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Datierung Skipetaren-Manuskript

Verfasst: 12.4.2022, 10:51
von Ralf Harder
Professor Claus Roxin wies in seiner ›Einführung‹ zum KMG-Reprint ›Durch das Land der Skipetaren‹ auf folgendes Karl-May-Zitat hin:

Ein angenehmes Gefühl ist es jedoch nicht, zwischen zwei bärenstarken und bis an die Zähne bewaffneten Wegelagerern zu sitzen. Daß es in der Türkei eine Menge solcher Menschen geben kann, das ist sehr leicht erklärlich; es liegt an den dortigen Verhältnissen. Liest man doch sogar heutzutage in fast jeder Nummer irgend einer Zeitung von gewaltsamen Grenzüberschreitungen, Räubereien und Ausplünderungen. Erst im vorletzten Monat des Jahres 1887 hat die Regierung eine Bekanntmachung erlassen, in welcher sie befiehlt, daß jeder Richter nun endlich doch einmal nach dem Gesetz urteilen solle. Ein bekannter und »mächtiger« Pascha sendet die Drohung an die Pforte, daß er sofort seine Entlassung nehmen werde, wenn es ihm nicht erlaubt sein solle, die in seinem Bezirk überhandnehmenden Räubereien zu bestrafen.
Karl May: ›Durch das Land der Skipetaren‹, Deutscher Hausschatz, XIV Jahrgang, S. 324

»Klarheit in der Datierungsfrage«, so Claus Roxin, »würde […] nur die von May erwähnte türkische Regierungsbekanntmachung bringen können […]«, S. 2 des Reprints.

Dass Karl May die »Räubereien« in der Türkei nicht erfunden hat, belegen folgende Pressemeldungen:

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Dresdner Nachrichten vom 4. November 1887

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Dresdner Nachrichten vom 5. Dezember 1887

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Bludenzer Anzeiger vom 12. November 1887

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Insbrucker Nachrichten vom 12. November 1887

Nach den von Karl May erwähnten Räubereien »im vorletzten Monat des Jahres 1887« finden sich wenig später in seiner Skipetaren-Erzählung Anspielungen auf Nikolaus und Weihnachten:

Nun schüttete der Hadschi aus beiden Stiefeln eine ganze Menge von Früchten, Fleisch- und Backwaren in diesen Korb, so daß derselbe ganz voll wurde.
»So!« sagte er. »Nun laß deine Kinder essen, und Allah möge es euch segnen!«

Karl May: ›Durch das Land der Skipetaren‹, Deutscher Hausschatz, XIV Jahrgang, S. 331

Seine Wangen glänzten, wie hübsche Weihnachtsäpfel.
Karl May: ›Durch das Land der Skipetaren‹, Deutscher Hausschatz, XIV Jahrgang, S. 335

Bis zum Jahresende 1887 bzw. Jahresanfang 1888 lagen der Hausschatz-Redaktion in Regensburg ca. 600 Skipetaren-Manuskriptseiten vor (Ende der Marterstein-Episode). Die Schluchthütten-Episode (Deutscher Hausschatz, XIV Jahrgang, ab S. 347; Fehsenfeld-Buchausgabe, Freiburg 1892, ab S. 237) dürfte ab Januar 1888 entstanden sein. Zeitgleich schrieb Karl May an der Samiel-Episode für den ›Weg zum Glück‹ und begann mit dem ›Geist des Llano estakado‹.

In der Schlusslieferung von ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ wird eine »Straße der Aladschy« (S. 2593) erwähnt. Zeitgleich schwingen im Skipetaren-Manuskript die Aladschys ihre Heiduckenbeile. Wenig später heißt es im ›Weg zum Glück‹: »Du Heiducke, Du!« (S. 1859) – Als Anrede kommt »Heiducke« nur ein einziges Mal in Mays Werk vor.

Re: Datierung Skipetaren-Manuskript

Verfasst: 14.4.2022, 12:28
von JWehnert
Lieber Herr Harder,

haben Sie vielen Dank für Ihren interessanten Beitrag, der ja nicht nur zur Datierung der "Skipetaren" beiträgt, sondern auch deutlich macht, woher May sein oft sehr authentisch anmutendes Wissen bezog. Die Fähigkeit, angeeignete Texte und Bilder als eigene Anschauung auszuformulieren, besaß er wie kaum ein anderer und gehört zu den Gründen seines Erfolgs. Die Suche nach seinen "Quellen" ist daher ein Unterfangen, das kaum je zum Abschluss kommen wird.

Ich wünsche Ihnen gesegnete Ostertage und verbleibe
mit herzlichen Grüßen
Ihr Jürgen Wehnert

Re: Datierung Skipetaren-Manuskript

Verfasst: 15.4.2022, 12:08
von Ralf Harder
… woher May sein oft sehr authentisch anmutendes Wissen bezog. Die Fähigkeit, angeeignete Texte und Bilder als eigene Anschauung auszuformulieren, besaß er wie kaum ein anderer … Die Suche nach seinen "Quellen" ist daher ein Unterfangen, das kaum je zum Abschluss kommen wird.

Lieber Herr Professor Wehnert,

ein weiteres Beispiel finden Sie hier im Forum in der Rubrik ›Fortsetzungsromane – Kolportage‹, Zugunglück im Waldröschen:
viewtopic.php?t=2085

Ich wünsche auch Ihnen ein gesegnetes Osterfest!

Herzlichst
Ihr
Ralf Harder