Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

In der Tat, der Grund für die Verweigerungshaltung des KMV mir gegenüber war das Vorhaben, die gesamte May-Korrespondenz im Rahmen der "grünen Bände" zu publizieren. Bis heute aber sehe ich nicht ein, wieso meine 3-bändige Biographie vom KMV als geschäftsschädigend angesehen wurde. Wäre es nach der (damaligen) Rechtsauffassung des KMV gegangen, hätte ich meine Biographie bis zum heutigen Tag nicht herausbringen können. Denn sie enthält ja z.B. Zitate aus dem Tagebuch Klara Mays, das der KMV noch immer unter Verschluss hält. Schon komisch, finde ich.

Der KMV besitzt vermutlich - über Klaras Tagebuch hinaus - noch immer unpublizierte Dokumente, die für die May-Forschung wichtig sind.
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Ralf Harder
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Ralf Harder »

In den vergangenen Jahren habe ich stattdessen nur positive Erfahrungen mit dem Karl-May-Verlag gemacht, man war immer sehr entgegenkommend.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Dass sich der KMV in mehrfacher Hinsicht gebessert hat, glaube ich durchaus.

Zu Mays Vaterbeziehung in der Kindheit ist L&S ziemlich aufschlussreich. Dort heißt es bekanntlich, dass der Vater ein Mensch mit zwei Seelen war. Wenn die dunkle Seite dominierte, waren die Kinder "in steter Angst": "Am Webstuhl hing ein dreifach geflochtener Stock, der blaue Striemen hinterließ, und hinter dem Ofen steckte der wohlbekannte 'birkene Hans', vor dem wir Kinder uns besonders scheuten, weil Vater es liebte, ihn vor der Züchtigung im großen 'Ofentopfe' einzuweichen, um ihn elastischer und eindringlicher zu machen." Geriet der Vater in Zorn, "bekam man den Strick oder den 'Hans' so lange, bis Vater nicht mehr konnte".

Es gibt keinen Grund, den Wahrheitsgehalt dieser Darstellung anzuzweifeln. Ich bin mir ziemlich sicher: Heinrich May hat seine Kinder misshandelt.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Wobei mir Mays Tonfall an diesen Stellen so erscheint, als betrachte er diese Dinge im Nachhinein als, wenn auch strenge, Erziehungsmaßnahme und nicht als Mißhandlung.
Und in dem Zusammenhang gestehe ich recht unbeklommen ein (wer das abgewandelte Zitat erkennt erhält hundert Aufmerksamkeitspunkte) daß ich gerade heute wieder im Schwimmbad, umgeben von grundlos jammernden und jaulenden Kindern in Umkleidekabinen ringsum, gedacht und halblaut gesagt habe, mein Vater hätte mir sowas schon flugs ausgetrieben ...
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Ralf Harder
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Ralf Harder »

Bei Heinrich August May habe ich kein gutes Gefühl. Ein Zitat aus der ›Juweleninsel‹:

An der Wand stand oder vielmehr hing Kurt. Seine beiden Hände waren mit einem Riemen zusammengebunden und mittelst einer Schlinge an einen starken Nagel in der Weise befestigt, daß der Knabe den Fußboden kaum mehr mit den Fußspitzen erreichen konnte. Darauf war ihm der Oberkörper entblößt und auf eine so unbarmherzige Art behandelt worden, daß man das rohe blutige Fleisch erblickte und die Diele roth gefärbt worden war. In dieser torturähnlichen Stellung hing er noch jetzt, ohne einen Laut von sich zu geben. Seine Augen waren roth geschwollen, und vor seinen zusammengepreßten Lippen stand großblasiger Schaum. Daneben lagen die Stöcke, mit denen die Züchtigung vorgenommen worden war. … Er war in der Weise geschlagen worden, daß er kaum noch die nöthige Besinnung besaß die Umstehenden zu erkennen. Er hatte sich, um den Schmerz zu beherrschen und nicht zu schreien, in die Lippen und die Zunge gebissen.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Ähnliche Schilderungen gibt es in Mays Erzählwerk zuhauf. Der Schluss, dass die Vater-Beschreibung in L&S eher unter- als übertrieben war, liegt wirklich sehr nahe.

Man könnte es auch so sehen: May nahm das 4. Gebot ernst: "Du sollst Vater und Mutter ehren." Deshalb wollte er den Vater in L&S nach Möglichkeit schonen - indem er auch dessen Lichtseite hervorhob.

Doch das als höchst wahrscheinlich anzusehende Faktum bleibt bestehen: Heinrich May hat seine Kinder misshandelt. Mir fällt dazu keine andere - mildere - Formulierung ein.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Und ich glaube wie geschrieben nicht daß May selber das so sah.
Und auch nicht daß besagte Stellen in 'Juweleninsel' u.a. seine Beziehung zum Vater spiegeln.
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Ralf Harder
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Ralf Harder »

Ich glaube schon, dass solche Textpassagen, wenn auch dichterisch überzeichnet, nicht von ungefähr kommen:

Und in der Mitte hing an einem Balken ein lockenköpfiger, splitternackter Knabe an einem Stricke. Er war auf den Bauch gelegt worden, dann hatte man ihm die Beine nach aufwärts auf den Rücken gepreßt, so daß die Gelenke eine ganz unnatürliche Lage angenommen hatten. Die Arme waren über die Schultern hinweg über die Füße gezogen worden und mit ihnen fest verbunden. Nun hatte man starke Leinen um die kleinen Gliedmaßen gewunden, damit sie ihre Stellung ja nicht verändern konnten, den Knaben wagerecht an den Balken gehängt und ihm noch zwei schwere Ziegelsteine auf dem Rücken befestigt.
Vor Frost sah der nackte Körper blauroth aus; blauroth sah das kleine, hübsch geformte, jetzt nach unten gekehrtes Gesichtchen, in welches alles Blut stieg, und blauroth hing dem armen Kleinen auch die Zunge aus dem Halse. Vielleicht war er dem Verschmachten oder dem Ersticken nahe. An einem Nagel hing eine Hundepeitsche mit sechsfachen Riemen.
»Verdammte Kröte, willst Du wohl aufhören mit Stöhnen!« rief der Riese, indem er eintrat. Er riß die Peitsche herab und schlug mit ihr dem Kleinen ein-, zwei-, dreimal von unten herauf über den fest angespannten Unterleib. Das Kind schloß die Augen und zuckte nicht. … Der Unmensch versetzte ihm noch mehrere Hiebe …


(Der verlorne Sohn)
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Hui, da hab ich ja ein Fass aufgemacht!
Aber mir scheint die Festellung, dass Vater May seine Kinder misshandelt hat, absolut richtig und keinesfalls übertrieben. Das sah auch Wulffen schon so: "Der Vater war gutmütig, aber ein ungeduldiger Prügelpädagoge. Der Vater war überhaupt ein unruhiger Mann, kein sesshafter Arbeiter, mehr auswärts als daheim ..." (Karl Mays Inferno, S. 111). Und in L&S scheint mir die Aussage "Da waren wir in steter Angst ihn zu erzürnen ... doch hatten wir selbst in den heitersten und friedlichsten Augenblicken das Gefühl, dass wir auf vulkanischem Boden standen ..." (S. 9-10-11) sehr glaubhaft und persönlich erlebt. Ich meine, dass genau diese Unsicherheit, ob der Vater gerade gutmütig oder am Explodieren ist, auf Kinder nachhaltig verstörend wirkt. " ... Dann bekam man den Stock oder den "Hans" so lange, bis Vater nicht mehr konnte ...". Wenn das mal nicht glasklar cholerisch und sadistisch ist! Und entspricht haargenau der Kurt-Szene. Und weiter in L&S: "Aber ich war noch so jung und klein, und so kann man sich bei dem jähen Temperament meines Generals wohl denken, dass es mir nicht möglich war, mich ... bis zur ... Armee zu entwickeln, ohne die Strenge der militärischen Disziplin an mir zu erfahren. Aber ich weinte bei keiner Strafe ... all diese Püffe, Stöße, Hiebe und Katzenköpfe ... " (S. 43-44). Absolut vorstellbar, wie der kleine Junge versucht, dem Vater alles recht zu machen, als dieser die albernen Exerzierübungen abhält. Wie einfallsreich der Vater variiert!
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Ralf Harder hat geschrieben: 29.10.2020, 20:18 Ich glaube schon, dass solche Textpassagen, wenn auch dichterisch überzeichnet, nicht von ungefähr kommen:
Von ungefähr kommen sie nicht, aber auch nicht aus eigenem Erleben ...
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

ewo hat geschrieben: 29.10.2020, 20:44 mir scheint die Festellung, dass Vater May seine Kinder misshandelt hat, absolut richtig und keinesfalls übertrieben.
Man mag es heute so nennen. Etwa so wie man heute sagt daß es keine Rassen gibt und nicht Vater und Mutter sondern Elternteil 1 und Elternteil 2 usw.. Die Sprache und die Ansichten sind halt aus dem Lot.
Der Vater war gutmütig
*
entspricht haargenau der Kurt-Szene.
Der TON ist jeweils ein völlig anderer. Und so ist zu SPÜREN, daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Die Passage aus dem "Verlorenen Sohn" ist tatsächlich richtig genüsslich und sadistisch ausgemalt - aber das ist wohl dem Kolportage-Genre geschuldet. Da durfte (und sollte) es ja wohl deftig und widerlich sein. Das kann man selbstverständlich nicht eins zu sein zurück auf eigenes Erleben übertragen. Und die Stelle aus der Juweleninsel ist für eine Jugenderzählung ziemlich heftig, wohl auch für die Zeit, als Karl May das geschrieben hat! Sicher sollte damit genau dies ausgedrückt werden: Außergewöhnliche Grausamkeit des Prüglers nämlich. Auch diese Stelle muss nicht buchstabengetreu als eigenes Erleben angenommen werden, aber May wusste schon sehr gut - aus eigener schlechter Erfahrung -, was weh tut!
Anders verhält es sich aber mit den von mir zitierten Stellen aus L&S: Dort drückt sich May, eben auch aus der zeitlichen Entfernung von etlichen Jahrzehnten, geradezu zurückhaltend aus. Und sagt trotzdem genug aus. Ich meine, jedes Wort ist akkurat so gewählt, dass das tatsächlich Erlebte wiedergegeben wird, aber das Bild des Vaters nicht allzu schlimm wegkommt. Aber für die Kinder war es schlimm!
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

ewo hat geschrieben: 29.10.2020, 21:16 Die Passage aus dem "Verlorenen Sohn" ist tatsächlich richtig genüsslich und sadistisch ausgemalt
Ich würde eher sagen, betroffen (nicht aus eigenem Erleben, sondern aus sich-einfühlen).
die Stelle aus der Juweleninsel ist für eine Jugenderzählung ziemlich heftig
Die 'Juweleninsel' war nie eine Jugenderzählung und sollte nie eine sein ...
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

er nahm sich vor, alles Mögliche zu tun und nichts zu versäumen, aus mir den Mann zu machen, welcher zu werden ihm versagt gewesen war. Das kann man gewiß nur löblich von ihm nennen. Nur kam es darauf an, welchen Weg und welche Weise er meiner Erziehung gab. Er wollte, was für mich gut und glücklich war. Das konnte er nur mit guten und glücklichen Mitteln erreichen.
Auch das steht in "Mein Leben und Streben" über den Vater.

Ich sehe, wie ich die Pappenheimer kenne, schon wieder kommen, daß jetzt gedacht wird, ich hielte, indem ich das zitiere, die "Mißhandlungen" für "gute und glückliche Mittel". Nein. Aber Mays Vater hielt sie vielleicht dafür. Und vielleicht auch May selber. Ein wenig. Im Nachhinein.
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Liebe rodger, jetzt unterschätzen Sie mal die Pappenheimer nicht.
Ich fürchte ja auch, dass Vater May meinte, seine Kinder richtig und ordentlich zu erziehen. Aber: gut gemeint, ist eben nicht immer gut gemacht. Gilt ebenso für May Sohn. Tatsache ist, dass "... nur kam es darauf an, welchen Weg und welche Weise er meiner Erziehung gab ... " ja bereits eine gar nicht so leise Kritik am Erziehungsstil des Vaters enthält, wobei das Gesagte sich wohl mehr auf die wahllose "Vielleserei" bezieht, zu der Vater May den Sohn zwang. Versetzen Sie sich doch mal in die Kindheit der May-Kinder: Wollten Sie es mit diesem Vater zu tun haben, der die Kinder prügelt, wenn sie während seiner mindestens 10-stündigen Arbeit auch nur einen Mucks tun? Und nie zu wissen, ob er eben gerade "gut drauf" ist oder in Prügellaune? Und das in einem einzigen Wohnraum? Ein Vater, dem es womöglich Spaß macht, mit gut gepflegten Instrumenten so lange zu schlagen, bis er nicht mehr kann? Niemanden zu haben, der einen vor diesem Vater schützt? Nein, das wollen Sie sicher nicht, und ich glaube Ihnen sofort, dass Sie derartige Misshandlungen keinesfalls gut heißen. Aber die Kinder haben sie erlebt. Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir das nicht aus eigenem Erleben nachvollziehen können. Aber was richtet das in Kinderseelen an?
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