Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

... "Was für Vater-/Mutterbeziehungen immer gilt": Wohl wahr!
Obwohl die Selbstbiographie wohl hauptsächlich eine "strategische" Schrift im Zusammenhang mit den Prozessen zu sein scheint, kann man aber doch sicher davon ausgehen, dass die Substanz der Aussagen Mays über seine Eltern nicht komplett erlogen, wenn auch vielleicht gefärbt und selektiv ist, oder? Es fällt auf, dass er deutlich mehr, ambivalenter und häufiger über seinen Vater spricht als über die Mutter. Daraus kann man also vielleicht schließen, dass er durch den Vater erheblich mehr geprägt und beeindruckt wurde als durch die Mutter. Oder dass sein Verhältnis zum Vater viel unklarer, das zur Mutter aber geklärt war. Daher meine Frage vom Anfang:
- Gibt es Briefe (oder Tagebücher o.ä.) der Familie (Schwestern, Eltern) über/mit Karl May; und falls JA, wo sind die veröffentlicht, oder wie/wo kann man die lesen?
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Es gibt ein im KMV publiziertes Tagebuch Klara Mays, der zweiten Ehefrau Karls. Von einem möglichen Tagebuch der Eltern Mays ist nichts bekannt, auch nichts von einer evtl. Korrespondenz zwischen KM und seinen Eltern. Einen Briefwechsel zwischen Karl und der einen oder anderen seiner Schwestern gibt es, soweit ich mich erinnere, schon. Ob das (über kleine Auszüge hinaus) veröffentlicht wurde, weiß ich nicht.

Zu L&S: Wenn May Fehsenfeld gegenüber behauptete, die Selbstbiographie sei "ausschließlich" dazu geschrieben, die Prozesse zu gewinnen, so stapelt May in diesem Fall ziemlich tief. Das letzte Kapitel "Meine Prozesse" ist zwar, wie schon der Titel sagt, eine "Prozessschrift". Insgesamt aber ist L&S ein hochpoetisches Werk, literarisch unbedingt wertvoll. Auch der Informationswert, was biogr. Daten betrifft, ist relativ hoch. Viele Einzelheiten, die May beschrieb, konnten inzwischen nachgewiesen werden. Manche Angaben des Autors sind allerdings unzutreffend. (Ob es sich um eine bewusste Lesertäuschung oder um Erinnerungsfehler handelt, ist dabei schwer zu sagen; ich neige zur zweiten These.) Vor allem die wichtigen Ausführungen Mays über seinen Psychozustand vor und während der Straftäterzeit halte ich für im Prinzip glaubwürdig (was poetische Ausmalungen ja nicht ausschließt).

Aus dem Umstand, dass May in L&S mehr über seinen Vater als über seine Mutter schreibt, sollte man m.E. keine zu weitgehenden Rückschlüsse ziehen. Ich meine sogar, dass die Mutter in Mays Leben eine MINDESTENS so große Rolle spielte wie der Vater.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Es gibt ein im KMV publiziertes Tagebuch Klara Mays
Meines Wissens bislang unveröffentlicht. Laut Karl-May-Wiki existieren einige private Abschriften.
ein hochpoetisches Werk, literarisch unbedingt wertvoll
geschrieben, um die Prozesse zu gewinnen ... :D

Das eine schließt das andere ja nicht aus.

May traue ich in Sachen "Mein Leben und Streben" u.a. mittlerweile sozusagen nicht mehr über den Weg. Das heißt nicht, daß ich ihn nicht mehr mag. Ich sehe ihn nur deutlich kritischer oder sagen wir wertungsfrei differenzierter als früher.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Dass das Tagebuch Klaras noch immer nicht publiziert ist, ist mir neu. Für die Erforschung der späten Jahre Mays ist dieser Text ja durchaus ergiebig. Ich besitze eine Kopie in Schreibmaschinenschrift.

Zum Schreibmotiv Karl Mays: Menschliches Handeln ist ja fast NIE monokausal, wenn ich etwas tue oder unterlasse, hat dies nahezu immer mehrere Gründe zugleich. May wollte seine Prozesse gewinnen (was ihm ja kaum jemand verübeln wird), er wollte sich - schreibend - auseinandersetzen mit der eigenen Vergangenheit, er wollte sich den Gegnern gegenüber verteidigen, er wollte - das nehme ich ihm durchaus ab - der Wahrheit näher kommen.
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Vielen Dank für Ihre Rückmeldungen und Beiträge, liebe, verehrte May-Spezialisten!
Das hilft mir doch schon deutlich weiter. Übrigens habe ich im JB 1986 eine Arbeit von Günter Scholdt über Winnetou IV gefunden, in der eine Menge über Karl Mays Verhältnis zu seinem Vater gesagt wird; Danke für den Tipp zu den älteren Jahrbüchern, Herr Wohlgschaft (Was Sie über das Schreibmotiv sagen, stimmt natürlich, trifft aber sicher ganz allgemein auf viele Autoren zu, oder?)! Könnten Sie mir noch weitere Aufsätze/Arbeiten nennen? Allein aus den Titeln der Jahrgänge 1970 bis 1986 konnte ich nicht viel entnehmen. Und die Arbeiten von Hainer Plaul und Klaus Hoffmann sind ja leider nicht abrufbar, die Jahrbücher 1971 + 1977 beim Vertrieb vergriffen. Mal sehen, ob ich dennoch irgendwie drankomme.
Mich interessiert auch folgende Frage: - Gibt es Informationen, ob Karl May als junger Mensch aus Sachsen auswandern wollte (außer die "Burtons-Geschichte"), vielleicht nicht unbedingt nach Amerika?
Hintergrund meiner Überlegung: Nachdem er infolge der Sechs-Wochen-Haftstrafe wg. Diebstahls/unbefugter Wegnahme seine sächsische Lehramtsbefähigung verloren hatte, wäre es doch vielleicht nahe liegend gewesen, eine Lehrerstelle außerhalb Sachsens, aber innerhalb Deutschlands zu suchen. Weiß man etwas darüber?
Schon mal vorab vielen Dank für hilfreichen Input!
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zu Mays Vaterbeziehung finden wir einiges in der Wollschläger-Biographie, mehr noch in Wollschlägers Jahrbuch-Aufsätzen in den 1970ern. Auch in den Jb-Aufsätzen von Wolf-Dieter Bach in den 1970er. Und hilfreich sicher auch Günther Scholdt. Wollschlägers wie auch Bachs Deutungen sind stark von der Psychoanalyse Freuds und Wilhelm Reichs beeinflusst - gewisse Vorbehalte sind, wie ich schon sagte, angebracht. Freud usw. sind ebenso wenig unfehlbar wie der Papst. :wink:

Im 1. Band meiner May-Biographie nennen ich - in den Abschnitten über Mays Kindheit und Jugend - so ziemlich die gesamte Sekundärliteratur, die Für Mays Vater- bzw. Mutterbeziehung relevant ist.

Ob May als junger Mensch aus Sachsen auswandern wollte (einmal abgesehen von der vorzeitig beendeten "Spanien"-Flucht und der Burton-Geschichte)? Und ob er eine Chance gehabt hätte, außerhalb Sachsens eine Lehrerstelle zu bekommen? Da müsste ich meine eigene - ja sehr ausführliche - Darstellung des betreffenden Abschnitts in Mays Vita noch einmal nachlesen. Mein spontanes Gedächtnis ist nicht mehr das beste, man wird ja von Tag zu Tag immer noch älter und vergreister. :wink:
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Besten Dank! Was die "Deutungen" Wollschlägers und Bachs betrifft, reden Sie mir aus der Seele: Sehr mit Vorsicht zu genießen! Ich hab mich beispielsweise mordsmäßig geärgert, dass Herr Wollschläger der armen Mutter May ohne jeden Beleg einfach mal so einen Geliebten andichtet! Nicht eben anständig, finde ich. Und ganz sicher nicht im Sinne des Maysters! Aber der Zeitgeist in den 70ern war wohl damals so. Gott sei Dank entwickeln wir uns ja weiter (!).
Lieber Herr Wohlgschaft: Jetzt mal kein "fishing for compliments"! Ihr Gedächtnis ist sicher dermaßen vollgestopft mit Informationen über Karl May - da darf man schon mal was vergessen oder verwechseln. Ich wollte, ich hätte Ihr Wissen. Und im Zweifelsfall gilt ja immer: Man muss nur wissen, wo etwas steht, dann kann man`s raussuchen (oder jemand kennen, der`s weiß).
Und zur Unfehlbarkeit: Da gibt`s - gänzlich ohne Bezug zu Freud oder Papst - einen hübschen Film "Manche mögen`s heiß" mit dem legendären Schlusssatz "nobody`s perfect".
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Wollschläger dürfte Mays Verhältnis zu seiner Mutter oder auch ihres zu ihm realistischer gesehen haben als May selber dazu offenbar in der Lage war ...
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Ralf Harder
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Ralf Harder »

Nach meiner Kenntnis wurden Mays Prüfungszeugnisse eingezogen. Er durfte kein Lehrer mehr sein, auch kein Privatunterricht erteilen. Viele Fragen beantwortet die Karl-May-Chronik von Dieter Sudhoff / Hans-Dieter Steinmetz:

https://www.karl-may.de/Buecher/Sachbüc ... ay-Chronik

Zu Wollschlägers Urszenen-Theorie hat sich Harald Mischnick geäußert:

https://www.reisen-zu-karl-may.de/forsc ... szene.html
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Noch ein Hinweis: In Claus Roxins Kapitel "Mays Leben" im Karl-May-Handbuch finden sich sehr vernünftige und sehr ausgewogene Abschnitte zu Mays Eltern. Claus Roxin halte ich nach wie vor für den besten May-Versteher.

Ich muss für mich persönlich zugeben, dass ich KM zwar unverändert schätze und mag, mich aber seit langer Zeit nicht mehr intensiv mit ihm bzw. seinen Schriften beschäftigt habe. Ich lese immer wieder mal bestimmte Passagen aus seinen Romanen nach, nehme auch die aktuelle Sekundärliteratur - teilweise - zur Kenntnis, mehr aber nicht.

Gegenwärtig befasse ich mich umso intensiver mit der Gegenwartsliteratur, ich lese Dieter Wellershoff, Martin Walser, Patrick Roth, Ralf Rothmann, Christoph Ransmayr, Juli Zeh, Judith Hermann, Felicitas Hoppe, Arno Geiger, Hanns-Josef Ortheil, Thomas Hürlimann, Pascal Mercier, Daniel Kehlmann, Sibylle Lewitscharoff, Arnold Stadler u.a. Hochinteressant!!!
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Ralf Harder hat geschrieben: 23.10.2020, 17:52 Nach meiner Kenntnis wurden Mays Prüfungszeugnisse eingezogen. Er durfte kein Lehrer mehr sein, auch kein Privatunterricht erteilen. Viele Fragen beantwortet die Karl-May-Chronik von Dieter Sudhoff / Hans-Dieter Steinmetz:

https://www.karl-may.de/Buecher/Sachbüc ... ay-Chronik

Zu Wollschlägers Urszenen-Theorie hat sich Harald Mischnick geäußert:

https://www.reisen-zu-karl-may.de/forsc ... szene.html
Die Chronik hab ich mir kürzlich zugelegt und bin am Durchackern.
DANKE für den Mischnick-Artikel! Sehr aufschlussreich!
Gruß von ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Liebe Karl-May-Spezialisten, habe folgendes Problem:
In der Chronik I von Sudhoff/Steinmetz habe ich mehrfach folgenden Hinweis gefunden: "(Karoline Selbmann an Adolph Hanemann 13.02.1918)". Karoline war Karls Schwester, das weiß ich, und hat ewig gelebt. Aber wer war dieser Adolph Hanemann? Ich hab in der Bibliografie nix gefunden und in Google auch nicht. Offensichtlich war er wohl der Adressat irgendeiner Nachricht Karolines, vielleicht Briefes? Hab aber auch nirgends einen Hinweis auf Brief Karolines gefunden. Sudhoff/Steinmetz hatten wohl Zugang zum Nachlass/Archiv zu Forschungszwecken; könnte es sein, dass sie dort etwas gefunden haben, was aber noch nicht veröffentlicht ist?
Bin leider rat- und hilflos. :roll:
Können Sie helfen? :happy:
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Der Name Adolph Hanemann sagt mir nichts. Er wird in der Chronik I mehrmals erwähnt, aber ohne weitere Hinweise. Es stimmt: Aufgrund ihrer guten Beziehung zum KMV hatten Sudhoff/Steinmetz Zugang zu vielen unveröffentlichten Dokumenten. Mir hingegen wurde dieser Zugang seinerzeit vom KMV verweigert - ja sogar mit juristischen Schritten gedroht, wenn ich etwa aus der (mir über inoffizielle Quellen bekannten) May-Fehsenfeld-Korrespondenz oder dem Tagebuch Klara Mays zitieren würde.
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Lieben Dank für Ihre Nachricht, Herr Wohlgschaft.
Kann es sein, dass die seinerzeitige rabiate Haltung :evil: des KMV Ihnen gegenüber damit zu tun hatte, dass man noch vorhatte, die diversen Briefe in den "klassisch grünen" (und teuren) Bänden 91-96 zu veröffentlichen, wie das mittlerweile geschehen ist? Sollte ich mir diese anschaffen - immerhin eine Investition von EUR 150,00 - auf die vage Hoffnung hin, darin auch Briefe der Familie zu finden (in der Beschreibung heißt es: Briefe Fehsenfeld / Sascha Scheider / Kürschner / seine "Kinder" u.a.). Was meinen Sie?
Danke für Ihre (und gerne weitere) Rückmeldung(en)! Bleiben Sie gesund!
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Sehr empfehlenswert sind m.E. die Bände 91-93.
Der 94er enttäuscht, da er relativ wenige Briefe von May enthält.
95 und 96 habe ich mir bislang nicht angeschafft, da vieles, was darin steht, schon anderweitig erschienen ist ("Leben im Schatten des Lichts", Jahrbuch-Beiträge u.a.).
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