Dr. William E. Thomas MD

Karl May und Juggle-Fred

 
 
Karl Mays Romanfigur ›Juggle-Fred‹
[1] taucht nur in der Jugenderzählung ›Der Geist des Llano Estakado‹ (1888) auf:

»Seht ihn Euch nur genau an, besonders seine Augen, welche verschiedene Farben haben. Er ist two-eyed.«[2]

Diese Beschreibung ging Juggle-Freds Auftritt in der Szene voraus. So beschrieb Karl May den Mann:

»[Er] war eine … auffallende Erscheinung. Das erste, was man an ihm bemerkte, war ein bedeutender Höcker, welcher seine sonst wohlgegliederte Gestalt verunzierte. Sein Körper war von mittlerer Größe und sehr kräftig gebaut, nicht kurzleibig, engbrüstig und langarmig, wie es bei den meisten Buckeligen der Fall zu sein pflegt. Sein rundes, volles, glatt rasiertes Gesicht war tief gebräunt, aber auf der linken Seite arg zerrissen, als ob da einmal eine fürchterliche Wunde kunstwidrig zusammengeflickt worden sei. Und sonderbarerweise waren seine Augen ganz auffallend verschieden gefärbt, denn das linke war vom schönsten Himmelblau, während das rechte die tiefste Schwärze zeigte. … Hätte der Mann den Höcker nicht gehabt, so wäre seine Erscheinung eine kräftig angenehme, ja vielleicht eine imponierende gewesen.«[3]

Ein ziemlich drastischer Versuch, sich psychoanalytisch mit Juggle-Fred auseinanderzusetzen, erschien 1983.[4] Neben anderen Schlussfolgerungen sollte nach Meinung des Autors der Arbeit das dunkle Auge den Präriemann symbolisieren. Das blaue Auge sollte eine positive Darstellung von Karl Mays Charakter sein. Juggle-Fred sollte die Art und Weise darstellen, wie Karl May mit seinen früheren ›Verbrechen umging: »Im Juggle-Fred sind demnach ungute Charakterzüge verkörpert«.

Informativer ist eine andere Arbeit, ›Der Mann mit dem blauen Auge.[5] Als Karl May 1875–76 der Redakteur von ›Schacht und Hütte[6] war, erwähnte er in Nr. 21 eine Gruppe von 760.000 deutschen Schulkindern, deren Haut-, Augen- und Haarfarbe statistisch erfasst worden war. Unter ihnen fanden sich 224.000 mit blauen Augen, 287.000, die graue Augen hatten, 255.000 mit braunen, 450 mit schwarzen, 3 mit roten, und eines hatte ein blaues Auge und das andere Auge war braun.

Leute mit zwei verschiedenfarbigen Augen sind in der Vergangenheit beobachtet worden. Jedoch war es ein holländischer Ophthalmologe, Dr. Petrus Johannes Waardenburg (1886–1979), der bemerkte, dass Menschen mit verschiedenenfarbigen Augen häufig Hörschwierigkeiten hatten. Er fuhr fort, andere Merkmale des Syndroms zu studieren, und beschrieb 1951, was jetzt nach ihm benannt wird – das Waardenburg Syndrom.

Das Waardenburg Syndrom (WS) ist ein genetischer Fehler, der bei einem dominanten Erbgang erworben wird. Das WS-Gen beeinflusst den Körper auf drei wesentliche Arten: (1) Pigmentierung (Färbung) der Haut, des Haares und der Augen, (2) das Gehör und (3) die Gesichtsstruktur.

Die auffälligste Wirkung sind die zwei verschiedenfarbigen Augen (Heterochromia Irides). Normalerweise ist ein Auge braun, und das andere ist blass- oder hellblau. Jedoch nicht jeder, der das Gen in sich trägt, hat zwei verschiedenfarbige Augen. Oft sieht man eine weiße Stirnlocke (Poliosis), eine Stelle weißen Haars, die an der Vorderseite des Kopfes beginnt und sich nach hinten ausdehnt. Die Genträger werden in ihren Zwanzigern oder frühen Dreißigern vorzeitig grau. Manchmal haben sogar Kinder im frühen Alter von sieben Jahren graue Haare, Wimpern und Augenbrauen.

Taubheit tritt bei etwa 50 % auf, zum Beispiel haben mindestens die Hälfte derjenigen mit dem Gen keine Hörschwierigkeiten. Leute mit WS haben ein gewisses Aussehen, das dem geübten Auge auffällt, aber nicht so ungewöhnlich, dass es von einem Durchschnittsmenschen beachtet wird. Das Hauptmerkmal ist, dass die Augen weiter auseinander zu stehen scheinen als üblich. Sie erscheinen nur so, weil der Teil des Gesichtes zwischen den Augen breiter ist. Es gibt einen breiten Nasenrücken mit wenig hervorspringender Spitze. Auch eine Verschiebung der Lidfalte der Augen kann vorhanden sein, eine seitliche Verschiebung des Innenaugenwinkels beider Augen (Dystopia Canthorum).

Das Waardenburg Syndrom wird in Typ 1 und 2 unterschieden je nachdem, ob die Verschiebung der Augenlidfalten vorhanden ist. Jedoch existiert ein Typ 3, genannt Klein-Waardenburg-Syndrom (Typ 3). Für diesen Typ sind Abnormitäten der oberen Gliedmaßen charakteristisch, eine Vordergliedmaßen-Pektoralgürtel-Arthromyodysplasie.
  

Waardenburg Syndrom: Klinische Klassifizierung
   

Typ 1 Dystopia Canthorum
Typ 2 Keine Dystopia Canthorum

Klein-Waardenburg Syndrom (Typ 3) 

Typ 1 und Abnormitäten der oberen Gliedmaße
Waardenburg Schahsyndrom (Typ 4)  Typ 2 und Hirschsprung-Krankheit

 
Es scheint, dass Karl May bei Juggle-Fred das K-WS, Typ 3 beschrieb. Es war die Abnormität des Vordergliedmaßengürtels, welcher Juggle-Freds Körper entstellte, nicht ein Buckel:

»Sein Körper war ... nicht kurzleibig, engbrüstig und langarmig, wie es bei den meisten Buckeligen der Fall zu sein pflegt.«[7]

Ein Buckel ist in den meisten Fällen das Ergebnis einer Kyphoskoliose ( = mehrfache Wirbelsäulenverkrümmung), das ist eine seitliche Krümmung der Wirbelsäule mit verdrehten Wirbeln, die mit einem Buckel im Rückgrat, der sich von der Körpervorderseite zur Körperrückseite erstreckt, verbunden ist. Dies verkürzt den Rumpf, was zu kleiner Statur und dem typischen Aussehen einer buckligen Person führt. Jedoch die Beschreibung Juggle-Fred durch Karl May: 

»Hätte der Mann den Höcker nicht gehabt [?] , so wäre seine Erscheinung eine kräftig angenehme, ja vielleicht eine imponierende gewesen.«[8]

Juggle-Fred hatte keinen kurzen Rumpf, war nicht von kleiner Statur. Er könnte sogar beeindruckend ausgesehen haben, welches eine bucklige Person bei ihrem Äußeren nicht tut.

Karl May muss irgendwo eine Person gesehen haben, die wie Juggle-Fred aussah. Es ist unwahrscheinlich, dass er nur den Hinweis aus ›Schacht und Hütte‹ über das Schulkind mit verschiedenfarbigen Augen für den Charakter des Juggle-Fred verwendete.

 

Girl with Heterochromia
 
Bild eines dreijährigen Mädchens mit Heterochromia. Hörgeräte sind für ihre Taubheit bezeichnend.
Die Diagnose ist Waardenburg Syndrom (autosomal-dominanter Erbgang). Der breite Nasenrücken ist auffallend.

  


  

Anmerkungen

 

[1] Juggling Fred‹ oder Fred the Juggler‹ klingt im Englischen besser.

[2] Karl May: Der Geist der Llano estakata‹ (richtig: Der Geist des Llano estakado‹; der falsche Titel ist ein Irrtum des Setzers), in: Der Gute Kamerad, Spemanns Illustrierte Knabenzeitung‹, 2. Jg., Stuttgart 1888, Nr. 22, S. 338.

[3] Wie Anm. 2, S. 156.

[4] Bernhard Kosciuszko: Helden des Westens. Vorschläge zu einer Interpretation‹, Sonderheft der KMG Nr. 42/1983, S.33f.

[5] Stefan Schmidt: Der Mann mit dem blauen Auge‹, M-KMG 98, 1993, S. 52.

[6] Schacht und Hütte‹, Dresden 1875/76, Reprint Hildesheim 1979, S.168.

[7] Wie Anm. 2, S. 338.

[8] Wie Anm. 2, S. 338.

  


  

Karl May aus medizinischer Sicht

Karl May – Forschung und Werk