Teil IV

Neuzeit

  
 
Unsere Geschichte der »Großen« erreicht nun die letzte Epoche, die Neuzeit. Die meisten der Persönlichkeiten, die den Ehrentitel »der« oder »die Große« in dieser Ära erhielten, sind allseits bekannt, und doch hält die Geschichte noch Überraschungen bereit.
     Das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit setzt man im Allgemeinen zwischen 1450 und 1500 an. Das war das Zeitalter der Entdeckungen, von Humanismus, Renaissance und Reformation. Die Welt befand sich im Umbruch. Zu ihrer Erforschung in allen Kontinenten und damit der Begründung eines neuen Weltbildes trat das Aufkommen auch eines neuen Menschenbildes in Europa. All dies hatte weitreichende Folgen für die meisten Lebensbereiche, mit tiefen kulturellen, geistigen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen. Auf der einen Seite stand die Entwicklung von Nationalstaaten, die schon im 14. und 15. Jahrhundert begonnen hatte, im Zuge derer die durch die Kirche bzw. das Papsttum in gewisser Weise garantierte oder doch zumindest repräsentierte mittelalterliche Einheit zu Gunsten eines europäischen Staatensystems aufgehoben wurde. Auf der anderen Seite wirkte die Emanzipation des Bürgertums gegenüber dem Adel mit seinem fortschreitenden Privilegienverlust prägend, und diese Emanzipation hing wiederum zusammen mit gesellschaftlichen und ökonomischen Wandlungen durch die Entwicklung von Handwerk und Gewerbe. Denk- und Arbeitsstil änderten sich; der Weg zur frühkapitalistischen Wirtschaft mit ihren rationelleren Praktiken und Techniken gerade auch im Handel, beschleunigt durch die Verwendung der arabischen Ziffern und der damit einhergehenden Mathematisierung u. a. der Geldgeschäfte, wurde Schritt für Schritt geebnet. Der Absolutismus gehörte ebenso zur Neuzeit wie die Epoche der Aufklärung, der Dreißigjährige Krieg wie die Französische Revolution, die Romantik und das heraufziehende Industriezeitalter, und auch wir im 20. und 21. Jahrhundert leben noch immer in der »Neuzeit«. Dass auch sie ihre »Großen«aufweist, ist nicht weiter verwunderlich.


1. Die Welt im Umbruch

Etwa zu der Zeit, da man heutzutage den Beginn der Neuzeit datiert, übernahmen die Habsburger die Macht im Heiligen Römischen Reich, wenn man hier überhaupt noch von Macht sprechen kann. Die Wahl Albrechts II. (geb. 1397; König 1438 (vorher schon König in Ungarn und Böhmen); gest. 1439) leitete die fast 370 jährige Ära ein, in der Habsburger die römische bzw. später römisch-deutsche Königs- und Kaiserkrone trugen. Nur zwischen 1742 und 1745 hatte ein Wittelsbacher die Würde inne: Karl VII. Albrecht (geb. 1697; König 1742 (vorher schon in Böhmen); gest. 1745). Sieht man davon ab, regierten die Habsburger von 1438 bis 1806, dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, aber dann noch einmal von 1804 bis 1918 in Österreich im sogenannten »Heimlichen Heiligen Römischen Reich«. Schon nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden »kaiserlich« und »österreichisch« häufig als Synonym aufgefasst. Dieser unsägliche Krieg (1618–48) hatte das Reich in viele Einzel-Fürstentümer zertrümmert und damit die Reichsgewalt entscheidend geschwächt. Aber schon vorher hatte das Ansehen der Könige und Kaiser stark gelitten. Dies hatte weniger mit den Habsburgern zu tun, die genügend fähige Herrscher aufzuweisen hatten, als mit der allgemeinen Entwicklung, die eben schon skizziert wurde: das Erstarken der Fürstentümer und der Bürger, damit auch der Städte, die nun reichsunmittelbar waren und von einer eigenen Landeshoheit für sich ausgingen. Als weiterer bedeutender Faktor kamen die Spaltung des Reiches durch die im Zuge der Reformation entstandenen konfessionellen Ausrichtungen der Fürstentümer und die Religionskriege hinzu. In dieser Zeit braute sich im Osten des Reiches eine Gefahr zusammen, die es über Jahrhunderte in Atem hielt: die Ausdehnung des Osmanischen Reiches. Die europäischen Staaten zu einer gemeinsamen Abwehr des Islam zu bewegen, sollte sich als unmöglich erweisen.

Osmanische Eroberer und abendländische Verteidiger: Mohammed, Suleiman, Stefan und Radu die Großen

Nach dem Sieg des Seldschukensultans Alp Arslan (1029–1072) über das Byzantinische Reich 1071 bildete sich um Konya und Kayseri ein erstes islamisches Sultanat auf türkischem Boden, die Keimzelle für das spätere Osmanische Reich. Viele türkische Nomaden strömten nun nach Anatolien, und schon im 12. Jahrhundert erreichte das Seldschukenreich seine erste Blüte, die durch den Einfall der Mongolen ab 1243 ein Ende fand. Zahlreiche Kleinfürstentümer bildeten sich nun, darunter ein Grenzstaat im Nordwesten, in Bithynien; nach dem Sohn des Gründers, Osman I. Ghasi (geb. 1258?; Fürst seit etwa 1300; gest. 1324) wurden das sich hier entwickelnde Reich und die Dynastie benannt. Hauptstadt des Osmanischen Reiches wurde das 1361 eroberte Adrianopel, Edirne, und das Reich wurde bald so mächtig, dass ihm das Byzantinische Reich tributpflichtig wurde. Schon bald dehnte es sich nach Westen aus, was in Anbetracht seiner Lage nicht unlogisch war. Schon zehn Jahre nach der Einnahme von Edirne nahm es Thrakien und Makedonien in Besitz, und 1389, nach der berühmten Schlacht auf dem Amselfeld, machte sich das Osmanische Reich Serbien tributpflichtig, 1395 die Walachei, und von 1393 bis 96 eroberte es Bulgarien und Thessalien. Als nun abermals Mongolen und Angehörige anderer Völkerschaften in dass Reich einfielen, diesmal unter dem türkisierten Mongolen Timur (Timur Läng, Tamerlan; geb. 1336; reg. 1370–1405), und es 1402 beim heutigen Ankara besiegten, wurde es nicht nachhaltig erschüttert. Der von dem ungarischen Reichsverweser (1446–52) und bedeutendem Feldherrn Johann Hunyadi (ca. 1408–1456) organisierte Widerstand brachte den Erfolg, dass die Türken bis Sofia zurück weichen mussten; aber umgekehrt wurden Hunyadis Truppen bei Warna 1444 und in einer neuerlichen Schlacht auf dem Amselfeld 1448 geschlagen. Zwar verhinderte er, dass die Osmanen nach Ungarn vordringen konnten, indem er eine türkische Armee, die Belgrad belagerte, schlug, aber auf Dauer war gegen die Türken kein Kraut gewachsen. Am 29. Mai 1453 eroberten sie Konstantinopel.
     Der Sieger auf osmanischer Seite war Sultan Mohammed II., der uns heutzutage als Mohammed der Eroberer bekannt ist, wie er sich auch selbst sah. Nur wenige wissen, dass er in früheren Quellen auch als Mohammed der Große betitelt ist, und so, mit beiden Beinamen, erscheint er auch in der Enyclopedia Americana. Mohammed II. Bujuk (der Große), el-Ghasi (Besieger der Ungläubigen) oder el-Fatih (der Eroberer): so hat ihn die Geschichte überliefert. Geboren 1430 oder, nach neueren Angaben, am 30. März 1432 in Edirne, folgte er seinem Vater mit rund zwanzig Jahren auf den Thron. Er war eine machtvolle Persönlichkeit. Acht Monate lang sammelte er Mannschaften und Material gegen Byzanz, die Hauptstadt eines sonst so gut wie nicht mehr existierenden Reiches. Gegen rund 6 bis 7000 Söldner hatte er nach früheren Angaben an die 140.000, nach heutigen Schätzungen etwa 80.000 Mann zu setzen, und die Gemetzel und Plünderungen nach der Eroberung waren so brutal, blutig und grausam, wie sie sich nicht allzu oft in der Geschichte ereignet haben – Historiker und nicht zuletzt die Muslime würden an die Schändlichkeiten bei der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer 1099 erinnern. Erst, als man feststellte, dass Überlebende durch Lösegeld mehr einbrachten als Tote, habe man den Massakern Einhalt geboten. Mohammed soll nach einem Tag den Einhalt der Schlächtereien befohlen haben, da sie selbst für seine Vorstellungen zu weit gingen. Später hieß es sprichwörtlich von einem reichen Menschen, er sei sicherlich bei der Eroberung Konstantinopels dabei gewesen. Mohammed selbst behielt sich die öffentlichen Bauten als Beute vor. Als ein Soldat, wohl im Übereifer, den Marmorboden der Hagia Sophia aufriss, schlug er mit dem Szepter auf ihn ein. Die Throne Europas zeigten sich erschüttert, aber kein christliches Heer war Byzanz zu Hilfe geeilt. Mohammed war erst zum Angriff geschritten, als er sich sicher sein konnte, dass kein Entsatzheer unterwegs war. Ebenso wenig war im Nachhinein an eine Einigkeit der Fürsten im Kampf gegen die Türken zu denken. Vergeblich bemühte sich auch Kaiser Friedrich III. (geb. 1415; König 1440; Kaiser 1452; gest. 1493) 1454 auf Reichstagen in Frankfurt, Regensburg und Wien um Unterstützung und Einheit gegen das Osmanische Reich; er scheiterte wie alle anderen an der Habsucht, dem Egoismus und der Zwietracht der europäischen Länder und ihrer Regenten. Mit der Einnahme von Konstantinopel endete nach der Klassifizierung der Weltgeschichte durch den deutschen Geschichtsprofessor Christoph Cellarius (1638–1707) alias Christoph Keller das Mittelalter – er nahm zum ersten Mal die bis heute erhaltene Dreiteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit vor.
     Mohammed machte Konstantinopel zu seiner Hauptstadt; die Hagia Sophia, von der direkt nach der Einnahme Konstantinopels ein Muezzin vom höchsten Turm aus zum Dankgebet an Allah für den Sieg gerufen hatte, wurde aller christlichen Insignien entkleidet. Der Sultan suchte nun, sein Reich nach außen und im Innern zu stärken. Er fühlte sich berufen, zum Weltherrscher zu werden, und viele Zeitgenossen haben das von ihm erwartet. Papst Pius II. (geb. 1405; Pontifikat 1458–1464), der auch meinte, in Mohammed den Weltherrscher gefunden zu haben, schlug ihm brieflich vor, das Christentum anzunehmen, um so Herr und Erlöser der Welt zu werden. Was Mohammed darüber dachte, ist unbekannt. Aber auch unabhängig davon war es sein Ziel, Italien zu erobern; er kam auch bis Italien, aber nicht bis Rom, wo man schon in Angst und Schrecken verfallen war. Mohammed legte sich schon einmal den Titel »Kaiser von Rom« zu, aber am Ende wurde nichts daraus. Immerhin eroberte er 1456/58 Serbien, ein Jahr später das Kosovo, 1460/61 nahm er die letzten byzantinischen Besitzungen in Griechenland sowie Trapezunt, das heutige Trabzon, ein und 1463 noch Bosnien. Scutari entriss er den Venezianern, Kaffa den Genuesen, 1475 unterstellte sich ihm die Krim, und 1480 eroberte er Otranto. Er starb am 3. Mai 1481 bei Gebze. Wer war nun Mohammed der Große wirklich? Die Schilderungen über ihn reichen von maßlosem Hass bis zu bedingungsloser Bewunderung, je nach Perspektive des Beobachters. Die Grausamkeiten seines Heeres ließen ihn nicht gleichgültig; den für die Scheußlichkeiten in Otranto verantwortlichen Pascha ließ er hinrichten, aber umgekehrt brachte er seinen eigenen Bruder um, um einen lästigen Konkurrenten los zu sein, was er sogar noch gesetzlich legitimieren ließ, gemäß dem Satz im Koran: »Die Unordnung ist schädlicher als Mord.« Er unterhielt Handelsbeziehungen zu etlichen Mittelmeerstaaten, vor allem nach Italien. Auf der anderen Seite ließ er zahlreiche Bauten errichten, so nach seinem Sieg die Moschee Eijubs, und als sein größtes Bauwerk den Topkapi-Palast in Istanbul, von nun an für Jahrhunderte Wohn- und Regierungssitz der Sultane und Verwaltungszentrum des Reiches. 300 Moscheen, 50 islamische Hochschulen und 50 Bäder gingen auf ihn zurück. Aber nicht nur Moscheen, Schulen oder Medresen (Lehranstalten) verdankt ihm die Nachwelt, sondern auch Hospitäler, Karawansereien, Bibliotheken, Brunnen, Imarete (Garküchen), das alte Serai und sogar Irrenanstalten. Er setzte die Tradition der letzten Sultane fort und widmete sich der Kunst, besonders der Poesie, schrieb selbst Gedichte unter dem Namen Auni, der Hilfreiche, und zog eine Anzahl bedeutender Dichter an seinen Hof, darunter sogar zwei Dichterinnen. Indische und persische Gelehrte gingen bei ihm ein und aus. Seine Nachfolger traten in seine Fußstapfen, erwiesen sich als grausame Eroberer und pflegten gleichzeitig die Musen, so auch Suleiman der Große.
     Suleiman II. ist uns eher als »der Prächtige« geläufig. Er hatte den Beinamen »el-Kanuni«, was als der Große oder Prächtige übersetzt wurde; die Türken nennen ihn den »Gesetzgeber«. Er gilt als einer der größten Sultane des Osmanischen Reiches. Geboren wurde er am 5. November 1494 in Trapezunt. Nach dem Tod seines Vater Selims I., der seit 1512 regiert hatte, kam er 1520 auf den Thron. Sein Erbe war ein durch und durch gut organisiertes Reich, und ihm gelang es, dieses Reich noch einmal zu erweitern; unter ihm erreichte es seine größte Ausdehnung. Er eroberte 1522 die Stadt Belgrad, an der Mohammed der Große gescheitert war; ein Jahr später fiel die Insel Rhodos, an der die Türken 1480 ebenfalls erfolglos geblieben waren, unter großem Blutvergießen (der Rest des hier ansässigen Johanniterordens zog 1527 auf die Insel Malta, die ihnen Kaiser Karl V. (geb. 1500; König 1520 (vorher schon in Spanien); Kaiser 1530; Thronverzicht 1556; gest. 1559) schenkte, was der Papst 1530 bestätigte. Ungarn war dann 1526 an der Reihe, in der Schlacht von Mohaksch wurde das christliche Heer unter Ludwig II., dem letzten Jagiellonen, besiegt, er selbst getötet. Wiederum war die Zwietracht zwischen den Fürsten nicht unschuldig an der Niederlage. Viele Feinde Kaiser Karls standen auf der Seite Suleimans, Franz I. (geb. 1494; reg. 1515–1547), »der allerchristlichste König von Frankreich«, suchte ein Bündnis mit ihm, die Herzöge von Bayern verhandelten mit ihm wegen ihrer Ansprüche auf Böhmen, und Österreich, das heutige Slowenien und Friaul lagen praktisch ungeschützt vor den türkischen Angreifern. In einem deutschen Volkslied hieß es damals: »Der wütend Türk hat große Macht neulich ins Ungarland gebracht […] Aus Ungarn ist er bald und schnell in Österreich bei Tages Hell’, Bayern ist ihm gleich zur Hand, von dann er kummt in andre Land, dem Rhein mag er bald kommen zu, damit haben wir kein Zeit, kein Ruh’. Unser Unfleiß und Eigennutz, gegen den Nächsten stolzer Trutz, Haß, Neid und Arglist Sinnen, die machen den Türken gewinnen.« Vor allem letzteres!
     Endlich, fast in letzter Minute, kam es zum Frieden zwischen Kaiser und Papst, auch Franz I. lenkte ein. Und als dann im September 1529 die osmanischen Truppen Wien belagerten – Suleiman hatte geschworen, er werde nicht eher ruhen, als bis das Gebet des Propheten vom Stephansdom gesprochen werde – zitterte das Abendland, doch musste Suleiman im Oktober die Belagerung aufheben; Mangel an Nahrung und die schlechten Witterungsbedingungen, zudem Unzufriedenheit in den eigenen Reihen, zwangen ihn zur Umkehr. Suleimans Macht blieb ungebrochen. Zwar nahm ihm 1535 Karl V. in einem vielfach verherrlichten Feldzug Tunis ab – das Osmanische Reich beherrschte einen Großteil der Küste Nordafrikas, wo seine Piraten ihre Stützpunkte hatten; durch seine Flotte war Suleiman Herr im Mittelmeer und auch im Roten Meer – aber ein Jahr später schloss er eine Allianz mit Frankreich gegen die Habsburger. Endlich, 1533, kam es zu einem leidlichen Frieden mit dem Kaiser. Dadurch erhielt Suleiman den Rücken frei für seine Eroberungen im Osten: In den Jahren 1534 bis 1538 eroberte er Bagdad und Aden, vorübergehend auch Täbris in Persien, und er fügte die südliche und westliche Küste der Arabischen Halbinsel dem Osmanischen Imperium hinzu. Sein Versuch, 1565 Malta zu erobern, schlug indes fehl.
Wie Mohammed der Große hatte auch Suleiman der Große mehrere Charakterseiten. Seine Reformen und Gesetzeswerke, die u. a. die Landverteilung, die Verwaltung, die sich noch lange in der von ihm auf den Weg gebrachten Form erhielt, oder die Organisation der Geistlichkeit betrafen – er verbesserte auch die Lage der Christen in seinem Reich – brachten ihm mit Recht großes Lob. Er förderte die Kunst und die Architektur und vor allem die Literatur, schrieb auch selbst unter dem Namen Muhibbi an die 3000 lyrische Gedichte. Mit seiner Unterstützung schuf der berühmte, begnadete Architekt Sinan (ca. 1500–1588), der 1538 Baumeister für das gesamte Osmanische Reich wurde, mehr als 300 Bauwerke, Mausoleen, Paläste, Medresen, Moscheen wie die prachtvolle Suleiman-Moschee in Konstantinopel, wo Suleiman auch begraben ist, und die Selim-Moschee für seinen Vater in Edirne. Andererseits ließ er seinen Großwesir Ibrahim, der von 1523 bis 1536 die Verwaltung leitete und dem die meisten von Suleimans Gesetzes- und Reformwerken zu verdanken sind, ohne ersichtlichen Grund erdrosseln, und seinen ältesten Sohn und andere Familienmitglieder ließ er ermorden. So bleibt ein Schatten auf diesem außergewöhnlichen Herrscher lasten. Suleiman, der seine Heere persönlich in die Schlacht zu führen pflegte, starb am 7. September 1566 bei der Belagerung von Szigetvár bei Pécs auf einem seiner Feldzüge, diesmal im Krieg mit Österreich. Er und sein Vorfahr Mohammed der Große bleiben in der osmanischen, aber auch in der europäischen Geschichte unvergessen.
     Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Osmanischen Reiches sind noch zwei »Große« zu nennen, die nun aber auf der Gegenseite standen. Der eine ist der berühmte Stephan III. der Große, Fürst von Moldau. Geboren wurde er 1433 in Borzeşti, wahrscheinlich als unehelicher Sohn des dortigen Fürsten, aber von seinem Vater schon früh an der Macht beteiligt und nach dessen gewaltsamem Tod 1451, Flucht und Exil mit 24 Jahren Fürst. Die Woiwodschaften Walachei und Moldau sind uns bereits begegnet, auch die Fürsten der Walachei Mirtschea und Basarab die Großen. Sie wurden noch um einiges von Stephan dem Großen überragt. Das Fürstentum Moldau war wie die Walachei im 15. Jahrhundert, wie bereits erwähnt, in den Einflussbereich des Osmanischen Reiches gekommen, konnte sich aber noch eine gewisse Unabhängigkeit erhalten, so lange es Tributzahlungen leistete. Da Polen und Ungarn immer wieder Zugriff auf Moldau nehmen wollten, erschien dessen Fürsten die Tributpflicht gegenüber den Osmanen annehmbarer. Seine Hauptaufgabe sah Stephan darin, die Unabhängigkeit seines Landes gegenüber allen Nachbarn zu sichern. Dazu führte er auch diverse Kriege. 1467 besiegte er den bekannten ungarischen König Matthias I. Corvinus (geb. 1443; reg. 1458–90), den Sohn von Johann Hunyadi, welcher uns eben begegnet ist. Matthias kämpfte gegen die Türken in Serbien und Bosnien (1479–83) und gewann im Krieg gegen Kaiser Friedrich III. sogar Niederösterreich mit Wien (1485 – 90), nicht lange vor dem Tag, da die Türken zum ersten Mal vor Wien erschienen. Als die Ungarn in Moldau einmarschierten, schlug sie Stephan in der Schlacht bei Baia vernichtend, Matthias entkam schwer verletzt; später normalisierte sich das Verhältnis beider Länder. Kurz danach, 1469 oder 1470, errang Stephan einen Sieg über die Krimtataren, die in sein Reich einfielen bzw. dazu von anderen Fürsten verleitet wurden. Lange Jahre, von 1473 bis 1489, führte er Krieg gegen das Osmanische Reich, also noch zu einer Zeit, da Mohammed der Große in Konstantinopel regierte. Mehrere Siege erlangte er, z. B. 1475, als er mit 40.000 Mann etwa 120.000 Türken bei Vaslui schlug – selbst der türkische Chronist nannte es eine noch nie da gewesene Niederlage der Osmanen. Wie zu erwarten, blieb der Versuch von Stephan, im Anschluss an den Sieg (und auch noch später) die europäischen Mächte gegen die Osmanen zu einen, ohne Erfolg. Im nächsten Jahr verlor Stephan zwar eine Schlacht gegen die Türken, dies blieb jedoch ohne Folgen, aber am Ende sah er sich in Anbetracht der Gleichgültigkeit der übrigen Mächte und der Stärke des Osmanischen Reiches doch gezwungen, auf Tributzahlungen einzugehen. 1481 siegte er über die Walachei, und von 1497 bis 99 schließlich kämpfte Stephan gegen Polen, und das durchaus erfolgreich. All diese Kriege führten nicht zu einer Verarmung des Landes, sondern zu einem Machtzuwachs – seine Bauernkrieger und Bojarenscharen verehrten ihn – und sogar zu einem wirtschaftlich-kulturellen Aufschwung. An die 44 Kirchen und Klöster, die »Moldauklöster«, sowie eine Reihe von Festungen, letztere nach einem klug berechneten System, ließ Stephan errichten; einige gehören heute zum Weltkulturerbe. Gotische Elemente vereinigten sich in den Kirchen mit orientalischen und ergaben so eine den Verhältnissen des Landes angepasste Architektur. Er gründete das Bistum Radautz und brachte damit die Organisation der Kirche zum Erfolg. Durch die Unterstützung von Mönchen, die sich der Kunst und Literatur widmeten, trug er zur Entwicklung einer hohen Kultur in seinem Lande bei. Immerhin regierte er fast ein halbes Jahrhundert. Stephan starb am 2. Juli 1504 in Suceava (Sutschawa) und wurde im Kloster Putna in der heutigen Bukowina bestattet. Er wird heutzutage in der Republik Moldau und auch in Rumänien als Nationalheld verehrt. Zahlreiche Stätten erinnern an ihn. Wegen seiner Kämpfe für die Unabhängigkeit wurde und wird er von den jeweiligen politischen Machthabern immer wieder für die eigenen Zwecke ge- oder missbraucht. Aber wenn diese Symbolgestalt den Rumänen bzw. den Bewohnern von Moldawien zu einem Identitäts- oder Selbstwertgefühl verhilft, so ist dies letztlich nicht zu beanstanden.
     Stephan mischte sich in die Verhältnisse anderer Länder durchaus ein. In der Walachei hatte es längere Zeit wirre Verhältnisse gegeben. Schließlich bestieg ein früherer Mönch namens Wlad den Fürstenstuhl, nachdem Stephan den unfähigen Machthaber, auch einen Basarab, abgesetzt hatte. Wlad der Mönch regierte von 1482 bis 1495. Dann folgte sein Sohn Radu, der bis 1508 an der Macht blieb. Er stiftete das prachtvolle, glänzende Kloster Dealu, in dessen Inschriften und Schmuck sich bereits die Kunst der Renaissance wiederfindet; damit übertraf er den größten Klosterstifter in der Walachei vor ihm, nämlich Mirtschea den Großen, dem die wunderschönen serbisch-byzantinischen Bauen des Oltlandes zu verdanken waren, und einheimische wie griechische Kleriker nannten ihn wegen seiner Freigebigkeit »den Großen«. Als Radu den Großen findet man ihn noch heute in den Geschichtswerken.
     Walachei, Moldau, Rumänien – ihre Geschichte durch die Jahrhunderte war immer verbunden mit denen der großen Mächte in ihrer Nachbarschaft, und das keineswegs zu ihrem Vorteil oder Segen. Das Osmanische Reich, durch Suleiman den Großen, den Prächtigen, zum Höhepunkt geführt – schon seit 1517 trug der Sultan auch den Kalifentitel und war damit Schutzherr der heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina – verlor ab der vernichtenden Niederlage seiner Flotte bei Lepanto 1571 an Einfluss; der innere und äußere Verfall begann; der Niedergang führte zum Ende des Osmanischen Reiches 1923. Danach wendete sich das Blatt zu einem Neubeginn.

In ferne Zonen: Johann und Emanuel die Großen

Der Beginn der Neuzeit war – wir sagten es schon – mit der Aufnahme der nun in großer Zahl stattfindenden Entdeckungsreisen verknüpft. Es waren zunächst die Portugiesen, die an ferne Küsten vorstießen. Initiator war vor allem der Infant Heinrich der Seefahrer (1394–1460), seit 1419 Gouverneur des Königreichs Algarve und 1420 Großmeister des Christusordens, der um sich nicht nur erfahrene Kapitäne, sondern auch Experten in Kartografie, Nautik und Kosmografie versammelte und eine Art Seefahrtsschule gründete. Schon seit 1418 veranlasste er die Erkundung der Westküste Afrikas – Madeira erreichten die Portugiesen 1420, sieben Jahre später die Azoren; Heinrich legte, obwohl er nicht König war, den Grundstock für die portugiesische See- und damit später auch Handels- und Kolonialmacht. Die Eroberung Konstantinopels beschleunigte die Entdeckungsfahrten, da die Türken den Landweg zu den großen Handelsplätzen in Asien gesperrt hatten und nun die Suche eines Seewegs nach Indien im Vordergrund stand. Schon 1446 kamen die Portugiesen an die Senegalmündung, zehn Jahre später zu den Kapverdischen Inseln, 1484 bis zum Kongo, und 1487/88 segelte Bartholomeus Diaz (ca. 1450–1500), besser: kämpfte er sich im Sturm um die Südspitze Afrikas, das Kap der Guten Hoffnung, das er noch Kap der Stürme nannte.
Heinrich der Seefahrer war der Sohn von König Johann I., der den Ehrentitel »der Große« erhielt. Geboren wurde dieser 1357 in Lissabon. Sein Thron war nicht unumstritten. Kastilien erhob Anspruch darauf, aber Johann heuerte 500 englische Bogenschützen an und schlug die Kastilier am 14. August 1385, ein Sieg, dessen noch heute an Portugals Nationalfeiertag gedacht wird. Von daher rührt – zwischen England und Portugal – eines der ältesten Bündnisse der europäischen Geschichte (Vertrag von Windsor 1386), das noch heute besteht. Als Königreich existierte Portugal bereits seit 1139; seine große Zeit kam aber erst jetzt. Johann war selbst der Spross einer unglücklichen Liebe, nämlich König Pedros I. des Strengen (geb. 1320; reg. 1357–1367) und seiner Geliebten Inés de Castro; diese hatte er angeblich nach dem 1345 erfolgten Tod seiner ihm schon 1336 über Vollmachtsvertretung angetrauten Ehefrau Konstanze, Tochter des Prinzen von Kastilien, heimlich 1354 geheiratet, was allerdings unbewiesen blieb. Er hatte sich unsterblich in sie verliebt, als Konstanze mit ihr als Kammerzofe 1340 an den Hof kam – doch Pedros Vater, König Alfons IV. (geb. 1290; reg. 1325–1357), ließ sie aus dynastischen Gründen ermorden (1355); da hatte allerdings Ines ihrem Liebhaber oder Gemahl, wie auch immer, schon vier Kinder geboren. Als Pedro an die Macht kam, ließ er etliche der Mörder umbringen; dann ließ er den Leichnam von Inés exhumieren und die Tote mit den königlichen Insignien neben sich auf dem Thron krönen, bevor er sie wieder bestatten ließ, womit für die portugiesische Literatur eines ihrer bedeutendsten Themen geboren war. Johann hieß darum auch »der Bastard«. Er begründete die Dynastie der Avis, die bis 1580 an der Macht blieb. Johann selbst regierte 48 Jahre lang. Er reformierte und verbesserte Recht, Rechtsprechung und Verwaltung; durch ihn – eine seiner größten Leistungen – wurde Portugiesisch die offizielle Landessprache. In Batalha ließ er zur Erinnerung an den Sieg über Kastilien eine Dominikanerkirche erbauen, Santa Maria da Victoria, die vom Stil her an Notre Dame in Paris oder auch – von der Größe her – an den Mailänder Dom gemahnt. Johann der Große starb am 14. August 1433. Sein Sohn Heinrich der Seefahrer hatte ihn 1415 dazu gebracht, Ceuta, die marokkanische Stadt, die Gibraltar gegenüber liegt, und die dazu gehörige Region zu erobern; damit hatte er die portugiesische Ausdehnung in Afrika eingeläutet.
     Kurz nach Erreichen der Südspitze Afrikas, 1492, landete Christoph Kolumbus (1451–1506), in Amerika, aber für die Weltgeschichte vorrangiger war zunächst der Seeweg nach Indien, den endlich 1497/98 Vasco da Gama (ca. 1469–1524) im Auftrag des portugiesischen Königs Emanuels I. fand. Ganz Portugal hatte dem Ereignis entgegengefiebert, und in Anbetracht der Schätze, die Kolumbus aus Amerika mit brachte, hielt es der portugiesische Herrscher für an der Zeit, es den Spaniern gleich zu tun.
     Emanuel, portugiesisch Manuel, wurde am 31. Mai 1469 bei Lissabon geboren und kam 1495 auf den Thron. Als Emanuel der Glückliche bzw. als Emanuel der Große ging er in die Geschichte ein. Wie seine Vorgänger unterstützte er die Entdeckungsreisen nach Asien und Amerika. Vor allem Vasco da Gama, Pedro A. Cabral (ca. 1468–1520 oder 1526), der 1500 die Ostküste Brasiliens erreichte und das Land für Portugal in Besitz nahm, und Afonso de Albuquerque (1453 oder 1462–1515), der die Tore zum indischen Handel Hormus, Goa und Malakka eroberte, einheimische Fürsten zu Vasallen degradierte und von 1509 bis zu seinem Tode Vizekönig von Indien war, wurden von ihm gefördert. Emanuels Ziel war es vor allem, ein portugiesisches Handelsmonopol in den Ländern rund um den Indischen Ozean zu schaffen, aber auch Amerika lag ihm am Herzen. Damals wetteiferten die Spanier und Portugiesen als die führenden Nationen um die Beherrschung der fernen Welten. In den Verträgen von Tordesillas (1494) und Saragossa (1529) legten sie ihre Interessenssphären fest. Den Vertrag von Tordesillas hatte noch Emanuels Vorgänger, sein Cousin Johann II. (geb. 1455; reg. 1481–1495), geschlossen; er teilte die Welt in zwei Sphären, wobei die weiter entfernt liegenden Regionen nach ihrer Entdeckung Spanien zufallen sollten. Johann II. gilt manchen Historikern als der bedeutendste portugiesische König, aber in Anbetracht der Leistungen Emanuels kann man darüber geteilter Meinung sein … Die erste Weltumseglung fand von 1519 bis 1522 unter dem portugiesischen Seefahrer Ferdinand Magellan (Fernão de Magalhães; ca. 1480–1521) bzw. seinem Nachfolger Juan S. Elcano (ca. 1468–1526) in spanischen Diensten statt. Wurden Südamerika seit 1498 und Mittelamerika seit 1502 allmählich in Besitz genommen, waren die nächsten Stationen im Osten Goa (1510), Malakka (1511), die Molukken (1512), Kanton (1517), Neuguinea (1526) und schließlich auch Japan (1542). Bis zu seinem Tode am 13. Dezember 1521 in Lissabon betrieb Emanuel energisch für Portugal die Entdeckung und Inbesitznahme ferner Gestade und Länder, doch er machte sich auch auf anderen Gebieten einen Namen in der portugiesischen Geschichte. Seine kluge Außenpolitik bewahrte das Land vor Kriegen, aber er verwies 1496 die Juden und die nach der Eroberung Granadas 1492 als letztem Bollwerk der Muslime in Spanien nach Portugal geflohenen Mauren aus dem Lande. In seinem Regime nahm er ein wenig den Absolutismus vorweg – er zentralisierte die Verwaltung und festigte die Macht der Krone gegenüber dem Adel und den Städten, deren bisher genossene Freiheiten bedeutungslos wurden, und setzte darin die Politik von Johann II. fort, ja verstärkte sie sogar – in seiner Regierungszeit wurden die Stände nur dreimal einberufen. Daraus ergaben sich konsequenterweise auch die Vereinheitlichung des Steuer- und Zoll- sowie die Reformierung des Finanzwesens. Ein neuer Rechtskodex, die »Ordenações Manuelinas«, wurde unter seiner Regierung erlassen. Die Eroberungen und der beginnende Überseehandel brachten Gold in die Staatskassen und Gewürze als Wirtschaftsgut, mit denen sich viel Geld verdienen ließ, das den Staatseinnahmen zu gute kam. Unter seiner länger als ein Vierteljahrhundert dauernden Herrschaft blühte Portugal in Kunst, Kultur und Wissenschaft auf, besonders in der Baukunst. Der nach dem König benannte Emanuelstil entwickelte sich zu einer eigenen dekorativen Form der spätgotischen Architektur, der verschiedene Elemente (Flamboyantstil, Mudéjarstil, Platereskenstil) kunstvoll mit nautischen, maritimen und exotischen Elementen verband, die ihren Ursprung in den überseeischen Entdeckungsreisen und der damit verbundenen Entdeckerfreude hatten. Im Turm von Lissabons Stadtteil Belém, heute ein Wahrzeichen Lissabons, und im Hieronymitenkloster in Belém, beide heutzutage berühmte Fremdenattraktionen und Weltkulturerbe der UNESCO, findet er sich besonders gut dokumentiert. Insgesamt bescherte Emanuel Portugal ein »Goldenes Zeitalter«, was auch in seinen Titeln »der Glückliche« bzw. »der Große« seinen Ausdruck fand. Mit seiner weisen Heiratspolitik schuf er verwandtschaftliche Beziehungen zum spanischen Königshaus – er selbst war dreimal verheiratet, zunächst mit Isabella und danach mit ihrer Schwester Maria, beides Töchter des bereits erwähnten, berühmten spanischen Königspaares Isabella und Ferdinand, die die Weltmachtstellung Spaniens im 16. Jahrhundert begründeten, und zuletzt mit Leonora, der Schwester Kaiser Karls V. Aus der Ehe mit Maria stammte sein Nachfolger Johann III., der bis 1557 regierte und schon wieder einige Eroberungen aufgeben musste, was mit zum Primat Spaniens in der Weltmachtstellung beitrug, und als die Dynastie Avis 1580 ausstarb, führte dies zur Vereinigung Portugals und Spaniens. In dieser Zeit hatten sich mittlerweile auch die anderen Nationen an den großen Entdeckungen beteiligt, die Franzosen, Engländer und Niederländer, um sich selbst einen Kuchen der großen, weiten Welt abzuschneiden – das Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus zog herauf…

Noch eigenständige Herrscher: Sonni Ali, Askia, Abbas und Akbar die Großen

Im Lauf der Zeit unterwarfen die Europäer mehr oder weniger die ganze bekannte Welt, aber bevor das geschah, brachten es noch einige einheimische und selbstständige Fürsten zu »Großen« in fremden Kontinenten.
Das schwarze Afrika, anders natürlich als Ägypten oder der Sudan, erscheint uns, die wir davon nur wenige Kenntnisse haben, als geschichtsloser Kontinent. In Wahrheit haben sich dort ebenso große Reiche gebildet, sind gekommen und wieder vergangen, wie in Europa oder in Asien. Man denke nur an das Imperium der Zulu unter dem »schwarzen Napoleon« Tschaka (ca. 1789 (?)–1828), das dieser seit 1816 errichtete und das erst 1879 von den Engländern besiegt wurde – heutzutage gewinnt Tschaka als Nationalheld einen gewissen Nachruhm in Südafrika. Ein anderes, früher eher als geheimnisvoll angesehenes und legendenumwobenes Reich war Monomotapa, das in Simbabwe im 15./16. Jahrhundert seine Blüte erlebte und heute noch durch seine verlassenen Goldbergwerke und seine Ruinen bekannt ist. Wenden wir uns nach Nordafrika, so finden wir beispielsweise im westlichen Sudan (der Sudan erstreckt sich rein geografisch vom Roten Meer bzw. dem Äthiopischen Hochland bis an den Atlantik, bis zum Senegalbecken und wird im Norden durch die Sahara und im Süden durch die tropische Regenwaldzone begrenzt, ist also nicht identisch mit dem heutigen Staat dieses Namens) mehrere Reiche: Ghana, das schon ab etwa 300 n. Chr. existiert haben soll und bis ins 14. Jahrhundert von Bedeutung war, Melle oder Mali, das, am Ende des ersten Jahrtausends entstanden, im 14. Jahrhundert, nun schon islamisch, seinen Höhepunkt erreichte, und Songhai oder Sonrhai, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zur großen Macht aufstieg und auch unter dem Namen Gao bekannt wurde. Die Songhai waren ein westafrikanisches Volk am mittleren Niger. Ihr Zentrum lag innerhalb der großen Biegung des Stroms, südlich der sagenumwobenen Handelsstadt Timbuktu. Mit Mande, Fulbe und anderen Völkern errichteten sie, nachdem es hier schon im 7. Jahrhundert eine berberische Gründung gegeben hatte, im 10. Jahrhundert das Reich Songhai mit der Hauptstadt Gao. Etwa 1009/10 trat ihr König Kossoi, der von 1005 bis 1025 regierte, zum Islam über, was für das Reich einen großen Umbruch bedeutete. Als nun das Reich Mali immer mächtiger wurde, unterwarf es um 1325 auch Songhai, doch machte sich letzteres um 1400 schon wieder selbstständig, und hier begnügte man sich erst einmal mit der Unabhängigkeit. Nochmals verging mehr als ein halbes Jahrhundert, dann trat Songhai aus seinem neutralen Dasein heraus und einen Siegeszug über die Nachbarvölker an. Um 1465 kam Ali aus der Dynastie der Sonni, aus berberischem Geschlecht, an die Macht und suchte, durch weit reichende Eroberungskriege die Nachbarreiche zu unterwerfen. Ali war zwar außerordentlich tatkräftig, aber galt auch, vielleicht zu Recht, eher zu Unrecht, als sehr grausam. Er bekannte sich nicht zum Islam, sondern war vom animistischen Glauben erfüllt und praktizierte die Hohe Magie, und so hatte er auch keine religiösen Skrupel, die muslimischen Reiche im Sudan zu unterwerfen. Vor allem auf Kosten Malis breitete er sich aus. 1468 eroberte er eine der Haupthandelsstädte des Mali-Reiches, nämlich das legendäre Timbuktu. Hier hat man zwar antike ägyptische Bauten ausgegraben, aber die heutige Stadt wurde 1087 als Tuareg-Lager gegründet und entwickelte sich zu einer reichen und prachtvollen Handelsstadt. Auf seiner Reise 1352 bis 1354 quer durch die Sahara zum Niger kam der arabische Weltreisende Ibn Battuta (1304–1377) auch nach Timbuktu. Zu Sonni Alis Zeiten waren die Akil-Tuareg die Herren der Stadt, die vorher die Mande vertrieben hatten, aber sich vor allem durch Machtmissbrauch, Unterjochung der Einwohner bis hin zur Vergewaltigung von Frauen und erdrückende Steuerlast hervortaten. Schließlich bat der Gouverneur Omar Sonni Ali um Hilfe, was diesem wie gerufen kam. Als sich dann ein schwarzes (!) Heer der Stadt näherte, gerieten die Bewohner in Panik und flohen, einschließlich der Elite mit samt dem Gouverneur. Sonni Ali hat dann mehrere angesehene Persönlichkeiten, die mit den Tuareg paktiert hatten und so für ihn Hochverräter darstellten, töten lassen, und das brachte ihm bei seinen Zeitgenossen und Nachfahren den Ruf eines höchst grausamen und brutalen Herrschers ein, der er aber so nicht war. Um 1473 eroberte er auch die Stadt Dschenné nach mehrjähriger Belagerung. Schließlich fiel auch Massina, und Ali dezimierte die dort ansässigen Fulbe vom Stamm der Sangare so stark, dass es hieß, ihre Reste hätten im Schatten eines einzigen Baumes Platz gefunden. Jedenfalls waren die Fulbe von allen Ämtern in Verwaltung und Justiz ausgeschlossen. Das alte Reich Ghana brachte er großteils in seinen Herrschaftsbereich. Aber Sonni Ali war nicht nur ein Machtmensch, er förderte in seinem Reich die Gelehrten, denen er wertvolle Güter schenkte, gemäß seiner Überzeugung: »Ohne die Gelehrten gäbe es auf dieser Welt weder Anmut noch Freude«, ließ offizielle Akten des Königreiches anlegen und häufte unermessliche Schätze an. Vor allem gegen die Tuareg musste er immer wieder zu Felde ziehen. Auf dem Rückweg von einer derartigen Operation ertrank er 1492. Ali erhielt den Beinamen Dâli, der »Sehr-Erhabene«, aber in die Geschichte ging er als Ali Ber, d. h. Ali der Große, oder auch Sonni Ali der Große ein.
     Alis Sohn Sonni Bakary, dem er ein gut verwaltetes und gefestigtes Reich hinterließ, blieb nur etwa ein Jahr an der Macht, dann wurde er durch einen Unterbefehlshaber Alis gestürzt, den Gouverneur von Hombori, Mohammed ben Abu Bakr, einen Angehörigen des Tekrur-Stammes der Sylla, der nun nicht mehr berberisch-hellhäutig wie Sonni Ali, sondern ein »echter Schwarzer« war. Dieser nahm als König den Namen Askia an: »Das Wort Askia stammt aus dem Songhai a si kyi ya: ›Er ist es nicht! Er wird es nicht sein!‹ Ein Schrei der Herausforderung und des Unwillens, den die Töchter des Sonni Ali bei der Ankündigung des Staatsstreichs General Syllas ausstießen. Der übernahm diesen Ausruf als dynastischen Titel« – so beschreibt es der Historiker Ki-Zerbo. Askia kam mit Hilfe der Muslime im Reich an die Macht. Anders als Ali war er ein Herrscher, der planmäßig und ordnend vorging und dessen Frömmigkeit in puritanische Sittenstrenge mündete. Traf z. B. seine Geheimpolizei einen Mann an, der nachts mit einer Frau plauderte, wurde er sofort ins Gefängnis gebracht. Nach außen führte Askia zur Vergrößerung seines Reiches weiterhin Eroberungszüge; dazu gründete er im Gegensatz zu Sonni Ali, der seine Streitkräfte immer wieder neu ausgehoben hatte, ein stehendes Heer; nach innen förderte er Frieden und Moral. Eine glanzvolle Wallfahrt nach Mekka 1496 brachte ihm viel Ansehen in der islamischen Welt. Tausend Infanteristen und fünfhundert Reiter begleiteten ihn; dazu nahm er 300.000 Goldstücke mit, von denen er ein Drittel als Almosen verteilen ließ. Ein für ihn und sein Land herausragendes Ergebnis bestand in der Verleihung der Kalifenwürde an ihn. Nach seiner Rückkehr nahm er seine Kriegszüge wieder auf, erst gegen das islamfeindliche Reich Mossi, dessen Grenzgebiete er verheerte, dann gegen Mali, dessen alte Hauptstadt er zerstörte und das er tributpflichtig machte (1501). In weiteren Feldzügen dehnte er das Reich weit nach Westen und Osten aus, wo er eine Stadt nach der anderen in den Haussa-Staaten eroberte. Auch gegen die Tuareg führte er immer wieder Krieg. Im Osten reichte das Reich nun bis an den Tschadsee, im Westen bis an den Senegal, im Süden bis an den Tropischen Regenwald und im Norden bis zu den Salzminen von Teghazza. Auch Askia gewann sich den Titel »der Große«, wie er in den Enzyklopädien genannt wird. Sein Ende war allerdings unrühmlich. In der Familie brach Streit aus, und sein ältester Sohn Mussa zwang ihn 1528 abzudanken. Allerdings wurde letzterer bald ermordet, und auch die nachfolgenden Herrscher erreichten nicht mehr die Größe der Gründer. Das Reich, das durch das Militär zusammen gehalten wurde, wurde gut verwaltet, umsichtig dezentralisiert, was aber eine gewisse Starrheit nicht ausschloss, und die örtlichen Machthaber hingen in ihrer Stellung ganz von der Laune des Askia ab. Wirtschaftlich beruhte das Reich auf Hirse- und Reisanbau sowie der Viehhaltung. Von großer Bedeutung war der Salzhandel, und das Salz wurde gegen das Gold, das weiter im Süden von den dortigen Völkern gewonnen wurde, getauscht. So konnte Timbuktu als Hauptstadt des Reiches zu seinen glanzvollen Palästen und Moscheen kommen. Der maurische Reisende Leo Africanus (ca. 1494–ca. 1552), der 1513 hier her kam, verbreitete ihren Ruhm. Hier trafen sich die Karawanen aus aller Herren Länder, hier wurden Sklaven umgeschlagen, der Handel mit Gold, Gummi und Straußenfedern florierte. Und hier gab es eine islamische Hochschule und 180 Koranschulen; das islamische Hochschulwesen war weit entwickelt; der Herrscher besoldete die Richter, Doktoren und Priester; die Literatur wurde in hohen Ehren gehalten; islamische Gelehrte zogen von Stadt zu Stadt, um Vorlesungen zu halten. Timbuktu hatte damals rund 100.000 Einwohner, mit Marktvorsteher, einem Polizeivorsteher und sogar einem Kommissar für die Fremden. Dies entwickelte sich in einem »schwarzen« Reich und ist uns Europäern bedauerlicherweise viel zu wenig bekannt geworden.Von all dem ist auch nicht viel geblieben. 1590 stießen marokkanische Truppen in Richtung Gao vor und besiegten die Übermacht des damaligen Askia, Ishak II. (gest. 1592) dank ihrer Gewehre. Timbuktu wurde erobert, das Reich zerstört. Vor der Entstehung der islamischen Staaten im 19. Jahrhundert und der französischen Kolonisation war Songhai das letzte große Reich im mittleren Sudan. Als europäische Forscher, angelockt von den sagenhaften Berichten über Timbuktu, hierher kamen – als erster der Schotte Alexander Laing 1826, der das Abenteuer nicht überlebte, dann der Franzose René Caillié (1799–1838) 1828 und der Hamburger Heinrich Barth (1821–1865) 1852 – waren sie enttäuscht; der Ruhm war verblasst; Caillé fand nur eine »Ansammlung von schäbigen Lehmhäusern in einer unermeßlichen Ebene von ungewöhnlicher Trockenheit«. Zu Barths Zeit hatte sich der Wohlstand wieder etwas verbessert, aber auch heute ist die Stadt in keiner Weise vergleichbar mit ihrer Blütezeit vor 500 Jahren. 1893 nahmen französische Truppen Timbuktu in Besitz, sie wurde dem französischen Sudan angegliedert und, als aus diesem Teil des Landes 1960 die unabhängige Republik Mali entstand, Regions-Hauptstadt dieses Staates. Damals hatte sie 7000 Einwohner, heute etwa 30.000. Der Salzhandel ist noch immer bedeutend, und die historische Altstadt wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben, eine späte Reminiszenz an Sonni Ali und Askia die Großen. Wenn man dann mit ansehen muss, wie Islamisten viele Heiligtümer in Timbuktu zerstören, so Ende des Jahres 2012 geschehen, kann man darüber nur, wie die damalige UNESCO-Direktorin Irina Bokova es ausdrückte, schockiert sein.

Wenden wir uns nun nach Asien, so stoßen wir in Persien auf einen weiteren »Großen« der Geschichte. Die »Großen« dieses Reiches aus der Antike, Kyros und Dareios, haben wir ausführlich gewürdigt. Nach der Eroberung durch Alexander den Großen herrschten in Persien bis 240 v. Chr. die Seleukiden, dann die Parther, die das sogenannte zweite iranische Reich gründeten. 224 n. Chr. folgte das dritte iranische Reich unter den Sassaniden, das sich erfolgreich gegen die Römer und danach gegen Inder, Hunnen und Türken zur Wehr setzte und seinen Bestand bis 642 sicherte. Doch nun eroberten die Araber Persien und islamisierten es. Viele Dynastien lösten einander in der Folgezeit ab; zeitweise herrschten hier die Seldschuken, die Mongolen, später dann Timur. Erst Ismail I., der 1524 starb, gelang es endlich nach jahrhundertelangen Wirren, eine starke Dynastie, die der Safawiden, zu begründen und in Persien einen einheitlichen Staat zu schaffen, dem er auch Armenien und Aserbaidschan angliederte. Ismail I. war es, der in seinem Land den Glauben der Zwölferschiiten einführte. Nun war Persien reif für eine neue Blütezeit. Sie kam unter Schah Abbas I. dem Großen. Geboren wurde dieser als Sohn von Schah Mohammed Khudabanda am 27. Januar 1571 und schon mit zehn Jahren nominell Gouverneur von Khorasan. Zum Schah wurde er proklamiert, als sein Vater 1587 abgesetzt wurde, und seine erste Tat war es, die Staatszügel anzuziehen. Zu Beginn seiner Regierung sah sich Persien im Osten von den Usbeken bedroht, im Westen von den Osmanen. Letztere erschienen Abbas als die größere Gefahr; daher schloss er mit ihnen 1590 einen Vertrag, in dem er ihre bisherigen Eroberungen anerkannte. Auf diese Weise an der einen Front Ruhe geschaffen, wandte er sich gegen die Usbeken, die er 1598 bei Herat in Afghanistan überraschte und vernichtend schlug. In der Folgezeit eroberte er auch Gilan, Masenderan und fast ganz Afghanistan. Abbas gründete den Kern eines nationalen Heeres, indem er einen besonderen Truppenteil, die Tüsenkdschi (Flintenträger), bildete, darin dem Vorbild des Janitscharenkorps der Osmanen folgend. Für diese Truppen warb er teilweise georgische und armenische Christen an. Außerdem stellte er eine ihm treu ergebene Leibwache auf, die Scha-sewen, »die den König lieben«, um eine Gegenmacht zu der bisherigen Prätorianerkohorte der Safewiden, den Kisil Basch, zu schaffen.
     Nach 15 Jahren Vorbereitungszeit wandte sich Abbas dann 1602 gegen die Türken, um die verlorenen Gebiete zurück zu gewinnen. In Basra schlug er mit 60.000 Mann eine zweifache Übermacht. 1618 besiegte er die vereinigten türkischen und tatarischen Truppen bei Sofian nahe Täbris so vollständig, dass er die Osmanen zu einem Friedensvertrag zwingen konnte, in dem er alle früher an sie verlorenen Gebiete zurück erhielt. Dazu gehörte z. B. Georgien. Aber das reichte ihm noch nicht. Von den Portugiesen eroberte er 1622 die Insel Hormuz im Persischen Golf, übrigens mit Hilfe einer englischen Flotte (interessant in Anbetracht des portugiesisch-englischen Bündnisses aus den Zeiten Johanns des Großen) – diesen Hafen ersetzte er durch den Festlandshafen Bender Abbas. Ein Jahr später brach er den Frieden mit den Türken und entriss ihnen sowohl Bagdad als auch Kerbela, Nedschef, Mossul und Diyarbakir in Südost-Anatolien am oberen Tigris im heutigen Irak. Nun erstreckte sich sein Reich vom Tigris bis zum Indus. Aber nicht nur durch kriegerische Unternehmungen begründete Abbas seinen Ruf. Als er den Thron übernahm, wurde Persien von Bürgerkriegen heimgesucht, allenthalben herrschte Unruhe bis hin zur Anarchie. Abbas aber brachte dem Land Frieden und Sicherheit. Dazu gehörte, dass er entsprechende Gesetze erließ und die Infrastruktur in Persien sichtlich verbesserte. Er ließ Straßen bauen, mit Brücken und Wegstationen, Karawansereien für die Handelskarawanen, und er suchte auch sein Volk zu einen, indem er für die Verbreitung des Islam warb; er selbst unternahm eine 800 Meilen lange Pilgerreise nach Meschhed zu Fuß. Auf der anderen Seite erwies er sich als tolerant gegenüber nicht islamischen Religionen wie dem Christentum und aufgeschlossen, was Ideen aus dem Ausland betraf. Europäische Reisende waren an seinem Hof willkommen, die er sogar für diplomatische Missionen an die europäischen Höfe zu gewinnen suchte, um einen Bund gegen das Osmanische Reich zustande zu bringen, was natürlich auch ihm nicht gelang. Seine Hauptstadt verlegte er 1598 von Kaswin nach Isfahan und machte die Stadt zu einem blühenden Kultur- und Wirtschaftszentrum, das in aller Welt Anerkennung fand. Hier ließ er glanzvolle Bauten errichten, so die große Moschee, den Palast Tschebel Sutun (»vierzig Säulen«) und die Brücke über den Senderud. In der Nähe siedelte er Armenier an, womit er den Handel beflügelte. Die indischen Erzeugnisse nahmen ihren Weg von Bender Abbass über Isfahan und Täbris ans Schwarze Meer, was für Isfahan eine Quelle wachsenden und großen Reichtums bedeutete. Auch an den heiligen schiitischen Stätten von Nedschef und Kerbela förderte er die persische Baukunst, die, wie es ein Historiker ausdrückte, »an reichem Buntschmuck der Säulenhallen und Nischen durch Spiegeltäfelchen und Schnitzereien, an schimmernden goldfarbenen und blauen Glasuren zum Schmuck der Wände Gefallen fand.« Nicht von ungefähr erhielt Abbas den Titel »der Große«, und die Encyclopedia Americana urteilt über ihn, er sei in Verwaltungsangelegenheiten ein Genius gewesen, sowie ein überragender militärischer Stratege, der seinem Land so viel mehr an Gebieten, Macht und Reichtum gebracht habe, wie es nach ihm nie wieder geschah. Abbas der Große starb am 21. Januar 1629 in der Provinz Masenderan. Erst lange nach seinem Tod, 1722, wurden die Safawiden gestürzt, von Afghanen; Persien verfiel in eine neue Epoche der Unsicherheit und der politischen Wirren, und erst 1794 kam es zu einer erneuten Einigung des Landes.

Ein Zeitgenosse von Abbas dem Großen machte in Indien von sich reden und ist ihm als ebenbürtig an die Seite zu stellen: Akbar, was arabisch »der Große« bedeutet, der eigentlich Djala ad-Din Mohammed hieß und 1556 zum Großmogul von Indien aufstieg.
     Indiens Geschichte, nicht weniger blutig und grausam als die anderer Kontinente und Länder, reicht in graue Vorzeit zurück. Die dort entstandene Indus- oder Harappakultur war eine Hochkultur vom 4. Jahrtausend bis zur Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., vor allem im Industal, im Pandschab und bis nach Afghanistan angesiedelt. Etwa zu der Zeit, als ihre Blüte zu Ende ging, wanderten die Arier, die sich selbst als Aryer, »Edle«, bezeichneten, mit Pferden und Streitwägen durch das Pandschab nach Indien ein und eroberten zunächst Nordindien, bis sie zwischen 900 und 600 v. Chr. auch die Ganges-Ebene erreichten. Lange dauerte es, bis sie sesshaft wurden und Ackerbau betrieben. Ihre religiösen Vorstellungen waren die der Veden, daher nennt man diese Epoche der indischen Geschichte auch das vedische Zeitalter. Um 1000 v. Chr. wird zum ersten Mal das Kastenwesen erwähnt. Später kamen Buddhismus, Dschainismus und andere Religionen zum ursprünglichen »Hinduismus« dazu. Schon um 500 v. Chr. entstanden die ersten großen Reiche auf indischem Boden. Beinahe ganz Indien und einen Teil von Afghanistan umfasste bereits das Maurya-Reich, das seine größte Machtentfaltung unter König Aschoka (gest. 232 v. Chr.) erreichte, der seit 273 oder 269/268 v. Chr. regierte. Nach einem blutigen Beginn seiner Herrschaft wurde er zum Friedensfürsten, dem ersten bedeutenden gewaltfreien Regenten der Geschichte, dem es ein großes Anliegen war, sein Volk moralisch empor zu heben und darüber hinaus den Buddhismus zu verbreiten. Warum ihm die Geschichte nicht den Titel »der Große« zuerkannt hat, bleibt ihr Geheimnis. Auch das Maurya-Reich hielt sich nicht, ebenso wenig wie das Großreich der Kushana, das um 50 n. Chr. entstand, von Zentralasien bis Benares reichte und im 3. oder 4. Jahrhundert endete, oder das Gupta-Reich mit seiner Hochblüte der Sanskrit-Literatur, das um 350 n. Chr. ganz Nordindien umfasste – es erlag um 500 den einrückenden Hunnen. Danach bildeten sich viele Teilfürstentümer, die sich gegenseitig bekämpften; zwischenzeitlich entwickelten sich auch wieder einmal größere Reiche in Nordindien wie das Gurjara-Pratihara-Reich, das dem sich ausbreitenden Islam lange Widerstand entgegensetzte, bis es um 1000 unterging; aber erst unter dem Islam kam es wieder zur Ausbildung von bedeutenderen Einheiten. Nicht vor 1192 gelang es jedoch trotz bereits früher erfolgter arabischer Vorstöße Mohammed von Ghor (1173 – 1206), Indien dauerhaft zu besetzen. In Delhi wurde ein Statthalter eingesetzt, der dann 1206 ein Sultanat begründete. Dieses hielt sich bis zum Eindringen Timurs, der 1398 Delhi plündern ließ. Es musste aber noch einmal ein halbes Jahrhundert vergehen, bis es Lodi (1451 – 1526) vermochte, von Delhi aus wieder eine feste Herrschaft in Nordindien zu gründen. In der Schlacht von Panipat 1526 gelang es dem Timuriden Babur (1483–1530), den Sultan zu besiegen; damit wurde er zum Gründer eines neuen Reiches, des Mogul-Reiches. Dieses schloss er allerdings nur lose zusammen, so dass es sein Sohn Humayun (1508–1556) abermals hätte erobern müssen, was ihm aber nicht gelang. Nun schlug die Stunde von Akbar.
     Als Akbar im Oktober oder November 1542 in Umarkot in Sind/Indien geboren wurde, befand sich sein Vater, ein relativ schwacher Herrscher, gerade auf der Flucht vor dem afghanischen Heer unter Scher Schah, der ihn besiegt hatte. Er war gerade 14, als er nach dem Tode seines Vaters 1556 auf den Thron berufen wurde. Das geschah etwa ein Jahr, nachdem Humayun mit Hilfe seines Schutzherrn, des Schahs von Persien, nach Indien zurückgekehrt war und wieder von einem kleinen Teil seines ursprünglichen Herrschaftsgebietes Besitz ergreifen konnte – er regierte nur im einem Teil des Pandschab und im Gebiet um Delhi. In den nächsten zwei Jahrzehnten gelang es dann Akbar, so jung er auch noch war, durch hervorragende Feldzüge nicht nur die verlorenen Gebiete wieder zurück zu erobern, sondern auch das Reich auf ganz Nordindien auszudehnen und einen Teil von Dekkan dazu zu gewinnen sowie die nordwestliche Grenze bis nach Kabul und Kandahar zu verschieben, d. h. seine Herrschaft umfasste Nordindien, das östliche Afghanistan und einen Teil von Dekkan. Immer stellte er sich selbst an die Spitze seiner Truppen.
     Akbar organisierte eine exzellente Verwaltung des Landes. Das Finanzwesen und das Steuersystem wurden von ihm neu geordnet. Auf seiner Strukturierung und Vermessung des Landes hinsichtlich seiner Größe und der erzielten Einkünfte – mit seiner Methode stand er ganz auf der Höhe seiner Zeit – basierten die späteren Daten der Briten, als diese in Indien ihre Herrschaft errichteten. Seine größte Leistung – er regierte als absoluter Herrscher und war auch oberster Richter – aber bestand darin, dass er – seiner Zeit weit voraus – um weltliche und religiöse Toleranz bemüht war. Er versöhnte seine Hindu-Untertanen, indem er die verhasste Kopfsteuer für Nichtmuslime, die Dschesija, abschaffte und Hindus Zugang zu hohen Staats- und Militär-Posten gewährte; zudem heiratete er Töchter hinduistischer Fürsten und machte sich diese dadurch geneigt. Gelehrte Repräsentanten der einzelnen Religionen lud er zu Diskussionen ein, um von ihnen zu lernen. Zunächst praktizierte er sogar das eine oder andere Gebot aus diesen Glaubensvorstellungen, trug unter seiner Kleidung das heilige Hemd der Zoroaster-Anhänger, gab wegen des Dschainismus das Jagen auf, zeigte sich eine Zeit lang mit religiösen Hinduzeichen auf der Stirn, was vor allem die Muslime empörte, und ließ einen seiner Söhne von Jesuiten erziehen. Er heiratete Frauen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen und verpflichtete die Religionen zu einer Zeit zu gegenseitigem Frieden und Toleranz, als sich in Europa die Anhänger der verschiedenen Religionen gegenseitig abschlachteten. Schließlich versuchte er die Stiftung einer neuen Religion, die »Din-i-Ilahi«, die »göttliche Religion«, genannt wurde und die Elemente aus allen ihm bekannten Religionen, also der hinduistischen, islamischen, christlichen und parsischen, enthalten sollte. Ziel war die Aussöhnung der vielen teilweise verfeindeten und zerstrittenen Völker seines Reiches; die Mehrheit seiner Untertanen war nichtislamisch, aber deren Loyalität wollte er sich ebenfalls vergewissern. Ein Hintergrund für Akbars Bestrebungen auf religiösem Gebiet ist wohl auch in seiner Verwurzelung im Sufismus, der muslimischen Mystik, zu suchen. Die Überlegenheit des Menschen beruhe auf dem Juwel der Vernunft, soll er andererseits gesagt haben, und er zog das wissenschaftliche allem anderen Denken vor. Natürlich war der neuen Religion kein Erfolg beschieden, aber Akbar trug damit zur Einheit des Volkes bei, wenn er sich auch viele Muslime wegen seiner Abkehr vom Islam zum Feinde machte. Ursprünglich scheint er wohl nicht besonders gebildet gewesen zu sein; er lehnte es ab, lesen und schreiben zu lernen und widmete sich als Jugendlicher ganz dem Sport, dem Reiten, Kämpfen, der Dressur von Elefanten und der Tigerjagd. Aber er besaß einen unersättlichen Wissensdurst und verfügte über die seltene Gabe, durch Zuhören mehr zu lernen als andere durch Lesen, wobei ihm sein hervorragendes Gedächtnis half. Dass er Handel, Wissenschaft und Künste förderte – die indische Musik, Malerei und Poesie erlebten eine ihrer glanzvollsten Epochen, indische Meisterwerke der Literatur, Wissenschaft und Geschichte ließ er ins Persische, die Hofsprache, übersetzen, und architektonische Bauten von großer Pracht entstanden -, verstand sich von selbst. So fand er auch Zeit, eine Bibliothek aufzubauen, die 24.000 Bände umfasste. Er verbot auch die Kinderehe und die erzwungene Witwenverbrennung – Witwen durften wieder heiraten, und am Ende seiner Regierung war sein Gesetzeswerk »wahrscheinlich der aufgeklärteste Gesetzeskörper einer Regierung des 16. Jahrhunderts« (Durant). Persönlich war er kein besonders schöner Mensch, hatte wohl einen schiefen Kopf, mongoloide Augen und eine Warze auf der Nase, aber seine Würde, Gelassenheit und Sauberkeit, vor allem aber seine strahlenden Augen – wie »das Meer im Sonnenschein« sollen sie gemäß seinen Zeitgenossen geleuchtet haben – machten ihn zu einer ansehnlichen Gestalt.
     Die letzten Lebensjahre wurden Akbar dadurch verleidet, dass sein ältester Sohn Selim gegen ihn rebellierte, wohl auch in Opposition zu Akbars Abkehr vom Islam und Verkündung einer neuen Religion. Zwar versöhnten sich Vater und Sohn wieder, aber Akbar starb bald danach, vielleicht an gebrochenem Herzen, vielleicht an der Ruhr, vielleicht an seines Sohnes Gift, in Agra am 17. Oktober 1605, ziemlich einsam für einen derart erfolgeichen und humanen Herrscher, während um sein Erbe schon gestritten wurde. Sein Grabmal befindet sich in Sikandra bei Agra. Er hinterließ ein blühendes Land und konnte sich der Zuneigung und des guten Willens der meisten seiner Untertanen sicher sein. Hören wir noch einmal die Encyclopedia Americana; danach wird er als der größte Herrscher angesehen, der der muslimischen Dynastie in Indien entspross, und als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts überhaupt. Aber auch sein Reich hatte nicht lange Bestand. Seine Nachfolger gewannen zwar die Sultanate im Dekkan dazu, aber das Riesenreich verlor dadurch auch an Stabilität und zerfiel in einen lockeren Staatenbund, nachdem der persische Schah Nadir (geb. 1668; reg. 1736–1747 (ermordet)) 1739 Delhi erobert hatte. 1858 wurde der letzte Mogulkaiser durch die Briten abgesetzt. Akbar hatte es trotz aller Bemühungen nicht geschafft, eine Artillerie wie die in Europa übliche zu erhalten, und so war die waffentechnische Überlegenheit der Engländer kein Wunder. Dass Indien später britisches Vizekönigreich wurde, bis es 1947 unabhängig wurde, ist ein weiterer Teil seiner unruhigen Geschichte, in der Akbars Regentschaft – wie die Aschokas – einen seltenen Höhepunkt bedeutet hatte. Die Inder waren es, die ihren Kaiser Akbar, den »Überaus Großen« betitelt haben. Er war sein Schicksal, wie ein Historiker – Durant – schrieb, »einer der weisesten, humansten und gesittetsten Könige der Geschichte zu werden«, und das zu einer Zeit, da in Europa immer wieder das Chaos Oberhand über die Ordnung gewann.


2. Europa zwischen Ordnung und Chaos

Wie schon dargestellt, war Europa am Ende des Mittelalters und mit der Neuzeit ein Sammelsurium von Einzelstaaten geworden, sowohl mächtigen Gebilden wie Frankreich, England, Russland, Schweden, Habsburg, Spanien, Portugal, die Niederlande oder mit Verspätung Preußen, als auch von Kleinstfürstentümern, wie sie das damals immer noch existierende Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu bieten hatte. Krieg und Frieden lösten einander ab; kaum etwas zu Ruhe und Ordnung gekommen, versank Europa in bestimmten Teilen schon wieder im Chaos. War es hier ein Krieg um die Ausdehnung der Macht, war es dort einer, die Machtansprüche zurückzuweisen, oder ein »Erbfolgekrieg«. Von zivilisierter Welt konnte nur die Rede sein, wo der Krieg nicht oder nur wenig hinreichte, und doch entwickelte sich Europa kulturell und wirtschaftlich immer weiter, in Anbetracht des verbreiteten Grauens ein Wunder. Wohl lag es mit daran, dass Kriege im Allgemeinen territorial begrenzt waren und das »Volk« in der Regel noch außen vor und häufig verschont blieb. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges allerdings, mit dem Westfälischen Frieden 1648, nach einem grauenvollen Krieg, der sich von einem Religionskrieg zu einem europäischen Machtkampf auf deutschem Boden entwickelt hatte, mit dem gewaltigen Bevölkerungsverlust und der wirtschaftlichen Verelendung der deutschen Lande im Gefolge, gab es in Deutschland fast 300 landeshoheitliche Einzelstaaten, die sich aber alle von höchster Wichtigkeit wähnten und meinten, sich daran erfreuen zu müssen, auch wenn sie im Geplänkel der großen Mächte nur eine untergeordnete Rolle spielten. Einige wie Weimar wurden in der Tat sehr bedeutend. Auch im sonstigen Europa fühlten sich noch etliche Kleinstaaten und vor allem ihre Herrscher als ungemein wichtig. Aber ein paar dieser selbstständigen Territorialstaaten hatten sogar noch »Große« zu bieten.

Streiter um Macht und Fortschritt: Edzard, Karl, Karl Ferdinand und Maximilian die Großen

Ursprünglich Häuptlings-, später Fürstengeschlecht in Ostfriesland von Bedeutung war das Geschlecht Cirksena, das aus der Stadt Norden stammte und von Greetsil bei Emden aus seine Herrschaft ausübte. In den Blickpunkt der Geschichte trat es mit Edzard Cirksena, der den friesischen Freiheitsbund gegen Versuche aus allen Richtungen, Ostfriesland zu unterwerfen, anführte und 1441 starb. 1464 wurde Ostfriesland geeint, und nun erhielt Edzards Bruder Ulrich das Land als Reichsgrafschaft zu Lehen. Am 15. oder 16. Januar 1462 wurde ein weiterer Edzard in Greetsil geboren, Edzard I., der unter den Herrschern von Ostfriesland der bedeutendste war. Er kam 1491 oder 1492 nach einer Pilgerfahrt nach Jerusalem an die Macht, und seine Regierungszeit war geprägt von vielen Auseinandersetzungen mit Gegnern. Vor allem der Krieg mit Sachsen, das Anspruch auf Ostfriesland erhob, die »sächsische Fehde« 1514 bis 1518, war zermürbend, aber Edzard gelang es, Ostfriesland erfolgreich als selbstständige Einheit zu bewahren. Um den ungeteilten Bestand der Reichsgrafschaft zu sichern, führte er 1512 die Primogenitur in seinem Lande ein, also die Nachfolgeregelung nach dem Erstgeborenenrecht. Andere Kämpfe gab es um die Stadt Groningen, die ihn als Herrn und Beschützer akzeptierte, aber nach acht Jahren verzichtete er 1514 darauf. Zwar förderte Edzard in seinem Lande die Reformation, aber allgemein erwies er sich in Glaubensfragen als tolerant. Dies und seine moderne Verwaltungspolitik – unter anderem erließ er neue Gesetze und reformierte die Münzprägung – trugen ihm beim Volk den Titel »der Große« ein, und so findet man ihn auch noch heute in den Enzyklopädien. Er starb am 14. oder 15. Februar 1528 in Emden. Unter einem seiner Nachfolger, Edzard II. (1533 – 1599), der durch seine Heirat mit Katharina, einer Tochter König Gustavs I. Eriksson Wasa von Schweden (geb. 1496 oder 1497; reg. 1523–60), das Ansehen seines Geschlechts beträchtlich hob, brachen 1595 Kämpfe mit den ostfriesischen Ständen aus, die sogenannte »Emder Revolution«, und von da ab war eine aktive Außenpolitik Ostfrieslands unmöglich. 1654 starb das Fürstengeschlecht Cirksena aus, und 1744 fiel Ostfriesland an Preußen.

Weiter im Südwesten, in Lothringen, machte ebenfalls ein »Großer« von sich reden, Karl III. Das alte Lotharingen war schon 945 in zwei Teile, Ober- und Unter-Lothringen geteilt worden. Aus Unter-Lothringen wurde nach langer Geschichte und wechselnden Besitzern Belgien und ein Teil der Niederlande, Ober-Lothringen konnte bis 1736 von eigenen Fürsten regiert werden. Karl III. wurde am 18. Februar 1543 in Nancy geboren und folgte nominell 1545 seinem Vater nach dessen Tode nach, de facto natürlich erst 1559 mit dem Erreichen der Volljährigkeit. Seine Mutter Christina, die eine Prinzessin aus Dänemark war und für ihren noch unmündigen Sohn die Herrschaft führte, schaffte es, sich gegenüber dem französischen Königshaus zu behaupten, vor allem durch ihre spanienfreundliche Politik, aber im März 1552 ließ der französische König Heinrich II. (geb. 1519; reg. 1547–59), Lothringen und die Bistümer Metz, Toul und Verdun besetzen. Heinrich II., der übrigens mit Katharina von Medici (1519–1589) verheiratet war und dem es während seiner Herrschaft gelang, die französische Königsmacht zu festigen, stand im Bunde mit den deutschen Protestanten (Vertrag von Chambord) und führte von daher Krieg gegen Kaiser Karl V. Den damals neunjährigen Karl ließ Heinrich an den französischen Königshof bringen; Regent in Lothringen von Heinrichs Gnaden wurde Nicolas de Lorraine-Mercœur. Aber das Schicksal meinte es gut mit Karl. Er durfte im Januar 1559 Claudia von Valois, die Tochter Heinrichs II., ehelichen, die ihm neun Kinder gebar – eines, die Tochter Elisabeth (1574–1636), heiratete den Kurfürsten von Bayern Maximilian I. (geb. 1573; reg. 1597–1651), der im Dreißigjährigen Krieg u. a. als Haupt der Katholischen Liga Furore machte. Anlässlich der Hochzeit erhielt Karl auch Lothringen zurück, wo er bis zu seinem Tode am 14. Mai 1608 in Nancy als Karl III. regierte. Seine Leistungen begründeten später seinen Beinamen »der Große«. Er förderte Kunst und Wissenschaft; so gründete er die Universität Pont-à-Mousson. Ferner reformierte er das Finanz- und Justizwesen und förderte die Wirtschaft – in seiner Zeit machte Lothringen bedeutende Fortschritte auf allen Gebieten, die territorialen Zugewinne dabei gar nicht zu zählen. Karl war am französischen Königshaus katholisch erzogen worden, aber aus den Religionskriegen in Frankreich hielt er sich lange heraus. Schließlich gab er doch seine Neutralität auf. Ab 1584 unterstützte er die katholische Liga, was dazu führte, dass protestantische Truppen das Herzogtum verheerten. Diese waren auf dem Weg, dem späteren König Heinrich IV. (geb. 1553; reg. 1589–1610 (ermordet)) zu Hilfe zu eilen, und Heinrich IV. erklärte Lothringen 1592 den Krieg, aber erst als Heinrich 1593 zum Katholizismus übergetreten war (»Paris ist eine Messe wert«), schloss Karl ein Jahr später Frieden; sein Sohn und Nachfolger Heinrich II. (1563 – 1624) heiratete Katharina von Bourbon, eine Schwester König Heinrichs IV., womit die engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Lothringen deutlich wurden. Heinrich IV. legte übrigens den Grundstein für den absolutistischen französischen Staat und wurde als Idealherrscher in der Literatur verehrt. Manche sind heute der Ansicht, er hätte den Titel »der Große« verdient gehabt. Lothringen jedenfalls, dessen Herzog Karl V. Leopold (1643–1690) als österreichischer Feldmarschall 1683 zu den Siegern über die Türken vor Wien gehörte, kam 1736 als Entschädigung an den Exkönig von Polen Stanislaus I. ( geb. 1677; reg. 1704–09 und 1733–1736, gest. 1766), der sich im Polnischen Erbfolgekrieg nicht hatte durchsetzen können. Nach seinem Tod verleibte Frankreich sich Lothringen ein, wo es, mit dem Zwischenspiel des Elsass in deutschen Händen von 1871, dem deutschen Sieg über Frankreich, bis 1919, dem Vertrag von Versailles, auch blieb.

Savoyen ist uns in unserer Geschichte der »Großen« bereits begegnet. Es wurde erwähnt, dass das Land seit 1032/43 zum Heiligen Römischen Reich gehörte. Die Grafen, die 1416 zu Herzögen erhoben wurden, erkoren das oberitalienische Piemont zu ihrem Kernland. Einer der bedeutenderen Vertreter dieser Herrscher war Karl Emanuel I. der Große. Er wurde in Rivoli am 12. Januar 1562 als Sohn Emanuel Philiberts und Margarete (1523–74), der Tochter des französischen Königs Franz I., der uns im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Osmanischen Reiches begegnet ist, aus dem französischen Königsgeschlecht der Valois geboren. Als Herzog – seit 1580 – versuchte er wiederholt, Genf zu erobern, wenn auch immer ohne Erfolg. 1588 besetzte er auch die französische Markgrafschaft Saluzzo. Der eben genannte französische König Heinrich IV. überließ ihm das Gebiet im Vertrag von Lyon 1601; dafür musste Karl Emanuel allerdings andere Gebiete an Frankreich abtreten. Karl Emanuel ging sogar so weit, 1619 die Königs- bzw. Kaiserkrone anzustreben, er bewarb sich regelrecht um die Krone, hatte aber natürlich keine Chance; vielleicht wäre die Geschichte unter ihm auch anders verlaufen; denn Kaiser wurde Ferdinand II. (geb. 1578; König 1619 (vorher schon in Böhmen und Ungarn); Kaiser 1619; gest. 1637), zu dessen ersten Maßnahmen die rigorose und brutale Unterdrückung des Protestantismus gehörte und unter dem das Reich in den Dreißigjährigen Krieg schlitterte. Aber auch Karl Emanuel war kriegerisch; von 1623 bis 26 beteiligte er sich auf französischer Seite am Krieg um das Veltlin. Ansonsten hat er sich um Savoyen und Sardinien verdient gemacht. Er starb am 26. Juli 1630 in Savigliano bei Turin. Da war der Dreißigjährige Krieg bereits in vollem Gang. Seit 1720 stellten die Herzöge von Savoyen dann die Könige von Sardinien – im Tausch gegen Sizilien, das Savoyen erst 1713 erhalten hatte, kam Sardinien an Savoyen. 1796 bis 1814 gehörte Savoyen zu Frankreich, an das es 1860 endgültig fiel. Seit 1861 stellte das Haus Savoyen aber immerhin die Könige von Italien. So ein relativ »kleines« Haus – und doch zwei »Große« in der Geschichte … Aber andererseits: Wer hätte dies von den Ostfriesen vermutet? Aber das ist kein Witz …
 

Maximilian der Große

Maximilian I. (1598, Wikipedia)

 
Auch Bayern hat einen »Großen der Geschichte« hervorgebracht. Er wird zwar nicht allgemein so genannt, aber in der Encyclopedia Americana, die bei der Vergabe des Titels, wie wir schon mehrfach bemerkt haben, etwas großzügiger ist, als in Deutschland üblich, finden wir das Stichwort ›MAXIMILIAN I (called THE GREAT)‹. Diese Bezeichnung erfolgte natürlich nicht ohne Grund. Der spätere Herzog und Kurfürst von Bayern kam am 17. April 1573 in München zur Welt. Im Alter von 24 Jahren wurde er nach der Abdankung seines Vaters Herzog. Von den Jesuiten ausgebildet, gehörte er zu den entschiedenen Gegnern der Reformation und entwickelte sich zum Vorkämpfer der Gegenreformation. Als sich 1608 eine Anzahl protestantischer Reichsstände zu einem Bund, der ‚Union‘, zusammenschloss, gründete Maximilian als rivalisierenden Bund die Katholische Liga, der sich alle wichtigen katholischen Stände Süddeutschlands anschlossen. Die Protestanten waren damals heillos zerstritten, so dass viele bedeutende protestantische Länder der Union nicht beitraten. So blieb z. B. der Kurfürst von Sachsen neutral. Zwei feindliche Lager standen sich von nun ab gegenüber. Ein geringer Anlass würde genügen, zwischen Protestanten und Katholiken einen Krieg auszulösen. Und der ergab sich bald. Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, näher auf den Dreißigjährigen Krieg einzugehen, der 1618 ausbrach. Maximilian war an ihm maßgeblich beteiligt. Nachdem er mit der Union einen Vertrag über deren Neutralität geschlossen hatte, führte er Kaiser Ferdinand II., den wir eben im Zusammenhang mit Karl Emanuel dem Großen erwähnt haben, die Katholische Liga zur Unterstützung zu. In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620 besiegten seine Truppen, befehligt von dem Grafen Johann T. von Tilly (1559–1632), der aus Brabant stammte, den pfälzischen Kurfürsten und König von Böhmen Friedrich V. (1596–1632). Im Vorfeld der Wahl Friedrichs zum König von Böhmen 1619 war dieser übrigens von dem antihabsburgisch eingestellten Karl Emanuel in Böhmen mit einem Heer gegen den habsburgischen Kaiser unterstützt worden, der vorher schon Truppen nach Böhmen entsandt hatte; das Heer Karl Emanuels nahm u.a. Pilsen ein und ebnete damit Friedrich V. den Weg. Nach der Schlacht am Weißen Berg musste Friedrich, als ‚Winterkönig‘ verspottet und von Kaiser Ferdinand geächtet, allerdings nach Holland ins Exil fliehen. Tilly eroberte und verwüstete daraufhin die Pfalz, und Kaiser Ferdinand übertrug die Kurfürstenwürde 1623 von der Pfalz auf Bayern. Damit wurde Bayern Kurfürstentum, Maximilian Kurfürst. Auch die Pfalz wurde bayerisch. Als nächstes brachte sich Maximilian in den Besitz der Oberpfalz, gab aber dem Kaiser Oberösterreich zurück. Im Zusammenhang mit den Rivalitäten zwischen den Heerführern, zu denen der Krieg unweigerlich führte, gelang es Maximilian 1630 zu erreichen, dass der berühmte Herzog von Friedland und Mecklenburg Albrecht von Wallenstein (1583–1634), obwohl im Krieg so erfolgreich, vom Kaiser entlassen wurde. Ferdinand hatte Wallensteins Heer als Gegengewicht zu den Bayern gebraucht, auf die er nicht allein angewiesen sein wollte, aber Maximilian war nicht geneigt, einen mächtigen Nebenbuhler und einen übermächtigen Kaiser zu dulden. Zwei Jahre später hatten sich allerdings die Zeiten wiederum gewandelt: Die Schweden hatten mit französischer Hilfe München erobert, Wallenstein wurde erneut berufen, und Maximilian brauchte dessen Unterstützung gegen die Schweden und Franzosen. Nach langen Jahren des Krieges schloss Maximilian mit den Schweden und Franzosen 1647 einen Waffenstillstand, der aber von diesen schon bald gebrochen wurde; erneut kamen die bayerischen Truppen in Bedrängnis. Erst der Westfälische Friede 1648 beendete den Dreißigjährigen Krieg; er wurde im Oktober 1648 auch in München unterzeichnet. Maximilian ‚der Große‘ wurde als Kurfürst bestätigt, die Würde in seiner Familie erblich. Später bekam aber auch die Pfalz erneut die Kurwürde. Maximilian starb am 27. September 1651 in Ingolstadt. Zweifellos war er eine herausragende Herrschergestalt, die nicht nur Bayern, sondern auch die deutsche Geschichte in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges stark mit geprägt hat. Aber ob es zu ihrem Vorteil war, das bleibe doch dahin gestellt.

Der Sonnenkönig: Ludwig der Große

In Deutschland firmiert er nur als Ludwig XIV., der »Sonnenkönig«. Als Ludwig der Große ist er hierzulande nicht bekannt. Und doch: Er trägt den Titel Le Grand, der Große, the Great, auch als Le Grand Monarch, the Great Monarch, der Große Monarch wird er bezeichnet. Warum sich der Titel »der Große« bei uns nicht eingebürgert hat, ist eine Frage der geschichtlichen Entwicklung; vielleicht klang die Ehrenbezeichnung »Sonnenkönig«, the Sun King, Le Roi Soleil, einfach nach mehr.
     Geboren wurde der »Sonnenkönig« am 5. September 1638 in Saint-Germain-en-Laye als Sohn König Ludwig XIII. (geb. 1601; reg. 1610–43), dem Sohn Heinrichs IV., der uns eben schon begegnet ist. Mit diesem hatte sich der Absolutismus in Frankreich durchgesetzt, der dann unter Ludwig XIV. zur Hochform auflief. Bis 1661 stand letzterer unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich (1601–1666). Ähnlich wie während der Regierungszeit seines Vaters ein Kardinal die Regierung bstimmte, nämlich Herzog Armand-Jean du Plessis Richelieu (1585–1642), so unter ihm selbst bzw. seiner Mutter seit 1643 der Herzog und Kardinal Jules Mazarin (1602 – 1661), der – wie schon Richelieu – der eigentliche Herr in Frankreich und enger Vertrauter des Königs war. Als Mazarin starb, übernahm Ludwig selbst die Führung des Staaates. Das Parlament verlor alle Macht, der Adel wurde an den Hof gezogen, aber nur, um ihn von dort aus einzubinden und zu kontrollieren (zu was war er da noch nütze, außer für die Kriegsführung? – die Verwaltung seiner Güter war anderen überlassen), kurzum der Absolutismus erhielt seine vollendetste Ausführung. Dies alles geschah zu einer Zeit, als sich Frankreichs Staatssäckel dank der Politik von Finanzminister Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay (1619–1683), stetig füllten. Colbert war wohl der bedeutendste Vertreter des Merkantilismus, in Frankreich sogar Colbertismus genannt, ein Begriff, der die dirigistische Wirtschaftspolitik der absolutistischen Staaten umschreibt: Die gewerbliche Wirtschaft wurde stark gefördert, freilich auf Kosten der Landwirtschaft; die Infrastruktur wurde ausgebaut, ein einheitliches Zoll- und Marktgebiet geschaffen; dazu kamen eine Steuerreform, bestimmte Ausfuhrverbote und Produktionsvorschriften. Colbert fasste die Wirtschaftskräfte zentralistisch zusammen und steigerte sie im Lauf der Zeit gnz im Sinne einer Planwirtschaft. Nicht nur die Industrie wurde gefördert, sondern auch der Bau von Straßen und Kanälen und das Kolonialwesen, letzteres u. a. durch den Ausbau der Flotte. Durch diese interventionistische Politik wurden Wirtschafts- und Finanzkraft des französischen Staates anfänglich sehr gestärkt, aber die Vernachlässigung der Landwirtschaft riefen auf Dauer hier und im Volk starke Unruhe und Unzufriedenheit hervor. Ähnlich sorgte auch seine zentralistische Innenpolitik für Spannungen. Ludwigs Motto war: »ein König, ein Glauben, ein Gesetz!« Ludwig schaltete die protestantische Opposition aus, indem er das Edikt von Nantes von 1598, das – von Heinrich IV. erlassen – den Hugenotten, wie die französischen Protestanten bezeichnet wurden, freie Religionsausübung und Sonderrechte zugestanden hatte, endgültig aufhob. Die katholische Kirche andererseits benutzte er für seine Machtpolitik, beschränkte sie aber ganz auf den geistlichen Bereich. Auch konnte sich Colbert mit seiner Reform der Steuerpolitik nicht durchsetzen; die Kriegspolitik Ludwigs beruhte zwar auf der Steigerung der Staatseinkünfte, letztere ermöglichte die zahllosen Kriege, die Ludwig führte, und auch dessen unglaublich verschwenderische Hofhaltung, aber am Ende stand der Staatsbankrott. Bis Ludwig gewissermaßen vom Kriegsdämon besessen wurde, zeigte er sich dem Volk im Großen und Ganzen durchaus als freundlicher und menschlicher Herrscher. Aber all das änderte sich Ende der sechziger Jahre. Bei den von Ludwig vom Zaune gebrochenen Kriegen denken wir zunächst an den Devolutionskrieg (1667/68) und den Holländischen Krieg (1672–79), beides Eroberungskriege gegen die Vereinigten Niederlande, die mit dem Gewinn einer Reihe von Gebieten endeten. Der Pfälzische und der Spanische Erbfolgekrieg (1688–1697 bzw. 1701–1714) führten zwar ebenfalls zu Gebietszuwächsen, waren aber am Ende nur dazu angetan, Europa zu zermürben; auf Einzelheiten können wir hier verzichten. Stets fanden sich in Europa Koalitionen gegen Frankreich, dessen Hegemoniebestrebungen entgegen getreten wurde. So erreichte zwar Frankreich unter Ludwig dem Großen die politische und, was fast noch mehr wog, die kulturelle Vorherrschaft in Europa – alle Fürsten, besonders die deutschen, versuchten sich im Absolutismus und in der Nacheiferung der Pracht von Versailles – aber militärisch waren ihm Grenzen gesetzt, und am Ende stand der wirtschaftliche Niedergang. Als Ludwig die Freiheiten der Hugenotten rigoros beschnitt, verließen 200.000 von ihnen Frankreich, auch das mit ein Grund für den unaufhaltsamen Bankrott, der am Ende auch zu einer Ursache für die Französische Revolution wurde. Rund drei Milliarden Livres Schulden soll der Staat bei seinem Tod gehabt haben. Ludwig XIV. starb am 1. September 1715 in Versailles. Verheiratet war er seit 1660 mit Maria Theresia, der Tochter König Philipps IV. von Spanien (geb. 1605; reg. 1621–1665); als diese 1683 starb, ehelichte er im Geheimen Franςoise d’Aubigné, Marquise de Maintenon (1635–1719), kurz die »Maintenon«, die seit 1669 seine Kinder erzogen und seine Gunst erlangt hatte. Mätressen hatte Ludwig daneben genügend.
     Nun, was ist vom Sonnenkönig geblieben? Zum Beispiel Versailles als Zeichen seiner Prunksucht, aber auch als Zeichen von Kunst und Kultur, das bis heute Bewunderung abnötigt. Man hat die enormen Kosten beredet, aber nach Einschätzung verschiedener Historiker sind die 75 Millionen Livres, die der Bau verschlungen hat, verteilt auf die Jahre 1661 bis 1682, als das Schloss bezogen werden konnte – und der Spiegelsaal wurde noch später erst fertig – noch als relativ nicht zu hoch anzusehen. Immerhin wandte aber der Hof in dieser Zeit für sich 12 bis 14 % der Staatsausgaben auf. Dass Ludwig die Rechnungen für Versailles vernichtet haben soll, da auch in seinen Augen zu hoch, ist ein modernes (oder auch altes) Märchen. Ludwig förderte Kunst und Literatur in verschwenderischem Ausmaß, weil ihm daran gelegen war, Frankreich auch darin groß zu machen. Und Versailles blieb Vorbild für Generationen von Fürsten, Symbol auch für die absolute Herrschaft der Monarchen. »L’etat c’est moi! » – « Der Staat bin ich » – dieser Ausspruch, den man Ludwig zuschrieb, charakterisierte den Absolutismus. Aber auch dieses Zitat ist nicht gesichert; ob es Ludwig je äußerte, ist ungewiss; schon gar nicht hat er es, wie behauptet, anlässlich einer Parlamentssitzung am 3. April 1655 von sich gegeben. Dass Parlament und Adel unter ihm nichts zu sagen hatten, ist davon unberührt.
     Persönliche Schicksalsschläge setzten dem König zu: Sein einziger legitimer Sohn starb schon 1711; er verlor auch seinen Enkel und seine Enkelin und ihren Sohn und andere mögliche Thronerben. Sein Urenkel wurde als Ludwig XV. (geb. 1710; reg. 1715–1774) schließlich sein Nachfolger. Sicher war Ludwig XIV. nicht das Ungeheuer, zu dem er von manchen Historikern gestempelt wurde, und seine Armeen haben nicht mehr Grausamkeiten verübt als die der anderen europäischen Mächte. Als die Macht Frankreichs zu wachsen begann, zog das Volk mit; als Ludwig tot war, kam die Stunde der Abrechnung. Die Bevölkerung war durch die Kriege so reduziert worden, dass Eltern mit zehn Kindern eine staatliche Belohnung erhielten. Das Volk war durch die hohen Steuern ausgeblutet, die Wirtschaft lag danieder; die Last, die Ludwigs Nachfolger zu tragen hatten, war zu schwer für sie, und die Französische Revolution und die Herrschaft Napoleons waren die späten Folgen. Der große deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) meinte, in Ludwig habe die Natur ein vollkommenes Beispiel des monarchischen Typus hervorgebracht und sich dabei erschöpft und die Form gesprengt. Der schon mehrfach zitierte, da abgewogene Urteile fällende Historiker Durant formulierte: »Er unternahm verheerende Kriege, befriedigte seinen Stolz ausgiebig mit Bauten und Luxus, unterdrückte die Philosophie und zog sein Volk bis zur Verelendung aus; aber er gab Frankreich eine geordnete Regierung, die nationale Einheit und eine glanzvolle Kultur, die ihm die unbestrittene Führung in der westlichen Welt sicherte. Er war das Haupt und das Symbol der besten Zeit seines Landes, und Frankreich, das vom Ruhme lebt, hat ihm verziehen, daß er es beinahe zugrunde richtete, um es groß zu machen.« Der spätere französische Kaiser Napoleon (geb. 1769; reg. 1804–1814/15; gest. 1821) bezeichnete ihn – vielleicht als erster – als »großen König«. »Er war es, der Frankreich in die erste Reihe der Nationen erhob. Welcher französische König seit Karl dem Großen wäre ihm in allen seinen Aspekten zu vergleichen?«

Kriegerische Reformer: Iwan, Peter und Katharina die Großen

Russland ist uns in unserer Geschichte schon mehrfach begegnet. Wir haben gesehen, dass das große und bedeutende Kiewer Reich infolge von Thronfolgestreitigkeiten bald zerfiel. Nach 1125 entstanden viele Teilfürstentümer, und so wurde das einstmals blühende Reich im 13. Jahrhundert relativ schnell Beute der Mongolen. Zwar rafften sich die Fürsten zu einer gemeinsamen Aktion gegen die Mongolen auf, aber 1223 wurde ihr gemeinsames Heer an der Kalka vernichtend geschlagen. In den Jahren 1237 bis 1240 eroberten die Mongolen grausam das gesamte russische Territorium, sieht man von Nowgorod ab, das jedoch Tributzahlungen zu leisten hatte. Kiew fiel 1240, und viele andere Städte erlitten ein ähnliches Schicksal. Am Unterlauf der Wolga gründeten die Mongolen ein eigenes Reich, das Reich der Goldenen Horde mit der Hauptstadt Sarai. Es herrschte zweihundert Jahre lang über die russischen Fürstentümer und verlangte ihnen Tribut ab. Diese Zeit war die düsterste Zeit der russischen Geschichte. Das Land versank in Apathie. An den Folgen hat Russland bis heute zu leiden.
     In der Zeit nach der Eroberung durch die Mongolen wurde das kleine Teilfürstentum Moskau immer mächtiger, das 1263 der jüngste Sohn Alexander Newskijs, Daniel Alexandrowitsch (reg. 1263–1303), als »Leibgedinge« erhalten hatte und immer größer und wohlhabender machte. Zwischen 1317 und 1325 nahm der Metropolit hier seinen Sitz, was das Ansehen des Fürstentums erhöhte. Wenig später – 1328 – verlieh der Mongolenkhan dem Fürsten Iwan I. Kalita (reg. 1328–1340) die Würde des Großfürsten; er hatte ein gutes Verhältnis zu den Mongolen und zog auch die Kirche auf seine Seite; und er begann mit der Wiedervereinigung der Gebiete des alten Kiewer Reiches. Das Ende der Mongolenherrschaft kam in Sicht, als sie der Großfürst Dmitri Iwanowitsch Donskoi (reg. 1359–89) 1380 in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld zum ersten Mal zu schlagen vermochte. Über die Kämpfe Litauens um die Tatarengebiete im Südwesten und Westen des russischen Reiches wurde schon berichtet, ebenso über die Union von Litauen und Polen und die Konsequenzen für die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa. Seit dieser Zeit erfolgte die allmähliche Differenzierung der slawischen Bevölkerung in Großrussen (Russen), Kleinrussen (Ukrainer) und Weißrussen.

Den russischen Zentralstaat begründete der Moskauer Großfürst Iwan III., der später – wohl vor diesem Hintergrund und wegen des neuen Zeitalters auf vielen Gebieten, das er einläutete – den Titel »der Große« erhielt. Geboren wurde er am 22. Januar 1440 in Moskau und folgte 1462 seinem Vater. Ihm ging es von Anfang an darum, die Machtstellung und den Führungsanspruch Moskaus zu vergrößern. Von 1471 bis 1478 führte er daher zwei grausame Kriege gegen Nowgorod, das nach wie vor eine Hauptmacht in Russland darstellte, und es gelang ihm, die Stadt zu erobern und 1478 in seinen Machtbereich einzugliedern. Dabei ging es sehr blutig zu. Außerdem riss er die Gebiete und Herrschaftsansprüche seiner drei Brüder an sich; das geschah 1463, 1474 und 1485. 1489 kam noch Wjatka hinzu. Zwischendurch legte er sich mit den Mongolen an. Damals gab es mehrere mongolische Reiche auf russischem Boden: Kasan, Astrachan (Sarai), das Reich auf der Krim und die Horde der Nogaier. Sie alle bekämpften sich gegenseitig, so dass es Iwan nicht schwer fiel, das tatarische Joch abzuschütteln. Er zog 1480 mit einem starken Heer gegen Sarai, aber ohne anzugreifen. Monatelang passierte nichts; untätig stand Heer gegen Heer; dann zogen die Tataren sich zurück. Ein Sieg? Nun, Iwan stellte die Tributzahlungen ein. Damit beendete er die Mongolenherrschaft ziemlich unblutig. Einmal noch, 1521, überfielen Mongolen Moskau und schlossen die Stadt ein, aber zogen sich wegen ihrer eigenen Zerstrittenheit wieder zruück. Dafür stand im Süden eine neue Macht bereit: das Osmanische Reich, das 1475 die Krim eroberte – geführt von Mohammed dem Großen; wir hörten davon. Neben dieser bildete auch das vereinigte Polen-Litauen eine Gefahr. Zweimal fiel Iwan in Litauen ein, 1492 und 1501, um einen Zugang zum Meer zu erhalten, aber erst 1503 erreicht er sein Ziel aufgrund eines Vertrages. Als kalt, berechnend und herzlos ist uns Iwan überliefert, als grausam, der Todesstrafen in reichem Maße verhängen und seine Gegner martern oder umbringen ließ; allenthalben war er gefürchtet. Aber einen mäßigenden Einfluss übte seine zweite Gemahlin auf ihn aus, wenn sie ihn auch in seinen Allmachtsträumen unterstützte: Sophie (Zoë), die Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, die interessanterweise am päpstlichen Hof in Rom ihre Ausbildung erhalten hatte. Mit ihr zog 1472 ein anderer Geist in Moskau und damit in Russland ein. Hatte der Papst vielleicht gehofft, auf diese Weise Russland für den Katholizismus gewinnen zu können, so scheint Sophie ihre Ausbildung schnell vergessen zu haben. Moskau betrachtete sich nun als Erbe von Byzanz und beanspruchte den Schutz der orthodoxen Christen, die unter islamischer Herrschaft lebten – Iwan nahm den zweiköpfigen byzantinischen Adler als neues Wappen Russlands auf und sah in Moskau das »Dritte Rom«. Russlands Ansehen wuchs mit der Steigerung der Autorität Moskaus, auch im Ausland. Auf einmal bemühten sich westeuropäische Höfe um ein Bündnis mit dem Großfürsten; Gesandtschaften nicht nur aus Litauen und Polen, sondern auch aus Rom, Ungarn, Venedig, des deutschen Kaisers, der Türkei und Persiens machten ihre Aufwartung, und mit Sophie kamen auch wieder Kunst und Kultur nach Russland, ja, es zog eine neue kulturelle Epoche herauf. Byzantinische Gelerhte erschienen mit ihren Büchern, die die Basis für Moskaus spätere reichhaltige Bibliotheken bildeten; Künstler und Gelehrte aus Westeuropa erzogen Iwans Kinder, bauten ihm Paläste, und Mönche vom Berg Athos übersetzten griechische Bücher ins Slawische – alle fanden hervorragende Aufnahme an Iwans Hof. Unabhängig davon ließ Iwan das Kriegswesen auf ganz neue Füße stellen, und 1497 ließ er ein Gesetzbuch ausarbeiten, das das alte russische Gewohnheitsrecht zusammenfasste und weiter entwickelte. Mit dem Einfluss aus Byzanz entwickelte sich auch die autokratische Regierungsform in Russland weiter. Der Adel büßte seine Rolle als Beratungsgremium des Großfürsten ein und wurde Lehensnehmer von des Großfürsten Gnade. Schließlich teilte er das Reich gemäß seinem letzten Willen nicht mehr unter seine Kinder, sondern bestimmte einen einzigen Nachfolger. Damit wurde Moskau stark und mächtig. Iwan starb am 27. Oktober 1505 in Moskau. Schon lange vor Peter dem Großen öffnete Iwan der Große sein Land für westliche Einflüsse.

Bis Peter der Große an die Macht kam, vergingen allerdings noch ein paar hundert Jahre. Zum ersten Zaren des russischen Reiches, von »ganz Russland«, wurde 1547 Iwan IV. der Schreckliche (geb. 1530; Großfürst 1533; Zar 1547 – 1584), der zahlreiche Reformen durchführte und das Reich nach außen erweiterte und nach innen stärkte, unter anderem durch eine neue Rechtskodifizierung (1550). Die tatarischen Reiche Kasan und Astrachan wurden von ihm erobert, und unter ihm begann die Ausdehnung der Russen nach Sibirien. Nach ihm setzte eine Ära des Verfalls und der Wirren ein. Es kam zu Aufständen und dem Eingreifen von Polen und Schweden, die sich die Lage zu Nutzen machen wollten. Ein Krieg und ein Aufstand nach dem anderen lösten sich ab. 1610 fiel Moskau sogar für zwei Jahre in polnische Hand, und der von dem Donkosaken Stepan Rasin (ca. 1630–1671 (hingerichtet)) 1670/71 angeführte Bauernaufstand brachte im ganzen Südosten des Reiches, am Don und an der unteren Wolga, Krieg und Elend.
     1613 wurde Michail Fjodorowitsch (geb. 1596; reg. 1613–1645) zum Zaren gewählt; er schloss 1617 mit Schweden und 1618 mit Polen Frieden, was aber sein Land nicht vor weiteren zukünftigen Kriegen und Aufständen bewahrte; er war es, der die Dynastie Romanow begründete, die bis 1917 regieren sollte. Ihr entstammte auch Peter I. der Große. Geboren wurde er am 9. Juni 1672 in Moskau als Sohn des Zaren Alexei Michailowitsch (geb. 1629; reg. 1645–1676), unter dessen Herrschaft die Russen in Sibirien die chinesische Grenze erreichten und der Aufstand Stepan Rasins niedergeschlagen wurde. Ihm folgte sein Sohn Fjodor III. (geb. 1661; reg. 1676–1682), ein kränklicher Herrscher, der mit der Modernisierung des Heeres begann und den 1. Russisch-Türkischen Krieg 1681 beendete, wenn auch ergebnislos. Er war ein Halbbruder Peters, nach seinem Tod kam aber noch nicht Peter an die Reihe, sondern dieser und sein debiler Halbbruder Iwan IV. (geb. 1666; gest. 1696) wurden Co-Zaren, während seine ältere Halbschwester Sophia (1657–1704) für sie beide die Regentschaft führte. 1689 erzwang Peter dann das Ende von Sophias Herrschaft, als sich das Gerücht verbreitete, er solle ermordet werden, und übernahm selbst die Macht. Er hatte, während er zurückgezogen lebte, ein »Spielregiment« aus echten Sodlaten aufgebaut, den Kern seines späteren Heeres, mit dem er in einer »Spielfestung« in einem Moskauer Vorort übte. Dieses Spielregiment, mit dem er auch den Bau und das Navigieren von Schiffen trainiert hatte, kam ihm jetzt zu Hilfe, und Sophia wurde in ein Kloster geschickt. Erst als Iwan starb, kam Peter vollständig zur Macht. Bis zu ihrem Tod 1694 hatte dann noch Peters Mutter Natalya regiert.
     Wie auch Iwan der Große zeigte Peter vielfältige Charakterseiten. Schon 1695 stürzte er sich einerseits in den Krieg und eroberte mit seiner neuen Flotte ein Jahr später die türkische Festung Asow. Andererseits begab er sich in den beiden Jahren danach inkognito u. a. nach England und in die Niederlande, um dort den Schiffsbau zu erlernen, allerdings auch, um eine Allianz mit Polen gegen Schweden zu bilden. Wieder zurück hielt er 1698 ein blutiges Strafgericht über die Strelitzen, die in seiner Abwesenheit einen Aufstand geführt hatten. Es war nicht der erste dieser von Iwan IV. gegründeten Elitetruppe, die als Grenzschutz und Leibwache diente; zu Peters Zeit waren es etwa 55.000; sie lebten in eigenen Siedlungen; ihre Dienstpflicht war lebenslang und erblich. Peter löste die Truppe auf und begab sich nun mit Feuereifer an Reformen, um sein Reich für Westeuropa zu öffnen und dessen Errungenschaften anzugleichen. Es ging ihm um die Europäisierung Russlands; dazu ließ er sich auch von ausländischen Experten – darunter waren auch Deutsche – beraten. Mit diesem Ziel führte er eine Städterefom durch (1699), erließ eine Gouverneurs-Ordnung (zwischen 1708 und 1719). Er führte die westeuropäische Kleiderordnung und Etikette ein (auf Bärte war eine Zeitlang eine Steuer zu entrichten); er reorgansierte das Heer und erließ 1722 eine Rangtabelle zur Schaffung eines neuen Dienstadels; 1721 griff er in Kirchenangelegenheiten ein und ersetzte das Patriarchat der Orthodoxen Kirche durch den »Heiligsten Regierenden Synod«, womit er die Kirche der staatlichen Kontrolle unterstellte; zehn Jahre vorher hatte er schon einen Regierenden Senat in weltlichen Angelegenheiten gegründet, der nur ihm verantwortlich war; damit hatte er den Adel, die Bojaren, vollends entmachtet. Umgekehrt überantwortete er viele Bauern der Leibeigenschaft. Eine seiner wichtigsten Leistungen bestand in der Gründung der späteren Hauptstadt St. Petersburg 1703, mit dem er sich endgültig von der alten russischen Welt, die mit Moskau verknüpft war, lösen wollte. Man kann seine mit ungeheurer Schnelligkeit durchgeführten Reformen, der seine Untertanen kaum oder gar nicht folgen konnten, auch in folgende Modernisierungen gliedern: Reform des Kalenders, Bildung einer regulären Armee und einer Marine, Gründung von etwa 200 Fabriken einschließlich einer Eisenindustrie im Ural-Gebirge, die zu seiner Zeit die weltweit größte war, Einführung eines neuen Steuersystems, Veröffentlichung der ersten einheimischen Zeitung, Bau eines Kanals von der Wolga zur Ostsee, Eroberung der Ost- und Südküste des Kaspischen Meeres, Organisation eines Netzes technischer Schulen, Planung einer Russischen Akademie der Wissenschaften, deren Gründung 1725 bald nach seinem Tode erfolgte (1755 wurde die Moskauer Universität gegründet). Diese Errungenschaften zählt in dieser Reihenfolge die Encyclopedia Americana auf. Noch viele weitere wären hinzuzufügen, so die Einleitung der Erforschung Sibiriens – die »Große Nordische Expedition«. Bei all den Reformen wurde Peter durch Kriege in Anspruch genommen. Im Nordischen Krieg (1700–1721) gegen Schweden siegte er nach einer schweren Niederlage (1700 bei Narwa) 1709 bei Poltawa entscheidend und löste 1721 mit dem Frieden von Nystad Schweden als Hauptmacht an der Ostsee ab; damals erwarb Russland Livland, Estland, Teile von Karelien u. a. Ja, Russland stieg damit zur europäischen Großmacht auf. Peter führte auch Krieg gegen das Osmanische Reich, 1710/11, und gewann durch einen Feldzug gegen Persien 1722/23 große Territorien an der West- und Südküste des Kaspischen Meeres, wie schon gerade erwähnt.
     Die Schattenseite Peters zeigte sich darin, dass er außerordentlich grausam und tyrannisch war. Da die Kosaken in der Ukraine die Schweden unterstützten, zerschlug er die ukrainische Autonomie, beließ ihr aber noch gewisse Sonderrechte. Am schlimmsten zeigte sich seine Brutalität in der Behandlung seines eigenen Sohnes Alexei (gest. 1718) aus erster Ehe (1689–98; mit Jewdokija Fjodorowna Lopuchina, die er nach gescheiterter Ehe in ein Kloster schickte), für den er ein übermächtiger Vater war, so dass er zu fliehen versuchte, den er aber zurückholen bzw. ausliefern ließ und dem er den Prozess machte; es heißt auch, er habe ihn eigenhändig erschlagen. In zweiter Ehe war Peter übrigens seit1712 mit Marta Skawronskaja verheiratet, die nach seinem Tode – am 9. Juni 1725 in Moskau – zur Zarin Katharina I. (geb. 1684; reg. 1725–1727) aufstieg. Peters Kriege, der Aufbau von Heer und Flotte und die Errichtung von St. Petersburg kosteten Unsummen Geldes, das durch Steuern aufgebracht werden musste. Peters Volk stand unter großem Druck seitens seiner Maßnahmen, der sich in mehreren Aufständen entlud, so in Astrachan 1705/1706 oder in der Bauernerhebung am Don 1707/08. Sie wurden von Peter, der 1721 den Kaisertitel annahm, blutig unterdrückt.
     Man hat Peter schon ganz negativ gesehen, aber auch hier halten sich positive wie negative Leistungen die Waage. Er selbst nannte sich »Imperator«, »Vater des Vaterlandes«, »Zar von Moskowien«, »Kaiser aller Reußen« und auch »der Große«; bei dem Kaisertitel folgten ihm allerdings die westeuropäischen Könige nicht, abgesehen von dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. (geb. 1688; reg. 1713–40) – die Königskrone hatte sich schließlich dessen Vater ursprünglich selbst aufgesetzt, und er war damals auch nicht König von Preußen, sondern in Preußen, was sich erst später ändern sollte. Aber der Titel Peter der Große hat sich eingebürgert und die Zeitläufte überstanden ...

Iwan der Große hat in Russland das Tatarenjoch abgeschüttelt, Peter hat das Reich groß und mächtig gemacht und nach Westen geöffnet, wenn auch seine übereiligen Reformen vielfach stecken geblieben sind, und Katharina die Große? – Von ihr weiß man, wenn überhaupt, noch etwas im Zusammenhang mit den Potemkischen Dörfern und ihrem angeblich ausschweifenden Liebesleben. Aber natürlich hat sie nicht von daher ihren Ehrentitel. Katharina hieß ursprünglich Sophie Friederike Auguste und war die Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst in Stettin, wo sie – am 2. Mai 1729 – auch geboren wurde. Als sie sechzehn war, wurde sie mit dem russischen Thronfolger Peter vermählt; dieser, geboren 1728, war ein Enkel Peters des Großen und kam in Kiel zur Welt; als Herzog von Holstein-Gottorp (seit 1739) wurde er 1742 nach Petersburg gerufen, wo ihn seine Tante, die Kaiserin Elisabeth (geb. 1709; reg. 1741–1762), die Tochter Peters des Großen, als Thronfolger vorsah. Sie war es, die Peter mit Katharina verheiratete. Die Ehe verlief unglücklich; siebzehn verlorene Jahre, voller öffentlicher Demütigungen und Scheidungsandrohungen, musste Kathatrina ertragen; nur ihr gutes Verhältnis zur Kaiserin ließ sie alles überstehen. Ein Kind gebar Katharina, den späteren Zaren Paul I. (geb. 1754; reg. 1796–1801), den sie ihre Abneigung spüren ließ und den sie auch von allen Staatsgeschäften fernhielt. Ganz anders war ihr Verhältnis zu ihrem Enkel, dem späteren Zaren Alexander I. (geb. 1777; reg. 1801–25), dessen Erziehung sie sich widmete und den sie im Geist der Aufklärung ausbilden ließ. Katharina selbst war ebenfalls hoch gebildet und in jungen Jahren dem Geist der Aufklärung verbunden. Nach dem Tode der Kaiserin bestieg Peter als Zar Peter III. den Thron. Für Russland hatte er überwiegend nur Verachtung übrig; er war ein glühender Anhänger des preußischen Königs Friedrich dem Großen, den seine Tante im Siebenjährigen Krieg bekämpft hatte, und einer seiner ersten Taten war, dass er mit ihm Frieden schloss, was Friedrich dern Großen vor der Katastrophe im Krieg bewahrte. Als Peter dann noch beschloss, russische Truppen gegen Dänemark auszusenden, die sein Herzogtum Holstein unterstützen sollten, gab das den Ausschlag für eine Revolte gegen ihn, hinter der wohl Katharina steckte. Gardeoffiziere stürzten ihn, aber seine Ermordung am 17. Juli 1762 erfolgte unter nie aufgeklärten Umständen, und ob sie von Katharina gebilligt war, lässt sich endgültig auch nicht mehr feststellen. Sie zeigte mehr Interesse und Sympathie für das russische Volk als ihr Mann, obwohl sie »nur« eine deutsche Prinzessin war, noch dazu von nicht besonders hohem Adelsrang, aber sie hatte es verstanden, sich am Hof Einfluss und Freunde zu verschaffen. Am 9. Juli 1762 wurde sie zur Kaiserin ausgerufen. Fünf Jahre später berief sie eine Gesetzgebende Kommission ein, deren Mitglieder überwiegend in ständischen Wahlen bestimmte Abgeordnete waren – sie legitimierte ihre Thronbesteigung im Nachhinein. Diese Versammlung sollte Reformen im Sinne der Aufklärung erarbeiten, aber wurde schon nach zwei Jahren wieder aufgelöst, ohne die Chance gehabt zu haben, nur eine einzige Refom zu entwerfen. Nichtsdesotweniger musste Katharina stets darauf achten, ihre Macht zu konsolidieren. Sie verteidigte den Orthodoxen Glauben (1744 war sie übergetreten und trug seitdem den Namen Katharina) und trat für Russlands Größe ein, aber sie übte religiöse Toleranz wie in Europa neben ihr nur Friedrich der Große. Die Unterstützung des Adels gewann sie durch verschiedene Maßnahmen. Die Staatsgeschäfte überließ sie nicht ihren Ministern, sondern sie begriff sich als verantwortliche Monarchin und galt als sehr fleißig. Wie viele Herrscher ihrer Zeit war Katharina in ihrer Regierung zwiegespalten. Einerseits setzte sie Reformen in Gang; so verselbstständigte sie die Gouverneure (1764) und führte die Statthalterschaftsverfassung ein (1774). 1785 folgte die Charta der Städte, womit die städtische Bevölkerung mehr Eigenverwaltung erhielt; aber durch die Vermehrung der Posten aufgrund der Maßnahmen stiegen in erster Linie die Kosten, weniger hob sich das Niveau der Verwaltung. Und zu einer Zeit, als sie sich als Schülerin von Voltaire und dem Philosophen und Schriftsteller Denis Diderot (1713–1784) bezeichnete und mit den französischen Enzyklopädisten korresponierte, überantwortete sie viele leibeigene Privatbauern den grundbesitzenden Adligen, schenkte sie zum Teil ihren Günstlingen und Freunden, und beendete die Sonderstellung der Ukraine, wo sie auch die Leibeigenschaft einführte. Viele ihrer Reformankündigungen im Geist der Aufklärung erwiesen sich als reine Rhetorik, und sie hat das Los der armen Bevolkerung weder gelöst noch ist sie es aktiv angegangen. Auch sonst stärkte sie eher die alte Ordnung, als dass sie neue Impulse vermittelte. Gegen die Übergriffe des Adels und auch gegen ihre Politik erhob sich 1773 ein großer Teil der Kosaken und Bauern des Ural unter dem Donkosaken Jemeljan I. Pogatschow (geb. ca. 1742), der sich für den ermordeten Peter III. ausgab und dessen Ziel die Errichtung eines Bauernstaates unter einem Bauernzar war; nach anfänglichen Erfolgen wie der Eroberung Kasans wurde er 1774 besiegt und – von seinem Kumpanen ausgeliefert – 1775 in Moskau hingerichtet. Die Niederschlagung des Aufstandes beendete jede Hoffnung auf Besserung des Loses der Bevölkerung; ganz im Gegenteil erhielt der Adel 1785 noch mehr Rechte in der lokalen Selbstverwaltung und dadurch auch noch mehr Rechte über die Bauern. Sicher sah Katharina in der Ausbeutung der Starken durch die Schwachen ein Übel, aber sie hielt es wohl für über ihre Mittel gehend, es zu kurieren, wie der Historiker Durant urteilte. Während sie einerseits selbst Satiren, Fabeln oder Stücke sowie politische und historische Abhandlungen schrieb, drückte sie ihrem Volk als erste in Russland die Zensur auf. Sie korresponierte mit führenden Denkern und Staastmännern ihrer Zeit und schrieb sogar ihre Memoiren; andererseits verfolgte sie russische Schriftsteller. Sie betätigte sich als große Kunstsammlerin; die Eremitage in Petersburg, die auf sie zurückgeht, ist noch heute berühmt und Zentrum der Weltkunst. Andererseits bekämpfte sie entschieden alle Ideen der Französischen Revolution, die sich auf Russland auswirken konnten.
     Die andere Seite der Kaiserin zeigte sich in ihrer Besiedlungs- und Machtpolitik. Im Süden – »Neurussland« – legte der russische Feldherr und Staatsmann Potemkin (Grigori Alexandrowitsch Potjomkin; 1739–1791) als Generalgouverneur – er war seit 1774 Katharinas Günstling und Liebhaber und seit 1776 Reichsfürst – neue Siedlungen an. Katharina warb im Rahmen ihrer Kolonisierungspolitik viele Einwanderer aus Mittel- und Südosteuropa an; damals entstanden auf diese Weise zum Beispiel die deutschen Wolgakolonien. Als 1787 Katharina von Potemkin zu einer Reise in die neu besiedelten Gebiete eingeladen wurde, soll er ihr und ihrer Begleitung, zu der viele Diplomaten, der englische und französische Botschafter und sogar der österreichische Kaiser Joseph II. (geb. 1741; König 1764; Kaiser 1765 neben seiner Mutter Maria Theresia; gest. 1790), gehörten, mit Dorf-, Palast- und Gefechtsschiffsattrappen einen nicht vorhandenen Reichtum des Landes vorgetäuscht haben – daher der Ausdruck von den Potemkinschen Dörfern. Aber die Unterstellung der Vorspiegelung falscher Tatsachen beruhte nicht auf Berichten von Reisebegleitern, sondern entstand am Hofe Katharinas durch lästerliche Zungen und wurde durch einen sächsischen Diplomaten in Umlauf gebracht und im Lauf der Zeit zu einem immer mehr aufgebauschten bösen Gerücht; mag Potemkin auch die eine oder andere »Verschönerung« vorgenommen, ja mögen seine Pläne sich nicht in vollem Umfang erfüllt haben, so hat er doch für »Neurussland« sehr viel geleistet, und Joseph II. ließ sich von Macht und Größe Russlands beeindrucken. Wären die schweren Gefechtsschiffe in Wirklichkeit nur getarnte Holzbötchen gewesen, wäre Europa wohl kaum von der Stärke der Schwarzmeerflotte Russlands überzeugt worden. Aber es war wohl auch der nach wie vor vorhandene riesige Gegensatz zwischen dem russischen Hof mit seiner verschwenderischen Pracht und dem armseligen Leben des Volkes, das im mehr oder weniger aufgeklärten Europa zu dem Vorurteil führten, Russland sei ein zurück gebliebenes, elendes Reich, dessen Wohlstand man vorgaukeln müsste. Dabei war all das, was Potemkin oder Katharina erreichten, keineswegs »von Pappe«. Potemkin besetzte 1783 die Krim; er gründete Städte wie Cherson oder Sewastopol, und hier ließ er die Schwarzmeerflotte aufbauen. Im Krieg gegen die Türken 1787 bis 1792 war er der Oberbefehlshaber des Heeres und der Flotte. Schon im ersten Krieg gegen das Osmanische Reich 1768 bis 1774 wurde das Nordufer des Schwarzen Meeres eingenommen. Mit den Friedensschlüssen 1774 bzw. 1792 (Jassy) hatte Russland einen wichtigen und ausgedehnten Zugang zum Schwarzen Meer errungen; das Reich erstreckte sich nun bis zum Dnjestr und zum Bug; die Krim und einige Teile des Kaukasus hatte es sich angeeignet; außerdem wurde Russland ein Interventionsrecht beim Sultan zugunsten der Donaufürstentümer eingeräumt, und russische Handelsschiffe durften durch den Bosporus und die Dardanellen ins Mittelmeer fahren. Durch die polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 gewann Russland weitere Gebiete, 1795 gliederte es noch das Herzogtum Kurland ein.
 

Katharina

Katharina die Große (1780er Jahre, Wikipedia)

  
Man hat geltend gemacht, schon zu Lebzeiten und später in der Geschichtsschreibung, Katharina habe sich als Frau ohne moralische Skrupel in die Abhängigkeit ihrer Günstlinge und Liebhaber begeben – sie hatte nacheinander zehn, alle hatten Posten in der Regierung, und drei, vor allem Potemkin, hatten beträchtlichen Einfluss – die sie ausgenutzt und sie für ihre Zwecke missbraucht hätten. Aber diese These ist doch zu kurz gegriffen. Katharina die Große träumte von einem großen und mächtigen Russland, vielleicht sogar von einer Wiederauferstehung des alten byzantinischen Reiches und eines Reich Dakien auf dem Balkan. Zumindest hat sie es erreicht, die Stellung Russlands in Europa zu festigen und zu stärken. So erhielt sie sogar eine schiedsrichterliche Rolle in Europa. Nach dem Ende des Bayerischen Erbfolgekrieges im Frieden von Teschen 1770 wurde Russland neben Frankreich Garantiemacht in deutschen Angelegenheiten. Auch ihr Hof wurde zu einem Mittelpunkt in Europa, diplomatisch und noch mehr auf kulturellem Gebiet. Als sie am 17. November 1796 im heutigen Puschkin (Zarskoje Selo) an einem Schlaganfall starb, hinterließ sie ein außenpolitisch und kulturell erneuertes und gestärktes Russisches Reich, und ihr Titel »die Große« zeichnet sie bis heute aus. Peter der Große ging es vor allem um die Technik, als er den Anschluss an den Westen suchte, Katharina um die Kultur – sie riss die gebildete russische Elite aus dem Mittelalter mit in die Moderne. Die Urteile über sie waren überwiegend positiv: »Sie war jeder Zoll ein ‚politisches Wesen’, in der modernen Geschichte unerreicht von keiner Vertreterin ihres Geschlechts und dennoch gleichzeitig durch und durch Frau und eine große Dame« – so ein deutscher Historiker. Sie war »die einzige Herrscherin, die Englands Elisabeth an Fähigkeit übertraf und ihr in der dauernden Bedeutung ihres Werkes gleichkam« – ein englischer Historiker. Und schließlich ein französischer, der sie zu ihren Gunsten mit Le Grand Monarque verglich: »Der Großmut Katharinas, der Glanz ihrer Regierung, die Pracht ihres Hofes, ihre Institutionen, ihre Bauten, ihre Kriege waren für Rußland genau das, was das Zeitalter Ludwigs XIV. für Europa war; doch individuell betrachtet, war Katharina größer als dieser Fürst. Die Franzosen begründeten den Ruhm Ludwigs, Katharina begründete den der Russen.«
     Der Weg Russlands war noch steinig und tränenreich. Am Ende standen die Revolution von 1917, die Stalin-Ära und die Sowjetunion, aber danach kamen Gorbatschow und Glasnost, dann allerdings Putin ...

Der Alte Fritz: Friedrich der Große

Viele Geschichten ranken sich um den »Alten Fritz«. Was wir von unseren Eltern und Großeltern, die zumeist Verehrer von Friedrich dem Großen waren, und aus der Schule mitgenommen haben, ist vor allem seine Aufgeklärtheit, seine religiöse Toleranz – in seinem Staat könne jeder nach seiner Faςon selig werden, hat er einmal gesagt; in anderern europäischen Staaten bestimmte der Fürst die Religion seiner Untertanen. Ein weiteres Beispiel ist die Einführung der Kartoffel, die ursprünglich aus Amerika kam und schon während des Dreißigjährigen Krieges in manchen Gegenden angebaut wurde. Da die Bauern nichts damit anfangen konnten oder sogar die oberirdischen Früchte aßen, was zu schlimmen Vergiftungen führte, ließ der Alte Fritz die staatlichen Kartoffelfelder zum Schein bewachen, worauf die Bauern die vermeintlich so wertvolle Frucht stahlen, um sie dann selber anzubauen. Auf einem ganz anderen Gebiet gibt es ebenfalls Überlieferungen. Als 1775 in Amerika der Unabhängigkeitskrieg ausbrach, der die Loslösung der englischen Kolonien von England und am Ende die Gründung der Vereinigten Staaten zur Folge hatte, verpachteten (»verkauften«) deutsche Fürsten freiwillige, meist aber zum Militärdienst gepresste junge Untertanen nach England, in dessen Auftrag sie dann in Amerika Dienst taten und gegen die Aufständischen kämpften. Die meisten Untertanen vermietete der Landgraf von Hessen-Kassel, so dass alle deutschen Soldaten in englischen Diensten in Amerika »Hessians« genannnt wurden. Allen Fürsten, die Rekruten »verkauften«, ging es natürlich um die Finanzierung ihrer üppigen Hofhaltung. Als das Ansinnen, Soldaten für England zu stellen, an Friedrich heran getragen wurde, der über die besten Truppen in Europa verfügte, lehnte er schroff ab. Wollte er nicht, dass in Amerika Deutsche auf Deutsche schießen sollten? Andererseits unterstützte er auch die Aufständischen nicht direkt; er mochte zwar den Tabak, aber nicht die Tabak anbauenden Kolonisten, und als es amerikanischen Abgesandten in Europa darum ging, in Europa Verbündete gegen England zu gewinnen, weigerte er sich zunächst sogar, sie zu empfangen. Eine Audienz, die dann endlich zustande kam, führte nur zu vagen Zusagen. Als aber von England angemietete deutsche Rekruten durch preußisches Gebiet ziehen sollten, lehnte dies Friedrich ebenfalls ab. Man hat später behauptet, Friedrich hätte Viehzoll für den Durchzug verlangt, weil die Soldaten wie Vieh nach England verkauft würden, wie er in einem Brief an Voltaire geschrieben haben soll, aber die Forderung nach Viehzoll war wohl eines der Propagandamärchen der Amerikaner, um den Briten zu schaden. Tatsächlich hat Friedrich den Durchzug der Anhalt-Zerbster Rekruten durch preußisches Gebiet untersagt und damit indirekt der amerikanischen Sache sehr genützt, weil die Verstärkung der Briten dann erst so spät in Amerika eintraf, dass der englische Befehlshaber unschlüssig, auch im Zweifel bezüglich der zukünftigen Unterstützung aus der Soldatenverpachtung, mit Angriffen wartete und damit der zerlumpten amerikanischen Armee und ihrem Befehlshaber George Washington (1732–1799) die Ruhe schaffte, sich wieder einigermaßen zu erholen. Wie Friedrich Kapp, der dem König nicht eben sehr wohl gesonnen war, schrieb: »Eben darin liegt die Bedeutung der Politik Friedrichs für den amerikanischen Krieg. Sie war in ihren Folgen für Washington so viel wert wie ein neuer Bundesgenosse: Sie gönnte ihm Zeit zur Erholung und half das Kriegsglück wenden. Ohne es zu wollen, erwies also der große König dem republikanischen Feldherrn einen wesentlichen Dienst.« Das geschah Anfang 1778; damals begann der deutsche General Friedrich Wilhelm von Steuben (1730–1794) mit der Reorganisation des amerikanischen Heeres; nur durch seinen Einfluss und mit Hilfe der von ihm durchgeführten Ausbildung machte er aus den elenden Soldaten Washingtons eine den besten englischen (d.h. meist deutschen) Truppen ebenbürtige Armee – Steuben hatte zwar im Siebenjährigen Krieg gedient, aber nur, weil er sich als »General im Dienste des Königs von Preußen« ausgab – Friedrich war in Amerika sehr geachtet – fand er bei der amerkanischen Armee überhaupt Aufnahme – eine Hochstapelei, die die englische Krone ihre Kolonien in Amerika kosten sollte. Friedrich hatte an Voltaire über die zum Kriegdienst gepressten jungen Leute geschrieben, dass ihm die armen Kerle leid täten, die ihr Leben so unglücklich und sinnlos in Amerika hingeben müssten. Friedrich Kapp weist die spätere Deutung einiger amerikanischer Politiker und deutscher Geschichtsschreiber zurück, Friedrich hätte aus Sympathie für die Rekruten oder gar die Amerikaner das Durchzugsverbot ausgesprochen – er argumentiert, dasss Friedrich in seinen Kriegen Hunderttausende ohne Rücksicht auf Verlust in den Tod schickte und somit von ihm kein besonderes Mitleid mit den Soldaten zu erwarten war – sondern es ging Friedrich wohl nur darum, England zu schaden, ohne zu ahnen, wie weit reichende Folgen das haben würde, und Kapp zitiert auch den Friedrich zugeschriebenen Ausspruch der Verwunderung, dass »die Hunde von Grenadieren ewig leben wollen«. Dieser Satz, bekannter in der Form »Hunde, wollt Ihr ewig leben?«, ist zwar eines der verbreitetsten Zitate Friedrchs, aber er ist nicht belegt. Viel weniger bekannt, aber nachgewiesen ist dagegen, dass Friedrich II. von Preußen und die Vereinigten Staaten von Amerika 1785 einen Freundschafts- und Handelsvertrag schlossen, der nicht nur die Anerkennung der USA durch Preußen dokumentierte, sondern auch der weltweit erste Staatsvertrag war, der in Friedenszeiten die Bedingungen der Kriegsgefangenschaft regelte. Dieser Vertrag, den Friedrich schon 1783 nach Gründung der Vereinigten Staaten ansteuerte, endete erst 1917 mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. In der DDR gehörten übrigens Friedrich der Große, Martin Luther (1483–1546) und der berühmte Schriftsteller Karl May (1842–1912) zu den »Unpersonen«. Erst Ende der 70er Jahre begann sich dort die offizielle Kulturpolitik dem bürgerlich-fortschrittlichen kulturellen Erbe zu öffnen und die Beschäftigung damit zu fördern, ja zu fordern, und davon profitierten neben anderen bislang verpönten Schriftstellern alle drei. Dass Friedrich der Große auch im Werk Karl Mays vorkommt, ist nicht weiter verwunderlich in Anbetracht der Veehrung, die der Alte Fritz im 19. Jahrhundert genoss. In seiner Erzählung Pandur und Grenadier von 1883 steht Friedrich mit seinem Feldmarschall, dem Alten Dessauer, 1742 in Böhmen; er »war von nicht hoher, schmächtiger Gestalt und trug anstatt der Reitpeitsche einen hölzernen Krückstock in der Rechten«; und in der humoristischen Episode aus dem Leben des Alten Dessauers Unter den Werbern von 1876, die später noch mehrfach erschien, lästert der Alte Dessauer über Friedrich, er spiele nur Flöte, merke aber nichts von der allmählich zunehmenden Gefahr durch Sachsen. Später gibt Friedrich dann dem Dessauer Befehl, zum Krieg gegen Sachsen zu rüsten. Der Alte Dessauer ist übrigens eine historische Gestalt: Der preußische Feldmarschall Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676–1747), der im preußischen Heer den Gleichschritt und eiserne Ladestöcke einführte, zeichnete sich im Spanischen Erbfolgekrieg, im Nordischen Krieg und dann im Zweiten Schlesischen Krieg unter Friedrich dem Großen aus.
 
 

Friedrich der Große, der alte Fritz

Friedrich der Große (Gemälde von Anton Graff, 1781, Wikipedia)

 

Karl May

Karl May (1906, Karl-May-Stiftung Radebeul)

 
Dass in unserem Kontext May erwähnt wurde, hängt an Friedrichs Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Diese wirft ebenfalls ein Licht auf die Widersprüchlichkeit des Königs, wie wir sie auch schon bei Ludwig und Peter sowie bei Katharina der Großen vorgefunden haben. Wie bei May haben Dichtungen um und über Friedrich vor allem Anekdotisches benutzt. Das zeigt sich zum Beispiel in zahlreichen französischen Werken, beginnend mit dem Abenteuerroman Les barons de Felsheim von Pigault-Lebrun (1798/99). Die Novelle Friedrich der Große bei Kolin veröffentlichte K. Bleibtreu 1888. Viele Dramen (z.B. Katte von H. Burte 1914 oder Vater und Sohn von J. von der Goltz 1921), ein Roman (Der Vater von J. Klepper 1937) und nur ein Lustspiel (Zopf und Schwert von K. Gutzmann 1844) behandelten das schwierige Verhältnis Friedrichs des Großen zu seinem Vater, und Heinrich Mann hinterließ ein Romanfragment Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen, die 1960 veröffentlicht wurde. Aus England kamen so gegensätzliche Schriften wie das sechsbändige Werk des einflussreichen Historikers und Sozialkritikers Thomas Carlyle (1795–1881) History of Friedrich II of Prussia, called Frederick the Great von 1858 bis 1865, in dem Friedrich über Gebühr gepriesen und glorifiziert wird, und dem des Essayisten, Dichters, Historikers und Staatsmannes Tomas B. Macaulay (1800–1859) Frederick the Great von 1842, in dem kein gutes Haar an ihm gelassen wurde: Friedrich der Große als grausamer und brutaler Kriegstreiber. Als 1806 Napoleon an Friedrichs des Großen Sarg stand – Preußen lag nach den Siegen Napoleons darnieder – sagte er zu seiner Begleitung, auch ein Satz, der sich in der Erinnerung erhalten hat: »Wenn der noch lebte, dann stünden wir nicht hier.« Seit dem Sieg von Roßbach hieß Friedrich II. von Preußen endgültig der »große Friedrich«; schon vorher, bei der Rückkehr aus dem Zweiten Schlesischen Krieg und seinem Einzug in Berlin jubelte ihm das Volk als Friedrich dem Großen entgegen; da war er gerade einmal 33 Jahre alt.

Preußen war als Herzogtum mit dem Vertrag vom 8. April 1525 zwischen Polen und dem Deutschen Orden entstanden – der Ordensstaat wurde in ein weltliches Herzogtum unter polnischer Lehnshoheit umgewandelt. Fast hundert Jahre später, 1618, fiel es an die brandenburgische Linie der Hohenzollern, die 1660 im Frieden von Oliva die Souveränität Preußens erreichen konnten. Ab 1701 ging seine Geschichte im brandenburgischen Gesamtstaat auf, der sich nun Preußen nannte. Das geschah, als sich der Kurfürst von Brandenburg, wie erwähnt, zum König in Preußen krönte. Brandenburg selbst hatte ebenfalls eine lange Geschichte hinter sich. Ursprünglich siedelten hier germanische Völker wie die Semnonen, Langobarden und Burgunder; im 7. Jahrhundert ließen sich dort, vor allem im Osten, Slawen nieder. Um 940 kam das Gebiet unter deutsche Herrschaft, schon 948 eentstand hier das Bistum Brandenburg, und das Gebiet wurde christianisiert. 1134 wurde aus Brandenburg die Nordmark bzw. die Mark Brandenburg; ihre Herren waren die Askanier, die das Land endgültig für die deutsche Ausbreitung nach Osten erschlossen. Das Geschlecht der Askanier, die erst Markgrafen, seit 1177 Reichserzkämmerer und später Kurfürsten wurden, starb Anfang des 14. Jahrhunderts aus; nun – 1320 – fiel Brandenburg vorübergehend an die Wittelsbacher, 1373 an die Luxemburger, und 1411/15 an das Haus Hohenzollern, das 1417 auch die Kurwürde verliehen erhielt. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde Brandenburg gebietsmäßig beträchtlich erweitert, abgesehen davon, dass Berlin zur Hauptstadt erkoren und die Reformation eingeführt wurden; hinzu kamen das Herzogtum Kleve, die Grafschaften Mark und Ravensberg, Hinterpommern und 1618, wie gesagt, Preußen, das 1660 aus der Lehnshoheit Polens entlassen wurde. Es war dann dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm (geb. 1620; reg. 1640–1688) vorbehalten, in dem Gebiet einen absolutistisch-preußischen Staat zu schaffen, mit dem Ziel eines kalvinistischen Modellstaates vor Augen. Ihn nannte man nicht von ungefähr den »Großen Kurfürsten«. Besonders mit seinem Edikt von Potsdam von 1685, mit dem Hugenotten, später auch anderen Glaubensflüchtlingen und Auswanderern die Ansiedlung in Brandenburg gestattet wurde, hob sich der Große Kurfürst von seinen Zeitgenossen unter den Fürsten ab. Ansonsten war durchaus Frankreich sein politisches und kulturelles Vorbild. Im Westfälischen Frieden erzielte er große Gebietsgewinne, sein im Dreißigjährigen Krieg verwüstetes Land baute er mit einer einheitlichen und herausragenden Verwaltung wieder auf, und mit Groß-Friedrichsburg im heutigen Ghana errang er 1683 sogar kolonialen Besitz, der allerdings schon 1717 an die Niederländer verkauft wurde. Ab 1686 wechselte der Große Kurfürst vom französischen Bündnis hin zu den Habsburgern. Mit dem Ausbau seines Heeres und seinen sonstigen Maßnahmen legte er den Grundstock für den rasanten Aufstieg Preußens. Als sich dann noch, wie erwähnt, sein Sohn, der Kurfürst von Brandenburg Friedrich III. zum König krönte – er wurde damit zu Friedrich I. (geb. 1657; reg. 1688 als Kurfürst/ 1701 als König bis 1713) spricht man nur noch von Preußen, auch wenn Friedrich nur König in Preußen war; ab 1772 nannten sich die Herrscher mit Friedrich dem Großen Könige von Preußen.
     Friedrich der Große kam am 24. Januar 1712 in Berlin zur Welt. Sein Vater war der bereits erwähnte Kurfürst und König Friedrich Wilhelm I., der wegen der starken Armee, die er aufbaute, »Soldatenkönig« genannt wurde. Er vollendete in Preußen die absolute Monarchie. Der Konflikt zwischen ihm und seinem Sohn blieb bis in unsere Zeiten bekannt.
     Friedrich der Große kann mit Fug und Recht in drei oder vier Charaktere mit den dazu gehörigen Leistungen aufgespalten werden; drei davon, jeder für sich, hätte schon genügt, Friedrich zum »Großen« zu machen.
Da war zunächst der Schöngeist, der intellektuelle und aufgeklärte, musisch begabte Friedrich. Sein Vater hielt einen einfachen, bürgerlich-pietistischen, sittenstrengen, von Plichterfüllung geprägten Hof. Er ließ Friedrich streng militärisch erziehen, so dass er es 1730 nicht mehr aushielt und einen Fluchtversuch nach England unternahm. Der Hinrichtung seines Freundes Katte, der an der Flucht beteiligt war, musste er gezwungenermaßen zusehen; er selbst blieb in Haft in Küstrin, bis er sich im Februar 1732 ebenfalls gezwungenermaßen verloben musste. Er unterwarf sich nun seinem Vater; wie weit er Verständnis für dessen Staatsführung aufbrachte oder wie weit er alles nur noch hinnahm, wird sich letztlich nie klären lassen. Jedenfalls lebte er nun im Schloss Rheinberg relativ sorglos, umgab sich mit Freunden, verfasste hier den berühmten Antimachiavell (1739), in dem er den aufgeklärten Absolutismus beschrieb: der Herrscher als erster Diener des Staates, dessen Souveränität zwar unbeschränkt, der aber der Wohlfahrt des Volkes verpflichtet ist. Von Gottesgnadentum war keine Rede mehr; ganz im Gegenteil verdanke der Herrscher seine Position dem Zufall der Geburt. Direkt nach seinem Regierungsantritt 1740 lud Friedrich Voltaire und andere bedeutende Vertreter der französischen Aufklärung in die Preußische Akademie der Wissenschaften ein, wo er ihnen eine Wirkungsstätte für ihre Ideen gab; Voltaire hielt sich wiederholt dort auf, sogar bei einer Gelegenheit mehrere Jahre, bis sich das Verhältnis zu dem König abkühlte. Zeit seines Lebens war Friedrich der französischen Kultur und Literatur eng verbunden. Im Gegensatz zur deutschen Literatur hing er an der deutschen Musik, z. B. an der der Bachs; er selbst war ein begeisternder Flötenspieler und Komponist – vier Flötenkonzerte und 121 Flötensonaten und einige Märsche gehen auf ihn zurück. Er förderte die bildende Kunst – der neue Dom in Berlin, das dortige Opernhaus und das Rokokoschloss Sanssouci entstanden –, und auch als militärisch-politischer Schriftsteller wirkte Friedrich in herausragendem Maße.
     Der andere Friedrich war der kriegerische. Dieser Teil seines Charakters stand im Widerspruch zu seinen Vernunft- und Humanitätsideen. In den Schlesischen Kriegen 1740–42 und 1744/45 annektierte er das habsburgische Schlesien. In Schlesien hatten die Skythen gelebt, die Kelten, danach die Wandalen und nach deren Abzug seit dem 6. Jahrhundert Slawen. Seit dem Ende des 10. Jahrhunderts gehörte es zu Polen. Im 13. Jahrhundert warben die polnischen Herzöge zahlreiche deutsche Siedler an, die Schlesien deutsch prägten. Im 14. Jahrhundert unterstellten sich alle oberschlesischen und die meisten niederschlesischen Herzöge der Lehnshoheit Böhmens, womit das Gebiet mittelbar zum Heiligen Römischen Reich kam. Dieser Schritt wurde 1348 endgültig durch den späteren Kaiser Karl IV. vollzogen, nachdem Polen 1335 auf seine Ansprüche auf Schlesien verzichtet hatte. 1526 kam dann Schlesien mit Böhmen an die Habsburger. Nun hatte einer der vielen polnischen Herzöge in Schlesien, der Liegnitzer Spross der Piasten, 1537 Erbverträge mit den Hohenzollern geschlossen. Auf diese berief sich Friedrich, als er das Land an sich riss. Schlesien war wegen seines Bergbaus und seiner Textilherstellung damals eines der wichtigsten Ländereien der Habsburger. In Österreich regierte seit 1740 Maria Theresia (1717–1780), die hin und wieder die »große Kaiserin« genannt wird und die sicher zu den bedeutendsten Herrscherinnen der Geschichte zu zählen ist. Der Verlust Schlesien traf sie hart. Da Friedrich überzeugt war, dass die Konkurrenz mit Österreich auf Dauer wieder zum Krieg führen würde, begann er 1756 den Siebenjährigen Kreig durch einen »Präventivschlag« gegen Kursachsen. War Friedrich bei der ersten Schlacht im 1. Schlesischen Krieg noch geflohen, erwies er sich seitdem als hervorragender Feldherr und Führer seiner 180.000 Mann starken Armee; man kann ihn getrost zu den größten Feldhern der Geschichte rechnen. Dennoch wäre die Katastrophe wohl unausweichlich gewesen, wenn nicht, wie erwähnt, Russland unter Peter III. mit ihm Frieden geschlossen hätte. Am Ende des Krieges 1763 wurde für Preußen nicht nur der Besuitzstand wie vor dem Krieg, einschließlich Schlesiens bestätigt, nein, Preußen war auch europäische Großmacht geworden, und Friedrich war eine legendäre Gestalt. – Durch die 1. polnische Teilung und durch Erbfälle erhielt Preußen weitere Gebiete.
     Der dritte Friedrich der Große war der Reformer und Verwalter, der den inneren Ausbau Preußens vorantrieb. Er schaffte die Folter ab, auch wenn er sie in Einzelfällen noch zuließ; die Gerechtigkeit in seinem Staat wurde vorbildlich, auch wenn sie in Einzelfällen noch Schaden nahm Aber, so schrieb er: »In den Gerichtshöfen müssen die Gesetze sprechen, und der Souverän muß schweigen [...] die Justizkollegia sollen bedenken, daß der geringste Bauer ebenso gut ein Mensch ist wie Se. Majestät, indem vor der Justiz alle Leute gleich sind.« Das Prozesswesen wurde reformiert (1747); ein Allgemeines Landrecht ausgearbeitet, das 1794 verabschiedet wurde; die Verwaltung ausgebaut. Friedrich überantwortete jedem Stand bestimmte Aufgaben. So stellte der Adel die Offiziere und höheren Beamten, während die Bürger Handel und Gewerbe betreiben sollten. Auf diese Weise stärkte Friedrich die ständische Ordnung. Die Regierung führte er persönlich mit Hilfe von Kabinettsräten, aber Fachdepartements untersützten seine Arbeit, wenn auch zentralistisch geordnet. Seine volkswirtschaftlichen Maßnahmen, zu denen eine strikte Steuerpolitk und ein rigoroser Merkantilismus gehörten, führten zur Hebung der Staatseinnahmen. Seinem Nachfolger hinterließ Friedrich ein hinsichtlich der Größe verdoppeltes Preußen und ein Staatsvermögen von 70.000.000 Talern, von der Armee von 200.000 Mann gar nicht zu reden. Er förderte auch die Landwirtschaft, sowohl die bäuerliche als auch die adlige, siedelte 57.000 Familien an und entwickelte die neu hinzu gekommenen polnischen Gebiete (Westpreußen) durch Meliorationen und Kanalbauten. Dazu kamen noch bildungspolitische Maßnahmen wie das Landschulreglement 1763, verbesserte Lehrerbildung und Volksschulwesen und vieles mehr. Das Los der leibeigenen Bauern besserte er, ohne sich dazu entschließen zu können, die Leibeigenschaft ganz abzuschaffen.
     Nun gab es natürlich auch noch einen privaten Friedrich. Er heiratete 1733 Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern (1715–1797), d. h. musste sie heiraten und wurde auch von den Habsburgern mit einer Jahrespension von 2500 Dukaten dazu »überredet«; schließlich war sie die Nichte von Kaiser Karl VI. (geb. 1685; 1711 (König, Kaiser)–1740). Aber was sich die Habsburger davon versprachen, nämlich ein gutes Verhältnis zu ihm, erreichten sie nicht. Mit seinem Regierungsantritt lebte das Ehepaar getrennt. Kinder gingen aus der Ehe nicht hervor. Da sich Friedrich viel mit Männern umgab, z. B. seine berühmte »Tafelrunde« aus ausgewählten Denkern und Schriftstellern, kam das Gerücht auf, er leide an einer Geschlechtskrankheit oder sei gar homosexuell. Dass fürstliche Ehepartner nicht zusammen passten, war in der Geschichte nichts Neues. Und Friedrich soll auch ab 1743 eine Liaison mit der italienischen Tänzerin Barberina Campanini gehabt haben, die als einzige Frau Schloss Sanssouci betreten durfte. Dennoch war er, vor allem in seinen letzten Lebenjahren, einsam und verbittert. Aus dem Siebenjährigen Krieg war er krank zurückgekehrt. Am Ende seines Lebens wurde er starrer, schroffer, zynisch und skeptisch, was seine Mitmenschen und die Politik anging. Aber er wurde unglaublich volkstümlich, weil er dem Volk den Glauben und auch das Vertrauen vermittelte, er kümmere sich um alles persönlich, auch wenn man ihm unterstellte, er verachte die Religion und die Kirche. Tatsächlich glaubte er an ein Höchstes Geistiges Wesen, das die Welt geschaffen, aber dann sich selbst überlassen habe. Darin glich er Voltaire. Als er am 16. August 1786 starb, soll ein schwäbischer Bauer ausgerufen haben: »Wer soll nun die Welt regieren?«

Friedrich stand immer in der Spannung zwischen seinen humanitären und idealistischen Zielen einerseits und der Staatsräson andererseits, wozu auch seine Kriege zu zählen sind. In der Geschichte hat man ihn sehr unterschiedlich beurteilt, je nach historischem Kontext und politischer Perspektive. Macaulays Anklage hat man in eine Anklage gegen den deutschen Geist bis hin zu den Weltkriegen schlechthin umgemünzt; die Bewunderung eines Carlyle für ihn findet sich ähnlich in einer glorifizierten Heldenverehrung durch andere. Sein Deutscher Fürstenbund wird als bedeutsamer Schritt zur Vereinigung der deutschen Staaten angesehen – von den einen; andere meinen, er habe 1785 den letzten Versuch einer deutschen Verfassungsreform im Fürstenbund vereitelt. Man wird seine Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit nie zu fassen bekommen – er war eben Friedrich der Große.
Sein Vermächtnis blieb. Zwar lag Preußen in den Napoleonischen Kriegen darnieder, aber danach erholte es sich. Ob die spätere Entwicklung Preußens bis hin zur Gründung des Deutschen Reiches und der Weimarer Republik mit ihren Höhen und Tiefen, ihren Kriegen und ihren Bündnis- und Friedensbemühungen der deutschen Geschichte mehr genutzt oder geschadet hat, wird sich vielleicht in hundert Jahren beantworten lassen, wenn überhaupt ...


3. Ausklang im Fernen und Nahen Osten

In der Neuzeit sind uns bereits einige nicht europäische Fürsten begegnet, die den Titel »der Große« erhielten. Sie, speziell Akbar und Abbas, waren die bekanntesten – und sie trugen den Titel mit Recht – aber nicht die einzigen. Interessanterweise finden sich die letzten in unserer »Kleinen Weltgeschichte der ›Großen‹«, die diese Bezeichnung erhielten, nicht in Europa, sondern in Amerika, Afrika bzw. Asien.


Erneuerer und Gründer von Reichen: Pakal, Radama, Taksin, Kamehameha und Bechir die Großen

Wir müssen in der Zeit noch einmal weit zurückgehen. Was niemand vermuten würde: Im alten Maya-Reich in Mittelamerika gab es tatsächlich auch einen ›Großen‹. Seine unversehrte Totengruft und der noch verschlossene Sarg wurden – es war ein großer Glücksfall – von einem mexikanischen Ausgräber aufgefunden. Den König bedeckte eine Jade-Mosaik-Maske, und er war mit reichem Schmuck begraben. Auf der Oberseite des Sargdeckels fand sich die Apotheose des Königs, und eine Inschrift entlang der Kanten informierte über die Daten seiner Vorfahren und sein eigenes Leben. Es handelte sich um Pakal den Großen (603–683), der schon mit knapp dreizehn Jahren 615 zur Herrschaft gelangte. Seine Mutter Säk-K’uk‘ (gest. 640) hatte vorher, seit 612, die Regentschaft geleitet; ihr Mann K’än-Bahläm-Mo‘ (gest. 642), also der Vater Pakals, hatte im Hintergrund gestanden, eine für die Maya-Verhältnisse mit ihrem patrilinearen Verwandtschaftssystem ungewöhnliche Situation; solche Herrschaftsverhältnisse mit der Prominenz von Frauen gab es aber auch anderswo bei den Maya. Die Mutter Pakals zog sich mit der Inthronisation von Pakal zurück, und Pakal der Große wurde der hervorragendste Herrscher der Maya-Stadt Palenque, der sich um den Frieden mit anderen Maya-Herrschern bemühte und als Förderer der Baukunst hervortrat. Er heiratete Ahpo-Hel (650–672), die ihm zwei Söhne gebar – beide wurden später bedeutende Herrscher in Palenque.«

Machen wir nun einen großen Zeit- und Erdteilsprung: Die viertgrößte Insel der Erde ist Madagaskar; sie wurde einerseits von Afrika aus besiedelt, von der anderen Seite her von Südasien. Dadurch bildete sich ein Mischvolk mit 18 Hauptethnien (Foko), von afrikanisch mit arabischen Einsprengseln bis zu überwiegend indonesisch. Im 17. Jahrhundert ließen sich Franzosen an der Ostküste nieder und beanspruchten daraufhin die Insel für sich. Ende des 18. Jahrhunderts gab es auf Madagaskar vier Königreiche, die unter einem starken Machthaber, Nampoina (gest. 1810), zusammengeführt wurden. Echten Glanz erhielt das Reich aber erst unter seinem Erben Radama I. (ca. 1793–1828), der den Titel ›der Große‹ zugesprochen bekam (Daniel Zander). Dieser junge, gut aussehende, vitale Herrscher, voller Tatendrang und von seinem Volk vergöttert, der Napoleon als Vorbild ansah, eroberte – gemäß seinem Grundsatz: »Das Meer ist meines Reisfeldes einzige Grenze« – einen Großteil der Insel, führte aber auch ausgewählte europäische Techniken ein. Er warf die Franzosen aus dem Land und setzte auf die englische Karte. Im Vertrag von 1817 erhielt er nicht nur den Titel ›König von Madagaskar‹, sondern auch gewaltige Zugeständnisse der Briten hinsichtlich ihrer Lieferungen – jährlich 1000 Golddollar, 1000 Silberdollar, hundert Pulverfässer, hundert Gewehre und Uniformen – an ihn. Radama seinerseits stellte auf Wunsch der Engländer den Sklavenhandel ein, beendete das Piratenunwesen an der Westküste und öffnete das Land europäischem Einfluss. Mit Hilfe der London Missionary Society gründete er Schulen, die auch Mädchen offenstanden. Er ließ eine madagassische Schriftsprache entwickeln – mit lateinischer Schrift als Grundlage – und Schmiede, Maurer, Weber, Gerber, Spinner und sogar Seidenraupenzüchter ausbilden. Sein aufreibendes Leben, aber auch seine Ausschweifungen wie seine Alkohol- und Sexeskapaden führten zu seinem frühen Tod. Es wird berichtet, dass sich bei seiner Heirat 200.000 Menschen vor seinem Palast in einer riesigen Massenorgie liebten. Seine älteste Frau Ranavalova (gest. 1861), die sich nach seinem Tod auf den Thron setzte, versuchte, das Rad der Geschichte unheilvoll zurückzudrehen. Über 200.000 Menschen – 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung – kamen dabei ums Leben, die Christen wurden verfolgt, vertrieben oder umgebracht, und der Wohlstand des Landes, den Radama der Große geschaffen hatte, ging dabei zugrunde.

Machen wir nun einen Sprung nach Asien. In Zentral-Thailand gab es im 1. Jahrtausend n. Chr. ein buddhistisches Königreich, es hieß Dvaravati und wurde vom Volk der Mon gegründet. Auch die hinduistischen Khmer von Angkor beherrschten damals Teile des heutigen Thailand. Sie wurden aber im 13. Jahrhundert von den im Norden ansässigen Thai vertrieben, die sich im 11. und 12. Jahrhundert unter den Mon niedergelassen und mit ihnen vermischt hatten. Um 1240 gründeten sie das Reich der Sukhothai, das seinen Machtbereich erheblich erweiterte – im Süden reichte es bis zur Halbinsel Malakka. Dieses Reich wurde im 14. Jahrhundert durch das von Ayutthaya abgelöst, zu dem auch die südlichen Thai-Fürstentümer und Kambodscha gehörten. Ayutthaya wiederum wurde 1569 zum Vasallenstaat von Birma, nur um fünfzehn Jahre später neu zu erstehen und noch um Gebiete der Khmer und andere vergrößert zu werden. Später betraten die Franzosen die Bildfläche; mit ihnen wurde 1686 ein Vertrag geschlossen, der es ihnen, zumindest zeitweilig, erlaubte, Handelsniederlassungen zu bauen, Missionstätigkeit zu betreiben und Truppen in der Hauptstadt zu stationieren. 1767 wiederum fielen erneut die Birmanen ein, belagerten die Hauptstadt ein Jahr lang und zerstörten schließlich Ayutthaya, die Stadt wie das Reich; der damalige König kam in den Flammen ums Leben. Allerdings begingen die Birmanen den Fehler, nur geringe Besatzungen im eroberten Land zurück zu lassen; zu sicher waren sie sich ihrer Beute. Einige fähige siamesische Statthalter und Anführer waren den Birmanen entkommen und organisierten den Widerstand; einer von denen, die übrig geblieben waren, mit Namen Phaya Tak, sammelte alle waffenfähigen Männer um sich, die er vorfand – häufig handelte es sich um versprengte Krieger – und schlug mit ihnen die Birmanen, die durch chinesische Angriffe geschwächt waren, entscheidend und warf sie zurück. Sein Name ist auch als Phraya Taksin überliefert, und er war nicht nur ein fähiger, sondern auch ein beliebter Heerführer. Geboren am 17. April 1734 in Ayutthaya, war er der Sohn eines wohlhabenden chinesischen Einwanderers, der in der Hauptstadt Spielhallen betrieb, und einer Thailänderin (Siamesin). Sin, wie sein Name ursprünglich lautete, in seiner Jugend buddhistischer Mönch, machte eine öffentliche Karriere, wurde Gouverneur der Provinz Tak, daher der Name Taksin, und später General im Heer des Königs. Nach dem Sieg über die Birmanen gründete er 1768 eine neue Hauptstadt, Thonburi, gegenüber dem heutigen Bangkok, auf der rechten Seite des Stromes Menam Chao Phraya oberhalb seiner Mündung. In seiner fünfzehnjährigen Regierungszeit führte er das ehemalige Königreich von Ayutthaya beinahe wieder zu seiner alten Blüte. Er eroberte Kambodscha und kleinere Staaten im Süden, besiegte 1777 dann im Norden die Lao und schlug erneut die Birmanen. Als König trug er den Namen Boroma Radscha IV. Gestützt und anerkannt von China, mit dem Thailand bald wichtige Handelsbeziehungen verband, schaffte er auch im Inneren des nach dem Zusammenbruch des Ayutthaya-Reiches in Anarchie und Chaos versunkenen Landes wieder Ordnung. Natürlich erwuchsen ihm dadurch auch viele Feinde. Im Lauf der Jahre wurde er bei seinen Maßnahmen immer grausamer; offenbar fiel er mit der Zeit in geistige Umnachtung. Schließlich wurde er durch eine Rebellion abgesetzt und in ein Kloster verbannt. Man holte ihn aber wieder heraus, machte ihm den Prozess und richtete ihn am 6. April 1782 hin; da königliches Blut nicht vergossen werden durfte, wurde er in einem Samtsack mit einem Sandelholzknüppel zu Tode geprügelt. Sein Nachfolger wurde der Begründer der Chakri-Dynastie, Chao Phraya Chakri, der als Rama I. (König Puttha Yotfa Chulalok) den Thron bestieg. Die Chakri-Dynastie ist in Thailand noch heute an der Macht.
     Da sich Taksin, wie man bald nach seiner Hinrichtung anerkannte, durchaus viele Verdienste um Thailand erworben hatte, wurde er zwei Jahre nach seinem Tode doch noch in Ehren beigesetzt, und am 27. Oktober 1981 wurde ihm vom thailändischen Kabinett sogar posthum der Titel »der Große« (Maharat) verliehen; der 28. Dezember, sein Krönungstag, wurde zum nationalen Gedenktag, wenn auch nicht zum offiziellen Feiertag erhoben. Rama I. (1782–1809) verlegte die Hauptstadt auf die andere Stromseite nach Bangkok. Damals waren die Franzosen in Thailand schon sehr einflussreich, aber Rama I. und seine Nachfolger betrieben eine kluge Außen- und Handelspolitik, schlossen mit den europäischen Mächten und den USA Verträge, so mit Großbritannien 1855 einen Freundschaftsvertrag, und auf diese Weise bewahrte Thailand als einziges Land in Südostasien seine staatliche Unabhängigkeit. König Rama V. (1868–1910) modernisierte dann das Land im westlichen Sinne. Taksin der Große ist unvergessen; an ihn erinnern heutzutage Statuen in Thailand und der nach ihm benannte Nationalpark Taksin Maharat in der Provinz Tak.

Unsere weitere Reise in den Fernen Osten bringt uns nun nach Hawaii im zentralen Nord-Pazifik, einem herrlichen, durch zahlreiche, teilweise noch aktive Vulkane und eine bizarre Vulkanlandschaft geprägten Archipel. Aus acht Hauptinseln und etwa 120 kleinen Nebeninseln bestehend, weist Hawaii ein mildes und ausgeglichenes Klima auf, das durch den Nordost-Passat geprägt ist. Die einladende Insellandschaft zog schon um 800 n. Chr. Polynesier, wahrscheinlich überwiegend aus Samoa kommend, an, die sich hier niederließen. 67 Ahnen schrieb sich der so bedeutende Herrscher Kamehameha, auf den wir gleich zurückkommen, zu, was den Beginn der Besiedlung Hawaiis sogar schon in das 6. Jahrhundert n. Chr. vorverlegen würde. Der berühmte britische Seefahrer James Cook (1728–1779) entdeckte die Inseln 1778 und nannte sie Sandwich-Inseln; er wurde hier ein Jahr später von Eingeborenen erschlagen. Als er auf Hawaii landete, traf er auf drei Staaten: Hawaii, Maui und Oahu; da allerdings der Herrscher von Hawaii die Königinwitwe von Maui zur Ehefrau genommen hatte, wurden beide Staaten von nur einem Oberhaupt regiert. Zwischen Hawaii und Oahu gab es ständige kriegerische Auseinandersetzungen, und auch innere Kämpfe zermürbten die Staaten. Nur wenige Jahre später gelang es dann einem einheimischen Führer, alle Inseln unter seiner Herrschaft zu vereinen und Ordnung zu schaffen. Dabei handelte es sich um den eben erwähnten Kamehameha, der erste von fünf Herrschern dieses Namens, und Kamehameha wurde zudem Nui genannt: »der Große«. Sein Geburtsjahr ist unbekannt. Die einen geben 1737 an, die anderen 1758, aber genau weiß es keiner. Für das Jahr 1758 spricht die Legende, dass die Geburt eines Herrschers, der ganz Hawaii vereinigen würde, im Zeichen eines Kometen erfolgen würde, und 1758 trat tatsächlich ein Komet in Erscheinung, nämlich der Halleysche Komet, und war von Hawaii aus zu sehen. Schon als junger Mann zeichnete sich Kamehameha als Krieger aus, er nahm als Wächter des Kriegsgottes auch eine hohe religiöse Stellung ein und wurde von manchen prophetischen Dichtern schon damals als der künftige Einiger gesehen und besungen. Als er zwei Jahre nach Cooks Tod Häuptling wurde, machte er seinen Traum von der Einheit des Archipels wahr, eroberte alle Inseln bis auf Kauai und Niihau, die sich ihm später, 1810, freiwillig unterwarfen und an ihn verkauft wurden, und konnte sich 1795 zum alleinigen Herrscher Hawaiis, zum König, proklamieren lassen. Mit großer persönlicher Tapferkeit ausgestattet, unterstützt durch eine Streitmacht, die von in Diensten genommenen Europäern geschult war und auch über Feuerwaffen verfügte, war er mit 16.000 Mann nach Oahu übergesetzt und hatte die Schanze Pali erstürmt. Zu seinen Streitkräften gehörte seit 1804 sogar noch eine Flotte von 21 Schiffen von 25 bis 50 Tonnen. Nachdem er seine Pläne verwirklicht hatte, organisierte er eine hervorragende Verwaltung, vereinheitlichte das Rechtssystem und regierte friedlich bis zu seinem Tode am 8. Mai 1819. Der englische Entdecker und Forscher Kapitän George Vancouver (1758–1798), der 1793 nach Hawaii kam, schrieb über ihn: »Seine Haltung war majestätisch; jede seiner Handlungen offenbarte einen Geist, der seinen Besitzer in jeder Lage herausgehoben hätte […] Sein allgemeines Verhalten war offen, großzügig und freundlich. In Erscheinung und Haltung ein wilder Herkules, in Fähigkeiten und Charakter ein Mann, den jedes Land stolz als seinen Sohn anerkannt hätte.« Und ein Historiker urteilte Anfang des 20. Jahrhunderts über Kamehameha den Großen: Er »muss eine machtvolle Persönlichkeit gewesen sein […] Er war nicht nur an Verstandeskräften groß und durch ein majestätisches Äußeres ausgezeichnet, größer war er noch durch seine sittliche Kraft sowie durch die Macht und Reinheit seines Willens […]«; er war ein Mann, »der an äußeren Erfolgen wie an Gaben des Geistes über das Durchschnittsmaß seiner Rasse weit hinausragt.« Der deutsche Dichter Adalbert von Chamisso (1781 – 1838), der Dichter des »Peter Schlemihl«, des »Mannes ohne Schatten«, nahm an der zweiten russischen Weltumseglung teil, die von 1815 bis 1818 unter dem baltendeutschen Kapitän Otto von Kotzebue (1787–1846), Sohn des Dramatikers August von Kotzebue (1761–1819 (ermordet)), stattfand. Er äußerte sich stolz darüber, dass er – außer dem französischen Helden aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und Staatsmann Joseph de Motier, Marquis de La Fayette (1757–1834) und dem britischen Entdecker und Naturforscher Sir Joseph Banks (1743–1820) – auch Kamehameha dem Großen die Hand drücken durfte. Aber Kamehamehas Regierung bedeutete nicht nur Segen und Unabhängigkeit – seit 1817 fuhren seine Schiffe unter eigener Flagge, der eines souveränen Staates – sondern auch den Beginn des sozialen Abstiegs und Niedergangs seines Volkes. Er selbst blieb zwar den alten Göttern treu, aber er öffnete Hawaii immer mehr für die Europäer und europäische Güter. Um für deren Kauf die nötigen Gelder aufzubringen, ließ er die wertvollen Sandelholzbestände von Hawaii abholzen und verkaufte sie (die von ihm angeordnete Aufforstung führten seine Untertanen nicht aus), führte rigorose Steuern ein und beutete sein Volk aus. Einerseits bewahrte er durch den Handelsverkehr mit den Europäern und Amerikanern im Gegensatz zu vielen anderen Inseln des Pazifischen Raumes die Unabhängigkeit seines Reiches von den Kolonialmächten, aber andererseits machte er große Schulden, um sich europäischen Luxus leisten zu können, und brachte so die fremden Mächte mit der Zeit gegen sich auf. Verglichen damit, dass diese Hawaii immer mehr als strategisch günstig gelegen und handelsmäßig und wirtschaftlich als relevant anzusehen lernten, war die Frage von Schulden allerdings zweitrangig. Während Kamehameha selbst die seinem Inselreich drohenden Unwetter noch umschiffen konnte, gelang es seinen Nachfolgern nicht mehr, ihnen auszuweichen. Die Amerikaner übten immer mehr Einfluss aus. Als 1872 Kamehameha V., 42jährig, kinderlos starb, bedeutete dies das Ende der Dynastie, und nur 15 Jahre später erbauten die Vereinigten Staaten auf Hawaii den Marinestützpunkt Pearl Harbour, 1898 annektierten sie den Archipel, der dann schließlich 1959 als 50. Bundesstaat offiziell in die Vereinigten Staaten aufgenommen wurde. In der hawaiianischen Hauptstadt Honolulu erinnert heute eine Statue an Kamehameha den Großen.

Das Ende unserer Reise durch die Geschichte der »Großen« führt uns nun noch in den Nahen Osten, in den Libanon. Nach den Phönikiern, deren Reich dort ihren Schwerpunkt hatte, kamen die Griechen und Römer, und ab 64 v. Chr. gehörte der Libanon zur römischen Provinz Syria. Später waren die Byzantiner hier die Herren, im 6. Jahrhundert die Perser, und seit dem 7. Jahrhundert die Araber. Zunächst unterstand das Gebiet dem Kalifat, vom 9. bis 11. Jahrhundert ägyptischen muslimischen Dynastien. Eine Zeit lang herrschten dort auch die Kreuzfahrer, aber nach rund 200 Jahren eroberten Ende des 13. Jahrhunderts die ägyptischen Mamelucken endgültig das Gebiet, und seit 1516 waren die Osmanen die Herren im Libanon.
     Aber unter ihnen genossen die hier ansässigen feudalen Gemeinschaften der Drusen und Maroniten weit gehende Selbstständigkeit. Die maronitische Kirche zählt zu den unierten Ostkirchen des antiochenischen Ritus’, ja, sie ist die einzige vollständig mit der katholischen Kirche unierte Ostkirche, und kann ihre Anfänge bis ins 5. Jahrhundert zurückführen, auf das syrische Kloster des heiligen Maro, der vor 423 starb. Um 745 wurde sie vom muslimischen Kalifat als eigene Gemeinschaft anerkannt. Späteren Verfolgungen durch die Araber versuchte sie sich durch die Abwanderung ihrer Mitglieder in den Libanon zu entziehen. Während der Herrschaft der Kreuzfahrer, als die Maroniten die Gemeinschaft mit der lateinischen Kirche suchten und aufnahmen, fand ihr Oberhaupt formale Anerkennung als Patriarch von Antiochia durch den Papst (1216). Die Drusen andererseits entstanden als Religionsgemeinschaft erst im 11. Jahrhundert. Zwar gingen sie aus der islamisch-schiitischen Richtung der Ismailiten hervor, aber da sie sich von der islamischen Lehre fundamental abwandten, kann man sie nicht als islamische Sekte bezeichnen. Sie vereinten in ihrer Lehre und Glaubenspraxis unterschiedliche religiöse Traditionen, sie glauben u. a. an die Seelenwanderung, aber sind streng monotheistisch. Früher wurden sie als eine religiöse Gemeinschaft mit geheimer Lehre angesehen, weil ihre Heilige Schrift – nicht der Koran, sondern ein Kanon aus 111 »Briefen der Weisheit« – als streng geheim galt – inzwischen ist er allerdings der Wissenschaft bekannt, und eine Konversion zum Drusentum ist nicht möglich, weil nach ihrem Glauben die Seelenzahl der Drusen konstant ist. In der Geschichte des Libanon übten die Maroniten und die Drusen, die ebenfalls vor den Arabern als »Verräter am Glauben« fliehen mussten, die politische Macht aus und hielten sie in einer gut ausgependelten Balance in Händen. Man hat sogar von einer Symbiose, einer engen Interessenverflechtung der beiden Völker gesprochen, die vom 13. bis zum 19. Jahrhundert friedlich und beinahe gleichberechtigt in enger Nachbarschaft lebten, ohne sich zu vermischen, eine beinahe einzigartige Schicksalsgemeinschaft. Von 1516 bis 1697 regierte bei den Drusen die Maan-Dynastie, die bei den Osmanen sogar Verbesserungen für die Maroniten erwirken konnte. Umgekehrt wurde der Libanon gerade durch die Maroniten das Fenster zum Westen. Vor allem Frankreich übernahm die Rolle einer Schutzmacht für die Christen im Libanon, aber der Sultan und der französische König waren weit, die Praxis sah dann doch oft anders aus und brachte für die Maroniten im eigenen Land Nachteile durch die Muslime. Im 18. Jahrhundert lief die Maan-Dynastie allmählich aus, und wieder einmal taten sich Drusen und Maroniten zusammen und wählten gemeinsam die Chehab-Dynastie für die Nachfolge. Diese war erst islamisch-sunnitisch, dann drusisch und zuletzt maronitisch, was nicht ohne Widersprüche und Krisen bleiben konnte. Von Anfang an bekriegten sich die in ihr mächtigen Familien, die mit einander rivalisierten und konkurrierten. Einer ihrer Fürsten wurde schließlich ermordet. Nun bestieg Bechir den Thron, 1788; er regierte bis 1840, und man sagt von ihm, dass es ihm vor allem um seinen eigenen Vorteil ging; nur dafür habe er zwischen den Parteien laviert, und gerade nicht, um Frieden zwischen ihnen zu stiften. Die Drusen und Christen sowie die europäischen Mächte und die osmanischen Herrscher spielte er gegen einander aus; es kam am Ende, von Krieg, Mord und Einmischung ausländischer Truppen ganz zu schweigen, zum Bruch der Jahrhunderte alten Freundschaft zwischen Drusen und Christen. Aber Bechir gilt nichts desto weniger als Bechir der Große, wie er im Werk von Brissaud genannt wird. Die Massaker der Drusen an den Maroniten 1860, die Zehntausende das Leben kosteten, brachten nicht nur das Eingreifen der europäischen Mächte, vor allem Frankreichs, sondern auch die Einrichtung des »autonomen Sandjaks Libanon« durch das Osmanische Reich 1861, der drei Jahre später auf Betreiben Frankreichs einem christlichen Gouverneur unterstellt wurde. Folgerichtig wurde der Libanon nach dem Ersten Weltkrieg 1920 zusammen mit Syrien französisches Völkerbundmandat. Damit waren aber die Bürgerkriege nicht beendet, und wer die Geschichte verfolgt hat, weiß um die Zerstörung eines blühenden Staates, wie es der Libanon gewesen war, im 20. Jahrhundert, auch das ein spätes und bitteres Erbe Bechirs des Großen. Die heutzutage so traurigen Zustände im Nahen Osten ihm anzulasten, ginge aber entschieden zu weit. Diese Verhältnisse warten noch auf einen »Großen« der Geschichte, der die Probleme löst und der ausgebluteten Region endlich den ersehnten Frieden bringt …

 

Epilog


Am 5. Mai 1987 erhielt ein lebender Monarch den Ehrentitel »der Große«, allerdings nicht vom Volk oder der Völkergemeinschaft, sondern zugesprochen vom Premierminister seines Landes. Kann man diesen dann als »echten« Titel ansehen? Geehrt wurde damit der frühere König von Thailand Rama IX. Wie auch vor ihm schon der thailändische König Taksin den Beinamen durch Kabinettsbeschluss erhielt, war es nun eben der Regierungschef, der den Titel sinnbildlich »überreichte«. König Bhumibol Adulyadej wurde am 5. Dezember 1927 in Cambridge, Massachusetts, geboren, wo sein Vater, Prinz Mahidol, an der Harvard Universität Medizin studierte und einen akademischen Abschluss erreichte. Mahidol starb schon kurz nach der Rückkehr nach Thailand 1928, und sein Bruder Prajadhipok übernahm den Thron. Dieser war der letzte absolut regierende König von Thailand. Bhumibol und sein älterer Bruder Ananda wurden zur Ausbildung in die Schweiz gesandt. Als Prajadhipok 1935 abdankte, sollte Ananda sein Nachfolger werden, aber beide Brüder blieben in Lausanne und kehrten erst 1945 in ihre Heimat zurück. Am 9. Juni 1946 fand man Ananda unter mysteriösen Umständen erschossen auf, und so wurde Bhumibol zum Nachfolger erklärt. Er blieb allerdings nur zwei Monate in Thailand, dann begab er sich abermals nach Lausanne, um Jura zu studieren. In dieser Zeit führte ein Regentschaftsrat die Regierungsgeschäfte. 1950 kehrte Bhumibol endgültig heim; am 28. April heiratete er Prinzessin Sirikit Kitiyakara, und am 5. Mai wurde er offiziell gekrönt. Bhumibol entwickelte sich zum allgemein geachteten konstitutionellen Monarchen in Thailand, beliebt und in hohem Ansehen beim Volk, dessen Wohl er sich stets angelegen sein ließ – so nahm er eine bedeutende Rolle beim Zusammenbruch des Militärregimes Kittikachorn 1973 ein –, und anerkannt von der Staatengemeinschaft – zahlreiche Staatsoberhäupter kamen nach Bangkok zu ihm zu Besuch, und umgekehrt reiste auch er viel ins Ausland. Während seine Gemahlin in der galanten Welt berühmt wurde, ist Bhumibol selbst als Komponist und Jazzmusiker in die Weltöffentlichkeit getreten. Bhumibol starb am 13. Oktober 2016 nach langer Krankheit, hoch geehrt und betrauert von seinem Volk.
     Hier soll nicht die Frage erörtert werden, ob Bhumibol den Titel »der Große« zurecht erhielt. Seit dem 18./19. Jahrhundert ist der Titel in der Weltgeschichte nicht mehr häufig vergeben worden. Es ist nicht mehr üblich, nicht mehr zeitgemäß.
     Etwas anachronistisch mutete daher der Versuch von Kaiser Wilhelm II. (geb. 1859; reg. 1888–1918; gest. 1941) an, seinem von ihm sehr bewunderten Großvater, Kaiser Wilhelm I. (geb. 1797; König von Preußen 1861; Kaiser 1871–1888), diesen Titel zu verschaffen. Zur Feier anlässlich Wilhelms I. hundertjährigem Geburtstag am 22. März 1897 überall im Deutschen Reich gab er ihm wegen seiner Verdienste um die Reichseinigung den Titel »der Große«. Der Beiname hat sich allerdings nicht durchgesetzt. Von Bismarck, dessen Gönner Wilhelm I. gewesen war, ist der Ausspruch überliefert, der Kaiser sei »kein Großer, aber ein Ritter und ein Held« gewesen. Immerhin wurde der 1897 für die Linienschifffahrt auf der Transatlantikpassage Bremerhaven – New York fertiggestellte Doppelschraubendampfer des Norddeutschen Lloyd, der als erstes deutsches Schiff das Blaue Band für die schnellste Nordatlantiküberquerung erhielt (1897) und noch weitere Rekorde einfuhr, auf den Namen ›Kaiser Wilhelm der Große‹ getauft. Und in der Nähe der Stadt Porta Westfalica in Nordrhein-Westfalen im Kreis Minden-Lübbecke, oberhalb des Weserdurchbruchs, am ›Tor nach Westfalen‹, hat man dem Kaiser ein 88 m hohes Denkmal errichtet, das 1896 mit viel Pomp unter Anwesenheit von Wilhelm II. eingeweiht wurde. Es ist schon von weitem zu sehen und stellt einen Markstein in der Landschaft dar. Hier ist eingemeißelt, dass es ›Wilhelm dem Großen‹ gewidmet sei. Dieser Beiname ist nicht geblieben, aber dass Wilhelm I. allseits Achtung genoss und zur Reichseinheit beitrug , wird man ihm nicht absprechen können.

Andererseits – könnte man sich nicht trotzdem sogar für das 20. und 21. Jahrhundert Persönlichkeiten vorstellen, die den Titel erhalten hätten, wenn sie früher gelebt hätten? Man denke an Staatsoberhäupter, Friedensnobelpreisträger, an Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela, oder ...

Unsere kleine Weltgeschichte der »Großen« hat gezeigt, dass durchaus viele, die diesen Titel erhielten, ihn mit Recht trugen und in ihrer Zeit und für die Nachwelt ein Vorbild darzustellen vermochten. Auch unsere Zeit hat ihre »Großen«; vielleicht sollte man sich an dem einen oder anderen ein Beispiel nehmen und selbst aktiv werden, in Politik oder Wissenschaft, oder sei es nur im »Kleinen«, in einem Ehrenamt oder in der Unterstützung der eigenen Familie …

    


   

Quellen und Literatur

Kleine Weltgeschichte der »Großen«