Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Emmas Sexualität als ›abwegig‹ oder ›krank‹ zu bezeichnen, entsprach der subjektiven Bewertung des älteren Karl May. Mir gefallen solche Töne nicht. Das Sexualleben Emmas in irgendeiner Weise zu beurteilen, liegt mir fern.
Ich glaube nicht, dass erst der ältere Karl May so negativ über seine erste Frau dachte.
Dass nicht erst der „ältere Karl May“ die (Teufels)bratenseite der Emma Pollmer gerochen hat, lässt sich belegen aus dem Kapitel des bereits 1880 erschienenen Kapitels von „Scepter und Hammer“ „Der tolle Prinz“, wo ein Karl Goldschmidt (sic!) eine Emma Vollmer (sic!) liebt. In einer Szene zwischen ersterem und einem Freund entspinnt sich folgende Szene:
Zitat
Unter den Promenirenden bewegten sich zwei junge Männer, welche ihrer Haltung und Kleidung nach zu den besseren Kreisen des Mittelstandes gehörten, Arm in Arm, und den Blicken, mit welchen sie die ihnen Begegnenden musterten, war es anzusehen, daß sie irgend Jemand erwarteten.
"Sie kommen nicht," meinte der Eine von ihnen, den Hut, als ob er schwitze, abnehmend, um die hohe, breite Stirn mit dem weißen Mouchoir zu trocknen.
"Sie werden kommen, Karl, darauf verlaß Dich. Anna hat mir noch in der Dämmerstunde bejahend zugenickt, als ich vorüberging."
"Sie wird kommen, ja; sie ist ein ruhiges, festes und treues Gemüth, und Du thatest damals wohl, gerade sie zu wählen."
"War es nicht ein eigenthümlicher Scherz, der dann so schön in Erfüllung ging?"
"So schön? Ja, ich habe auch und lange Zeit geglaubt, daß es uns zum Glücke geschehen sei," meinte Karl mit halblauter Stimme, aus welcher eine tiefe, schwere Trauer klang.
"Zweifelst Du jetzt wirklich?"
"Wir saßen im Parke," fuhr der Gefragte, ohne auf diese Worte zu hören, wie rezitirend fort, "und uns gegenüber nahmen zwei unbekannte Damen Platz, die Eine blond und schmächtig, die Andere braun, dunkeläugig, voll Feuer und Leben und von einer Gestalt, an welcher ein Corregio nichts auszusetzen gehabt hätte. Wir wählten uns im Scherze eine von ihnen; Du wolltest die Blonde, Sanfte, ich die Braune, Schöne, Feurige. Aus dem Scherze wurde Ernst - Du bist glücklich und ich - elend."
"Karl!" rief der Andere.
"Zweifelst Du?"
"Ich begreife es nicht. Emma ist schön, besitzt ein gutes Gemüth, einen häuslichen, wirthschaftlichen Sinn und "- -
"Und weiß, daß sie schön ist," fiel Karl ein. "Sie hat ihre Mutter bei der Geburt verloren und wurde von ihrem Vater durch übergroße Zärtlichkeit und unverständige Nachsicht so verzogen, daß sie kein anderes Gesetz kennt, als das Gefühl des Augenblicks. Sie kennt ihre körperlichen Vorzüge sehr genau; sie bemerkt es, wenn sie bewundert wird, und thut man dies nicht, so fordert sie durch Blick, Bewegung und Geberde dazu auf. Sie hatte mich lieb, aber sie will ihre Vorzüge nicht mir allein widmen, sie bedarf auch der Anerkennung Anderer, welche sie mit suchendem Auge einkassirt. Bei einem solchen Charakter oder vielmehr Naturell ist sie allen Versuchungen ausgesetzt, denen gegenüber sie nicht diejenige Festigkeit besitzt, welche erforderlich ist zur inneren und äußeren Treue gegen den Geliebten."
"Du richtest zu streng. Auch ich habe sie später etwas weniger ernst gefunden, als ich sie vorher taxirte; aber sie ist noch jung, und die mangelhafte Erziehung wird sich nachholen lassen."
"Du bist ein großer Psycholog, Paul, um zu wissen, daß eine junge zweiundzwanzigjährige Dame noch zu ziehen ist."
"Pah! Du als Literat, der sehr berühmte Romane und Novellen schreibt, bist natürlich seelenkundiger als der bescheidene Uhrmacher Paul Held; aber ich meine, wenn ein Mädchen den Mann ihrer Wahl wirklich lieb hat, so wird sie ihren Fehlern gern entsagen."
"Richtig, doch von diesem gern entsagen bis zum wirklichen Aufgeben der Fehler ist ein weiter und schwieriger Weg, zu welchem eine Charakterfestigkeit gehört, welche dem Leichtsinne entgeht. Emma hat mich heut noch innig lieb, aber ihre Gefallsucht wird sie auf Abwege treiben, auf denen sie vielleicht jetzt schon wandelt."
"Karl!" rief der Andere zum zweiten Male.
"Ich bleibe bei dieser Behauptung. War es früher nicht ihr größtes Glück, des Abends an meinem Arme sich zu erholen? Und was thut sie jetzt? Sie verspricht mir, zu kommen, hält aber selten Wort, und wenn ich nachforsche, so höre ich, daß sie nicht daheim geblieben, sondern bei dieser Frau Schneider gewesen ist, deren Existenz mir eine höchst problematische zu sein scheint. Dieses Weib hat eine Tochter, welche den Anziehungspunkt gewisser Herrenkreise bildet. Ich habe Emma gebeten, die Familie zu meiden, sie hat meinen Wunsch nicht berücksichtigt; ich habe es ihr mit Strenge befohlen, sie ist mir ungehorsam gewesen; ich säe Aufrichtigkeit und ernte Lügen; diesem Zustande möchte ich ein Ende machen und kann es doch nicht, weil ich - - sie zu innig, zu innig liebe!"
"Armer Freund!"
"Ja, arm, sehr arm!" Wie reich und glücklich war ich vorher. Ich gehöre zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, daß ich mehr einnehme als ich bedarf; ich könnte es schnell vorwärts bringen, doch glaube mir, Paul, seid meiner Bekanntschaft mit Emma habe ich nicht eine einzige Arbeit vollendet, welche ich mit gutem Gewissen dem Drucke hätte übergeben dürfen. Wenn es so fortgeht, so bin ich geistig und wirthschaftlich ruinirt."
"Sei einmal ernst mit ihr!"
"Ich bin es gewesen, doch hilft der Ernst so wenig wie die Liebe. Ich möchte am Liebsten ...
Zitat Ende
Man beachte auch die Selbsteinschätzung KMs
Ich gehöre zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, daß ich mehr einnehme als ich bedarf;
Das war um 1880 keineswegs der Fall.
Man sollte also nicht alle negativen Äußerungen Mays zu Emma in die Zeit nach der Scheidung verlegen.
Es wäre auch aufschlussreich zu erfahren, wie Emma May, geborene Pollmer, auf diese Veröffentlichungen reagierte, falls sie die je gelesen hätte.
Mit Gruß
Fritz
Und besten Dank für die Biografie!