Die letzte Grenze

  
Im Jahre 1910 gab es etwas über acht Millionen US-Amerikaner deutscher Herkunft. Sie pflegten zwar das kulturelle Erbe der Heimat, aber sie fühlten sich stets als Amerikaner, und vermutlich hätten sie sich mit der Zeit vollständig assimiliert, wenn der Erste Weltkrieg nicht eine Welle des Deutschenhasses in den USA erzeugt hätte. Wie die Deutschen wurden auch die Deutschamerikaner als »Hunnen« und »Barbaren« diffamiert. Es entstanden Sicherheitskomitees, die, meist illegal, auf angebliche deutsche Spione Jagd machten. Jeder Pazifist wurde als prodeutsch gebrandmarkt. Hunderttausende gesetzestreuer Deutschamerikaner hatten Furcht vor amerikanischem Pöbel. Die deutsche Sprache wurde verboten, ebenso deutsche Veranstaltungen. Deutsches Essen wurde aus den Restaurants verbannt. Selbst das »Sauerkraut« wurde in »Liberty Cabbage« umbenannt. Es kam zu Straßenkämpfen und Lynchmorden. Viele Deutschamerikaner anglisierten ihren Namen oder gaben ihre Herkunft als niederländisch aus. Präsident Thomas Woodrow Wilson (1856–1924, 28. US-Präsident 1913–1921) sah dabei in einer für ein Staatsoberhaupt unverständlichen Einseitigkeit nahezu tatenlos zu. Die andere Seite war nämlich die, dass viele Deutschamerikaner ihre Pflicht an der Kriegsfront ableisteten. William George Haan (1863–1924), Sohn deutscher Achtundvierziger, diente als Brigadegeneral in Europa.
     Zwar verlor sich die antideutsche Hysterie nach dem Krieg, aber von dem damals erlittenen Schlag hat sich die deutsche Kulturgemeinschaft in Amerika nicht mehr erholt. Zwischen 1920 und 1933 wanderten viele Deutschamerikaner nach Deutschland zurück. Doch wurde seit 1920 wieder ein Deutscher Tag gefeiert, und 1930 entstand die Carl-Schurz-Memorial-Foundation. Deutsche Gerichte kehrten in die Restaurants zurück.
     Die zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts waren in Amerika von schweren Wirtschaftskrisen geprägt. Ein scharfer Kritiker des gesellschaftlichen Lebens in dieser Zeit war der deutschstämmige Dichter Theodore Dreiser (1871–1945). 1933 wurde Franklin D. Roosevelt (1882–1945) 32. Präsident der USA, dem es mit dem »New Deal« gelang, sein Land aus der Krise zu führen. Kein anderer Präsident hat wohl so viele Deutsche jüdischer Abstammung unter seinen Beratern gehabt wie er. Henry Morgenthau Jr. (1891–1967), Sohn des 1865 aus Deutschland in die USA gekommenen jüdischen Geschäftsmannes und Politikers Henry Morgenthau (1856–1946), war sein Finanzminister; als enger Freund und Berater des Präsidenten entwarf er den nach ihm benannten unglücklichen Plan zur Kontrolle des besiegten Deutschland (»Deutschland als Agrarland«), der aber nicht zur Ausführung kam. Roosevelts erster Kriegsminister – bis zu seinem Tod – war der deutschstämmige Politiker George H. Dern (1872–1936) aus Nebraska, sein Innenminister der Pennsylvanien-Deutsche Harold Ickes (1874–1952), der bis 1946 amtierte und große Bedeutung erlangte. In Deutschland kam Hitler an die Macht. Während die Deutschamerikaner im Ersten Weltkrieg teilweise mit dem Deutschen Reich sympathisierten, stießen die Vorgänge im nationalsozialistischen Deutschland bei den meisten von ihnen auf heftige Ablehnung. Den Nazis gelang es auch nie, einen ebenso umfassenden Sabotage- und Spionagering in den USA zu organisieren wie dem Deutschen Reich im Ersten Weltkrieg.
     Die Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland, die in den USA Zuflucht fanden, sind Legion: Künstler, Schriftsteller, Architekten, Wissenschaftler, Dirigenten, Komponisten, Regisseure – wir können ihre Namen hier nicht aufzählen. Die Physiker Albert Einstein (1879–1955) und Otto Stern (1888–1969) gehörten dazu, und ebenso die Schriftsteller und Brüder Thomas (1875–1955) und Heinrich Mann (1871–1950), die Schauspielerin Marlene Dietrich (1901–1992) oder der Architekt Walter Gropius (1883–1969). Viele bedeutende deutsche Persönlichkeiten haben wesentlich zum Aufbau Amerikas im 20. Jahrhundert beigetragen.
     In der amerikanischen Armee dienten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Deutschamerikaner. Die Vorfahren von General Dwight D. Eisenhower (1890–1969), dem späteren 34. US-Präsidenten (1953–1961), stammten aus Deutschland, und der erfolgreich im pazifischen Raum operierende Generalleutnant Walter Krueger (1881–1967) war sogar in Deutschland geboren worden. Das schaurige Spiel des Zweiten Weltkriegs endete mit dem Abwurf der ersten Atombombe, an deren Entwicklung auch deutschamerikanische Spezialisten – wie Julius Robert Oppenheimer (1904–1967) – beteiligt waren. Albert Einstein hatte ihren Bau vorgeschlagen, und Klaus Fuchs (1911–1988), einer der Mitarbeiter, ein Deutscher, verriet einen Teil der Pläne an die Sowjets. Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman (1884–1972, 33. US-Präsident 1945–1953) befahl den Abwurf wider alle Vernunft und Notwendigkeit, aber – so war die Begründung - um den Krieg mit Japan schnellstmöglich zu beenden und gegenüber der Sowjetunion ein Zeichen der Stärke zu setzen. Trumans Innenminister wurde, nachdem Ickes nach einem Streit mit Truman seinen Abschied genommen hatte, der Deutschamerikaner Julius A. Krug (1907–1970) aus Wisconsin, der schon 1949 ebenfalls nach einer Auseinandersetzung mit dem Präsidenten ausschied. Unter dem Eindruck des Abwurfs der Atombombe rief der Wiener Ingenieur Viktor Paschkis (1898–1991) in den USA eine »Society for Social Responsibility in Science (SRSS)« ins Leben, für die Einstein in Europa warb und deren deutsche Mitglieder sich 1965 als »Gesellschaft für Verantwortung in der Wissenschaft (GVW) e.V.« selbstständig machten. Das Zustandekommen des Hilfswerkes für das deutsche Volk nach dem Krieg war vor allem dem in Berlin geborenen Emigranten Leonard Enders zu verdanken.
     Auch nach dem Krieg wanderten viele Deutsche nach den USA aus. Viele deutsche Wissenschaftler und Hochschulabsolventen fanden in den USA wesentlich bessere Arbeitsmöglichkeiten als in der Bundesrepublik Deutschland. Berühmtheit in aller Welt erlangten die deutschen Raketenfachleute mit Wernher Freiherr von Braun (1912–1977) an der Spitze. Für viele gilt er als bedeutendster und erfolgreichster Deutscher in Amerika. Der Astronaut Frank Borman (geb. 1928), der Kommandant von »Apollo 8«, die Weihnachten 1968 den Mond umrundete, hat deutsche Vorfahren.
     Neben den Wissenschaftlern wurden deutsche Regisseure und Schauspieler in Amerika bekannt, die es nach Hollywood zog. Max Kade (1882–1967) und Henry Kaiser (1882–1967) brachten es zu reichen Industriellen, sie waren »Selfmademen« beinahe im Stile Johann Jakob Astors. Zehn von den fünfzig bedeutendsten amerikanischen Schwimmern von 1910 bis Mitte der fünfziger Jahre waren deutscher Abstammung. John »Johnny« Weissmuller (1904–1984), der spätere Tarzan-Darsteller, war nur einer von ihnen. Lionel Strongfort alias Max Unger (1875–1967) aus Berlin, der 1887 in die Staaten gebracht wurde, gilt als einer der Erfinder des Bodybuilding und als zu seiner Zeit stärkster Mann der Welt. Seine Laufbahn reichte vom Bildhauermodell und Prinzenerzieher bis zum Gründer von Ertüchtigungsinstituten in New York, London und auch in Deutschland wie in München und schließlich zum Hygiene- und Diätfachmann. Seine Proportionen entsprachen nach Messungen verschiedener Experten haargenau denen des »David« von Michelangelo. Er zerriss mit zwanzig Jahren fünf Pakete Spielkarten auf einmal und schlug mit 25 kg schweren Hanteln in jeder Faust einen Salto rückwärts. Sein Glanzstück war die »menschliche Brücke«: er fungierte dabei als lebender Pfeiler einer Brücke, über die ein mit sieben Personen besetztes Auto fuhr. In einer Madrider Stierkampfarena brachte er einen blindwütigen Stier wie Old Shatterhand zur Strecke und wurde darob Sportlehrer des Kronprinzen und späteren Königs Alfonso XIII. (1886–1941).
     Ein Spötter suchte einmal auf die Frage eine Antwort, was wohl geschehen wäre, wenn Amerika im Zweiten Weltkrieg von Deutschland erobert worden wäre, und kam belustigt zu der Antwort, dass auch ohne tatsächliche Eroberung Amerika von den Deutschen beherrscht würde. Deutschamerikanische Präsidenten-Berater oder Kabinettsmitglieder waren in keinem Jahrhundert so zahlreich wie im zwanzigsten. Eines der letzten Beispiele dafür gab der 1923 in Fürth geborene Politiker Henry Kissinger (US-Außenminister 1973–1977). Und die Entwicklung von Wirtschaft und Wissenschaft in Amerika ist ohne Deutsche nicht zu denken.
     Noch immer existieren deutsche Zeitungen (wie die derzeit wöchentlich erscheinende »New Yorker Staatszeitung«) in den Vereinigten Staaten, zurzeit sind es etwa acht, und deutsche Vereine. 1948 entstand die Steuben-Schurz-Gesellschaft, die die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika fördert. In jedem Jahr findet am letzten Samstag im September die Steuben-Parade in New York statt, die größte öffentliche Demonstration des Deutschamerikanertums. Große Verdienste erwarb sich um die Parade der gebürtige Schlesier Willie E. Schoeps. Als ihm von Bundespräsident Heinrich Lübke (1894–1972) das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen wurde, meinte er: »Der Dank gebührt allen, die selbstlos und unermüdlich an der Steubenparade, am deutsch-amerikanischen Vereinsleben und an der besseren Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik gearbeitet haben.«

 
Während sich der Aufstieg der USA zur Weltmacht vollzog, blieb eine Bevölkerungsgruppe im Schatten: die Indianer. Vom Wilden Westen sind nicht viel mehr als Klischeevorstellungen und falsche Romantik übriggeblieben. Der Kampf der Indianer um ihre Behauptung und ihre Anpassung war nicht minder schwer als der um ihre Freiheit. Wo Indianer und Weiße in Nachbarschaft lebten oder arbeiteten, warfen die Weißen den Indianern fast immer nur Knüppel zwischen die Beine. Arbeitslosigkeit, Resignation, Alkoholismus, hohe Selbstmordraten – das sind die für viele Reservationen typischen Kennzeichen.

Die humanen Pläne von Schurz und die darauf fußenden Vorstellungen des Dawes-Gesetzes scheiterten nicht nur, sondern sie wurden ins gerade Gegenteil verkehrt. Das Ziel, die Indianer am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben der USA gleichberechtigt teilnehmen zu lassen, liegt noch immer in weiter Ferne. Zwischen 1887 und 1934 wurden die Indianer um mindestens eine Milliarde Dollar in bar betrogen. Hatte man ihnen damals 55,2 Millionen Hektar Land zugesprochen, so waren 1934 davon nur noch 19 Millionen übrig, vor allem im Rahmen des Landzuteilungsgesetzes – und zwar immer nur der schlechteste Teil. Und obwohl die Indianer 1924 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten, sind sie nach wie vor »Mündel« des Indianerbüros, die, wenn sie in Reservationen leben, keine rechtsgültigen Verträge schließen können. Viele Indigene haben daher die Reservationen verlassen und leben in den Städten wie »normale« Amerikaner, wenn auch hier häufig in Armut und als angeblich eher zur Kriminalität neigend – wie die Schwarzen – von der Polizei intensiver verfolgt als die Weißen.

Nur zu Beginn der New-Deal-Ära unter Roosevelt konnten der pennsylvaniendeutsche Innenminister Harold Ickes und der Indianerbeauftragte John Collier (1884–1968) versuchen, auch für die Indianer die Lebensverhältnisse zu verbessern, aber Roosevelt hatte bald mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen und wandte sich »wichtigeren« Problemen zu. Auch in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden viele Stämme im Zuge der »Terminationspolitik« um ihr Land gebracht. Man verpflanzte die Indianer ohne Übergang in die Zivilisation und gab ihnen zwar formell die gleichen Rechte, wie sie die Weißen hatten, man übersah aber völlig, dass die Indianer aufgrund ihrer Traditionen und ihres andersartigen Welterlebnisses ein Leben wie die Weißen nicht führen konnten. Wohlhabende Stämme wie die Menomini wurden ruiniert, und andere Stämme wie die Cherokee in Oklahoma an den Bettelstab gebracht. Profitgier, Streben nach individuellem Besitztum, das durchtriebene Ränkespiel in einer höchst komplizierten Wirtschaftsordnung – all das bleibt den Indianern fremd. Konnten schon viele Einwanderer aus Europa in einem derartigen System nicht heimisch werden, um wie viel schwieriger war das noch für die »ersten Amerikaner«, die eine ganz andere Mentalität besitzen und den Intrigen weißer Firmen heute ebenso wenig gewachsen sind wie früher den Machenschaften der Agenten und Händler.

In Deutschland wird das Schicksal der Indianer nach wie vor in weiten Bevölkerungskreisen mit großer Sympathie verfolgt. Es liegt sicher nicht nur an der Verzauberung, die von der Karl-May-Lektüre vor allem in den 1950er und 60er Jahren auf die Jugend ausging, aber sie hat zweifellos großen Anteil daran. So erscheint es auch ungerecht, dass in einigen Büchern über die von den Weißen in Amerika verübten Untaten darauf hingewiesen wird, dass hier die »Realität« aufgezeigt und mit Mayschen »Phantasiegespinsten« aufgeräumt werde. May war wohl ein »Märchen-Erzähler«, aber sicher nicht im negativen Sinn. May hat »Tagträume« erzählt; er hat die Welt in Worte gekleidet, mit der sich der Heranwachsende einer bestimmten Altersstufe identifizieren kann, und hat damit für die unterdrückten Ureinwohner wahrscheinlich mehr Sympathie geweckt als viele der »realistischen« Schilderungen, deren Wahrheitsgehalt auch nicht immer unanfechtbar ist.

Karl May (1842–1912) ist vor allem mit seinen spannenden und bunten Abenteuerromanen, die im Wilden Westen oder im Orient spielen, berühmt geworden; er gehört wohl zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellern überhaupt. Über ihn braucht daher hier nicht viel gesagt zu werden. Seine literarischen Hauptgestalten wie Old Shatterhand oder Winnetou in Amerika oder Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar im Orient sind noch heute ein Begriff, wenn ihr Urheber auch nicht mehr so oft gelesen wird. Aber seine Werke wie die ›Winnetou‹-Romane, ›Der Schatz im Silbersee‹ oder der ›Orient-Zyklus‹ schlugen früher Millionen in ihren Bann und sind heute keineswegs vergessen. Die Auswanderung nach Amerika ist in Mays Werken durchaus gegenwärtig. Einzelne Romangestalten wie die Westmänner Sam Barth, Hobble Frank, Old Firehand oder die Lichtgestalt Klekih Petra, der Lehrer von Winnetou, den Weiße ermorden, sind ausgewanderte Deutsche, der Roman ›Der Oelprinz‹ von 1893/94, eine Jugenderzählung, kann als Auswanderer-Roman gelesen werden, da in ihm die Geschichte eines deutschen Auswandererzuges im Mittelpunkt steht. Der deutsch-indianischen Freundschaft, die es in der realen Geschichte durchaus gegeben hat – man denke an die Irokesen, Delawaren und Comanchen, ja selbst noch an die Lakota, und an die vielen deutschen Einzelpersönlichkeiten, die mit Indianern Freundschaft schlossen – hat May in der Freundschaft von Winnetou und Old Shatterhand ein Denkmal gesetzt. Winnetous Schwester Nscho-tschi ist Old Shatterhand zugeneigt und möchte in das Leben in der Zivilisation eingeführt werden, um ihr Leben an Old Shatterhands Seite zu verbringen – sie wird jedoch von dem weißen Gangster Santer ermordet. In Mays ›Der Oelprinz‹ spielt der 18-jährige Schi-so, der Sohn des Navaho-Häuptlings Nitsas-Ini und dessen deutscher Frau (!) eine hervorragende Rolle. Old Shatterhand vermittelt ihm eine Ausbildung und ein Studium in Deutschland, und zu seinem Volk zurückgekehrt, gibt er ihm wichtige Impulse. Ähnliches ist auch in der Historie – man denke an Herzog Paul von Württemberg und den Sohn der Indianerin Sacajawea – geschehen, und deutsche Frauen von Indianern, auch Häuptlingen, hat es, wie geschildert, tatsächlich gegeben.
 

Karl May um 1896

Karl May um 1896.

 
Schon als Schüler nahm Karl May im Juni 1854 an den Vorbereitungen Auswanderungswilliger teil und erhielt englischen Fremdsprachenunterricht. Etwa 90 Einwohner von Hohenstein und Ernstthal sind dann tatsächlich nach Amerika ausgewandert. May dachte in jungen Jahren – 1869 – selbst an die Auswanderung nach Amerika, aber er kam nur bis Bremen. Sein Schulfreund Ferdinand Pfefferkorn (1841–1916) emigrierte wie auch andere Hohenstein-Ernstthaler nach Lawrence in Massachusetts und brachte es dort als Arzt zu Ansehen – May besuchte ihn auf seiner Amerika-Reise 1908 –, und der Fleischer und Viehhändler Julius Ferdinand Schöne (1832–1897), der eine Zeitlang in den USA gelebt hatte, heiratete 1869 Mays zweite Schwester Christiane Wilhelmine, die 1932 verstarb. Auch viele Bürger aus Mays Geburtsland Sachsen zog es bekanntermaßen nach Amerika. So war May dem Auswanderertum auch persönlich verbunden.

Wenig bekannt geworden ist, dass sich Karl May im Alter auch philosophisch mit dem Schicksal der indianischen Rasse auseinandergesetzt hat. Niedergelegt sind diese für einen »Abenteuer- und Jugendschriftsteller« immerhin erstaunlichen Gedanken in seinem letzten Roman ›Winnetou Band IV‹ von 1910, der heute als ›Winnetous Erben‹ im Handel ist. Man kann zu diesen Gedankengängen stehen wie man will, man wird aber einen ähnlichen Versuch, das indianische Schicksal von der philosophischen Seite her zu betrachten, in der deutschen Literatur ein zweites Mal nicht finden.

›Winnetou IV‹ beruht auf den Eindrücken, die May während seiner Amerikareise 1908 (seiner einzigen) gewann. In symbolischer, ins Surrealistische vorstoßender Form beschäftigt sich May darin mit Problemen, Aufgaben und Zukunft der Indianer. Was er als seelischen Schlaf der Indianer bezeichnete, erwies sich in dieser Zeit (und leider teilweise noch heute) tatsächlich in den Reservationen: Für die Indianer gab es nur noch Resignation, Apathie und Hoffnungslosigkeit. Begraben der Vergangenheit, Aussöhnung mit den Weißen, Teilnehmen an der Zivilisation in Form aktiver Mitgestaltung, nicht in Form passiver Hinnahme – das sind für May die entscheidenden Punkte zur Überwindung des Traumas. Aber das Buch weist im Schlussteil – mystisch überhöht (der bekannte Schriftsteller Arno Schmidt (1914–1979) hat May als »letzten Großmystiker der deutschen Literatur« bezeichnet) – noch mehr aus: Weiße und Indianer verbrüdern sich in einem Bündnis, einem »Clan«, der sich über die ganze Welt verbreiten und überallhin den Gedanken der Nächstenliebe tragen wird. Amerika wird zum Ursprungsland einer weltumspannenden Bewegung des Friedens und der Humanität. Entscheidender Einfluss kommt dabei nach Mays Ansicht deutschem Geistesgut zu. Als Symbol dafür gilt der deutsche Lehrer Winnetous: Klekih-petra, sowie Old Shatterhand, in dem sich die den Indianern gestellte Aufgabe verkörpert, und man kann vermuten, dass May von Schurz‘schen Ideen berührt gewesen ist.

Karl May ist den Indianern kein Unbekannter geblieben. Karl-May-Filme zu zeigen, beschlossen in den 1970er Jahren Sioux-Indianer in Süd-Dakota. Im August 1963 hatte Häuptling R. Pine beim Indian-National-Council in Winnipeg erklärt: »Mein Stamm kennt Karl May, und der Name Winnetou ist mir geläufig wie mein eigener. Karl May verdient, in Kanada ein Denkmal gesetzt zu bekommen.« Und im Januar 1928 hatte der Sioux-Häuptling Susetscha Tanka (Große Schlange) am Grabe Karl Mays gesagt: »Dein Gesicht war weiß, aber dein Herz war rot wie das deiner roten Brüder. Wir möchten dir Totempfähle in jedem Dorf aufstellen, allein, es gibt keine Dörfer des roten Mannes mehr, sie sind zu Schutt und Asche verbrannt. Vergessen sind die Zeiten, wo der rote Mann gegen den weißen Mann kämpfte, vergessen die Ströme Blutes, die flossen, um dem roten Mann das Land zu erhalten, in dem seine Väter den Büffel jagten.«
 

Große Schlange

Susetscha Tanka (Große Schlange) am Grab Karl Mays.

 
Die Weißen machten es den Indianern unmöglich, den Weg zu beschreiten, den May sich für sie gewünscht hatte. Nur ganz wenigen Stämmen gelang es, ihre eigene Mentalität mit den Ansprüchen der modernen Welt so weit zu versöhnen, dass sie ein vernünftiges Leben führen können. Das bemerkenswerteste Beispiel dafür gaben die Tsimshians in Alaska, die mit dem Dorf Metlakatla unter Anleitung des Missionars William Duncan (1832–1918) schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert das – allerdings im Sinne der weißen Zivilisation – fortschrittlichste und vorbildlichste indianische Gemeinwesen schufen. Carl Schurz und Karl May hätten, jeder auf seine Weise, ihre Freude daran gehabt. Wie Duncan gab es immer wieder Weiße, die die Indianer nicht als Ausbeutungsobjekt ansahen, das man betrügen und übervorteilen konnte, und einige von ihnen waren Deutsche wie die Missionare unter den Lakota, wie früher beschrieben. Aber die Lakota haben den Sprung in die moderne Welt großenteils nicht geschafft, die Oglala zählen zu den ärmsten Indianern Nordamerikas, hier konnten auch Bewegungen wie die 1964 gegründete Red-Power Bewegung eher Fuß fassen, die nach Jahrzehnten des Abwartens und Hoffens endlich lautstark Reformen verlangte.

Schon 1928 wurde von dem deutschen Herz-Jesu-Priester Heinrich Hogebach (geb. 12. Januar 1890; gest. bei einem  Autofunfall am 7. Januar 1941 auf dem Weg zu einer Benefizveranstaltung in Chicago) er stammte aus Oldenburg, trat mit 22 Jahren den Herz-Jesu-Priestern bei und kam 1923 in die USA , wo er nach Englisch -Studien an der Katholischen Universität in Washington D.C. half, die Mission unter den Lakota in South Dakota aufzubauen ein Internat für Lakota-Kinder in Chamberlain, South Dakota, gegründet, als dessen Leiter er für zehn Jahre wirkte, bevor er die Leitung anderer Schulen in Illinois und Indiana übernahm in Folge seiner Schulgründung für Kinder der Lakota, 53 Kinder waren seine ersten Schüler, entstand auch das St. Josefs Indianer-Hilfswerk in Deutschland, das seinen Sitz früher in Frankfurt am Main hatte und heute in Offenbach am Main hat. Spenden helfen der St. Joseph’s Indian School in Chamberlain, Süddakota, bedürftige Lakota-Kinder auszubilden und zu unterstützen, sie mit Nahrungsmitteln, Kleidung und medizinischen Leistungen zu versorgen. Außerdem klärt das Hilfswerk die Öffentlichkeit über die indianische Kultur auf, um ein besseres Verständnis der indianischen Kultur und Bedürfnisse zu erreichen.

Einige Freunde unter den Weißen fanden die Schwarzfuß-Indianer, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert erbitterte Feinde der Pelzhändler und Siedler gewesen waren. Zu den Weißen, die sich der Schwarzfüße annahmen, gehörte der Maler Winold Reiss (1886–1953) aus Karlsruhe, dessen Vorfahren aus dem Schwarzwald stammten und der in München studierte. Die Lektüre der Romane von Karl May und Cooper hatten ihn zum Indianerfreund gemacht. Er emigrierte zu Anfang des 20. Jahrhunderts nach New York und zog in den 1920er Jahren nach Montana. Viele Jahre hielt er sich bei den Schwarzfüßen in St. Mary’s Chalets im Gletscher-Nationalpark auf. Die Schwarzfüße adoptierten ihn und gaben ihm den Namen Ksistakpoka, Biberkind. Berühmtheit erlangten seine Portraits zahlreicher Indianer, die zu den besten zählen, die es von den Schwarzfüßen gibt, und die sogar in der »Encyclopedia Americana« veröffentlicht sind. Nach seinem Tode wurde seine Asche in einer feierlichen, von Schwarzfüßen durchgeführten Zeremonie vom Red Blanket Hill aus über das von ihm geliebte Land verstreut.

Anpassungsfähig erwiesen sich vor allem die Indianer des Südwestens, die Irokesen und die im Osten zurückgebliebenen Cherokee. Diese und die Apachen (und auch andere Stämme) brachten es zu Wohlstand, weil sie den Tourismus geschickt auszunutzen verstanden. Das Spielcasino der Mesalero in New Mexico wurde bereits erwähnt. Zu den Weißen, die den Apachen halfen, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen, gehörte der Rostocker Reverend Franz Uplegger (1868–1963). Er war zunächst Pfarrer der Dreieinigkeits-Gemeinde der Evangelisch-Lutherischen Freikirche in Hamburg und kam 1904 als Missionar in die Apachen-Reservation. Mit seiner Frau musste er anfänglich wie die Indianer in einer Hütte leben. Nach und nach gewann er das Vertrauen der Apachen. Uplegger verfasste als erster eine Grammatik der Apachen und erfand für sie eine eigene Schriftsprache, in die er Luthers Katechismus und lutherische Lieder übersetzte. Er war bei den Apachen sehr beliebt, als »Gentleman-Missionar« lebt er in ihrem Gedächtnis fort. Kurz vor seinem Tode wurde er in ihren Stamm aufgenommen. So erinnert sein Einsatz für die Apachen ein wenig an den von Klekih Petra. Ein weiterer engagierter deutscher Missionar bei den Apachen war der Kieler Gustav Harders (1863 oder 1864–1917); er kam, nachdem er in Riga und Libau (Lipaja) in Lettland als Lehrer in Waisenhäusern gwwirkt hatte, 1887 nach Milwaukee, wo er wiederum als Lehrer sowie als Pastor der evangelischen Kirche arbeitete und eine schriftstellerische Tätigkeit begann. Für seine angeschlagene Gesundheit fand er in Arizona Heilung, und so kam es, dass er 1907 von seiner Kirche dorthin als Superintendent der Apachen-Mission in die Stadt Globe entsandt wurde. Harders gründete eine Schule für Indianerkinder aus der nahegelegenen San Carlos Reservation, wo seine älteste Tochter unterrichtete; er bemühte sich, die Sprache des Stammes zu lernen, um ihm das Wort Gottes ohne Dolmetscher predigen zu können. Daneben schrieb er Romane und Geschichten für Erwachsene und Kinder, in die seine Erfahrungen bei den Apachen einflossen. Sie erschienen in Hamburg, wurden aber zwischen 1953 und 1968 in Amerika in Englisch publiziert. Teilweise handelte es sich um Liebesgeschichten wie z. B. ›Jaalahn. Die Geschichte einer Indianerliebe‹ (1911) oder ›Wille wider Wille. Eine Herzensgeschichte aus den Indianerhütten Arizonas‹ (1916).

Überlebt und mit den Weißen arrangiert haben sich auch die Pueblo-Indianer und die Navaho. Als Kuriosität sollte erwähnt werden, dass ein deutsches Fernsehteam Mitte der 1960er Jahre bei den Navaho eine Blaskapelle vorfand, die am besten einen deutschen Marsch spielen konnte.

Auf Regierungsebene bemühte sich der »Outstanding American Indian« Benjamin Reifel (1906–1990) um eine Verbesserung der Verhältnisse. Reifels Mutter war die Sioux-Indianerin Lucy Lily Burning Breast, sein Vater der Deutsche William Reifel. In einem Blockhaus in Parmelee, Süd Dakota, kam Ben zur Welt. Er war von 1933 bis 1960 einer der führenden Leute im Indianerbüro und zwischendurch mehrere Jahre Superintendent für die Dakota. Für seine Verdienste erhielt er eine Reihe von Auszeichnungen, so 1956 den Ehrentitel »Hervorragender Amerikanischer Indianer«. Schließlich zog er als Abgeordneter Süd Dakotas ins Repräsentantenhaus ein und gehörte dem 87., 88., 89. und 90. Kongress der Vereinigten Staaten an.

Der Yanktonai-Sioux Oscar Howe (1915–1981) wurde als Maler vielfach mit Preisen bedacht; sein Werk – er verschmolz die Moderne mit der Tradition, so altindianische Formen mit expressionistischen und kubistischen – fand große Beachtung und wurde als besonders interessant in der indianischen Malerei des 20. Jahrhunderts bewertet. Howe war mit einer Deutschen verheiratet.

Viele deutsche Reisende besuchten die Indianer und versuchten dann zu Hause, Sympathien für sie zu wecken. So ist das Leben des Zirkusdirektors Hans Stosch-Sarrasani (1872–1934) mit Amerika verbunden. Schon 1912 hatte er mit Hilfe von Zack Miller Sioux-Indianer nach Deutschland gebracht. Millers Großvater, der sich noch Müller schrieb, hatte sich in Oklahoma niedergelassen und dort Indianern gegen Weiße Schutz geboten. Zack Miller war teilweise bei Indianern aufgewachsen. Zu den Indianern, die er nach Deutschland brachte, gehörte Häuptling Two Two, der 67jährig 1914 in Dortmund starb. Sein letzter Wunsch war es, in Dresden begraben zu sein: »Das wahre Glück dieses Lebens war mir in den letzten beiden Jahren in Deutschland beschieden, dort will ich zu Erde werden, in der schönsten Stadt dieses Landes, in Dresden.«

Vom Zirkus zu den Indianern fand der ehemalige Wiener Gärtnerlehrling Ernst Tobis (1876–1959), der sich Patty Frank nannte und langjähriger Leiter des Indianer-Museums in Radebeul war. Als Karl May 1908 in New York an Land ging, wartete auch Patty Frank in der Menschenmenge. Frank begleitete »Buffalo Bill« Codys Wildwestschau und entdeckte dabei seine Liebe zu den Indianern. Als Historiker und Sammler indianischer Gebrauchsgegenstände machte er sich einen Namen; er errang sich auch das Vertrauen der Indianer in großem Maß.

Der frühere deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) besuchte im Juni 1956 anlässlich seines Amerikaaufenthaltes unter anderem Milwaukee. Die »Consolidated Tribes of American Indians« hatten Vertreter zu seiner Begrüßung entsandt, weil sie gehört hatten, dass der Kanzler an ihren Gebräuchen interessiert war. Sie führten den Zeremonientanz vor, durch den man in einen Stamm geleitet werden kann. Danach ernannte Morris Wheelock (1900–1976) Dr. Adenauer zum Ehrenmitglied der »Consolidated Tribes«, und er erhielt einen indianischen Kopfschmuck und den indianischen Namen »Ein wertvoller Mensch, der in hohem Ansehen bei seinem Volke steht«. Die Schauspielerin Ingrid Steeger (geb. 1947) war von 1993 bis 1995 mit dem US-amerikanischen Umweltschützer und Promoter der Friedensbewegung Tom LaBlanc (geb. 1946), einem Dakota-Indianer, verheiratet, und der Schauspieler Wolfgang Fierek (geb. 1950) heiratete die Malerin Djamila Mendil, eine Muslimim, streng nach Indianer-Ritual beim Stamm der Oglala-Sioux.

Zahlreiche Deutsche berichteten über ihre Erlebnisse mit Indianern. Der bekannte Psychologe Carl Gustav Jung (1875–1961) spricht an einer Stelle davon, dass er sich »mit einem Pueblo-Indianer, meinem Freund Ochwia Biano (der Bergsee) … in der menschlichen Ursprache des inneren Gesichts unterhalten konnte.« In neuerer Zeit sind Joseph Balmer, Axel Schultze-Thulin und Thomas Jeier, die alle drei die Verhältnisse aus eigener Anschauung kennen, mit Arbeiten über die Indianer hervorgetreten. Freunde unter den Santee, Chippewa und Algonkin gewannen die bedeutenden Leipziger Völkerkundler Julius (1895–1950) und Eva Lips (1906–1988).

Bei ihren Reisen nach Labrador haben die Lips die Grenze der Zivilisation in doppeltem Sinn überschritten. Zwar leben die meisten amerikanischen Indianer noch immer jenseits der Grenze einer Zivilisation, von deren Errungenschaften sie ausgenommen bleiben, aber im Norden Alaskas und Kanadas nicht nur im übertragenen, sondern in dem konkreten Sinn, den der Begriff »Frontier« seit jeher gehabt hat. Die »letzte Grenze« des zivilisierten Amerika verläuft entlang der meisten Reservationen und dann am Rande der unberührten Natur, der riesigen Wald- und Tundrengebiete im »wilden Norden« des Kontinents. Mit der Erforschung Alaskas sind manche deutschen Namen verbunden. Schon der sogenannten Großen Nordischen Expedition aus Russland, die Sibirien erforschen sollte, unter dem Dänen Vitus Bering (1681–1741), die 1741 Alaska entdeckte und für Russland in Besitz nahm, gehörte der deutsche Arzt und Naturforscher Georg Wilhelm Steller (1709–1746) an. Und Teilnehmer an späteren Expeditionen waren 1792 der bedeutende deutsche Naturforscher Thaddäus Haenke (1761–1817), 1805 Georg Freiherr von Langsdorff (1774–1852) und Adelbert von Chamisso (1781–1838), der 1816 die zweite russische Weltumseglung unter dem deutschen Kapitän Otto von Kotzebue (1787–1846) mitmachte. Nach Kotzebue ist in Alaska ein Sund benannt.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Geschichte Alaskas vor allem von den Goldfunden beherrscht. Bemerkenswerterweise wurde das erste Gold in Alaska von dem deutschen Baron Otto von Bendeleben (1838–1908) gefunden (1865), der zu den Männern gehörte, die eine Telegraphenleitung von Amerika nach Asien und Europa erkunden und vorbereiten sollten. Auch deutsche Wissenschaftler waren in Alaska unterwegs. Im Jahre 1882 überquerte der Bremer Geograph Arthur Krause (1851–1920) als erster den Chilcoot-Pass. Julius Klotz (1852–1923), als Sohn eines Kieler Emigranten in Kanada geboren, nahm dreißig Jahre lang an Expeditionen in Britisch Kolumbien, in Alaska und im kanadischen Nordwesten teil, bevor er 1908 Direktor des kanadischen Zentral-Observatoriums wurde. 1883 begann der Deutschamerikaner Frederick Schwatka (1849–1892), der vor allem durch seine Forschungsfahrten in der Arktis berühmt wurde, seine Expeditionen am Yukon Fluss. Schon 1886 war er wieder in Alaska und machte sich an die Besteigung des Mount Elias. Mit seiner letzten Forschungsfahrt in Alaska (1891) öffnete er etwa 700 Meilen neues Territorium.

Einer der bedeutendsten amerikanischen Anthropologen und Ethnologen war der Mindener Franz Boas (1858–1942), der seine Forschungen bei den Eskimos in Grönland und 1886 bei den Indianern an der Küste Britisch Kolumbiens begann und insgesamt mehr als 40 Jahre Forschungsexpeditionen zu den Eingeborenen unternahm. Kein anderer hatte auf die Entwicklung der amerikanischen Anthropologie mehr Einfluss als er.

Viele Forscher waren im Norden unterwegs. Einer der bekanntesten war der Journalist Charles Francis Hall (1821–1871), der 1871 auf seiner Expedition zur Entdeckung des Nordpols bis zum nördlichsten Punkt gelangte, der bis zu diesem Zeitpunkt je erreicht worden war (82011’ NB). Einer seiner Matrosen war der Deutsche Wilhelm Friedrich Nindemann (1850–1911) aus Gingst, der später ein Buch, ›Eines deutschen Matrosen Nordpolfahrten‹, über seine Abenteuer hier und bei einer weiteren tragisch endenden, der Nordpolar-Expedition von George DeLong (1844–1881), veröffentlichte. Die jetzige Forschungsfahrt endete – trotz aller wissenschaftlicher Erfolge und Neuentdeckungen – ebenfalls tragisch. Hall wurde von seinen eigenen Leuten vergiftet. Das Expeditionsschiff wurde von einem Eisberg aufgespießt und trieb ab bzw. sank, und ein Teil der Mannschaft – der andere wurde nach seiner Überwinterung im Juni 1873 gerettet –, brachte sich und viele Vorräte auf eine allmählich schmelzende und auseinanderbrechende Eisscholle, unter ihnen Nindemann, und trieb mit ihr nach Süden – in sechs Monaten über 2000 Kilometer, bis fast in die Höhe von Labrador, unter größten Entbehrungen, die die Mannschaft nur mit Hilfe der Inuit als Teil dieser Mannschaft überlebte; aber die neunzehn Schiffbrüchigen wurden schließlich Ende April/Anfang Mai 1873 von einem Seehundfangschiff gerettet.

Als Entdecker des Nordpols (1909) gilt Robert Edward Peary (1856–1920). Auf fünf seiner Forschungsreisen wurde er von seiner Frau begleitet – diese, Josephine (geb. Diebitsch; 1863–1955), war eine Deutsche, die mit ihren Eltern in die USA gekommen war. Mit ihrer Rolle als Hausfrau wollte sie sich nicht abfinden. Sie rettete ihn auch bei einer Gelegenheit durch die Organisation einer Hilfsexpedition und hatte auch ansonsten viel Anteil an seinen Erfolgen, auch dadurch, dass sie von den Inuit, den Eskimos, zu lernen bereit war (wie auch früher schon Hall). Ihre Tochter Marie brachte sie in der Arktis zur Welt.

Auch heute ist Alaska noch immer nicht voll erschlossen. Deutsche Geowissenschaftler haben in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts an Forschungsvorhaben in Alaska teilgenommen wie die Geophysiker G. Lamprecht, Eduard Berg oder der Innsbrucker Heinrich bzw. Heinz Miller. Dr. Heinrich Miller (geb. 1944) wurde später Inhaber der Helmholtz-Professur für Glaziologie an dem 1980 gegründeten Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und 2015 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er nahm an zehn Grönland- und 15 Antarktis-Expeditionen teil und gilt weltweit als einer der renommiertesten deutschen Polarforscher.

Im August 1971 führten der Münchner Geograph W. Fürbringer und der Professor für Geographie H. J. Walker von der Universität Louisiana, an der auch Fürbringer damals tätig war, Feldarbeiten zur Sedimentologie am Delta des Colville Flusses im unwirtlichen Norden Alaskas durch. Am Kotzebue-Sund und am Kobuk-Fluss untersuchte der Geograph H. Grabowski aus Münster das Arbeitskräftepotential (1973) und erstellte Richtzahlen für die Anwerbung einheimischer, d.h. indianischer und eskimoischer Arbeitskräfte für den Fall eines immer weiteren Vordringens der Industrie.

Ausgezeichnete Bücher haben über Alaska Autoren geschrieben, die in den fünfziger bzw. sechziger Jahren nach Alaska kamen: der Journalist Werner G. Krug (›Sprungbrett Alaska‹), der auch über Metlakatla berichtete, und der bekannte Diplomat, Globetrotter und Schriftsteller Hans Otto Meissner (1909–1992) mit seinem Buch ›Bezaubernde Wildnis‹ von 1963.

Meissner bereiste auch den Nordwesten Kanadas. Der Hohe Norden Kanadas wurde ebenfalls Ziel deutscher Geowissenschaftler. Meereisuntersuchungen wurden 1972 von deutschen und kanadischen Geologen und Geophysikern am Eclipse Sound, einem Meeresarm zwischen Nord Baffin Island und Bylot Island durchgeführt. Zur deutschen Gruppe gehörte der Geograph E. Treude, der auch das Genossenschaftswesen in der kanadischen Arktis und den seit seiner Einführung 1959 eingeleiteten Wandel in der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur dieser Gebiete untersuchte.
 

Carl Hagenbeck

Carl Hagenbeck um 1890, Atelier Theod. Reimers, Hamburg.

 
Neben den Geowissenschaftlern waren es vor allem Tierforscher, die im Norden Kanadas reiche Arbeitsmöglichkeiten fanden und auf den Spuren von Carl Hagenbeck (1844–1913) zogen, des Hamburger Tiergartengründers, der auf seiner Tierfangexpedition 1879 auch nach Labrador und Alaska gekommen war. Lutz Heck (1892–1983) vom Berliner Zoo schließlich verfolgte »Tierfährten in Kanada« und ließ dabei die Grenze der Zivilisation hinter sich: »Das Leben in den nördlichen Wäldern stellt heute wie je harte Anforderungen an Körperkraft und Widerstandsfähigkeit. Auch wir mussten uns auf eine Art Trapperdasein gefasst machen … Es liegt ein ganz besonderer Reiz darin, gerade solche Gegenden der Erde kennenzulernen, die heute noch dem Urzustand unserer Heimat vor ihrer Umwandlung durch den Menschen gleichen. In Europa findet man freilich eine solche Urlandschaft kaum noch oder nur als kleines ›Muster‹ erhalten, eher schon in den schwer erreichbaren Gebieten des weiten nördlichen Asien – nirgends aber schöner als im westlichen Kanada, im ›Wilden Westen‹ unserer Jugendträume. Dort konnte ich noch jungfräuliches Land betreten, erfüllt von all dem Zauber unberührter Natur, der auf uns Menschen eines überzivilisierten Zeitalters so mächtig einwirkt.«

   


      

Karl Mays Väter – Die Geschichte der Deutschen im Wilden Westen