Lieferung 97

Karl May

22. Oktober 1887

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


// 2305 //

Der Erstere war wohlbeleibt. Sein aufgeschwommenes Gesicht wurde von einem dichten Vollbarte eingerahmt, dessen tiefes Schwarz wohl mehr der Kunst als der Natur zu danken war. Der Backenbart wuchs ihm bis auf die Mitte der Wangen und fast bis zum Gesichtsknochen herüber, und unter den Augen bildete die Haut zwei wulstige, blau schimmernde Säcke, was dem Gesichte ein keineswegs ideales Aussehen verlieh. Allem Anscheine nach hatte der Herr sehr viel und sehr rasch gelebt! Er sah aus wie Einer, dessen Leidenschaften die Nerven zerrüttet haben.

Seine Kleidung war elegant, von feinstem Stoffe und neuestem Schnitte, schien ihn aber hier und da zu geniren, als ob er eigentlich eine andere Tracht gewöhnt sei. Die Finger steckten voller kostbarer Ringe und an seiner dick goldenen Uhrkette hingen Berloquen, deren Werth gar manchem armen Teufel hätte Erlösung bringen können.

Auf der Nase trug er einen goldenen Klemmer mit tiefblauen Gläsern. Vor diesen Gläsern und dem Barte war von dem ganzen Gesicht nur die Nase und die Stirn zu sehen. Hatte dieser Mann vorher nicht Vollbart und nicht Brille getragen, so war er jetzt sicherlich nicht wieder zu erkennen.

Der Andere war lang und hager. Sein Anzug war elegant; doch sah man den Handschuhen, welche er vor sich auf den Tisch gelegt hatte, an, daß sie bereits sehr lange Zeit im Gebrauche seien, und Kragen und Manchetten hatten jenen eigenartigen, bläulichen Glanz, welcher vermuthen ließ, daß sie nicht aus Leinen, sondern aus Gummi seien.

Auch er trug einen Klemmer, aber nur in Stahl gefaßt. Seine Stirn war hoch, schmal und kahl, sein Gesicht sehr scharf geschnitten und sein Mund breit und ohne Lippen. Dieses spitze, glatt rasirte Gesicht machte ganz den Eindruck des steten Horchens und Lauerns. Es schien, als sei dieser Mann allezeit bereit, jemanden auf frischer That zu ertappen. Und dies wurde keineswegs gemildert durch den unbestimmten, ruhelosen Blick seiner grauen Augen, welchen es unmöglich war, auf irgend einem Gegenstande haften zu bleiben.

Der erstere Herr hatte jedenfalls auf den letzteren gewartet, denn er hatte sich zu seiner Flasche Wein gleich zwei Gläser geben lassen, deren zweites er jetzt für den Neuangekommenen füllte.

»Sie kommen später, als verabredet worden war,« sagte er dabei in einem fremdländischen Deutsch.

»Bitte um Verzeihung!« entschuldigte sich der Hagere. »Ich erhielt noch im letzten Augenblicke einen Besuch, welcher nicht abzuweisen war.«

»Geschäfte?«

»Ja.«

»Hm! Eigentlich klingt dieses Wort hier, wo jedermann die Absicht hat, sich von den Geschäften auszuruhen, sonderbar.«

»O, es giebt auch Leute, welche Bäder und Sommerfrischen besuchen, um Geschäfte zu machen.«


// 2306 //

»Ja, Spieler und dergleichen Personen, deren Talent es ist, dem Glücke ein Wenig zu Hilfe zu kommen!«

»Auch Andere, welche man trotzdem nicht zur Classe der Glücksritter zu zählen braucht. Zum Beispiel arme Offiziere, welche sich im Bade eine reiche Frau suchen. Das ist doch erlaubt?«

»Jedenfalls. Ich kenne diese Verhältnisse nicht und möchte wohl hören, wie sie es anfangen, diese Absicht zu erreichen.«

»Nichts ist leichter als das. Man wendet sich sehr einfach an einen Vermittler.«

»Und dieser hat das Gewünschte bereit?«

»Ja, denn es giebt Damen, welche ganz in derselben Absicht kommen und sich ebenso an den Vermittler wenden.«

»Sonderbar!«

»Dabei giebt es nichts Sonderbares. Geschäft ist Geschäft, ganz gleich, ob ich mir ein Pferd oder eine Frau kaufe.«

»So halten Sie ein solches Geschäft nicht für anstößig?«

»Ganz im Gegentheile. Es gehört gerade in mein besonderes Fach, mich solcher Leute anzunehmen.«

»So sind Sie Vermittler?«

»Allerdings.«

»Da entdecke ich eine ganz neue Eigenschaft an Ihnen.«

»Kennen Sie denn meine Eigenschaften?«

»Zur Genüge.«

»Wir haben uns aber ja erst einmal gesprochen!«

Der Dicke machte ein Gesicht, welches schlau sein sollte, und antwortete:

»Es versteht sich ganz von selbst, daß ich mich nach Ihnen erkundigt habe.«

»Sehr angenehm!«

»Und zwar sehr eingehend.«

Er legte auf das letztere Wort eine ganz besondere Betonung. Ueber das Gesicht des Anderen zog eine leise Röthe. Er drückte das eine Auge zu und sagte:

»Darf ich fragen, was Sie da erfahren haben?«

»O, Allerlei.«

»Bitte, was?«

»Wollen wir nicht lieber darüber schweigen?«

»Nein. Sie haben mir ein lucratives Geschäft in Aussicht gestellt. Ich gehe aber grundsätzlicher Weise niemals auf ein solches ein, ohne zu wissen, was beide Contrahenten von einander halten.«

»So darf ich Ihnen also nicht zumuthen, für dieses Mal von der Befolgung dieses Grundsatzes abzusehen?«

»Nein.«

»Auch wenn Sie Unangenehmes zu hören bekommen?«

»Auch dann nicht. Ich bitte um Offenheit! Bei wem haben Sie sich erkundigt?«


// 2307 //

»Bei der hiesigen Polizei.«

»Donnerwetter!«

»Bitte! Da ich Fremder bin, gab es für mich keine andere Vertrauensperson, daher mußte ich mich an sie wenden.«

»So befürchte ich, daß man Sie vor mir gewarnt hat.«

»Das ist allerdings geschehen.«

»Dachte es mir! Sie werden nun also kein besonderes Vertrauen zu mir haben.«

»O doch! Gerade was ich erfahren habe, bestätigt meine Ansicht, daß Sie mir dienen können.«

»Dann bitte, was hat man gesagt?«

»Daß Sie einst ein sehr tüchtiger und brauchbarer Criminalbeamter gewesen seien.«

»Ich schmeichle mir, daß man damit die Wahrheit gesagt hat. Ich war allerdings Criminalist.«

»Dann aber hatten Sie einen kleinen Griff gethan -«

»In eine fremde Casse, ja. Der Grund war, daß gerade die besten Beamten am Schlechtesten bezahlt werden.«

»Sie wurden abgesetzt?«

»Ab- und eingesetzt, nämlich in's Zuchthaus.«

»Stimmt! Nach Ihrer Entlassung widmeten Sie sich verschiedenen Agenturen und wurden, was der Grund war, mich an Sie zu wenden, nebenbei Geheimpolizist für private Zwecke.«

»Bedürfen Sie in dieser Beziehung meiner Hilfe?«

»Ja.«

»Ich bin bereit, vorausgesetzt, daß Sie sich zu einem guten Honorare verstehen.«

»Da brauchen Sie gar keine Sorge zu haben. Ich zahle fein. Sie werden mit mir zufrieden sein.«

»Das höre ich natürlich gern. Je mehr Sie bieten, desto mehr Mühe werde ich mir geben, mir Ihre Zufriedenheit zu erwerben.«

»Davon bin ich überzeugt und werde ja wohl Ihre Forderung vernehmen.«

»Um diese aussprechen zu können, müßte ich allerdings wissen, um was es sich handelt.«

»Sie sollen mir einige Personen ausfindig machen, welche ich vergeblich suche.«

»Wo?«

»In Deutschland.«

»Alle Teufel! Das ist nicht sehr bestimmt!«

»Leider. Ich kann Ihnen aber keine nähere Bestimmung geben. Ich selbst habe ganz Deutschland vergeblich nach ihnen durchsucht.

»Natürlich sind es Verbrecher?«


// 2308 //

»Hm! Doch nicht so ganz,« antwortete der Bärtige, indem er den Kopf hin- und herwiegte.

»Aber man sucht doch nur Verbrecher!«

»Nein, man sucht auch andere Leute.«

»Wollen Sie mir sagen, wer diese Personen sind?«

»Sie stellen da eine Frage an mich, welche nicht leicht zu beantworten ist.«

Er blickte nachdenklich in sein Weinglas. Der Agent warf ihm einen schnellen, forschenden Blick zu und bemerkte:

»Vor allen Dingen ist Eins zu erledigen. Wenn ich Ihnen dienen soll, muß ich vorher überzeugt sein, daß ich Ihnen dienen kann. Das ist aber nur dann der Fall, wenn ich ganz genau weiß, wen ich vor mir habe.«

Der Andere blickte schnell und fragend auf.

»Wissen Sie das nicht?«

»Nein.«

»Sie haben doch meine Karte!«

»Die habe ich. Auf ihr ist zu lesen, daß Sie Abraham heißen und in Kairo Banquier sind.«

»Nun, so wissen Sie genug!«

»Ich weiß nur, daß dies ein Pseudonym ist.«

»Wie kommen Sie auf diese Vermuthung?«

»Ich will es Ihnen offen sagen, da wir aufrichtig gegen einander sein wollen. Sie stellen mir ein gutes Geschäft in Aussicht, bei welchem ich mir eine nicht unbedeutende Summe verdienen könne. In der Hoffnung auf eine solche Bezahlung hielt ich die Ausgabe für ein Telegramm für nicht ungerechtfertigt.«

»Ah! Sie haben telegraphirt? Verdammt! Da hat man ja auf der hiesigen Telegraphenstation bemerkt, daß ich -«

Er zog die Stirn in Falten. Der Agent fiel ein:

»Keine Sorge! Unsereiner ist vorsichtig. Ich habe das Telegramm nicht hier aufgegeben.«

»Ach so! Das beruhigt mich. Wo frugen Sie an?«

»Beim Consulate natürlich. Sie hatten mir gesagt, daß Sie neben der Esbekieh wohnten; ich frug an, ob ein Banquier Abraham neben der Esbekieh in Kairo zu finden sei. Man antwortete mir mit einem Nein und fügte hinzu, daß ein Banquier Abraham überhaupt nicht in Kairo existire.«

»Das hätten Sie unterlassen sollen!«

Der Agent zuckte die Achsel.

»Geschäftsprincip, von dem ich nicht abgehe.«

»Der Satan hole Ihr Geschäftsprincip!«

»Das wollen wir nicht wünschen, denn gerade die Befolgung dieses Grundsatzes hat mich vor manchem Verluste bewahrt und mir manche schwierige Arbeit gelingen lassen. So ist es auch hier. Wenn ich mit Erfolg operiren soll, muß ich wissen, wer Sie sind.«

Der Dicke blickte schweigend vor sich nieder.


// 2309 //

»Sie können sich natürlich auf die allerstrengste Verschwiegenheit meinerseits verlassen,« fügte der Agent hinzu.

»Hm! Wenn ich das wüßte!«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«

Der Bärtige warf ihm einen Blick zu, in welchem die stille Frage lag, ob er überhaupt noch eine Ehre habe; doch antwortete er:

»Gut! Ich werde es versuchen. - Verflucht, da werden wir gestört!«

Es trat ein dritter Gast ein, welcher sich schnell umblickte. Diese Umschau schien den vorhandenen Zeitungen zu gelten, denn er näherte sich dem Tische, auf welchem dieselben lagen und setzte sich da nieder, eine Flasche Selters bestellend. Dieser Zeitungstisch stand gerade neben demjenigen, an welchem die Beiden saßen.

»Was nun?« fragte der Dicke leise.

»Gehen wir!«

»Nein. Ich mag nicht haben, daß man uns auf der Promenade beisammen sieht.«

»So komme ich in Ihre Wohnung.«

»Auch dort sollen Sie nicht gesehen werden.«

»So suchen Sie mich auf.«

»Das will ich ebenso wenig. Man soll nicht bemerken, daß wir mit einander zu thun haben.«

»Dann müssen wir eben hier bleiben und nur leise sprechen.«

»Das fällt auf und ist verdächtig.«

»So sagen Sie mir, was wir sonst thun wollen!«

»Kennen Sie den Kerl?«

»Nein. Habe ihn noch nicht gesehen.«

»Bedienen wir uns einer fremden Sprache!«

»Das ist unsicher. Englisch und französisch versteht hier Jedermann.«

»Sprechen Sie türkisch?«

»Leider nicht. Bin in meinem ganzen Leben nicht in der Türkei gewesen. Ja, wenn Sie Russisch verständen!«

»Schön, schön! Ich spreche sehr gut Russisch.«

»Nun gut, so paßt es ja!«

»Aber falls dieser Kerl ein Russe ist?«

»Keine Sorge! Ich studire täglich die Curliste auf das Genaueste. Es ist kein Russe hier, nicht einmal ein Pole, was zu verwundern ist. Ich lernte das Russische, weil ich dort an der Grenze angestellt war. Zum Ueberflusse werde ich diesen Mann einmal fragen.«

Er drehte sich um und warf eine Bemerkung in russischer Sprache hinüber zu dem Neuangekommenen. Dieser aber blickte in seine Zeitung und zuckte nicht.

»Sehen Sie! Der Mann versteht kein Wort. Wir können also unsere Unterhaltung ohne alle Befürchtung fortsetzen.«

»Schön! Ich bin beruhigt. Also wo waren wir im Gespräche stehen geblieben?«


// 2310 //

»Bei Ihrem falschen Namen.«

»Richtig! Sie wollten genau wissen, wer ich bin, und gaben mir Ihr Ehrenwort, es zu verschweigen.«

»Ich wiederhole dieses Versprechen.«

»So will ich Ihnen sagen, daß ich gar nicht aus Kairo, nicht aus Egypten bin.«

»Dachte es mir!«

»Ich wohne in Stambul.«

»Ah! In Constantinopel!«

»Man nennt mich Ibrahim Pascha.«

»Sehr viel Ehre!« verneigte sich der Agent, als er diesen Titel hörte.

»Sie sehen, daß ich ein hoher Beamter der Regierung bin und Ihnen wohl dankbar sein kann, wenn Sie mir treu dienen.«

»Sie können sich auf mich verlassen! Natürlich habe ich Sie hier nur Herr Abraham zu nennen?«

»Versteht sich von selbst.«

»So bitte ich um weitere Instructionen, Herr Abraham.«

»Eigentlich müßte ich Ihnen eine lange, lange Geschichte erzählen, aber das nimmt mir zu viel Zeit weg. Treiben Sie gern Politik?«

»Mit besonderer Passion.«

»So interessiren Sie sich jedenfalls auch für die Personen der hervorragendsten Diplomaten Deutschlands?«

»Ich kenne sie alle, wenn auch nicht persönlich.«

»Haben Sie vielleicht einmal gehört, daß einer dieser Herren unter dem Namen Steinbach gereist sei?«

»Nein, niemals.«

Als der Name Steinbach genannt wurde, machte der neue Gast eine Bewegung, welche von den Beiden nicht bemerkt oder nicht beachtet wurde. Er wendete sich, scheinbar in seine Zeitung vertieft, noch weiter ab, so daß sein Gesicht nicht gesehen werden konnte, und richtete nun seine gespannteste Aufmerksamkeit auf das Gespräch.

»Fatal!« brummte der Pascha. »Ein deutscher Diplomat ist er sicher gewesen.«

»Darf ich vielleicht das Nähere erfahren? Vielleicht ist es mir dann möglich, Klarheit zu erlangen.«

»Zu solcher Ausführlichkeit habe ich jetzt keine Zeit. Frage ich lieber weiter: Ist Ihnen vielleicht der Name Adlerhorst bekannt?«

»Von Adel?«

»Ja. Kennen Sie die Familie?«

»Ich hörte von ihr. Sie war da hinten an der Grenze begütert, ist aber verschollen.«

»Seit wann?«

»Seit beinahe zwei Jahrzehnten.«


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»Das stimmt. Haben Sie nicht gehört, ob ein Glied dieser Familie wieder aufgetaucht ist?«

»Nein.«

»Hm! Und ein Adlerhorst war er doch!«

»Wer?«

»Davon später! Diese Familie muß, wie es scheint, in England Verwandte besitzen?«

»Allerdings. Es ist das eine nach Großbritannien ausgewanderte Seitenlinie, welche aber den Namen noch fortführt, freilich in englischer Sprache.«

»Wohl Eagle-nest?«

»Ja. Ich kenne den Lord genau.«

»Ah, wirklich?«

»Er kommt seit drei Jahren an jedem Herbst hierher, um einige Wochen da zu bleiben.«

»Das ist mir von großem Interesse. Wird er auch in diesem Jahre kommen?«

»Ich habe gehört, daß er schon angesagt sei.«

»So bleibe ich so lange hier. Sind Sie auch mit den Künstlerkreisen, besonders der Maler, vertraut?«

»So leidlich.«

»Giebt es einen deutschen Maler, welcher Normann heißt, ich glaube, Paul Normann?«

»Kenne ich nicht.«

Der Agent hatte bei allen Antworten, die er gab, eine unbefangene Miene gezeigt. Ein besserer Menschenkenner als der Pascha hätte aber vielleicht bemerkt, daß in den schlauen, scharfen Gesichtszügen etwas Zurückhaltendes, Abwartendes lag.

»Das ist dumm!« bemerkte der Pascha. »Nach dem Portrait, welches ich in Constantinopel von ihm gesehen habe, muß er ein sehr bedeutender Künstler sein, dessen Namen Sie kennen würden.«

»Haben Sie sich hier in Deutschland vielleicht bereits nach ihm erkundigt?«

»Sehr oft und überall.«

»Und auch vergebens?

 »Leider.«

»So ist er entweder kein bedeutender Künstler oder er befindet sich nicht hier. Die genannten Personen sind es, welche Sie suchen?«

»Eigentlich nicht. Sie stehen nur in näherer Beziehung zu den Gesuchten.«

»So bitte ich, mir die Hauptpersonen zu nennen!«

»Das sind zwei Damen.«

»Ah! Das wird interessant! Jung?«

»Ja.«

»Schön?«


// 2312 //

»Sie waren meine Frauen, also müssen sie schön gewesen sein.«

»Ihre Frauen? Sapperment!«

»Sie wurden mir geraubt.«

»Eine Entführung aus dem Harem wohl?«

»Ja.«

Da schlug der Agent mit der Faust auf den Tisch und rief im höchsten Grade verwundert:

»Donnerwetter! Das ist ja hochinteressant! Ich habe schon sehr eigenartige Aufträge erhalten, so einen aber noch nie. Ich soll zwei Frauen, die in Constantinopel aus dem Harem entführt worden sind, hier in Deutschland suchen! Waren es denn rechtmäßige Frauen?«

»Natürlich! Ich hatte sie ja bezahlt!«

»O, das gilt hier nichts. Menschenhandel wird bei uns sogar sehr streng bestraft.«

»Weil Ihr Christen ganz verkehrte Kerls seid!«

»Lassen Sie das hier Niemand hören. Sind die Frauen mit Gewalt geraubt worden?«

»Natürlich! Oder meinen Sie, daß ein Raub auch ohne Gewalt ausgeführt werden könne?«

»Ich meinte mit meiner Frage, ob die Frauen mit ihren Verführern einverstanden waren.«

»Das waren sie.«

»So können Sie nichts machen.«

»Ich will aber Etwas machen!«

»Was denn?«

»Das ist Ihre Sache.«

»Und diese Sache ist eine ganz hoffnungslose. Sie können nicht angeben, wo die ungetreuen Frauen sich befinden.«

»In Deutschland.«

»Das ist nichts gesagt. Wo soll man sie da suchen! Und selbst wenn wir sie finden, so hilft es Ihnen nichts. Ihr Kaufcontract ist hier bei uns null und nichtig. Wenn die Frauen Ihnen nicht freiwillig folgen, müssen Sie sie lassen, wo sie sind.«

»Aber sie sollen mir folgen!« rief der Pascha ärgerlich. »Deshalb suche ich sie ja!«

»Sie brauchen es aber nicht.«

»So zwinge ich sie.«

»Womit?«

»Das sollen Sie sich eben aussinnen!«

»Ach so! Jetzt kenne ich die Aufgabe, welche Sie mir anvertrauen wollen. Ich soll Ihnen die entflohenen Frauen suchen und sie durch irgend eine List oder auch durch eine unerlaubte Gewaltthätigkeit Ihnen in die Hände spielen?«

»So ist es!«


// 2313 //

»Wie heißen diese interessanten Damen?«

»Tschita und Zykyma.«

Um die Augen des Agenten zuckte es leise. Ein Menschenkenner hätte, dies bemerkend, sofort vermuthet, daß er diese Namen oder wenigstens einen derselben bereits gehört habe.

»Zwei schöne, wohlklingende Namen,« sagte er. »Ich bezweifle nur, daß sie dieselben auch jetzt noch tragen. Sie werden sich jedenfalls längst andere beigelegt haben. Und, wenn ich recht unterrichtet bin, haben diese türkischen Damen nur einen Vor- nicht aber einen Familiennamen?«

»So ist es.«

»Das erschwert das Nachforschen um ein Bedeutendes. Wer sind denn die Entführer?«

»Es sind Mehrere. Zunächst dieser Maler Normann, welcher es auf Tschita abgesehen hatte - -«

Der Pascha bemerkte nicht, daß der Agent ganz leise, wie in Gedanken, mit dem Kopfe nickte, sonst hätte er annehmen müssen, daß derselbe jedenfalls Etwas von Normann und Tschita wisse. Er fuhr fort:

»Sodann ein gewisser Hermann Wallert, der seine Aufmerksamkeit auf Zykyma gerichtet hatte. Nebenbei glaube ich, daß dies ein falscher Name ist. Er muß Hermann von Adlerhorst heißen.«

»Das verspinnt sich ja immer mehr!«

»Ferner glaube ich, daß auch jener verkappte Diplomat Steinbach mit betheiligt war. Ganz sicher aber ist es, daß Lord Eagle-nest den Raub begünstigte. Er hat sämmtliche Personen auf seiner Yacht entführt.«

»So haben wir also eine ganze Clique beisammen. Wer die Geraubten finden will, muß vorher nach den Räubern forschen.«

»So denke ich auch. Ich habe aber keinen Einzigen derselben gefunden.«

»So werde ich mir Mühe geben.«

»Haben Sie Hoffnung?«

»Hm! Man kann natürlich nichts sagen; ich weiß nur, daß mir bisher noch nichts Derartiges mißlungen ist. Bei meinen weit ausgebreiteten und heimlichen Verbindungen wird es mir wohl möglich sein, die Spur der Entflohenen zu entdecken.«

»Ich muß sie wiederhaben!« knirschte der Pascha. »Meine Liebe haben sie verloren; aber rächen will ich mich. Darum und einzig nur. Darum suche ich sie! Und ich würde viel, sehr viel geben, wenn ich sie fände!«

»Es freut mich, daß ich Sie so verständig sprechen höre. Noch weiß ich nicht, ob ich Ihren Auftrag annehme; aber wenn ich es thue, so werde ich mir viele, viele Mühe geben müssen. Ich werde Hunderte von Agenten in Bewegung zu setzen haben und kostspielige Reisen machen, bedeutende Gratifikationen zahlen müssen. Meine Auslagen werden also höchst bedeutend sein, und da muß ich natürlich die Ueberzeugung besitzen, daß ich keine Verluste erleide.«

»Davon ist keine Rede. Ich zahle.«


// 2314 //

»Wie viel?«

»Wie viel verlangen Sie?«

»Zunächst einen Vorschuß als Sicherstellung für meine Auslagen.«

»Schön! Wie hoch soll derselbe sein?«

»Fünftausend Mark.«

»Einverstanden! Ich zahle sie sofort.«

Er zog eine Brieftasche hervor und zählte ihm die Summe in Banknoten auf den Tisch. Der Agent hatte seit langer Zeit nicht fünftausend Mark beisammen gesehen. Seine Hände zitterten leise und seine Augen funkelten, als er diese Summe schnell in seine Tasche barg. Er war ja jetzt bereits überzeugt, daß er keinen Pfennig Auslage haben werde.

»Die eigentliche Aufgabe zerfällt in zwei verschiedene Theile,« fuhr er fort. »Erstens habe ich die Verschwundenen aufzusuchen und zweitens sie in Ihre Gewalt zu bringen.«

»Aber so, daß ich sie sicher nach Constantinopel bringe!« fiel der Pascha ein.

»Einverstanden, obgleich mir dadurch das Unternehmen außerordentlich erschwert wird. Ich möchte mir für jeden Theil dieser Aufgabe ein Honorar erbitten. Also wenn ich sie entdeckt habe, zahlen Sie die erste Rate.«

»Wie hoch?«

»Zehntausend Mark.«

»Auch damit einverstanden. Sie sehen, daß ich nicht knausere. Ich will mich rächen, und wenn Sie mir dies ermöglichen, zahle ich gern. Wieviel verlangen Sie dann, wenn Sie sie mir sicher ausgeliefert haben?«

»Ebenso viel.«

»Also wieder zehntausend. Es ist sehr hoch gegriffen, fünfundzwanzigtausend Mark in Summa; aber ich will sie zahlen. Wenn werden Sie beginnen?«

»Sofort. Nur muß ich Sie vorher ersuchen, mir einige der näheren Umstände anzugeben und die betreffenden Personen zu beschreiben.«

Er zog sein Notizbuch hervor, um sich die Bemerkungen einzutragen.

Die Beiden waren ganz überzeugt, daß der ihnen so nahe sitzende, unbekannte Gast gar nichts von ihrer Unterhaltung verstehen könne, und hatten sich jetzt überhaupt in ihre Unterhaltung so sehr vertieft, daß sie es gar nicht beachteten, als er jetzt aufsah und mit seinem Stuhle eine näher rückende Bewegung machte. Er saß mit dem Rücken nach ihnen, scheinbar noch immer in seine Zeitung vertieft, doch hatte er den Kopf ein Wenig zur Seite gewendet und hielt ihnen das eine Ohr zugekehrt. Er lauschte so aufmerksam, daß ihm keines ihrer Worte zu entgehen vermochte.

Der vermeintliche Bankier aus Kairo bemerkte auf die letzten Worte des Agenten:

»Wenn Sie sich Notizen machen, so schreiben Sie sich ja meinen eigentlichen Namen nicht auf!«

»Warum? Es bleibt ja geheim.«


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»Das denken Sie zwar; aber der Zufall spielt oft wunderbar. Wie leicht kann das Buch einmal in unrechte Hände kommen.«

»Das haben Sie bei mir nicht zu befürchten.«

»Meinen Sie? Sie geben zu, daß die Polizei ein Auge auf Sie hat. Die geringste Veranlassung, an welcher Sie ganz unschuldig sind, kann die argdenkenden Herren veranlassen, Ihnen einen Besuch zu machen.«

»Das wollte ich mir verbitten!«

»Die Polizei läßt sich nichts verbitten. Sie haben ja bereits mit ihr zu thun gehabt und waren damals sogar ein anerkannt tüchtiger Criminalbeamter. Jetzt, wo Sie in einem ganz anderen Geruche stehen, wird man sich natürlich noch viel weniger geniren als damals.« .

»Herr! Sie bedienen sich einer Redeweise, welche mich unbedingt beleidigen muß!«

Diese Worte waren in einem sehr ernsthaften und reservirten Tone gesprochen worden.

»Pah!« antwortete der Pascha. »Sie selbst haben gewünscht, daß Aufrichtigkeit zwischen uns herrschen soll!«

»Aber man kann sich trotzdem weniger beleidigender Ausdrücke bedienen, mein Herr!«

»Lassen wir das! Ich ersuche Sie, nicht meinen Namen Ibrahim Pascha oder Abraham Pascha zu notiren, und ich muß streng darauf bestehen, daß Sie diesen Wunsch respectiren!«

»Das werde ich auch. Mein Gedächtniß reicht vollständig hin, ihn mir auch ohne Notiz zu merken.«

»Schön! Was wünschen Sie nun, zu wissen?«

»Den Lord kenne ich. Jetzt muß ich Sie um eine Beschreibung derjenigen Personen ersuchen, welche mir noch unbekannt sind.«

»Ist das so nöthig?«

»Unumgänglich. Wie soll ich die Leute finden oder gar entdecken, wenn ich ihre Persönlichkeiten nicht kenne!«

»Aus einer einfachen Beschreibung lernen Sie sie aber auch nicht kennen.«

»Genau natürlich nicht; aber ich bekomme wenigstens einen ungefähren Begriff von den Persönlichkeiten.«

Der Pascha mußte das zugeben und beschrieb ihm nun, so weit er es vermochte, Tschita, Zykyma, Normann, Wallert und Steinbach.

Als die Rede von Normann war, ging ein kurzes, listiges Lächeln über das Gesicht des Agenten. Dann aber erregte die Beschreibung Steinbachs seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Er machte sogar ein höchst erstauntes Gesicht.

»Also groß und stark ist dieser Mann?« fragte er.

»Fast ein Riese.«

»Blond oder dunkel?«

»Dunkel.«

»Was für einen Bart?«


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»Vollbart. Er ist ein schöner, prächtiger Kerl, wie man einen zweiten wohl selten findet.«

»Sie sind ja ganz begeistert für ihn!«

»Nichts weniger als das. Ich soll ihn möglichst genau beschreiben und muß also sagen, daß er ein schöner Mann ist. Trotzdem aber wünsche ich ihn in die tiefste Hölle hinab.«

Der Agent notirte sich Alles sehr genau. Dann erklärte er:

»Die Beschreibung genügt nicht allein. Ich muß auch wissen, unter welchen Umständen Sie diese Personen kennen gelernt haben.«

»Das ist nicht nothwendig.«

»Sogar sehr!«

»Sie verlangen, daß ich Ihnen Vorkommnisse erzählen soll, welche sehr geheimer Natur sind!«

»Ich muß das verlangen, wenn ich Ihnen mit Erfolg dienen soll.«

»Es geht auch ohne das!«

»Keineswegs.«

»Ich seh den Grund nicht ein!«

»Er ist sehr einfach. Ich soll diese Leute aufsuchen, Ihnen sogar die beiden Damen in die Hände spielen. Ich muß da unbedingt wissen, in welchem Verhältnisse sie zu Ihnen gestanden haben und noch stehen. Ich kann sonst den größten Fehler begehen.«

»Das glaube ich nicht. Sie haben ja mit diesen Personen nicht einmal zu sprechen!«

»Meinen Sie? Ich muß mit ihnen sprechen, um mich zu überzeugen, ob sie wirklich die Gesuchten sind. Und um da keine Fehler zu begehen, muß ich natürlich orientirt sein.«

»Daran liegt mir freilich nichts.«

»So ziehen Sie Ihren Auftrag zurück!«

»Fällt mir gar nicht ein! Zumal jetzt, da ich Ihnen bereits eine Summe vorausbezahlt habe.«

»Nun, so dürfen Sie sich auch nicht weigern, mir Vertrauen zu schenken.«

Der Pascha wehrte sich noch kurze Zeit, mußte aber doch einsehen, daß der Agent Recht hatte, und erzählte ihm nun das, was in Constantinopel geschehen war, allerdings nicht ausführlich, sondern sehr flüchtig und lückenhaft.

Der Andere hörte ihm aufmerksam zu, nickte oder schüttelte zuweilen mit dem Kopfe und sagte endlich:

»Sie sind in Ihren Mittheilungen sehr zurückhaltend gewesen; aber es genügt. Ich bin Jurist und weiß, mir das zu ergänzen, was Sie weggelassen haben.«

»Wann werden Sie für mich zu wirken beginnen?«

»Sofort.«

»Recht so! Darf ich wissen, wie der Anfang sein wird?«

»Das weiß ich selbst noch nicht. Zunächst muß ich mir die Sache natürlich sehr reiflich überlegen. In das Zeug stürzen darf ich mich nicht.


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Die Lösung dieser Aufgabe bietet ganz besondere Schwierigkeiten und erfordert in Folge dessen die reiflichste Ueberlegung.«

»Sie werden mich natürlich, sobald Sie einen Erfolg haben, sofort benachrichtigen.«

»Natürlich. Aber auf welche Weise soll das geschehen, da wir uns nicht miteinander sehen lassen wollen?«

»Brieflich.«

»Davon möchte ich absehen.«

»Warum?«

»Ich vertraue solche Geheimnisse nicht gern dem Papiere an. Man kann nie wissen, in welche Hände so ein Brief kommt.«

»Da haben Sie freilich Recht.«

»Ich schlage vor, daß wir uns schreiben, wenn und wo wir uns sehen wollen. Wir können ja einen Ort wählen, an welchem uns Niemand sehen kann.«

»Ganz recht! Am Besten ist es, wir bestimmen gleich jetzt diesen Ort. Kennen Sie einen?«

»Ja. Er heißt Oscars Ruhe.«

»Kenne ich nicht.«

»Das schadet nichts. Der Ort ist sehr leicht zu finden. Er liegt auf der Höhe dem Schlosse gegenüber. Es führt ein schmaler, vielfach gewundener Pfad durch den Wald zu ihm empor, und mehrere Wegweiser sorgen dafür, daß man sich nicht verlaufen kann.«

»Warum heißt er Oscars Ruhe?«

»Weil er ein Lieblingsort des Prinzen ist, welcher bekanntlich Oscar heißt. Man hat von da aus eine prächtige Fernsicht in das Land.«

»Kann man da beobachtet werden?«

»Nein. Die Stelle ist an drei Seiten von Büschen und Bäumen umgeben.«

»Hinter denen Lauscher stecken können!«

»Bitte sehr! Grad wir Beide werden uns dahinter verstecken.«

»Schön! Also wenn Einer von uns den Anderen sprechen will, so schreibt er ihm eine Zeile. Der Brief braucht nur die Zeit zu enthalten, in welcher die Zusammenkunft stattfinden soll. Das Uebrige ist ja bekannt.«

»Oder - mir kommt da ein Gedanke. Wir können die Sache noch viel mehr vereinfachen.«

»In welcher Weise?«

»Wir können das Briefschreiben ganz vermeiden. Verkehren Sie oft hier in diesem Pavillon?«

»Wenn es in unserm Interesse liegt, werde ich gern oft kommen.«

»Schön. Sie lesen doch deutsch?«

»Schlechter noch als ich es spreche.«

»Thut nichts. Kennen Sie die norddeutsche allgemeine Zeitung?«

»Das Organ Bismarks? Ja.«

»Sie befindet sich unter den hier gehaltenen Blättern. Ich werde täglich


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dreimal hierher gehen, des Morgens, des Mittags und des Abends. Thun Sie das ebenso!«

»Wozu?«

»Wer den Andern sprechen will, braucht nur diese Zeitung zu lesen und an den Rand derselben diejenige Ziffer mit Bleistift zu schreiben, welche die Stunde bezeichnet, in der die Zusammenkunft auf der Oscars Ruhe stattfinden soll.«

»Schön! Dieser Gedanke ist sehr gut. Eine solche Ziffer kann keinem Menschen auffallen.«

»Gewiß nicht.«

»So sind wir also einig?«

»Ja.«

»Und wohl auch fertig?«

»Für jetzt wüßte ich nichts mehr zu bemerken.«

»Ich auch nicht. Die Hauptsache ist, daß der Mann da, welcher noch immer hinter seiner Zeitung steckt, uns wirklich nicht verstanden hat.«

»Kein Wort. Der Kerl sieht überhaupt gar nicht etwa so geistreich aus, daß wir uns vor ihm fürchten müßten.«

»Trotzdem war es vielleicht eine Unvorsichtigkeit, die Sache grad hier zu verhandeln.«

»O nein. Wir haben nichts, aber auch gar nichts zu befürchten. Ich darf mich also empfehlen?«

»Ja. Denken Sie also fleißig nach!«

»Gewiß. Ich hoffe, daß mir bereits heut ein Gedanke kommt, in welcher Weise wir diese Angelegenheit anzufassen haben.«

»Soll mich freuen. Also Klugheit und Verschwiegenheit. Das bitte ich mir aus.«

Der Agent entfernte sich. Der Pascha blieb noch ein Weilchen sitzen und ging dann auch. Sofort rief der Fremde den Kellner herbei, um zu bezahlen.

»Kannten Sie die beiden Herren, welche hier bei einander saßen?« fragte er ihn.

»Nur den Einen.«

»Welchen?«

»Den Langen, Hageren.«

»Schön! Wer ist er?«

»Er ist Agent, war früher Gerichts- oder auch Polizeibeamter, ist aber abgesetzt worden.«

»Wo wohnt er?«

»Im Hotel zum Schwan. Er heißt Schubert.«

»Danke!«

Er berichtigte seine Zeche und ging dann auch, und zwar schnellen Schrittes davon. Er wollte dem Pascha folgen, um ihn zu beobachten.

»Eigenthümlicher Zufall!« sagte er zu sich. »Jedenfalls meinen sie ganz denselben Steinbach, welchen auch ich kenne. Also ich habe kein geistreiches


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Gesicht. Ich sehe dumm aus! Schön! Ihr sollt Euch schon noch über meine Dummheit wundern!«

Er bekam den Pascha bald wieder zu Gesicht und hielt sich so hinter ihm, daß er ihn nicht aus dem Auge verlieren konnte, nahm sich aber sehr in Acht, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Der Pascha schlenderte nach dem Bahnhofe, vielleicht um aus langer Weile sich die mit dem nächsten Personenzuge ankommenden Passagiere anzusehen. Er trat in die Bahnhofsrestauration und begab sich da in das Wartezimmer erster Klasse.

Der Andere folgte ihm, aber nicht ganz, sondern er blieb im Wartezimmer zweiter Klasse zurück. Die Verbindungsthür stand offen, so daß er durch dieselbe den Pascha unauffällig beobachten konnte.

Indem er sich an einem der leer stehenden Tische niedersetzte, sah er sich um. Sein Auge fiel auf einen einzelnen Herrn, der allein an einem anderen Tische saß und in einer Zeitung las.

»Ists möglich!« sagte er. »Ist er es, oder irre ich mich?«

Der Betreffende war klein aber sehr dick. Sein bartloses Gesicht zeugte von unendlicher Gutmüthigkeit, doch lag auch ein Zug von versteckter Schalkheit oder List in demselben. Es war von Sonne, Wind und Wetter gegerbt, und diese Lederfarbe stach sehr ab gegen die feine, weiße Wäsche, welche er trug.

Der zuletzt Gekommene ging auf ihn zu, verbeugte sich höflich und sagte:

»Entschuldigung, mein Herr! Es ist mir, als ob wir uns bereits einmal gesehen hätten.«

Der Dicke legte die Zeitung weg, erhob sich, erwiderte die Verbeugung, betrachtete den Sprecher und antwortete:

»Da ich Sie jetzt ansehe, ist es mir auch so, als ob wir uns begegnet seien. Aber wo?«

»Irre ich mich nicht, so war es sehr weit von hier.«

»Möglich.«

»In Sibirien.«

»Ah! Sie waren dort?«

»Ja. Sind Sie nicht Sam Barth, unser wackerer und unvergeßlicher Erretter?«

»Ja, der dicke Sam bin ich,« lächelte der Kleine. »Errettet soll ich Sie haben?«

»Jawohl.«

»Wo denn? Ich kann mich nicht darauf besinnen.«

»Am Mückenflusse.«

»Da habe ich Viele errettet. Befanden Sie sich vielleicht unter den armen Flüchtigen?«

»Allerdings.«

»So habe ich Sie dort gesehen, aber doch nur flüchtig. Gesprochen haben wir wohl gar nicht miteinander.«

»O doch!«


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»So? Hm! Kann mich nicht besinnen.«

»Ich trug damals einen dichten, langen Vollbart. Jetzt aber bin ich ohne Bart. Darum kennen Sie mich nicht.«

»Das müßte es sein. Aber gesprochen habe ich nur mit sehr wenigen Verbannten, und da Sie dieses behaupten, so müssen Sie zu den Wenigen gehören.«

»Gewiß! Bitte, besinnen Sie sich!«

»Kenne ich Ihren Namen?«

»Ja.«

»Sapperment! Hm! Was so ein Vollbart thut! Wie heißen Sie denn eigentlich?«

Der Andre lachte vor Vergnügen am ganzen Gesicht. Er antwortete:

»Mein Name ist Sendewitsch.«

»Sen - - alle Teufel!«

So ein erstauntes Gesicht wie jetzt in diesem Augenblicke hatte der Dicke wohl noch selten gemacht.

»Sendewitsch!« fuhr er fort. »Major Sendewitsch! Der kühne Anführer der Flüchtigen! Ja, jetzt erkenne ich Sie! Hier meine Hand! Wie mich das freut! Setzen Sie sich! Setzen Sie sich! Sie sind also glücklich entkommen?«

»Ja, auf türkisches Gebiet.«

»Gott sei Dank! Aber leicht ists Ihnen jedenfalls nicht geworden!«

»O nein. Ueber unsere Abenteuer könnte ich Bücher schreiben.«

»Ich warte nicht, bis Sie dieselben geschrieben haben. Sie müssen mir Alles erzählen.«

»Gern, herzlich gern!«

»Und was thun Sie hier in Deutschland?«

»Ich bin militairischer Bevollmächtigter des Großherrn.«

»Was! Sie stehen also im Dienste des Sultans?«

»Ja. Ich will nach Essen.«

»Also zu Krupp?«

»Ja. Ich bin beauftragt, mit ihm einen Contract wegen Waffenlieferungen zu vereinbaren.«

»Das freut mich herzlich. So ist also für Ihre Zukunft gesorgt?«

»Ausreichend. Ich bin Oberst.«

»Gratulire! Halten Sie sich längere Zeit hier auf?«

»Bis meine Sendung erfüllt ist.«

»Befindet Krupp sich denn hier?«

»Ja. Uebrigens bin ich gestern Abend erst angekommen.«

»Ein wunderbares Begegnen! Also lassen wir uns noch ein Glas geben. Sie müssen erzählen.«

»Vorher eine Erkundigung. Wo ist Steinbach?«

»Noch in Petersburg.«


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»So! Wissen Sie vielleicht, ob er auch einmal in der Türkei gewesen ist?«

»Er war dort.«

»Hat er einen gewissen Ibrahim Pascha dort kennen gelernt?«

»Sogar sehr.«

»Hm! Wissen Sie, auf welche Weise?«

»Ja.«

»Darf ich es erfahren?«

»Thut mir leid. Ich habe keine specielle Erlaubniß, davon zu sprechen.«

»Ah so! Na, bleibt sich gleich. Hat Herr Steinbach vielleicht geholfen, zwei Damen zu entführen?«

»Möglich.«

»Kommt er auch nach hier?«

»Ja. Er wird sogar in sehr kurzer Zeit hier eintreffen.«

»Das ist sehr gut. Ich werde ihm einen bekannten Türken vorstellen.«

»Befindet sich einer hier im Bade?«

»Ja.«

»Ich habe die Präsenzliste durchgelesen, aber keinen Türken gefunden.«

»Er ist incognito hier.«

»Dann ist's etwas Anderes. Wer ist's?«

»Ibrahim Pascha.«

Da fuhr Sam von seinem Stuhle auf.

»Ist's wahr?« fragte er.

»Ja.«

»Kennen Sie ihn denn?«

»Bis vor einer Stunde nicht.«

»Wo ist er zu sehen?«

»Draußen im Wartezimmer erster Classe.«

»Doch nicht der Herr, welcher soeben hier durchgegangen ist?«

»Ganz derselbe.«

»Der, der soll der Pascha sein?«

»Ganz gewiß.«

»Aber woher wissen Sie es, daß er es ist? Sie sagten, er sei incognito hier.«

»Ich habe ihn belauscht.«

»Sapperment! Legen Sie sich auf das Lauschen?«

»Nein. Es geschah durch Zufall.«

»Wie mich das interessirt!«

»Wirklich?«

»Ja! Sie haben gar keine Ahnung, welchen Werth diese Nachricht für mich, das heißt natürlich für Herrn Steinbach hat. Ich muß mir den Kerl einmal genau ansehen.«

Er wollte sich vom Tische entfernen; Sendewitsch aber hielt ihn fest und sagte:


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»Bitte, bleiben Sie noch! Vielleicht ist es besser, Sie machen ihn nicht auf sich aufmerksam.«

»Warum?«

»Kennt er Sie?«

»Nein.«

»Das ist gut. Kennen Sie einen Maler Normann?«

»Ja.«

»Zwei Damen Namens Tschita und Zykyma?«

»Auch.«

»Und daß Sie auch den Namen Adlerhorst kennen, das weiß ich von Sibirien aus. Es befand sich ja damals ein entflohener Kosak in der Höhle, welcher ein Deutscher Namens Adlerhorst war.«

»Georg Adlerhorst,« nickte Sam. »Das ist richtig. Aber warum fragen Sie mich nach diesen Leuten?«

»Es droht ihnen vom Pascha Gefahr.«

»Sapperment! Was hat er vor?«

»Tschita und Zykyma sollen geraubt werden.«

»Geraubt? Meint der Kerl etwa, daß er sich in Asien befindet, wo so etwas möglich ist! Hier aber mag er es bleiben lassen! Woher wissen Sie es?«

»Aus der Unterredung, welche ich belauscht habe.«

»Erzählen Sie, bitte, erzählen Sie!«

Der jetzige türkische Oberst erzählte, wie er dazu gekommen sei, den Horcher zu machen. Sam hörte ihm aufmerksam zu, stand dann auf, stellte sich an die zum ersten Wartezimmer führende Thür und sah sich den darin Befindlichen an.

»Lassen Sie sich nicht sehen!« warnte Sendewitsch.

»Keine Sorge! Ich bin ein alter, erfahrener Frosch und weiß ganz genau, wann ich zu quaken habe und wann nicht.«

Er hatte sich so gestellt, daß er von Ibrahim nicht gesehen werden konnte. Als er sich dann wieder niedersetzte, meinte er:

»Also das ist der Kerl! Dieses Gesicht will ich mir sehr genau merken. Aber ich begreife nicht, warum ich mich nicht von ihm sehen lassen soll.«

»Weil es unter Umständen wohl besser ist, er ahnt gar nicht, daß Sie ihm Ihre Aufmerksamkeit schenken.«

»Pah! Das braucht er nicht zu ahnen, auch wenn er mich zu sehen bekommt. Er scheint auf den nächsten Zug zu warten.«

»Wohl nur zur Unterhaltung.«

»Möglich! Er wird sich übrigens besser unterhalten, als er ahnt. Es wird ein sehr guter Bekannter von ihm aussteigen, dessen Anblick ihm sicher einen gewaltigen Schreck einjagt.«

»Erwarten Sie Jemanden?«

»Ja, und zwar einen Menschen, mit dem auch Sie zu thun gehabt haben. Er war früher Derwisch und betheiligte sich damals an unserem Kampfe, als


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wir die Herren Kosaken so gewaltig hinter das Licht führten. Er hatte sich ihnen angeschlossen. Ich nahm ihn dann gefangen.«

»Weshalb?«

»Weil wir eine Rechnung mit ihm auszugleichen hatten, die ihm jetzt noch auf dem Rücken hängt. Er ist noch heut unser Gefangener. Er soll hier eingesperrt werden. Jim und Tim bringen ihn. Ich bin voraus, um ihm das Logis zu versorgen.«

»Hier im Amtsgerichte?«

»O nein. Da steckt er nicht sicher. Steinbach hat ihm eine hübsche Privatwohnung angewiesen. Ich hatte an den hiesigen Schloßcastellan einen Brief abzugeben, in Folge dessen dieser Mann sofort ein sehr sicheres Gewölbe für den Gefangenen in Bereitschaft gesetzt hat.«

»Kennt Steinbach diesen Castellan?«

»Ja.«

»Dieser Herr ist mir ein großes Räthsel.«

»Mir auch.«

»Und doch sind Sie so lange Zeit mit ihm beisammen gewesen. Da müßten Sie ihn doch kennen.«

»Ich kenne ihn ebenso wenig als vorher.«

»Aber ein gewöhnlicher Mann ist er keinesfalls?«

»Nein. Als ich mich darüber verwunderte, daß der Gefangene hier auf Schloß Wiesenstein untergebracht werden solle, welches bekanntlich dem Prinzen Oskar gehört, äußerte er, daß der Prinz ein guter Freund von ihm sei. Also kann er kein ordinärer Kerl sein.«

»Und Sie wissen genau, daß dieser Derwisch mit dem nächsten Zuge kommt?«

»Gewiß.«

»Der Pascha kennt ihn so genau, daß er ihn erkennen muß?«

»Ja. Sie sind sehr eng verbündet.«

»So muß ich ihn beobachten.«

»Thun Sie das! Vier Augen sehen mehr als zwei. Horch! Es läutet bereits. Der Zug kommt.«

»Aber ob der Pascha Ihren Gefangenen auch wirklich sehen wird

»Jedenfalls. Der hiesige Bahnhof ist ja nicht so bedeutend. Man kann ihn überblicken. Uebrigens werde ich dafür sorgen, daß er ihn sieht.«

Das Glockenzeichen war gegeben worden, und die anwesenden Gäste traten auf den Perron, der Pascha auch.

Sam war natürlich auch hinausgegangen. Der Oberst hielt sich etwas zurück. Er wollte dem Pascha nicht merken lassen, welche Theilnahme er ihm und dem zu erwartenden Vorgange widmete.

Der Zug fuhr ein, und die Reisenden stiegen aus. Aus dem Fenster eines separaten Coupées blickte das scharfgezeichnete, hagere Gesicht Jims. Sam bemerkte es und eilte hin.

»Nun, alles in Ordnung?« fragte er.


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»Ja.«

»So steigt aus!«

»Wollen wir nicht warten, bis die Menge sich verlaufen hat? Wir erregen Aufsehen.«

»Der Zug will weiter. Und was thuts, wenn die Leute den Kerl sehen.«

»Schön! Also heraus mit ihm!«

Er stieg voran; ihm folgte Florin, und dann kam Tim hinterher gestiegen.

Der einstige Kammerdiener sah keineswegs leidend aus. Man hatte ihn nicht gepeinigt. Aber er war scharf gefesselt. An Händen und Füßen hingen klirrende Ketten, und die Ersteren wurden überdies durch einen Eisenstab aus einander gehalten, so daß sie einander nicht genähert werden konnten. Das machte jeden Fluchtversuch zu einem ganz aussichtslosen Unternehmen.

»Wohin?« fragte Jim.

»Hinauf in das Schloß,« antwortete Sam. »Bringt ihn zum Castellan, der schon auf Euch wartet.«

»Gehst Du nicht mit?«

»Nein. Ich habe hier noch ein Weniges zu thun, werde aber baldigst nachkommen.«

»Sollen wir nicht lieber Droschke nehmen?«

»Nein. Das ist der Kerl nicht werth.«

»Aber wir erregen Aufsehen!«

»Schadet nichts. Die Leute mögen sich ihn immerhin ansehen, damit sie einmal einen Spitzbuben erster Classe kennen lernen. Also, macht fort!«

Die ausgestiegenen Passagiere hatten den Perron meist schon verlassen. Nur wenige befanden sich noch da, mit ihrem Handgepäck beschäftigt. Auf den Gefangenen hatte noch Niemand Acht gehabt.

Sam trat zurück, um den Pascha zu beobachten, welcher ahnungslos nach der anderen Seite blickte. Oberst Sendewitsch war langsam näher gerückt und stand nun, an einen aus der Mauer hervortretenden Pfeiler gelehnt, ganz nahe seitwärts hinter dem Pascha.

Dieser wollte wohl nun den Perron verlassen. Er drehte sich um. Da fiel sein Auge auf Florin. Er stutzte. Dann sah man es wie einen großen Schreck über sein bärtiges Gesicht zucken. Er trat rasch um einige Schritte vor, so daß Jim und Tim mit dem Gefangenen an ihm vorüber mußten.

Er hatte den Letzteren erkannt. Es war nun seine Absicht auch von ihm erkannt zu werden. Aber der Vollbart und die Brille mit ihren blauen Gläsern entstellten ihn. Den Bart konnte er nicht entfernen, aber die Brille nahm er ab.

Der Blick des Gefangenen war auf ihn gefallen, als er so eilig vortrat. Florin stutzte. Sein Auge bohrte sich in das Gesicht des Pascha. Es zuckte wie eine Freude über sein Gesicht, eine Freude, gemischt mit großem Erstaunen.


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Er wendete sein Gesicht ab, als ob er den Pascha gar nicht sehe. Aber im Vorüberschreiten sagte er vernehmlich:

»Beni kurtar, joksa sen kajb!«

Weder Jim noch Tim nahmen an, daß diese fremden Worte dem ihnen gänzlich unbekannten Pascha galten.«

»Halts Maul, Kerl!« meinte der Erstere. »Wenn Du reden willst, so sprich deutsch oder englisch, was wir verstehen!

»Jakynda, tschok jakynda!« rief Florin, scheinbar als Antwort auf Jims Rede.

»Schweig! Der Teufel mag Dein Gewäsch hören!«

Sie schritten mit ihm weiter.

Der Pascha stand noch eine ganze Weile bewegungslos. Er hatte noch immer mit seinem Erstaunen zu thun. Dann setzte er sich in Bewegung und verließ den Bahnhof, ohne auf Sam und Sendewitsch zu achten. Er hatte gar nicht bemerkt, daß Beide zu einander und auch zu dem Gefangenen in Beziehung standen. Jetzt trat Sam zu dem Oberst und sagte:

»Haben Sie ihn sprechen hören?«

»Natürlich. Ich stand ja nahe genug.«

»Es galt nicht Jim und Tim. Ich möchte wetten, daß es an den Pascha gerichtet war.«

»Da haben Sie freilich Recht.«

»Leider habe ich von dem Kauderwelsch kein Wort verstanden. In welcher Sprache mag es gewesen sein?«

»Türkisch. Er wußte, daß die beiden Transporteurs das nicht verstehen würden.«

»Verdammt! Wenn man nur wußte - - ah, Sie sind ja jetzt türkischer Officier. Sollten Sie nicht ein Weniges verstehen?«

»Ich spreche das Türkische sehr gut. Schon als russischer Lieutenant habe ich es gelernt, da der Czar dafür sorgt, daß eine genügende Anzahl Officiers sich der Erlernung dieser Sprache befleißigt.«

»Prächtig! So haben Sie vielleicht die Worte dieses Hallunken verstehen können?«

»Natürlich.«

»Bitte, übersetzen Sie!«

»Er sagte: Beni kurtar, joksa sen kajb. Das heißt: Rette mich, sonst bist Du verloren.«

»Sapperment! Da wollen wir sorgen, daß es nicht geschehen kann! Aber sodann rief er noch einige Worte. Wie hieß das?«

»Jakynda, tschok jakynda, das ist: Rasch, sehr rasch! Er mahnte also zur Eile.«

»Schön, sehr schön! So eilig, wie er es meint, haben wir es freilich nicht. Sahen Sie, wie der Pascha erschrak?«

»Ja.«


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»Er nahm die Brille ab, jedenfalls in der Absicht besser erkannt zu werden. Jetzt läuft er den Dreien nach, wohl um zu sehen, wohin sein Freundchen gebracht wird. Wollen hinterher, um ihn zu beobachten.«

Sie folgten in sicherer Entfernung. Sie sahen, daß er den drei Männern so weit folgte, bis er sah, daß sie in das Portal des Schlosses traten. Dann kehrte er um. Er sah die Beiden nicht, weil sie schnell seitwärts hinter eins der Bosquets getreten waren, welche zu beiden Seiten des Schloßweges standen. Er schritt eiligen Laufes an demselben vorüber.

»Der hat nothwendig!« lachte Sam. »Ich möchte wohl wissen, was er thut.«

»Ich glaube, es Ihnen sagen zu können.«

»So? Nun, was denn?«

»Er läuft nach dem Pavillon, in welchem ich ihn belauschte, um den Agenten zu bestellen.«

»Ah, möglich!«

»Er ist hier fremd und muß sich also dieses Menschen bedienen. Ich wette, daß er ihm die Aufgabe stellt, den Gefangenen zu befreien.«

»Möglich. Wollen wir zuhören?«

»Natürlich!«

»Schön! Wir gehen mit einander. Vorher aber muß ich in's Schloß. Ich habe die Sorge für den Gefangenen übernommen und muß mich überzeugen, ob er sich in Sicherheit befindet. Wo treffen wir uns?«

»Wie lange bedürfen Sie?«

»Nur einige Minuten.«

»So warte ich. Ich promenire hier auf und ab.«

»Schön! Ich werde mich beeilen.«

Sendewitsch hatte nicht lange zu warten, bis Sam wiederkehrte; dann schritten sie in das Städtchen hinab.

»Kennen Sie diesen Ort, den Sie Oskars Ruhe nannten?« fragte Sam.

»Nein. Ich bin ja, wie bereits erwähnt, erst seit gestern hier.«

»Und ich kam erst heut früh. Wir müssen uns erkundigen. Dann gehen wir nach dem Pavillon.«

Sie erfuhren sehr leicht den Weg, welcher nach Oskars Ruhe führte, und schlenderten sodann nach der Gegend, in welcher der Pavillon lag. Dort schritten Sie in den Promenaden auf und ab, bis sie sahen, daß der Pascha das Restaurant verließ. Dann traten sie dort ein.

Natürlich suchten sie sofort nach der norddeutschen Allgemeinen und fanden auf dem weißen Rande derselben eine mit Bleistift geschriebene Drei.

»Also das heißt, um drei Uhr zum Stelldichein,« meinte Sam. »Wir werden theilnehmen.«

Der Agent Schubert war, als er sich von dem Pascha getrennt hatte, zunächst in einige Geschäfte getreten, um Einkäufe zu machen. Er ordnete an, daß man die Gegenstände ihm nach dem Hotel zum Schwan bringe.


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Es war Wäsche und ein neuer Anzug. Er wußte gar wohl, was ihm nothwendig war.

Im Hotel angekommen, verlangte er ein besseres Zimmer. Er hatte jetzt Geld und konnte sich zeigen. Als die Sachen angekommen waren, kleidete er sich um und begab sich dann, strahlend vor Eleganz, in den Gastraum, wo einige der hier wohnenden Badegäste bereits beim zweiten Frühstücke saßen.

Er selbst aß nicht. Er ließ sich ein Glas Wein geben, zahlte sofort und gab dem Kellner ein Trinkgeld, über dessen Höhe der dienstbare Geist in das größte Erstaunen gerieth, denn der Agent hatte sich niemals von dieser angenehmen Seite gezeigt.

»Sind Sie hier bekannt?« fragte der Letztere.

»Leidlich!«

»Ich meine, ob Sie vielleicht auch die stationären Bewohner Wiesensteins kennen, welche nicht auf der Badeliste verzeichnet sind.«

»Ich denke es.«

»Ist Ihnen ein Maler Namens Normann bekannt?«

»Ja.«

»Er verkehrt aber nicht hier?«

»Nein. Er verkehrt überhaupt selten oder nie in den hiesigen öffentlichen Etablissements. Zufälliger Weise wohne ich der Villa, welche er inne hat, grad gegenüber.«

»So wissen Sie Näheres über ihn?«

»Was man so bei unwillkürlichem Beobachten sieht und hört.«

»Er ist verheirathet?«

»Ja. Dies ist wohl der Grund, daß er hier nicht öffentlich verkehrt. Seine Frau scheint ihm Alles zu ersetzen.«

»Wissen Sie vielleicht, was für eine Geborene sie ist?«

»Leider nicht. Aber ihren Vornamen weiß ich. Ich habe gehört, wenn sie sich im Garten befanden, daß er sie Tschita ruft.«

»Haben sie zuweilen Besuch?«

»Ja, aber wenig.«

»Wer kommt da?«

»Ein Herr, welcher ein zum Schlosse gehöriges Parkhäuschen in Miethe hat.«

»Kennen Sie seinen Namen?«

»Nein. Aber ich habe gehört, daß der Maler ihn duzt und Hermann nennt.«

»Ist die Villa noch weiter bewohnt?«

»Nein. Der Maler besitzt sämmtliche Räume.«

»Und bewohnt sie nur mit seiner Frau?«

»Nebst Dienerschaft natürlich. Außerdem befindet sich noch eine Dame da, eine Verwandte oder Freundin wohl. Sie soll sehr schön sein. Ich habe sie noch nicht gesehen, aber meine Frau beobachtete sie.«

»Kennen Sie den Namen?«

»Den mag der Teufel merken. Meine Frau hat ihn öfters gehört und


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ihn mir gesagt. Ich weiß nicht ob es der Vor- oder der Familienname ist. Er lautet ungefähr wie Ky - Fy - Zy - - ich weiß es wirklich nicht.«

»Wohl Zykyma?«

»Ja, ja, so ist es! Sie kennen ihn besser als ich.«

»Wissen Sie nicht, ob der Maler fleißig arbeitet?«

»Nein.«

»Hm! Ich möchte gern wissen, welches Genre er pflegt.«

»Er ist Portraiter, wie ich gehört habe.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ja. Er hat es der Besitzerin der von ihm gemietheten Villa gesagt.«

»Ich danke! Ich weiß genug, wünsche aber nicht, daß davon gesprochen wird, daß ich mich nach ihm erkundigt habe.«

Er legte ein zweites Trinkgeld auf den Tisch, worauf der doppelt erstaunte Kellner ihn seiner tiefsten Verschwiegenheit versicherte. Als er seinen Wein getrunken hatte, verließ er das Hotel und spazierte der Gegend zu, in welcher Normann wohnte. Er wollte recognosciren.

Am Liebsten hätte er den Maler unter irgend einem Vorwande besucht; doch kam er von diesem Gedanken ab. Bei Allem, was geschah, mußte er seine Person im Dunklen halten.

Er promenirte an der Villa vorüber und warf ihr dabei verstohlene Blicke zu. Er bemerkte nichts Auffälliges und sah auch keinen Menschen, weder im Garten noch an einem der Fenster.

Nun bog er in eine Nebenstraße ein, sich auch jetzt noch die Oertlichkeit genau einprägend. Da stand eine kleine Villa, rund von einem hübschen Gärtchen umgeben. Am vorderen Zaune war eine Tafel errichtet, auf welcher zu lesen stand: »Hier ist das möblirte Parterre zu vermiethen und kann sofort bezogen werden.«

»Ah, das paßt!« dachte er. »Beide Grundstücke stoßen an einander. Geld habe ich genug. Die beiden Damen, auf welche es abgesehen ist, wohnen da drüben. Es kann nicht besser passen. Ich miethe dieses Parterre und ziehe her.«

Er ging hinein und hatte das Geschäft schnell abgeschlossen. Die kleine Villa gehörte der Wittwe eines Beamten. Sie wohnte mit ihrer Schwester in dem Obergeschoß. Außer diesen Beiden und einem Dienstmädchen war Niemand vorhanden. Diese drei Personen konnten ihm wohl nicht hinderlich sein.

Jetzt begab er sich in das Hotel zurück und gab Befehl, seine Effecten nach der neuen Wohnung zu schaffen. Dann begab er sich nach dem Pavillon.

Er erwartete zwar nicht, bereits jetzt eine Notiz des Pascha zu finden; aber es war einmal ausgemacht worden, zur Mittagszeit nachzuschauen, und in solchen Dingen war er von peinlicher Genauigkeit.

Als er dort eintrat, befanden sich mehr Gäste da als am Vormittage. Er achtete nicht auf sie. Er setzte sich, ließ sich eine kleine Erfrischung geben und verlangte die norddeutsche allgemeine Zeitung, welche jetzt zwar von einem Anderen gelesen, ihm aber bald gebracht wurde.


Ende der siebenundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden

Karl May – Forschung und Werk