Vortrag

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Günther Wüste
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Vortrag

Beitrag von Günther Wüste »

In Aachen findet am 21.4.2006 um 18:45 Uhr in der "Klangbrücke" ein
Vortrag statt zum Thema "Karl May und das Spät-Osmanische Reich", Veranstalter
ist eurotuerk.com (siehe Website).

Wer es kann und Lust hat sollte daran teilnehmen.

Gruss Günther Wüste
Joshua
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Beitrag von Joshua »

Ich war da und hatte Erwartungen, die leider sehr enttäuscht worden sind. Der Vortragende Anton Dierl wählte aus der Stadtbibliothek entliehenen alten Bamberger Bänden Textstellen heraus, um dem deutsch-türkischen Publikum zu erläutern, "wie Karl May den Islam madig" mache. Methodisch höchst fragwürdig, wählte er Stellen vor allem aus dem eher schwachen Roman DHDH aus, machte aber dem Publikum vor, es handele sich um unterschiedlichste Romane (anhand der Bamberger Titel), in denen man immer wieder auf dieselben Feindbilder treffe. Auch den Orientzyklus brachte er in seine Deutung mit ein. Vom Ansatz her nicht völlig uninteressant, stützte er sich wohl eher auf orientalistische Studien, weniger auf literarische. Quellen und Literatur wurden jedoch nicht genannt.
Insgesamt gestaltete sich (auch sprachlich) der Vortrage eher in der Art der KM-Kritik der Jahrhundertwende. Das Publikum war entsetzt, angeekelt von May, der auch für die heutige Zeit als nicht ungefährlich eingeschätzt wurde, weil er in den Köpfen jugendlicher Leser (gibt es die noch?) Ressentiments verorte.
Grüße,
Joshua
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rodger
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Beitrag von rodger »

Dumm vom Vortragenden wie vom Publikum.

Natürlich hatte Karl May manchmal, auf gut Deutsch gesagt, beknackte Ansichten, die man spätestens heute nicht mehr ernstnehmen kann. Aber das muß doch nicht daran hindern, seine Bücher spannend, witzig, charmant, unterhaltsam, genial usw. zu finden.
Joshua
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Beitrag von Joshua »

In der Tat. Vor allem wurde hier der Fehler begangen, Karl May nicht als Literatur aufzufassen. Es ist natürlich billig, ihm die Realität entgegenzustellen. Vor allem aber schien es mir, als würde der Autor politisch instrumentalisiert. In Verkürzung: Weil die Deutschen alle (!) Karl May gelesen haben, sind sie noch heute voller Ressentiments. Der Vortragende stellte dabei auch die Frage, was man denn da machen solle. Die Bücher von Karl May aus den Bibliotheken entfernen? Allein bei der Frage lief es mir kalt den Rücken herunter. Bücher verbieten - das hatten wir schon...
Grüße,
Joshua.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Das fehlt auch noch, dass wir gesagt kriegen, was wir lesen dürfen und was nicht. Die Frau D. z.B., die Schauspielerin, die immer so streng guckt, und das Bedürfnis, ihre Gastgeber (das mag jetzt möglicherweise ein wenig hinken) zu erziehen, gleichsam als Weltanschauung im Blick vor sich herträgt, die würde so was fertig bringen.
Joshua
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Beitrag von Joshua »

Was ich dabei nur interessant fand: KM ist auch heute noch (!) für viele ein Thema, über das man sich aufzuregen vermag. Interessant auch, dass nach wie vor Klischee-Vorstellungen ungebrochen in den Köpfen (und Vorträgen) von Leuten kursieren, die eine KM-Forschung (z.B. die letzten 30 Jahre KMG etc.) überhaupt nicht wahrgenommen haben. In den Köpfen hat sich da nicht allzu viel geändert seit KM's Tod. Auch heute noch ist die erste Äußerung bezüglich KM bei nicht wenigen: "Der war doch nie da, hat alles nur erfunden..." Sei's drum. Problematisch finde ich aber, wenn man den sächsichen Phantasten für heute wichtige politische Fragen instrumentalisiert. Und dabei ist es wurscht, ob man sich über seine islamischen Negativ-Stereotypen auslässt, oder ob man betont, wie weitsichtig er doch heutige Konflikte der islamischen Welt vorauszusehen in der Lage gewesen sein soll. Auch diese angebliche Weitsichtigkeit ist Perspektivenverschieberei. Der Mann schrieb (in erster Linie) Unterhaltungsliteratur.
Grüße, Joshua.
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giesbert
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Beitrag von giesbert »

Stichwort Klischee & Sterotyp:

Erstaunlich (um mal ein möglichst neutrales Wort zu wählen) fand & finde ich es immer wieder, wenn in FAZ, SZ & Co. - also den großen Tageszeitungen, deren Redakteure es eigentlich besser wissen sollten - anlässlich "Jugoslawien" sofort von den "Schluchten des Balkan" die Rede ist und man, ohne Witz, sogar Hermann Wiedenroth als Experten befragte. In der Logik der Presse ist man als Karl-May-Herausgeber wohl auch gleichzeitig ein kompetenter Gesprächspartner zum Thema "Balkan".

... "der Balkan". Aber welch erwachsener Leser verbindet heute überhaupt noch etwas Wirkliches mit solch einem Wort? fragt Peter Handke sehr zurecht.
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rodger
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Beitrag von rodger »

... "der Balkan". Aber welch erwachsener Leser verbindet heute überhaupt noch etwas Wirkliches mit solch einem Wort? fragt Peter Handke sehr zurecht.
Balkan ist Balkan, wo ist das Problem ?

Ich finde Peter Handke zwar durchaus interessant, gerade in diesen Tagen, aber an dieser Stelle verstehe ich ihn nicht.
Der Mann schrieb (in erster Linie) Unterhaltungsliteratur.
Selbst wenn man das so sieht (ich eher nicht), diese Unterhaltungsliteratur war, von Anfang an, durchsetzt mit viel Weltanschaulichem, Betrachtungen zu Religionen usw.
Joshua
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Beitrag von Joshua »

Einverstanden. Mir ging es nur darum, dass KM in o.g. Vortrag aus seinem literarischen und historischen Kontext herausgelöst worden ist. Zu der Biographie KMs lieferte der Vortragende alte Klischees, wie z.B. jenes, dass May, der ehemalige Sträfling, Brandstifter gewesen sei. Und weiter: seine lieterarische Wende zum Alterswerk habe seine Ursache darin gehabt, dass er während seiner Orientreise gemerkt habe, Emma sei nicht die Richtige für ihn. Hm.
Dass Mays Weltbild, vor allem seine Vorstellungen von Orient und Islam, kritisch zu sehen sind, steht heute wohl außer Frage.
Gruß,
Joshua.
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rodger
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Beitrag von rodger »

„Es war also el Mogreb da, die Zeit des Gebetes beim Untergange der Sonne. Wir tauchten die Hände in das Wasser, traten vor das Zelt und warfen uns mit Ausnahme Percys, welcher sitzen geblieben war, auf den Boden nieder. Ich habe mich während meiner Wanderungen unter den Moslemim nie von den Waschungen und Gebeten ausgeschlossen und denke dennoch, ein guter Christ geblieben zu sein.“

Solche Stellen hat er auch geschrieben (diese ist aus "Orangen und Datteln"), und des öfteren deutlich gemacht, daß es eigentlich egal ist, ob man von Allah, Gott, Manitou oder wem auch immer spricht. Recht hat er. In den späteren Marienkalender-Geschichten hat er, leider, andere Saiten aufgezogen. Gelegentlich, so sehe ich es, hat er sich halt schon mal a bisserl prostituiert (im Fall der Kalendergeschichten für sich streng katholisch gebende Verleger).
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rodger
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Beitrag von rodger »

Auch das Begräbnis Mohammed Emins (in Band 3) ist beachtenswert:

Amad el Ghandur trat bleichen Angesichtes zu mir und frug:

»Emir, Du bist zwar ein Christ, aber Du warst in der heiligen Stadt und kennst das heilige Buch. Willst Du Deinem todten Freunde die letzte Ehre erweisen und über ihn die Sure des Todes sprechen?«

»Gern, und auch die Sure des Verschließens.«

»So laß uns beginnen!«

Jetzt hatte die Sonne ihren westlichen Horizont erreicht, und Alle sanken nieder, um in der Stille das Mogreb zu beten. Dann erhoben wir uns wieder, einen Halbkreis um die Öffnung des Grabmales bildend.

Es war ein weihevoller Augenblick. Der Todte saß aufrecht in seiner letzten Wohnung. Die Abendröthe warf purpurne Strahlen über sein marmorbleiches Angesicht, und der hier oben kräftigere Hauch des Windes ließ seinen langen weißen Bart erzittern.

Da wandte sich Amad el Ghandur nach der Richtung von Mekka, erhob seine in einander verschlungenen Hände und sprach:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, der da herrschet am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich erfreuen, und nicht den Weg derer, über welche Du zürnest, und nicht den Weg der Irrenden!«

Jetzt erhob ich ebenso wie er die Hände und sprach aus der fünfundsiebzigsten Sure, die >die Auferstehung< betitelt ist, die Worte:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Ich schwöre bei dem Tage der Auferstehung, und ich schwöre bei der Seele, welche sich selbst anklagt: will der Mensch wohl glauben, daß wir seine Gebeine einst nicht zusammenbringen werden? Wahrlich, wir vermögen es, selbst die kleinsten Gebeine seiner Finger zusammenzufügen; doch der Mensch will selbst das, was vor ihm liegt, gern leugnen. Er fragt: Wann kommt denn der Tag der Auferstehung? Wenn das Auge sich verdunkelt und der Mond sich verfinstert und Sonne und Mond sich verbinden, dann wird der Mensch an diesem Tage fragen: Wo findet man einen Zufluchtsort? Aber vergebens, denn es gibt keinen Ort der Rettung. Ihr liebt das dahineilende Leben und achtet nicht auf das zukünftige. Einige Angesichte werden an diesem Tage leuchten und ihren Herrn anblicken, andere aber werden traurig aussehen, denn schwere Trübsal kommt über sie. Sicherlich! Einem solchen Menschen steigt in der Todesstunde die Seele bis an die Kehle, und die Umstehenden sagen: Wer bringt zu seiner Rettung einen Zaubertrank? Dann ist die Zeit der Abreise gekommen; er legt Bein an Bein und wird an diesem Tage hingetragen zu seinem Richter, da er nicht glaubte und nicht betete. Darum wehe Dir, wehe! Und abermals wehe Dir, wehe! Glaubt denn der Mensch, daß ihm volle Freiheit gelassen sei? Ist er nicht ein ausgeworfenes Samenkorn? Darauf bildete ihn Gott und machte einen Menschen aus ihm. Sollte Der, der dies gethan, nicht auch zu einem neuen Leben auferwecken können?«

Nun wandte ich mich wieder dem Todten zu und sprach:

»Allah il Allah! Es ist nur ein Gott und wir Alle sind seine Kinder. Er leitet uns mit seiner Hand und hält uns Alle an seiner Rechten. Er machte uns zu Brüdern und sandte uns auf die Erde, ihm zu dienen und uns in Eintracht seiner Gnade und Barmherzigkeit zu erfreuen. Er läßt den Körper sich entwickeln und die Seele wachsen, bis sie sich nach dem Himmel sehnt. Dann sendet er den Engel des Todes, sie abzulösen und emporzutragen zum Brunnen, aus dem sie ewiges Leben trinkt. Sie ist dann frei von Schmerz und Leid und achtet nicht die Klagen derer, welche um die todte Hülle trauern. Hier liegt Hadschi Mohammed Emin Ben Abdul Mutaher es Seim Ibn Abu Merwem Baschar esch Schohanah, der tapfere Scheik der Haddedihn vom Stamme esch Schammar. Er war ein Liebling Allah's; auf seiner Zunge wuchs niemals die Lüge, und aus seiner Hand floß Wohlthat weithin über die Hütten, in denen Armuth wohnte. Er war der weiseste im Rathe; er war ein Held im Kampfe; er war ein Freund dem Freunde; er wurde gefürchtet von seinen Feinden, aber geachtet von Allen, die ihn kannten. Darum wollte Allah nicht, daß er abscheide im Dunkel des Zeltes, sondern er sandte Abu Dschajah [Engel des Todes], ihn abzurufen mitten im Kampfe von der Seite der Krieger, die hier um ihn stehen. Nun geht der Staub zur Erde. Sein Angesicht wendet sich nach Mekka, der Goldenen, seine Seele aber steht vor dem Allerbarmer und schaut die Herrlichkeit, in welche kein sterbliches Auge zu dringen vermag. Sein ist das Leben, unser aber der Trost, daß auch wir einst an seiner Seite stehen werden, wenn Isa Ben Marryam einst kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten!«

Jetzt traten Allo und der Soran-Kurde herzu, um das Grab zu verschließen. Schon wollte ich wieder das Wort ergreifen, als der Perser mir winkte. Er trat vor und sprach einige Sätze der zweiundachtzigsten Sure:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wenn die Himmel sich spalten und die Sterne sich zerstreuen, die Meere sich vermischen und die Gräber sich umkehren, dann wird eine jede Seele wissen, was sie gethan und was sie unterlassen hat. So ist es, und doch leugnen sie den Tag des Gerichtes. Aber es sind Wächter über Euch gesetzt, die da Alles niederschreiben und Alles sehen, was Ihr thut. Die Gerechten werden erlangen die Wonne des Paradieses, die Missethäter aber die Qualen der Hölle. An diesem Tage vermag keine Seele etwas für die andere, denn an diesem Tage gehört die Herrschaft nur Gott allein!«

Jetzt war die Öffnung zugesetzt, und es bedurfte noch des Schlußgebetes. Ich hatte auch das übernommen, aber Halef trat vor. In dem Auge des wackern kleinen Hadschi glänzten Thränen, und seine Stimme zitterte, als er sagte:

»Ich will beten!« - Er kniete nieder, faltete die Hände und sprach: »Ihr habt gehört, daß wir Alle Brüder sind, und daß Allah uns Alle versammeln wird am Tage des Gerichtes. Da drüben ist die Sonne gesunken, und morgen wird sie von Neuem emporgestiegen sein; so werden auch wir da oben auferwachen, wenn wir hier gestorben sind. O Allah, laß uns da zu denen gehören, die Deiner Gnade würdig sind, und scheide uns nicht von denen, die wir hier lieb gehabt haben. Du bist der Allmächtige und kannst auch dieses Gebet erfüllen!« -

Das war ein seltenes Begräbniß. Ein Christ, zwei Sunniten und ein Schiite hatten über dem Grabe des Todten gesprochen, ohne daß Muhammed einen Blitz herniederfallen ließ. Was mich betrifft, so glaubte ich, keine Sünde zu thun, wenn ich von dem todten Freunde Abschied nahm in der Sprache, die er im Leben gesprochen hatte; die Betheiligung des Persers aber war ein Beweis, daß er an Bildung des Geistes und Herzens den moslemitischen Troß weit überragte. Halef hätte ich zum Dank für seine einfachen, kurzen Sätze gleich umarmen können. Ich wußte es längst: er war, ohne es selbst zu ahnen, nur noch äußerlich ein Moslem, innerlich aber bereits ein Christ.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Ach ja: DAS, diese Passage hätte man den versammelten Schlaubergern in Aachen vielleicht vortragen sollen (vielleicht unter Weglassung des letzten Satzes ...), dann wäre die Reaktion gleich eine ganz andere gewesen, Karl May everybodys Darling, sozusagen. Es ist so leicht, Leute zu beeinflussen ...
Joshua
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Beitrag von Joshua »

In der Tat, solche Textstellen schwebten mir auch vor. Ich erwartete auch einen Vortrag, in dem u.a. diese Deutungsmöglichkeiten enthalten wären. Hier herrschte jedoch Einseitigkeit vor. Und überhaupt... das mit den Deppen aus Aachen spricht mir aus dem Herzen. Vielleicht lag es auch daran, dass die Kaiserstadt in Sachen Karl May eine Wüste zu sein scheint.
Grüße,
Joshua.
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