geht nix über das "Waldröschen". Aber wirklich in einer Ausgabe nach dem Erstdruck, am liebsten noch im Reprint mit diesen schaurig-schönen Illustrationen.
Ha! Und ich dachte, ich müsse einfach nur ein paar Jahr älter werden, um das Spätwerk angemessen würdigen zu können.

Bei der Kolportage trifft es schaurig-schön überhaupt sehr gut. :-) Aber in den Leserunden waren für mich eher die Reiseerzählungen (speziell der Ozean-Band) echte Entdeckungen.
Auch wenn mir Rüdiger Wick ja nun ständig vorwirft, ich könne May nicht leiden.

ta
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rodger
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Beitrag von rodger »

Also "ständig" schon mal gar nicht. Außerdem war's möglicherweise spätwerkmäßig-doppelbödig gemeint ...

:wink:
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