Diesen Thread habe ich heute morgen wiederentdeckt und mich gewundert, daß ich mich seinerzeit nicht dazu geäußert habe. Vielleicht war es die Zeit, wo ich mal für einige Wochen forentechnisch „ins Schweigen gegangen“ war,
das war schön, auch für andere, nicht ?
Stehen übrigens schöne Anmerkungen drin im Thread, von beiden Dialogpartnern.
Zum „Scout“ habe ich mal vor gut einem Jahr das Folgende geschrieben:
„Der Scout“ (die Geschichte unter anderem um Old Death und William Ohlert, beide wieder Spiegelungen ihres Autors bzw. Verkörperungen von Anteilen von ihm) erschien im „Deutschen Hausschatz“ und bildete später, von Karl May selber überarbeitet, den ersten Teil des Bandes Winnetou II.
Der wesentlichste Unterschied zwischen dem „Scout“ und der in Winnetou II enthaltenen Fassung ist, dass der Ich-Erzähler im „Scout“ tatsächlich noch ein Greenhorn ist, während er in der späteren Buchausgabe nur vorgibt, eines zu sein.
Ein interessantes Thema. Die Dinge mischen sich. Wir wissen, dass es weder „Gut“ noch „Böse“ in Reinform gibt, ebenso wenig wie Schwarz oder Weiß, Groß oder Klein, Stark oder Schwach usw., in den Erscheinungen. In allem.
Und so ist auch der Ich-Erzähler weder ein Greenhorn noch ist er keines. Die Dinge mischen sich, es ist immer eine Art Flickenteppich. Im „Scout“ hatte er, noch, kein Problem damit ein Greenhorn zu sein (das ggf. seltsam wirkende Komma vor und hinter „noch“ will sagen dass sich „noch“ nicht direkt auf „kein Problem“ bezieht, sondern schwerpunktmäßig eher auf die Befindlichkeit des Autors zu „Scout“-Zeiten), in Winnetou II bzw. zu Zeiten dessen mochte er das nicht mehr (ein Greenhorn sein).
Ist er nun ein Westmann ? Nein. Ein Greenhorn ? Nein. Ein Westmann mit Greenhorn-Anteilen ? Schon eher. Ein Greenhorn mit Westmann-Anteilen ? Auch das. Mal überwiegt das eine, mal das andere. In Hermann Hesses „Die Morgenlandfahrt“ gibt es am Ende eine Doppelfigur zu sehen (zu lesen …), in der, optisch erkennbar, ein ständiges Fließen geschieht. Bei Hesse, vereinfachend, nur in eine Richtung. Im Leben in mehrere, in alle möglichen.
So ist das Leben, so ist Karl May. Und solche Dinge sind (unter anderem …), nach der unmaßgeblichen und völlig subjektiven Meinung des Schreibers dieser Zeilen, das Interessante an dessen Büchern (nicht die Abenteuergeschichten, die sind Beiwerk). Seit frühester Jugend nimmt der Rezensent in hohem Maße Anteil an Karl Mays Leben und Werk, als wäre es sein eigenes. Hans Wollschläger ging es ähnlich, er schrieb einmal fast wörtlich das Gleiche.
Neben der nachträglichen Beförderung zum Westmann haben wir es im „Scout“ gegenüber der in der späteren Fassung deutlich abgemilderten mit einer recht gesellschaftskritischen Einleitung zu tun, in der Dinge stehen, die heute noch gelten („Es war immer, immer so“ sang Willy Millowitsch) sowie einer weiteren Version der ersten Begegnung zwischen Old Shatterhand und Winnetou. Eine solche Begegnung kann man auch gar nicht oft genug „sehen“ und in verschiedenen Varianten niederschreiben, das ist gut und richtig so (auch wenn es die Übersichtlichkeit liebenden Freunde von Etikettierung und Einordnung etwas überfordern mag) und in keiner Weise widersprüchlich, wir sind ja in der Literatur und nicht beim Katasteramt.
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Und noch ein paar aktuelle Anmerkungen nach dem Frühstückskaffee:
Dieser Tage habe ich mich ausführlich mit der Frage der Chronologie in Der Scout / Winnetou II beschäftigt, der ‚Scout’ ‚spielt’ offenbar nach dem Bürgerkrieg, Winnetou II während desselben UND danach usw.
Dabei geht es mir, auch wenn ich mich Stunden damit beschäftigen mag, Heraussuchen von indizienhaften Textstellen, Vergleichen, Verbindungen herstellen usw., niemals um den Aspekt der „Realität“, „historischer Korrektheit“ oder dergleichen, sondern ausschließlich um die sozusagen geistig-sportliche Übung, so als ob man sich etwa mit einer Schachaufgabe beschäftigt oder einem Programmierproblem in Pascal (die gleichnamige Programmiersprache ist gemeint), also etwas völlig Abstraktes, da ja eh klar ist, daß ein Text Mays (oder auch, wenn man so will, ein Text überhaupt …) nicht dann und dann „spielt“, sondern ausschließlich sozusagen in dem und dem Gewand daherkommt, ich nehme mal an man kann folgen…
Es ist als m.E. müßig bzw. weder richtig zu sagen, es liegt ein Anachronismus vor, noch zu sagen, es liegt kein Anachronismus vor. Beide Aussagen gehen von einem verfehlten Ansatz aus.
Der ‚Scout’ bzw. Winnetou II (und alle anderen …) „spielen“ nicht dann und dann, sondern an einigen Stellen „brauchte“ May den Bürgerkrieg, an anderen dessen Vorübersein, an wieder anderen den Ku-Klux-Klan, gleichsam als Versatzstücke, und wie das alles nun zeitlich zueinander und ineinander passt, ob zwischen dem einen Teil der Geschichte und anderen tatsächlich Jahre liegen können, wie es ja für „Stimmigkeit“ und „Korrektheit“ erforderlich oder anzunehmen wäre, darüber wird er sich nicht allzu viele Gedanken gemacht haben. Lion Feuchtwanger hat einmal sinngemäß gesagt, er verlege auch schon mal historische Ereignisse bewusst auf ein paar Jahre früher oder später, wenn seine Geschichte es erfordere. In Bezug auf Chesterton las ich Ähnliches; in der Literatur sind solche Dinge eh mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit, nur bei May-Leuten hat man manchmal das Gefühl, man kann es ihnen hundertmal erklären und dann verstehen sie es immer noch nicht.
In Scout bzw. Winnetou II geht es z.B. um Konfrontation mit eigenen Anteilen in Gestalt der Herren William Ohlert und Old Death, zwei besonders auffälligen Selbstspiegelungen des Autors May, um geistige und moralische Gefährdung, später in Sachen Comantchen/Apachen/Winnetou/Treue/Verrat usw. um mehrfachbödige geistige Gedankenspielereien und Grenzgängereien, und nicht um den amerikanischen Bürgerkrieg.
Hermann Kesten wurde einmal gefragt, ob die Tagung des PEN-Clubs parallel zur Kieler Woche nicht als eine Art Anhängsel zur berühmten Segler-Veranstaltung zu betrachten sei. Es sei umgekehrt, sagte er, die Kieler Woche sei als eine Art Anhängsel zur Tagung des PEN-Clubs zu sehen. So ungefähr ist das mit historischen Hintergründen usw. bei Karl May. Zu vernachlässigende Anhängsel.
In diesem Sinne. (Geht duschen)