Lieferung 85

Karl May

10. April 1886

Der verlorne Sohn
oder
Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.


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»Das ist zu hübsch von Ihnen, Herr Fürst, viel zu gütig. Aber wir wissen ganz gut, was sich schickt. Setzen werden wir uns nicht.«

»Setzen Sie sich immerhin!« meinte er. »Sie kommen ja so weit her; da gilt es, auszuruhen.«

»Na, wir haben zwar alte Beine; aber so viel Kraft, wie nöthig ist, ein paar Minuten stehen zu bleiben, haben wir noch.«

»Na, wenn Sie durchaus stehen wollen, so thun Sie es; aber erlauben Sie wenigstens Ihrem Manne, sich zu setzen.«

»Dem? Erst recht nicht! Wenn ich als Dame stehe, braucht er sich nicht zu setzen. Das schöne Geschlecht hat den Vorzug. Das ist überall so und wird auch bei Ihnen so sein.«

Dabei beherzigte sie die Regel, die Arme hin und her zu werfen. Es sah aus, als ob Sie Jemand beohrfeigen wolle.

Jetzt nun dachte der Alte, daß er auch etwas sagen müsse. Er erhob die Arme und schlug sie wieder nieder, als ob er einen Feind zu Boden pressen wolle, und sagte:

»Aber nun, da wir einmal da sind, so möchten wir fragen, warum Sie uns eigentlich haben zu sich kommen lassen, Herr Fürst.«

Der Gefragte lächelte lustig vor sich hin und antwortete:

»Nach den actuellen Aufzeichnungen sind Sie es gewesen, der meinen Agenten Anton nach Langenstadt geführt hat?«

»Ja.«

»Welcher Umstand hat Sie denn eigentlich auf die Idee gebracht, daß sich der Hauptmann dort befindet?«

Diese Frage brachte den Köhler in Verlegenheit. Wie leicht konnte er verrathen, daß der Hauptmann ein Asyl bei ihm gefunden gehabt habe. Um sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, wendete er sich an seine Frau mit der Aufforderung:

»Sag' Du es, Alte!«

Aber sie war keineswegs gewillt, eine solche Verantwortung auf sich zu laden; darum entgegnete sie:

»Das fällt mir gar nicht ein!«

»Warum denn nicht?«

»Du bist der Mann und mußt sprechen.«

»Ach geh'! Ihr Weiber habt viel gelenkigere Sprachwerkzeuge!«

»Rede nicht so albern! Hier kommt es gar nicht auf die Werkzeuge an. Die Sache, um welche es sich hier handelt, ist die Sache des Mannes, nicht aber die Sache der Frau.«

»Du hast aber doch soeben erst gesagt, daß den Damen stets der Vorzug gebühre!«

»Im Niedersetzen, aber nicht im Antworten.«

»Ja,« meinte der Fürst, welcher Mühe hatte, ein lautes Lachen zu unterdrücken. »Ich bin ganz der Meinung Ihrer Frau Gemahlin. Ich habe den


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Mann kommen lassen; nur mit dem Manne wollte ich sprechen, und er hat also zu antworten.«

»Hm! Ich bin kein Freund von vielen Redensarten,« meinte der Köhler.

»Das ist mir sehr lieb. Desto kürzer, prompter und deutlicher werden Ihre Antworten werden.«

»Na, meinetwegen, so will ich mich darein ergeben.«

»Also, ich wiederhole: Was hat Sie auf jene Idee gebracht?«

»Das, was der Kranke sagte.«

»Ah, er hatte gesprochen?«

»Ja, aber im Fieber oder so ähnlich.«

»Was sagte er denn?«

»Er redete davon, daß er vom Felsen geworfen worden sei, daß er nach Langenstadt wolle, zum Holzschnitzer Weber, und daß er aus Amerika komme.«

»Das war freilich wichtig.«

»Den Weber kannte ich, denn er ist mein Gevatter. Auch wußte ich, daß er Verwandte in Amerika hat.«

»So haben Sie also gleich gedacht, daß der Verwundete einer dieser Verwandten ist?«

»Ja.«

»Das war aber doch kühn. Sie mußten ihn doch nach Allem für den Hauptmann halten.«

»Eigentlich, ja.«

»Uneigentlich aber nicht. Sie hatten wohl noch andere Gründe?«

»Hm! Ja.«

»Welche?«

»Es wurde erzählt, daß ein Lieutenant im Walde einen Menschen gefunden habe, einen Amerikaner, der ihn erst auf den Verunglückten aufmerksam gemacht habe.«

»So, so! Weiter!«

»Ich dachte, daß dieser Mensch der Hauptmann gewesen sei und den Amerikaner vom Felsen geworfen habe, um sich seiner Kleider und seines Geldes zu bemächtigen.«

»Das war ein Zeichen eines ganz und gar ungewöhnlichen Scharfsinnes, den ich Ihnen, offen gestanden, fast gar nicht zutrauen kann. Sie müssen unbedingt noch andere Gründe gehabt haben.«

»O nein. Uebrigens hatte der Fremde, der sich für einen Amerikaner ausgab, dem Hauptmanne sehr ähnlich gesehen.«

»Wer sagt das?«

»Der Militärarzt und der Obergensd'arm redeten davon.«

»Sie aber haben den Hauptmann auch gekannt!«

»Ich? Oh, oh, Herr Durchlaucht!«

»Nicht?«

»Nein.«

Der Blick des Fürsten war mit durchdringender Schärfe auf den Alten


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gerichtet. Daß dieser verlegen wurde, sah der Fürst; er war also überzeugt, das Richtige vermuthet zu haben, und sagte darum in ernstem Tone:

»Ich habe Sie für einen aufrichtigen Mann gehalten.«

»Das bin ich auch.«

»Wirklich?«

»Ja. Nicht wahr, Alte!«

»Ja, Durchlaucht,« antwortete sie.

»Und dennoch verschweigen Sie mir die Wahrheit!«

»O nein!«

»O doch! Sie verkennen mich. Ich bin weder Polizist noch Richter. Ich spreche nicht in amtlicher Eigenschaft mit Ihnen. Ich meine es im Gegentheile sehr gut mit Ihnen und möchte Sie gern vor Schaden bewahren. Das können Sie mir glauben.«

»Hm! Ich wüßte nicht, was ich Ihnen sagen sollte.«

»Sie wissen es! Ich will Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie zum Herrn Oberlandesgerichtsrath müssen. Er wird Sie nach Verschiedenem fragen, vielleicht auch nach Sachen, über welche Sie nicht gern Auskunft ertheilen. Wenn ich um diese Sache wüßte, könnte ich den Herrn abhalten, davon zu sprechen. Das ist es, was ich beabsichtige. Sie sehen also, daß ich es sehr gut mit Ihnen meine. Befolgen Sie meinen Rath, und seien Sie aufrichtig zu mir. Sie werden dadurch vor Schaden bewahrt.«

Diese Rede machte einen sichtlichen Eindruck auf die Beiden. Der alte Köhler besann sich einige Augenblicke und fragte dann:

»Sie halten uns wohl für böse Menschen?«

»O nein.«

»Ich dachte!«

»Wenn dies der Fall wäre, würde ich ganz anders mit Ihnen sprechen; das können Sie sich doch denken!«

»Aber Sie meinen, daß wir dennoch etwas Böses gethan haben?«

»Böses nicht; aber eine Unvorsichtigkeit haben Sie begangen.«

»Welche denn?«

»Wollen Sie denn nicht aufrichtig davon sprechen?«

»Wüßte ich nur, was Sie meinen! Hm! Was denkst Du, Alte?«

»Ich denke gar nichts,« antwortete sie vorsichtig.

»Das ist auch ein Wunder. Du denkst doch sonst immer mehr, als Du sollst.«

»Halte das Maul! Was soll denn Herr Durchlaucht von mir denken, wenn Du solche Dummheiten redest!«

»Na,« meinte der Fürst, »ich sehe ein, daß es Ihnen schwer fällt, selbst anzufangen. Ich will es Ihnen also sagen: Sie haben den Hauptmann bei sich gehabt!«

»Herrgott!« rief der Köhler.

»Wer sagt das? Wer sagt das?« fragte seine Frau.


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»Ich sage es!«

»Das ist ja gar nicht wahr!«

»Jetzt lügen Sie! Und mit Lügnern habe ich nicht gern zu thun. In der Bibel steht: Die Lüge ist ein häßlicher Schandfleck an dem Menschen, und sie ist gemein bei ungezogenen Leuten. Wollen Sie Ihre ehrwürdigen Häupter mit Lügen beflecken?«

Der Alte fuhr sich mit der Hand nach dem Auge, machte eine verzweifelte, ungeheure Bewegung mit beiden Armen, so daß es aussah, als ob er die Flügel einer Windmühle fangen wolle, und antwortete in höchster Verlegenheit:

»Das ist eine verteufelte Geschichte!«

»Eine böse Geschichte!« nickte auch sie.

»Und wir sind doch ehrliche Leute!«

»Das weiß ich eben,« antwortete der Fürst. »Es ist jetzt noch Zeit, sich zu retten. Dazu aber gehört ein offenes Geständniß. Unwahrheit schadet Ihnen nur.«

»Aber wie kommen Sie denn auf den Gedanken, daß der Hauptmann bei uns gewesen ist?«

»Dadurch, daß ich meine Schlüsse ziehe.«

»Schlüsse?«

»Ja. Haben Sie von dem Pascherkönig gehört?«

»Ja.«

»Hat es da nur Einen gegeben?«

»Nein, es soll mehrere gegeben haben.«

»Kennen Sie vielleicht Einen?«

»Den Schmied Wolf aus Tannenstein.«

»Weiter keinen?«

»Nein.«

»Sehen Sie, daß Sie mir jetzt wieder die Wahrheit verheimlichen! In Obersberg giebt es auch Einen. Kennen Sie ihn?«

»Sapperment! Alte, mich fängt bald an, zu schwitzen! Herr Fürst, meinen Sie etwa den Wagner Hendschel?«

»Ja.«

»So, so! Nun ja, der soll auch zuweilen gepascht haben.«

»Er hat nicht nur gepascht, sondern er ist sogar Waldkönig gewesen. Ich weiß das sehr genau. Ich hätte ihn verderben können, ich allein, denn ich bin der Einzige, der die Beweise gegen ihn in den Händen hat.«

»Herjesses, er ist mein Vetter, Durchlaucht!«

»Gut! Ich werde sehen, ob ich schweigen darf. Daß der Hauptmann kürzlich bei dem Herrn von Scharfenberg gewesen ist, das haben Sie wohl erfahren?«

»Ja.«

»Er hat die Kleidung gewechselt, und so ist es ihm gelungen, zu


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entkommen. Für die öffentliche Polizei war seine Spur verschwunden; ich aber habe sie verfolgt bis Obersberg.«

»Doch nicht!«

»Doch! Bis zu dem Wagnermeister Hendschel, Ihrem Vetter.«

»Wer hätte das gedacht!«

»Ich behielt das für mich, denn ich dachte, daß es besser sei, zu thun, als ob gar keine Ahnung vorhanden sei. Ihr Vetter aber war verschwunden, und mit ihm der Hauptmann. Jetzt nun habe ich gehört, daß dieser Vetter bei Ihnen gewesen ist.«

»Von wem?«

»Vom Obergensd'arm, der mit ihm gesprochen hat. Wollen Sie das etwa leugnen?«

»Nein.«

»Gut! Mit diesem Vetter aber ist auch der Hauptmann bei Ihnen gewesen. Das weiß ich ganz genau.«

»Woher denn?«

»Sie gestehen es nicht ein?«

»Na, ich möchte doch gar zu gerne erfahren, woher Sie es so genau wissen können.«

»Das will ich Ihnen sagen. Wo schlafen Sie?«

»Oben in der Kammer.«

»Mit Ihrer Frau?«

»Ja.«

»Wo schlief der Vetter?«

»In der anderen Kammer am Giebel.«

»Und wer schlief noch da?«

»Hat noch Jemand da geschlafen?«

»Ja. Es waren zwei Lager da, und alle Beide waren erst kürzlich gebraucht.«

»Sapperment! Woher wissen Sie das?«

»Ich war bei Ihnen, als Sie mit meinem Anton in Langenstadt waren, und habe mir Alles genau angesehen, ohne daß Ihre Frau etwas bemerkt hat.«

»Aber das ist pfiffig!«

»Nicht so sehr wie Sie denken! Nun aber heraus mit der Sprache! Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich es sehr gut mit Ihnen meine und daß ich Ihnen nicht schaden, sondern nützen will. War der Hauptmann bei Ihnen?«

»Hm, Alte, was sagst Du dazu?«

»Na, sage die Wahrheit! Der Herr Durchlaucht hat so ein gutes, ehrliches Gesicht, daß wir wohl gar keine Angst vor ihm zu haben brauchen. Wir haben ja gar nicht gewußt, wer der ist, dem wir Unterkunft gegeben haben.«

»Na denn gut: der Hauptmann war bei uns.«

»Er kam mit Ihrem Vetter?«

»Ja.«


// 2022 //

»In dem schwarzen Anzuge, welchen dann der Verwundete anhatte?«

»Ja.«

»Für wen gab er sich aus?«

»Er nannte sich Hirsch. Weiter fragte ich nicht, da er ja mit dem Vetter gekommen war.«

»Ich verstehe. Sie hielten ihn für einen Pascher?«

»Hm, ja.«

»Sehr unvorsichtig von Ihnen!«

»Das sehe ich jetzt auch ein. Heute würde ich es nicht wieder thun.«

»Wie kam es, daß er Ihr Haus verließ?«

»Ich hatte ihm durch den Vetter sagen lassen, daß er gehen solle, da ich ihn nicht länger behalten könne.«

»So hatten Sie wohl eine Ahnung bekommen, wer er sei?«

»Ja.«

»Woher?«

»Ich wußte wohl von dem Pascherkönig, gar nichts aber von dem Hauptmanne oder dem Baron von Helfenstein. Da war ich in Obersberg zum Jahrmarkt und hörte dort erzählen, daß Schloß Hirschenau ihm gehöre. Der bei mir war, nannte sich Hirsch. Das machte ihn mir verdächtig. Ich fragte weiter und ließ ihn mir beschreiben. Dadurch kam ich zu der Ahnung, daß der Hauptmann bei mir sei.«

»Und so jagten Sie ihn fort?«

»Ja.«

»Warum riefen Sie nicht die Polizei?«

»Herr, er war mein Gast!«

»Schön! Aber hörten Sie nicht, welche Preise auf ihn gesetzt waren?«

»Ja, fünfzehntausend oder zehntausend Gulden.«

»Die hätten Sie sich doch verdienen können.«

»Ich mochte nicht, denn ich sage, er war mein Gast.«

»Diese Gesinnung ist brav. Sie haben Ihren Fehler übrigens wieder gutgemacht, indem Sie nach Langenstadt gegangen sind. Ich begreife, daß Sie mir diese Geständnisse nicht gern gemacht haben, aber es wird zu Ihrem Nutzen sein.«

»Denken Sie?«

»Gewiß. Ich nehme an, daß Herr von Eichendörffer Sie nach Verschiedenem fragen wird. Sind seine Fragen für Sie verfänglich, so werde ich schnell einfallen und die Antwort an Ihrer Stelle geben, so daß Sie nicht in Verlegenheit kommen können. Das könnte ich aber nicht thun, wenn Sie nicht in dieser Weise aufrichtig mit mir gewesen wären.«

»Ja, das sehe ich ein, und darum bin ich Ihnen auch zum allergrößten Dank verpflichtet.«

Da erhob die Alte ihren Korb, so hoch sie konnte, und sagte:

»Du, Alter, den Dank wollen wir gleich abstatten.«

»Ja, Frau: es ist gerade die rechte Zeit dazu.«


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»Wir haben nämlich etwas mitgebracht, Durchlaucht.«

»Für mich?« fragte er.

»Ja, für Sie.«

»Etwas Gutes!« bemerkte der Alte, indem er mit der Hand eine Bewegung machte und den Mund so aufsperrte, als ob er ein Rinderviertel verschlingen wolle.

»Ja, etwas Feines!« fügte sie unter einem sehr bedeutungsvollen Nicken hinzu.

»Wohl hier in dem Korbe?«

»Ja, freilich.«

»Wahrscheinlich etwas zu essen?«

»Eine Delicatesse, eine große Delicatesse!«

»Sie machen mich sehr neugierig!«

»Es ist eben gerade für Sie! Etwas, was Sie zu gern essen!«

»So! Kennen Sie denn meinen Geschmack?«

»Na, den werden wir doch kennen!«

»Woher denn?«

»O, den kennt ja das ganze Land!«

»Davon weiß ich noch nichts. Sollte sich wirklich das ganze Land unterrichtet haben, welche Lieblingsspeisen ich besitze?«

»Wenigstens von dieser einen wissen's Alle.«

»Na, da zeigen Sie einmal.«

Er war wirklich sehr wißbegierig, was sie ihm als eine so große Delicatesse mitgebracht hatten. Sie öffnete den Korb und zog das schwarzblaue Haferbrod hervor.

»Ah, ein echtes Gebirgsbrod!« meinte er.

»Ja, das ist echt!« nickte sie.

»Das soll für mich sein?«

»Nein. Das bekommt vielleicht der Wachtmeister.«

»Welcher Wachtmeister?«

»Landrock.«

»In der Wasserstraße?«

»Ja.«

»Kennen Sie den?«

»O, der ist ja mein Vetter!«

»So logiren Sie wohl bei ihm?«

»Ja.«

»Das ist mir lieb. Ich verkehre auch zuweilen bei ihm.«

»Erst wollten wir beim Tanzmeister Elias bleiben, der aber hat uns hinaus geschmissen und arretiren lassen.«

»Meinen Sie den Balletmeister?«

»Ja, Balletmeister und Kunstmaler.«

»Sind Sie auch mit ihm verwandt?«

»Sehr nahe sogar, von unserem alten Viehdoctor aus.«


// 2024 //

»Na, grämen Sie sich nicht. Er wird seine Strafe erhalten. Wie aber kam es, daß er Sie gar arretiren ließ?«

»Na, er wurde grob und seine Lieblingsaurora noch gröber; da nahm ich mir denn auch kein Blatt vor den Mund und habe ihm meine Ansicht nach Noten vorgegeigt. Da holten sie Polizei. Wir wurden arretirt und fortgeschafft.«

»Und weiter?«

»Da gab mein Alter Ihren Brief zu lesen hin; das half; denn man ließ uns nicht nur frei, sondern man bezahlte sogar die Droschke, die uns zum Wachtmeister bringen mußte. Es ist immer gut, wenn man von einem Fürsten Briefe erhält.«

»Ja, ja,« lachte er. »In diesem Falle hat es Ihnen Nutzen gebracht. Aber was ist denn das?«

Sie hatte nämlich während ihrer Rede ein weiß eingeschlagenes Packet aus dem Korbe gezogen.

»Das?« sagte sie. »Das ist er!«

»Wer?«

»Den Sie kriegen sollen.«

»Ach so! Was ist es denn?«

»Rathen Sie einmal!«

»Ja, wer kann da rathen!«

»Ihr Lieblingsessen.«

»Weiß ich immer noch nichts.«

»Da riechen Sie einmal!«

Sie hielt ihm das Packet entgegen.

Sie hielt ihm das Packet entgegen.

»Ah, Käse!«

»Und was für welcher! Ich habe ihn in mein Schnupftuch gewickelt; aber Sie brauchen sich nicht zu grauen; ich habe mich nur zweimal hinein geschnaubt, nämlich bei der Hochzeit damals. Seit dieser Zeit ist es stets neuwaschen und ungebraucht gewesen.«

Er lachte laut und herzlich auf und sagte:

»Ja, ja, es ist neuwaschen; das sehe ich.«

»Freilich! Ich bin mein Lebtag an Reinlichkeit gewöhnt gewesen. Nun aber wollen wir einmal aufmachen!«

Sie wickelte den Käse aus dem Taschentuche heraus, hielt ihm den Ersteren triumphirend entgegen und fragte:

»Nun, was sagen Sie dazu?«

Er fuhr erschrocken zurück. Sie hielt das für ein Zeichen des Erstaunens und fuhr fort:

»Nicht wahr? Ein Reibekäse so riesengroß! Das hätten Sie wohl nicht gedacht?«

»Allerdings nicht,« antwortete er, sehr der Wahrheit gemäß.

»Wenigstens fünf Jahre alt!«

»So sehr alt?« fragte er kleinlaut.


// 2025 //

»Ja, Sie sehen ja, daß er durchsichtig ist wie Horn.«

»Er wird sehr hart sein!«

»Steinhart! Aber das schadet nichts. Sie scheinen ja sehr gute Zähne zu haben. Oder sind die hinteren vielleicht hohl?«

»Nein.«

»Na, da können Sie ihn beißen. Nämlich gerieben schmeckt er so nicht; da kann man ihn nur zum Eierkuchen gebrauchen. Haben Sie einen guten Magen?«

»Ja.«

»Na, der gehört dazu, denn solcher Capitalkäse liegt Einem wie Blei im Magen. Unter vier bis fünf Tagen kann man ihn gar nicht verdauen. Aber das ist eben das Gute. Das hilft außerordentlich wirthschaften, denn wer ein halbes Viertelpfund solchen Käse im Magen hat, der braucht eine halbe Woche lang keinen Bissen zu essen.«

»Das ist sehr gut,« lachte er.

»Ja. Aber viel trinken muß man, denn der Käse muß natürlich im Magen aufgeweicht werden, ehe er verdaut werden kann. Es war mein allereinziger, aber ich habe ihn für Sie bestimmt, weil Sie ihn so sehr gern essen.«

»Aber wer sagt denn das?«

»Gehen Sie! Thun Sie doch nicht so!«

»Ich möchte es wirklich gern wissen.«

»Na, ich sagte es ja schon. Das ganze Land weiß es, daß Sie nichts lieber essen, als solchen harten, steinigen Stänker.«

»Hm! Ich habe es aber keinem Menschen gesagt.«

»Da fragen Sie doch einmal Ihre Dienerschaft! Solche Leute können das Maul nun einmal nicht halten; sie verrathen Alles, und nachher wundert man sich, wie es so unter die Leute hat kommen können.«

»Müßte es das sein!«

»Ganz sicher ist es so! Es sind ein paar Ecken weg. Ich hatte ihn zwar hoch gelegt, auf den Balken unter das Dach, aber die Mäuse sind mir doch hinaufgeklettert. Oder sind es die Ratten gewesen. Diese Viecher klettern ja wie die Eichhörnchen. Aber Sie brauchen sich nichts daraus zu machen. Ich habe die Stellen mit dem Messer abgeputzt und dann auch noch mit der Schuhbürste abgebürstet. Er ist ganz appetitlich.«

»So sehr viel Mühe haben Sie sich meinetwegen gegeben!«

»Na, was will man denn machen? Wenn man einmal etwas verschenkt, muß es auch gut und ordentlich sein.«

»Das werde ich Ihnen hoch anrechnen.«

»Schon gut. Ist sehr gern geschehen. Da nehmen Sie ihn, daß ich ihn endlich los werde. Er ist schwer.«

Und als er ihn bereits in der Hand hatte, bemerkte er:

»Aber sagen werden Sie mir doch noch, von wem Sie es erfahren haben, daß ich so erpicht auf solchen Käse bin.«

»Jetzt gleich noch nicht.«


// 2026 //

»Wann denn?«

»Wenn wir mit dem Herrn Oberlandesgerichtsrath fertig sind, dann nachher vielleicht.«

»Warum erst dann?«

»Das kann ich jetzt nicht verrathen.«

»Ah! Sie bringen ihm auch etwas mit?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Das ist noch Geheimniß.«

»So, so! Vielleicht auch ein Lieblingsgericht?«

»Ja, so viel kann ich schon sagen.«

»Auch so hart?«

»Auch.«

»Und ebenso alt?«

»Noch viel, viel älter! Ueber zwanzig Jahre.«

Er schmunzelte am ganzen Gesicht, als er meinte:

»Da machen Sie sich nur auf recht großen Dank gefaßt, denn ich sage Ihnen im Vertrauen, daß Herr von Eichendörffer ein tüchtiges Leckermäulchen ist.«

»Leckermaul? Ah!«

»Ja.«

»Das wundert mich.«

»Warum?«

»Bei seiner Krankheit.«

»Welche Krankheit hat er denn?«

»Ach so! Das wissen Sie ja noch gar nicht! Der arme Teufel ist zu bedauern. Etwas Ordentliches kann er freilich wohl nicht genießen und so wird er sich an Leckereien halten müssen.«

»Ich verstehe Sie nicht recht.«

»Ist auch nicht nöthig. Sie werden es seinerzeit vielleicht auch einmal erfahren.«

»Ich hoffe es. Aber, bitte, seien Sie vorsichtig und verrathen Sie es nicht, daß ich es bin, der ihn ein Leckermäulchen genannt hat. Es wäre mir das nicht angenehm.«

»Ist er so übelnehmisch?«

»Das nicht; aber es ist doch immer besser, man schweigt.«

»Natürlich! Haben Sie denn einen passenden Ort, an welchem Sie den Käse aufheben können?«

»Ja. Werde es gleich besorgen.«

Er öffnete ein Tresor und nahm eine goldene Fruchtschale heraus, in welche er den Käse legte. Dann sagte er:

»Wir werden jetzt zu dem Herrn Oberlandesgerichtsrath fahren. Warten Sie draußen im Vorzimmer, bis angespannt ist. Es dauert nur wenige Minuten.«


// 2027 //

Sie machten einen tiefen, tiefen Knix und er schwenkte das linke Bein mit solcher Kraft hinten hinaus, daß er beinahe zu Boden gefallen wäre; dann traten sie ab.

Draußen sagte sie zu ihm:

»Du, wie gefällt er Dir?«

»Ausgezeichnet!«

»Mir auch. Aber, haben wir Ehre eingelegt!«

»Mit dem Käse?«

»Ja. Hast Du es gesehen, wie er ihn in die goldene Schüssel legte? Golden, golden!«

»Ja, ja!«

»Daraus sieht man, daß wir seinen Geschmack getroffen haben. Er hätte ihn doch auch nur in einen braunen, töpfernen Teller legen können. Mit solchen Leuten läßt es sich eben viel besser reden, als mit gewöhnlichem Packs!«

»Das ist freilich wahr. Wie er das von dem Hauptmann herausgelockt hat!«

»Ja, er ist gescheidt!«

»Es wird uns doch nichts schaden!«

»Was fällt Dir ein! Wenn wir ihm einen solchen Käse mitbringen, wird er doch nicht schlecht gegen uns sein!«

Jetzt trat Anton ein.

»Nun, wie ist's gegangen?« fragte er.

»Danke schön! Sehr gut!«

»So sind Sie zufrieden?«

»Ja. Aber wir haben uns auch nobel gemacht.«

»Wieso?«

»Mit unserem Geschenk.«

»Bin neugierig, was es ist.«

»D'rin auf dem Tisch steht es, in einer goldenen Schüssel.«

»Da werde ich doch lieber gleich einmal nachsehen.«

Er ging hinein, und die Alte flüsterte stolz:

»Ja, den brächte auch die Neugierde um, wenn er es nicht gleich erfahren könnte. Horch!«

»Was?«

»Hat da drin nicht Jemand laut gelacht?«

»Ich habe nichts gehört.«

»Es war mir ganz so.«

Anton kam zurück. In seinem Gesichte zuckte es wie allerhand Zurückgehaltenes; aber er sagte ernst:

»Der ist freilich delicat!«

»Na und wie! Werden Sie auch ein Stückchen davon bekommen?«

»Ich hoffe es.«


// 2028 //

»Lassen Sie es ihm so von der Seite her oder von hinten herum merken, daß Sie Appetit haben!«

»Ja, das werde ich thun. Den kann man ja in eine Kanone laden! Nicht?«

»Ja, und durch neun Häuser schießen. Ich habe ihn extra für den Fürsten mitgebracht. Er mag nur sparsam damit umgehen, geben Sie es ihm zu verstehen, denn diese Sorte giebt es nur alle Jubeljahre einmal.«

»Wo sind Sie denn abgestiegen?«

»Abgestiegen?«

»Nun ja?«

»Von wo denn herunter?«

»Ach so, Sie verstehen mich nicht. Ich meine, in welchem Gasthofe Sie eingekehrt sind.«

»In gar keinem.«

»So wollen Sie heute wieder zurück?«

»Nein. Wir bleiben hier, aber nicht im Gasthofe, sondern beim Vetter Landrock auf der Wasserstraße.«

»Landrock auf der Wasserstraße. Meinen Sie etwa den früheren Amtswachtmeister?«

»Ja.«

»Und den nennen Sie Vetter?«

»Natürlich. Vom alten, seligen Landrock her. Ich bin nämlich eine geborene Landrock.«

»Das ist schön, das freut mich. Da sehen wir uns wieder.«

»Heute etwa?«

»Ja. Ich besuche nämlich zuweilen den Herrn Wachtmeister.«

»Das ist recht. Kommen Sie heute Abend ein bischen hin.«

»Gut, ich komme. Aber horch, es klingelt. Durchlaucht sind bereits auf der Treppe. Kommen Sie!«

Der Fürst erwartete sie. Drunten stand eine prächtige Equipage mit zwei Vollblutpferden.

Sie stieß ihn in die Rippen und flüsterte:

»Setzen wir uns vorn oder hinten hin?«

»Wie denn?«

»Na, auf den Bock oder ganz hinten drauf?«

»Der Anton wird uns schon hinstecken, wo wir hingehören.«

Der Diener stand hinten, vorn saß der Kutscher. Anton öffnete den Schlag und der Fürst stieg ein. Der Letztere winkte nach dem gegenüber liegenden Sitze und die beiden Alten nahmen da Platz.

Es fiel den dienstbaren Geistern gewiß sehr schwer, das Lachen zu verbeißen, aber es lief doch Alles glücklich ernsthaft ab, bis auf den Augenblick, an welchem die Pferde rasch anzogen. Da verlor nämlich der hohe Cylinderhut des Köhlers das Gleichgewicht. Der Alte griff schnell zu, um ihn fest zu halten, warf ihn aber erst recht zum Wagen hinaus.


// 2029 //

Es wurde gehalten, und der Diener brachte den Hut.

»Er ist das Fahren nicht gewöhnt,« entschuldigte sich der Köhler. »Er ist noch gar nicht in der Hauptstadt gewesen, er ist mir überhaupt ein Bischen enge geworden.«

»Drücke ihn fest!«

Bei diesen Worten erhob sich seine Alte vom Sitze und pochte ihm dreimal so kräftig auf die Feueresse, daß diese ihm bis auf die Ohren herunterfuhr.

»Donnerwetter!« meinte er.

»Na, was denn?«

»Der zerquetscht mir ja den Schädel!«

»Aber nun sitzt er auch fest!«

»Ich bringe ihn gar nicht wieder herunter.«

»Dazu haben wir ja den Diener und den Kutscher. Wenn die sich richtig einstemmen, bringen sie ihn schon los. Nicht wahr, Herr Durchlaucht?«

Der Fürst stimmte lachend bei. Er hatte seinen Spaß über die Gesichter der Leute, welche das seltene Paar in seiner wohlbekannten Equipage sitzen sahen. Er konnte sich sagen, daß er noch nie ein solches Aufsehen erregt habe wie heute. Die Alten spielten gar zu curiose Figuren.

Die Equipage hielt vor einem prächtigen Hause an.

»Verschütten Sie nichts!« sagte die Alte zu dem Diener, als sie ihm zunächst den Korb aus dem Wagen gab.

Sie gelangten glücklich zur Erde und in den Flur hinein. Während sie die Treppe empor stiegen, gelang es der Anstrengung des Alten, seinen Kopf von der Umschlingung des Cylinders zu befreien.

»Aber hier ist doch kein Amtsgebäude,« meinte er.

»Warum erwarten Sie ein solches?«

»Weil ein Oberlandesgerichtsrath doch im Gerichtsgebäude gesprochen werden muß.«

»Mit mir macht dieser Herr eine Ausnahme. Ich darf ihn in seiner Privatwohnung besuchen.«

»Und wir dürfen mit?«

»Hoffentlich wird er uns nicht bös darüber sein. Es ist jetzt die Stunde, in welcher er zu diniren pflegt.«

»Diniren?«

»Ach so! Das heißt zu Mittag essen.«

»Um Fünf?«

»Vornehme Herren machen es so.«

»Du lieber Gott, müssen die Hunger haben. Seit dem frühen Morgen nichts in den Leib bis Nachmittags um Fünfe! Da haben wir es doch anders.«

Der Fürst konnte nicht antworten, denn sie hatten das Vorzimmer erreicht. Dort hingen mehrere Hüte, Ueberröcke und Damengarderobestücke. Ein gallonirter Bedienter stand dabei und verbeugte sich tief vor dem Fürsten.

»Herr von Eichendörffer?« fragte dieser.

»Bei Tafel. Das Diner hat soeben erst begonnen.«


// 2030 //

Der Fürst gab Hut und Ueberrock ab und winkte den beiden Alten, ihm zu folgen. Der Diener wollte ihr den Handkorb abnehmen, sie aber sagte rasch:

»Halt! Der bleibt meine!«

Er griff nach Hut und Regenschirm ihres Mannes; dieser aber meinte kopfschüttelnd:

»Nicht nöthig, lieber Mann!«

Der Fürst sah und hörte es, ließ es aber ruhig geschehen. Er freute sich des Eindruckes, den seine Begleiter hervorbringen würden. Als er mit den Beiden eintrat, erhoben sich die Herrschaften von den Stühlen.

»Durchlaucht!« meinte der Rath. »Eine freudige Ueberraschung. Herzlich willkommen!«

Der Fürst begrüßte zunächst die Räthin, dann ihn und sodann die anderen Anwesenden. Unter diesen Letzteren befand sich auch der Oberst von Hellenbach mit Frau und Tochter. Auch Assessor von Schubert war anwesend. Er hatte sich auf die Initiative des Fürsten hin in letzter Zeit so ausgezeichnet, daß er jetzt in so hohen Beamtenkreisen heimisch geworden war.

»Ich störe,« meinte der Fürst, »bin aber doch gekommen, weil ich weiß, daß Sie mit meinen Schützlingen zu sprechen wünschen, Herr Oberlandesgerichtsrath.«

»Darf ich um die Namen bitten, Durchlaucht?«

»Kohlenbrenner Hendschel mit Frau Gemahlin.«

»Ah, das ist auch eine Ueberraschung. Liebe Frau!«

Eine kurze Handbewegung sagte der Dame, was er wolle. Sie winkte dem Diener und im Nu waren noch drei Stühle an die Tafel gerückt. Der Fürst nahm sofort ungenirt Platz; der Rath ging auf die beiden Alten zu und sagte:

»Sie haben doch die Güte, mit zu diniren?«

»Das ist das, was Mittagessen heißt?« fragte sie.

»Ja.«

»Danke schön! Es ist so gut, als wär's geschehen!«

»O nein! Sie müssen sich mit heransetzen.«

»Aber ich habe wirklich noch keinen Appetit. Du Alter!«

»Hm! Wie Du denkst!«

Er schnüffelte mit der Nase. Er mochte doch Appetit haben.

»Setzen Sie sich nur,« meinte der Rath.

Und der Diener faßte die Alte resolut am Arme und zog sie an den Tisch.

»Halt!« sagte sie. »Ich muß doch erst den Korb wohin stellen!«

»Bitte, geben Sie. Ich placire ihn in's Vorzimmer.«

»Nein! Da könnte man mir hineingucken. Setzen Sie ihn lieber dorthin auf das Canapee. Wenn's auch von Seide ist, es wird doch nicht dreckig, denn ich habe erst vorgestern den Korb abgewaschen. Thun Sie auch meinem Manne seinen Hut und Regenschirm mit hin. Besser ist besser. Aber nehmen Sie sich mit dem Schirm ein bischen in acht. Der Griff ist nicht ganz mehr so feste!«


// 2031 //

Der Diener gehorchte, innerlich fast platzend. Sie aber nahm gravitätisch auf dem Stuhle Platz und wendete sich an die Räthin mit den freundlichen Worten:

»Aber, Madame, nöthig war's gerade nicht. Wir hätten auch warten können. Wir haben Zeit.«

Der Diener servirte ihr die Platte. Sie stach sich etwas herunter und meinte dann zu ihrem Manne, der ihr gegenüber saß und zu dem der Diener jetzt ging:

»Du brauchst Dir das größte Stück nicht zu nehmen. Und laß fein ein bischen übrig. Das ist nobel!«

Ein augenblickliches Rücken der Stühle war der Beweis, daß sich die Anwesenden höchlichst belustigt fühlten, und Aller Augen richteten sich mit dankbarem Blicke nach dem Fürsten, der ihnen diesen seltenen Genuß bereitete.

Frau Hendschel zerschnitt das Stück, kostete und kostete, schüttelte den Kopf und meinte dann zu Fanny von Hellenbach, welche ihr zur rechten Hand saß:

»Hm! Daraus werde ich nicht klug. Sie etwa?«

»Es ist Straßburger Gänseleberpastete.«

»Straßburger?«

»Ja.«

»Haben denn dort die Gänse Pasteten in den Lebern?«

Ein allgemeines Hüsteln; dann antwortete Fanny:

»So ist es nicht gemeint. Was Sie hier haben, das ist die Pastete. Sie ist in Straßburg aus Gänseleber zubereitet worden.«

»Ach so! Danke schön! Sie schmeckt pikant. Nicht?«

»Gewiß.«

»Ein bischen zu pikant, so, was man bei uns droben im Gebirge müffig nennt. Nicht?«

»Hm, ja.«

»Die Leber muß ziemlich anrüchig gewesen sein. Aber das Gewürz verdeckt es wieder. Man glaubt gar nicht, was ein Lorbeerblatt thut. Wenn das Fleisch stinkigt geworden ist, dann nur ein paar Lorbeerblätter mehr in die Brühe. Man schmeckt und riecht es viel weniger.«

»Na,« meinte der Alte, »so viel Fleisch, wie Du in den Topf kriegst, da wird es nicht müffig.«

»Geh, Alter! Thu nur nicht gar so arm! Wir haben zu Weihnachten ein halbes Pfund Schweinefleisch gehabt und jetzt am ersten Osterfeiertage gar dreiviertel Pfund Kälbernes. Die Leute müssen doch denken, daß bei uns die Armethei zu Hause ist!«

Der Diener goß ihr ein Glas Wein ein, und der Fürst hielt ihr das seinige hin.

»Prosit, Mama Hendschel!«

»Gott segne es, Herr Durchlaucht!«

Sie nippte.


// 2032 //

»Na, das kenne ich auch nicht,« meinte sie. »Wachholder ist es nicht, Kümmel auch nicht, Anis vollends gar nicht.«

»Alte, wo denkst Du denn hin!« rief er über den Tisch herüber. »Das ist doch Wein!«

»Wein!« meinte sie fast erschrocken. »Ist's wahr?«

»Natürlich!«

»Na, Herr Oberlandesgerichtsrath, Sie leben aber nicht ganz schlecht! Sogar Wochentags Wein! Bei unserem Herrn Oberförster kommt er nur zu den großen Festtagen auf den Tisch. Ich aber habe noch nie welchen getrunken, außer wenn ich communiciren gehe.«

»So lassen Sie ihn sich heute wohl bekommen!«

Sie nickte ihm dankbar zu, nippte noch einmal und fragte:

»Ist er etwa bösartig?«

»O nein, gar nicht.«

»Schön! Ich möchte auch nicht etwa mit so einem Zipfelchen zu Wachtmeisters kommen. Was müßten die von ihrer Muhme denken! Das wäre eine Blamage!«

Jetzt kam Braten und verschiedenes Compot. Sie war klug, und aß, ohne viel zu sprechen. Es schien ihr ausgezeichnet zu schmecken. Später gab es Pudding in Sauce.

»Was ist denn das?« fragte sie ihre Nachbarin.

»Man nennt es Pudding, ein englisches Wort.«

»Bei uns heißt man solches Zeug Hefenkloß. Es läßt sich aber essen.«

Zuletzt kamen überwintertes Obst und allerhand Confituren. Die Alte sah, daß Fanny von Hellenbach ihrem Vater einen Apfel schälte. Sie erkundigte sich frischweg:

»Ist das hier Mode, daß man den Männern schält?«

»Ja. Es ist eine Aufmerksamkeit, welche den Herren angenehm zu sein scheint.«

»Ja, mein Alter schält auch nicht gern. Er beißt gleich so hinein. Es schmeckt gerade so gut.«

Sie nahm einen Apfel, schälte ihn und sagte dann zum Ergötzen aller Anwesenden:

»Da, Durchlaucht, essen Sie ihn! Für mich kann ich ja noch einen anderen schälen!«

»Danke, danke! Geben Sie ihn Ihrem Herrn Gemahl. Es wäre eine Beleidigung für ihn, wenn Sie einem Anderen eine solche Aufmerksamkeit erwiesen.«

»Ach, halten Sie ihn etwa für eifersüchtig?«

»O nein.«

»Das ist er in seinem ganzen Leben nicht gewesen; er hat es auch nicht nöthig gehabt, trotzdem ich früher vor der Hochzeit ziemlich viel Ankratz hatte.«

»Na, Alte, lobe Dich nur nicht so!«


// 2033 //

»Ist's etwa nicht wahr? Ich hätte noch im letzten Augenblicke abspringen können. Da gab mir Korbmacher Andres noch himmlische gute Worte.«

Der Rath war ein Lebemann und liebte eine heitere Unterhaltung. Er trank den beiden Alten wacker zu und brachte sie so in Laune, daß sie endlich ihre Heirathsgeschichte erzählten. Das geschah in so drastischen Ausdrücken, daß die Zuhörer aus dem Lachen gar nicht herauskamen. Aber dennoch hütete sie sich vor Ausdrücken, welche Anstoß hätten erregen können.

Man hatte sich wohl selten so amüsirt wie heute. Und als die Räthin sich erhob und damit das Zeichen gab, daß die Tafel beendet sei, fühlte sich die brave Köhlersfrau so sehr befriedigt, daß sie dem Fürsten mit der Hand auf die Achsel klopfte und zu ihm sagte:

»Das war hübsch, daß Sie uns hierher geführt haben!«

»So hat es Ihnen gefallen?«

»Und wie! Ich kann's sagen, daß ich erst Angst hatte.«

»Doch nicht!«

»Ja. Unsereins weiß doch nicht so ganz genau, wie man sich zu benehmen hat. Aber hier wird Einem Alles so leicht gemacht, und man kann reden, wie Einem der Schnabel gewachsen ist. Ich habe mir die vornehmen Leute ganz anders vorgestellt.«

»Wohl recht stolz und finster?«

»Ja, so recht bärbeißig. Wenigstens droben bei uns sind sie so. Da ist zum Beispiel die Frau Cantorin, die hat die Nasenspitze höher als die Haubenschleife, und gar dem Dorfrichter Seine, die weiß es gar nicht mehr, wie es unten auf dem Erdboden aussieht. Hier aber habe ich es mit Fürsten, Grafen, Barons, Räthen, Obersten und gnädigen Fräuleins zu thun und bin ganz genau und grad so vornehm gewesen wie diese alle. Na, wenn ich nur heim komme! Denen will ich schon den Rockbund bürsten. Die sollen merken, daß ich Gänseleberpastete gegessen habe!«

»Sie werden doch nicht!« lachte der Rath.

»O gewiß! Ich bin sonst eine alte gute Haut. Man kann mich um den kleinen Finger wickeln; aber den Stolz und den Hochmuth und den Eigendünkel, den kann ich vor dem Tod nicht leiden! Ich weiß auch, wer ich bin! Eine Frau, die dem Fürsten von Befour einen solchen Käse geschenkt hat, die braucht sich vor keiner Anderen zu verstecken. Soviel steht fest. Nicht wahr, Durchlaucht?«

»Ja, gewiß!«

»Wie, Durchlaucht sind beschenkt worden?« fragte der Rath, indem er sich Mühe gab, ein ernstes Gesicht zu machen.

»Ja, ich bin sehr überrascht worden.«

»Mit einem Käse?«

»Mit einem Wunderwerk von Käse! Wie alt ist er, Mama Hendschel?«

»Fünf bis sechs Jahre.«

»Und hart, hart wie ein Amboß!«

»Grad das ist eben der Vorzug!« fiel sie ein. »Herr Durchlaucht ißt


// 2034 //

nämlich nichts so gern wie solche steinharte und hornige Reibekäse. Sie müssen springen wie Glas.«

»Das ist uns neu!« meinte der Rath.

»Wie? Das wissen Sie nicht?«

»Ich habe noch nie davon gehört.«

»So hat der Herr Durchlaucht hier noch nicht davon gesprochen. Es hat eben ein Jeder seine Geheimnisse. Sie auch!«

»Ich?«

»Ja.«

»Woher vermuthen Sie das?«

»Vermuthen? Ich weiß es sogar.«

»Sie kennen meine Geheimnisse?«

»Eins wenigstens. Nicht wahr, Alter?«

»Ja,« nickte dieser.

»Darf ich fragen, welches Geheimniß Sie meinen?«

Alle waren gespannt, welche Antwort auf diese Frage des Rathes folgen werde.

»Na, Sie haben auch ein Leibgericht!«

»Also auf die Leibgerichte ist es von Ihnen abgesehen!«

»Nicht so ganz; denn eigentlich ist das, was ich meine, nicht Ihr Leibgericht. Sie müssen es aber essen. Sie sind gezwungen.«

»Gezwungen? Wer zwingt mich?«

»Na ich sollte nicht davon reden; ich bin gern verschwiegen. Aber denken Sie an Ihr Leiden!«

»Leiden?« fragte er, ernst werdend.

»Ja.«

»Ich habe ein Leiden?«

»Ja, eine Krankheit.«

»Sogar eine Krankheit?«

»Oder vielmehr einen Fehler.«

»Wo denn?«

»Na, in der Gegend des Kopfes.«

Da stieß er ein herzliches Lachen aus, deutete sich an die Stirn und fragte:

»Wohl gar hier?«

»Nein.«

»Wo denn?«

»Weiter unten.«

»Das müßte ich ja wissen!«

»O, Sie wissen es auch; aber Sie sagen es natürlich nicht. Sie dauern mich aber sehr!«

»Ah, das ist ja sehr hübsch von Ihnen!«

»Und darum will ich Ihnen helfen.«

»Womit?«

»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, eben Das, was Sie wegen dieser Krankheit essen müssen.«


// 2035 //

»Jetzt bin ich aber im höchsten Grade gespannt!«

»Nicht wahr? Das glaube ich wohl.«

»Wo haben Sie denn das Mittel?«

»Dort im Korbe.«

Sie ging zu dem Diwan und holte den Korb. Natürlich ahnten Alle irgend eine Teufelei und warteten mit Spannung, was da kommen werde.

»Das ist ein Präsentirteller,« sagte sie, »auf den kann ich es wohl schütten?«

»Ja, thun Sie das.«

Sie nahm das Brod aus dem Korbe und legte es einstweilen bei Seite und schüttete dann die Äpfel auf das Präsentirbrett. Alle traten neugierig herbei.

»Was ist denn das?« fragte der Rath.

»Backobst,« antwortete seine Frau.

»Backäpfel, speciell,« erklärte er nach einer näheren Untersuchung.

»Ja, aber wilde!« meinte sie.

»Keine zahmen?«

»Nein, sondern von Holzäpfeln.«

»Wozu sind sie denn eigentlich?«

»Na, das wissen Sie doch!«

»Beileibe nicht!«

»Gehen Sie! Verstellen Sie sich doch nicht!«

»Sollten sie vielleicht zum Essen sein?«

»Na freilich!«

»Gekocht?«

»Versteht sich!«

»Wie schmeckt denn das Zeug?«

»Na, es zieht den Gaumen etwas zusammen.«

»O weh!«

»Na, Ihnen ist doch grad das sehr lieb, zumal sie schon so alt sind; da ziehen sie viel besser.«

»Hm! Wie alt sind sie denn?«

»Einige zwanzig Jahre.«

»Sapristi! Wo haben sie denn gelegen?«

»In meinem Manne seinem Hut.«

»Der dort neben dem Regenschirm liegt?«

»Ja.«

»A quelle délicatesse! Aber welchen Zweck verfolgen Sie denn nun mit diesen wilden Backäpfeln?«

»Ich schenke sie Ihnen.«

»Und Sie meinen, daß ich sie essen soll?«

»Freilich. Sie schicken ja überall herum und können keine mehr bekommen, wenigstens keine solchen.«

»Was? Ich schicke herum?«

»Ja.«

»Nach solchen wilden Apfeln?«


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»Ja.«

»Wer sagt denn das?«

»Das ganze Land weiß es.«

»Ah, jetzt naht sich die Lösung,« sagte der Fürst. »Das ganze Land weiß es, daß ich ganz des Teufels auf alten, harten Käse bin. Und das ganze Land weiß es, daß Sie, Herr Rath, überall nach wilden Äpfeln forschen lassen!«

»So ist es auch!« behauptete die Alte.

»Wer hat es Ihnen denn gesagt?«

»Das braucht mir gar Niemand extra zu sagen. Es ist ja überall bekannt.«

»Gut!« meinte der Rath. »So wissen Sie wohl auch, warum ich solche Äpfel essen muß?«

»Ja.«

»Also warum?«

»Eben wegen Ihrer Krankheit. Die Brühe von den Äpfeln muß die Geschichte zusammenziehen, sonst können Sie ja gar nicht reden.«

»Nicht reden? Jetzt zerplatze ich vor Neugierde, wenn Sie nicht sofort Antwort geben. Welche Krankheit habe ich denn?«

»Sie werden doch nicht verlangen, daß ich es sage!«

»Warum denn nicht?«

»Ich mag sie nicht kränken und blamiren.«

»Sapperment! Ich will es aber haben, daß Sie mich kränken und blamiren! Heraus damit!«

»Wirklich?«

»Ja. Ich befehle es Ihnen sogar.«

»Na, aber mir schieben Sie dann die Schuld nicht etwa in die Schuhe! Ich bin lieber still.«

»Nein. Heraus damit! Welche Krankheit habe ich?«

»Den Wolfsrachen.«

»Den Wol - - -?«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken.

»Ja, den heimlichen Wolfsrachen!«

»Den heiml - - -?«

»Es heißt auch noch anders. Sie leiden an einer unterirdischen Hasenscharte.«

»Hasensch - - -! Heimlich, unterirdisch! Wolfsrachen! Hasenscharte! Ich?«

»Ja.«

»Und deshalb soll ich solche wilde Apfelbrühe trinken?«

»Freilich.«

»Und diese Brühe zieht mir die unterirdische Scharte wieder zusammen, gute Frau?«

»Natürlich, so ist es!«

Es war still gewesen wie in der Natur vor einem Gewittersturme. Jetzt aber brach es los, das schallende, allgemeine Gelächter, in welches selbst die


// 2037 //

Damen mit einstimmten. Die alte Köhlersfrau stand da, ganz ernsthaft, und blickte Eins um das Andere an. Da aber begann sie zu bemerken, daß sie doch wohl dupirt worden sei, und nun stimmte sie sehr kräftig mit ein.

Endlich nahm sich der Rath mit Gewalt zusammen und fragte:

»Und das weiß das ganze Land?«

»Ich dachte es.«

»Wer hat Ihnen das weiß gemacht?«

»Ich soll es nicht verrathen.«

»Sagen Sie es immerhin!«

»Sie werden ihm bös sein!«

»O nein. Ich bin dem Betreffenden sogar im hohen Grade dankbar, denn er hat mir einen lustigen Augenblick bereitet, wie ich ihn wohl noch nie gehabt habe. Also, wer ist es?«

»Der Doctor.«

»Welcher Doctor?«

»Unser Bezirksarzt.«

»Ach, Sapristi! Da geht mir ein Licht auf! Heißt er auch Eichendörffer wie ich?«

»Ja.«

»Also mein Neffe?«

»Er sagte, Sie wären sein Onkel.«

»Dieser Sausewind also! Na, das ist köstlich! Der hat den Kopf stets voll Raupen! Aber wie kommt er denn dazu, Ihnen zu sagen, daß Sie mir einen Vorrath solcher wilder Äpfel mitnehmen sollen?«

»Er sah sie in meinem Korbe. Ich hatte sie eingepackt.«

»Ach so! Die Gelegenheit macht Diebe!«

Da fragte auch der Fürst, noch immer lachend:

»Der ist es wohl auch gewesen, der Ihnen gesagt hat, daß ich gern steinalten Käse esse?«

»Freilich ist er es!«

»Dann, lieber Rath, müssen wir uns schriftlich bei ihm bedanken. Der Spaß war zu kostbar.«

Der Köhler war bei Alledem sehr ernsthaft geblieben. Jetzt sagte er ärgerlich zu ihr:

»Dumme Gans!«

»Was denn? Was willst Du mit der Gans?«

»Dir solchen Unsinn weiß machen zu lassen!«

»Hast Du es etwa nicht selbst auch geglaubt?«

»Es hat mir gleich geschwant, daß eine Dummheit dahinter steckt. Nu hast Dus da!«

»Entzweien Sie sich nicht!« lachte der Rath. »Ich bin im höchsten Grade zufrieden mit Ihnen! Ein verborgener Wolfsrachen oder eine unterirdische Hasenscharte! Ich möchte nur wissen, wie der Mensch auf diese verteufelte Idee


// 2038 //

gekommen ist! Aber das sage ich: die wilden Backäpfel werden angenommen und heilig aufbewahrt.«

»Und mein Käse auch.«

»Ja, ein Andenken haben wir also Beide. Aber damit diese beiden braven Leute uns nicht umsonst beschenkt haben, wollen wir ihnen ein Gegengeschenk machen. Was meinen Sie dazu, Durchlaucht?«

»Ja, gewiß. Wenn sie es nur annehmen.«

»Wollen sehen. Herr Hendschel, Frau Hendschel, haben Sie vielleicht irgend einen Herzenswunsch?«

»Hm!« antwortete sie. »Wünsche hat man immer.«

»Na, so wünschen Sie sich einmal etwas!«

Sie zögerte verlegen. Dann, als ihr von mehreren Seiten zugeredet wurde, sagte sie:

»Ich möchte gern ein neues Waschbecken von weißen Porzellan und nachher blaue Strickwolle zu zwei Paar neuen Strümpfen.«

Ein herzliches Lachen antwortete.

»Und Sie, Herr Hendschel?« fragte der Rath.

»Na, wenn es auf mich ankäme, so möchte ich gern ein Pfund Tabak haben. Ich habe seit einigen Jahren nicht rauchen können. Die Zeiten sind schlecht.«

»Du lieber Gott, sind das glückliche Leute!« meinte der Rath, jetzt sehr ernsthaft. »Wer nur solche Wünsche hat, der ist zu beneiden.«

»Nun,« sagte sie, durch diese Worte ermuthigt, »so würde ich dazu auch noch eine weiße Kaffeekanne und zwei Tassen nehmen, wenn's nicht zu viel ist.«

»Nein, zu viel gar nicht. Aber hört, ich will Euch Beiden einmal etwas sagen. Wißt ihr, was eine Fee ist?«

»Na und ob!« antwortete sie.

»Nun, was denn?«

»Eine Fee ist ein Geist, der - - -«

»Unsinn Alte,« unterbrach sie ihr Mann. »Eine Fee ist doch kein Geist, kein Gespenst! Sie geht doch nicht um! Eine Fee ist eine sehr schöne Frau. Die kommt des Nachts und fragt, was man sich wünscht.«

»Ja,« fügte die Alte hinzu. »Und was man sich wünscht, das geht in Erfüllung.«

»Ihr habt recht. Aber zuweilen kommt die Fee auch in männlicher Gestalt.«

»Davon habe ich noch nichts gehört.«

»Da seht jetzt mich einmal an! Wer bin ich?«

»Der Herr Oberlandesgerichtsrath.«

»Gewöhnlich bin ich das, jetzt aber nicht. Jetzt bin ich so eine männliche Fee. Thut einmal drei Wünsche! Ich will sehen, ob ich sie Euch erfüllen kann.«

Sie sahen ihn verblüfft an. Er aber fuhr fort:

»Ich spreche im Ernste. Nicht wahr, Durchlaucht?«

»Ja,« antwortete der Fürst. »Thun Sie einmal drei Wünsche, Hendschel, Sie oder Ihre Frau! Wenn Sie nicht gar zu viel verlangen, gehen sie vielleicht in Erfüllung.«


// 2039 //

»Sie foppen uns!« meinte die Alte.

»Nein, wir meinen es gut und ehrlich.«

»Ach was! Das, was man sich bei einer Fee wünschen würde, kann man sich doch hier nicht wünschen!«

»Warum denn nicht?«

»Weil Sie eben keine Fee sind.«

»So sagen Sie wenigstens, was Sie thun würden, wenn eine Fee Ihnen drei Wünsche gestattete, und Sie wüßten, daß diese in Erfüllung gehen würden.«

Die Alte sah sich sehr ernsthaft im Kreise um, blickte dann nachdenklich ihrem Manne in's Gesicht und sagte:

»Du, Alter, die Herren machen wirklich Ernst!«

»Meinst Du?«

»Ja, es steckt etwas dahinter. Wollen wir wünschen?«

»Na, ja.«

»Was denn?«

»Sag Du es!«

»Nein, Du!«

»Du könntest nachher zanken, wenn es Dir nicht paßt.«

»Na, Du hast doch Deinen Verstand, und wenn Du Dir einbildest, es wäre in Wirklichkeit eine Fee da, so wirst Du Dir wohl keine Dummheiten wünschen.«

»Das ist wahr.«

»Also, sage Du, was Du Dir wünschest!«

»Wenn es denn einmal sein soll, und wenn die Herrschaften es ernst nehmen, so will ich denn gerade so thun, als ob die Fee da wäre. Also erstens wünsche ich für mich und für meine gute Alte die ewige Seligkeit.«

»Bravo!« sagte der Fürst. »Wer diesen Wunsch allen anderen Wünschen voransetzt, der wird die Seligkeit auch ganz gewiß erlangen. Er ist also erfüllt. Weiter!«

»Sodann wünsche ich, daß wir Beide immer gesund bleiben mögen, bis wir sterben!«

»Auch dieser Wunsch geht voraussichtlich in Erfüllung. Sie besitzen Beide eine eiserne Natur und sind an ein mäßiges, ordentliches Leben gewöhnt. Weiter!«

»Na, was noch! Das ewige Leben und die Gesundheit; das ist die Hauptsache. Das Dritte wäre noch, daß wir so viel Geld hätten, daß wir bis an unser Ende nicht Noth zu leiden brauchten. Bist Du es zufrieden, Alte?«

»Ja, gern. Aber der dritte Wunsch geht nicht so leicht in Erfüllung wie die beiden ersten.«

»Er ist erfüllt,« sagte der Rath.

»Erfüllt? Wieso denn?«

»Wieviel Geld brauchten Sie denn wöchentlich?«

»Na, wenn wir wöchentlich drei Gulden verdienen könnten bis an unser Ende, dann wären wir froh.«


// 2040 //

»Ja,« meinte er, »dann fielen wohl auch wöchentlich für fünf Kreuzer Tabak ab. Herrgott, wäre das ein Leben!«

»Verdienen Sie denn nicht mehr?«

»Du lieber Gott! Wir haben heute, als wir von daheim fortgingen, vierzehn Gulden eingesteckt! Das sind die Ersparnisse einer ganzen Reihe von Jahren.«

»Na, dann sollen Sie es von jetzt an besser haben! Warten Sie einen Augenblick.«

Er ging hinaus und kehrte bald zurück, mit einem großen, versiegelten Couvert in der Hand.

»Hier, Herr Hendschel,« sagte er. »Was steht darauf?«

Der Alte las:

»Dem Kohlenbrenner Hendschel.«

»Machen Sie es auf!«

Hendschel blickte rundum, kratzte sich hinter dem Ohre und meinte dann verlegen:

»Meine Herren, das ist wohl nur ein Jux?«

»O nein!«

»Etwa so wie mit unserem alten Käse!«

»Nein, es ist Ernst!«

»Oder wie mit der unterirdischen Hasenscharte!«

Da griff sie resolut zu, nahm ihm das Couvert aus der Hand, öffnete es und sagte dabei:

»Mach keinen Unsinn! Das ist ein Brief. Dein Name steht darauf. Da muß etwas für Dich drin sein.«

»Na ja, aber was denn?«

»Dieses Papierpacket.«

»Mache es vollends auf!«

Die Augen der Anwesenden ruhten mit Spannung auf den beiden Alten. Sie faltete den Umschlagbogen aus einander, warf einen Blick auf den Inhalt und rief:

»Kassenbillets!«

»Herrgott, ja!« stimmte er bei.

»Richtige Kassenbilletts, Alter!«

»Wie viele denn?«

»Eins, zwei - vier, fünf - zehn - - fünfzehn!«

»Zeig her, zeig her!«

Er nahm ihr eins aus der Hand, betrachtete es genau und rief fast überlaut vor Freude:

»Frau, weißt Du, was da drauf steht?«

»Na, was denn?«

»Eine Tausend!«

»Du bist nicht gescheidt!«

»Ja, eine Tausend. Schau her!«


Ende der fünfundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der verlorne Sohn

Karl May – Forschung und Werk