Nummer 22

Der
Gute Kamerad

Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung.

25. Februar 1888

Der Geist der Llano estakata.

Von K. May, Verfasser von »Der Sohn des Bärenjägers«.


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Jetzt war jeder mit dem Essen und mit seinen eigenen Gedanken so beschäftigt, daß die Unterhaltung vollständig stockte. Und als später Frank das vorher abgebrochene Gespräch über die Llano estakata wieder in Fluß bringen wollte, wurde er durch das abermalige Erscheinen eines Ankömmlings daran verhindert.

»Euer Haus scheint ein sehr besuchtes zu sein, Master Helmers,« sagte er. »Dort kommt schon wieder ein Horsemann, der es auf Euch abgesehen hat.«

Der Wirt wendete sich rückwärts, um nach dem Reiter zu sehen. Als er denselben erkannte, sagte er in lebhaftem Tone:

»Das ist einer, den ich stets willkommen heiße, ein tüchtiger Kerl, auf den man sich in jeder Beziehung verlassen kann.«

»Wohl ein Trader, wie es scheint, der bei Euch seine verkauften Waren erneuern will?«

»Meint Ihr das, weil er zu beiden Seiten des Sattels so große Taschen hängen hat?«

»Ja.«

»So irrt Ihr Euch. Er ist kein Händler, sondern einer unserer vorzüglichsten Scouts, den Ihr kennen lernen müßt.«

»Vielleicht ist mir sein Name bekannt.«

»Wie er eigentlich heißt, weiß ich nicht. Man nennt ihn allgemein den Juggle-Fred, und er hat noch nie etwas gegen diesen Namen eingewendet.«

»Ein eigentümlicher Name! Warum hat er denselben erhalten?«

»Weil er Hunderte von Kunststücken zu machen versteht, über welche man in das größte Erstaunen geraten kann. Die dazu gehörigen Apparate führt er eben in den Euch auffälligen Taschen bei sich.«

»Also ein reisender Taschenspieler, welcher bei Gelegenheit den Führer und Pfadfinder macht?«

»Grad umgekehrt: Ein ausgezeichneter Fährtenläufer, welcher seine Gesellschaft gelegentlich mit Kunststücken unterhält. Wer ihm eine Bezahlung für die letzteren bieten wollte, würde ihn außerordentlich beleidigen. Er scheint mit berühmten Prestidigitateurs gereist zu sein und ist auch der deutschen Sprache vollständig


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mächtig. Warum er nach dem Westen gekommen ist und auch da verbleibt, während er anderswo durch seine Fingerfertigkeit ein steinreicher Mann werden könnte, das weiß ich nicht, geht mich auch nichts an, doch bin ich überzeugt, daß Ihr Euer Wohlgefallen an ihm haben werdet.«

»Das ist sehr wahrscheinlich, weil er des Deutschen mächtig ist. Sagt ihm nur gleich, daß er sich dieser Sprache hier bedienen kann!«

»Natürlich erfährt er das sofort. Seht ihn Euch nur genau an, besonders seine Augen, welche verschiedene Farben haben. Er ist two-eyed

Derjenige, über welchen diese Bemerkungen gemacht wurden, war jetzt nahe herangekommen. Er hielt, nur noch eine kurze Strecke von dem Hause entfernt, sein Pferd an und rief:

»Hallo, alter Lodging-uncle, hast du noch Raum für einen armen Needy-wretch, der seine Zeche nicht bezahlen kann?«

»Für dich ist zu jeder Zeit Platz vorhanden,« antwortete Helmers. »Komm nur heran; steige vom Ziegenbock herab, und mache es dir bequem. Du wirst dich in angenehmer Gesellschaft befinden.«

Der einstige Taschenspieler überflog die Anwesenden mit prüfendem Blicke und meinte:

»Will es hoffen! Unseren Bloody-fox kenne ich bereits. Der Schwarze macht mir keine Sorge. Der andere kleine Gentleman im Frack und Ladieshut scheint auch kein übler Kerl zu sein. Und der dritte dort, der in den Käse beißt, als ob er eine Igelhaut verzehren müsse, nun, hm, den werde ich wohl noch kennen lernen.«

Es war doch eigentümlich, daß auch dieser Mann sofort ein Mißtrauen gegen den Mormonen äußerte. Er trieb sein Pferd vollends heran und sprang aus dem Sattel. Indem er den Wirt wie einen alten Freund mit beiden entgegengestreckten Händen auf das herzlichste begrüßte, konnte Frank ihn genau betrachten.

Dieser Juggle-Fred war eine selbst hier im fernen Westen auffallende Erscheinung. Das erste, was man an ihm bemerkte, war ein bedeutender Höcker, welcher seine sonst wohlgegliederte Gestalt verunzierte. Sein Körper war von mittlerer Größe und sehr kräftig gebaut, nicht kurzleibig, engbrüstig und langarmig, wie es bei den meisten Buckeligen der Fall zu sein pflegt. Sein rundes, volles, glatt rasiertes Gesicht war tief gebräunt, aber auf der linken Seite arg zerrissen, als ob da einmal eine fürchterliche Wunde kunstwidrig zusammengeflickt worden sei. Und sonderbarerweise waren seine Augen ganz auffallend verschieden gefärbt, denn das linke war vom schönsten Himmelblau, während das rechte die tiefste Schwärze zeigte.

Er trug hohe Büffelkalbstiefel von braunem Leder mit großräderigen mexikanischen Sporen, schwarze Lederhose mit eben solcher Weste und darüber ein blusenartiges Wams von starkem, blauem Tuchstoffe. Um seine Lenden war ein breiter Ledergürtel geschnallt, welcher einer sogen. Geldkatze glich und neben den Patronen, dem Messer und einem Revolver, von bedeutendem Kaliber, allerhand Kleinigkeiten enthielt, deren ein Westmann so notwendig bedarf. Weit über die Stirn herein, so daß man diese gar nicht sehen konnte, saß eine ziemlich neue Bibermütze, von welcher der präparierte Schwanz des betreffenden Tieres hinten bis über den Nacken hernieder hing. Hätte der Mann den Höcker nicht gehabt, so wäre seine Erscheinung eine kräftig angenehme, ja vielleicht eine imponierende gewesen.

Sein Pferd war von Helmers scherzhafterweise als Ziegenbock bezeichnet worden, und dieser Vergleich konnte nicht ein ganz grundloser genannt werden. Das Tier war eine außerordentlich hochbeinige und scheinbar sehr abgetriebene Kreatur. An dem nackten Schwanzstummel, welchen es jetzt tief gesenkt hielt, saßen nur noch einige wenige kurze Haare, die eine außerordentliche Anhänglichkeit für die Stelle haben mußten, welcher sie vor langen Jahren entsprossen waren. Ob das Roß einst ein Rappe, ein Brauner oder ein Fuchs gewesen sei, das vermochte man jetzt nicht mehr zu bestimmen, denn sein Körper war an vielen Stellen vollständig kahl, und da, wo Haare noch vorhanden waren, zeigten sie ein so unbestimmtes Grau, als ob der alte Hengst bereits zur Zeit der Völkerwanderung von irgend einem Sueven oder Gepiden geritten worden sei. Von einer Mähne war keine Spur vorhanden. Der unverhältnismäßig große Kopf hing so weit nieder, daß das Maul beinahe die Erde berührte, und schien die langen, dicken und kahlen Eselsohren kaum tragen zu können, welche wie riesige Lederfutterale sich liebevoll bis an die Unterkiefer schmiegten. Dazu hielt das Tier die Augen geschlossen, als ob es schlafe, und wie es so bewegungslos da stand, war es ein unübertreffliches Bild der Dummheit und bemitleidenswertesten physischen Vermögenslosigkeit.

Nachdem der Besitzer dieses Pferdes dem Wirte die Hände gedrückt hatte, fragte er:

»Also Platz hast du für mich? Ob aber auch ein Essen?«

»Natürlich! Setze dich nur her! Hier ist noch Fleisch genug für dich.«

»Danke! Habe mir gestern den Magen verdorben. Rind ist mir heute zu schwer. Ein junges Huhn wäre mir lieber. Kannst du eins schaffen?«

»Warum nicht. Schau her! Da laufen die Backhühnchen in Masse herum.«

Er deutete auf zwei Völkchen junger Hühner, welche unter dem Schutze ihrer mütterlichen Glucken in der Nähe der Tische umhertrippelten, um die herabfallenden Brocken aufzupicken.

»Schön!« nickte Fred. »Ich bitte um eins. Deine House-wife mag es mir vorrichten.«

»Dazu hat sie keine Zeit. So ein Ding zu rupfen, ist nicht nach ihrem Geschmacke. Und die Mägde sind in die Maisfelder gegangen.«

»Wer spricht denn vom Rupfen! Das mute ich niemand zu.«

»Soll das Huhn etwa mit den Federn gebraten oder gebacken werden?«

»Mann, was denkst du von mir! Kennst du mich so schlecht, daß ich dir wie ein Mann vorkomme, welcher nicht weiß, wie man einem Huhne die Federn nimmt? Wenn aber du es noch nicht wissen solltest, so will ich es dir zeigen.«

Er nahm sein Doppelgewehr vom Sattelknopfe, wo er es hängen hatte, legte auf eins der Hühnchen an und drückte ab. Als der Schuß krachte, bewegte sein Pferd nicht einmal eins der geschlossenen Augenlieder. Es schien so stocktaub zu sein, daß es selbst einen in solcher Nähe abgegebenen Schuß nicht hören konnte.

Das Huhn war tot zusammengebrochen. Der Mann hob es auf und zeigte es vor. Es hatte zu aller Erstaunen nicht eine einzige Feder mehr und konnte sofort ausgenommen und gebacken werden.

»All devils!« lachte Helmers. »Dieses Mal hast du mich doch überrumpelt. Konnte es mir doch denken, daß es wieder auf eines deiner Kunststücke abgesehen war. Aber wie hast du das denn angefangen?«

»Mit dem Fernrohre.«

»Unsinn! Hast ja mit der Büchse geschossen.«

»Allerdings. Aber vorher habe ich Euch aus der Ferne durch mein Taschenteleskop beobachtet und auch das junge Hühnervolk


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bemerkt. Natürlich traf ich sogleich Vorbereitung, mich als Tausendkünstler bei Deinen heutigen Gästen einzuführen.«

»Darf man diese Vorbereitung kennen lernen?«

»Warum nicht? Es ist ja nur Spielerei. Lade einen tüchtigen Schuß grobe Iron-filings anstatt der Kugel oder des Schrotes, und ziele so, daß die Ladung den Vogel von hinten nach vorn überfliegt, so werden die Federn, falls sie nicht bereits zu stark sind, vollständig abrasiert und abgesengt. Du siehst, man braucht nicht die schwarze und weiße Magie studiert zu haben, um ein sogenannter Zauberkünstler zu sein. Uebrigens galt es nur, mich mit Effekt bei diesen Gentlemen hier einzuführen; das Hühnchen mag ich nicht. Ich halte mich lieber auch an Deinen Lendenbraten. Hoffentlich ist es erlaubt, mich mit herzusetzen?«

»Natürlich! Diese beiden Gentlemen sind Freunde von mir, gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten!«

»Old Shatterhand?« fuhr der Juggle-Fred auf. »Ist das wahr?«

»Ja. Auch der dicke Jemmy will kommen.«

»Heigh-day! Das ist ja eine Nachricht, wie man sie gar nicht besser hören kann! Habe diesen Old Shatterhand längst einmal zu sehen gewünscht, wenn auch nur so von weitem, denn gegen den muß unsereiner in der Ferne bleiben. Daß dieser Wunsch mir jetzt erfüllt werden kann, ist mir lieber, als ob ich eine Goldbonanza entdeckt hätte. Es freut mich unendlich, daß ich grad zur richtigen Zeit hierher gekommen bin.«

»Ebenso wird es Dich freuen, wenn du erfährst, daß dieser Sir ein Deutscher ist. Er heißt Frank und ist ein Kollege von - - -«

»Frank?« unterbrach ihn der Zauberkünstler. »Etwa gar der Hobble-Frank?«

»Sapperment!« rief da der kleine Sachse. »Sie kennen also meinen Namen? Wie is das eegentlich die Möglichkeit?«

Er hatte deutsch gesprochen; darum antwortete der Juggle-Fred in derselben Sprache:

»Darüber brauchen Sie sich gar nicht zu wundern. Früher waren andere Zeiten; da geschahen gute und schlimme Heldenthaten in Menge hier im fernen Westen, und bei den mangelhaften Verbindungen, welche es gab, kam die Kunde davon nur sehr langsam vorwärts. Aber jetzt, wenn einmal etwas Hervorragendes geleistet wird, fliegt die Nachricht davon im Nu von den Seen bis Mexiko und vom alten Frisco bis nach New York. Ihr kühner Zug nach dem Yellowstonepark ist bereits weit bekannt, und Ihre Namen sind es natürlich auch. In jedem Fort, in jedem Settlement, an jedem Lagerfeuer, an welchem wenigstens zwei bei einander saßen, wurde von Ihrem Ritte und den einzelnen Personen, welche an demselben teilnahmen, erzählt, und so dürfen Sie sich nicht wundern, daß ich Ihren Namen kenne. Ein Fallensteller, welcher hoch droben am Spotted-Tail-Wasser mit Moh-aw, dem Sohne Tokvi-teys, gesprochen hatte und jetzt tief herab nach Fort Arbukle gekommen war, hat allen, die er traf, und zuletzt auch mir die Geschichte so ausführlich erzählt, wie er sie selbst gehört hatte.«

»Hören Sie,« meinte Hobble-Frank, »wer weeß, was da alles vom Spotted-Tail-Wasser bis zum Fort Arbukle an die Geschichte gehängt worden is. Da wird aus eener Maus een Eisbär, aus eenem Regenwurm eene Riesenschlange und aus eenem bescheidenen Biberjäger zuletzt gar een hoch berühmter Hobble-Frank. Ich will's ja gern zugeben, daß mir die reenen Herkulesse und Minotaurusse gewesen sind, aberst mehr, als wahr is, das laß ich mir nich gern nachsagen. Den Helden ziert die Tugend der rückhaltlosesten Bescheidenheit. Darum muß ich alles hinzugefügte offs schtrengste von mir abweisen und mich mit dem Krönungsmantel meiner eegenen persönlichen Würde und Vorzüglichkeet begnügen. Wenn man das nich thäte, so getraute es sich zuguterletzt keen Mensch mehr mit unsereenem zu schprechen und zu reden. Darum habe ich den Beschluß gefaßt, so herablassend und populär wie möglich zu sein, und ich hoffe, daß Sie das bei meinen berühmten Kenntnissen und Begebenheeten doppelt anerkennen werden. Weiter will ich an dieser Schtelle und zu dieser Schtunde gar nichts sagen, denn schon Nebukadnezar, welcher der Gott des Donners bei den alten Deutschen war, hat gesagt: Reden is bloß Silber, Schweigen aber is een Fufzigmarkschein!«

Fred machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht und blickte Helmers fragend an. Dieser raunte ihm die erklärenden Worte »ein liebenswürdiges Original« zu, worauf der Jugglemann nun wußte, wie er sich zu verhalten habe. Darum sagte er, indem er die treuherzigste und unbefangenste Miene zeigte:

»Es bedarf gar keiner Erklärung von Ihrer Seite. Ich habe bereits von dem erwähnten Berichterstatter vernommen, welch ein Ausbund von Bescheidenheit Sie sind. Das stellt natürlich Ihre Vorzüge in ein dreifach helles Licht und verzehnfacht mein Vergnügen, Sie hier kennen zu lernen. Ich wünsche von ganzem Herzen, als Freund von Ihnen an- und aufgenommen zu werden. Bitte, geben Sie mir Ihre Hand!«

Der streckte Frank die Hand entgegen. Dieser aber zog die seinige schnell zurück und antwortete:

»Halt, mein Bester, nich gar zu eilig! Was die Freundschaft betrifft, so nehme ich sie sehr ernst, denn sie is dasjenige der tragischen Temperamente, off welchem das erhabene Wohlbefinden der chemisch sophistischen Geistesbeziehungen aller irdischen Harmonie beruht. Ich habe da sehre trübe Erfahrungen gemacht und werde mich in Zukunft nur erst nach langer und eingehender Prüfung mit eener Seele vereinigen, die sich mit der wahren und wirklichen Bildung zusammengeschmolzen hat. Die Halbbildung verursacht doch nur unreenes Blut. Wenn ich mir eenmal een Möbelmang koofe, so muß es ooch von echtem Nußboom sein. Und grad so is es in Beziehung off das seelisch animalische Gebiet der freundschaftlichen Depressionen. Ehe wir nun uns also Schmollis und Vizudit nennen, muß ich Sie erscht genauer kennen lernen.«

»Ganz wie Sie wollen, Master Frank! Ich gebe Ihnen im allgemeinen sehr recht, zweifle aber auch keinen Augenblick daran,


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daß wir uns recht bald innig zugethan sein werden.«

»Das möchte ich vielleicht ooch glooben, denn ich habe da von Herrn Helmers erfahren, daß Sie een weitgereister und kunstsinniger Mann sind. Sie sollen ja der reenste Bosco sein!«

»Bosco? Haben Sie von diesem Künstler gehört?«

»Nur gehört? Gesehen habe ich ihn sogar und mit ihm gesprochen!«

»Ah! Wo denn?«

»Nun, Sie wissen vielleicht, daß er in der Nähe von Dresden gewohnt hat, wo er dann bei seinem Tode ooch gestorben is. Dort kannte ihn jedermann. Er kam ooch zuweilen nach Moritzburg, um sich die dortigen Ledertapeten und Hirschgeweihe im Jagdschlosse anzusehen. Wissen Sie, es gibt dort Geweihe von 24 bis 50 Enden und sogar eenen gradezu menschtrösen Sechsundsechzigender. Nachher pflegte er schtets im Gasthofe á la Quarte zu schpeisen. Ich war ooch oft da, weil ich dort mit dem Schulmeester, dem Nachtwächter und dem Hausknechte unser akademisch-linguistisch-phänomentales Kränzchen abhielt. Wir waren vier durschtige Geister, die nach Höherem schtrebten und Verlangen trugen, aus den halluzinatorischen Rhomboiden des Alltaglebens in eene lichtere Vivisektion empor zu schweben. Dort nun traf ich ooch eenmal mit dem berühmten Bosco zusammen. Er saß vorn und ich hinten, aberst unsere Regenschirme schtanden höchst vertraulich nebeneinander. Ich ging eher fort als er und vergriff mich falsch, denn ich kriegte seinen seidenen Parapluie in die Hand und ließ dafür meinen scharlachwollenen mit blauer Kante liegen. Er bemerkte es noch zur richtigen Zeit und rief mir zu: »Dummkopf, machen Sie doch die Augen auf! Meinen Sie etwa, daß ich Ihr feuerrotes Vizinaldach nach Dresden schleppen soll!« Ich wechselte natürlich die Verwechselung sofort wieder um, sagte eenige entschuldigende, geistreiche Worte, machte ihm eene tiefe, höfliche Referende und schwenkte mich befriedigt zur Thüre hinaus. Dem Laien mögen seine Worte vielleicht nich grad übermäßig höflich vorkommen; der Eingeweihte aberst weeß sehr genau, daß so een großer Geist nur in geflügelten Worten schpricht, an welche een intermeetierend sensitiverer Maßschtab gelegt werden muß. Sie als gebildeter Erdenbürger und geographisch politischer Schutzverwandter werden das begreifen und mir das Testimonikum pauperenzia geben, daß ich mit dem allergrößten Rechte schtolz off diese Abendunterhaltung mit dem großen Künstler sein kann.«

»Gewiß, das bestätige ich,« nickte der Juggle-Fred.

»Schön! ich danke Ihnen! Aus dieser Ihrer einschtimmigen Bereitwilligkeet zur Befestigung meiner angeschtammten Ehre und Remuneration ersehe ich mit scharfem Blicke, daß die Natur Sie ooch mit eenigen Gaben bedacht hat, welche noch zur schönsten Entwickelung kommen können, wenn Sie sich entschließen wollen, die westgotisch-byzantinische Loofbahn zu betreten, welche ich mit siegreichen Schritten zurückgelegt habe. Wenn Ihr geistiges Ahnungsvermögen vielleicht eenmal in eener philosophischen Attitüde schtecken bleiben sollte, so wenden Sie sich nur getrost an mich; ich werde Ihnen mit Vergnügen beischpringen und Sie sofort von der niederträchtigen Philomele befreien.«

»Philomele? Wieso?«

»Wissen Sie nich was Philomele is?«

»O doch. Es ist der dichterische Name für die Nachtigall.«

»Nachtigall? Sind Sie denn bei Troste! Was hat denn die Nachtigall mit der Hölle zu thun? Philomele war der Höllenhund, welchen der Cerberus zwischen seinen Beenen totgedrückt hat.«

»Ach so!« meinte Fred, welcher sich anstrengen mußte, sein Lachen zu verbeißen. »Und wer war denn der Cerberus?«

»Das wissen Sie ooch nich? Nun, da können Sie von mir freilich gewaltig profitieren. Der Cerberus war eener von den beeden Dioskuren, welche die Schutzpockenimpfung erfunden haben. Der andere Dioskur war derjenige, welcher nach der Schlacht an der Alma sagte: >Jedem ein Ei, aber dem braven Silbermann zwei, denn er hat die Ziehharmonika erfunden!< Solche Oogenblicke aus der vergangenen Weltgeschichte - - -«

»Sie meinen wohl nicht die Ziehharmonika,« fiel Fred ein. »Silbermann war ein Orgelbauer, welcher in Frauenstein in Sachsen geboren wurde.«

»Ganz richtig, ganz richtig! Aber eben weil er Orgelbauer war, is es ihm so leicht geworden, die Ziehharmonika zu erfinden. Er hat die erschte zu Napoleon gebracht, um sie ihm zu schenken; der aber hat ihn mit derselbigen schtolz wie een dummer Schpanier abgewiesen. Schpäter aber mußte er es bitter bereuen. Er wurde in der Völkerschlacht bei Cannä gefangen und von den Engländern nach der Felseninsel St. Helena geschafft. Unterwegs sagte er zum alten Derfflinger, der ihm alleene treu geblieben war: >Als ich Silbermann mit seiner Ziehharmonika aus Kalkutta wies, habe ich meine Kaiserkrone weggeworfen.<«


Ende des vierten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Geist der Llano estakata