Lieferung 58

Karl May

3. Oktober 1885

Der verlorne Sohn
oder
Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.


// 1369 //

»Ja, der Intendant ist selbst bei mir gewesen.«

»O weh! Da hat er ja Ihre Frau gesehen.«

»Ja, und das hat ihm als Scheinursache zu meiner Entlassung gedient. Im Grunde genommen aber ist doch nur meine Emilie schuld.«

»Wieso?«

»Heute Abend wird der Stern des Harems gegeben. Die Darstellerin der Lieblingsfrau ist krank geworden, und meine Tochter sollte sich an ihrer Stelle fast splitternackt vor tausend Menschen auf die Bühne legen.«

»Sie hat es nicht gethan?«

»Nein, bewahre. Und darum habe ich den Laufpaß erhalten. Ich bin ohne Brod und Stelle und Verdienst.«

»Und gerade darum trinken Sie chinesischen Thee, die Tasse zu zwanzig Kreuzer?«

»Nicht darum, sondern trotzdem! Ich will das Unglück ärgern. Gerade weil ich kein Geld verdienen soll, werfe ich es zum Fenster hinaus!«

»Sie sind ein sehr leichtsinniger, junger Mensch!« lachte Holm, der sich freute, den Mann endlich einmal bei guter Laune zu sehen.

»Ja, nennen Sie mich immerhin leichtsinnig! Sie haben vollständig Recht. Da verschwende ich mein Geld mit Leckereien, und Ihnen bin ich vierzehn Gulden schuldig!«

»Oh, oh, so war es nicht gemeint!«

»Ich weiß es; aber wer Karawanenthee trinkt, der muß auch seine Schulden bezahlen können. Hier haben Sie, und zwar mit meinem allerbesten Danke!«

Er zog den Beutel und legte vierzehn Gulden hin.

»Papa Werner, wo denken Sie hin!« sagte Holm.

»Nehmen Sie nur!«

»Ich brauche es nicht!«

»Aber ich bin es Ihnen schuldig!«

»Es hat noch Zeit!«

»Aber ich habe es übrig!«

»Das sollte mich freuen! Heute morgen konnten Sie nicht so sagen. Sie müssen doch ein Glück gemacht haben!«

»Ja, ich bin ein halber Crösus geworden.«

»Wieso?«

»Ich habe meine Tochter verhandelt.«

Er sprach dies nur im Scherze; er hatte keine Ahnung, daß es wirklich ein ernstes Verschachern gewesen sei.

»Das müssen Sie mir erklären.«

»Nun, sie hat sich vermiethet und einen schönen Lohn vorausbezahlt erhalten.«

»Wieviel denn, wenn man fragen darf? Wenn Sie mir vierzehn Gulden geben können, so muß der Lohn, den Emilie erhält, ein sehr hoher sein.«


// 1370 //

Als der Alte ihm den Betrag nannte, konnte er seine Verwunderung nicht verbergen. Er bemerkte:

»Das ist sehr ungewöhnlich! Bei wem dient sie?«

»Ich will es Ihnen erzählen.«

Werner berichtete ihm, wie es mit dem Engagement seiner Tochter zugegangen war. Holm faßte Mißtrauen, ja sogar Verdacht gegen diesen Circusdirector, doch ließ er sich gegen den braven Alten nichts merken, um ihn nicht in Angst und Sorge zu versetzen und um seine gegenwärtige gute Stimmung zu bringen.

Noch als sie über diesen Gegenstand plauderten, kam ein neuer Gast, welcher, als er Holm erblickte, ihn mit einer Art respectvoller Vertraulichkeit grüßte.

Er war noch jung, vielleicht kaum über zwanzig Jahre, kurz, dick und fleischig gebaut, mit feuerrothem Haar und einem schneeweißen, mädchenhaften Teint. Auf seinem vollen Gesichte lag ein Ausdruck unverwüstlicher Schalkhaftigkeit. Man mußte sich beim ersten Anblicke desselben sagen, daß dieser junge Mann wohl sehr gern lustige Streiche begehe.

Holm winkte ihn zu sich und sagte:

»Wollen Sie sich nicht zu uns setzen, lieber Hauck?«

»Wenn Sie erlauben, herzlich gern!«

»Kennen sich die Herren vielleicht?«

»Ich wenigstens kenne den Herrn Theaterdiener Werner.«

»Und ich werde wohl Ihren Namen hören,« meinte der Genannte.

»Ein College von mir,« sagte Holm. »Sie wissen doch, daß ich bisher zum Tanze spielte?«

»Ja, ja.«

»Nun, Herr Hauck ist unser Paukenschläger und zugleich der Hauptspaßvogel unseres Orchesters. Er hat mehr Wirbel und Fanfaren im Kopfe als auf dem Notenblatte, und wenn Sie sich bei ihm in Gunst setzen und ihm zugleich eine große Freude machen wollen, so geben Sie ihm Gelegenheit zu einem dummen Streiche. Er führt ihn sicher aus.«

»O, Gelegenheit gäbe es wohl, aber der Stoff fehlt leider,« bemerkte Werner so obenhin.

Holm aber nahm diese Worte sofort auf und fragte:

»Welche Gelegenheit meinen Sie?«

»Hm! Man spricht nicht davon.«

»Wir plaudern nichts aus!«

»Das weiß ich. Ich meine unser Theater.«

»Ja, da giebt es sehr faule Punkte.«

»Könnte ich doch einmal einem dieser Herren einen Streich, aber einen gehörigen Streich spielen!« seufzte Werner auf. »Wie gern thäte ich das?«

Der Paukenschläger lächelte überlegen vor sich hin und sagte:

»Wer einem Anderen in Wirklichkeit einen Possen spielen will, der findet stets Gelegenheit und Stoff.«


// 1371 //

»Dieser Intendant, der Balletmeister, der Claqueur, der Kapellmeister, das sind lauter -«

»Halt!« fiel da Holm schnell ein. »Sie haben den Claqueur erwähnt, diesen Léon Staudigel. Da kommt mir eine Gedanke, ein prächtiger Gedanke!«

»Ein Jux?« fragte Hauck erwartungsvoll.

»Ja.«

»Lassen Sie mich dabei sein!«

»Wollen sehen. Zeigen Sie einmal Ihre Hände, Ihre Zähne, Ihre Ohren. So! Zufriedenstellend!«

»Das klingt ja gerade, als ob Sie mich als Haremshüter auf den Sclavenmarkt bringen wollten.«

»Etwas von Harem ist dabei.«

»Sapperment! Sie machen mich neugierig!«

»Sagen Sie einmal, Hauck, haben Sie in Ihrem Leben schon einmal Austern gegessen?«

»Linsen, ja, Austern noch nicht.«

»Caviar?«

»War nicht so frei!«

»Champagner getrunken?«

»Uebergelaufene Milch war bisher meine größte Wonne. Höher kam ich nicht.«

»Hm! Möchten Sie das nicht einmal versuchen?«

»Bin sofort dabei! Aber, da läuft mir eine ganze Pfütze im Munde zusammen, und was ist es, Sie scherzen doch nur.«

»Nein. Ich lade Sie in aller Wahrheit und Wirklichkeit ein zu einem hochfeinen Souper zu dreißig, fünfzig und auch noch mehr Gulden. Es kommt ganz auf das Talent an, welches Sie zeigen.«

»Ihre Person in Ehren, Herr Holm! Sie wissen, daß ich Sie hochachte, denn Sie sind kein gewöhnlicher College und Bierfiedler. Aber, bitte, sagen Sie mir einmal im Vertrauen: Sind Sie vielleicht übergeschnappt?«

»Nein.«

»Oder haben Sie eine Seeschlange im Kopfe?«

»Auch nicht.«

»Dann wollen wir lieber von diesem Thema abbrechen.«

»Warum?«

»Sie reden nicht im Ernste.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich es ganz gewiß so meine, wie ich es sage!«

»Alle Teufel! Jetzt weiß ich wirklich nicht, woran ich bin und was ich denken soll!«

»Denken Sie an ein hochfeines Abendessen! Voran kommt Triester Fisch- oder New-Yorker Turtlesuppe. Machen Sie mit oder nicht?«

»Ich fische und turtle auf alle Fälle mit.«

»Sodann kommt Gans, Ente, Hase, Rehrücken, Hirsch, Wildschwein,


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Rheinlachs, Lendenbraten, Rostboeuf, kurz und gut, Alles, was Sie sich nur wünschen, kalt oder warm, in größter Auswahl.«

»Mir wird es schon jetzt eiskalt und brühwarm.«

»Dazu alle Sorten Weine, ganz so, wie Sie die Wahl treffen.«

»Wollen Sie mich in's Schlaraffenland expediren?«

»Nein, sondern nur nach dem Bellevue.«

»Sapperment, dort soll es eine feine Küche geben, wie ich gehört habe. Gesehen habe ich sie freilich nicht und zu schmecken bekommen noch viel weniger.«

»Und das Alles haben Sie umsonst.«

»Desto billiger ist es.«

»Sie werden sogar mit Equipage abgeholt.«

»Ich kenne mich schon jetzt nicht mehr.«

»Und vom Wirthe selbst bedient.«

»Welch' ein feiner Kerl bin ich! Aber Etwas, Etwas muß man doch von mir verlangen!«

»Das ist freilich wahr.«

»Nun, was denn?«

»Einige Umarmungen und vielleicht einige Küsse.«

»Donnerwetter! Ist 'sie' hübsch?«

»Etwas über fünfzig Jahre alt.«

»Pfui Teufel!«

»Na, für so ein Abendessen kann man sich schon einmal überwinden!«

»Richtig! Also umarmt und geschmatzt soll sie werden! Aber Knoblauch darf sie nicht vorher gegessen haben.«

»Das fällt ihr gar nicht ein.«

»So will ich thun, was ich thun kann. Nur während des Essens muß sie mich in Ruhe lassen.«

»Sie sagen immer 'sie', aber es ist keine 'Sie', mein lieber Hauck.«

»Was denn?«

»Ein 'Er'.«

»O weh! Aber das ist doch nicht möglich!«

»Sogar wirklich!«

»Ich soll einen Kerl umarmen und küssen?«

»Nein.«

»Aber Sie sagten es doch!«

»O nein! Sie sollen nichts thun; Sie sollen sich leidend verhalten. Sie sollen weder umarmen noch küssen, sondern Sie sollen umarmt und geküßt werden.«

»Von einem Fünfzigjährigen?«

»Ja.«

»Nehmen Sie es mir nicht übel! Das geht noch über das Kasperltheater. Denn daß Sie nur Spaß machen, das glaube ich nun nicht mehr, seit Sie mir Ihr Wort gegeben haben. Dieses pflegen Sie in Ehren zu halten.«


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»Vielleicht fällt ein Lichtstrahl in Ihre Geistesfinsterniß, wenn ich Sie frage, ob Sie sich vielleicht schon einmal als Mädchen verkleidet haben?«

»O, öfters schon! Zu Fastnacht! Man hat mich ja allgemein für ein Mädchen gehalten. Ich bin so gebaut, daß ich beinahe ausgeschnitten gehen könnte. Ich hätte die erforderliche Gestalt zu einem Damenkomiker.«

»Schön! Wie sind Ihre Arme?«

»Voll und rund wie bei der Melusine.«

»Aber die Stimme.«

»Habe keine Sorge! Ich habe eine famose Fistelstimme, welche gerade wie die natürliche klingt. Ueberdies braucht man sich nur auf's Flüstern zu verlegen. Aber, sagen Sie, das klingt ja gerade, als ob ich mich bei diesen famosen Souper als Dame verkleiden solle?«

»So ist es auch.«

»Famos, famos! Ich beginne zu ahnen! Es ist ein fader, alter Geck im Spiele.«

»Errathen!«

»Der eine nicht zu sehr Spröde zu diesem splendiden Abendessen eingeladen hat?«

»Ganz so ist es.«

»Und ich soll an Stelle dieser Schönen treten?«

»Sie besitzen ein wunderbares Sehervermögen.«

»O, meine Eßwerkzeuge sind noch wunderbarer. Aber, sagen Sie, ist keine Gefahr bei der Sache?«

»Nicht die mindeste.«

»Man wird mich doch nicht etwa beim Schlafittchen nehmen!«

»Das fällt Niemandem ein. Der Betreffende wird ganz im Gegentheile sehr froh sein, wenn von der Sache nichts ausgeplaudert wird.«

»Darf ich nach dem Namen fragen?«

»Ja. Hierbei wird sich unser Papa Werner auch mit interessirt fühlen. Nämlich die Tänzerin Leda - ah, haben Sie von dem morgigen Wetttanze gehört, Hauck?«

»Ja. Ich weiß Alles.«

»Gut. Herr Léon Staudigel stellt der Leda seine ganze Truppe zur Verfügung, während keiner der Seinen die Amerikanerin beklatschen darf.«

»Chikane!«

»Dafür hat die Leda ihm versprechen müssen, ein süßes Schäferstündchen mit ihm zu verleben.«

»Wann?«

»Morgen gleich nach der Vorstellung. Für dieses Liebesabenteuer ist im Bellevue das besagte Abendessen bestellt worden. Staudigel und die Leda wollen also dort gegen elf Uhr per Equipage angefahren kommen.«

Und ich soll an Stelle der Leda treten.

»Und ich soll an Stelle der Leda treten?« fragte der Paukenschläger.

»Ja.«

»Wer hat diesen Plan ausgeheckt?«


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»Er kam mir erst soeben in den Sinn.«

»Ich habe diesen alten Staudigel verteufelt auf dem Puff! Ich möchte ihm gern diesen Streich spielen; aber der Jux erscheint mir denn doch zu gewagt.«

»Was sollte zu befürchten sein?«

»Wenn er mich anzeigt, verklagt!«

»Das fällt ihm gar nicht ein. Seine Frau darf von dem Souper gar nichts ahnen; sie würde es aber unbedingt erfahren, wenn er gegen Sie auftreten sollte. Ferner muß er das Publikum fürchten. Denken Sie sich den Skandal, wenn man erführe, daß Herr Léon Staudigel ein süßes tête-à-tête für sechszig Gulden mit einem - Paukenschläger gehabt habe!«

»Das ist wahr. Ich glaube, er würde mir noch ein feines Trinkgeld geben, damit ich nur den Mund halte.«

»Ganz gewiß. Da wette ich mit.«

»Es giebt doch auch noch andere Bedenken.«

»Welche?«

»Besonders eins: Er muß doch sofort sehen, daß ich überhaupt gar keine Dame und am allerwenigsten die Leda bin. Er müßte denn morgen blind sein.«

»Das wird er auch sein, wenigstens in gewisser Beziehung. Ich habe nämlich vergessen, zu sagen, daß Niemand wissen soll, wer die Beiden sind. Darum werden sie Masken tragen.«

»Sapperment, das ist kein übler Gedanke.«

»Es werden Halbmasken sein, da sie auch während des Essens nicht abgelegt werden. Der dabei bedienende Wirth soll die Beiden auch nicht erkennen. Er weiß es aber bereits, wer sie sind.«

»Haben Sie es ihm verrathen?«

»Ja. Erst wenn er sich entfernt hat, also nach der Tafel, wird Staudigel die Entfernung der Maske verlangen, denn dann werden die Liebenswürdigkeiten in Scene gesetzt werden sollen. Wenn Sie sich entschließen könnten, diese Rolle zu übernehmen, wäre Ihnen eine feine Gratification gewiß.«

»Von wem?«

»Vom Fürsten von Befour.«

»Sapperment! Kennen Sie ihn?«

»Sehr gut.«

»Steckt er mit im Complotte?«

»Ja.«

»Hm, wenn der dabei ist, so brauche ich freilich nichts zu fürchten. Die Sache ist ganz und gar nach meinem Geschmacke: Gutes Essen, feines Getränk, noble Bedienung, eine Extragratification und, was die Hauptsache ist, der ungeheure Jux, den es mir selber macht. Ich möchte also gern und gut Ja sagen aber - wo nehme ich die dazu erforderliche Damengarderobe her?«

»Dafür wird gesorgt. Daß wir dem Staudigel einen Streich spielen wollen, und zwar während dieses Abendessens, das weiß der Fürst; von meinem gegenwärtigen Plane aber hat er keine Ahnung. Ich werde morgen früh mit


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ihm darüber sprechen. Bis dahin haben auch Sie Zeit, sich zu überlegen, ob Sie wollen oder nicht.«

»Schön! Aber ich denke mir, daß ich wollen werde. Wer weiß, ob ich in meinem ganzen Leben wieder einmal Gelegenheit zu solch' einem Schwank und zu einem so hochfeinen Abendbrote bekomme. So etwas darf man nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Ich kam eigentlich hierher, um etwas zu essen, nun aber werde ich das nicht thun. Ich habe zu Mittag wenig gegessen und werde nun direct bis morgen Abend hungern. Wenn es mir einfällt, trinke ich sogar einen Topf voll Aloë mit Sennesblättern aus, um mir den Speisekanal ja ganz leer zu machen. Dann soll dieser Herr Baron von Staudigel einmal sehen, wie Mademoiselle Leda einhauen kann. Er soll denken, er habe eine ganze Companie Gardekürassiere zum Essen geladen.«

Es wurde noch Manches hin und her besprochen, dann machte zuerst Vater Werner Miene aufzubrechen. Holm erklärte, daß er ihn eine Strecke begleiten werde. -

Als sie dann miteinander langsam die Straße entlang schritten, sagte Holm zu dem Alten:

»Sie glauben heute in dem Engagement ihrer Tochter ein Glück gefunden zu haben; ich will das keineswegs bestreiten; aber vielleicht habe ich eine Mittheilung für Sie, welche ein viel größeres und zweifelloseres Glück für Sie und Ihre ganze Familie enthält.«

»Was wäre das? Sprechen Sie, mein lieber Herr Holm!«

»Ich bin ganz im Stillen für Ihre Laura thätig gewesen.«

»Oh, ist das wahr?«

»Ja. Ich habe einige Erfolge gehabt.«

»Herrgott! Das wäre allerdings ein großes, großes Glück!«

»Ich habe seit heute sogar Hoffnung, daß Ihnen Ihre Tochter recht bald wiedergegeben wird!«

»Das wohl schwerlich!«

»Warum?«

»Sie hält nicht um Gnade an.«

»Das ist ganz recht; sie braucht keine Gnade.«

»Und doch sagen Sie, daß es möglich sei, sie bald in Freiheit zu sehen?«

»Ja, das sage ich.«

»So müßte Ihre Unschuld erwiesen sein!«

»Ich denke, daß es uns gelingen wird, diesen Beweis zu führen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen etwas Bestimmtes anvertrauen darf, mein lieber Papa Werner?«

»Thun Sie es, o thun Sie es!«

»Sie müßten aber schweigen, unverbrüchlich schweigen, wenigstens bis übermorgen.«

»Gern, o gern! Ich schwöre Ihnen alle Eide, daß kein Mensch von mir ein Wort erfahren soll!«

»Gut! So wissen Sie denn, daß wir vorhin das Kind Laura's gefunden haben!«


// 1376 //

»Herr, mein Heiland! Wo war es denn?«

»Das ist Nebensache. Sodann haben wir auch entdeckt, wer die Mutter des ermordeten Mädchens ist, dessen Tod Ihre Tochter auf das Zuchthaus gebracht hat.«

»Wer ist sie?«

»Auch davon später. Ich will Ihnen nur im Vertrauen noch mittheilen, daß vorhin bereits zwei sehr gefährliche Personen in dieser Angelegenheit verhaftet sind. Weiter dürfen meine Mittheilungen nicht gehen.«

Der Alte ergriff Holms beide Hände und fragte:

»Sie geben mir also wirklich die Hoffnung, meine Tochter baldigst frei und ihre Ehre hergestellt zu sehen?«

»Ich gebe Ihnen nicht nur die Hoffnung, sondern sogar die Gewißheit. Und was ich sage, hat seinen guten Grund.«

Da brachen Werners Thränen gewaltsam hervor. Ehe Holm es zu hindern vermochte, hatte der Alte dessen Hände geküßt und stammelte schluchzend:

»Gott segne Sie viele tausend, tausend Male, Herr Holm, für die Freude, welche Sie mir durch diese Worte machen. Ich kann es Ihnen nicht vergelten!« -

Als der Fürst von Befour nach Hause kam, ließ er Petermann sogleich zu sich kommen. Dessen Äußeres hatte in der kurzen Zeit eine außerordentliche Änderung erlitten. Der Zug des Leidens, des Entsagens war verschwunden; das Auge hatte seinen Glanz zurück erhalten; die Haltung war eine stramme und der Gang ein elastischer geworden. Auf seinem jetzt lebhaften Gesichte war, als er jetzt vor dem Fürsten stand, die größte Ehrfurcht, Liebe und Hingebung für seinen neuen Herrn geschrieben. Dieser sagte:

»Ich habe es bisher sorgfältig vermieden, an Ihrer Vergangenheit und den Geheimnissen zu rütteln, welche in Ihrer Brust verborgen liegen. Heute nun aber bietet sich mir eine sehr ernste Veranlassung, dieses mein Schweigen einmal zu brechen. Daß Sie unschuldig verurtheilt wurden, daß Sie sich aufgeopfert haben, davon bin ich überzeugt. Sind Sie gewillt, die Unehre auf sich ruhen zu lassen?«

»Ich werde nicht das Geringste thun, mich zu rechtfertigen, wenn auch der Eine, dessen Pflicht es ist, mir meine Ehre zurückzugeben, sich dieser Pflicht nicht mehr erinnert.«

»Ich kann Ihren Entschluß weder loben noch tadeln; aber ich muß Sie fragen, ob Sie Denen, die Ihnen und Ihrem Kinde wohlwollen, dasselbe Schweigen und dieselbe Unthätigkeit auferlegen wollen.«

»Nur meine Hände sind gebunden. Das Wohlwollen Anderer aber kann, darf und will ich nicht von mir weisen.«

»Das genügt, mein lieber Petermann. Haben Sie eine gewisse Wartensleben wiedergesehen?«

»Ja.«

»Ah, also doch! Werden Sie morgen das Ballet besuchen?«

»Auf keinen Fall!«


// 1377 //

»Das war es, was ich von Ihnen wissen wollte. Ich danke!«

Am anderen Morgen, noch ehe der Fürst sein Palais verlassen hatte, wurde ihm Max Holm gemeldet. Dieser kam, um die für diesen Tag so nöthigen Instructionen zu holen und erwähnte bei dieser Gelegenheit seines gestrigen Gespräches mit dem lustigen Paukenschläger.

Während dieser Erzählung ging ein feines, leises, satyrisches Lächeln über das schöne Gesicht des Fürsten, welcher dann näher auf das Thema einging. Und als nachher Holm das Palais verließ, pfiff er während des Gehens leise und scharf vor sich hin, ganz in der Weise eines Menschen, der eine fröhliche, verheißungsvolle Erwartung in sich trägt.

Er lenkte seine Schritte nach der ihm bekannten Wohnung des Paukenschlägers. Dieser war eigentlich ein Privatschreiber, da aber seine Feder sich als nicht fruchtbar genug erwies, hatte er sich entschlossen, nebenbei die Pauken zu maltraitiren. Er hatte keine Anverwandten und war bei einer alten Wittfrau eingemiethet.

Er saß, als Holm eintrat, am Tische, hatte in der einen Hand eine Düte und rührte mit der anderen mittelst eines Löffels in einer mit Mehl gefüllten Schüssel.

»Guten Morgen, lieber Hauck!« grüßte Holm.

»Servus, Herr Holm! Recht, daß Sie kommen!«

»Ausgeschlafen?«

»Nicht gut.«

»Warum nicht? Leiden Sie am bösen Gewissen?«

»Ja und nein. Ich habe nämlich nicht schlafen können, weil ich immer an das heutige Abendessen denken mußte. Ich überlegte hin und her, ob es recht sei oder nicht, diesem Staudigel den Streich zu spielen.«

»Und das Resultat?«

»Bald pfiff es mir verlockend zu, wie eine Piccoloflöte, und bald brummte das Gewissen wie eine große Trommel, aber ich habe den Brummer zurechtgewiesen und mich entschlossen, auf Ihren Vorschlag einzugehen. Das müssen Sie ja deutlich sehen, ohne daß ich es Ihnen sage.«

»Woher denn?«

»Hier auf dem Tische.«

»Wieso?«

»Nun, da steht die Schüssel voll Wickelklöße, die mir meine Wirthin gestern Abend aufgehoben hatte, und hier liegen die Dreierbrodchen von heut Morgen. Ich habe nicht gegessen, um heut Abend richtig einhauen zu können.«

»Und was rühren Sie denn da?«

»Waizenmehl, Kaiserauszug Nummer Eins.«

»Und was ist in der Düte?«

»Zinnoberroth, vielleicht ist's auch nur Boluserde, denn es kostet nur zwei Kreuzer.«

»Wozu das?«

»Donnerwetter! Das fragen Sie? Nun, da brate mir Einer einen


// 1378 //

Storch, aber besonders die Beine recht knusperig! Soll ich heut Abend mich als Mädchen verkleiden, sogar als Tänzerin, und fragt mich dieser Mensch, wozu ich das Mehl und die Farbe brauche! Sehen Sie sich doch einmal da dieses Handtuch an!«

Das Handtuch hatte ein unbeschreiblich mehliges und rothes Aussehen.

»Was haben Sie denn da gemacht?« fragte Holm.

»Probe.«

»Doch nicht etwa Schminkprobe?«

»Natürlich! Was denn sonst? Ich muß ja so schön wie möglich sein! Der Puder ist mir zu theuer, da nehme ich Waizenmehl, und das Roth, nun, für zwei Kreuzer, wird wohl reichen.«

»Unsinn! Für das Alles wird anderweit gesorgt. Ich führe Sie zu Bekannten, wo Sie Alles, was Sie brauchen, finden werden und hole Sie punkt sechs Uhr ab.«

»Sapperment! Da bin ich selbst neugierig! Wer sind denn die Leute, zu denen Sie mich bringen?«

»Alte, ehrwürdige Leute. Sie heißen Brandt und wohnen auf der Siegesstraße. Es soll aber später nicht von ihnen in Verbindung mit diesem Scherz gesprochen werden.«

»Aber von mir?«

»Wieso?«

»Ich soll unter Umständen meine Haut allein zu Markte tragen; das heißt, wenn es schlimm abläuft?«

»Nein. Ich garantire für Alles.«

»Sie? Hm! Allen Respect vor Herrn Holm, aber Sie sind auch nicht allmächtig. Wenn dieser gute Herr Léon Staudigel mich bei der Parabel nimmt - -«

»Fürchten Sie sich etwa vor ihm?«

»Fürchten? Fällt mir gar nicht ein. Er würde sehr übel wegkommen, wenn er sich an mir vergreifen wollte. Aber wie nun, wenn er mich anzeigt?«

»Das thut er nicht.«

»Wer ist da sicher! So ein Mensch ist zu Allem fähig. Können Sie mir dann auch garantiren?«

»Ich nicht, aber der Fürst.«

»Ah, haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Sie waren schon bei ihm?«

»Ja. Er schickt Ihnen hier diese zehn Gulden und läßt Ihnen sagen, daß Sie heut Abend nach vollendeter Sache abermals so viel erhalten sollen?«

»Kommt er etwa mit?«

»Ich glaube nicht. Aber jedenfalls bin ich da.«

»Das genügt. Wie aber komme ich dann auf's Bellevue?«

»Der Claqueur holt Sie ab.«


// 1379 //

»Wo denn?«

»Am Theater.«

»Sapperment! Dort kenne ich mich doch nicht aus!«

»Haben Sie keine Sorge! Mein alter Freund Werner wird Sie von Brandts abholen und an Ort und Stelle bringen. Haben Sie sonst eine Frage?«

»Nein, danke für jetzt.«

»So leben Sie einstweilen wohl! Ich habe nothwendig.«

Er ging und begab sich nach der Wohnung des Balletmeisters.

Als er dort klingelte, öffnete die Frau des Genannten.

»Was wünschen Sie?« erkundigte sie sich.

»Ist der Herr Balletmeister zu sprechen?«

»Sie meinen den Herrn Kunstmaler und Balletmeister, meinen Mann?«

»Ja.«

»Ich werde nachsehen.«

Sie schloß ihm die Thür vor der Nase zu. Als sie zurückkehrte, öffnete sie nur eine Lücke und meldete:

»Er ist nicht zu sprechen.«

Im nächsten Augenblicke war die Thür wieder verschlossen. »Couragirtes Weib!« brummte Holm vor sich hin. »Aber, lassen wir uns nicht fortjagen!«

Er wartete eine Weile und klingelte dann wieder. Die Thür öffnete sich, und nun war er so vorsichtig, das eine Bein zwischen sie und die Pfoste zu stellen.

»Was wollen Sie?« fragte die Frau.

»Zum Herrn Balletmeister.«

»Sie meinen, zum Herrn Kunstmaler und Balletmeister, meinen Mann?«

»Ja, freilich.«

»Waren Sie nicht soeben erst hier?«

»Vor zwei Minuten.«

»Und ich habe Sie abgewiesen.«

»Ja.«

»Und Sie kommen dennoch wieder?«

»Nein.«

»Nicht? Sie stehen ja hier!«

»Ich bin noch gar nicht fortgegangen.«

»So gehen Sie nun. Ich habe nicht Zeit, mich aller zwei Minuten herausklingeln zu lassen, und mein Mann ist so sehr beschäftigt, daß er keinen einzigen Augenblick abkommen kann.«

»Das soll er ja gar nicht.«

»Was denn?«

»Ich will ja zu ihm gehen, er soll nicht zu mir kommen!«

»Das bleibt sich gleich, und ich sage Ihnen zum allerletzten Male, daß er keine Zeit hat.«


// 1380 //

»So muß ich gehen, aber Sie werden es bereuen!«

Das frappirte Sie doch.

»Bereuen? Wieso?« fragte sie.

»Er malt doch Portraits?«

»Zum Sprechen ähnlich!«

»Ich habe allerdings gehört, daß er ein großer, ein sehr großer Künstler ist. Es soll ein Portrait bei ihm bestellt werden.«

»Von wem?«

»Das ist eigentlich ein Geheimniß, wird ihm aber viel, sehr viel Geld einbringen.«

Das wirkte. Sie machte eine tiefe Verbeugung und sagte:

»Bitte, wollen Sie nicht eintreten?«

»Ich denke, ich darf nicht?«

»Verzeihung! Ich habe mich geirrt. Ich bin etwas kurzsichtig und dachte - dachte - dachte, Ihr Rock sei zerrissen. Nun aber sehe ich ja, daß Sie ein höchst anständig gekleideter Herr sind. Kommen Sie!«

Jetzt folgte er der Aufforderung. Drinnen aber ging sie ihm weiter an's Kamisol.

»Dürfen Sie das Geheimniß denn nicht verrathen?«

»Nein.«

»Aber meinem Manne müssen Sie es doch sagen?«

»Allerdings.«

»Nun, ich bin ja seine Frau. Mann und Weib sind ein Leib. Und wir Beide, ich und, er, sind nun gar ein Herz und eine Seele. Da meine ich, daß ich das, was er weiß, doch auch erfahren kann.«

»Hm! Wenn ich nur wüßte, ob Sie verschwiegen sein können.«

»Wie das Grab! Sogar noch über das Grab hinaus!«

»Das glaube ich, besonders das Letztere.«

»Nun also, bitte, bitte!«

»Na, ich will es wagen! Namen zu nennen, ist mir allerdings streng verboten; aber so viel getraue ich mir doch, Ihnen mitzutheilen, daß es eine sehr hohe, fürstliche Person ist, deren Portrait Ihr Gemahl anfertigen soll.«

»Herr Jesses! Eine hohe -«

»Ja.«

»Fürstliche -«

»Ja.«

»Von Adel also?«

»Versteht sich!«

»Eine Dame?«

»Ja.«

»Bitte kommen Sie! Schnell, schnell!«

Sie eilte nach der Thüre hin, welche nach den inneren Zimmern führte. Er wehrte ab und sagte:

»Bitte, stören wir ihn nicht! Er hat keine Zeit.«


// 1381 //

»O, er hat Zeit, sehr viel Zeit! Kommen Sie nur!«

Sie faßte ihn beim Arme und zog ihn fort. An der Thür seines Ateliers angekommen, horchte sie erst eine Weile; dann öffnete sie leise und sagte in bittendem Tone:

»Lieber Mann!«

Er antwortete nicht.

»Lieber Arthur!«

Er schwieg jetzt; aber er hustete doch.

»Geliebtester!«

Jetzt endlich ließ er sich in warnendem Tone vernehmen.

»Aber, mein Liebling!«

»Was machst Du?«

»Ich male.«

»Immer noch die Proserpina?«

»Ja, meine liebe Aurora.«

»Darf ich Dich stören?«

»Nein, mein Liebling. Ich entwerfe soeben den Höllenhund, genannt Cerberus. Da bringt mir auch die kleinste Störung großen Schaden.«

»Und doch muß ich Dich stören, bester Arthur!«

»Thue es nicht! Setze lieber den Leimtopf an's Feuer. Ich habe mir einen Schlitz in die Hosen gerissen und will ihn zuleimen; das hält besser als Zwirn.«

»Aber, Geliebtester! Ich bin ja nicht allein!«

»Nicht? Wer ist denn noch da?«

»Ein sehr feiner Herr!«

Holm konnte den Maler nicht sehen, weil dessen Frau die Thüröffnung ausfüllte. Aber desto deutlicher hörte er ihn jetzt in zornigem Tone sagen:

»Ist er ein Modell?«

»Ich glaube nicht.«

»Donnerwetter! So mag er sich zum Teufel scheren, meine liebe Aurora!«

»Aber ich versichere Dir, er ist sehr fein!«

»Fein oder nicht, mein Liebling! Ich habe keine Zeit. Der Höllenhund muß unbedingt fertig werden!«

»Es handelt sich um ein Portrait!«

»Er mag sich selbst abmalen, Aurorchen!«

»Er? Er kommt ja im Auftrage einer allerhöchsten fürstlichen Persönlichkeit!«

»Fürstlich? Sapperlot! Laß den Herrn herein, Aurora!«

Jetzt kam er hinter seiner Staffelei hervor und eilte nach der Thür, um den Herrn zu empfangen.

»Treten Sie ein!«

Bei diesen Worten schob die Frau Holm in das Zimmer und machte die Thür hinter ihm zu.


// 1382 //

Der Balletmeister machte eine seiner tiefsten, glanzvollsten Verbeugungen und sagte im höflichsten Tone:

»Verzeihung, mein Herr! Künstler lassen sich nicht gern stören.«

»Ich weiß das recht wohl zu würdigen!«

»Mein Höllenhund - -! Sie verstehen mich!«

»Sehr wohl! Bei einer so schwierigen Arbeit darf man eigentlich nicht unterbrochen werden.«

»Ausnahmen gestattet man nur unter Umständen, wie zum Beispiel gegenwärtig. Bitte, bitte treten Sie näher! Wollen Sie den Cerberus betrachten?«

Er führte ihn zur Staffelei. Proserpina war so ziemlich entworfen. Vor ihr saß ein Köder, ein Drittel Spitz, ein Drittel Bär und ein Drittel Krokodil.

»Was sagen Sie dazu?« fragte der Künstler.

»Ausgezeichnet!«

»Nicht wahr?«

»Genial gedacht!«

»Bitte, bitte!«

»Und ebenso genial entworfen!«

»Sehr freundlich!«

»Dieser Hund macht mich neugierig, die Proserpina zu sehen. Es muß ein Kunstwerk werden!«

»Gewiß, gewiß! Leider aber noch nicht fertig. Bitte, mein Verehrtester - wer giebt mir die Ehre?«

Holm steckte den Zwicker auf die Nase, nahm in der Stellung eines Protegirenden auf einem Stuhle Platz und sagte:

»Hm! Sie kennen mich nicht?«

»Nein.«

»Wunderbar! Wirklich nicht?«

»Nein, mein Herr. Zwar muß ich Sie bereits gesehen haben, denn ein Portraiteur merkt sich so characteristische, classische Züge, wie Sie besitzen; aber im Augenblicke weiß ich wirklich nicht, wo und wann dies geschehen ist.«

»Schadet nichts! Wissen Sie - hm, ahnen! Eigentlich bin ich nicht Derjenige, der ich jetzt bin. Verstehen Sie?«

»Sehr wohl!«

»Sie wissen, wie man das nennt?«

»Gewiß, gewiß! Man sagt, incognito.«

»Schön! Es handelt sich nämlich um ein Geheimniß!«

»Geheimniß,« wiederholte der Balletmeister und Kunstmaler, indem er sich tief verbeugte.

»Man hat zu Ihnen das Vertrauen, daß Sie ein Geheimniß zu wahren wissen.«

»O, ich bin stumm!«

»Auch taub? Das wird verlangt!«

»Schön! Also taubstumm!«


// 1383 //

»Auch blind! Unbedingt nöthig!«

»Ganz nach Befehl! Also blindtaubstumm!«

»Das genügt einstweilen!«

»Und was weiter, wenn ich fragen darf?«

»Nun, es handelt sich um eine sehr hohe Person -«

»Person -?«

»Von fürstlichem Geblüt.«

»Geblüt! Alle Teufel!«

Der Maler machte nach einem jeden Worte, welches er aus Holm's Munde wiederholte, eine tiefe Verbeugung.

»Diese Dame will sich malen lassen.«

»Von mir?«

»Ja, wenn Sie discret sein können.«

»Mit Leib und Seele!«

»Auch mit Haut und Haar! Wird verlangt!«

»Gut! Auch mit Haut und Haar.«

»Dieses Portrait soll Geschenk werden, Ueberraschung für den allerhöchsten Gemahl dieser höchsten Dame.«

»Ich verstehe, verstehe!«

»Darum darf der Gemahl nichts ahnen.«

»Sehr gut!«

»Die Sitzung muß an einem verborgenen Orte geschehen.«

»Ganz nach hoher und allerhöchster Bestimmung. Darf ich vielleicht mein Atelier anbieten?«

»Wo denken Sie hin! Eine allerhöchste Herrschaft, und hier Ihr Atelier? Das geht auf keinen Fall. Auch kann die Sitzung nicht am Tage stattfinden.«

»Also des Abends?«

»Ja. Uebrigens will die hohe Dame sich als Proserpina malen lassen -«

»Ah! Proserpina mit Höllenhund?«

»Ja. Das Modell zum Höllenhund wird Ihnen geliefert werden. Proserpina, die Göttin der Unterwelt bedarf nächtlicher Beleuchtung. Es ist also höchst vortheilhaft, daß Sie nur Abends malen. Ort und Zeit aber muß Geheimniß bleiben.«

»Kein Mensch soll es erfahren!«

»Schwören Sie!«

»Ich schwöre!«

»Nicht so! Halten Sie die drei Finger empor!«

Der Maler that dies und gelobte:

»Ich schwöre das tiefste Stillschweigen!«

»Natürlich auch gegen Ihre Frau!«

»Hm! Darf diese nicht wenigstens wissen, um was es sich handelt, mein sehr Verehrtester?«

»Stehen Sie unter dem Pantoffel?«

»Nein; aber Aurorchen möchte doch erfahren, warum ich abwesend bin.«


// 1384 //

»Gut! Aber Ort und Zeit darf auch sie nicht wissen!«

»Ich gehorche!«

»Gut. So sind Sie also bereit, das Portrait zu übernehmen?«

»Ja.«

»Dann will ich Ihnen das Nähere mittheilen. Die erste Sitzung wird heute Abend sein.«

»O weh!«

»Was?«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich bin amtlich beschäftigt. Wir geben zwei Ballets.«

»Das weiß ich. Die betreffende Dame ist entschlossen, allerhöchste Rücksicht darauf zu nehmen. Die Sitzung soll in Folge dessen erst Punkt zwölf Uhr beginnen.«

»Gott sei Dank! Aber wo?«

»Man wird Sie per Equipage abholen.«

»Hier?«

»Ja. Elf Uhr fünfundvierzig Minuten werden Sie fertig sein. Sobald der Kutscher unten das Zeichen mit der Peitsche giebt, haben Sie einzusteigen.«

»Ganz nach höchster Intention!«

»Aber noch eins. Es versteht sich ganz von selbst, daß eine so hochgestellte Dame des Mitternachts nicht mit einem Manne allein sein kann!«

»Gewiß, gewiß.«

»Wie denken Sie sich da die Abhilfe möglich?«

»Die Dame wird wohl huldvollst bestimmen, daß sie sich in Gesellschaft befindet.«

»Pah! Wo bleibt da das Geheimniß?«

»Hm! Ja!«

»Mit einer männlichen Person darf sie nicht allein sein; das sehen Sie doch ein?«

»Gewiß, sehr gewiß!«

»Mit einer Dame aber darf sie sich unter vier Augen befinden.«

»Unbedingt!«

»Was wird die Folge sein, Herr Balletmeister?«

»Die Folge? Hm! O, ah, hm!«

»Nun, sprechen Sie doch!«

»Ich weiß nicht, ob ich Dero geehrte Absichten mit meinen unmaßgeblichen Gedanken zu errathen vermag.«

»Nun, so sagen Sie diese Gedanken!«

»Ich möchte gehorsamst bitten, Ihre Meinungen doch lieber hören und erfahren zu dürfen!«

»Nun, meinetwegen! Sie verkleiden sich als Dame!«

»Alle guten Geister!« fuhr der Balletmeister auf.

»Erschrecken Sie etwa?«


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»Nein, nein!«

»Das Zartgefühl einer allerhöchsten Dame ist auf jeden Fall zu schonen. Wenn Sie sich nicht dazu verstehen, so finde ich zehn und zwanzig andere Künstler, welche sofort bereit sind, auf diese Intentionen einzugehen!«

»Ich bin bereit! Ich will ja!«

»Damenkleider anlegen?«

»Ja. Nur bitte ich ergebenst, daß mein Aurorchen erfahren darf, wozu dies geschieht.«

»Gut. Sagen Sie es ihr. Es ist besser so. Sie können sich dabei von Ihrer Frau helfen lassen. Aber da Sie doch möglicher Weise gesehen und erkannt werden könnten, so ist am höchsten Orte die Bestimmung getroffen worden, daß Sie Halbmaske anzulegen haben.«

»Da kommt man am allerhöchsten Orte meinem Wunsche entgegen.«

»Schön! Und nun die Hauptfrage: Ihr Honorar.«

»O bitte, bitte!«

»O nein! Erwähnt muß das natürlich werden. Wie hoch pflegen Sie Ihre Preise zu stellen?«

»Hm! Ich weiß wirklich nicht, ob ich -«

»Gut! Sie besitzen Zartgefühl und das wird man am allerhöchsten Orte anzuerkennen wissen. Sie gefallen mir, und so will ich Ihnen einen guten Rath geben.«

»Ich sehe demselben dankbarlichst entgegen.«

»Man ist am angegebenen Orte natürlich nicht gewohnt, zu feilschen und zu rechnen -«

»O, gewiß, gewiß!«

»Man würde sich sogar durch die Angabe einer bestimmten Summe vielleicht beleidigt fühlen.«

»Ich nenne keine, gewiß keine!«

»Dagegen weiß man das Talent, das Genie zu belohnen. Ueberlassen Sie es also lieber den allerhöchsten Herrschaften selbst, den Werth Ihrer Leistung zu taxiren.«

»Dieser Rath ist mir wie der strengste Befehl.«

»Ich bin überzeugt, daß man nicht knausern, sondern Ihnen vielmehr einen hohen Betrag anweisen wird.«

»Danke, danke«

Der Balletmeister machte einen tiefen Bückling, als ob er bereits fünfzigtausend Gulden in den Händen halte.

»Und, im Vertrauen, mein bester Herr Balletmeister und Kunstmaler - vielleicht fällt noch etwas Anderes ab!«

»Wie? Was?«

»Pst! Nicht fragen.«

»Nicht? Ah! Warum nicht?«

»Still! Man ist schon längst auf Ihre Leistungen aufmerksam geworden;


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ich meine Ihre Leistungen auf der Bühne und im Atelier. Sie sind ja doppelter Künstler.«

»Doppelter! O, ja, ja!«

»Man hat bereits im Geheimen an Ihr Knopfloch gedacht.«

»Knopfloch gedacht! Herr mein Heiland!«

»Ja, ja! Aber, pst, still! Gelingt das Portrait, so ist die Sache gemacht! Also, geben Sie sich mit der Proserpina alle mögliche Mühe, mein lieber Freund!«

»O, alle, alle Mühe! Welch eine Schickung, daß ich bereits hier eine Proserpina male! Auf diese Weise ist mir das Sujet vertraut. Ich habe mich bereits in die Tiefen desselben versenkt. Ich bin vollständig au fait. Und wenn mir dann sogar das Modell des Höllenhundes allergütigst geliefert wird -«

»Gewiß, gewiß! Man wird Sie sogar ganz besonders auf dieses Modell aufmerksam machen.«

»So bin ich überzeugt, ein Kunstwerk ersten Ranges zu liefern. Ich gebe mein Wort als Mann und Künstler!«

»Schön! Bin vollständig überzeugt! Aber noch Eins: Es ist möglich, daß es der betreffenden Dame schwer oder gar unmöglich wird, in Damenkleidern unbemerkt aus ihren Gemächern zu entkommen. In diesem Falle -«

»Werde ich freilich vergeblich warten!«

»O nein. In diesem Falle, wollte ich sagen, wird sie jedenfalls Herrenkleider anlegen. Die Sitzung findet auf alle Fälle statt. Haben Sie noch Etwas zu bemerken?«

»Nichts, gar nichts, als mein allerunterthänigstes Glück, den mir ertheilten Befehlen gehorchen zu dürfen.«

»Dann adieu, mein Lieber! Also heute Abend punkt dreiviertel zwölf Uhr. Lassen Sie nicht warten!«

»O, nein, keine Secunde, keinen Augenblick.«

Er begleitete Holm unter unzähligen tiefen Verbeugungen bis hinaus und dann sogar bis hinunter vor die Hausthür, wo er sich noch einige Male hinter ihm verneigte. Und als er dann in die Stube zurückkehrte und seine Frau höchst erwartungsvoll anblickte, nickte er ihr in stolzer Weise, doch ohne ein Wort zu sagen, zu.

»Nun?« fragte sie.

»Stumm muß ich sein!«

»Stumm? Du mußt doch reden!«

»Und taub!«

»Unsinn, lieber Arthur!«

»Und blind!«

»Bist Du übergeschnappt?«

»Nein, mein Liebling. Aber zum Ueberschnappen ist es!«

»Du machst mir Angst!«

»Nein, nein! Angst brauchst Du nicht zu haben, mein Liebling. Dieses


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Taubstummblind ist ja nur bildlich gemeint. Es erwartet mich ein großes, großes Glück.«

Er setzte den rechten Fuß gravitätisch vor und steckte den Finger bezeichnend in das Knopfloch.

»Was? Ein Band? Einen Orden?« fragte sie.

»Ja. Ein Kreuz, einen Adler oder gar einen Löwen! Weißt Du, wie er mich genannt hat?«

»Nun, wie denn?«

»Mein bester Balletmeister und Kunstmaler; sodann sagte er lieber Freund zu mir und endlich nannte er mich gar einen doppelten Künstler.«

»Mariajosepp! Das war ein feiner Mann! Und ich habe ihn erst so streng abgewiesen!«

»Welch ein Fehler! Weißt Du, was er war?«

»Nein.«

»Ein Incognito!«

»Du bist des Teufels, liebster Arthur!«

»Oho! Eine Proserpina soll ich malen!«

»Das thust Du ja bereits!«

»Ich meine eine Andere. Ich soll eine höchste, eine allerhöchste Dame als Proserpina malen. Das Portrait soll ihr hoher Gemahl zum Geburtstag erhalten und darum, da es eine Ueberraschung sein soll, darf kein Mensch vorher ein Sterbenswörtchen wissen.«

»Was Du sagst!«

»Aus diesem Grunde sind mir Bedingungen gestellt worden, die eben nur von allerhöchsten Orten ausgehen können.«

»Welche Bedingungen?«

Er sagte ihr Alles. Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief voller Entzücken:

»Arthur, lieber, heißgeliebter Arthur, ahnst Du denn auch, wer diese Dame ist?«

»Ja.«

»Allerhöchst, das ist königlich!«

»Natürlich ist's die Königin! Komm, mein Liebling, bei so einem Glück brauche ich mir die Hosen nicht zusammenzuleimen. Ich ziehe die neuen an!«

Er nahm den Leimtopf vom Heerde und warf ihn in den Kohlenkasten. Er hätte vor Freude alle seine Stuben zum Fenster hinauswerfen können.

Und wohin war Holm unterdessen gegangen? Nach der Wohnung des Chefs der Claqueurs. Er hatte gewußt, daß der Balletmeister ihn nicht kannte, und ebenso war er überzeugt, daß Frau Staudigel, deren Mann sich so gern Baron nennen ließ, keine Ahnung habe, wer er eigentlich sei.

Er fand ein Stubenmädchen vor und fragte, ob die gnädige Frau zu sprechen sei.

»Was wünschen Sie von ihr?« fragte das schnippische Ding.


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»Daß sie Ihnen sofort kündigen soll, wenn Sie ihr nicht augenblicklich sagen, daß ich sie zu sprechen wünsche.«

Das wirkte auf der Stelle.

»Bitte, Ihren Namen!« sagte sie.

»Den werde ich der Dame selbst nennen.«

»Aber Madame ist nicht gewöhnt, ungenannte Personen bei sich zu empfangen, mein Herr?«

»Ich bin es nicht gewöhnt, Jedermann zu sagen, wie ich heiße.«

Er wußte, daß dies grad die richtige Art und Weise sei, hier aufzutreten. Sie entfernte sich wirklich und kehrte bald zurück, um ihn zu ihrer Herrin zu führen.

Die Frau 'Baronin' Staudigel saß in ihrer sammetenen Causeuse und betrachtete sich den Eingetretenen durch das Lorgnon. Er grüßte wortlos, nur durch eine vornehme, elegante Verbeugung. Sie antwortete durch ein kurzes, stolzes Nicken und sagte in strengem Tone:

»Mein Herr, Sie haben sich geweigert, mir wissen zu lassen, wer bei mir Zutritt erwünscht!«

»Verzeihung, gnädige Frau! Nicht ich trage die Schuld. Es geschieht vielmehr auf hohen Befehl.«

Als sie das hörte, fuhr ihr Kopf um einige Zoll empor.

»Auf Befehl?« fragte sie.

»Wie ich sagte.«

»Sagten Sie nicht sogar, hohen Befehl?«

»Allerdings.«

»Dann bin ich gespannt, den Grund Ihres Besuches kennen zu lernen, mein Herr.«

»Ich werde Sie sofort über die Ursache meiner Anwesenheit unterrichten, nachdem Sie mir gestattet haben, in Ihrer Nähe Platz zu nehmen, gnädige Frau.«

Er hatte ein wirklich vornehmes Aussehen und nannte sie gnädige Frau. Ihr Gesicht heiterte sich auf, und ihr Ton klang höflicher als bisher, als sie sagte:

»Bitte, setzen Sie sich.«

Er nahm ganz in ihrer Nähe auf einem Fauteuil Platz, warf einen leichten Blick durch das Zimmer und begann.

»Zunächst möchte ich fragen, ob unsere Unterredung eine ungestörte sein kann.«

»Wünschen Sie das?«

»Sehr.«

»Auch auf hohen Befehl?«

»Sogar auf sehr hohen!«

»Ah! Dann werde ich allerdings Sorge tragen, daß Niemand Zutritt bekommt«

Sie klingelte und als das Mädchen eintrat, befahl sie:


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»Anna, ich bin für Niemand zu Hause.«

»Auch für den gnädigen Herrn nicht?«

»Ich bin für Jedermann ausgegangen.«

Jetzt warf die dienstbare Seele, bevor sie sich entfernte, einen sehr respectvollen Blick auf Holm.

»So, mein Herr, jetzt sind wir allein und hoffentlich auch ungestört,« bemerkte dann die Dame.

»Danke. Ich mußte diese Bitte aussprechen, weil mein Besuch bei Ihnen eigentlich ein geheimer sein soll. Ich habe mich in sehr vertraulichen, fast möchte ich sagen, diplomatischen Äußerungen zu bewegen, und das läßt mich erwarten, daß Sie mir diese oder jene unerwartete Wendung nicht in persönliche Anrechnung bringen. Darf ich fragen, ob ich die Ehre habe, von der gnädigen Frau gekannt zu sein?«

»Näher leider nicht.«

»Von fern also doch?«

»Nun, ich erinnere mich, Sie gesehen zu haben.«

»Wo? Vielleicht in der prinzlichen - oh, ah, vielleicht in einer Theaterloge?«

»Wahrscheinlich.«

Man sah es ihrem Gesichte an, daß sie sich freute, daß er sich versprochen hatte. Sie nahm nun an, daß sie es mit einem Herrn von feinster Distinction zu thun habe.

»Zunächst eine Frage,« fuhr er in leicht fließendem Conversationstone fort, »welche Ihnen vielleicht höchst indiscret erscheinen mag, aber doch sehr gut gemeint ist. Man sprach gestern von Ihnen - wo, das ist für jetzt Nebensache. Sie sind eine Erscheinung, welche nicht gut übersehen werden kann. Man erwähnte Ihre gesellschaftlichen Dienste, Ihr geistiges Können, Ihren Einfluß auf gewisse Kreise, und dabei wurden Sie von einer der hohen Damen 'Baronin' genannt. Dieser Titel wurde angezweifelt. Darf ich fragen, ob mit Recht oder nicht?«

Sie war hochroth geworden. Erst nach einer längeren Pause antwortete sie.

»Wissen Sie, daß Ihre Frage eine Beleidigung enthält?«

»Eine scheinbare nur, gnädige Frau. Nicht jedes Verdienst findet seine Belohnung, und es ist ja Pflicht gewisser Kreise, unbelohnte Verdienste aufzusuchen.«

Das war Balsam auf die soeben geschlagene Wunde. Sie antwortete jetzt in versöhntem Tone:

»Man nennt meinen Mann Baron, weshalb, ist mir unbegreiflich, da er nicht von Adel ist.«

»Aber Sie sind die Tochter einer hervorragenden Familie?«

»Auch mein Vater war nicht eigentlich adelig; er gehörte einem alten Patrizierstamme an.«

Das war eine Unwahrheit; aber Holm nickte verständnißinnig und sagte:

»Nun, das ist so gut wie Adel. Man wird das in Berücksichtigung


// 1390 //

nehmen, gnädige Frau. Diese Frage mußte ich als Einleitung vorausschicken. Der Tochter eines alten, guten Patrizierhauses darf ich nun auch das Weitere anvertrauen.«

»Bitte, bitte!« sagte sie, höchst geschmeichelt.

»Es wird Ihnen bekannt sein, daß in unseren hohen und höchsten Kreisen die Kunst ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Man dichtet, man modellirt, man malt, man musicirt, und der Künstler ist bekanntlich weniger starr, wenn es sich um Standesvorurtheile handelt. Die Rücksicht für die Kunst geht ihm über Alles. Nun handelt es sich hier um eine Dame, welche mit Leidenschaft malt und dieser Leidenschaft -«

»Sie meinen Prinzeß Verona?« fiel sie schnell ein.

»Bitte! Ich darf keinen Namen nennen. Die betreffende Dame nun hat sich vorgenommen, das Bild der Kleopatra zu schaffen. Gnädige Frau haben doch wohl den Namen Kleopatra bereits gehört?«

»Gewiß! Kleopatra war Königin von Ostindien und besiegte den Kaiser Herodes und auch den Kalifen.«

Holm mußte sich Mühe geben, ein Lachen zu unterdrücken. Er nickte also sehr ernsthaft und fuhr fort:

»Sie war eine der größten Schönheiten, welche es gegeben hat, eine jener characteristischen Schönheiten, deren Reiz, deren Macht nicht eigentlich in der Harmonie der Gesichtszüge liegt, sondern in dem Geist, der diese Züge bewegt und belebt und aus allen Blicken spricht. Kleopatra ist ein großes, ein gewaltiges Sujet für eine Künstlerin; aber ebenso schwierig und fast unausführbar, weil unsere Gegenden und unsere Zeiten kein ähnliches Gesicht erzeugen wollen.«

Er hielt einige Augenblicke inne, um durch die Spannung, in welche er seine Zuhörerin versetzte, seinen Erfolg dann zu verdoppeln.

»Zu ihrer allerhöchsten Verwunderung,« fuhr er fort, »hat aber die betreffende Dame vor Kurzem ein Gesicht entdeckt, welches ganz demjenigen der Kleopatra gleicht: streng, ernst, dennoch mild und lieblich, von dem Widerscheine eines tiefen Gemüthes durchgeistigt und so doch von einer Hoheit, welche eine geradezu königliche genannt werden muß.«

Wieder hielt er inne, um eine sehr bemerkbare Pause zu machen. Da konnte sie doch nicht schweigen. Sie fragte:

»Aber, mein Herr, warum erzählen Sie das grad mir?«

»Ihnen? Sie errathen das nicht?«

»Nein.«

»Wunderbar! Sie eben sind ja die betreffende Dame.«

»Ich?« fragte sie im Tone des höchsten Erstaunens.

»Ja, freilich.«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Mein Mann spricht mir -«

Sie hielt inne. Ihr Gesicht war wie mit Blut übergossen.


// 1391 //

»Nun, was spricht Ihr Mann zu Ihnen?«

»Ich wollte sagen, er spricht mir jede Schönheit ab.«

»Dieser Thor! Ah, Verzeihung, daß ich mir diesen harten unvorsichtigen Ausdruck gestattete! Aber es ist wirklich thöricht und blind, ein solches Urtheil zu fällen!«

Man sage der häßlichsten Frau, daß sie hübsch sei, und sie wird es glauben; so war es auch hier mit der Frau des einstigen Schneiders. Der weibliche Dünkel berührte sich mit der gesellschaftlichen Einbildung, und so hatte Holm, der kluge Menschenkenner, leichtes Spiel.

»Sie schmeicheln, mein Herr!« sagte sie.

»O nein! Ich habe nur die Befehle auszurichten, welche mir ertheilt worden sind. Weiter thue ich nichts. Ich beklage aber den irre gegangenen Geschmack, welcher sich durch ein glattes Gesichtchen verführen läßt, einer wirklich charakteristischen Formvollendung die gebührende Anerkennung zu versagen! Prinzeß - - ah, wollte sagen, die betreffende Dame war von Ihrer Physiognomie vollständig enthusiasmirt. Sie sah sich auf einmal am Ziele ihrer heißesten Wünsche. Sie sah ihre Kleopatra, wie sie sich dieselbe geträumt und gedacht hatte, nun plötzlich vor Augen, lebend, wirklich als Weib, als seiendes, athmendes Wesen, und ebenso tiefer beklagte sie die Schranke, die sie doch noch von ihrem Ziele trennte.«

»Welche Schranke?«

»Nennen Sie es die gesellschaftliche Schranke; nennen sie es auch anders! Es ist der betreffenden Dame leider nicht erlaubt, sich Ihnen in der Weise zu nähern, wie sie es wünscht. Darum bin ich beauftragt worden, einmal vorsichtig zu sondiren. Ich thue das mit wenig Vorsicht aber mit sehr viel Offenheit, wie Sie mir wohl zugeben werden, gnädige Frau.«

»Aufrichtig sind Sie allerdings, mein Herr. Aber bitte, mir doch zu sagen, was Sie zu sondiren beabsichtigen!«

»Ihre Bereitwilligkeit.«

»Bereitwilligkeit? Wozu?«

»Sich malen zu lassen.«

»Ah! Ueberraschend! Mich malen zu lassen?«

»Ja.«

»Von Prinzeß - -«

»Pst, keinen Namen!« fiel Holm schnell ein.

»Gut, ich schweige! Aber Sie scherzen wohl?«

»Wie könnte ich das wagen?«

»Sie sprechen da Etwas aus, was ich für unglaublich halte.«

»So sehe ich leider meine Mission gescheitert.«

Er erhob sich von seinem Fauteuil; aber sie sprang ebenso rasch empor, drückte ihn wieder nieder und fragte:

»Halt, keine Uebereilung! Hat man wirklich gefunden, daß ich eine Kleopatra bin?«

»Wäre ich sonst zu Ihnen gekommen?«


// 1392 //

»Und man will mich malen, so wie ich bin? Dieses Gesicht? Ganz ähnlich?«

»Portraitähnlich!«

»Und was wird mit dem Gemälde?«

»Es kommt zunächst in die Ausstellung und dann voraussichtlich in die königliche Gemäldegalerie.«

»Wird bei der Ausstellung die Künstlerin genannt, die Malerin?«

»Das versteht sich!«

»Und auch das Original des Bildes?«

»Auf jeden Fall.«

»Mein Gott! So wird es ja bekannt, daß ich es bin!«

»Jawohl.«

»Und daß ich von der Prin - - von einer so hohen, so allerhöchsten Dame gemalt wurde.«

»Ich hoffe, daß Ihnen dies nicht hinderlich sein wird, sich mit meiner Mission zu befreunden!«

»Ganz und gar nicht!«

Sie war in eine unbeschreibliche Aufregung gerathen. Sie schritt im Zimmer auf und ab. In ihren scharfen, eckigen Bewegungen glich sie einer wüthenden Harpye, und doch wollte sie für eine - Kleopatra gelten.

Holm ließ ihr Zeit, sich in die Sache hineinzudenken. Dann fragte er in seiner höflichsten Weise:

»Erlauben gnädige Frau, daß ich weiter spreche? Oder soll ich dieses Thema lieber fallen lassen?«

»Sprechen Sie, sprechen Sie!«

»So darf ich annehmen, daß diese Angelegenheit Ihnen nicht ganz unsympathisch ist?«

»Sympathisch, sogar höchst sympathisch.«

»Ich danke! Auch halte ich es für meine Pflicht, Sie auf die Vortheile aufmerksam zu machen, welche Ihnen aus dieser Angelegenheit ganz sicher erwachsen werden.«

»Welche Vortheile?«

»Sie verkehren mit der betreffenden Dame, oft in ungewöhnlich näher, ich möchte sagen, inniger Weise. Man wird gar nicht anders können: man wird Sie emporziehen müssen. Der Zufall oder vielmehr Ihre ungemeine Ähnlichkeit mit Kleopatra eröffnet Ihnen eine Zukunft, deren Perspective sich in diesem Augenblicke gar nicht messen und absehen läßt.«

»Sie haben recht, ich sehe das ein. Ich wäre eine große Thörin, wenn ich die Hand, welche Sie mir bieten, von mir stoßen wollte.«

»Sie willigen also ein?«

»Ja, gewiß!«

»Das freut mich, obgleich ich Ihnen bemerken muß, daß man keine Früchte ohne Mühe pflückt. Dieses Sprüchwort bewahrheitet sich auch in dem gegenwärtigen Falle.«


Ende der achtundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der verlorne Sohn

Karl May – Forschung und Werk