Nummer 24

Der
Gute Kamerad

Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung.

10. März 1888

Der Geist der Llano estakata.

Von K. May, Verfasser von »Der Sohn des Bärenjägers«.


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Der Tag hatte sich nämlich indessen zur Rüste geneigt, und die Dämmerung, welche in jenen Gegenden eine außerordentlich kurze ist, war hereingebrochen. Es war bereits so düster, daß man nicht mehr sehr weit zu sehen vermochte. Bob und Bloody-Fox hatten trotz des sehr anregenden Gespräches den Mormonen stets im Auge behalten. Dieser war bemüht gewesen, sich so zu stellen, als ob er gar nicht auf das Gespräch achte, und da die anderen wohl der Meinung waren, daß ein Mormone, dessen ganzes Wesen ihn als Yankee erschienen ließ, die deutsche Sprache wenig oder gar nicht verstehe, so hatten sie so laut gesprochen, daß es ihm möglich war, jedes Wort zu verstehen.

Zu den Ueberschwenglichkeiten des Hobble-Frank hatte er keine Miene verzogen, und das war ganz geeignet, den Glauben


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zu verstärken, daß er überhaupt nichts verstehe. Aber sobald die Rede auf die Diamantfelder gekommen war, war er auf seiner Bank langsam und unmerklich näher gerückt. Und als dann der Juggle-Fred von den sechs Männern sprach, welche er durch die Llano estakata führen sollte, hatten seine Züge den Ausdruck großer Spannung angenommen. Bei der Bemerkung, daß diese sechs viel Geld bei sich zu führen schienen, hatte ein Lächeln der Befriedigung um seine dünnen Lippen gespielt, was aber wegen der eingetretenen Dämmerung nicht zu bemerken gewesen war.

Zuweilen hatte er den Kopf erhoben, als ob er horche, und seinen Blick ungeduldig nach der Gegend gerichtet, aus welcher er gekommen war. Er wußte, daß er sich so ziemlich als einen Gefangenen zu betrachten habe, denn die Augen des Negers blieben beständig auf ihn gerichtet. Auch daß der Bloody-Fox ihn scharf fixierte, bemerkte er. Es wurde ihm von Minute zu Minute unheimlicher. Er mußte an die Drohung des Negers denken, und er traute dem Schwarzen die Ausführung derselben zu.

Jetzt nun, da es fast dunkel geworden war, schien es ihm möglich zu sein, sich schnell auf und davon machen zu können, was später sicher viel schwieriger auszuführen war, da Bob wohl bei völliger Dunkelheit irgend eine Maßregel ergreifen werde, welche geeignet war, ihn nicht entkommen zu lassen. Darum langte er jetzt nach dem Päckchen, welches er mitgebracht hatte, und zog es allmählich zu sich heran. Er wollte dann plötzlich aufspringen und mit schnellen Sprüngen um die Ecke des Hauses biegen. War er einmal hinter dem dort stehenden Gesträuch verschwunden, so hatte er irgend welche Verfolger wohl kaum mehr zu fürchten.

Aber er hatte sich in Bob verrechnet. Dieser war wie die meisten Neger, welche einen einmal gefaßten Entschluß mit größter Beharrlichkeit zu verfolgen pflegen. Der Schwarze hatte wohl bemerkt, daß der Mormone sich des Päckchens zu versichern strebte und erhob sich, eben als der letztere aufspringen wollte, so schnell von seinem Sitze, daß er Helmers fast umgerissen hätte. Daher die Frage des Wirtes an ihn, was es denn gebe. Bob antwortete:

»Masser Bob haben sehen, daß Dieb fort wollen. Greifen schon nach Paket. Wollen schnell entspringen. Masser Bob aber ihn auf anderem Grund und Boden niederschlagen, darum mit ihm gehen und ihn nicht aus den Augen lassen.«

Er setzte sich auf das äußerste Ende der Bank, so daß er sich, obgleich der Mormone am anderen Tische saß, ganz nahe bei demselben befand.

»Laß den Kerl lieber laufen!« mahnte der Wirt. »Er ist es vielleicht gar nicht wert, daß du so auf ihn achtest.«

»Massa Helmers haben recht. Er es nicht wert sein, aber Geld es wert sein, welches er haben gestohlen. Er nicht fortkommen, ganz gewiß nicht ohne Begleitung von Masser Bob!«

»Wer ist denn eigentlich dieser Kerl?« fragte der Juggle-Fred leise. »Er hat mir gleich im ersten Augenblick nicht gefallen. Er hat ganz das Aussehen eines Wolfes, welcher im Schafskleide umherläuft. Als ich ihn erblickte, war es mir ganz so, als ob ich diese scharfe, spitze Physiognomie schon einmal gesehen haben müsse, und zwar unter Umständen, welche nicht günstig für ihn sprechen.«

Helmers erklärte ihm, weshalb Bob es so nachhaltig auf den Verdächtigen abgesehen habe, und fügte hinzu:

»Auch Bloody-Fox scheint sich mehr, als er merken lassen will, mit dem Manne zu beschäftigen. Oder nicht?«

»Well!« antwortete der junge Mann. »Dieser Heilige der letzten Tage hat mir etwas gethan, und zwar etwas sehr Schlimmes.«

»Wirklich? Was denn? Warum stellst du ihn nicht zur Rede?«

»Weil ich nicht weiß, was es gewesen ist.«

»Das wäre doch sonderbar. Wenn du so überzeugt bist, daß er dir etwas so Böses zugefügt hat, so mußt du doch auch wissen, was es ist.«

»Eben das kann ich nicht sagen. Ich habe mir fast das Gehirn zermartert, um mich zu erinnern, aber vergebens. Es ist mir, als ob ich das Entsetzliche geträumt und die Einzelheiten des Traumes wieder vergessen habe. Und wegen einer solchen unbestimmten, nebelhaften Ahnung kann ich mich doch nicht an den Kerl machen.«

»Das begreife ich nicht. Was ich weiß, das pflege ich zu wissen. Von nebelhaften Ahnungen ist bei mir niemals die Rede. Uebrigens ist es dunkel geworden. Gehen wir hinein in die Stube?«

»Nein, denn das Haus ist diesem Kerl verboten, und ich muß ihn beobachten. Darum bleibe ich hier. Vielleicht fällt es mir doch noch ein, was ich mit ihm auszugleichen habe.«

»So will ich wenigstens für genügende Beleuchtung sorgen, damit er sich nicht dennoch davonschleichen kann.«

Er ging in das Haus zurück und kehrte bald mit zwei Lampen wieder. Diese bestanden sehr einfach aus blechernen Petroleumkannen, aus deren Oeffnungen ein starker Docht hervorsah. Glascylinder und Schirm gab es nicht dabei. Dennoch reichten die beiden dunkel lodernden und stark qualmenden Flammen vollständig aus, den Platz vor der Thür zu erleuchten.

Eben als der Wirt die Lampen an zwei Baumäste gehängt hatte, ließen sich Schritte hören, welche sich von daher näherten, wo die Maisfelder lagen.


Ende des sechsten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Geist der Llano estakata