Am gestrigen Samstag (22. Februar 2025) sind offiziell die Karl-May-Haus Informationen Nr. 40 und 41 in Hohenstein-Ernstthal erschienen. Ein Satz im Editorial der Nr. 40, S. 3, ließ mich aufhorchen:
»Zuerst hat Hainer Plaul noch einmal das altbekannte Chemnitzer Uhrendelikt untersucht – und kommt zu neuen Schlüssen (S. 12 ff.).«
Ich machte mich sogleich an die Lektüre, erfreut, dass der bekannte May-Forscher Dr. Hainer Plaul noch einen weiteren Beitrag verfasst hat. Immerhin wird er im übernächsten Jahr 2027 hoffentlich seinen 90. Geburtstag feiern können.
Meine Freude wich der Enttäuschung. Plauls »neue Schlüsse« in seinem neuen Artikel »Wegen Diebstahls hier in Haft« Über Karl Mays erste Verurteilung und seinen Aufenthalt im Gerichtsgefängnis Chemnitz 1862 resultieren auf einen veralteten Forschungsstand. Bevor ich hier jetzt konstruktive Kritik übe, weise ich auf Plauls großartige Arbeiten hin, die hiervon keinesfalls berührt werden, z. B.: ›Redakteur auf Zeit. Über Karl Mays Aufenthalt und Tätigkeit von Mai 1874 bis Dezember 1877.‹ (1977), ›Der Sohn des Webers. Über Karl Mays erste Kindheitsjahre 1842–1848.‹ (1979), ›Mein Leben und Streben‹ (umfangreicher Kommentarteil, 1975), ›Illustrierte Karl-May-Bibliographie‹ (1989).
Was soll laut Editorial der Nr. 40 für die Forschung neu sein? Plaul teilt u.a. mit:
»Der letzte Schultag [für Karl May als Lehrer] vor den Weihnachtsferien war der 23. Dezember 1861, […].« (S. 15) – Damit korrigiert sich Plaul selbst, der ursprünglich in anderen Veröffentlichungen vom 24. Dezember ausging. In der Fußnote 15 (S. 22) gibt er eine entsprechende Erläuterung.
Hainer Plaul erwähnt nicht, dass das korrekte Datum längst von mir in Zusammenarbeit mit Hartmut Bauer im Magazin ›Der Beobachter an der Elbe‹, Nr. 17/2011, anhand einer primären Quelle genannt worden ist. Der Forschungsbeitrag ›Die Taschenuhr-Affäre – Diebstahl oder Intrige? Eine Rekonstruktion der Ereignisse zur Weihnachtszeit 1861‹ kann ihm nicht entgangen sein, denn in der folgenden Ausgabe des ›Beobachters Nr. 18‹ nimmt er Bezug auf einen anderen Beitrag der Nr. 17, womit Hainer Plaul das Heft kannte. Ich schreibe hier bewusst ›kannte‹, weil ich vermute, dass er nach fast 14 Jahren den Taschenuhr-Beitrag beim Verfassen seiner aktuellen Veröffentlichung nicht mehr im Blickfeld hatte. Desgleichen gilt für den Artikel ›Kein übles Lehrgeschick. Der Fabrikschullehrer May – Lektionsbuch und Schulrevisionsbericht‹ von Hans-Dieter Steinmetz und Andreas Barth, erschienen in der Karl-May-Haus Information Nr. 10/1997, worauf ich noch zurückkomme.
In ›Die Taschenuhr-Affäre – Diebstahl oder Intrige?‹ werden einige Irrtümer Hainer Plaus in dessen Beitrag ›Die Sache mit der Uhr‹ (Karl-May-Haus-Information, Nummer 19/2005) korrigiert. Insbesondere handelt es sich um die Wegstrecke, die Karl May als Lehrer zwischen den beiden Fabrikschulen zurücklegen musste. Hainer Plaul hat Mays Fußweg betreffend eine völlig falsche Zeitvorstellung, 2005 und jetzt aktuell wieder geäußert, obwohl zweifelsfrei widerlegt. Ein Blick in ›Kein übles Lehrgeschick. …‹ wäre für ihn darüber hinaus erkenntnisreich gewesen:
»Dem Schullehrer selbst oblag ›die Verpflichtung, die Reinigung der Schulstube zu besorgen.‹«
Karl May war zeitlich deutlich mehr in Anspruch genommen, als Hainer Plaul vermutet. Damit gewinnen Mays Schilderungen zum sogenannten Uhrendelikt in ›Mein Leben und Streben‹ an Glaubwürdigkeit. Indem Plaul aber wichtige Forschungsbeiträge nicht berücksichtigt, schlussfolgert er falsch. Er behauptet, May habe sich die Taschenuhr gar nicht geliehen, sondern gestohlen, um sie zeitnah zu veräußern. Um seine These zu stützen, äußert er über Karl May: »Nach seiner Festnahme in Hohenstein und vor dem Abtransport nach Chemnitz muss [sic!] es zwischen dem informierten Vater [Heinrich August May] und seinem Sohn zu einer Unterredung gekommen sein (25. Dezember 1861), in der er dem Vater, der natürlich nach einer Erklärung verlangte, jene Version darlegte, die er später auch in der Selbstbiografie gebrauchte.« (S. 12) – Heinrich August May hätte dann, so Plaul, aufgrund der Unterredung mit seinem Sohn eine entsprechende Verteidigung schriftlich formuliert.
An dieser Stelle sei die Frage erlaubt: Wie realitätsfremd argumentiert Hainer Plaul?
Eine Unterredung ›muss‹ zwischen Vater und Sohn stattgefunden haben? Garantiert nicht in diesem Zeitraum, denn damals wie heute werden Unterredungen wegen möglicher Verdunkelungsgefahr verhindert! Wohl auch aus diesem Grund kam May in Untersuchungshaft.
Insgesamt ist Plauls Argumentation an einigen Stellen brüchig. Mehrmals bezieht er sich auf seinen älteren Beitrag ›Die Sache mit der Uhr‹, widerspricht sich herbei jedoch selbst. Ursprünglich geht er irrtümlich davon aus, dass Mays letzter Schultag der 24. Dezember war, May direkt einen Tag später verhaftet worden sei, um rechtzeitig die Uhr sicherzustellen. Jetzt schreibt Plaul zwar korrekt, May hätte Chemnitz am 23. Dezember verlassen. Warum aber soll er dann erst am 25. Dezember, nicht bereits am 24. Dezember, wie May übrigens auch mitteilt, verhaftet worden sein? Argumente und Inhalte, 2005 und jetzt von Plaul geäußert, passen nicht zusammen.
Im Übrigen vermisse ich bei Hainer Plaul, der wie ich kein Jurist ist, Stellungnahmen namhafter Juristen, die nach aktuellem Forschungsstand Mays Verhalten kommentieren und beurteilen. Mays Zeitgenosse Erich Wulffen, der mit einer vorgefassten Meinung urteilte, kann nicht der alleinige Maßstab sein.
In unserem Forschungsbeitrag ›Die Taschenuhr-Affäre – Diebstahl oder Intrige?‹ haben Hartmut Bauer und ich namhafte Juristen, wie Claus Roxin und Jürgen Seul, zu Wort kommen lassen:
https://www.reisen-zu-karl-may.de/forsc ... index.html
Dieser Forschungsbeitrag ist aufgrund aufwendiger Recherchen weiterhin aktuell. Hainer Plauls gegenwärtiger Artikel »Wegen Diebstahls hier in Haft« ist bereits mit der Veröffentlichung überholt, weil er weitgehend auf dem Forschungsstand von 2005 fußt, die Erkenntnisse aus ›Die Taschenuhr-Affäre – Diebstahl oder Intrige?‹ überhaupt nicht berücksichtigt, den Beitrag, als wäre er gar nicht vorhanden, nicht einmal erwähnt.
Stellungnahme zu Hainer Plaul / Karl-May-Haus Information Nr. 40
- Ralf Harder
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