Teil IV
Neuzeit
Unsere Geschichte der »Großen« erreicht nun die letzte Epoche, die Neuzeit. Die
meisten der Persönlichkeiten, die den Ehrentitel »der« oder »die Große« in
dieser Ära erhielten, sind allseits bekannt, und doch hält die Geschichte noch
Überraschungen bereit.
Das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit
setzt man im Allgemeinen zwischen 1450 und 1500 an. Das war das Zeitalter der
Entdeckungen, von Humanismus, Renaissance und Reformation. Die Welt befand sich
im Umbruch. Zu ihrer Erforschung in allen Kontinenten und damit der Begründung
eines neuen Weltbildes trat das Aufkommen auch eines neuen Menschenbildes in
Europa. All dies hatte weitreichende Folgen für die meisten Lebensbereiche, mit
tiefen kulturellen, geistigen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen
Veränderungen. Auf der einen Seite stand die Entwicklung von Nationalstaaten,
die schon im 14. und 15. Jahrhundert begonnen hatte, im Zuge derer die durch die
Kirche bzw. das Papsttum in gewisser Weise garantierte oder doch zumindest
repräsentierte mittelalterliche Einheit zu Gunsten eines europäischen
Staatensystems aufgehoben wurde. Auf der anderen Seite wirkte die Emanzipation
des Bürgertums gegenüber dem Adel mit seinem fortschreitenden Privilegienverlust
prägend, und diese Emanzipation hing wiederum zusammen mit gesellschaftlichen
und ökonomischen Wandlungen durch die Entwicklung von Handwerk und Gewerbe.
Denk- und Arbeitsstil änderten sich; der Weg zur frühkapitalistischen Wirtschaft
mit ihren rationelleren Praktiken und Techniken gerade auch im Handel,
beschleunigt durch die Verwendung der arabischen Ziffern und der damit
einhergehenden Mathematisierung u. a. der Geldgeschäfte, wurde Schritt für
Schritt geebnet. Der Absolutismus gehörte ebenso zur Neuzeit wie die Epoche der
Aufklärung, der Dreißigjährige Krieg wie die Französische Revolution, die
Romantik und das heraufziehende Industriezeitalter, und auch wir im 20. und 21.
Jahrhundert leben noch immer in der »Neuzeit«. Dass auch sie ihre »Großen«aufweist, ist nicht weiter verwunderlich.
1. Die Welt im
Umbruch
Etwa zu der Zeit, da man heutzutage den Beginn der Neuzeit
datiert, übernahmen die Habsburger die Macht im Heiligen Römischen Reich, wenn
man hier überhaupt noch von Macht sprechen kann. Die Wahl Albrechts II. (geb.
1397; König 1438 (vorher schon König in Ungarn und Böhmen); gest. 1439) leitete
die fast 370 jährige Ära ein, in der Habsburger die römische bzw. später
römisch-deutsche Königs- und Kaiserkrone trugen. Nur zwischen 1742 und 1745
hatte ein Wittelsbacher die Würde inne: Karl VII. Albrecht (geb. 1697; König
1742 (vorher schon in Böhmen); gest. 1745). Sieht man davon ab, regierten die
Habsburger von 1438 bis 1806, dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation, aber dann noch einmal von 1804 bis 1918 in Österreich im sogenannten
»Heimlichen Heiligen Römischen Reich«. Schon nach dem Dreißigjährigen Krieg
wurden »kaiserlich« und »österreichisch« häufig als Synonym aufgefasst. Dieser
unsägliche Krieg (1618–48) hatte das Reich in viele Einzel-Fürstentümer
zertrümmert und damit die Reichsgewalt entscheidend geschwächt. Aber schon
vorher hatte das Ansehen der Könige und Kaiser stark gelitten. Dies hatte
weniger mit den Habsburgern zu tun, die genügend fähige Herrscher aufzuweisen
hatten, als mit der allgemeinen Entwicklung, die eben schon skizziert wurde: das
Erstarken der Fürstentümer und der Bürger, damit auch der Städte, die nun
reichsunmittelbar waren und von einer eigenen Landeshoheit für sich ausgingen.
Als weiterer bedeutender Faktor kamen die Spaltung des Reiches durch die im Zuge
der Reformation entstandenen konfessionellen Ausrichtungen der Fürstentümer und
die Religionskriege hinzu. In dieser Zeit braute sich im Osten des Reiches eine
Gefahr zusammen, die es über Jahrhunderte in Atem hielt: die Ausdehnung des
Osmanischen Reiches. Die europäischen Staaten zu einer gemeinsamen Abwehr des
Islam zu bewegen, sollte sich als unmöglich erweisen.
Osmanische Eroberer
und abendländische Verteidiger: Mohammed, Suleiman, Stefan und Radu die Großen
Nach dem Sieg des Seldschukensultans Alp Arslan (1029–1072) über das
Byzantinische Reich 1071 bildete sich um Konya und Kayseri ein erstes
islamisches Sultanat auf türkischem Boden, die Keimzelle für das spätere
Osmanische Reich. Viele türkische Nomaden strömten nun nach Anatolien, und schon
im 12. Jahrhundert erreichte das Seldschukenreich seine erste Blüte, die durch
den Einfall der Mongolen ab 1243 ein Ende fand. Zahlreiche Kleinfürstentümer
bildeten sich nun, darunter ein Grenzstaat im Nordwesten, in Bithynien; nach dem
Sohn des Gründers, Osman I. Ghasi (geb. 1258?; Fürst seit etwa 1300; gest. 1324)
wurden das sich hier entwickelnde Reich und die Dynastie benannt. Hauptstadt des
Osmanischen Reiches wurde das 1361 eroberte Adrianopel, Edirne, und das Reich
wurde bald so mächtig, dass ihm das Byzantinische Reich tributpflichtig wurde.
Schon bald dehnte es sich nach Westen aus, was in Anbetracht seiner Lage nicht
unlogisch war. Schon zehn Jahre nach der Einnahme von Edirne nahm es Thrakien
und Makedonien in Besitz, und 1389, nach der berühmten Schlacht auf dem
Amselfeld, machte sich das Osmanische Reich Serbien tributpflichtig, 1395 die
Walachei, und von 1393 bis 96 eroberte es Bulgarien und Thessalien. Als nun
abermals Mongolen und Angehörige anderer Völkerschaften in dass Reich einfielen,
diesmal unter dem türkisierten Mongolen Timur (Timur Läng, Tamerlan; geb. 1336;
reg. 1370–1405), und es 1402 beim heutigen Ankara besiegten, wurde es nicht
nachhaltig erschüttert. Der von dem ungarischen Reichsverweser (1446–52) und
bedeutendem Feldherrn Johann Hunyadi (ca. 1408–1456) organisierte Widerstand
brachte den Erfolg, dass die Türken bis Sofia zurück weichen mussten; aber
umgekehrt wurden Hunyadis Truppen bei Warna 1444 und in einer neuerlichen
Schlacht auf dem Amselfeld 1448 geschlagen. Zwar verhinderte er, dass die
Osmanen nach Ungarn vordringen konnten, indem er eine türkische Armee, die
Belgrad belagerte, schlug, aber auf Dauer war gegen die Türken kein Kraut
gewachsen. Am 29. Mai 1453 eroberten sie Konstantinopel.
Der Sieger auf
osmanischer Seite war Sultan Mohammed II., der uns heutzutage als Mohammed der
Eroberer bekannt ist, wie er sich auch selbst sah. Nur wenige wissen, dass er in
früheren Quellen auch als Mohammed der Große betitelt ist, und so, mit beiden
Beinamen, erscheint er auch in der Enyclopedia Americana. Mohammed II. Bujuk
(der Große), el-Ghasi (Besieger der Ungläubigen) oder el-Fatih (der Eroberer):
so hat ihn die Geschichte überliefert. Geboren 1430 oder, nach neueren Angaben,
am 30. März 1432 in Edirne, folgte er seinem Vater mit rund zwanzig Jahren auf
den Thron. Er war eine machtvolle Persönlichkeit. Acht Monate lang sammelte er
Mannschaften und Material gegen Byzanz, die Hauptstadt eines sonst so gut wie
nicht mehr existierenden Reiches. Gegen rund 6 bis 7000 Söldner hatte er nach
früheren Angaben an die 140.000, nach heutigen Schätzungen etwa 80.000 Mann zu
setzen, und die Gemetzel und Plünderungen nach der Eroberung waren so brutal,
blutig und grausam, wie sie sich nicht allzu oft in der Geschichte ereignet
haben – Historiker und nicht zuletzt die Muslime würden an die Schändlichkeiten
bei der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer 1099 erinnern. Erst, als man
feststellte, dass Überlebende durch Lösegeld mehr einbrachten als Tote, habe man
den Massakern Einhalt geboten. Mohammed soll nach einem Tag den Einhalt der
Schlächtereien befohlen haben, da sie selbst für seine Vorstellungen zu weit
gingen. Später hieß es sprichwörtlich von einem reichen Menschen, er sei
sicherlich bei der Eroberung Konstantinopels dabei gewesen. Mohammed selbst
behielt sich die öffentlichen Bauten als Beute vor. Als ein Soldat, wohl im
Übereifer, den Marmorboden der Hagia Sophia aufriss, schlug er mit dem Szepter
auf ihn ein. Die Throne Europas zeigten sich erschüttert, aber kein christliches
Heer war Byzanz zu Hilfe geeilt. Mohammed war erst zum Angriff geschritten, als
er sich sicher sein konnte, dass kein Entsatzheer unterwegs war. Ebenso wenig
war im Nachhinein an eine Einigkeit der Fürsten im Kampf gegen die Türken zu
denken. Vergeblich bemühte sich auch Kaiser Friedrich III. (geb. 1415; König
1440; Kaiser 1452; gest. 1493) 1454 auf Reichstagen in Frankfurt, Regensburg und
Wien um Unterstützung und Einheit gegen das Osmanische Reich; er scheiterte wie
alle anderen an der Habsucht, dem Egoismus und der Zwietracht der europäischen
Länder und ihrer Regenten. Mit der Einnahme von Konstantinopel endete nach der
Klassifizierung der Weltgeschichte durch den deutschen Geschichtsprofessor
Christoph Cellarius (1638–1707) alias Christoph Keller das Mittelalter – er
nahm zum ersten Mal die bis heute erhaltene Dreiteilung in Antike, Mittelalter
und Neuzeit vor.
Mohammed machte Konstantinopel zu seiner Hauptstadt; die
Hagia Sophia, von der direkt nach der Einnahme Konstantinopels ein Muezzin vom
höchsten Turm aus zum Dankgebet an Allah für den Sieg gerufen hatte, wurde aller
christlichen Insignien entkleidet. Der Sultan suchte nun, sein Reich nach außen
und im Innern zu stärken. Er fühlte sich berufen, zum Weltherrscher zu werden,
und viele Zeitgenossen haben das von ihm erwartet. Papst Pius II. (geb. 1405;
Pontifikat 1458–1464), der auch meinte, in Mohammed den Weltherrscher gefunden
zu haben, schlug ihm brieflich vor, das Christentum anzunehmen, um so Herr und
Erlöser der Welt zu werden. Was Mohammed darüber dachte, ist unbekannt. Aber
auch unabhängig davon war es sein Ziel, Italien zu erobern; er kam auch bis
Italien, aber nicht bis Rom, wo man schon in Angst und Schrecken verfallen war.
Mohammed legte sich schon einmal den Titel »Kaiser von Rom« zu, aber am Ende
wurde nichts daraus. Immerhin eroberte er 1456/58 Serbien, ein Jahr später das
Kosovo, 1460/61 nahm er die letzten byzantinischen Besitzungen in Griechenland
sowie Trapezunt, das heutige Trabzon, ein und 1463 noch Bosnien. Scutari entriss
er den Venezianern, Kaffa den Genuesen, 1475 unterstellte sich ihm die Krim, und
1480 eroberte er Otranto. Er starb am 3. Mai 1481 bei Gebze. Wer war nun
Mohammed der Große wirklich? Die Schilderungen über ihn reichen von maßlosem
Hass bis zu bedingungsloser Bewunderung, je nach Perspektive des Beobachters.
Die Grausamkeiten seines Heeres ließen ihn nicht gleichgültig; den für die
Scheußlichkeiten in Otranto verantwortlichen Pascha ließ er hinrichten, aber
umgekehrt brachte er seinen eigenen Bruder um, um einen lästigen Konkurrenten
los zu sein, was er sogar noch gesetzlich legitimieren ließ, gemäß dem Satz im
Koran: »Die Unordnung ist schädlicher als Mord.« Er unterhielt
Handelsbeziehungen zu etlichen Mittelmeerstaaten, vor allem nach Italien. Auf
der anderen Seite ließ er zahlreiche Bauten errichten, so nach seinem Sieg die
Moschee Eijubs, und als sein größtes Bauwerk den Topkapi-Palast in Istanbul, von
nun an für Jahrhunderte Wohn- und Regierungssitz der Sultane und
Verwaltungszentrum des Reiches. 300 Moscheen, 50 islamische Hochschulen und 50
Bäder gingen auf ihn zurück. Aber nicht nur Moscheen, Schulen oder Medresen
(Lehranstalten) verdankt ihm die Nachwelt, sondern auch Hospitäler,
Karawansereien, Bibliotheken, Brunnen, Imarete (Garküchen), das alte Serai und
sogar Irrenanstalten. Er setzte die Tradition der letzten Sultane fort und
widmete sich der Kunst, besonders der Poesie, schrieb selbst Gedichte unter dem
Namen Auni, der Hilfreiche, und zog eine Anzahl bedeutender Dichter an seinen
Hof, darunter sogar zwei Dichterinnen. Indische und persische Gelehrte gingen
bei ihm ein und aus. Seine Nachfolger traten in seine Fußstapfen, erwiesen sich
als grausame Eroberer und pflegten gleichzeitig die Musen, so auch Suleiman der
Große.
Suleiman II. ist uns eher als »der Prächtige« geläufig. Er hatte den
Beinamen »el-Kanuni«, was als der Große oder Prächtige übersetzt wurde; die
Türken nennen ihn den »Gesetzgeber«. Er gilt als einer der größten Sultane des
Osmanischen Reiches. Geboren wurde er am 5. November 1494 in Trapezunt. Nach dem
Tod seines Vater Selims I., der seit 1512 regiert hatte, kam er 1520 auf den
Thron. Sein Erbe war ein durch und durch gut organisiertes Reich, und ihm gelang
es, dieses Reich noch einmal zu erweitern; unter ihm erreichte es seine größte
Ausdehnung. Er eroberte 1522 die Stadt Belgrad, an der Mohammed der Große
gescheitert war; ein Jahr später fiel die Insel Rhodos, an der die Türken 1480
ebenfalls erfolglos geblieben waren, unter großem Blutvergießen (der Rest des
hier ansässigen Johanniterordens zog 1527 auf die Insel Malta, die ihnen Kaiser
Karl V. (geb. 1500; König 1520 (vorher schon in Spanien); Kaiser 1530;
Thronverzicht 1556; gest. 1559) schenkte, was der Papst 1530 bestätigte. Ungarn
war dann 1526 an der Reihe, in der Schlacht von Mohaksch wurde das christliche
Heer unter Ludwig II., dem letzten Jagiellonen, besiegt, er selbst getötet.
Wiederum war die Zwietracht zwischen den Fürsten nicht unschuldig an der
Niederlage. Viele Feinde Kaiser Karls standen auf der Seite Suleimans, Franz I.
(geb. 1494; reg. 1515–1547), »der allerchristlichste König von Frankreich«,
suchte ein Bündnis mit ihm, die Herzöge von Bayern verhandelten mit ihm wegen
ihrer Ansprüche auf Böhmen, und Österreich, das heutige Slowenien und Friaul
lagen praktisch ungeschützt vor den türkischen Angreifern. In einem deutschen
Volkslied hieß es damals: »Der wütend Türk hat große Macht neulich ins Ungarland
gebracht […] Aus Ungarn ist er bald und schnell in Österreich bei Tages Hell’,
Bayern ist ihm gleich zur Hand, von dann er kummt in andre Land, dem Rhein mag
er bald kommen zu, damit haben wir kein Zeit, kein Ruh’. Unser Unfleiß und
Eigennutz, gegen den Nächsten stolzer Trutz, Haß, Neid und Arglist Sinnen, die
machen den Türken gewinnen.« Vor allem letzteres!
Endlich, fast in letzter
Minute, kam es zum Frieden zwischen Kaiser und Papst, auch Franz I. lenkte ein.
Und als dann im September 1529 die osmanischen Truppen Wien belagerten –
Suleiman hatte geschworen, er werde nicht eher ruhen, als bis das Gebet des
Propheten vom Stephansdom gesprochen werde – zitterte das Abendland, doch musste
Suleiman im Oktober die Belagerung aufheben; Mangel an Nahrung und die
schlechten Witterungsbedingungen, zudem Unzufriedenheit in den eigenen Reihen,
zwangen ihn zur Umkehr. Suleimans Macht blieb ungebrochen. Zwar nahm ihm 1535
Karl V. in einem vielfach verherrlichten Feldzug Tunis ab – das Osmanische Reich
beherrschte einen Großteil der Küste Nordafrikas, wo seine Piraten ihre
Stützpunkte hatten; durch seine Flotte war Suleiman Herr im Mittelmeer und auch
im Roten Meer – aber ein Jahr später schloss er eine Allianz mit Frankreich
gegen die Habsburger. Endlich, 1533, kam es zu einem leidlichen Frieden mit dem
Kaiser. Dadurch erhielt Suleiman den Rücken frei für seine Eroberungen im Osten:
In den Jahren 1534 bis 1538 eroberte er Bagdad und Aden, vorübergehend auch
Täbris in Persien, und er fügte die südliche und westliche Küste der Arabischen
Halbinsel dem Osmanischen Imperium hinzu. Sein Versuch, 1565 Malta zu erobern,
schlug indes fehl.
Wie Mohammed der Große hatte auch Suleiman der Große
mehrere Charakterseiten. Seine Reformen und Gesetzeswerke, die u. a. die
Landverteilung, die Verwaltung, die sich noch lange in der von ihm auf den Weg
gebrachten Form erhielt, oder die Organisation der Geistlichkeit betrafen – er
verbesserte auch die Lage der Christen in seinem Reich – brachten ihm mit Recht
großes Lob. Er förderte die Kunst und die Architektur und vor allem die
Literatur, schrieb auch selbst unter dem Namen Muhibbi an die 3000 lyrische
Gedichte. Mit seiner Unterstützung schuf der berühmte, begnadete Architekt Sinan
(ca. 1500–1588), der 1538 Baumeister für das gesamte Osmanische Reich wurde,
mehr als 300 Bauwerke, Mausoleen, Paläste, Medresen, Moscheen wie die
prachtvolle Suleiman-Moschee in Konstantinopel, wo Suleiman auch begraben ist,
und die Selim-Moschee für seinen Vater in Edirne. Andererseits ließ er seinen
Großwesir Ibrahim, der von 1523 bis 1536 die Verwaltung leitete und dem die
meisten von Suleimans Gesetzes- und Reformwerken zu verdanken sind, ohne
ersichtlichen Grund erdrosseln, und seinen ältesten Sohn und andere
Familienmitglieder ließ er ermorden. So bleibt ein Schatten auf diesem
außergewöhnlichen Herrscher lasten. Suleiman, der seine Heere persönlich in die
Schlacht zu führen pflegte, starb am 7. September 1566 bei der Belagerung von
Szigetvár bei Pécs auf einem seiner Feldzüge, diesmal im Krieg mit Österreich.
Er und sein Vorfahr Mohammed der Große bleiben in der osmanischen, aber auch in
der europäischen Geschichte unvergessen.
Im Zusammenhang mit der Ausbreitung
des Osmanischen Reiches sind noch zwei »Große« zu nennen, die nun aber auf der
Gegenseite standen. Der eine ist der berühmte Stephan III. der Große, Fürst von
Moldau. Geboren wurde er 1433 in Borzeşti, wahrscheinlich als unehelicher Sohn
des dortigen Fürsten, aber von seinem Vater schon früh an der Macht beteiligt
und nach dessen gewaltsamem Tod 1451, Flucht und Exil mit 24 Jahren Fürst. Die
Woiwodschaften Walachei und Moldau sind uns bereits begegnet, auch die Fürsten
der Walachei Mirtschea und Basarab die Großen. Sie wurden noch um einiges von
Stephan dem Großen überragt. Das Fürstentum Moldau war wie die Walachei im 15.
Jahrhundert, wie bereits erwähnt, in den Einflussbereich des Osmanischen Reiches
gekommen, konnte sich aber noch eine gewisse Unabhängigkeit erhalten, so lange
es Tributzahlungen leistete. Da Polen und Ungarn immer wieder Zugriff auf Moldau
nehmen wollten, erschien dessen Fürsten die Tributpflicht gegenüber den Osmanen
annehmbarer. Seine Hauptaufgabe sah Stephan darin, die Unabhängigkeit seines
Landes gegenüber allen Nachbarn zu sichern. Dazu führte er auch diverse Kriege.
1467 besiegte er den bekannten ungarischen König Matthias I. Corvinus (geb.
1443; reg. 1458–90), den Sohn von Johann Hunyadi, welcher uns eben begegnet
ist. Matthias kämpfte gegen die Türken in Serbien und Bosnien (1479–83) und
gewann im Krieg gegen Kaiser Friedrich III. sogar Niederösterreich mit Wien
(1485 – 90), nicht lange vor dem Tag, da die Türken zum ersten Mal vor Wien
erschienen. Als die Ungarn in Moldau einmarschierten, schlug sie Stephan in der
Schlacht bei Baia vernichtend, Matthias entkam schwer verletzt; später
normalisierte sich das Verhältnis beider Länder. Kurz danach, 1469 oder 1470,
errang Stephan einen Sieg über die Krimtataren, die in sein Reich einfielen bzw.
dazu von anderen Fürsten verleitet wurden. Lange Jahre, von 1473 bis 1489,
führte er Krieg gegen das Osmanische Reich, also noch zu einer Zeit, da Mohammed
der Große in Konstantinopel regierte. Mehrere Siege erlangte er, z. B. 1475, als
er mit 40.000 Mann etwa 120.000 Türken bei Vaslui schlug – selbst der türkische
Chronist nannte es eine noch nie da gewesene Niederlage der Osmanen. Wie zu
erwarten, blieb der Versuch von Stephan, im Anschluss an den Sieg (und auch noch
später) die europäischen Mächte gegen die Osmanen zu einen, ohne Erfolg. Im
nächsten Jahr verlor Stephan zwar eine Schlacht gegen die Türken, dies blieb
jedoch ohne Folgen, aber am Ende sah er sich in Anbetracht der Gleichgültigkeit
der übrigen Mächte und der Stärke des Osmanischen Reiches doch gezwungen, auf
Tributzahlungen einzugehen. 1481 siegte er über die Walachei, und von 1497 bis
99 schließlich kämpfte Stephan gegen Polen, und das durchaus erfolgreich. All
diese Kriege führten nicht zu einer Verarmung des Landes, sondern zu einem
Machtzuwachs – seine Bauernkrieger und Bojarenscharen verehrten ihn – und sogar
zu einem wirtschaftlich-kulturellen Aufschwung. An die 44 Kirchen und Klöster,
die »Moldauklöster«, sowie eine Reihe von Festungen, letztere nach einem klug
berechneten System, ließ Stephan errichten; einige gehören heute zum
Weltkulturerbe. Gotische Elemente vereinigten sich in den Kirchen mit
orientalischen und ergaben so eine den Verhältnissen des Landes angepasste
Architektur. Er gründete das Bistum Radautz und brachte damit die Organisation
der Kirche zum Erfolg. Durch die Unterstützung von Mönchen, die sich der Kunst
und Literatur widmeten, trug er zur Entwicklung einer hohen Kultur in seinem
Lande bei. Immerhin regierte er fast ein halbes Jahrhundert. Stephan starb am 2.
Juli 1504 in Suceava (Sutschawa) und wurde im Kloster Putna in der heutigen
Bukowina bestattet. Er wird heutzutage in der Republik Moldau und auch in
Rumänien als Nationalheld verehrt. Zahlreiche Stätten erinnern an ihn. Wegen
seiner Kämpfe für die Unabhängigkeit wurde und wird er von den jeweiligen
politischen Machthabern immer wieder für die eigenen Zwecke ge- oder
missbraucht. Aber wenn diese Symbolgestalt den Rumänen bzw. den Bewohnern von
Moldawien zu einem Identitäts- oder Selbstwertgefühl verhilft, so ist dies
letztlich nicht zu beanstanden.
Stephan mischte sich in die Verhältnisse
anderer Länder durchaus ein. In der Walachei hatte es längere Zeit wirre
Verhältnisse gegeben. Schließlich bestieg ein früherer Mönch namens Wlad den
Fürstenstuhl, nachdem Stephan den unfähigen Machthaber, auch einen Basarab,
abgesetzt hatte. Wlad der Mönch regierte von 1482 bis 1495. Dann folgte sein
Sohn Radu, der bis 1508 an der Macht blieb. Er stiftete das prachtvolle,
glänzende Kloster Dealu, in dessen Inschriften und Schmuck sich bereits die
Kunst der Renaissance wiederfindet; damit übertraf er den größten Klosterstifter
in der Walachei vor ihm, nämlich Mirtschea den Großen, dem die wunderschönen
serbisch-byzantinischen Bauen des Oltlandes zu verdanken waren, und einheimische
wie griechische Kleriker nannten ihn wegen seiner Freigebigkeit »den Großen«.
Als Radu den Großen findet man ihn noch heute in den Geschichtswerken.
Walachei, Moldau, Rumänien – ihre Geschichte durch die Jahrhunderte war immer
verbunden mit denen der großen Mächte in ihrer Nachbarschaft, und das keineswegs
zu ihrem Vorteil oder Segen. Das Osmanische Reich, durch Suleiman den Großen,
den Prächtigen, zum Höhepunkt geführt – schon seit 1517 trug der Sultan auch den
Kalifentitel und war damit Schutzherr der heiligen Stätten des Islam in Mekka
und Medina – verlor ab der vernichtenden Niederlage seiner Flotte bei Lepanto
1571 an Einfluss; der innere und äußere Verfall begann; der Niedergang führte
zum Ende des Osmanischen Reiches 1923. Danach wendete sich das Blatt zu einem
Neubeginn.
In ferne Zonen: Johann und Emanuel die Großen
Der
Beginn der Neuzeit war – wir sagten es schon – mit der Aufnahme der nun in
großer Zahl stattfindenden Entdeckungsreisen verknüpft. Es waren zunächst die
Portugiesen, die an ferne Küsten vorstießen. Initiator war vor allem der Infant
Heinrich der Seefahrer (1394–1460), seit 1419 Gouverneur des Königreichs
Algarve und 1420 Großmeister des Christusordens, der um sich nicht nur erfahrene
Kapitäne, sondern auch Experten in Kartografie, Nautik und Kosmografie
versammelte und eine Art Seefahrtsschule gründete. Schon seit 1418 veranlasste
er die Erkundung der Westküste Afrikas – Madeira erreichten die Portugiesen
1420, sieben Jahre später die Azoren; Heinrich legte, obwohl er nicht König war,
den Grundstock für die portugiesische See- und damit später auch Handels- und
Kolonialmacht. Die Eroberung Konstantinopels beschleunigte die
Entdeckungsfahrten, da die Türken den Landweg zu den großen Handelsplätzen in
Asien gesperrt hatten und nun die Suche eines Seewegs nach Indien im Vordergrund
stand. Schon 1446 kamen die Portugiesen an die Senegalmündung, zehn Jahre später
zu den Kapverdischen Inseln, 1484 bis zum Kongo, und 1487/88 segelte
Bartholomeus Diaz (ca. 1450–1500), besser: kämpfte er sich im Sturm um die
Südspitze Afrikas, das Kap der Guten Hoffnung, das er noch Kap der Stürme
nannte.
Heinrich der Seefahrer war der Sohn von König Johann I., der den
Ehrentitel »der Große« erhielt. Geboren wurde dieser 1357 in Lissabon. Sein
Thron war nicht unumstritten. Kastilien erhob Anspruch darauf, aber Johann
heuerte 500 englische Bogenschützen an und schlug die Kastilier am 14. August
1385, ein Sieg, dessen noch heute an Portugals Nationalfeiertag gedacht wird.
Von daher rührt – zwischen England und Portugal – eines der ältesten Bündnisse
der europäischen Geschichte (Vertrag von Windsor 1386), das noch heute besteht.
Als Königreich existierte Portugal bereits seit 1139; seine große Zeit kam aber
erst jetzt. Johann war selbst der Spross einer unglücklichen Liebe, nämlich
König Pedros I. des Strengen (geb. 1320; reg. 1357–1367) und seiner Geliebten
Inés de Castro; diese hatte er angeblich nach dem 1345 erfolgten Tod seiner ihm
schon 1336 über Vollmachtsvertretung angetrauten Ehefrau Konstanze, Tochter des
Prinzen von Kastilien, heimlich 1354 geheiratet, was allerdings unbewiesen
blieb. Er hatte sich unsterblich in sie verliebt, als Konstanze mit ihr als
Kammerzofe 1340 an den Hof kam – doch Pedros Vater, König Alfons IV. (geb. 1290;
reg. 1325–1357), ließ sie aus dynastischen Gründen ermorden (1355); da hatte
allerdings Ines ihrem Liebhaber oder Gemahl, wie auch immer, schon vier Kinder
geboren. Als Pedro an die Macht kam, ließ er etliche der Mörder umbringen; dann
ließ er den Leichnam von Inés exhumieren und die Tote mit den königlichen
Insignien neben sich auf dem Thron krönen, bevor er sie wieder bestatten ließ,
womit für die portugiesische Literatur eines ihrer bedeutendsten Themen geboren
war. Johann hieß darum auch »der Bastard«. Er begründete die Dynastie der Avis,
die bis 1580 an der Macht blieb. Johann selbst regierte 48 Jahre lang. Er
reformierte und verbesserte Recht, Rechtsprechung und Verwaltung; durch ihn –
eine seiner größten Leistungen – wurde Portugiesisch die offizielle
Landessprache. In Batalha ließ er zur Erinnerung an den Sieg über Kastilien eine
Dominikanerkirche erbauen, Santa Maria da Victoria, die vom Stil her an Notre
Dame in Paris oder auch – von der Größe her – an den Mailänder Dom gemahnt.
Johann der Große starb am 14. August 1433. Sein Sohn Heinrich der Seefahrer
hatte ihn 1415 dazu gebracht, Ceuta, die marokkanische Stadt, die Gibraltar
gegenüber liegt, und die dazu gehörige Region zu erobern; damit hatte er die
portugiesische Ausdehnung in Afrika eingeläutet.
Kurz nach Erreichen der
Südspitze Afrikas, 1492, landete Christoph Kolumbus (1451–1506), in Amerika,
aber für die Weltgeschichte vorrangiger war zunächst der Seeweg nach Indien, den
endlich 1497/98 Vasco da Gama (ca. 1469–1524) im Auftrag des portugiesischen
Königs Emanuels I. fand. Ganz Portugal hatte dem Ereignis entgegengefiebert, und
in Anbetracht der Schätze, die Kolumbus aus Amerika mit brachte, hielt es der
portugiesische Herrscher für an der Zeit, es den Spaniern gleich zu tun.
Emanuel, portugiesisch Manuel, wurde am 31. Mai 1469 bei Lissabon
geboren und kam 1495 auf den Thron. Als Emanuel der Glückliche bzw. als
Emanuel der Große ging er in die Geschichte ein. Wie seine Vorgänger
unterstützte er die Entdeckungsreisen nach Asien und Amerika. Vor allem
Vasco da Gama, Pedro A. Cabral (ca. 1468–1520 oder 1526), der 1500 die
Ostküste Brasiliens erreichte und das Land für Portugal in Besitz nahm,
und Afonso de Albuquerque (1453 oder 1462–1515), der die Tore zum
indischen Handel Hormus, Goa und Malakka eroberte, einheimische Fürsten
zu Vasallen degradierte und von 1509 bis zu seinem Tode Vizekönig von
Indien war, wurden von ihm gefördert. Emanuels Ziel war es vor allem,
ein portugiesisches Handelsmonopol in den Ländern rund um den Indischen
Ozean zu schaffen, aber auch Amerika lag ihm am Herzen. Damals
wetteiferten die Spanier und Portugiesen als die führenden Nationen um
die Beherrschung der fernen Welten. In den Verträgen von Tordesillas
(1494) und Saragossa (1529) legten sie ihre Interessenssphären fest.
Den Vertrag von Tordesillas hatte noch Emanuels Vorgänger, sein Cousin
Johann II. (geb. 1455; reg. 1481–1495), geschlossen; er teilte die Welt
in zwei Sphären, wobei die weiter entfernt liegenden Regionen nach
ihrer Entdeckung Spanien zufallen sollten. Johann II. gilt manchen
Historikern als der bedeutendste portugiesische König, aber in
Anbetracht der Leistungen Emanuels kann man darüber geteilter Meinung
sein … Die erste Weltumseglung fand von 1519 bis 1522 unter dem
portugiesischen Seefahrer Ferdinand Magellan (Fernão de Magalhães; ca.
1480–1521) bzw. seinem Nachfolger Juan S. Elcano (ca. 1468–1526) in
spanischen Diensten statt. Wurden Südamerika seit 1498 und
Mittelamerika seit 1502 allmählich in Besitz genommen, waren die
nächsten Stationen im Osten Goa (1510), Malakka (1511), die Molukken
(1512), Kanton (1517), Neuguinea (1526) und schließlich auch Japan
(1542). Bis zu seinem Tode am 13. Dezember 1521 in Lissabon betrieb
Emanuel energisch für Portugal die Entdeckung und Inbesitznahme ferner
Gestade und Länder, doch er machte sich auch auf anderen Gebieten einen
Namen in der portugiesischen Geschichte. Seine kluge Außenpolitik
bewahrte das Land vor Kriegen, aber er verwies 1496 die Juden und die
nach der Eroberung Granadas 1492 als letztem Bollwerk der Muslime in
Spanien nach Portugal geflohenen Mauren aus dem Lande. In seinem Regime
nahm er ein wenig den Absolutismus vorweg – er zentralisierte die
Verwaltung und festigte die Macht der Krone gegenüber dem Adel und den
Städten, deren bisher genossene Freiheiten bedeutungslos wurden, und
setzte darin die Politik von Johann II. fort, ja verstärkte sie sogar –
in seiner Regierungszeit wurden die Stände nur dreimal einberufen.
Daraus ergaben sich konsequenterweise auch die Vereinheitlichung des
Steuer- und Zoll- sowie die Reformierung des Finanzwesens. Ein neuer
Rechtskodex, die »Ordenações Manuelinas«, wurde unter seiner Regierung
erlassen. Die Eroberungen und der beginnende Überseehandel brachten
Gold in die Staatskassen und Gewürze als Wirtschaftsgut, mit denen sich
viel Geld verdienen ließ, das den Staatseinnahmen zu gute kam. Unter
seiner länger als ein Vierteljahrhundert dauernden Herrschaft blühte
Portugal in Kunst, Kultur und Wissenschaft auf, besonders in der
Baukunst. Der nach dem König benannte Emanuelstil entwickelte sich zu
einer eigenen dekorativen Form der spätgotischen Architektur, der
verschiedene Elemente (Flamboyantstil, Mudéjarstil, Platereskenstil)
kunstvoll mit nautischen, maritimen und exotischen Elementen verband,
die ihren Ursprung in den überseeischen Entdeckungsreisen und der damit
verbundenen Entdeckerfreude hatten. Im Turm von Lissabons Stadtteil
Belém, heute ein Wahrzeichen Lissabons, und im Hieronymitenkloster in
Belém, beide heutzutage berühmte Fremdenattraktionen und Weltkulturerbe
der UNESCO, findet er sich besonders gut dokumentiert. Insgesamt
bescherte Emanuel Portugal ein »Goldenes Zeitalter«, was auch in seinen
Titeln »der Glückliche« bzw. »der Große« seinen Ausdruck fand. Mit
seiner weisen Heiratspolitik schuf er verwandtschaftliche Beziehungen
zum spanischen Königshaus – er selbst war dreimal verheiratet, zunächst
mit Isabella und danach mit ihrer Schwester Maria, beides Töchter des
bereits erwähnten, berühmten spanischen Königspaares Isabella und
Ferdinand, die die Weltmachtstellung Spaniens im 16. Jahrhundert
begründeten, und zuletzt mit Leonora, der Schwester Kaiser Karls V. Aus
der Ehe mit Maria stammte sein Nachfolger Johann III., der bis 1557
regierte und schon wieder einige Eroberungen aufgeben musste, was mit
zum Primat Spaniens in der Weltmachtstellung beitrug, und als die
Dynastie Avis 1580 ausstarb, führte dies zur Vereinigung Portugals und
Spaniens. In dieser Zeit hatten sich mittlerweile auch die anderen
Nationen an den großen Entdeckungen beteiligt, die Franzosen, Engländer
und Niederländer, um sich selbst einen Kuchen der großen, weiten Welt
abzuschneiden – das Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus zog
herauf…
Noch eigenständige Herrscher: Sonni Ali, Askia, Abbas und Akbar die
Großen
Im Lauf der Zeit unterwarfen die Europäer mehr oder weniger die
ganze bekannte Welt, aber bevor das geschah, brachten es noch einige
einheimische und selbstständige Fürsten zu »Großen« in fremden Kontinenten.
Das schwarze Afrika, anders natürlich als Ägypten oder der Sudan, erscheint uns,
die wir davon nur wenige Kenntnisse haben, als geschichtsloser Kontinent. In
Wahrheit haben sich dort ebenso große Reiche gebildet, sind gekommen und wieder
vergangen, wie in Europa oder in Asien. Man denke nur an das Imperium der Zulu
unter dem »schwarzen Napoleon« Tschaka (ca. 1789 (?)–1828), das dieser seit
1816 errichtete und das erst 1879 von den Engländern besiegt wurde – heutzutage
gewinnt Tschaka als Nationalheld einen gewissen Nachruhm in Südafrika. Ein
anderes, früher eher als geheimnisvoll angesehenes und legendenumwobenes Reich
war Monomotapa, das in Simbabwe im 15./16. Jahrhundert seine Blüte erlebte und
heute noch durch seine verlassenen Goldbergwerke und seine Ruinen bekannt ist.
Wenden wir uns nach Nordafrika, so finden wir beispielsweise im westlichen Sudan
(der Sudan erstreckt sich rein geografisch vom Roten Meer bzw. dem Äthiopischen
Hochland bis an den Atlantik, bis zum Senegalbecken und wird im Norden durch die
Sahara und im Süden durch die tropische Regenwaldzone begrenzt, ist also nicht
identisch mit dem heutigen Staat dieses Namens) mehrere Reiche: Ghana, das schon
ab etwa 300 n. Chr. existiert haben soll und bis ins 14. Jahrhundert von
Bedeutung war, Melle oder Mali, das, am Ende des ersten Jahrtausends entstanden,
im 14. Jahrhundert, nun schon islamisch, seinen Höhepunkt erreichte, und Songhai
oder Sonrhai, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zur großen Macht
aufstieg und auch unter dem Namen Gao bekannt wurde. Die Songhai waren ein
westafrikanisches Volk am mittleren Niger. Ihr Zentrum lag innerhalb der großen
Biegung des Stroms, südlich der sagenumwobenen Handelsstadt Timbuktu. Mit Mande,
Fulbe und anderen Völkern errichteten sie, nachdem es hier schon im 7.
Jahrhundert eine berberische Gründung gegeben hatte, im 10. Jahrhundert das
Reich Songhai mit der Hauptstadt Gao. Etwa 1009/10 trat ihr König Kossoi, der
von 1005 bis 1025 regierte, zum Islam über, was für das Reich einen großen
Umbruch bedeutete. Als nun das Reich Mali immer mächtiger wurde, unterwarf es um
1325 auch Songhai, doch machte sich letzteres um 1400 schon wieder
selbstständig, und hier begnügte man sich erst einmal mit der Unabhängigkeit.
Nochmals verging mehr als ein halbes Jahrhundert, dann trat Songhai aus seinem
neutralen Dasein heraus und einen Siegeszug über die Nachbarvölker an. Um 1465
kam Ali aus der Dynastie der Sonni, aus berberischem Geschlecht, an die Macht
und suchte, durch weit reichende Eroberungskriege die Nachbarreiche zu
unterwerfen. Ali war zwar außerordentlich tatkräftig, aber galt auch, vielleicht
zu Recht, eher zu Unrecht, als sehr grausam. Er bekannte sich nicht zum Islam,
sondern war vom animistischen Glauben erfüllt und praktizierte die Hohe Magie,
und so hatte er auch keine religiösen Skrupel, die muslimischen Reiche im Sudan
zu unterwerfen. Vor allem auf Kosten Malis breitete er sich aus. 1468 eroberte
er eine der Haupthandelsstädte des Mali-Reiches, nämlich das legendäre Timbuktu.
Hier hat man zwar antike ägyptische Bauten ausgegraben, aber die heutige Stadt
wurde 1087 als Tuareg-Lager gegründet und entwickelte sich zu einer reichen und
prachtvollen Handelsstadt. Auf seiner Reise 1352 bis 1354 quer durch die Sahara
zum Niger kam der arabische Weltreisende Ibn Battuta (1304–1377) auch nach
Timbuktu. Zu Sonni Alis Zeiten waren die Akil-Tuareg die Herren der Stadt, die
vorher die Mande vertrieben hatten, aber sich vor allem durch Machtmissbrauch,
Unterjochung der Einwohner bis hin zur Vergewaltigung von Frauen und erdrückende
Steuerlast hervortaten. Schließlich bat der Gouverneur Omar Sonni Ali um Hilfe,
was diesem wie gerufen kam. Als sich dann ein schwarzes (!) Heer der Stadt
näherte, gerieten die Bewohner in Panik und flohen, einschließlich der Elite mit
samt dem Gouverneur. Sonni Ali hat dann mehrere angesehene Persönlichkeiten, die
mit den Tuareg paktiert hatten und so für ihn Hochverräter darstellten, töten
lassen, und das brachte ihm bei seinen Zeitgenossen und Nachfahren den Ruf eines
höchst grausamen und brutalen Herrschers ein, der er aber so nicht war. Um 1473
eroberte er auch die Stadt Dschenné nach mehrjähriger Belagerung. Schließlich
fiel auch Massina, und Ali dezimierte die dort ansässigen Fulbe vom Stamm der
Sangare so stark, dass es hieß, ihre Reste hätten im Schatten eines einzigen
Baumes Platz gefunden. Jedenfalls waren die Fulbe von allen Ämtern in Verwaltung
und Justiz ausgeschlossen. Das alte Reich Ghana brachte er großteils in seinen
Herrschaftsbereich. Aber Sonni Ali war nicht nur ein Machtmensch, er förderte in
seinem Reich die Gelehrten, denen er wertvolle Güter schenkte, gemäß seiner
Überzeugung: »Ohne die Gelehrten gäbe es auf dieser Welt weder Anmut noch
Freude«, ließ offizielle Akten des Königreiches anlegen und häufte unermessliche
Schätze an. Vor allem gegen die Tuareg musste er immer wieder zu Felde ziehen.
Auf dem Rückweg von einer derartigen Operation ertrank er 1492. Ali erhielt den
Beinamen Dâli, der »Sehr-Erhabene«, aber in die Geschichte ging er als Ali Ber,
d. h. Ali der Große, oder auch Sonni Ali der Große ein.
Alis Sohn Sonni
Bakary, dem er ein gut verwaltetes und gefestigtes Reich hinterließ, blieb nur
etwa ein Jahr an der Macht, dann wurde er durch einen Unterbefehlshaber Alis
gestürzt, den Gouverneur von Hombori, Mohammed ben Abu Bakr, einen Angehörigen
des Tekrur-Stammes der Sylla, der nun nicht mehr berberisch-hellhäutig wie Sonni
Ali, sondern ein »echter Schwarzer« war. Dieser nahm als König den Namen Askia
an: »Das Wort Askia stammt aus dem Songhai a si kyi ya:
›Er ist es nicht! Er wird es nicht sein!‹ Ein Schrei der
Herausforderung und des Unwillens, den die Töchter des Sonni Ali bei
der Ankündigung des Staatsstreichs General Syllas ausstießen. Der
übernahm diesen Ausruf als dynastischen Titel« – so beschreibt es der
Historiker Ki-Zerbo. Askia kam mit Hilfe der Muslime im Reich an die
Macht. Anders als Ali war er ein Herrscher, der planmäßig und ordnend
vorging und dessen Frömmigkeit in puritanische Sittenstrenge mündete.
Traf z. B. seine Geheimpolizei einen Mann an, der nachts mit einer Frau
plauderte, wurde er sofort ins Gefängnis gebracht. Nach außen führte
Askia zur Vergrößerung seines Reiches weiterhin Eroberungszüge; dazu
gründete er im Gegensatz zu Sonni Ali, der seine Streitkräfte immer
wieder neu ausgehoben hatte, ein stehendes Heer; nach innen förderte er
Frieden und Moral. Eine glanzvolle Wallfahrt nach Mekka 1496 brachte
ihm viel Ansehen in der islamischen Welt. Tausend Infanteristen und
fünfhundert Reiter begleiteten ihn; dazu nahm er 300.000 Goldstücke
mit, von denen er ein Drittel als Almosen verteilen ließ. Ein für ihn
und sein Land herausragendes Ergebnis bestand in der Verleihung der
Kalifenwürde an ihn. Nach seiner Rückkehr nahm er seine Kriegszüge
wieder auf, erst gegen das islamfeindliche Reich Mossi, dessen
Grenzgebiete er verheerte, dann gegen Mali, dessen alte Hauptstadt er
zerstörte und das er tributpflichtig machte (1501). In weiteren
Feldzügen dehnte er das Reich weit nach Westen und Osten aus, wo er
eine Stadt nach der anderen in den Haussa-Staaten eroberte. Auch gegen
die Tuareg führte er immer wieder Krieg. Im Osten reichte das Reich nun
bis an den Tschadsee, im Westen bis an den Senegal, im Süden bis an den
Tropischen Regenwald und im Norden bis zu den Salzminen von Teghazza.
Auch Askia gewann sich den Titel »der Große«, wie er in den
Enzyklopädien genannt wird. Sein Ende war allerdings unrühmlich. In der
Familie brach Streit aus, und sein ältester Sohn Mussa zwang ihn 1528
abzudanken. Allerdings wurde letzterer bald ermordet, und auch die
nachfolgenden Herrscher erreichten nicht mehr die Größe der Gründer.
Das Reich, das durch das Militär zusammen gehalten wurde, wurde gut
verwaltet, umsichtig dezentralisiert, was aber eine gewisse Starrheit
nicht ausschloss, und die örtlichen Machthaber hingen in ihrer Stellung
ganz von der Laune des Askia ab. Wirtschaftlich beruhte das Reich auf
Hirse- und Reisanbau sowie der Viehhaltung. Von großer Bedeutung war
der Salzhandel, und das Salz wurde gegen das Gold, das weiter im Süden
von den dortigen Völkern gewonnen wurde, getauscht. So konnte Timbuktu
als Hauptstadt des Reiches zu seinen glanzvollen Palästen und Moscheen
kommen. Der maurische Reisende Leo Africanus (ca. 1494–ca. 1552), der
1513 hier her kam, verbreitete ihren Ruhm. Hier trafen sich die
Karawanen aus aller Herren Länder, hier wurden Sklaven umgeschlagen,
der Handel mit Gold, Gummi und Straußenfedern florierte. Und hier gab
es eine islamische Hochschule und 180 Koranschulen; das islamische
Hochschulwesen war weit entwickelt; der Herrscher besoldete die
Richter, Doktoren und Priester; die Literatur wurde in hohen Ehren
gehalten; islamische Gelehrte zogen von Stadt zu Stadt, um Vorlesungen
zu halten. Timbuktu hatte damals rund 100.000 Einwohner, mit
Marktvorsteher, einem Polizeivorsteher und sogar einem Kommissar für
die Fremden. Dies entwickelte sich in einem »schwarzen« Reich und ist
uns Europäern bedauerlicherweise viel zu wenig bekannt geworden.Von all
dem ist auch nicht viel geblieben. 1590 stießen marokkanische Truppen
in Richtung Gao vor und besiegten die Übermacht des damaligen Askia,
Ishak II. (gest. 1592) dank ihrer Gewehre. Timbuktu wurde erobert, das
Reich zerstört. Vor der Entstehung der islamischen Staaten im 19.
Jahrhundert und der französischen Kolonisation war Songhai das letzte
große Reich im mittleren Sudan. Als europäische Forscher, angelockt von
den sagenhaften Berichten über Timbuktu, hierher kamen – als erster der
Schotte Alexander Laing 1826, der das Abenteuer nicht überlebte, dann
der Franzose René Caillié (1799–1838) 1828 und der Hamburger Heinrich
Barth (1821–1865) 1852 – waren sie enttäuscht; der Ruhm war verblasst;
Caillé fand nur eine »Ansammlung von schäbigen Lehmhäusern in einer
unermeßlichen Ebene von ungewöhnlicher Trockenheit«. Zu Barths Zeit
hatte sich der Wohlstand wieder etwas verbessert, aber auch heute ist
die Stadt in keiner Weise vergleichbar mit ihrer Blütezeit vor 500
Jahren. 1893 nahmen französische Truppen Timbuktu in Besitz, sie wurde
dem französischen Sudan angegliedert und, als aus diesem Teil des
Landes 1960 die unabhängige Republik Mali entstand, Regions-Hauptstadt
dieses Staates. Damals hatte sie 7000 Einwohner, heute etwa 30.000. Der
Salzhandel ist noch immer bedeutend, und die historische Altstadt wurde
von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben, eine späte Reminiszenz an
Sonni Ali und Askia die Großen. Wenn man dann mit ansehen muss, wie
Islamisten viele Heiligtümer in Timbuktu zerstören, so Ende des Jahres
2012 geschehen, kann man darüber nur, wie die damalige
UNESCO-Direktorin Irina Bokova es ausdrückte, schockiert sein.
Wenden wir uns nun nach Asien, so stoßen
wir in Persien auf einen weiteren »Großen« der Geschichte. Die »Großen« dieses
Reiches aus der Antike, Kyros und Dareios, haben wir ausführlich gewürdigt. Nach
der Eroberung durch Alexander den Großen herrschten in Persien bis 240 v. Chr.
die Seleukiden, dann die Parther, die das sogenannte zweite iranische Reich
gründeten. 224 n. Chr. folgte das dritte iranische Reich unter den Sassaniden,
das sich erfolgreich gegen die Römer und danach gegen Inder, Hunnen und Türken
zur Wehr setzte und seinen Bestand bis 642 sicherte. Doch nun eroberten die
Araber Persien und islamisierten es. Viele Dynastien lösten einander in der
Folgezeit ab; zeitweise herrschten hier die Seldschuken, die Mongolen, später
dann Timur. Erst Ismail I., der 1524 starb, gelang es endlich nach
jahrhundertelangen Wirren, eine starke Dynastie, die der Safawiden, zu begründen
und in Persien einen einheitlichen Staat zu schaffen, dem er auch Armenien und
Aserbaidschan angliederte. Ismail I. war es, der in seinem Land den Glauben der
Zwölferschiiten einführte. Nun war Persien reif für eine neue Blütezeit. Sie kam
unter Schah Abbas I. dem Großen. Geboren wurde dieser als Sohn von Schah
Mohammed Khudabanda am 27. Januar 1571 und schon mit zehn Jahren nominell
Gouverneur von Khorasan. Zum Schah wurde er proklamiert, als sein Vater 1587
abgesetzt wurde, und seine erste Tat war es, die Staatszügel anzuziehen. Zu
Beginn seiner Regierung sah sich Persien im Osten von den Usbeken bedroht, im
Westen von den Osmanen. Letztere erschienen Abbas als die größere Gefahr; daher
schloss er mit ihnen 1590 einen Vertrag, in dem er ihre bisherigen Eroberungen
anerkannte. Auf diese Weise an der einen Front Ruhe geschaffen, wandte er sich
gegen die Usbeken, die er 1598 bei Herat in Afghanistan überraschte und
vernichtend schlug. In der Folgezeit eroberte er auch Gilan, Masenderan und fast
ganz Afghanistan. Abbas gründete den Kern eines nationalen Heeres, indem er
einen besonderen Truppenteil, die Tüsenkdschi (Flintenträger), bildete, darin
dem Vorbild des Janitscharenkorps der Osmanen folgend. Für diese Truppen warb er
teilweise georgische und armenische Christen an. Außerdem stellte er eine ihm
treu ergebene Leibwache auf, die Scha-sewen, »die den König lieben«, um eine
Gegenmacht zu der bisherigen Prätorianerkohorte der Safewiden, den Kisil Basch,
zu schaffen.
Nach 15 Jahren Vorbereitungszeit wandte sich Abbas dann 1602
gegen die Türken, um die verlorenen Gebiete zurück zu gewinnen. In Basra schlug
er mit 60.000 Mann eine zweifache Übermacht. 1618 besiegte er die vereinigten
türkischen und tatarischen Truppen bei Sofian nahe Täbris so vollständig, dass
er die Osmanen zu einem Friedensvertrag zwingen konnte, in dem er alle früher an
sie verlorenen Gebiete zurück erhielt. Dazu gehörte z. B. Georgien. Aber das
reichte ihm noch nicht. Von den Portugiesen eroberte er 1622 die Insel Hormuz im
Persischen Golf, übrigens mit Hilfe einer englischen Flotte (interessant in
Anbetracht des portugiesisch-englischen Bündnisses aus den Zeiten Johanns des
Großen) – diesen Hafen ersetzte er durch den Festlandshafen Bender Abbas. Ein
Jahr später brach er den Frieden mit den Türken und entriss ihnen sowohl Bagdad
als auch Kerbela, Nedschef, Mossul und Diyarbakir in Südost-Anatolien am oberen
Tigris im heutigen Irak. Nun erstreckte sich sein Reich vom Tigris bis zum
Indus. Aber nicht nur durch kriegerische Unternehmungen begründete Abbas seinen
Ruf. Als er den Thron übernahm, wurde Persien von Bürgerkriegen heimgesucht,
allenthalben herrschte Unruhe bis hin zur Anarchie. Abbas aber brachte dem Land
Frieden und Sicherheit. Dazu gehörte, dass er entsprechende Gesetze erließ und
die Infrastruktur in Persien sichtlich verbesserte. Er ließ Straßen bauen, mit
Brücken und Wegstationen, Karawansereien für die Handelskarawanen, und er suchte
auch sein Volk zu einen, indem er für die Verbreitung des Islam warb; er selbst
unternahm eine 800 Meilen lange Pilgerreise nach Meschhed zu Fuß. Auf der
anderen Seite erwies er sich als tolerant gegenüber nicht islamischen Religionen
wie dem Christentum und aufgeschlossen, was Ideen aus dem Ausland betraf.
Europäische Reisende waren an seinem Hof willkommen, die er sogar für
diplomatische Missionen an die europäischen Höfe zu gewinnen suchte, um einen
Bund gegen das Osmanische Reich zustande zu bringen, was natürlich auch ihm
nicht gelang. Seine Hauptstadt verlegte er 1598 von Kaswin nach Isfahan und
machte die Stadt zu einem blühenden Kultur- und Wirtschaftszentrum, das in aller
Welt Anerkennung fand. Hier ließ er glanzvolle Bauten errichten, so die große
Moschee, den Palast Tschebel Sutun (»vierzig Säulen«) und die Brücke über den
Senderud. In der Nähe siedelte er Armenier an, womit er den Handel beflügelte.
Die indischen Erzeugnisse nahmen ihren Weg von Bender Abbass über Isfahan und
Täbris ans Schwarze Meer, was für Isfahan eine Quelle wachsenden und großen
Reichtums bedeutete. Auch an den heiligen schiitischen Stätten von Nedschef und
Kerbela förderte er die persische Baukunst, die, wie es ein Historiker
ausdrückte, »an reichem Buntschmuck der Säulenhallen und Nischen durch
Spiegeltäfelchen und Schnitzereien, an schimmernden goldfarbenen und blauen
Glasuren zum Schmuck der Wände Gefallen fand.« Nicht von ungefähr erhielt Abbas
den Titel »der Große«, und die Encyclopedia Americana urteilt über ihn, er sei
in Verwaltungsangelegenheiten ein Genius gewesen, sowie ein überragender
militärischer Stratege, der seinem Land so viel mehr an Gebieten, Macht und
Reichtum gebracht habe, wie es nach ihm nie wieder geschah. Abbas der Große
starb am 21. Januar 1629 in der Provinz Masenderan. Erst lange nach seinem Tod,
1722, wurden die Safawiden gestürzt, von Afghanen; Persien verfiel in eine neue
Epoche der Unsicherheit und der politischen Wirren, und erst 1794 kam es zu
einer erneuten Einigung des Landes.
Ein Zeitgenosse von Abbas dem Großen
machte in Indien von sich reden und ist ihm als ebenbürtig an die Seite zu
stellen: Akbar, was arabisch »der Große« bedeutet, der eigentlich Djala ad-Din
Mohammed hieß und 1556 zum Großmogul von Indien aufstieg.
Indiens Geschichte, nicht weniger blutig und grausam als die anderer
Kontinente und Länder, reicht in graue Vorzeit zurück. Die dort
entstandene Indus- oder Harappakultur war eine Hochkultur vom 4.
Jahrtausend bis zur Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., vor allem im
Industal, im Pandschab und bis nach Afghanistan angesiedelt. Etwa zu
der Zeit, als ihre Blüte zu Ende ging, wanderten die Arier, die sich
selbst als Aryer, »Edle«, bezeichneten, mit Pferden und Streitwägen
durch das Pandschab nach Indien ein und eroberten zunächst Nordindien,
bis sie zwischen 900 und 600 v. Chr. auch die Ganges-Ebene erreichten.
Lange dauerte es, bis sie sesshaft wurden und Ackerbau betrieben. Ihre
religiösen Vorstellungen waren die der Veden, daher nennt man diese
Epoche der indischen Geschichte auch das vedische Zeitalter. Um 1000 v.
Chr. wird zum ersten Mal das Kastenwesen erwähnt. Später kamen
Buddhismus, Dschainismus und andere Religionen zum ursprünglichen
»Hinduismus« dazu. Schon um 500 v. Chr. entstanden die ersten großen
Reiche auf indischem Boden. Beinahe ganz Indien und einen Teil von
Afghanistan umfasste bereits das Maurya-Reich, das seine größte
Machtentfaltung unter König Aschoka (gest. 232 v. Chr.) erreichte, der
seit 273 oder 269/268 v. Chr. regierte. Nach einem blutigen Beginn
seiner Herrschaft wurde er zum Friedensfürsten, dem ersten bedeutenden
gewaltfreien Regenten der Geschichte, dem es ein großes Anliegen war,
sein Volk moralisch empor zu heben und darüber hinaus den Buddhismus zu
verbreiten. Warum ihm die Geschichte nicht den Titel »der Große«
zuerkannt hat, bleibt ihr Geheimnis. Auch das Maurya-Reich hielt sich
nicht, ebenso wenig wie das Großreich der Kushana, das um 50 n. Chr.
entstand, von Zentralasien bis Benares reichte und im 3. oder 4.
Jahrhundert endete, oder das Gupta-Reich mit seiner Hochblüte der
Sanskrit-Literatur, das um 350 n. Chr. ganz Nordindien umfasste – es
erlag um 500 den einrückenden Hunnen. Danach bildeten sich viele
Teilfürstentümer, die sich gegenseitig bekämpften; zwischenzeitlich
entwickelten sich auch wieder einmal größere Reiche in Nordindien wie
das Gurjara-Pratihara-Reich, das dem sich ausbreitenden Islam lange
Widerstand entgegensetzte, bis es um 1000 unterging; aber erst unter
dem Islam kam es wieder zur Ausbildung von bedeutenderen Einheiten.
Nicht vor 1192 gelang es jedoch trotz bereits früher erfolgter
arabischer Vorstöße Mohammed von Ghor (1173 – 1206), Indien dauerhaft
zu besetzen. In Delhi wurde ein Statthalter eingesetzt, der dann 1206
ein Sultanat begründete. Dieses hielt sich bis zum Eindringen Timurs,
der 1398 Delhi plündern ließ. Es musste aber noch einmal ein halbes
Jahrhundert vergehen, bis es Lodi (1451 – 1526) vermochte, von Delhi
aus wieder eine feste Herrschaft in Nordindien zu gründen. In der
Schlacht von Panipat 1526 gelang es dem Timuriden Babur (1483–1530),
den Sultan zu besiegen; damit wurde er zum Gründer eines neuen Reiches,
des Mogul-Reiches. Dieses schloss er allerdings nur lose zusammen, so
dass es sein Sohn Humayun (1508–1556) abermals hätte erobern müssen,
was ihm aber nicht gelang. Nun schlug die Stunde von Akbar.
Als Akbar im Oktober oder November 1542 in
Umarkot in Sind/Indien geboren wurde, befand sich sein Vater, ein relativ
schwacher Herrscher, gerade auf der Flucht vor dem afghanischen Heer unter Scher
Schah, der ihn besiegt hatte. Er war gerade 14, als er nach dem Tode seines
Vaters 1556 auf den Thron berufen wurde. Das geschah etwa ein Jahr, nachdem
Humayun mit Hilfe seines Schutzherrn, des Schahs von Persien, nach Indien
zurückgekehrt war und wieder von einem kleinen Teil seines ursprünglichen
Herrschaftsgebietes Besitz ergreifen konnte – er regierte nur im einem Teil des
Pandschab und im Gebiet um Delhi. In den nächsten zwei Jahrzehnten gelang es
dann Akbar, so jung er auch noch war, durch hervorragende Feldzüge nicht nur die
verlorenen Gebiete wieder zurück zu erobern, sondern auch das Reich auf ganz
Nordindien auszudehnen und einen Teil von Dekkan dazu zu gewinnen sowie die
nordwestliche Grenze bis nach Kabul und Kandahar zu verschieben, d. h. seine
Herrschaft umfasste Nordindien, das östliche Afghanistan und einen Teil von
Dekkan. Immer stellte er sich selbst an die Spitze seiner Truppen.
Akbar
organisierte eine exzellente Verwaltung des Landes. Das Finanzwesen und das
Steuersystem wurden von ihm neu geordnet. Auf seiner Strukturierung und
Vermessung des Landes hinsichtlich seiner Größe und der erzielten Einkünfte –
mit seiner Methode stand er ganz auf der Höhe seiner Zeit – basierten die
späteren Daten der Briten, als diese in Indien ihre Herrschaft errichteten.
Seine größte Leistung – er regierte als absoluter Herrscher und war auch
oberster Richter – aber bestand darin, dass er – seiner Zeit weit voraus – um
weltliche und religiöse Toleranz bemüht war. Er versöhnte seine
Hindu-Untertanen, indem er die verhasste Kopfsteuer für Nichtmuslime, die
Dschesija, abschaffte und Hindus Zugang zu hohen Staats- und Militär-Posten
gewährte; zudem heiratete er Töchter hinduistischer Fürsten und machte sich
diese dadurch geneigt. Gelehrte Repräsentanten der einzelnen Religionen lud er
zu Diskussionen ein, um von ihnen zu lernen. Zunächst praktizierte er sogar das
eine oder andere Gebot aus diesen Glaubensvorstellungen, trug unter seiner
Kleidung das heilige Hemd der Zoroaster-Anhänger, gab wegen des Dschainismus das
Jagen auf, zeigte sich eine Zeit lang mit religiösen Hinduzeichen auf der Stirn,
was vor allem die Muslime empörte, und ließ einen seiner Söhne von Jesuiten
erziehen. Er heiratete Frauen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen und
verpflichtete die Religionen zu einer Zeit zu gegenseitigem Frieden und
Toleranz, als sich in Europa die Anhänger der verschiedenen Religionen
gegenseitig abschlachteten. Schließlich versuchte er die Stiftung einer neuen
Religion, die »Din-i-Ilahi«, die »göttliche Religion«, genannt wurde und die
Elemente aus allen ihm bekannten Religionen, also der hinduistischen,
islamischen, christlichen und parsischen, enthalten sollte. Ziel war die
Aussöhnung der vielen teilweise verfeindeten und zerstrittenen Völker seines
Reiches; die Mehrheit seiner Untertanen war nichtislamisch, aber deren Loyalität
wollte er sich ebenfalls vergewissern. Ein Hintergrund für Akbars Bestrebungen
auf religiösem Gebiet ist wohl auch in seiner Verwurzelung im Sufismus, der
muslimischen Mystik, zu suchen. Die Überlegenheit des Menschen beruhe auf dem
Juwel der Vernunft, soll er andererseits gesagt haben, und er zog das
wissenschaftliche allem anderen Denken vor. Natürlich war der neuen Religion
kein Erfolg beschieden, aber Akbar trug damit zur Einheit des Volkes bei, wenn
er sich auch viele Muslime wegen seiner Abkehr vom Islam zum Feinde machte.
Ursprünglich scheint er wohl nicht besonders gebildet gewesen zu sein; er lehnte
es ab, lesen und schreiben zu lernen und widmete sich als Jugendlicher ganz dem
Sport, dem Reiten, Kämpfen, der Dressur von Elefanten und der Tigerjagd. Aber er
besaß einen unersättlichen Wissensdurst und verfügte über die seltene Gabe,
durch Zuhören mehr zu lernen als andere durch Lesen, wobei ihm sein
hervorragendes Gedächtnis half. Dass er Handel, Wissenschaft und Künste förderte
– die indische Musik, Malerei und Poesie erlebten eine ihrer glanzvollsten
Epochen, indische Meisterwerke der Literatur, Wissenschaft und Geschichte ließ
er ins Persische, die Hofsprache, übersetzen, und architektonische Bauten von
großer Pracht entstanden -, verstand sich von selbst. So fand er auch Zeit, eine
Bibliothek aufzubauen, die 24.000 Bände umfasste. Er verbot auch die Kinderehe
und die erzwungene Witwenverbrennung – Witwen durften wieder heiraten, und am
Ende seiner Regierung war sein Gesetzeswerk »wahrscheinlich der aufgeklärteste
Gesetzeskörper einer Regierung des 16. Jahrhunderts« (Durant). Persönlich war er
kein besonders schöner Mensch, hatte wohl einen schiefen Kopf, mongoloide Augen
und eine Warze auf der Nase, aber seine Würde, Gelassenheit und Sauberkeit, vor
allem aber seine strahlenden Augen – wie »das Meer im Sonnenschein« sollen sie
gemäß seinen Zeitgenossen geleuchtet haben – machten ihn zu einer ansehnlichen
Gestalt.
Die letzten Lebensjahre wurden Akbar dadurch verleidet, dass sein
ältester Sohn Selim gegen ihn rebellierte, wohl auch in Opposition zu Akbars
Abkehr vom Islam und Verkündung einer neuen Religion. Zwar versöhnten sich Vater
und Sohn wieder, aber Akbar starb bald danach, vielleicht an gebrochenem Herzen,
vielleicht an der Ruhr, vielleicht an seines Sohnes Gift, in Agra am 17. Oktober
1605, ziemlich einsam für einen derart erfolgeichen und humanen Herrscher,
während um sein Erbe schon gestritten wurde. Sein Grabmal befindet sich in
Sikandra bei Agra. Er hinterließ ein blühendes Land und konnte sich der
Zuneigung und des guten Willens der meisten seiner Untertanen sicher sein. Hören
wir noch einmal die Encyclopedia Americana; danach wird er als der größte
Herrscher angesehen, der der muslimischen Dynastie in Indien entspross, und als
eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts überhaupt. Aber
auch sein Reich hatte nicht lange Bestand. Seine Nachfolger gewannen zwar die
Sultanate im Dekkan dazu, aber das Riesenreich verlor dadurch auch an Stabilität
und zerfiel in einen lockeren Staatenbund, nachdem der persische Schah Nadir
(geb. 1668; reg. 1736–1747 (ermordet)) 1739 Delhi erobert hatte. 1858 wurde
der letzte Mogulkaiser durch die Briten abgesetzt. Akbar hatte es trotz aller
Bemühungen nicht geschafft, eine Artillerie wie die in Europa übliche zu
erhalten, und so war die waffentechnische Überlegenheit der Engländer kein
Wunder. Dass Indien später britisches Vizekönigreich wurde, bis es 1947
unabhängig wurde, ist ein weiterer Teil seiner unruhigen Geschichte, in der
Akbars Regentschaft – wie die Aschokas – einen seltenen Höhepunkt bedeutet
hatte. Die Inder waren es, die ihren Kaiser Akbar, den »Überaus Großen« betitelt
haben. Er war sein Schicksal, wie ein Historiker – Durant – schrieb, »einer der
weisesten, humansten und gesittetsten Könige der Geschichte zu werden«, und das
zu einer Zeit, da in Europa immer wieder das Chaos Oberhand über die Ordnung
gewann.
2. Europa zwischen Ordnung und Chaos
Wie schon
dargestellt, war Europa am Ende des Mittelalters und mit der Neuzeit ein
Sammelsurium von Einzelstaaten geworden, sowohl mächtigen Gebilden wie
Frankreich, England, Russland, Schweden, Habsburg, Spanien, Portugal, die
Niederlande oder mit Verspätung Preußen, als auch von Kleinstfürstentümern, wie
sie das damals immer noch existierende Heilige Römische Reich Deutscher Nation
zu bieten hatte. Krieg und Frieden lösten einander ab; kaum etwas zu Ruhe und
Ordnung gekommen, versank Europa in bestimmten Teilen schon wieder im Chaos. War
es hier ein Krieg um die Ausdehnung der Macht, war es dort einer, die
Machtansprüche zurückzuweisen, oder ein »Erbfolgekrieg«. Von zivilisierter Welt
konnte nur die Rede sein, wo der Krieg nicht oder nur wenig hinreichte, und doch
entwickelte sich Europa kulturell und wirtschaftlich immer weiter, in Anbetracht
des verbreiteten Grauens ein Wunder. Wohl lag es mit daran, dass Kriege im
Allgemeinen territorial begrenzt waren und das »Volk« in der Regel noch außen
vor und häufig verschont blieb. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges allerdings,
mit dem Westfälischen Frieden 1648, nach einem grauenvollen Krieg, der sich von
einem Religionskrieg zu einem europäischen Machtkampf auf deutschem Boden
entwickelt hatte, mit dem gewaltigen Bevölkerungsverlust und der
wirtschaftlichen Verelendung der deutschen Lande im Gefolge, gab es in
Deutschland fast 300 landeshoheitliche Einzelstaaten, die sich aber alle von
höchster Wichtigkeit wähnten und meinten, sich daran erfreuen zu müssen, auch
wenn sie im Geplänkel der großen Mächte nur eine untergeordnete Rolle spielten.
Einige wie Weimar wurden in der Tat sehr bedeutend. Auch im sonstigen Europa
fühlten sich noch etliche Kleinstaaten und vor allem ihre Herrscher als ungemein
wichtig. Aber ein paar dieser selbstständigen Territorialstaaten hatten sogar
noch »Große« zu bieten.
Streiter um Macht und Fortschritt:
Edzard, Karl, Karl Ferdinand und Maximilian die Großen
Ursprünglich Häuptlings-, später
Fürstengeschlecht in Ostfriesland von Bedeutung war das Geschlecht Cirksena, das
aus der Stadt Norden stammte und von Greetsil bei Emden aus seine Herrschaft
ausübte. In den Blickpunkt der Geschichte trat es mit Edzard Cirksena, der den
friesischen Freiheitsbund gegen Versuche aus allen Richtungen, Ostfriesland zu
unterwerfen, anführte und 1441 starb. 1464 wurde Ostfriesland geeint, und nun
erhielt Edzards Bruder Ulrich das Land als Reichsgrafschaft zu Lehen. Am 15.
oder 16. Januar 1462 wurde ein weiterer Edzard in Greetsil geboren, Edzard I.,
der unter den Herrschern von Ostfriesland der bedeutendste war. Er kam 1491 oder
1492 nach einer Pilgerfahrt nach Jerusalem an die Macht, und seine
Regierungszeit war geprägt von vielen Auseinandersetzungen mit Gegnern. Vor
allem der Krieg mit Sachsen, das Anspruch auf Ostfriesland erhob, die
»sächsische Fehde« 1514 bis 1518, war zermürbend, aber Edzard gelang es,
Ostfriesland erfolgreich als selbstständige Einheit zu bewahren. Um den
ungeteilten Bestand der Reichsgrafschaft zu sichern, führte er 1512 die
Primogenitur in seinem Lande ein, also die Nachfolgeregelung nach dem
Erstgeborenenrecht. Andere Kämpfe gab es um die Stadt Groningen, die ihn als
Herrn und Beschützer akzeptierte, aber nach acht Jahren verzichtete er 1514
darauf. Zwar förderte Edzard in seinem Lande die Reformation, aber allgemein
erwies er sich in Glaubensfragen als tolerant. Dies und seine moderne
Verwaltungspolitik – unter anderem erließ er neue Gesetze und reformierte die
Münzprägung – trugen ihm beim Volk den Titel »der Große« ein, und so findet man
ihn auch noch heute in den Enzyklopädien. Er starb am 14. oder 15. Februar 1528
in Emden. Unter einem seiner Nachfolger, Edzard II. (1533 – 1599), der durch
seine Heirat mit Katharina, einer Tochter König Gustavs I. Eriksson Wasa von
Schweden (geb. 1496 oder 1497; reg. 1523–60), das Ansehen seines Geschlechts
beträchtlich hob, brachen 1595 Kämpfe mit den ostfriesischen Ständen aus, die
sogenannte »Emder Revolution«, und von da ab war eine aktive Außenpolitik
Ostfrieslands unmöglich. 1654 starb das Fürstengeschlecht Cirksena aus, und 1744
fiel Ostfriesland an Preußen.
Weiter
im Südwesten, in Lothringen, machte ebenfalls ein »Großer« von sich
reden, Karl III. Das alte Lotharingen war schon 945 in zwei Teile,
Ober- und Unter-Lothringen geteilt worden. Aus Unter-Lothringen wurde
nach langer Geschichte und wechselnden Besitzern Belgien und ein Teil
der Niederlande, Ober-Lothringen konnte bis 1736 von eigenen Fürsten
regiert werden. Karl III. wurde am 18. Februar 1543 in Nancy geboren
und folgte nominell 1545 seinem Vater nach dessen Tode nach, de facto
natürlich erst 1559 mit dem Erreichen der Volljährigkeit. Seine Mutter
Christina, die eine Prinzessin aus Dänemark war und für ihren noch
unmündigen Sohn die Herrschaft führte, schaffte es, sich gegenüber dem
französischen Königshaus zu behaupten, vor allem durch ihre
spanienfreundliche Politik, aber im März 1552 ließ der französische
König Heinrich II. (geb. 1519; reg. 1547–59), Lothringen und die
Bistümer Metz, Toul und Verdun besetzen. Heinrich II., der übrigens mit
Katharina von Medici (1519–1589) verheiratet war und dem es während
seiner Herrschaft gelang, die französische Königsmacht zu festigen,
stand im Bunde mit den deutschen Protestanten (Vertrag von Chambord)
und führte von daher Krieg gegen Kaiser Karl V. Den damals neunjährigen
Karl ließ Heinrich an den französischen Königshof bringen; Regent in
Lothringen von Heinrichs Gnaden wurde Nicolas de Lorraine-Mercœur. Aber
das Schicksal meinte es gut mit Karl. Er durfte im Januar 1559 Claudia
von Valois, die Tochter Heinrichs II., ehelichen, die ihm neun Kinder
gebar – eines, die Tochter Elisabeth (1574–1636), heiratete den
Kurfürsten von Bayern Maximilian I. (geb. 1573; reg. 1597–1651), der im
Dreißigjährigen Krieg u. a. als Haupt der Katholischen Liga Furore
machte. Anlässlich der Hochzeit erhielt Karl auch Lothringen zurück, wo
er bis zu seinem Tode am 14. Mai 1608 in Nancy als Karl III. regierte.
Seine Leistungen begründeten später seinen Beinamen »der Große«. Er
förderte Kunst und Wissenschaft; so gründete er die Universität
Pont-à-Mousson. Ferner reformierte er das Finanz- und Justizwesen und
förderte die Wirtschaft – in seiner Zeit machte Lothringen bedeutende
Fortschritte auf allen Gebieten, die territorialen Zugewinne dabei gar
nicht zu zählen. Karl war am französischen Königshaus katholisch
erzogen worden, aber aus den Religionskriegen in Frankreich hielt er
sich lange heraus. Schließlich gab er doch seine Neutralität auf. Ab
1584 unterstützte er die katholische Liga, was dazu führte, dass
protestantische Truppen das Herzogtum verheerten. Diese waren auf dem
Weg, dem späteren König Heinrich IV. (geb. 1553; reg. 1589–1610
(ermordet)) zu Hilfe zu eilen, und Heinrich IV. erklärte Lothringen
1592 den Krieg, aber erst als Heinrich 1593 zum Katholizismus
übergetreten war (»Paris ist eine Messe wert«), schloss Karl ein Jahr
später Frieden; sein Sohn und Nachfolger Heinrich II. (1563 – 1624)
heiratete Katharina von Bourbon, eine Schwester König Heinrichs IV.,
womit die engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich
und Lothringen deutlich wurden. Heinrich IV. legte übrigens den
Grundstein für den absolutistischen französischen Staat und wurde als
Idealherrscher in der Literatur verehrt. Manche sind heute der Ansicht,
er hätte den Titel »der Große« verdient gehabt. Lothringen jedenfalls,
dessen Herzog Karl V. Leopold (1643–1690) als österreichischer
Feldmarschall 1683 zu den Siegern über die Türken vor Wien gehörte, kam
1736 als Entschädigung an den Exkönig von Polen Stanislaus I. ( geb.
1677; reg. 1704–09 und 1733–1736, gest. 1766), der sich im Polnischen
Erbfolgekrieg nicht hatte durchsetzen können. Nach seinem Tod verleibte
Frankreich sich Lothringen ein, wo es, mit dem Zwischenspiel des Elsass
in deutschen Händen von 1871, dem deutschen Sieg über Frankreich, bis
1919, dem Vertrag von Versailles, auch blieb.
Savoyen ist uns in unserer
Geschichte der »Großen« bereits begegnet. Es wurde erwähnt, dass das
Land seit 1032/43 zum Heiligen Römischen Reich gehörte. Die Grafen, die
1416 zu Herzögen erhoben wurden, erkoren das oberitalienische Piemont
zu ihrem Kernland. Einer der bedeutenderen Vertreter dieser Herrscher
war Karl Emanuel I. der Große. Er wurde in Rivoli am 12. Januar 1562
als Sohn Emanuel Philiberts und Margarete (1523–74), der Tochter des
französischen Königs Franz I., der uns im Zusammenhang mit der
Ausbreitung des Osmanischen Reiches begegnet ist, aus dem französischen
Königsgeschlecht der Valois geboren. Als Herzog – seit 1580 – versuchte
er wiederholt, Genf zu erobern, wenn auch immer ohne Erfolg. 1588
besetzte er auch die französische Markgrafschaft Saluzzo. Der eben
genannte französische König Heinrich IV. überließ ihm das Gebiet im
Vertrag von Lyon 1601; dafür musste Karl Emanuel allerdings andere
Gebiete an Frankreich abtreten. Karl Emanuel ging sogar so weit, 1619
die Königs- bzw. Kaiserkrone anzustreben, er bewarb sich regelrecht um
die Krone, hatte aber natürlich keine Chance; vielleicht wäre die
Geschichte unter ihm auch anders verlaufen; denn Kaiser wurde Ferdinand
II. (geb. 1578; König 1619 (vorher schon in Böhmen und Ungarn); Kaiser
1619; gest. 1637), zu dessen ersten Maßnahmen die rigorose und brutale
Unterdrückung des Protestantismus gehörte und unter dem das Reich in
den Dreißigjährigen Krieg schlitterte. Aber auch Karl Emanuel war
kriegerisch; von 1623 bis 26 beteiligte er sich auf französischer Seite
am Krieg um das Veltlin. Ansonsten hat er sich um Savoyen und Sardinien
verdient gemacht. Er starb am 26. Juli 1630 in Savigliano bei Turin. Da
war der Dreißigjährige Krieg bereits in vollem Gang. Seit 1720 stellten
die Herzöge von Savoyen dann die Könige von Sardinien – im Tausch gegen
Sizilien, das Savoyen erst 1713 erhalten hatte, kam Sardinien an
Savoyen. 1796 bis 1814 gehörte Savoyen zu Frankreich, an das es 1860
endgültig fiel. Seit 1861 stellte das Haus Savoyen aber immerhin die
Könige von Italien. So ein relativ »kleines« Haus – und doch zwei
»Große« in der Geschichte … Aber andererseits: Wer hätte dies von den
Ostfriesen vermutet? Aber das ist kein Witz …
Maximilian I. (1598, Wikipedia)
Auch
Bayern hat einen »Großen der Geschichte« hervorgebracht. Er wird zwar nicht
allgemein so genannt, aber in der Encyclopedia Americana,
die bei der Vergabe des Titels, wie wir schon mehrfach bemerkt haben,
etwas großzügiger ist, als in Deutschland üblich, finden wir das
Stichwort ›MAXIMILIAN I (called THE GREAT)‹. Diese Bezeichnung erfolgte
natürlich nicht ohne Grund. Der spätere Herzog und Kurfürst von Bayern
kam am 17. April 1573 in München zur Welt. Im Alter von 24 Jahren wurde
er nach der Abdankung seines Vaters Herzog. Von den Jesuiten
ausgebildet, gehörte er zu den entschiedenen Gegnern der Reformation
und entwickelte sich zum Vorkämpfer der Gegenreformation. Als sich 1608
eine Anzahl protestantischer Reichsstände zu einem Bund, der ‚Union‘,
zusammenschloss, gründete Maximilian als rivalisierenden Bund die
Katholische Liga, der sich alle wichtigen katholischen Stände
Süddeutschlands anschlossen. Die Protestanten waren damals heillos
zerstritten, so dass viele bedeutende protestantische Länder der Union
nicht beitraten. So blieb z. B. der Kurfürst von Sachsen neutral. Zwei
feindliche Lager standen sich von nun ab gegenüber. Ein geringer Anlass
würde genügen, zwischen Protestanten und Katholiken einen Krieg
auszulösen. Und der ergab sich bald. Es ist in diesem Rahmen nicht
möglich, näher auf den Dreißigjährigen Krieg einzugehen, der 1618
ausbrach. Maximilian war an ihm maßgeblich beteiligt. Nachdem er mit
der Union einen Vertrag über deren Neutralität geschlossen hatte,
führte er Kaiser Ferdinand II., den wir eben im Zusammenhang mit Karl
Emanuel dem Großen erwähnt haben, die Katholische Liga zur
Unterstützung zu. In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620
besiegten seine Truppen, befehligt von dem Grafen Johann T. von Tilly
(1559–1632), der aus Brabant stammte, den pfälzischen Kurfürsten und
König von Böhmen Friedrich V. (1596–1632). Im Vorfeld der Wahl
Friedrichs zum König von Böhmen 1619 war dieser übrigens von dem
antihabsburgisch eingestellten Karl Emanuel in Böhmen mit einem Heer
gegen den habsburgischen Kaiser unterstützt worden, der vorher schon
Truppen nach Böhmen entsandt hatte; das Heer Karl Emanuels nahm u.a.
Pilsen ein und ebnete damit Friedrich V. den Weg. Nach der Schlacht am
Weißen Berg musste Friedrich, als ‚Winterkönig‘ verspottet und von
Kaiser Ferdinand geächtet, allerdings nach Holland ins Exil fliehen.
Tilly eroberte und verwüstete daraufhin die Pfalz, und Kaiser Ferdinand
übertrug die Kurfürstenwürde 1623 von der Pfalz auf Bayern. Damit wurde
Bayern Kurfürstentum, Maximilian Kurfürst. Auch die Pfalz wurde
bayerisch. Als nächstes brachte sich Maximilian in den Besitz der
Oberpfalz, gab aber dem Kaiser Oberösterreich zurück. Im Zusammenhang
mit den Rivalitäten zwischen den Heerführern, zu denen der Krieg
unweigerlich führte, gelang es Maximilian 1630 zu erreichen, dass der
berühmte Herzog von Friedland und Mecklenburg Albrecht von Wallenstein
(1583–1634), obwohl im Krieg so erfolgreich, vom Kaiser entlassen
wurde. Ferdinand hatte Wallensteins Heer als Gegengewicht zu den Bayern
gebraucht, auf die er nicht allein angewiesen sein wollte, aber
Maximilian war nicht geneigt, einen mächtigen Nebenbuhler und einen
übermächtigen Kaiser zu dulden. Zwei Jahre später hatten sich
allerdings die Zeiten wiederum gewandelt: Die Schweden hatten mit
französischer Hilfe München erobert, Wallenstein wurde erneut berufen,
und Maximilian brauchte dessen Unterstützung gegen die Schweden und
Franzosen. Nach langen Jahren des Krieges schloss Maximilian mit den
Schweden und Franzosen 1647 einen Waffenstillstand, der aber von diesen
schon bald gebrochen wurde; erneut kamen die bayerischen Truppen in
Bedrängnis. Erst der Westfälische Friede 1648 beendete den
Dreißigjährigen Krieg; er wurde im Oktober 1648 auch in München
unterzeichnet. Maximilian ‚der Große‘ wurde als Kurfürst bestätigt, die
Würde in seiner Familie erblich. Später bekam aber auch die Pfalz
erneut die Kurwürde. Maximilian starb am 27. September 1651 in
Ingolstadt. Zweifellos war er eine herausragende Herrschergestalt, die
nicht nur Bayern, sondern auch die deutsche Geschichte in den Wirren
des Dreißigjährigen Krieges stark mit geprägt hat. Aber ob es zu ihrem
Vorteil war, das bleibe doch dahin gestellt.
Der Sonnenkönig: Ludwig der Große
In
Deutschland firmiert er nur als Ludwig XIV., der »Sonnenkönig«. Als
Ludwig der Große ist er hierzulande nicht bekannt. Und doch: Er trägt
den Titel Le Grand, der Große, the Great, auch als Le Grand Monarch,
the Great Monarch, der Große Monarch wird er bezeichnet. Warum sich der
Titel »der Große« bei uns nicht eingebürgert hat, ist eine Frage der
geschichtlichen Entwicklung; vielleicht klang die Ehrenbezeichnung
»Sonnenkönig«, the Sun King, Le Roi Soleil, einfach nach mehr.
Geboren wurde der »Sonnenkönig« am 5. September 1638 in
Saint-Germain-en-Laye als Sohn König Ludwig XIII. (geb. 1601; reg.
1610–43), dem Sohn Heinrichs IV., der uns eben schon begegnet ist. Mit
diesem hatte sich der Absolutismus in Frankreich durchgesetzt, der dann
unter Ludwig XIV. zur Hochform auflief. Bis 1661 stand letzterer unter
der Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich (1601–1666).
Ähnlich wie während der Regierungszeit seines Vaters ein Kardinal die
Regierung bstimmte, nämlich Herzog Armand-Jean du Plessis Richelieu
(1585–1642), so unter ihm selbst bzw. seiner Mutter seit 1643 der
Herzog und Kardinal Jules Mazarin (1602 – 1661), der – wie schon
Richelieu – der eigentliche Herr in Frankreich und enger Vertrauter des
Königs war. Als Mazarin starb, übernahm Ludwig selbst die Führung des
Staaates. Das Parlament verlor alle Macht, der Adel wurde an den Hof
gezogen, aber nur, um ihn von dort aus einzubinden und zu kontrollieren
(zu was war er da noch nütze, außer für die Kriegsführung? – die
Verwaltung seiner Güter war anderen überlassen), kurzum der
Absolutismus erhielt seine vollendetste Ausführung. Dies alles geschah
zu einer Zeit, als sich Frankreichs Staatssäckel dank der Politik von
Finanzminister Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay (1619–1683),
stetig füllten. Colbert war wohl der bedeutendste Vertreter des
Merkantilismus, in Frankreich sogar Colbertismus genannt, ein Begriff,
der die dirigistische Wirtschaftspolitik der absolutistischen Staaten
umschreibt: Die gewerbliche Wirtschaft wurde stark gefördert, freilich
auf Kosten der Landwirtschaft; die Infrastruktur wurde ausgebaut, ein
einheitliches Zoll- und Marktgebiet geschaffen; dazu kamen eine
Steuerreform, bestimmte Ausfuhrverbote und Produktionsvorschriften.
Colbert fasste die Wirtschaftskräfte zentralistisch zusammen und
steigerte sie im Lauf der Zeit gnz im Sinne einer Planwirtschaft. Nicht
nur die Industrie wurde gefördert, sondern auch der Bau von Straßen und
Kanälen und das Kolonialwesen, letzteres u. a. durch den Ausbau der
Flotte. Durch diese interventionistische Politik wurden Wirtschafts-
und Finanzkraft des französischen Staates anfänglich sehr gestärkt,
aber die Vernachlässigung der Landwirtschaft riefen auf Dauer hier und
im Volk starke Unruhe und Unzufriedenheit hervor. Ähnlich sorgte auch
seine zentralistische Innenpolitik für Spannungen. Ludwigs Motto war:
»ein König, ein Glauben, ein Gesetz!« Ludwig schaltete die
protestantische Opposition aus, indem er das Edikt von Nantes von 1598,
das – von Heinrich IV. erlassen – den Hugenotten, wie die französischen
Protestanten bezeichnet wurden, freie Religionsausübung und
Sonderrechte zugestanden hatte, endgültig aufhob. Die katholische
Kirche andererseits benutzte er für seine Machtpolitik, beschränkte sie
aber ganz auf den geistlichen Bereich. Auch konnte sich Colbert mit
seiner Reform der Steuerpolitik nicht durchsetzen; die Kriegspolitik
Ludwigs beruhte zwar auf der Steigerung der Staatseinkünfte, letztere
ermöglichte die zahllosen Kriege, die Ludwig führte, und auch dessen
unglaublich verschwenderische Hofhaltung, aber am Ende stand der
Staatsbankrott. Bis Ludwig gewissermaßen vom Kriegsdämon besessen
wurde, zeigte er sich dem Volk im Großen und Ganzen durchaus als
freundlicher und menschlicher Herrscher. Aber all das änderte sich Ende
der sechziger Jahre. Bei den von Ludwig vom Zaune gebrochenen Kriegen
denken wir zunächst an den Devolutionskrieg (1667/68) und den
Holländischen Krieg (1672–79), beides Eroberungskriege gegen die
Vereinigten Niederlande, die mit dem Gewinn einer Reihe von Gebieten
endeten. Der Pfälzische und der Spanische Erbfolgekrieg (1688–1697 bzw.
1701–1714) führten zwar ebenfalls zu Gebietszuwächsen, waren aber am
Ende nur dazu angetan, Europa zu zermürben; auf Einzelheiten können wir
hier verzichten. Stets fanden sich in Europa Koalitionen gegen
Frankreich, dessen Hegemoniebestrebungen entgegen getreten wurde. So
erreichte zwar Frankreich unter Ludwig dem Großen die politische und,
was fast noch mehr wog, die kulturelle Vorherrschaft in Europa – alle
Fürsten, besonders die deutschen, versuchten sich im Absolutismus und
in der Nacheiferung der Pracht von Versailles – aber militärisch waren
ihm Grenzen gesetzt, und am Ende stand der wirtschaftliche Niedergang.
Als Ludwig die Freiheiten der Hugenotten rigoros beschnitt, verließen
200.000 von ihnen Frankreich, auch das mit ein Grund für den
unaufhaltsamen Bankrott, der am Ende auch zu einer Ursache für die
Französische Revolution wurde. Rund drei Milliarden Livres Schulden
soll der Staat bei seinem Tod gehabt haben. Ludwig XIV. starb am 1.
September 1715 in Versailles. Verheiratet war er seit 1660 mit Maria
Theresia, der Tochter König Philipps IV. von Spanien (geb. 1605; reg.
1621–1665); als diese 1683 starb, ehelichte er im Geheimen Franςoise
d’Aubigné, Marquise de Maintenon (1635–1719), kurz die »Maintenon«, die
seit 1669 seine Kinder erzogen und seine Gunst erlangt hatte. Mätressen
hatte Ludwig daneben genügend.
Nun, was ist vom
Sonnenkönig geblieben? Zum Beispiel Versailles als Zeichen seiner Prunksucht,
aber auch als Zeichen von Kunst und Kultur, das bis heute Bewunderung abnötigt.
Man hat die enormen Kosten beredet, aber nach Einschätzung verschiedener
Historiker sind die 75 Millionen Livres, die der Bau verschlungen hat, verteilt
auf die Jahre 1661 bis 1682, als das Schloss bezogen werden konnte – und der
Spiegelsaal wurde noch später erst fertig – noch als relativ nicht zu hoch
anzusehen. Immerhin wandte aber der Hof in dieser Zeit für sich 12 bis 14 % der
Staatsausgaben auf. Dass Ludwig die Rechnungen für Versailles vernichtet haben
soll, da auch in seinen Augen zu hoch, ist ein modernes (oder auch altes)
Märchen. Ludwig förderte Kunst und Literatur in verschwenderischem Ausmaß, weil
ihm daran gelegen war, Frankreich auch darin groß zu machen. Und Versailles
blieb Vorbild für Generationen von Fürsten, Symbol auch für die absolute
Herrschaft der Monarchen. »L’etat c’est moi! » – « Der Staat bin ich »
– dieser
Ausspruch, den man Ludwig zuschrieb, charakterisierte den Absolutismus. Aber
auch dieses Zitat ist nicht gesichert; ob es Ludwig je äußerte, ist ungewiss;
schon gar nicht hat er es, wie behauptet, anlässlich einer Parlamentssitzung am
3. April 1655 von sich gegeben. Dass Parlament und Adel unter ihm nichts zu
sagen hatten, ist davon unberührt.
Persönliche Schicksalsschläge setzten dem
König zu: Sein einziger legitimer Sohn starb schon 1711; er verlor auch seinen
Enkel und seine Enkelin und ihren Sohn und andere mögliche Thronerben. Sein
Urenkel wurde als Ludwig XV. (geb. 1710; reg. 1715–1774) schließlich sein
Nachfolger. Sicher war Ludwig XIV. nicht das Ungeheuer, zu dem er von manchen
Historikern gestempelt wurde, und seine Armeen haben nicht mehr Grausamkeiten
verübt als die der anderen europäischen Mächte. Als die Macht Frankreichs zu
wachsen begann, zog das Volk mit; als Ludwig tot war, kam die Stunde der
Abrechnung. Die Bevölkerung war durch die Kriege so reduziert worden, dass
Eltern mit zehn Kindern eine staatliche Belohnung erhielten. Das Volk war durch
die hohen Steuern ausgeblutet, die Wirtschaft lag danieder; die Last, die
Ludwigs Nachfolger zu tragen hatten, war zu schwer für sie, und die Französische
Revolution und die Herrschaft Napoleons waren die späten Folgen. Der große
deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) meinte, in Ludwig habe
die Natur ein vollkommenes Beispiel des monarchischen Typus hervorgebracht und
sich dabei erschöpft und die Form gesprengt. Der schon mehrfach zitierte, da
abgewogene Urteile fällende Historiker Durant formulierte: »Er unternahm
verheerende Kriege, befriedigte seinen Stolz ausgiebig mit Bauten und Luxus,
unterdrückte die Philosophie und zog sein Volk bis zur Verelendung aus; aber er
gab Frankreich eine geordnete Regierung, die nationale Einheit und eine
glanzvolle Kultur, die ihm die unbestrittene Führung in der westlichen Welt
sicherte. Er war das Haupt und das Symbol der besten Zeit seines Landes, und
Frankreich, das vom Ruhme lebt, hat ihm verziehen, daß er es beinahe zugrunde
richtete, um es groß zu machen.« Der spätere französische Kaiser Napoleon (geb.
1769; reg. 1804–1814/15; gest. 1821) bezeichnete ihn – vielleicht als erster
– als »großen König«. »Er war es, der Frankreich in die erste Reihe der Nationen
erhob. Welcher französische König seit Karl dem Großen wäre ihm in allen seinen
Aspekten zu vergleichen?«
Kriegerische Reformer: Iwan, Peter und
Katharina die Großen
Russland ist uns in unserer Geschichte schon
mehrfach begegnet. Wir haben gesehen, dass das große und bedeutende Kiewer Reich
infolge von Thronfolgestreitigkeiten bald zerfiel. Nach 1125 entstanden viele
Teilfürstentümer, und so wurde das einstmals blühende Reich im 13. Jahrhundert
relativ schnell Beute der Mongolen. Zwar rafften sich die Fürsten zu einer
gemeinsamen Aktion gegen die Mongolen auf, aber 1223 wurde ihr gemeinsames Heer
an der Kalka vernichtend geschlagen. In den Jahren 1237 bis 1240 eroberten die
Mongolen grausam das gesamte russische Territorium, sieht man von Nowgorod ab,
das jedoch Tributzahlungen zu leisten hatte. Kiew fiel 1240, und viele andere
Städte erlitten ein ähnliches Schicksal. Am Unterlauf der Wolga gründeten die
Mongolen ein eigenes Reich, das Reich der Goldenen Horde mit der Hauptstadt
Sarai. Es herrschte zweihundert Jahre lang über die russischen Fürstentümer und
verlangte ihnen Tribut ab. Diese Zeit war die düsterste Zeit der russischen
Geschichte. Das Land versank in Apathie. An den Folgen hat Russland bis heute zu
leiden.
In der Zeit nach der Eroberung durch die Mongolen wurde das kleine
Teilfürstentum Moskau immer mächtiger, das 1263 der jüngste Sohn
Alexander Newskijs, Daniel Alexandrowitsch (reg. 1263–1303), als
»Leibgedinge« erhalten hatte und immer größer und wohlhabender machte.
Zwischen 1317 und 1325 nahm der Metropolit hier seinen Sitz, was das
Ansehen des Fürstentums erhöhte. Wenig später – 1328 – verlieh der
Mongolenkhan dem Fürsten Iwan I. Kalita (reg. 1328–1340) die Würde des
Großfürsten; er hatte ein gutes Verhältnis zu den Mongolen und zog auch
die Kirche auf seine Seite; und er begann mit der Wiedervereinigung der
Gebiete des alten Kiewer Reiches. Das Ende der Mongolenherrschaft kam
in Sicht, als sie der Großfürst Dmitri Iwanowitsch Donskoi (reg.
1359–89) 1380 in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld zum ersten Mal zu
schlagen vermochte. Über die Kämpfe Litauens um die Tatarengebiete im
Südwesten und Westen des russischen Reiches wurde schon berichtet,
ebenso über die Union von Litauen und Polen und die Konsequenzen für
die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa. Seit dieser Zeit erfolgte die
allmähliche Differenzierung der slawischen Bevölkerung in Großrussen
(Russen), Kleinrussen (Ukrainer) und Weißrussen.
Den
russischen Zentralstaat begründete der Moskauer Großfürst Iwan III., der später
– wohl vor diesem Hintergrund und wegen des neuen Zeitalters auf vielen
Gebieten, das er einläutete – den Titel »der Große« erhielt. Geboren wurde er am
22. Januar 1440 in Moskau und folgte 1462 seinem Vater. Ihm ging es von Anfang
an darum, die Machtstellung und den Führungsanspruch Moskaus zu vergrößern. Von
1471 bis 1478 führte er daher zwei grausame Kriege gegen Nowgorod, das nach wie
vor eine Hauptmacht in Russland darstellte, und es gelang ihm, die Stadt zu
erobern und 1478 in seinen Machtbereich einzugliedern. Dabei ging es sehr blutig
zu. Außerdem riss er die Gebiete und Herrschaftsansprüche seiner drei Brüder
an sich; das geschah 1463, 1474 und 1485. 1489 kam noch Wjatka hinzu.
Zwischendurch legte er sich mit den Mongolen an. Damals gab es mehrere
mongolische Reiche auf russischem Boden: Kasan, Astrachan (Sarai), das Reich auf
der Krim und die Horde der Nogaier. Sie alle bekämpften sich gegenseitig, so
dass es Iwan nicht schwer fiel, das tatarische Joch abzuschütteln. Er zog 1480
mit einem starken Heer gegen Sarai, aber ohne anzugreifen. Monatelang passierte
nichts; untätig stand Heer gegen Heer; dann zogen die Tataren sich zurück. Ein
Sieg? Nun, Iwan stellte die Tributzahlungen ein. Damit beendete er die
Mongolenherrschaft ziemlich unblutig. Einmal noch, 1521, überfielen Mongolen
Moskau und schlossen die Stadt ein, aber zogen sich wegen ihrer eigenen
Zerstrittenheit wieder zruück. Dafür stand im Süden eine neue Macht bereit: das
Osmanische Reich, das 1475 die Krim eroberte – geführt von Mohammed dem Großen;
wir hörten davon. Neben dieser bildete auch das vereinigte Polen-Litauen eine
Gefahr. Zweimal fiel Iwan in Litauen ein, 1492 und 1501, um einen Zugang zum
Meer zu erhalten, aber erst 1503 erreicht er sein Ziel aufgrund eines Vertrages.
Als kalt, berechnend und herzlos ist uns Iwan überliefert, als grausam, der
Todesstrafen in reichem Maße verhängen und seine Gegner martern oder umbringen
ließ; allenthalben war er gefürchtet. Aber einen mäßigenden Einfluss übte seine
zweite Gemahlin auf ihn aus, wenn sie ihn auch in seinen Allmachtsträumen
unterstützte: Sophie (Zoë), die Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, die
interessanterweise am päpstlichen Hof in Rom ihre Ausbildung erhalten hatte. Mit
ihr zog 1472 ein anderer Geist in Moskau und damit in Russland ein. Hatte der
Papst vielleicht gehofft, auf diese Weise Russland für den Katholizismus
gewinnen zu können, so scheint Sophie ihre Ausbildung schnell vergessen zu
haben. Moskau betrachtete sich nun als Erbe von Byzanz und beanspruchte den
Schutz der orthodoxen Christen, die unter islamischer Herrschaft lebten – Iwan
nahm den zweiköpfigen byzantinischen Adler als neues Wappen Russlands auf und
sah in Moskau das »Dritte Rom«. Russlands Ansehen wuchs mit der Steigerung der
Autorität Moskaus, auch im Ausland. Auf einmal bemühten sich westeuropäische
Höfe um ein Bündnis mit dem Großfürsten; Gesandtschaften nicht nur aus Litauen
und Polen, sondern auch aus Rom, Ungarn, Venedig, des deutschen Kaisers, der
Türkei und Persiens machten ihre Aufwartung, und mit Sophie kamen auch wieder
Kunst und Kultur nach Russland, ja, es zog eine neue kulturelle Epoche herauf.
Byzantinische Gelerhte erschienen mit ihren Büchern, die die Basis für Moskaus
spätere reichhaltige Bibliotheken bildeten; Künstler und Gelehrte aus Westeuropa
erzogen Iwans Kinder, bauten ihm Paläste, und Mönche vom Berg Athos übersetzten
griechische Bücher ins Slawische – alle fanden hervorragende Aufnahme an Iwans
Hof. Unabhängig davon ließ Iwan das Kriegswesen auf ganz neue Füße stellen, und
1497 ließ er ein Gesetzbuch ausarbeiten, das das alte russische Gewohnheitsrecht
zusammenfasste und weiter entwickelte. Mit dem Einfluss aus Byzanz entwickelte
sich auch die autokratische Regierungsform in Russland weiter. Der Adel büßte
seine Rolle als Beratungsgremium des Großfürsten ein und wurde Lehensnehmer von
des Großfürsten Gnade. Schließlich teilte er das Reich gemäß seinem letzten
Willen nicht mehr unter seine Kinder, sondern bestimmte einen einzigen
Nachfolger. Damit wurde Moskau stark und mächtig. Iwan starb am 27. Oktober 1505
in Moskau. Schon lange vor Peter dem Großen öffnete Iwan der Große sein Land für
westliche Einflüsse.
Bis Peter der Große an die Macht kam, vergingen
allerdings noch ein paar hundert Jahre. Zum ersten Zaren des russischen Reiches,
von »ganz Russland«, wurde 1547 Iwan IV. der Schreckliche (geb. 1530; Großfürst
1533; Zar 1547 – 1584), der zahlreiche Reformen durchführte und das Reich nach
außen erweiterte und nach innen stärkte, unter anderem durch eine neue
Rechtskodifizierung (1550). Die tatarischen Reiche Kasan und Astrachan wurden
von ihm erobert, und unter ihm begann die Ausdehnung der Russen nach Sibirien.
Nach ihm setzte eine Ära des Verfalls und der Wirren ein. Es kam zu Aufständen
und dem Eingreifen von Polen und Schweden, die sich die Lage zu Nutzen machen
wollten. Ein Krieg und ein Aufstand nach dem anderen lösten sich ab. 1610 fiel
Moskau sogar für zwei Jahre in polnische Hand, und der von dem Donkosaken Stepan
Rasin (ca. 1630–1671 (hingerichtet)) 1670/71 angeführte Bauernaufstand brachte
im ganzen Südosten des Reiches, am Don und an der unteren Wolga, Krieg und
Elend.
1613 wurde Michail Fjodorowitsch (geb. 1596; reg. 1613–1645) zum
Zaren gewählt; er schloss 1617 mit Schweden und 1618 mit Polen Frieden, was aber
sein Land nicht vor weiteren zukünftigen Kriegen und Aufständen bewahrte; er war
es, der die Dynastie Romanow begründete, die bis 1917 regieren sollte. Ihr
entstammte auch Peter I. der Große. Geboren wurde er am 9. Juni 1672 in Moskau
als Sohn des Zaren Alexei Michailowitsch (geb. 1629; reg. 1645–1676), unter
dessen Herrschaft die Russen in Sibirien die chinesische Grenze erreichten und
der Aufstand Stepan Rasins niedergeschlagen wurde. Ihm folgte sein Sohn Fjodor
III. (geb. 1661; reg. 1676–1682), ein kränklicher Herrscher, der mit der
Modernisierung des Heeres begann und den 1. Russisch-Türkischen Krieg 1681
beendete, wenn auch ergebnislos. Er war ein Halbbruder Peters, nach seinem Tod
kam aber noch nicht Peter an die Reihe, sondern dieser und sein debiler
Halbbruder Iwan IV. (geb. 1666; gest. 1696) wurden Co-Zaren, während seine
ältere Halbschwester Sophia (1657–1704) für sie beide die Regentschaft führte.
1689 erzwang Peter dann das Ende von Sophias Herrschaft, als sich das Gerücht
verbreitete, er solle ermordet werden, und übernahm selbst die Macht. Er hatte,
während er zurückgezogen lebte, ein »Spielregiment« aus echten Sodlaten
aufgebaut, den Kern seines späteren Heeres, mit dem er in einer »Spielfestung«
in einem Moskauer Vorort übte. Dieses Spielregiment, mit dem er auch den Bau und
das Navigieren von Schiffen trainiert hatte, kam ihm jetzt zu Hilfe, und Sophia
wurde in ein Kloster geschickt. Erst als Iwan starb, kam Peter vollständig zur
Macht. Bis zu ihrem Tod 1694 hatte dann noch Peters Mutter Natalya regiert.
Wie auch Iwan der Große zeigte Peter vielfältige Charakterseiten. Schon 1695
stürzte er sich einerseits in den Krieg und eroberte mit seiner neuen Flotte ein
Jahr später die türkische Festung Asow. Andererseits begab er sich in den beiden
Jahren danach inkognito u. a. nach England und in die Niederlande, um dort den
Schiffsbau zu erlernen, allerdings auch, um eine Allianz mit Polen gegen
Schweden zu bilden. Wieder zurück hielt er 1698 ein blutiges Strafgericht über
die Strelitzen, die in seiner Abwesenheit einen Aufstand geführt hatten. Es war
nicht der erste dieser von Iwan IV. gegründeten Elitetruppe, die als Grenzschutz
und Leibwache diente; zu Peters Zeit waren es etwa 55.000; sie lebten in eigenen
Siedlungen; ihre Dienstpflicht war lebenslang und erblich. Peter löste die
Truppe auf und begab sich nun mit Feuereifer an Reformen, um sein Reich für
Westeuropa zu öffnen und dessen Errungenschaften anzugleichen. Es ging ihm um
die Europäisierung Russlands; dazu ließ er sich auch von ausländischen Experten
– darunter waren auch Deutsche – beraten. Mit diesem Ziel führte er eine
Städterefom durch (1699), erließ eine Gouverneurs-Ordnung (zwischen 1708 und
1719). Er führte die westeuropäische Kleiderordnung und Etikette ein (auf Bärte
war eine Zeitlang eine Steuer zu entrichten); er reorgansierte das Heer und
erließ 1722 eine Rangtabelle zur Schaffung eines neuen Dienstadels; 1721 griff
er in Kirchenangelegenheiten ein und ersetzte das Patriarchat der Orthodoxen
Kirche durch den »Heiligsten Regierenden Synod«, womit er die Kirche der
staatlichen Kontrolle unterstellte; zehn Jahre vorher hatte er schon einen
Regierenden Senat in weltlichen Angelegenheiten gegründet, der nur ihm
verantwortlich war; damit hatte er den Adel, die Bojaren, vollends entmachtet.
Umgekehrt überantwortete er viele Bauern der Leibeigenschaft. Eine seiner
wichtigsten Leistungen bestand in der Gründung der späteren Hauptstadt St.
Petersburg 1703, mit dem er sich endgültig von der alten russischen Welt, die
mit Moskau verknüpft war, lösen wollte. Man kann seine mit ungeheurer
Schnelligkeit durchgeführten Reformen, der seine Untertanen kaum oder gar nicht
folgen konnten, auch in folgende Modernisierungen gliedern: Reform des
Kalenders, Bildung einer regulären Armee und einer Marine, Gründung von etwa 200
Fabriken einschließlich einer Eisenindustrie im Ural-Gebirge, die zu seiner Zeit
die weltweit größte war, Einführung eines neuen Steuersystems, Veröffentlichung
der ersten einheimischen Zeitung, Bau eines Kanals von der Wolga zur Ostsee,
Eroberung der Ost- und Südküste des Kaspischen Meeres, Organisation eines Netzes
technischer Schulen, Planung einer Russischen Akademie der Wissenschaften, deren
Gründung 1725 bald nach seinem Tode erfolgte (1755 wurde die Moskauer
Universität gegründet). Diese Errungenschaften zählt in dieser Reihenfolge die
Encyclopedia Americana auf. Noch viele weitere wären hinzuzufügen, so die
Einleitung der Erforschung Sibiriens – die »Große Nordische Expedition«. Bei all
den Reformen wurde Peter durch Kriege in Anspruch genommen. Im Nordischen Krieg
(1700–1721) gegen Schweden siegte er nach einer schweren Niederlage (1700 bei
Narwa) 1709 bei Poltawa entscheidend und löste 1721 mit dem Frieden von Nystad
Schweden als Hauptmacht an der Ostsee ab; damals erwarb Russland Livland,
Estland, Teile von Karelien u. a. Ja, Russland stieg damit zur europäischen
Großmacht auf. Peter führte auch Krieg gegen das Osmanische Reich, 1710/11, und
gewann durch einen Feldzug gegen Persien 1722/23 große Territorien an der West-
und Südküste des Kaspischen Meeres, wie schon gerade erwähnt.
Die Schattenseite Peters zeigte sich darin, dass er außerordentlich
grausam und tyrannisch war. Da die Kosaken in der Ukraine die Schweden
unterstützten, zerschlug er die ukrainische Autonomie, beließ ihr aber
noch gewisse Sonderrechte. Am schlimmsten zeigte sich seine Brutalität
in der Behandlung seines eigenen Sohnes Alexei (gest. 1718) aus erster
Ehe (1689–98; mit Jewdokija Fjodorowna Lopuchina, die er nach
gescheiterter Ehe in ein Kloster schickte), für den er ein
übermächtiger Vater war, so dass er zu fliehen versuchte, den er aber
zurückholen bzw. ausliefern ließ und dem er den Prozess machte; es
heißt auch, er habe ihn eigenhändig erschlagen. In zweiter Ehe war
Peter übrigens seit1712 mit Marta Skawronskaja verheiratet, die nach
seinem Tode – am 9. Juni 1725 in Moskau – zur Zarin Katharina I. (geb.
1684; reg. 1725–1727) aufstieg. Peters Kriege, der Aufbau von Heer und
Flotte und die Errichtung von St. Petersburg kosteten Unsummen Geldes,
das durch Steuern aufgebracht werden musste. Peters Volk stand unter
großem Druck seitens seiner Maßnahmen, der sich in mehreren Aufständen
entlud, so in Astrachan 1705/1706 oder in der Bauernerhebung am Don
1707/08. Sie wurden von Peter, der 1721 den Kaisertitel annahm, blutig
unterdrückt.
Man hat Peter schon ganz negativ gesehen, aber
auch hier halten sich positive wie negative Leistungen die Waage. Er selbst
nannte sich »Imperator«, »Vater des Vaterlandes«, »Zar von Moskowien«, »Kaiser
aller Reußen« und auch »der Große«; bei dem Kaisertitel folgten ihm allerdings
die westeuropäischen Könige nicht, abgesehen von dem preußischen König Friedrich
Wilhelm I. (geb. 1688; reg. 1713–40) – die Königskrone hatte sich schließlich
dessen Vater ursprünglich selbst aufgesetzt, und er war damals auch nicht König
von Preußen, sondern in Preußen, was sich erst später ändern sollte. Aber der
Titel Peter der Große hat sich eingebürgert und die Zeitläufte überstanden ...
Iwan der Große hat in Russland das Tatarenjoch abgeschüttelt, Peter hat das
Reich groß und mächtig gemacht und nach Westen geöffnet, wenn auch seine
übereiligen Reformen vielfach stecken geblieben sind, und Katharina die Große? –
Von ihr weiß man, wenn überhaupt, noch etwas im Zusammenhang mit den
Potemkischen Dörfern und ihrem angeblich ausschweifenden Liebesleben. Aber
natürlich hat sie nicht von daher ihren Ehrentitel. Katharina hieß ursprünglich
Sophie Friederike Auguste und war die Tochter des Fürsten Christian August von
Anhalt-Zerbst in Stettin, wo sie – am 2. Mai 1729 – auch geboren wurde. Als sie
sechzehn war, wurde sie mit dem russischen Thronfolger Peter vermählt; dieser,
geboren 1728, war ein Enkel Peters des Großen und kam in Kiel zur Welt; als
Herzog von Holstein-Gottorp (seit 1739) wurde er 1742 nach Petersburg gerufen,
wo ihn seine Tante, die Kaiserin Elisabeth (geb. 1709; reg. 1741–1762), die
Tochter Peters des Großen, als Thronfolger vorsah. Sie war es, die Peter mit
Katharina verheiratete. Die Ehe verlief unglücklich; siebzehn verlorene Jahre,
voller öffentlicher Demütigungen und Scheidungsandrohungen, musste Kathatrina
ertragen; nur ihr gutes Verhältnis zur Kaiserin ließ sie alles überstehen. Ein
Kind gebar Katharina, den späteren Zaren Paul I. (geb. 1754; reg. 1796–1801),
den sie ihre Abneigung spüren ließ und den sie auch von allen Staatsgeschäften
fernhielt. Ganz anders war ihr Verhältnis zu ihrem Enkel, dem späteren Zaren
Alexander I. (geb. 1777; reg. 1801–25), dessen Erziehung sie sich widmete und
den sie im Geist der Aufklärung ausbilden ließ. Katharina selbst war ebenfalls
hoch gebildet und in jungen Jahren dem Geist der Aufklärung verbunden. Nach dem
Tode der Kaiserin bestieg Peter als Zar Peter III. den Thron. Für Russland hatte
er überwiegend nur Verachtung übrig; er war ein glühender Anhänger des
preußischen Königs Friedrich dem Großen, den seine Tante im Siebenjährigen Krieg
bekämpft hatte, und einer seiner ersten Taten war, dass er mit ihm Frieden
schloss, was Friedrich dern Großen vor der Katastrophe im Krieg bewahrte. Als
Peter dann noch beschloss, russische Truppen gegen Dänemark auszusenden, die
sein Herzogtum Holstein unterstützen sollten, gab das den Ausschlag für eine
Revolte gegen ihn, hinter der wohl Katharina steckte. Gardeoffiziere stürzten
ihn, aber seine Ermordung am 17. Juli 1762 erfolgte unter nie aufgeklärten
Umständen, und ob sie von Katharina gebilligt war, lässt sich endgültig auch
nicht mehr feststellen. Sie zeigte mehr Interesse und Sympathie für das
russische Volk als ihr Mann, obwohl sie »nur« eine deutsche Prinzessin war, noch
dazu von nicht besonders hohem Adelsrang, aber sie hatte es verstanden, sich am
Hof Einfluss und Freunde zu verschaffen. Am 9. Juli 1762 wurde sie zur Kaiserin
ausgerufen. Fünf Jahre später berief sie eine Gesetzgebende Kommission ein,
deren Mitglieder überwiegend in ständischen Wahlen bestimmte Abgeordnete waren –
sie legitimierte ihre Thronbesteigung im Nachhinein. Diese Versammlung sollte
Reformen im Sinne der Aufklärung erarbeiten, aber wurde schon nach zwei Jahren
wieder aufgelöst, ohne die Chance gehabt zu haben, nur eine einzige Refom zu
entwerfen. Nichtsdesotweniger musste Katharina stets darauf achten, ihre Macht
zu konsolidieren. Sie verteidigte den Orthodoxen Glauben (1744 war sie
übergetreten und trug seitdem den Namen Katharina) und trat für Russlands Größe
ein, aber sie übte religiöse Toleranz wie in Europa neben ihr nur Friedrich der
Große. Die Unterstützung des Adels gewann sie durch verschiedene Maßnahmen. Die
Staatsgeschäfte überließ sie nicht ihren Ministern, sondern sie begriff sich als
verantwortliche Monarchin und galt als sehr fleißig. Wie viele Herrscher ihrer
Zeit war Katharina in ihrer Regierung zwiegespalten. Einerseits setzte sie
Reformen in Gang; so verselbstständigte sie die Gouverneure (1764) und führte
die Statthalterschaftsverfassung ein (1774). 1785 folgte die Charta der Städte,
womit die städtische Bevölkerung mehr Eigenverwaltung erhielt; aber durch die
Vermehrung der Posten aufgrund der Maßnahmen stiegen in erster Linie die Kosten,
weniger hob sich das Niveau der Verwaltung. Und zu einer Zeit, als sie sich als
Schülerin von Voltaire und dem Philosophen und Schriftsteller Denis Diderot
(1713–1784) bezeichnete und mit den französischen Enzyklopädisten
korresponierte, überantwortete sie viele leibeigene Privatbauern den
grundbesitzenden Adligen, schenkte sie zum Teil ihren Günstlingen und Freunden,
und beendete die Sonderstellung der Ukraine, wo sie auch die Leibeigenschaft
einführte. Viele ihrer Reformankündigungen im Geist der Aufklärung erwiesen sich
als reine Rhetorik, und sie hat das Los der armen Bevolkerung weder gelöst noch
ist sie es aktiv angegangen. Auch sonst stärkte sie eher die alte Ordnung, als
dass sie neue Impulse vermittelte. Gegen die Übergriffe des Adels und auch gegen
ihre Politik erhob sich 1773 ein großer Teil der Kosaken und Bauern des Ural
unter dem Donkosaken Jemeljan I. Pogatschow (geb. ca. 1742), der sich für den
ermordeten Peter III. ausgab und dessen Ziel die Errichtung eines Bauernstaates
unter einem Bauernzar war; nach anfänglichen Erfolgen wie der Eroberung Kasans
wurde er 1774 besiegt und – von seinem Kumpanen ausgeliefert – 1775 in Moskau
hingerichtet. Die Niederschlagung des Aufstandes beendete jede Hoffnung auf
Besserung des Loses der Bevölkerung; ganz im Gegenteil erhielt der Adel 1785
noch mehr Rechte in der lokalen Selbstverwaltung und dadurch auch noch mehr
Rechte über die Bauern. Sicher sah Katharina in der Ausbeutung der Starken durch
die Schwachen ein Übel, aber sie hielt es wohl für über ihre Mittel gehend, es
zu kurieren, wie der Historiker Durant urteilte. Während sie einerseits selbst
Satiren, Fabeln oder Stücke sowie politische und historische Abhandlungen
schrieb, drückte sie ihrem Volk als erste in Russland die Zensur auf. Sie
korresponierte mit führenden Denkern und Staastmännern ihrer Zeit und schrieb
sogar ihre Memoiren; andererseits verfolgte sie russische Schriftsteller. Sie
betätigte sich als große Kunstsammlerin; die Eremitage in Petersburg, die auf
sie zurückgeht, ist noch heute berühmt und Zentrum der Weltkunst. Andererseits
bekämpfte sie entschieden alle Ideen der Französischen Revolution, die sich auf
Russland auswirken konnten.
Die andere Seite der Kaiserin zeigte sich in
ihrer Besiedlungs- und Machtpolitik. Im Süden – »Neurussland« – legte der
russische Feldherr und Staatsmann Potemkin (Grigori Alexandrowitsch Potjomkin;
1739–1791) als Generalgouverneur – er war seit 1774 Katharinas Günstling und
Liebhaber und seit 1776 Reichsfürst – neue Siedlungen an. Katharina warb im
Rahmen ihrer Kolonisierungspolitik viele Einwanderer aus Mittel- und
Südosteuropa an; damals entstanden auf diese Weise zum Beispiel die deutschen
Wolgakolonien. Als 1787 Katharina von Potemkin zu einer Reise in die neu
besiedelten Gebiete eingeladen wurde, soll er ihr und ihrer Begleitung, zu der
viele Diplomaten, der englische und französische Botschafter und sogar der
österreichische Kaiser Joseph II. (geb. 1741; König 1764; Kaiser 1765 neben
seiner Mutter Maria Theresia; gest. 1790), gehörten, mit Dorf-, Palast- und
Gefechtsschiffsattrappen einen nicht vorhandenen Reichtum des Landes
vorgetäuscht haben – daher der Ausdruck von den Potemkinschen Dörfern. Aber die
Unterstellung der Vorspiegelung falscher Tatsachen beruhte nicht auf Berichten
von Reisebegleitern, sondern entstand am Hofe Katharinas durch lästerliche
Zungen und wurde durch einen sächsischen Diplomaten in Umlauf gebracht und im
Lauf der Zeit zu einem immer mehr aufgebauschten bösen Gerücht; mag Potemkin
auch die eine oder andere »Verschönerung« vorgenommen, ja mögen seine Pläne sich
nicht in vollem Umfang erfüllt haben, so hat er doch für »Neurussland« sehr viel
geleistet, und Joseph II. ließ sich von Macht und Größe Russlands beeindrucken.
Wären die schweren Gefechtsschiffe in Wirklichkeit nur getarnte Holzbötchen
gewesen, wäre Europa wohl kaum von der Stärke der Schwarzmeerflotte Russlands
überzeugt worden. Aber es war wohl auch der nach wie vor vorhandene riesige
Gegensatz zwischen dem russischen Hof mit seiner verschwenderischen Pracht und
dem armseligen Leben des Volkes, das im mehr oder weniger aufgeklärten Europa zu
dem Vorurteil führten, Russland sei ein zurück gebliebenes, elendes Reich,
dessen Wohlstand man vorgaukeln müsste. Dabei war all das, was Potemkin oder
Katharina erreichten, keineswegs »von Pappe«. Potemkin besetzte 1783 die Krim;
er gründete Städte wie Cherson oder Sewastopol, und hier ließ er die
Schwarzmeerflotte aufbauen. Im Krieg gegen die Türken 1787 bis 1792 war er der
Oberbefehlshaber des Heeres und der Flotte. Schon im ersten Krieg gegen das
Osmanische Reich 1768 bis 1774 wurde das Nordufer des Schwarzen Meeres
eingenommen. Mit den Friedensschlüssen 1774 bzw. 1792 (Jassy) hatte Russland
einen wichtigen und ausgedehnten Zugang zum Schwarzen Meer errungen; das Reich
erstreckte sich nun bis zum Dnjestr und zum Bug; die Krim und einige Teile des
Kaukasus hatte es sich angeeignet; außerdem wurde Russland ein
Interventionsrecht beim Sultan zugunsten der Donaufürstentümer eingeräumt, und
russische Handelsschiffe durften durch den Bosporus und die Dardanellen ins
Mittelmeer fahren. Durch die polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 gewann
Russland weitere Gebiete, 1795 gliederte es noch das Herzogtum Kurland ein.
Katharina die Große (1780er Jahre, Wikipedia)
Man hat geltend gemacht, schon zu Lebzeiten und später in der
Geschichtsschreibung, Katharina habe sich als Frau ohne moralische Skrupel in
die Abhängigkeit ihrer Günstlinge und Liebhaber begeben – sie hatte nacheinander
zehn, alle hatten Posten in der Regierung, und drei, vor allem Potemkin, hatten
beträchtlichen Einfluss – die sie ausgenutzt und sie für ihre Zwecke missbraucht
hätten. Aber diese These ist doch zu kurz gegriffen. Katharina die Große träumte
von einem großen und mächtigen Russland, vielleicht sogar von einer
Wiederauferstehung des alten byzantinischen Reiches und eines Reich Dakien auf
dem Balkan. Zumindest hat sie es erreicht, die Stellung Russlands in Europa zu
festigen und zu stärken. So erhielt sie sogar eine schiedsrichterliche Rolle in
Europa. Nach dem Ende des Bayerischen Erbfolgekrieges im Frieden von Teschen
1770 wurde Russland neben Frankreich Garantiemacht in deutschen Angelegenheiten.
Auch ihr Hof wurde zu einem Mittelpunkt in Europa, diplomatisch und noch mehr
auf kulturellem Gebiet. Als sie am 17. November 1796 im heutigen Puschkin
(Zarskoje Selo) an einem Schlaganfall starb, hinterließ sie ein außenpolitisch
und kulturell erneuertes und gestärktes Russisches Reich, und ihr Titel »die
Große« zeichnet sie bis heute aus. Peter der Große ging es vor allem um die
Technik, als er den Anschluss an den Westen suchte, Katharina um die Kultur –
sie riss die gebildete russische Elite aus dem Mittelalter mit in die Moderne.
Die Urteile über sie waren überwiegend positiv: »Sie war jeder Zoll ein
‚politisches Wesen’, in der modernen Geschichte unerreicht von keiner
Vertreterin ihres Geschlechts und dennoch gleichzeitig durch und durch Frau und
eine große Dame« – so ein deutscher Historiker. Sie war »die einzige
Herrscherin, die Englands Elisabeth an Fähigkeit übertraf und ihr in der
dauernden Bedeutung ihres Werkes gleichkam« – ein englischer Historiker. Und
schließlich ein französischer, der sie zu ihren Gunsten mit Le Grand Monarque
verglich: »Der Großmut Katharinas, der Glanz ihrer Regierung, die Pracht ihres
Hofes, ihre Institutionen, ihre Bauten, ihre Kriege waren für Rußland genau das,
was das Zeitalter Ludwigs XIV. für Europa war; doch individuell betrachtet, war
Katharina größer als dieser Fürst. Die Franzosen begründeten den Ruhm Ludwigs,
Katharina begründete den der Russen.«
Der Weg Russlands war noch steinig und
tränenreich. Am Ende standen die Revolution von 1917, die Stalin-Ära und die
Sowjetunion, aber danach kamen Gorbatschow und Glasnost, dann allerdings
Putin ...
Der Alte Fritz: Friedrich der Große
Viele Geschichten
ranken sich um den »Alten Fritz«. Was wir von unseren Eltern und Großeltern, die
zumeist Verehrer von Friedrich dem Großen waren, und aus der Schule mitgenommen
haben, ist vor allem seine Aufgeklärtheit, seine religiöse Toleranz – in seinem
Staat könne jeder nach seiner Faςon selig werden, hat er einmal gesagt; in
anderern europäischen Staaten bestimmte der Fürst die Religion seiner
Untertanen. Ein weiteres Beispiel ist die Einführung der Kartoffel, die
ursprünglich aus Amerika kam und schon während des Dreißigjährigen Krieges in
manchen Gegenden angebaut wurde. Da die Bauern nichts damit anfangen konnten
oder sogar die oberirdischen Früchte aßen, was zu schlimmen Vergiftungen führte,
ließ der Alte Fritz die staatlichen Kartoffelfelder zum Schein bewachen, worauf
die Bauern die vermeintlich so wertvolle Frucht stahlen, um sie dann selber
anzubauen. Auf einem ganz anderen Gebiet gibt es ebenfalls Überlieferungen. Als
1775 in Amerika der Unabhängigkeitskrieg ausbrach, der die Loslösung der
englischen Kolonien von England und am Ende die Gründung der Vereinigten Staaten
zur Folge hatte, verpachteten (»verkauften«) deutsche Fürsten freiwillige, meist
aber zum Militärdienst gepresste junge Untertanen nach England, in dessen
Auftrag sie dann in Amerika Dienst taten und gegen die Aufständischen kämpften.
Die meisten Untertanen vermietete der Landgraf von Hessen-Kassel, so dass alle
deutschen Soldaten in englischen Diensten in Amerika »Hessians« genannnt wurden.
Allen Fürsten, die Rekruten »verkauften«, ging es natürlich um die Finanzierung
ihrer üppigen Hofhaltung. Als das Ansinnen, Soldaten für England zu stellen, an
Friedrich heran getragen wurde, der über die besten Truppen in Europa verfügte,
lehnte er schroff ab. Wollte er nicht, dass in Amerika Deutsche auf Deutsche
schießen sollten? Andererseits unterstützte er auch die Aufständischen nicht
direkt; er mochte zwar den Tabak, aber nicht die Tabak anbauenden Kolonisten,
und als es amerikanischen Abgesandten in Europa darum ging, in Europa Verbündete
gegen England zu gewinnen, weigerte er sich zunächst sogar, sie zu empfangen.
Eine Audienz, die dann endlich zustande kam, führte nur zu vagen Zusagen. Als
aber von England angemietete deutsche Rekruten durch preußisches Gebiet ziehen
sollten, lehnte dies Friedrich ebenfalls ab. Man hat später behauptet, Friedrich
hätte Viehzoll für den Durchzug verlangt, weil die Soldaten wie Vieh nach
England verkauft würden, wie er in einem Brief an Voltaire geschrieben haben
soll, aber die Forderung nach Viehzoll war wohl eines der Propagandamärchen der
Amerikaner, um den Briten zu schaden. Tatsächlich hat Friedrich den Durchzug der
Anhalt-Zerbster Rekruten durch preußisches Gebiet untersagt und damit indirekt
der amerikanischen Sache sehr genützt, weil die Verstärkung der Briten dann erst
so spät in Amerika eintraf, dass der englische Befehlshaber unschlüssig, auch im
Zweifel bezüglich der zukünftigen Unterstützung aus der Soldatenverpachtung, mit
Angriffen wartete und damit der zerlumpten amerikanischen Armee und ihrem
Befehlshaber George Washington (1732–1799) die Ruhe schaffte, sich wieder
einigermaßen zu erholen. Wie Friedrich Kapp, der dem König nicht eben sehr wohl
gesonnen war, schrieb: »Eben darin liegt die Bedeutung der Politik Friedrichs
für den amerikanischen Krieg. Sie war in ihren Folgen für Washington so viel
wert wie ein neuer Bundesgenosse: Sie gönnte ihm Zeit zur Erholung und half das
Kriegsglück wenden. Ohne es zu wollen, erwies also der große König dem
republikanischen Feldherrn einen wesentlichen Dienst.« Das geschah Anfang 1778;
damals begann der deutsche General Friedrich Wilhelm von Steuben (1730–1794)
mit der Reorganisation des amerikanischen Heeres; nur durch seinen Einfluss und
mit Hilfe der von ihm durchgeführten Ausbildung machte er aus den elenden
Soldaten Washingtons eine den besten englischen (d.h. meist deutschen) Truppen
ebenbürtige Armee – Steuben hatte zwar im Siebenjährigen Krieg gedient, aber
nur, weil er sich als »General im Dienste des Königs von Preußen« ausgab –
Friedrich war in Amerika sehr geachtet – fand er bei der amerkanischen Armee
überhaupt Aufnahme – eine Hochstapelei, die die englische Krone ihre Kolonien in
Amerika kosten sollte. Friedrich hatte an Voltaire über die zum Kriegdienst
gepressten jungen Leute geschrieben, dass ihm die armen Kerle leid täten, die
ihr Leben so unglücklich und sinnlos in Amerika hingeben müssten. Friedrich Kapp
weist die spätere Deutung einiger amerikanischer Politiker und deutscher
Geschichtsschreiber zurück, Friedrich hätte aus Sympathie für die Rekruten oder
gar die Amerikaner das Durchzugsverbot ausgesprochen – er argumentiert, dasss
Friedrich in seinen Kriegen Hunderttausende ohne Rücksicht auf Verlust in den
Tod schickte und somit von ihm kein besonderes Mitleid mit den Soldaten zu
erwarten war – sondern es ging Friedrich wohl nur darum, England zu schaden,
ohne zu ahnen, wie weit reichende Folgen das haben würde, und Kapp zitiert auch
den Friedrich zugeschriebenen Ausspruch der Verwunderung, dass »die Hunde von
Grenadieren ewig leben wollen«. Dieser Satz, bekannter in der Form »Hunde, wollt
Ihr ewig leben?«, ist zwar eines der verbreitetsten Zitate Friedrchs, aber er
ist nicht belegt. Viel weniger bekannt, aber nachgewiesen ist dagegen, dass
Friedrich II. von Preußen und die Vereinigten Staaten von Amerika 1785 einen
Freundschafts- und Handelsvertrag schlossen, der nicht nur die Anerkennung der
USA durch Preußen dokumentierte, sondern auch der weltweit erste Staatsvertrag
war, der in Friedenszeiten die Bedingungen der Kriegsgefangenschaft regelte.
Dieser Vertrag, den Friedrich schon 1783 nach Gründung der Vereinigten Staaten
ansteuerte, endete erst 1917 mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg.
In der DDR gehörten übrigens Friedrich der Große, Martin Luther (1483–1546)
und der berühmte Schriftsteller Karl May (1842–1912) zu den »Unpersonen«. Erst
Ende der 70er Jahre begann sich dort die offizielle Kulturpolitik dem
bürgerlich-fortschrittlichen kulturellen Erbe zu öffnen und die Beschäftigung
damit zu fördern, ja zu fordern, und davon profitierten neben anderen bislang
verpönten Schriftstellern alle drei. Dass Friedrich der Große auch im Werk Karl
Mays vorkommt, ist nicht weiter verwunderlich in Anbetracht der Veehrung, die
der Alte Fritz im 19. Jahrhundert genoss. In seiner Erzählung Pandur und
Grenadier von 1883 steht Friedrich mit seinem Feldmarschall, dem Alten Dessauer,
1742 in Böhmen; er »war von nicht hoher, schmächtiger Gestalt und trug anstatt
der Reitpeitsche einen hölzernen Krückstock in der Rechten«; und in der
humoristischen Episode aus dem Leben des Alten Dessauers Unter den Werbern
von 1876, die später noch mehrfach erschien, lästert der Alte Dessauer
über Friedrich, er spiele nur Flöte, merke aber nichts von der
allmählich zunehmenden Gefahr durch Sachsen. Später gibt Friedrich dann
dem Dessauer Befehl, zum Krieg gegen Sachsen zu rüsten. Der Alte
Dessauer ist übrigens eine historische Gestalt: Der preußische
Feldmarschall Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676–1747), der im
preußischen Heer den Gleichschritt und eiserne Ladestöcke einführte,
zeichnete sich im Spanischen Erbfolgekrieg, im Nordischen Krieg und
dann im Zweiten Schlesischen Krieg unter Friedrich dem Großen aus.
Friedrich der Große (Gemälde von Anton Graff,
1781, Wikipedia)
Karl May (1906, Karl-May-Stiftung Radebeul)
Dass in
unserem Kontext May erwähnt wurde, hängt an Friedrichs Beziehung zu den
Vereinigten Staaten. Diese wirft ebenfalls ein Licht auf die Widersprüchlichkeit
des Königs, wie wir sie auch schon bei Ludwig und Peter sowie bei Katharina der
Großen vorgefunden haben. Wie bei May haben Dichtungen um und über Friedrich vor
allem Anekdotisches benutzt. Das zeigt sich zum Beispiel in zahlreichen
französischen Werken, beginnend mit dem Abenteuerroman Les barons de Felsheim
von Pigault-Lebrun (1798/99). Die Novelle Friedrich der Große bei Kolin
veröffentlichte K. Bleibtreu 1888. Viele Dramen (z.B. Katte von H. Burte 1914
oder Vater und Sohn von J. von der Goltz 1921), ein Roman (Der Vater von J.
Klepper 1937) und nur ein Lustspiel (Zopf und Schwert von K. Gutzmann 1844)
behandelten das schwierige Verhältnis Friedrichs des Großen zu seinem Vater, und
Heinrich Mann hinterließ ein Romanfragment Die traurige Geschichte von Friedrich
dem Großen, die 1960 veröffentlicht wurde. Aus England kamen so gegensätzliche
Schriften wie das sechsbändige Werk des einflussreichen Historikers und
Sozialkritikers Thomas Carlyle (1795–1881) History of Friedrich II of Prussia,
called Frederick the Great von 1858 bis 1865, in dem Friedrich über Gebühr
gepriesen und glorifiziert wird, und dem des Essayisten, Dichters, Historikers
und Staatsmannes Tomas B. Macaulay (1800–1859) Frederick the Great von 1842,
in dem kein gutes Haar an ihm gelassen wurde: Friedrich der Große als grausamer
und brutaler Kriegstreiber. Als 1806 Napoleon an Friedrichs des Großen Sarg stand
– Preußen lag nach den Siegen Napoleons darnieder – sagte er zu seiner
Begleitung, auch ein Satz, der sich in der Erinnerung erhalten hat: »Wenn der
noch lebte, dann stünden wir nicht hier.« Seit dem Sieg von Roßbach hieß
Friedrich II. von Preußen endgültig der »große Friedrich«; schon vorher, bei der
Rückkehr aus dem Zweiten Schlesischen Krieg und seinem Einzug in Berlin jubelte
ihm das Volk als Friedrich dem Großen entgegen; da war er gerade einmal 33 Jahre
alt.
Preußen war als Herzogtum mit dem Vertrag vom 8. April 1525
zwischen Polen und dem Deutschen Orden entstanden – der Ordensstaat wurde in ein
weltliches Herzogtum unter polnischer Lehnshoheit umgewandelt. Fast hundert
Jahre später, 1618, fiel es an die brandenburgische Linie der Hohenzollern, die
1660 im Frieden von Oliva die Souveränität Preußens erreichen konnten. Ab 1701
ging seine Geschichte im brandenburgischen Gesamtstaat auf, der sich nun Preußen
nannte. Das geschah, als sich der Kurfürst von Brandenburg, wie erwähnt, zum
König in Preußen krönte. Brandenburg selbst hatte ebenfalls eine lange
Geschichte hinter sich. Ursprünglich siedelten hier germanische Völker wie die
Semnonen, Langobarden und Burgunder; im 7. Jahrhundert ließen sich dort, vor
allem im Osten, Slawen nieder. Um 940 kam das Gebiet unter deutsche Herrschaft,
schon 948 eentstand hier das Bistum Brandenburg, und das Gebiet wurde
christianisiert. 1134 wurde aus Brandenburg die Nordmark bzw. die Mark
Brandenburg; ihre Herren waren die Askanier, die das Land endgültig für die
deutsche Ausbreitung nach Osten erschlossen. Das Geschlecht der Askanier, die
erst Markgrafen, seit 1177 Reichserzkämmerer und später Kurfürsten wurden, starb
Anfang des 14. Jahrhunderts aus; nun – 1320 – fiel Brandenburg vorübergehend an
die Wittelsbacher, 1373 an die Luxemburger, und 1411/15 an das Haus
Hohenzollern, das 1417 auch die Kurwürde verliehen erhielt. Im Verlauf der
Jahrhunderte wurde Brandenburg gebietsmäßig beträchtlich erweitert, abgesehen
davon, dass Berlin zur Hauptstadt erkoren und die Reformation eingeführt wurden;
hinzu kamen das Herzogtum Kleve, die Grafschaften Mark und Ravensberg,
Hinterpommern und 1618, wie gesagt, Preußen, das 1660 aus der Lehnshoheit Polens
entlassen wurde. Es war dann dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm (geb. 1620; reg.
1640–1688) vorbehalten, in dem Gebiet einen absolutistisch-preußischen Staat
zu schaffen, mit dem Ziel eines kalvinistischen Modellstaates vor Augen. Ihn
nannte man nicht von ungefähr den »Großen Kurfürsten«. Besonders mit seinem
Edikt von Potsdam von 1685, mit dem Hugenotten, später auch anderen
Glaubensflüchtlingen und Auswanderern die Ansiedlung in Brandenburg gestattet
wurde, hob sich der Große Kurfürst von seinen Zeitgenossen unter den Fürsten ab.
Ansonsten war durchaus Frankreich sein politisches und kulturelles Vorbild. Im
Westfälischen Frieden erzielte er große Gebietsgewinne, sein im Dreißigjährigen
Krieg verwüstetes Land baute er mit einer einheitlichen und herausragenden
Verwaltung wieder auf, und mit Groß-Friedrichsburg im heutigen Ghana errang er
1683 sogar kolonialen Besitz, der allerdings schon 1717 an die Niederländer
verkauft wurde. Ab 1686 wechselte der Große Kurfürst vom französischen Bündnis
hin zu den Habsburgern. Mit dem Ausbau seines Heeres und seinen sonstigen
Maßnahmen legte er den Grundstock für den rasanten Aufstieg Preußens. Als sich
dann noch, wie erwähnt, sein Sohn, der Kurfürst von Brandenburg Friedrich III.
zum König krönte – er wurde damit zu Friedrich I. (geb. 1657; reg. 1688 als
Kurfürst/ 1701 als König bis 1713) spricht man nur noch von Preußen, auch wenn
Friedrich nur König in Preußen war; ab 1772 nannten sich die Herrscher mit
Friedrich dem Großen Könige von Preußen.
Friedrich der Große kam am 24.
Januar 1712 in Berlin zur Welt. Sein Vater war der bereits erwähnte Kurfürst und
König Friedrich Wilhelm I., der wegen der starken Armee, die er aufbaute,
»Soldatenkönig« genannt wurde. Er vollendete in Preußen die absolute Monarchie.
Der Konflikt zwischen ihm und seinem Sohn blieb bis in unsere Zeiten bekannt.
Friedrich der Große kann mit Fug und Recht in drei oder vier Charaktere mit den
dazu gehörigen Leistungen aufgespalten werden; drei davon, jeder für sich, hätte
schon genügt, Friedrich zum »Großen« zu machen.
Da war zunächst der
Schöngeist, der intellektuelle und aufgeklärte, musisch begabte Friedrich. Sein
Vater hielt einen einfachen, bürgerlich-pietistischen, sittenstrengen, von
Plichterfüllung geprägten Hof. Er ließ Friedrich streng militärisch erziehen, so
dass er es 1730 nicht mehr aushielt und einen Fluchtversuch nach England
unternahm. Der Hinrichtung seines Freundes Katte, der an der Flucht beteiligt
war, musste er gezwungenermaßen zusehen; er selbst blieb in Haft in Küstrin, bis
er sich im Februar 1732 ebenfalls gezwungenermaßen verloben musste. Er unterwarf
sich nun seinem Vater; wie weit er Verständnis für dessen Staatsführung
aufbrachte oder wie weit er alles nur noch hinnahm, wird sich letztlich nie
klären lassen. Jedenfalls lebte er nun im Schloss Rheinberg relativ sorglos,
umgab sich mit Freunden, verfasste hier den berühmten Antimachiavell (1739), in
dem er den aufgeklärten Absolutismus beschrieb: der Herrscher als erster Diener
des Staates, dessen Souveränität zwar unbeschränkt, der aber der Wohlfahrt des
Volkes verpflichtet ist. Von Gottesgnadentum war keine Rede mehr; ganz im
Gegenteil verdanke der Herrscher seine Position dem Zufall der Geburt. Direkt
nach seinem Regierungsantritt 1740 lud Friedrich Voltaire und andere bedeutende
Vertreter der französischen Aufklärung in die Preußische Akademie der
Wissenschaften ein, wo er ihnen eine Wirkungsstätte für ihre Ideen gab; Voltaire
hielt sich wiederholt dort auf, sogar bei einer Gelegenheit mehrere Jahre, bis
sich das Verhältnis zu dem König abkühlte. Zeit seines Lebens war Friedrich der
französischen Kultur und Literatur eng verbunden. Im Gegensatz zur deutschen
Literatur hing er an der deutschen Musik, z. B. an der der Bachs; er selbst war
ein begeisternder Flötenspieler und Komponist – vier Flötenkonzerte und 121
Flötensonaten und einige Märsche gehen auf ihn zurück. Er förderte die bildende
Kunst – der neue Dom in Berlin, das dortige Opernhaus und das Rokokoschloss
Sanssouci entstanden –, und auch als militärisch-politischer Schriftsteller
wirkte Friedrich in herausragendem Maße.
Der andere Friedrich war der
kriegerische. Dieser Teil seines Charakters stand im Widerspruch zu seinen
Vernunft- und Humanitätsideen. In den Schlesischen Kriegen 1740–42 und 1744/45
annektierte er das habsburgische Schlesien. In Schlesien hatten die Skythen
gelebt, die Kelten, danach die Wandalen und nach deren Abzug seit dem 6.
Jahrhundert Slawen. Seit dem Ende des 10. Jahrhunderts gehörte es zu Polen. Im
13. Jahrhundert warben die polnischen Herzöge zahlreiche deutsche Siedler an,
die Schlesien deutsch prägten. Im 14. Jahrhundert unterstellten sich alle
oberschlesischen und die meisten niederschlesischen Herzöge der Lehnshoheit
Böhmens, womit das Gebiet mittelbar zum Heiligen Römischen Reich kam. Dieser
Schritt wurde 1348 endgültig durch den späteren Kaiser Karl IV. vollzogen,
nachdem Polen 1335 auf seine Ansprüche auf Schlesien verzichtet hatte. 1526 kam
dann Schlesien mit Böhmen an die Habsburger. Nun hatte einer der vielen
polnischen Herzöge in Schlesien, der Liegnitzer Spross der Piasten, 1537
Erbverträge mit den Hohenzollern geschlossen. Auf diese berief sich Friedrich,
als er das Land an sich riss. Schlesien war wegen seines Bergbaus und seiner
Textilherstellung damals eines der wichtigsten Ländereien der Habsburger. In
Österreich regierte seit 1740 Maria Theresia (1717–1780), die hin und wieder
die »große Kaiserin« genannt wird und die sicher zu den bedeutendsten
Herrscherinnen der Geschichte zu zählen ist. Der Verlust Schlesien traf sie
hart. Da Friedrich überzeugt war, dass die Konkurrenz mit Österreich auf Dauer
wieder zum Krieg führen würde, begann er 1756 den Siebenjährigen Kreig durch
einen »Präventivschlag« gegen Kursachsen. War Friedrich bei der ersten Schlacht
im 1. Schlesischen Krieg noch geflohen, erwies er sich seitdem als
hervorragender Feldherr und Führer seiner 180.000 Mann starken Armee; man kann
ihn getrost zu den größten Feldhern der Geschichte rechnen. Dennoch wäre die
Katastrophe wohl unausweichlich gewesen, wenn nicht, wie erwähnt, Russland unter
Peter III. mit ihm Frieden geschlossen hätte. Am Ende des Krieges 1763 wurde für
Preußen nicht nur der Besuitzstand wie vor dem Krieg, einschließlich Schlesiens
bestätigt, nein, Preußen war auch europäische Großmacht geworden, und Friedrich
war eine legendäre Gestalt. – Durch die 1. polnische Teilung und durch Erbfälle
erhielt Preußen weitere Gebiete.
Der dritte Friedrich der Große war der
Reformer und Verwalter, der den inneren Ausbau Preußens vorantrieb. Er schaffte
die Folter ab, auch wenn er sie in Einzelfällen noch zuließ; die Gerechtigkeit
in seinem Staat wurde vorbildlich, auch wenn sie in Einzelfällen noch Schaden
nahm Aber, so schrieb er: »In den Gerichtshöfen müssen die Gesetze sprechen, und
der Souverän muß schweigen [...] die Justizkollegia sollen bedenken, daß der
geringste Bauer ebenso gut ein Mensch ist wie Se. Majestät, indem vor der Justiz
alle Leute gleich sind.« Das Prozesswesen wurde reformiert (1747); ein
Allgemeines Landrecht ausgearbeitet, das 1794 verabschiedet wurde; die
Verwaltung ausgebaut. Friedrich überantwortete jedem Stand bestimmte Aufgaben.
So stellte der Adel die Offiziere und höheren Beamten, während die Bürger Handel
und Gewerbe betreiben sollten. Auf diese Weise stärkte Friedrich die ständische
Ordnung. Die Regierung führte er persönlich mit Hilfe von Kabinettsräten, aber
Fachdepartements untersützten seine Arbeit, wenn auch zentralistisch geordnet.
Seine volkswirtschaftlichen Maßnahmen, zu denen eine strikte Steuerpolitk und
ein rigoroser Merkantilismus gehörten, führten zur Hebung der Staatseinnahmen.
Seinem Nachfolger hinterließ Friedrich ein hinsichtlich der Größe verdoppeltes
Preußen und ein Staatsvermögen von 70.000.000 Talern, von der Armee von 200.000
Mann gar nicht zu reden. Er förderte auch die Landwirtschaft, sowohl die
bäuerliche als auch die adlige, siedelte 57.000 Familien an und entwickelte die
neu hinzu gekommenen polnischen Gebiete (Westpreußen) durch Meliorationen und
Kanalbauten. Dazu kamen noch bildungspolitische Maßnahmen wie das
Landschulreglement 1763, verbesserte Lehrerbildung und Volksschulwesen und
vieles mehr. Das Los der leibeigenen Bauern besserte er, ohne sich dazu
entschließen zu können, die Leibeigenschaft ganz abzuschaffen.
Nun gab es natürlich auch noch einen privaten Friedrich. Er heiratete
1733 Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern (1715–1797), d. h.
musste sie heiraten und wurde auch von den Habsburgern mit einer
Jahrespension von 2500 Dukaten dazu »überredet«; schließlich war sie
die Nichte von Kaiser Karl VI. (geb. 1685; 1711 (König, Kaiser)–1740).
Aber was sich die Habsburger davon versprachen, nämlich ein gutes
Verhältnis zu ihm, erreichten sie nicht. Mit seinem Regierungsantritt
lebte das Ehepaar getrennt. Kinder gingen aus der Ehe nicht hervor. Da
sich Friedrich viel mit Männern umgab, z. B. seine berühmte
»Tafelrunde« aus ausgewählten Denkern und Schriftstellern, kam das
Gerücht auf, er leide an einer Geschlechtskrankheit oder sei gar
homosexuell. Dass fürstliche Ehepartner nicht zusammen passten, war in
der Geschichte nichts Neues. Und Friedrich soll auch ab 1743 eine
Liaison mit der italienischen Tänzerin Barberina Campanini gehabt
haben, die als einzige Frau Schloss Sanssouci betreten durfte. Dennoch
war er, vor allem in seinen letzten Lebenjahren, einsam und verbittert.
Aus dem Siebenjährigen Krieg war er krank zurückgekehrt. Am Ende seines
Lebens wurde er starrer, schroffer, zynisch und skeptisch, was seine
Mitmenschen und die Politik anging. Aber er wurde unglaublich
volkstümlich, weil er dem Volk den Glauben und auch das Vertrauen
vermittelte, er kümmere sich um alles persönlich, auch wenn man ihm
unterstellte, er verachte die Religion und die Kirche. Tatsächlich
glaubte er an ein Höchstes Geistiges Wesen, das die Welt geschaffen,
aber dann sich selbst überlassen habe. Darin glich er Voltaire. Als er
am 16. August 1786 starb, soll ein schwäbischer Bauer ausgerufen haben:
»Wer soll nun die Welt regieren?«
Friedrich stand immer in der Spannung zwischen seinen
humanitären und idealistischen Zielen einerseits und der Staatsräson
andererseits, wozu auch seine Kriege zu zählen sind. In der Geschichte hat man
ihn sehr unterschiedlich beurteilt, je nach historischem Kontext und politischer
Perspektive. Macaulays Anklage hat man in eine Anklage gegen den deutschen Geist
bis hin zu den Weltkriegen schlechthin umgemünzt; die Bewunderung eines Carlyle
für ihn findet sich ähnlich in einer glorifizierten Heldenverehrung durch
andere. Sein Deutscher Fürstenbund wird als bedeutsamer Schritt zur Vereinigung
der deutschen Staaten angesehen – von den einen; andere meinen, er habe 1785 den
letzten Versuch einer deutschen Verfassungsreform im Fürstenbund vereitelt. Man
wird seine Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit nie zu fassen bekommen – er war
eben Friedrich der Große.
Sein Vermächtnis blieb. Zwar lag Preußen in den
Napoleonischen Kriegen darnieder, aber danach erholte es sich. Ob die spätere
Entwicklung Preußens bis hin zur Gründung des Deutschen Reiches und der Weimarer
Republik mit ihren Höhen und Tiefen, ihren Kriegen und ihren Bündnis- und
Friedensbemühungen der deutschen Geschichte mehr genutzt oder geschadet hat,
wird sich vielleicht in hundert Jahren beantworten lassen, wenn überhaupt ...
3. Ausklang im Fernen und Nahen Osten
In der Neuzeit sind uns
bereits einige nicht europäische Fürsten begegnet, die den Titel »der Große«
erhielten. Sie, speziell Akbar und Abbas, waren die bekanntesten – und sie
trugen den Titel mit Recht – aber nicht die einzigen. Interessanterweise finden
sich die letzten in unserer »Kleinen Weltgeschichte der ›Großen‹«, die diese
Bezeichnung erhielten, nicht in Europa, sondern in Amerika, Afrika bzw. Asien.
Erneuerer und Gründer von Reichen: Pakal, Radama, Taksin, Kamehameha und
Bechir die Großen
Wir müssen in der Zeit noch einmal weit
zurückgehen. Was niemand vermuten würde: Im alten Maya-Reich in Mittelamerika
gab es tatsächlich auch einen ›Großen‹. Seine unversehrte Totengruft und der
noch verschlossene Sarg wurden – es war ein großer Glücksfall – von einem
mexikanischen Ausgräber aufgefunden. Den König bedeckte eine Jade-Mosaik-Maske,
und er war mit reichem Schmuck begraben. Auf der Oberseite des Sargdeckels fand
sich die Apotheose des Königs, und eine Inschrift entlang der Kanten informierte
über die Daten seiner Vorfahren und sein eigenes Leben. Es handelte sich um
Pakal den Großen (603–683), der schon mit knapp dreizehn Jahren 615 zur
Herrschaft gelangte. Seine Mutter Säk-K’uk‘ (gest. 640) hatte vorher, seit 612,
die Regentschaft geleitet; ihr Mann K’än-Bahläm-Mo‘ (gest. 642), also der Vater
Pakals, hatte im Hintergrund gestanden, eine für die Maya-Verhältnisse mit ihrem
patrilinearen Verwandtschaftssystem ungewöhnliche Situation; solche
Herrschaftsverhältnisse mit der Prominenz von Frauen gab es aber auch anderswo
bei den Maya. Die Mutter Pakals zog sich mit der Inthronisation von Pakal
zurück, und Pakal der Große wurde der hervorragendste Herrscher der Maya-Stadt
Palenque, der sich um den Frieden mit anderen Maya-Herrschern bemühte und als
Förderer der Baukunst hervortrat. Er heiratete Ahpo-Hel (650–672), die ihm zwei
Söhne gebar – beide wurden später bedeutende Herrscher in Palenque.«
Machen wir nun einen großen Zeit- und Erdteilsprung: Die viertgrößte Insel
der Erde ist Madagaskar; sie wurde einerseits von Afrika aus besiedelt, von der
anderen Seite her von Südasien. Dadurch bildete sich ein Mischvolk mit 18
Hauptethnien (Foko), von afrikanisch mit arabischen Einsprengseln bis zu
überwiegend indonesisch. Im 17. Jahrhundert ließen sich Franzosen an der
Ostküste nieder und beanspruchten daraufhin die Insel für sich. Ende des 18.
Jahrhunderts gab es auf Madagaskar vier Königreiche, die unter einem starken
Machthaber, Nampoina (gest. 1810), zusammengeführt wurden. Echten Glanz erhielt
das Reich aber erst unter seinem Erben Radama I. (ca. 1793–1828), der den
Titel ›der Große‹ zugesprochen bekam (Daniel Zander). Dieser junge, gut
aussehende, vitale Herrscher, voller Tatendrang und von seinem Volk vergöttert,
der Napoleon als Vorbild ansah, eroberte – gemäß seinem Grundsatz: »Das Meer ist
meines Reisfeldes einzige Grenze« – einen Großteil der Insel, führte aber auch
ausgewählte europäische Techniken ein. Er warf die Franzosen aus dem Land und
setzte auf die englische Karte. Im Vertrag von 1817 erhielt er nicht nur den
Titel ›König von Madagaskar‹, sondern auch gewaltige Zugeständnisse der Briten
hinsichtlich ihrer Lieferungen – jährlich 1000 Golddollar, 1000 Silberdollar,
hundert Pulverfässer, hundert Gewehre und Uniformen – an ihn. Radama seinerseits
stellte auf Wunsch der Engländer den Sklavenhandel ein, beendete das
Piratenunwesen an der Westküste und öffnete das Land europäischem Einfluss. Mit
Hilfe der London Missionary Society gründete er Schulen, die auch Mädchen
offenstanden. Er ließ eine madagassische Schriftsprache entwickeln – mit
lateinischer Schrift als Grundlage – und Schmiede, Maurer, Weber, Gerber,
Spinner und sogar Seidenraupenzüchter ausbilden. Sein aufreibendes Leben, aber
auch seine Ausschweifungen wie seine Alkohol- und Sexeskapaden führten zu seinem
frühen Tod. Es wird berichtet, dass sich bei seiner Heirat 200.000 Menschen vor
seinem Palast in einer riesigen Massenorgie liebten. Seine älteste Frau
Ranavalova (gest. 1861), die sich nach seinem Tod auf den Thron setzte,
versuchte, das Rad der Geschichte unheilvoll zurückzudrehen. Über 200.000
Menschen – 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung – kamen dabei ums Leben, die
Christen wurden verfolgt, vertrieben oder umgebracht, und der Wohlstand des
Landes, den Radama der Große geschaffen hatte, ging dabei zugrunde.
Machen wir
nun einen Sprung nach Asien. In Zentral-Thailand gab
es im 1. Jahrtausend n. Chr. ein buddhistisches Königreich, es hieß Dvaravati
und wurde vom Volk der Mon gegründet. Auch die hinduistischen Khmer von Angkor
beherrschten damals Teile des heutigen Thailand. Sie wurden aber im 13.
Jahrhundert von den im Norden ansässigen Thai vertrieben, die sich im 11. und
12. Jahrhundert unter den Mon niedergelassen und mit ihnen vermischt hatten. Um
1240 gründeten sie das Reich der Sukhothai, das seinen Machtbereich erheblich
erweiterte – im Süden reichte es bis zur Halbinsel Malakka. Dieses Reich wurde
im 14. Jahrhundert durch das von Ayutthaya abgelöst, zu dem auch die südlichen
Thai-Fürstentümer und Kambodscha gehörten. Ayutthaya wiederum wurde 1569 zum
Vasallenstaat von Birma, nur um fünfzehn Jahre später neu zu erstehen und noch
um Gebiete der Khmer und andere vergrößert zu werden. Später betraten die
Franzosen die Bildfläche; mit ihnen wurde 1686 ein Vertrag geschlossen, der es
ihnen, zumindest zeitweilig, erlaubte, Handelsniederlassungen zu bauen,
Missionstätigkeit zu betreiben und Truppen in der Hauptstadt zu stationieren.
1767 wiederum fielen erneut die Birmanen ein, belagerten die Hauptstadt ein Jahr
lang und zerstörten schließlich Ayutthaya, die Stadt wie das Reich; der damalige
König kam in den Flammen ums Leben. Allerdings begingen die Birmanen den Fehler,
nur geringe Besatzungen im eroberten Land zurück zu lassen; zu sicher waren sie
sich ihrer Beute. Einige fähige siamesische Statthalter und Anführer waren den
Birmanen entkommen und organisierten den Widerstand; einer von denen, die übrig
geblieben waren, mit Namen Phaya Tak, sammelte alle waffenfähigen Männer um
sich, die er vorfand – häufig handelte es sich um versprengte Krieger – und
schlug mit ihnen die Birmanen, die durch chinesische Angriffe geschwächt waren,
entscheidend und warf sie zurück. Sein Name ist auch als Phraya Taksin
überliefert, und er war nicht nur ein fähiger, sondern auch ein beliebter
Heerführer. Geboren am 17. April 1734 in Ayutthaya, war er der Sohn eines
wohlhabenden chinesischen Einwanderers, der in der Hauptstadt Spielhallen
betrieb, und einer Thailänderin (Siamesin). Sin, wie sein Name ursprünglich
lautete, in seiner Jugend buddhistischer Mönch, machte eine öffentliche
Karriere, wurde Gouverneur der Provinz Tak, daher der Name Taksin, und später
General im Heer des Königs. Nach dem Sieg über die Birmanen gründete er 1768
eine neue Hauptstadt, Thonburi, gegenüber dem heutigen Bangkok, auf der rechten
Seite des Stromes Menam Chao Phraya oberhalb seiner Mündung. In seiner
fünfzehnjährigen Regierungszeit führte er das ehemalige Königreich von Ayutthaya
beinahe wieder zu seiner alten Blüte. Er eroberte Kambodscha und kleinere
Staaten im Süden, besiegte 1777 dann im Norden die Lao und schlug erneut die
Birmanen. Als König trug er den Namen Boroma Radscha IV. Gestützt und anerkannt
von China, mit dem Thailand bald wichtige Handelsbeziehungen verband, schaffte
er auch im Inneren des nach dem Zusammenbruch des Ayutthaya-Reiches in Anarchie
und Chaos versunkenen Landes wieder Ordnung. Natürlich erwuchsen ihm dadurch
auch viele Feinde. Im Lauf der Jahre wurde er bei seinen Maßnahmen immer
grausamer; offenbar fiel er mit der Zeit in geistige Umnachtung. Schließlich
wurde er durch eine Rebellion abgesetzt und in ein Kloster verbannt. Man holte
ihn aber wieder heraus, machte ihm den Prozess und richtete ihn am 6. April 1782
hin; da königliches Blut nicht vergossen werden durfte, wurde er in einem
Samtsack mit einem Sandelholzknüppel zu Tode geprügelt. Sein Nachfolger wurde
der Begründer der Chakri-Dynastie, Chao Phraya Chakri, der als Rama I. (König
Puttha Yotfa Chulalok) den Thron bestieg. Die Chakri-Dynastie ist in Thailand
noch heute an der Macht.
Da sich Taksin, wie man bald nach seiner Hinrichtung anerkannte,
durchaus viele Verdienste um Thailand erworben hatte, wurde er zwei
Jahre nach seinem Tode doch noch in Ehren beigesetzt, und am 27.
Oktober 1981 wurde ihm vom thailändischen Kabinett sogar posthum der
Titel »der Große« (Maharat) verliehen; der 28. Dezember, sein
Krönungstag, wurde zum nationalen Gedenktag, wenn auch nicht zum
offiziellen Feiertag erhoben. Rama I. (1782–1809) verlegte die
Hauptstadt auf die andere Stromseite nach Bangkok. Damals waren die
Franzosen in Thailand schon sehr einflussreich, aber Rama I. und seine
Nachfolger betrieben eine kluge Außen- und Handelspolitik, schlossen
mit den europäischen Mächten und den USA Verträge, so mit
Großbritannien 1855 einen Freundschaftsvertrag, und auf diese Weise
bewahrte Thailand als einziges Land in Südostasien seine staatliche
Unabhängigkeit. König Rama V. (1868–1910) modernisierte dann das Land
im westlichen Sinne. Taksin der Große ist unvergessen; an ihn erinnern
heutzutage Statuen in Thailand und der nach ihm benannte Nationalpark
Taksin Maharat in der Provinz Tak.
Unsere
weitere Reise in den Fernen Osten bringt uns nun nach Hawaii im
zentralen Nord-Pazifik, einem herrlichen, durch zahlreiche, teilweise
noch aktive Vulkane und eine bizarre Vulkanlandschaft geprägten
Archipel. Aus acht Hauptinseln und etwa 120 kleinen Nebeninseln
bestehend, weist Hawaii ein mildes und ausgeglichenes Klima auf, das
durch den Nordost-Passat geprägt ist. Die einladende Insellandschaft
zog schon um 800 n. Chr. Polynesier, wahrscheinlich überwiegend aus
Samoa kommend, an, die sich hier niederließen. 67 Ahnen schrieb sich
der so bedeutende Herrscher Kamehameha, auf den wir gleich
zurückkommen, zu, was den Beginn der Besiedlung Hawaiis sogar schon in
das 6. Jahrhundert n. Chr. vorverlegen würde. Der berühmte britische
Seefahrer James Cook (1728–1779) entdeckte die Inseln 1778 und nannte
sie Sandwich-Inseln; er wurde hier ein Jahr später von Eingeborenen
erschlagen. Als er auf Hawaii landete, traf er auf drei Staaten:
Hawaii, Maui und Oahu; da allerdings der Herrscher von Hawaii die
Königinwitwe von Maui zur Ehefrau genommen hatte, wurden beide Staaten
von nur einem Oberhaupt regiert. Zwischen Hawaii und Oahu gab es
ständige kriegerische Auseinandersetzungen, und auch innere Kämpfe
zermürbten die Staaten. Nur wenige Jahre später gelang es dann einem
einheimischen Führer, alle Inseln unter seiner Herrschaft zu vereinen
und Ordnung zu schaffen. Dabei handelte es sich um den eben erwähnten
Kamehameha, der erste von fünf Herrschern dieses Namens, und Kamehameha
wurde zudem Nui genannt: »der Große«. Sein Geburtsjahr ist unbekannt.
Die einen geben 1737 an, die anderen 1758, aber genau weiß es keiner.
Für das Jahr 1758 spricht die Legende, dass die Geburt eines
Herrschers, der ganz Hawaii vereinigen würde, im Zeichen eines Kometen
erfolgen würde, und 1758 trat tatsächlich ein Komet in Erscheinung,
nämlich der Halleysche Komet, und war von Hawaii aus zu sehen. Schon
als junger Mann zeichnete sich Kamehameha als Krieger aus, er nahm als
Wächter des Kriegsgottes auch eine hohe religiöse Stellung ein und
wurde von manchen prophetischen Dichtern schon damals als der künftige
Einiger gesehen und besungen. Als er zwei Jahre nach Cooks Tod
Häuptling wurde, machte er seinen Traum von der Einheit des Archipels
wahr, eroberte alle Inseln bis auf Kauai und Niihau, die sich ihm
später, 1810, freiwillig unterwarfen und an ihn verkauft wurden, und
konnte sich 1795 zum alleinigen Herrscher Hawaiis, zum König,
proklamieren lassen. Mit großer persönlicher Tapferkeit ausgestattet,
unterstützt durch eine Streitmacht, die von in Diensten genommenen
Europäern geschult war und auch über Feuerwaffen verfügte, war er mit
16.000 Mann nach Oahu übergesetzt und hatte die Schanze Pali erstürmt.
Zu seinen Streitkräften gehörte seit 1804 sogar noch eine Flotte von 21
Schiffen von 25 bis 50 Tonnen. Nachdem er seine Pläne verwirklicht
hatte, organisierte er eine hervorragende Verwaltung, vereinheitlichte
das Rechtssystem und regierte friedlich bis zu seinem Tode am 8. Mai
1819. Der englische Entdecker und Forscher Kapitän George Vancouver
(1758–1798), der 1793 nach Hawaii kam, schrieb über ihn: »Seine Haltung
war majestätisch; jede seiner Handlungen offenbarte einen Geist, der
seinen Besitzer in jeder Lage herausgehoben hätte […] Sein allgemeines
Verhalten war offen, großzügig und freundlich. In Erscheinung und
Haltung ein wilder Herkules, in Fähigkeiten und Charakter ein Mann, den
jedes Land stolz als seinen Sohn anerkannt hätte.« Und ein Historiker
urteilte Anfang des 20. Jahrhunderts über Kamehameha den Großen: Er
»muss eine machtvolle Persönlichkeit gewesen sein […] Er war nicht nur
an Verstandeskräften groß und durch ein majestätisches Äußeres
ausgezeichnet, größer war er noch durch seine sittliche Kraft sowie
durch die Macht und Reinheit seines Willens […]«; er war ein Mann, »der
an äußeren Erfolgen wie an Gaben des Geistes über das Durchschnittsmaß
seiner Rasse weit hinausragt.« Der deutsche Dichter Adalbert von
Chamisso (1781 – 1838), der Dichter des »Peter Schlemihl«, des »Mannes
ohne Schatten«, nahm an der zweiten russischen Weltumseglung teil, die
von 1815 bis 1818 unter dem baltendeutschen Kapitän Otto von Kotzebue
(1787–1846), Sohn des Dramatikers August von Kotzebue (1761–1819
(ermordet)), stattfand. Er äußerte sich stolz darüber, dass er – außer
dem französischen Helden aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg
und Staatsmann Joseph de Motier, Marquis de La Fayette (1757–1834) und
dem britischen Entdecker und Naturforscher Sir Joseph Banks (1743–1820)
– auch Kamehameha dem Großen die Hand drücken durfte. Aber Kamehamehas
Regierung bedeutete nicht nur Segen und Unabhängigkeit – seit 1817
fuhren seine Schiffe unter eigener Flagge, der eines souveränen Staates
– sondern auch den Beginn des sozialen Abstiegs und Niedergangs seines
Volkes. Er selbst blieb zwar den alten Göttern treu, aber er öffnete
Hawaii immer mehr für die Europäer und europäische Güter. Um für deren
Kauf die nötigen Gelder aufzubringen, ließ er die wertvollen
Sandelholzbestände von Hawaii abholzen und verkaufte sie (die von ihm
angeordnete Aufforstung führten seine Untertanen nicht aus), führte
rigorose Steuern ein und beutete sein Volk aus. Einerseits bewahrte er
durch den Handelsverkehr mit den Europäern und Amerikanern im Gegensatz
zu vielen anderen Inseln des Pazifischen Raumes die Unabhängigkeit
seines Reiches von den Kolonialmächten, aber andererseits machte er
große Schulden, um sich europäischen Luxus leisten zu können, und
brachte so die fremden Mächte mit der Zeit gegen sich auf. Verglichen
damit, dass diese Hawaii immer mehr als strategisch günstig gelegen und
handelsmäßig und wirtschaftlich als relevant anzusehen lernten, war die
Frage von Schulden allerdings zweitrangig. Während Kamehameha selbst
die seinem Inselreich drohenden Unwetter noch umschiffen konnte, gelang
es seinen Nachfolgern nicht mehr, ihnen auszuweichen. Die Amerikaner
übten immer mehr Einfluss aus. Als 1872 Kamehameha V., 42jährig,
kinderlos starb, bedeutete dies das Ende der Dynastie, und nur 15 Jahre
später erbauten die Vereinigten Staaten auf Hawaii den Marinestützpunkt
Pearl Harbour, 1898 annektierten sie den Archipel, der dann schließlich
1959 als 50. Bundesstaat offiziell in die Vereinigten Staaten
aufgenommen wurde. In der hawaiianischen Hauptstadt Honolulu erinnert
heute eine Statue an Kamehameha den Großen.
Das Ende unserer Reise durch die Geschichte der »Großen« führt
uns nun noch in den Nahen Osten, in den Libanon. Nach den Phönikiern, deren
Reich dort ihren Schwerpunkt hatte, kamen die Griechen und Römer, und ab 64 v.
Chr. gehörte der Libanon zur römischen Provinz Syria. Später waren die
Byzantiner hier die Herren, im 6. Jahrhundert die Perser, und seit dem 7.
Jahrhundert die Araber. Zunächst unterstand das Gebiet dem Kalifat, vom 9. bis
11. Jahrhundert ägyptischen muslimischen Dynastien. Eine Zeit lang herrschten
dort auch die Kreuzfahrer, aber nach rund 200 Jahren eroberten Ende des 13.
Jahrhunderts die ägyptischen Mamelucken endgültig das Gebiet, und seit 1516
waren die Osmanen die Herren im Libanon.
Aber unter ihnen genossen die hier
ansässigen feudalen Gemeinschaften der Drusen und Maroniten weit gehende
Selbstständigkeit. Die maronitische Kirche zählt zu den unierten Ostkirchen des
antiochenischen Ritus’, ja, sie ist die einzige vollständig mit der katholischen
Kirche unierte Ostkirche, und kann ihre Anfänge bis ins 5. Jahrhundert
zurückführen, auf das syrische Kloster des heiligen Maro, der vor 423 starb. Um
745 wurde sie vom muslimischen Kalifat als eigene Gemeinschaft anerkannt.
Späteren Verfolgungen durch die Araber versuchte sie sich durch die Abwanderung
ihrer Mitglieder in den Libanon zu entziehen. Während der Herrschaft der
Kreuzfahrer, als die Maroniten die Gemeinschaft mit der lateinischen Kirche
suchten und aufnahmen, fand ihr Oberhaupt formale Anerkennung als Patriarch von
Antiochia durch den Papst (1216). Die Drusen andererseits entstanden als
Religionsgemeinschaft erst im 11. Jahrhundert. Zwar gingen sie aus der
islamisch-schiitischen Richtung der Ismailiten hervor, aber da sie sich von der
islamischen Lehre fundamental abwandten, kann man sie nicht als islamische Sekte
bezeichnen. Sie vereinten in ihrer Lehre und Glaubenspraxis unterschiedliche
religiöse Traditionen, sie glauben u. a. an die Seelenwanderung, aber sind
streng monotheistisch. Früher wurden sie als eine religiöse Gemeinschaft mit
geheimer Lehre angesehen, weil ihre Heilige Schrift – nicht der Koran, sondern
ein Kanon aus 111 »Briefen der Weisheit« – als streng geheim galt – inzwischen
ist er allerdings der Wissenschaft bekannt, und eine Konversion zum Drusentum
ist nicht möglich, weil nach ihrem Glauben die Seelenzahl der Drusen konstant
ist. In der Geschichte des Libanon übten die Maroniten und die Drusen, die
ebenfalls vor den Arabern als »Verräter am Glauben« fliehen mussten, die
politische Macht aus und hielten sie in einer gut ausgependelten Balance in
Händen. Man hat sogar von einer Symbiose, einer engen Interessenverflechtung der
beiden Völker gesprochen, die vom 13. bis zum 19. Jahrhundert friedlich und
beinahe gleichberechtigt in enger Nachbarschaft lebten, ohne sich zu vermischen,
eine beinahe einzigartige Schicksalsgemeinschaft. Von 1516 bis 1697 regierte bei
den Drusen die Maan-Dynastie, die bei den Osmanen sogar Verbesserungen für die
Maroniten erwirken konnte. Umgekehrt wurde der Libanon gerade durch die
Maroniten das Fenster zum Westen. Vor allem Frankreich übernahm die Rolle einer
Schutzmacht für die Christen im Libanon, aber der Sultan und der französische
König waren weit, die Praxis sah dann doch oft anders aus und brachte für die
Maroniten im eigenen Land Nachteile durch die Muslime. Im 18. Jahrhundert lief
die Maan-Dynastie allmählich aus, und wieder einmal taten sich Drusen und
Maroniten zusammen und wählten gemeinsam die Chehab-Dynastie für die Nachfolge.
Diese war erst islamisch-sunnitisch, dann drusisch und zuletzt maronitisch, was
nicht ohne Widersprüche und Krisen bleiben konnte. Von Anfang an bekriegten sich
die in ihr mächtigen Familien, die mit einander rivalisierten und konkurrierten.
Einer ihrer Fürsten wurde schließlich ermordet. Nun bestieg Bechir den Thron,
1788; er regierte bis 1840, und man sagt von ihm, dass es ihm vor allem um
seinen eigenen Vorteil ging; nur dafür habe er zwischen den Parteien laviert,
und gerade nicht, um Frieden zwischen ihnen zu stiften. Die Drusen und Christen
sowie die europäischen Mächte und die osmanischen Herrscher spielte er gegen
einander aus; es kam am Ende, von Krieg, Mord und Einmischung ausländischer
Truppen ganz zu schweigen, zum Bruch der Jahrhunderte alten Freundschaft
zwischen Drusen und Christen. Aber Bechir gilt nichts desto weniger als Bechir
der Große, wie er im Werk von Brissaud genannt wird. Die Massaker der Drusen an
den Maroniten 1860, die Zehntausende das Leben kosteten, brachten nicht nur das
Eingreifen der europäischen Mächte, vor allem Frankreichs, sondern auch die
Einrichtung des »autonomen Sandjaks Libanon« durch das Osmanische Reich 1861,
der drei Jahre später auf Betreiben Frankreichs einem christlichen Gouverneur
unterstellt wurde. Folgerichtig wurde der Libanon nach dem Ersten Weltkrieg 1920
zusammen mit Syrien französisches Völkerbundmandat. Damit waren aber die
Bürgerkriege nicht beendet, und wer die Geschichte verfolgt hat, weiß um die
Zerstörung eines blühenden Staates, wie es der Libanon gewesen war, im 20.
Jahrhundert, auch das ein spätes und bitteres Erbe Bechirs des Großen. Die
heutzutage so traurigen Zustände im Nahen Osten ihm anzulasten, ginge aber
entschieden zu weit. Diese Verhältnisse warten noch auf einen »Großen« der
Geschichte, der die Probleme löst und der ausgebluteten Region endlich den
ersehnten Frieden bringt …
Epilog
Am 5. Mai 1987 erhielt ein lebender Monarch den Ehrentitel »der
Große«, allerdings nicht vom Volk oder der Völkergemeinschaft, sondern
zugesprochen vom Premierminister seines Landes. Kann man diesen dann
als »echten« Titel ansehen? Geehrt wurde damit der frühere König von
Thailand Rama IX. Wie auch vor ihm schon der thailändische König Taksin
den Beinamen durch Kabinettsbeschluss erhielt, war es nun eben der
Regierungschef, der den Titel sinnbildlich »überreichte«. König
Bhumibol Adulyadej wurde am 5. Dezember 1927 in Cambridge,
Massachusetts, geboren, wo sein Vater, Prinz Mahidol, an der Harvard
Universität Medizin studierte und einen akademischen Abschluss
erreichte. Mahidol starb schon kurz nach der Rückkehr nach Thailand
1928, und sein Bruder Prajadhipok übernahm den Thron. Dieser war der
letzte absolut regierende König von Thailand. Bhumibol und sein älterer
Bruder Ananda wurden zur Ausbildung in die Schweiz gesandt. Als
Prajadhipok 1935 abdankte, sollte Ananda sein Nachfolger werden, aber
beide Brüder blieben in Lausanne und kehrten erst 1945 in ihre Heimat
zurück. Am 9. Juni 1946 fand man Ananda unter mysteriösen Umständen
erschossen auf, und so wurde Bhumibol zum Nachfolger erklärt. Er blieb
allerdings nur zwei Monate in Thailand, dann begab er sich abermals
nach Lausanne, um Jura zu studieren. In dieser Zeit führte ein
Regentschaftsrat die Regierungsgeschäfte. 1950 kehrte Bhumibol
endgültig heim; am 28. April heiratete er Prinzessin Sirikit
Kitiyakara, und am 5. Mai wurde er offiziell gekrönt. Bhumibol
entwickelte sich zum allgemein geachteten konstitutionellen Monarchen
in Thailand, beliebt und in hohem Ansehen beim Volk, dessen Wohl er
sich stets angelegen sein ließ – so nahm er eine bedeutende Rolle beim
Zusammenbruch des Militärregimes Kittikachorn 1973 ein –, und anerkannt
von der Staatengemeinschaft – zahlreiche Staatsoberhäupter kamen nach
Bangkok zu ihm zu Besuch, und umgekehrt reiste auch er viel ins
Ausland. Während seine Gemahlin in der galanten Welt berühmt wurde, ist
Bhumibol selbst als Komponist und Jazzmusiker in die Weltöffentlichkeit
getreten. Bhumibol starb am 13. Oktober 2016 nach langer Krankheit,
hoch geehrt und betrauert von seinem Volk.
Hier soll nicht die Frage
erörtert werden, ob Bhumibol den Titel »der Große« zurecht erhielt. Seit dem
18./19. Jahrhundert ist der Titel in der Weltgeschichte nicht mehr häufig
vergeben worden. Es ist nicht mehr üblich, nicht mehr zeitgemäß.
Etwas
anachronistisch mutete daher der Versuch von Kaiser Wilhelm II. (geb. 1859; reg.
1888–1918; gest. 1941) an, seinem von ihm sehr bewunderten Großvater, Kaiser
Wilhelm I. (geb. 1797; König von Preußen 1861; Kaiser 1871–1888), diesen Titel
zu verschaffen. Zur Feier anlässlich Wilhelms I. hundertjährigem Geburtstag am
22. März 1897 überall im Deutschen Reich gab er ihm wegen seiner Verdienste um
die Reichseinigung den Titel »der Große«. Der Beiname hat sich allerdings nicht
durchgesetzt. Von Bismarck, dessen Gönner Wilhelm I. gewesen war, ist der
Ausspruch überliefert, der Kaiser sei »kein Großer, aber ein Ritter und ein
Held« gewesen. Immerhin wurde der 1897 für die Linienschifffahrt auf der
Transatlantikpassage Bremerhaven – New York fertiggestellte
Doppelschraubendampfer des Norddeutschen Lloyd, der als erstes deutsches Schiff
das Blaue Band für die schnellste Nordatlantiküberquerung erhielt (1897) und
noch weitere Rekorde einfuhr, auf den Namen ›Kaiser Wilhelm der Große‹ getauft.
Und in der Nähe der Stadt Porta Westfalica in Nordrhein-Westfalen im Kreis
Minden-Lübbecke, oberhalb des Weserdurchbruchs, am ›Tor nach Westfalen‹, hat man
dem Kaiser ein 88 m hohes Denkmal errichtet, das 1896 mit viel Pomp unter
Anwesenheit von Wilhelm II. eingeweiht wurde. Es ist schon von weitem zu sehen
und stellt einen Markstein in der Landschaft dar. Hier ist eingemeißelt, dass es
›Wilhelm dem Großen‹ gewidmet sei. Dieser Beiname ist nicht geblieben,
aber dass Wilhelm I. allseits Achtung genoss und zur Reichseinheit beitrug ,
wird man ihm nicht absprechen können.
Andererseits – könnte man sich nicht trotzdem sogar für das 20. und 21.
Jahrhundert Persönlichkeiten vorstellen, die den Titel erhalten hätten, wenn sie
früher gelebt hätten? Man denke an Staatsoberhäupter, Friedensnobelpreisträger,
an Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela, oder ...
Unsere kleine Weltgeschichte der »Großen«
hat gezeigt, dass durchaus viele, die diesen Titel erhielten, ihn mit Recht
trugen und in ihrer Zeit und für die Nachwelt ein Vorbild darzustellen
vermochten. Auch unsere Zeit hat ihre »Großen«; vielleicht sollte man sich an
dem einen oder anderen ein Beispiel nehmen und selbst aktiv werden, in Politik
oder Wissenschaft, oder sei es nur im »Kleinen«, in einem Ehrenamt oder in der
Unterstützung der eigenen Familie …