Lieferung 103

Karl May

26. Juli 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Aber Cortejo und Landola müssen auch hier sein?«

»Sie sind auch hier.«

»Aber nicht gefangen?«

»Gefangen! Alle beide Cortejo's, Landola und Josefa Cortejo.«

»Gott sei Dank! Das ist mir zwar ein Räthsel, aber es wird sich aufklären. Folgt mir jetzt in eine andere Luft.«

Er nahm dem gefesselten Manfredo alle Schlüssel ab, stieß ihn in die Ecke und ergriff die Laterne. Als er hinaus in den Gang trat, folgten ihm die Anderen. Er verschloß und verriegelte die Thür und schritt ihnen voran, in der Richtung, aus welcher er gekommen war. Aber er durfte nur langsam gehen. Einige der Geretteten waren so schwach, daß sie sich kaum zu erhalten vermochten.

Die Luft wurde bei jedem Schritte besser und da vorn im vordersten Keller hielt er endlich an. Er brannte auch das Licht, welches er zu sich gesteckt hatte, an, befestigte es auf einem Balken und nun war es hell genug, um die Gesichtszüge zu erkennen. Da ergriff Sternau ihn bei der Hand und bat:

»Sennor, hier können wir Athem holen. Hier nun müßt Ihr uns auch sagen, wer Ihr seid.«

»Ja, hier sollt Ihr es erfahren,« antwortete Curt, vor Aufregung beinahe schluchzend. »Aber Einer soll es zuerst erfahren, vor allen Anderen!«

Er zog einen der bärtigen Männer nach dem anderen in den Kreis der Lichter und betrachtete sie. Als er des Steuermannes Hände in den seinigen hatte, fragte er ihn:

»Werden Sie stark genug sein, Alles zu hören?«

»Ja,« antwortete dieser.

»So will ich Ihnen leise sagen, wer ich bin. Aber Sie müssen es noch verschweigen, denn die Anderen sollen es errathen.«

Er schlang die Arme um ihn, näherte seinen Mund dem Ohre des Seemannes und wollte leise, ganz leise flüstern: »Mein Vater!« Aber er brachte es nicht fertig. Als er die abgemagerte Gestalt seines Erzeugers in den Armen hielt, konnte er nicht an sich halten, sondern rief laut und schluchzend:

»Vater! Mein lieber, lieber Vater!«

Er drückte ihn an sich, er küßte ihn auf Mund, Stirn und Wangen. Er bemerkte gar nicht, daß er vorher spanisch gesprochen, die letzten Worte aber in deutscher Sprache ausgerufen hatte.

Der Steuermann konnte nicht antworten. Er lag ohnmächtig in seinen Armen. Auch die Anderen waren vor Entzücken und Verwunderung stumm. Sternau war der Erste, welcher sich faßte.

»Curt! Ist's wahr? Du bist Curt Helmers?«

»Ja, ja, Herr Doctor, ich bin es.«

Er ließ seinen Vater langsam und vorsichtig zur Erde gleiten und flog dann in die geöffneten Arme Sternau's.

»Mein Gott, welch' ein Glück, welch' eine Gnade!« rief der Letztere. »Ich will nicht fragen, wie Du uns fandest, wie es Dir gelang, uns zu retten. Nur Eins will ich fragen: Wie steht es in Rheinswalden?«

»Gut, gut! Sie leben Alle, Alle.«


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»Meine Frau?«

»Ja.«

»Mein Kind, meine Tochter?«

»Ja.«

»Meine Mutter und Schwester?«

»Alle, Alle!«

Da sank der gewaltige Mann, der sich am stärksten und kräftigsten erhalten hatte, in die Kniee und faltete die Hände.

»Herrgott im Himmel, zum zweiten Male gerettet!« betete er. »Wenn ich das jemals vergesse, so magst Du meiner vergessen, wenn meine sterbende Hand an der Thür Deines Himmels um Einlaß klopft!«

Da fühlte sich Curt abermals von zwei Armen umfaßt.

»Ah, bist Du Onkel Donnerpfeil?«

»Ja, mein lieber, lieber Neffe.«

Aus diesen Händen ging der junge Mann in andere. Ein Jeder wollte ihn umarmen und küssen. Er mußte schließlich Sternau um Beistand bitten, diese Scene zu beenden.

»Allein bist Du unmöglich hier?« fragte dieser.

»Im Kloster ganz allein; draußen aber stehen meine Kameraden.«

»Wer sind sie?«

»Der schwarze Gérard, Geierschnabel und der Jäger Grandeprise. Kommt, Ihr Herren, kommt herauf! Noch sind wir hier nicht völlig sicher. Man weiß nicht, ob dieser Teufel von Pater nicht Helfershelfer hat. Wir wollen gehen, aber so wenig wie möglich Geräusch verursachen.«

Seinen Vater im rechten Arm, ergriff er mit der Linken die Laterne und schritt voran. Die Anderen folgten langsam. Den Schluß bildete Sternau mit dem Lichte. Er, der immer an Alles dachte, hatte die Schlüssel an sich genommen und verschloß jede Thür hinter sich, durch welche sie kamen.

Sie gelangten in die Wohnung des Paters. Es war mittlerweile spät geworden. Man war im Kloster schlafen gegangen und da die Krankenwärter, welche zu wachen hatten, sich in einem anderen Gebäude befanden, so hatten die Erretteten ihren jetzigen Aufenthalt erreicht, ohne daß sie von Jemand gesehen worden waren.

Hier nun brannte eine helle Lampe. Curt brannte zum Ueberflusse noch eine zweite an und nun konnte man sich deutlich sehen. Die Begrüßungen und Fragen begannen von neuem.

»Später, später,« wehrte Curt ab. »Sennor Sternau wird mir recht geben, daß wir zunächst auf unsere Sicherheit bedacht sein müssen.«

»Ganz recht,« antwortete der Genannte. »Wo sind die drei braven Jäger, welche draußen stehen?«

»Ich werde sie rufen.«

Bei diesen Worten trat Curt an das Fenster und öffnete es.

»Gérard!« rief er halblaut hinab.

»Hier, Monsieur.«

»Ist unten etwas vorgekommen?«

»Nein. Wie aber steht es oben?«


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»Gut. Werfen Sie mir Ihr Lasso zu.«

»Warum?«

»Sie Drei sollen an demselben heraufsteigen. Die anderen Wege werden verschlossen sein.«

»Haben Sie das Ihrige nicht mehr?«

»Nein.«

Gérard warf und Curt fing das Lasso auf. Als er es gehörig befestigt hatte, kamen die Drei Einer nach dem Anderen durch das Fenster. Sie waren nicht wenig erstaunt, eine so zahlreiche Gesellschaft zu finden.

»Donnerwetter!« meinte Geierschnabel, indem er den Mund weit aufriß. »Das sind sie ja!«

»Ja, das sind wir,« antwortete Sternau. »Wir schulden Euch unendlichen Dank, daß Ihr Euch unserer angenommen habt.«

»Unsinn. Aber, zum Teufel, wie hat dieser junge Mensch das denn eigentlich fertig gebracht?«

»Das hören Sie später,« meinte Curt. »Jetzt sollen Sie hier bleiben und für die Sicherheit dieser Herren, die noch unbewaffnet sind, sorgen. Herr Doctor, meinen Sie, daß noch andere Bewohner des Klosters mit dem Pater im Complotte sind?«

»Außer seinem Neffen wohl keiner,« antwortete Sternau.

»Werde es gleich sehen.«

Bei diesen Worten eilte er zur Thür hinaus, ohne sich durch die ängstlichen Zurufe der Anderen zurückhalten zu lassen.

Zur Treppe hinunter kam er in den Hof, dessen vorderes Thor jetzt verschlossen worden war. Aber beim Scheine einer Laterne bemerkte er ein zweites Thor, welches in einen anderen Hof führte. Er begab sich in denselben und sah ein Gebäude vor sich, in dessen Parterre ein Fenster erleuchtet war. An der Thür des Zimmers, zu welchem dieses Fenster gehörte, las er die Inschrift »Meldezimmer«. Er trat ein und wurde von einem hier sitzenden Wärter erschrocken angestarrt.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wie kommen Sie hierher?« fragte dieser, indem er aufsprang.

»Erschrecken Sie nicht,« antwortete er. »Ich komme in der allerfriedlichsten Absicht. Ich befinde mich bei Manfredo, dem Neffen des Paters Hilario. Wer hat in Abwesenheit dieses Letzteren etwaige Kranke zu behandeln?«

»Der zweite und dritte Arzt.«

»Wie heißt der zweite?«

»Menuccio.«

»Er schläft?«

»Ja.«

»Wecken Sie ihn augenblicklich.«

»Ist es nothwendig? Sonst darf ich nicht.«

»Aeußerst nothwendig.«

»Wen soll ich melden?«

»Einen fremden Offizier.«

Der Mann ging und kam erst nach einer längeren Weile wieder, um ihn zu


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dem Arzte zu führen. Dieser befand sich im Schlafrocke und empfing ihn ganz und gar nicht mit freundlicher Miene.

»Ist es so gefährlich, daß Sie mich im Schlafe stören?« fragte er.

»Ja, sehr gefährlich, besonders für Sie,« antwortete Curt.

»Für mich? Sennor, ich bin nicht zum Scherz aufgelegt!«

»Ich ebenso wenig. Ich komme, um Sie zu einer ganzen Zahl von Patienten zu bitten.«

»Darin sehe ich doch keine Gefahr für mich.«

»Und doch ist es so. Sagen Sie mir, ob Ihnen das geheimnißvolle und verbrecherische Treiben des Pater Hilario denn so ganz und gar unbekannt ist?«

»Sennor, wer sind Sie, daß Sie es wagen, von Verbrechen zu reden?«

»Ich habe das Recht dazu. Vor einiger Zeit verschwand eine ganze Zahl theils gewöhnlicher, theils sehr hochgestellter Personen, zwei Grafen Rodriganda, ein Herzog von Olsunna und Andere. Ich wurde beauftragt, nach ihnen zu forschen, und fand sie vor einer Stunde als Gefangene in den unterirdischen Löchern dieses Klosters. Wissen Sie etwas davon?«

Der Arzt machte ein Gesicht, als ob er zu Stein geworden sei.

»Träume ich denn?« fragte er.

»Sie träumen nicht, sondern Sie wachen. Pater Hilario hat diese Sennores in's Kloster gelockt und sie heimtückisch eingeschlossen. In den letzten Tagen war er sogar auf der Hazienda del Erina, um sämmtliche Bewohner derselben zu vergiften.«

Der Arzt wußte wirklich nicht, was er sagen sollte.

»Ich träume wirklich,« stieß er abermals hervor.

»Ich wiederhole, daß Sie wachen. Ich habe die Gefangenen befreit. Die Gefangenschaft in jenen Löchern hat ihre Gesundheit im höchsten Grade angegriffen. Sie bedürfen Ihrer Hilfe und ich fordere Sie auf, mir nach des Paters Wohnung zu folgen, wo sie sich einstweilen befinden.«

Der Arzt schüttelte noch immer den Kopf.

»Sennor, es handelt sich wirklich nicht um einen Scherz?« fragte er.

»Es ist mein bitterer Ernst.«

»Ich werde Sie begleiten, um mich zu überzeugen.«

Er kleidete sich schnell um und folgte dann Curt. Sein Staunen vergrößerte sich, anstatt sich zu vermindern, als er die zahlreiche Versammlung erblickte, zu welcher er gebracht wurde.

»Hier ist zunächst ein Arzt,« meldete Curt. »Wir bedürfen eines größeren Zimmers und stärkender Speisen und Getränke.«

Der Heilkünstler befand sich noch immer wie im Traume. Aber als er Don Ferdinando erblickte, welcher todtesmatt auf dem Sopha lag, begann er, an die Wirklichkeit zu glauben. Er hatte den Grafen früher in Mexiko sehr oft gesehen und erkannte ihn sofort wieder, trotzdem derselbe sich so sehr verändert hatte.

Die Anwesenden hatten selbst den ganzen Zusammenhang ihrer Rettung noch nicht vollständig erfahren, darum mußte der Arzt sich mit wenigen kurzen Mittheilungen begnügen; aber dies reichte doch hin, ihn zu überzeugen, daß es seine Pflicht sei, hier einzugreifen. Die ganze Gesellschaft wurde nach einem kleinen


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hübschen Salon versetzt, wo bald ein Jeder erhielt, was nothwendig war; ein Bad, frische Wäsche, interimistische Kleider anstatt der halb vom Leibe gefaulten, stärkenden Wein und eine Mahlzeit, wie sie in den Räumen des Krankenhauses wohl noch selten verzehrt worden war.

Die Geretteten dachten indeß wenig an ihre körperliche Schwäche. Sie wollten vor allen Dingen erfahren, was draußen geschehen sei. Jeder hatte hundert und aberhundert Fragen, und selbst der kleine André wendete sich an Curt:

»Also Sie stammen aus Rheinswalden?«

»Ja, freilich.«

»Und kennen dort wohl alle Leute?«

»Alle.«

»Kennen Sie auch einen Jägerburschen, welcher Ludwig Straubenberger heißt?«

»O freilich. Er ist der Liebling des Oberförsters.«

»Herr, der ist mein Bruder.«

»Das hat mir Geierschnabel bereits erzählt.«

»So lebt der Ludwig noch?«

»Der?« meinte Geierschnabel. »O, wenn den die lieben Engel doch schon hätten!«

»Warum?« fragte André, indem er Miene machte, zornig zu werden.

»Weil er mich arretirt hat.«

»Arretirt? Als was?«

»Als Wilddieb, Landola und Giftmischer. Aber er hat mich doch noch laufen lassen müssen.«

Während er sein kleines Abenteuer erzählte, fragte der Steuermann seinen Sohn:

»Vor allen Dingen eins, Curt. Die Mutter lebt?«

»Ja. Sie ist auch gesund und wohl, obgleich sie sich sehr gehärmt und gegrämt hat.«

»Und Du, was bist Du denn eigentlich geworden?«

»Rathe einmal.«

»Hm. Sennor Sternau hat Dir zur weiteren Ausbildung gefehlt und Deinen Antheil vom Schatz der Königshöhle hast Du wohl auch erhalten?«

»Ja, wenn auch etwas spät.«

»Nun, so bist Du reich, Du hast auf eine Stellung verzichtet?«

»O nein. Ich bin doch etwas geworden,« lächelte Curt.

»Also was?«

»Offizier.«

Da röthete sich das Gesicht des Steuermanns vor Freude. Sternau ergriff Curts Hand und meinte:

»Das ist brav. Du hast jetzt Urlaub?«

»Ja.«

»Wo dienst Du?«

»Ich stehe in Berlin und bin als Oberlieutenant der Gardehusaren zum Generalstabe commandirt.«

»Alle Wetter! Ich gratulire.«


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Der Vater umarmte den Sohn vor inniger Freude, und nun begann das eigentliche Erzählen und Berichten, welches so lange dauerte, bis gegenseitig völlige Klarheit herrschte. Da erhob sich Sternau von seinem Stuhle und sagte:

»Meine Freunde, wir dürfen noch nicht ruhen, es giebt für uns zu thun. Da ich der Kräftigste bin, werde ich mich mit Curt von Euch auf kurze Zeit verabschieden.«

Sie ahnten, was er vorhatte; aber sie waren theils durch die erlittenen Qualen und theils durch die gegenwärtige Aufregung wirklich geschwächt worden. Büffelstirn und Bärenherz wollten mit ihm gehen; er aber bat sie zu bleiben. Zwei jedoch ließen sich nicht zurückweisen, Grandeprise und Geierschnabel.

Diese Vier begaben sich, nachdem sie sich mit Waffen und Licht versehen hatten, wieder hinab in die unterirdischen Gänge, wo sie Manfredo aufsuchten. Dieser lag noch so in seiner Ecke. Er war so fest geschnürt, daß er sich aus derselben nicht hatte fortbewegen können. Da Sternau jetzt von Allem unterrichtet war, so leitete er das Verhör.

»Mensch,« sagte er, »Du bist nicht werth, daß ich Dich zertrete, aber vielleicht läßt sich Dein Schicksal doch noch mildern, wenn Du mir meine Fragen aufrichtig beantwortest.«

Manfredo war im Grunde genommen feig. Er sah, daß sein Spiel verloren sei, und darum suchte er sich zu entschuldigen.

»Ich bin nicht schuld, Sennor, ganz und gar nicht,« wimmerte er.

»Wer denn?«

»Mein Oheim. Ich muß ihm gehorchen.«

»Das entschuldigt Dich nicht. Ich will aber sehen, ob Du ein aufrichtiges Geständniß ablegst. Warum nahmt Ihr uns gefangen?«

»Weil ich Graf von Rodriganda werden sollte.«

»Welch ein Wahnsinn! Dein Oheim hätte uns später getödtet?«

»Ja.«

»Wo sind unsere Sachen, die Ihr uns abgenommen habt?«

»Die habe ich noch. Nur die Pferde sind verkauft.«

»Du wirst uns nachher Alles wiedergeben. Weißt Du, wo die Cortejo's und Landola stecken?«

»Ja. Dieser Sennor hat mir den Schlüssel zu ihrem Kerker mit den anderen weggenommen.«

»Wir haben ihn mit, und Du wirst uns die vier Personen nachher zeigen. Kennst Du sämmtliche unterirdische Gänge und Gewölbe dieses Klosters?«

»Alle.«

»Wer hat sie Dich kennen gelehrt?«

»Mein Oheim. Er hat einen Plan dieser Gewölbe.«

»Weißt Du, wo dieser Plan sich befindet?«

»Ja, im Schreibtische.«

»Du wirst ihn uns zeigen. Giebt es heimliche Ausgänge aus diesen Gewölben?«

»Ihr meint in das Freie?«

»Ja.«


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»Es giebt nur einen solchen.«

»Wo mündet er?«

»In einem Steinbruch, östlich der Stadt.«

»Du wirst uns dahin führen. Wo ist Dein Oheim jetzt?«

»Er ist nach Mexiko oder Queretaro.«

»Zu wem?«

»Zu dem Kaiser.«

»Was will er da?«

»Ich - ich weiß es nicht.«

Er log. Er dachte, daß sein Oheim vielleicht ihn doch noch retten könne, wenn es ihm gelang, seine politische Aufgabe zu erfüllen. Sternau durchschaute ihn, darum sagte er:

»Glaube nicht, daß Du mich betrügst. Je weniger aufrichtig Du bist, desto schlimmer wird Dein Loos. Also, was will Dein Oheim beim Kaiser?«

»Er will ihn abhalten, Mexiko zu verlassen.«

»Den Grund weiß ich bereits. Wer ist der dicke Mensch, mit dem Du heute Abend gesprochen hast?«

Manfredo erschrak. Also auch das war verrathen.

»Ich weiß es nicht,« antwortete er.

»Man empfängt Niemand bei sich, den man nicht kennt.«

»Ich kenne ihn wirklich nicht. Er kommt zuweilen zum Oheim, um ihm Befehle zu bringen.«

»Von wem?«

»Von der geheimen Regierung.«

»Aus welchen Personen besteht diese?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo hat sie ihren Sitz?«

»Auch das ist mir unbekannt.«

»Hm! Empfängt Dein Oheim geheime Papiere?«

Manfredo zögerte mit der Antwort.

»Wenn Du nicht redest,« drohte Sternau, »werde ich Dich so lange prügeln lassen, bis Du die Sprache findest. Ich frage Dich, ob er geheime Papiere bekommt.«

 »Ja.«

»Hebt er sie auf?«

»Ja.«

»Wo?«

»In einer verborgenen Zelle.«

»Kennst Du sie?«

»Ja.«

»Du wirst uns auch dahin führen. Jetzt stehe auf, und zeige uns, wo die Cortejo's stecken.«

Er lockerte dem Gefangenen die Beinfesseln so weit, daß derselbe langsam gehen konnte.


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»Zunächst werde ich die Instruction zu mir nehmen, welche dieser gute Neffe eines noch besseren Onkels heute von dem Dicken empfangen hat,« meinte Curt.

Er zog ihm die Papiere aus der Tasche und steckte sie in die seinige. Dann verließen sie das Gefängniß und wurden von Manfredo zu der Thür geführt, hinter welcher ihre Feinde steckten.

Curt öffnete. Der Schein des Lichtes drang in den dunklen Raum, in welchem vier gefesselte Gestalten zu erkennen waren.

»Kommst Du endlich, um uns heraus zu lassen?« fragte eine heisere Stimme.

Es war diejenige Gasparino Cortejo's, welcher glaubte, daß Manfredo käme.

»Herauslassen? Dich, Schurke?« rief Grandeprise, indem er Sternau die Laterne aus der Hand nahm und eintrat.

Cortejo starrte ihn an.

»Grandeprise!« stöhnte er.

»Ja, Grandeprise bin ich und endlich habe ich Dich und meinen süßen Bruder. O, dieses Mal lasse ich mich nicht täuschen, dieses Mal sollt Ihr nicht entkommen.«

»Wie kommt Ihr hierher?« fragte Gasparino. »Hat der Pater Euch an Manfredo's Stelle zum Kerkermeister gemacht? Laß uns fliehen und ich belohne es Euch mit einer Million Dollars.«

»Mit einer Million? Wicht! Kein einziger Pfennig ist Dein Eigenthum. Es wird Dir Alles genommen werden, selbst Dein armseliges, elendes Leben.«

»Weshalb? Ich habe nichts gethan.«

»Nichts, Schurke? Frage Den hier!«

Er ließ das Licht der Laterne auf Sternau fallen, welcher hinter Grandeprise eingetreten war. Cortejo erkannte diesen.

»Sternau!« knirschte er.

Da begannen auch sein Bruder und seine Nichte sich zu regen. Sie drehten sich um und blickten Sternau an.

»Er ist frei,« rief Josefa kreischend.

»So hat der Teufel uns betrogen,« meinte Landola, indem er einen fürchterlichen Fluch hinzufügte.

»Ja, er hat Euch betrogen,« antwortete Sternau, »und Gott hat sein Gericht bereits begonnen. Ihr werdet das Loch nur verlassen, um verhört und bestraft zu werden.«

»Pah!« hohnlachte Landola. »Wer zwingt uns, zu gestehen?«

»Wir brauchen Euer Geständniß nicht. Ihr seid bereits überwiesen. Aber ich würde wohl ein Mittel kennen, Euch Alle zum Reden zu bringen. Hast Du es vergessen, Gasparino Cortejo?«

Dieser antwortete nicht.

»Ich werde es Dir in's Gedächtniß zurückrufen,« sagte Sternau. »Weißt Du noch, als ich Dich anschnallen und kitzeln ließ, weil ich Deinen Geifer zu einem Gegengifte brauchte?«

Es ging Cortejo eiskalt über den Körper.

»Noch lebt Graf Emanuel,« fuhr Sternau fort, »aber er ist noch wahnsinnig


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von dem Gifte, welches Ihr ihm gegeben. Ich brauche Gegengift. Macht Euch gefaßt. Ich nehme es mir von keinem anderen Menschen als von Euch.«

Damit verließ er mit Grandeprise das Gefängniß und schloß es wieder zu.

»Jetzt sollst Du uns zunächst den Plan dieser Gewölbe und Gänge zeigen,« sagte er dann zu Manfredo.

Sie begaben sich nach der Stube des Paters zurück, in dessen Schreibtisch sie den Plan fanden. Wer denselben zur Hand hatte, bedurfte keines Führers, so labyrinthisch die einzelnen Theile in einander flossen, das sah Sternau sofort.

Nun wollte er die geheimen Schriften des Paters sehen. Er wurde von dem Gefangenen nach der Zelle geführt, in welcher Sennorita Emilia ihre Abschriften genommen hatte. Er blickte die vorhandenen Scripturen oberflächlich durch und untersuchte sodann die Koffer und Kisten. Dabei entdeckte er die Meßgewänder und heiligen Gefäße, welche Emilia nicht angerührt hatte, obwohl dieselben ein Vermögen von mehreren Millionen repräsentirten. Er sah die Juwelen flimmern und fragte:

»Wem gehört das?«

»Meinem Onkel,« antwortete der Gefangene.

»Ah! Ihm? Woher hat er es?«

»Vom Kloster.«

»Er hat es gewiß geschenkt erhalten?«

»Nein. Er hat es einfach genommen und aufbewahrt. Das Kloster hörte auf, da hatte das Zeug keinen Herrn mehr.«

»Schön! Es wird den richtigen finden. Jetzt wollen wir den Gang sehen, welcher in das Freie führt.«

Auch hier mußte Manfredo gehorchen. In Zeit von zehn Minuten standen sie vor dem geheimen Ausgange, welcher durch einen Haufen scheinbar zufällig hierher gekommener Steintrümmer maskirt wurde. Es genügte das Fortwälzen von drei oder vier Steinen, um ein so großes Loch frei zu legen, daß ein Mann ganz bequem eintreten konnte.

»Wie herrlich wird das passen, Herr Doctor,« meinte Curt zu Sternau, jedoch in deutscher Sprache, um von Manfredo nicht verstanden zu werden.

»Was?« fragte der Doctor.

»Ich meine diesen geheimen Eingang in Beziehung zu den zweihundert Soldaten, welche Punkt vier Uhr kommen sollen.«

»Ich verstehe Dich. Glaubst Du, daß ich diesen Gedanken bereits gehabt habe?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Warum?«

»Weil Sie diesen Menschen nach einem verborgenen Ausgang fragten, nachdem wir von der erwarteten Einquartierung gesprochen hatten.«

»Das stimmt. Wo sollte er sie treffen?«

»Unten, wo der Klosterweg beginnt.«

»Es soll hier eine Demonstration vorgenommen werden, und zwar, um den Kaiser zu verleiten, Mexiko nicht zu verlassen. Wir müssen das hindern, sowohl


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des Kaisers als auch Juarez' wegen.«

»Auch der Bewohner dieses Städtchens wegen, denn die sogenannten Soldaten, welche kommen werden, sind jedenfalls nur zusammengetrommelte Räuber und Plünderer.«

»Das steht zu erwarten. Wie aber werden wir das fertig bringen? Ziehen wir die Stadtbewohner, um Hilfe zu haben, in das Geheimniß?«

»Da würden wir uns der Gefahr aussetzen, verrathen zu werden.«

»Leider. Wir müssen also allein fertig zu werden suchen. Bist Du gewillt, an Stelle des Gefangenen hier die heimlich eintreffenden Truppen zu empfangen?«

»Natürlich!«

»Es kann das aber gefährlich sein.«

»Pah! Ich habe nicht gelernt, mich zu fürchten.«

»Schön! Sie werden aber denken, durch das Thor nach dem Kloster geführt zu werden.«

»Ich werde ihnen sagen, daß der Plan einigermaßen verrathen zu sein scheine, und daß Juarez einen kleinen Truppentheil gesandt habe, um das Kloster zu besetzen.«

»Schön. Sie werden also einsehen, daß sie ohne Kampf nicht durch das Thor gelangen können.«

»Und daß sie klüger thun, mir durch einen geheimen Eingang zu folgen, in welchem Falle es ihnen leicht sein werde, die Besatzung zu überrumpeln.«

»Ich bin darauf gefaßt, daß sie Dir folgen werden. Aber wie wird es uns gelingen, sie zu überwältigen?«

»Wir schließen sie ein.«

»Pah, sie sind bewaffnet. Sie schießen die Thüren caput. Wir müßten ihnen auf irgend eine Weise die Waffen abzunehmen suchen.«

»Mit Gewalt geht das nicht.«

»Auf keinen Fall. Aber ein Licht giebt es hier auch nicht.«

»Hm!« meinte Curt nachdenklich. »Da fällt mir ja ein, wie dieser Pater Hilario seine Gefangenen entwaffnet hat.«

»Du meinst das Pulver, mit welchem er uns die Besinnung nahm?«

»Ja.«

»Das wird sich bei einer so großen Anzahl wohl nicht verwenden lassen.«

»Warum nicht? Die Hauptsache ist, solches Pulver zu haben. Ich setze nun den Fall, wir kommen in einen Gang, welcher durch zwei Thüren verschlossen ist und eine solche Länge hat, daß er gefüllt ist, wenn zweihundert Mann hinter einander herschreiten. Unten am Boden hat man, so lang der Gang ist, einen Strich dieses Pulvers geschüttet. Ich gehe voran und Sie hinterher, die Kerls aber zwischen uns. Wenn ich die vordere Thür erreiche, sind Sie zur hinteren eingetreten. Wir bücken uns, brennen das Pulver an; die Flamme läuft in einem Augenblick durch den ganzen Gang, Sie springen durch Ihre Thür zurück und ich durch die meinige vor; wir verriegeln sie und diese Kerls sind alle ohnmächtig.«

»Hm,« meinte Sternau nachdenklich. »Die Ausführung dieses Planes wäre möglich. Aber haben wir Pulver?«

Und sich zu Manfredo wendend, fragte er:


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»Wer fertigt das Pulver an, mit dessen Hilfe Ihr uns vertheidigungslos gemacht habt?«

»Mein Oheim.«

»Kennst Du die Zusammensetzung desselben?«

»Nein.«

»Wird es durch Nässe verdorben?«

»Nein. Es brennt naß grad ebenso gut wie trocken. Wir haben es in einem dumpfen Keller stehen, es zieht viel Feuchtigkeit an, hat aber noch niemals versagt.«

»So brennt es ebenso leicht wie Schießpulver?«

»Noch leichter.«

»Aber es ist lebensgefährlich. Wenn Ihr uns nun damit getödtet hättet. Es war sehr leicht, zu ersticken.«

»O nein, Sennor. Von diesem Geruche stirbt Niemand. Es betäubt, aber es tödtet nicht.«

»Habt Ihr Vorrath?«

»Ein kleines Fäßchen voll.«

»Zeige es uns.«

Sie kehrten zurück. Indem sie durch einen der Gänge schritten, meinte Sternau zu Curt:

»Dieser Gang dürfte grad die geeignete Länge haben.«

»Er wird zweihundert Personen fassen. Wenn ich da vorn die Thüre erreicht hätte, müßte ich warten, bis Sie mir durch ein Zeichen zu verstehen geben, daß Sie eingetreten und bereit sind.«

»Ich würde ganz einfach so thun, als ob ich Dir etwas zu sagen hätte, und laut Deinen Namen rufen.«

»Das heißt, aber nicht meinen richtigen.«

»Nein, sondern den Namen Manfredo, da sie Dich für den Neffen des Paters halten.«

»Was aber geschieht, wenn es glückt, mit ihren Pferden? Denn Reiter sind es auf alle Fälle.«

»Sie werden ihre Thiere unter der Aufsicht einiger Kameraden zurücklassen, und für diese Letzteren sind wir doch jedenfalls Manns genug.«

»Richtig! Das wäre also abgemacht. Jetzt nun zunächst das Pulver sehen.«

Manfredo führte sie in ein kleines, niederes Kellerchen, wo ein Fäßchen stand, welches ungefähr fünfzehn Liter Inhalt zu fassen vermochte. Es war noch halb voll Pulver. Das Letztere war sehr feinkörnig, vollständig geruchlos und hatte eine dunkelbraune Farbe.

»Wollen es probiren,« meinte Sternau.

Er nahm eine kleine Quantität und kehrte eine Strecke zurück, wo er das Pulver auf eine sehr feuchte Stelle des Bodens fallen ließ. Dann putzte er das Licht und ließ eine kleine Schnuppe auf die Stelle niederfallen. Im Nu zuckte eine gelbblaue Flamme empor, und in demselben Augenblicke verbreitete sich ein Geruch, welcher sie zur schleunigsten Flucht zwang.


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»Es wird gelingen,« meinte Sternau. »Wir sind hier unten fertig. Kehren wir zu den Freunden zurück.«

Manfredo wurde in seine Zelle zurückgebracht und dort eingeschlossen; die vier Männer aber gingen nach oben, natürlich alle Thüren sorgfältig hinter sich verschließend. Droben wendete Sternau sich an Geierschnabel:

»Sie kommen, wie ich hörte, aus der Hauptstadt?«

»Ja.«

»Wo hat Juarez sein Hauptquartier?«

»In Zacatecas.«

»Aber die Ortschaften nördlich dieser Stadt sind auch von seinen Truppen besetzt?«

»Natürlich!«

»Hm! Welches ist der nächste Ort von hier, an welchem Soldaten des Präsidenten zu finden sind?«

»Nombre de Dios

»Wie weit ist dies von hier?«

»Ein guter Reiter macht es in vier Stunden.«

»Würden Sie in der Nacht den Weg hier finden?«

»Donnerwetter! Geierschnabel und den Weg nicht finden. Das wäre ja ebenso schlimm, als wenn das Primchen das Maul nicht finden wollte.«

»Wollen Sie den Ritt unternehmen?«

»Ja. Ah, wohl wegen der zweihundert Kerls, welche da unten angeräuchert werden sollen?«

Er verstand so viel Deutsch, daß er dem Gespräch zwischen Curt und Sternau hatte folgen können.

»Ja,« antwortete der Letztere. »Sie sagen dem Platzcommandanten, was Sie wissen, und bitten ihn um eine hinreichende Anzahl Militär, denen wir unsere Gefangenen übergeben können.«

»Schön. Werde am Vormittage zurück sein.«

»Aber, ob man Ihnen glauben wird?«

»Sicher! Ich bin ja mit Sennor Curt durch den Ort gekommen, und wir haben den Commandanten besucht. Er kennt mich persönlich.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja. Er war mit dabei, nämlich bei Juarez, als dieser am Rio Grande auf Lord Lindsay stieß. Damals war er nur Lieutenant, jetzt ist er bereits Major. In diesem gesegneten Lande avancirt man sehr schnell.«

»Es scheint allerdings so. Soll ich Ihnen einen Mann mitgeben?«

»Wozu?«

»Man weiß nicht, was passiren kann, und ich möchte die Botschaft ganz sicher wissen.«

»Pah! Bei Geierschnabel ist sie sicher. Ich gehe nach der Venta zu meinem Pferde. In zehn Minuten bin ich unterwegs.«

Er ging.

Sternau hatte nun den Anderen zu berichten, was er unter dem Kloster gesehen und gefunden hatte. Man kann sich denken, mit welcher Spannung Alle


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seinem Berichte folgten. Als er erwähnte, daß er im Begriff stehe, eine ganze Schaar Soldaten zu fangen, wollte fast ein Jeder dabei sein, aber er schlug alle Anerbietungen mit dem Bemerken ab, daß es auffallen müsse, wenn sich viele Personen zeigen würden.

Der Hauptheld des Abends aber war und blieb doch Curt. Sein Vater und Oheim konnten sich nicht satt an ihm sehen; er hatte nur zu erzählen, und wenn eine Frage beantwortet war, so gab es deren für diese eine gleich zehn in petto, welche ebenso beantwortet werden mußten.

Es war eigenthümlich, daß, außer Don Ferdinando, welcher im Bette lag, die Anderen sich verhältnißmäßig wohl fühlten. Die Freude über ihre Rettung schien alle Folgen ihrer Gefangenschaft beseitigt zu haben. Man war fröhlich, munter, theilweise sogar ausgelassen, und dankte das zum nicht geringsten Grade auch der Aufmerksamkeit, welche ihnen von dem Personale des Hauses erwiesen wurde.

Es war diesen Leuten fast unmöglich, an das Geschehene zu glauben. Sie wußten natürlich, daß eine gerichtliche, strenge Untersuchung die Folge sein werde, und thaten alles Mögliche, um zu zeigen, wie fern sie den Thaten des verbrecherischen Paters gestanden hatten.

So verging die Nacht, und es nahte die vierte Stunde. Da machte sich Sternau auf, um sich ganz allein nach den unterirdischen Gängen zu begeben. Es blieb ihm Zeit genug, das Pulver zu streuen. Eine volle halbe Stunde später brach Curt auf.

Er schlich sich durch das leise geöffnete Klosterthor und schritt langsam den Weg hinab. Unten angekommen, war es ihm, als ob er ein leises Waffengeklirr vernehme. Er blieb also stehen und horchte aufmerksam in das Dunkel hinein. Da rief es so nahe neben ihm, daß er fast erschrocken zusammenfuhr:

»Halt! Werda?«

»Gut Freund,« antwortete er.

»Die Losung?«

»Miramare!«

»Gut! Du bist der Richtige. Komm!«

Er wurde beim Arme gepackt und eine ziemliche Strecke vom Wege seitwärts abgeführt. Dort sah er trotz der Dunkelheit zahlreiche Männer und Pferde stehen. Eine Gestalt trat ihnen entgegen und fragte:

»Ist er da?«

»Ja, hier,« antwortete der Mann, welcher Curt geführt hatte, sich aber jetzt zurückzog.

»Wer bist Du?« fragte die Gestalt, vor welcher Curt jetzt stand.

»Ich hoffe, daß Ihr es bereits wißt,« antwortete der Gefragte.

»Allerdings. Ich frage nur der Sicherheit wegen.«

»Mein Name ist Manfredo.«

»Verwandt mit -«

»Neffe des Pater Hilario.«

»Das stimmt. Ist oben das Thor offen?«

»Nein.«


// 2462 //

»Donnerwetter! Warum nicht?«

»Ich würde schön ankommen, wenn ich es öffnen wollte!«

»Bei wem denn?«

»Beim Commandanten.«

»Ist denn ein Commandant da oben?«

»Natürlich.«

»Aber davon wurde mir ja gar nichts gesagt!«

»Das läßt sich denken. Die Kerls sind ja erst seit Mitternacht hier oben.«

»Welche Kerls?«

»Nun, die Republikaner.«

»Alle Wetter! Leute des Juarez?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Fünfzig Mann.«

»Was wollen sie denn im Kloster?«

»Hm. Ob sie Wind bekommen haben? Der Anführer fragte nämlich in einem höhnischen Tone, ob wir vielleicht heute Nacht Besuch erwarteten.«

»Ah! Sie haben eine Ahnung. Aber sein Hohn soll ihm schlecht bekommen. Wir werden hinauf reiten und die Kerls zusammenhauen.«

»Wenn das nur ginge, Sennor.«

»Warum soll es nicht gehen?«

»Könnt Ihr durch die Mauern oder durch verschlossene Thüren reiten?«

»Das nicht; aber wir können verschlossene Thore aufsprengen.«

»Und sich vorher von Denen, die dahinter stehen, erschießen lassen.«

»Pah! Es sind nur fünfzig Mann!«

»Aber diese fünfzig Mann hinter Mauern sind mehr zu fürchten, als die zehnfache Zahl im offenen Felde.«

»Das ist wahr. Verdammt! Ich habe Befehl, mich des Klosters auf alle Fälle zu bemächtigen.«

»Und ich habe den Befehl, Euch auf alle Fälle hineinzubringen.«

»Das ist nun doch nicht möglich.«

»Warum nicht?«

»So giebt es wohl eine Pforte, welche nicht besetzt oder bewacht ist?«

»Das nicht. Aber diese klugen Republikaner haben vergessen, daß alte Kloster geheime, unterirdische Gänge zu haben pflegen.«

»Alle Teufel! Giebt es hier einen?«

»Ja.«

»Ist er gefährlich?«

»Ganz und gar nicht. Ihr kommt auf demselben in das Innere des Klosters, ohne von einem einzigen Menschen bemerkt zu werden. Die Republikaner campiren im Hofe und Garten.«

Der Anführer stieß ein kurzes, befriedigtes Lachen aus.

»Welch eine Ueberraschung,« meinte er, »wenn es Tag wird und sie sehen uns als Herren des Platzes, den sie vertheidigen sollen. Wo ist der geheime Eingang?«


// 2463 //

»Gar nicht weit von hier, da links hinüber.«

»Aber wir brauchen Laternen.«

»Nur zwei und die sind vorhanden.«

»So führe uns. Aber, was wird mit den Pferden?«

»Laßt einige Leute hier bei ihnen. Wenn ich Euch an Ort und Stelle gebracht habe, kehre ich zurück und bringe sie an einen sicheren Ort.«

Der Anführer hegte nicht das mindeste Mißtrauen. Er handelte ganz nach Curt's Vorschlägen. Als die lange Colonne in den Steinbruch kam, ertönte ihnen ein »Halt!« entgegen.

»Gut Freund,« antwortete Curt.

»Die Losung?«

»Miramare.«

»Alles in Ordnung.«

»Donner und Doria! Wer ist das?« fragte der Anführer.

»Ein Kamerad von mir. Wir müssen doch wenigstens Zwei sein, um Euch zu führen.«

»Hm. Ist der Kerl sicher?«

»Das seht Ihr aus dem Umstande, daß er die Losung kennt.«

»Mag sein. Wo ist der Eingang?«

»Hier,« antwortete Sternau, indem er in das Loch trat und die Blendlaterne öffnete, um ihren Schein auf die Umgebung fallen zu lassen. Eine zweite Laterne reichte er Curt hin.

»Wer geht voran?« fragte der Offizier.

»Ich,« meinte Curt.

»Und dieser da hinterher?«

»Ja.«

»Da haben wir zu wenig Licht; aber es ist zu spät, dies abzuändern. Vorwärts also!«

Curt stellte sich an die Spitze und betrat den Gang. Der Anführer folgte gleich hinter ihm. Langsamen Schrittes setzte sich der Zug, Einer hinter dem Anderen, in Bewegung, aus einem Gang in den anderen.

Nach kurzer Zeit wurde derjenige erreicht, wo die Explosion vor sich gehen sollte. Curt hatte ihn schon ganz durchschritten und stand an der Thür, welche Sternau offen gelassen hatte. Nur noch ein Schritt, so hatte er den Gang hinter sich und es war ihm unmöglich, das Pulver anzubrennen. Daß dies an der rechten Seite des Ganges hart an die Mauer gestreut werden solle, hatte er mit Sternau ausgemacht.

Dieser Letztere war jedenfalls noch zurück und hatte, hinter dem Zuge hergehend, den Gang noch gar nicht erreicht. Um Zeit zu gewinnen, hielt Curt das Windloch seiner Laterne zu und sofort verlöschte dieselbe.

»Donnerwetter! Was machst Du denn?« fragte der Offizier.

»Nichts. Ich bin nicht schuld,« antwortete Curt. »Es kam ein Zug durch die Thür hier.«

»Hast Du Hölzer?«

»Ja.«


// 2464 //

»So brenne wieder an.«

Curt kauerte sich nieder, als ob das Licht sich in dieser Stellung besser anbrennen lasse, und strich das Hölzchen an. Beim Aufflackern desselben erkannte er deutlich den Pulverstrich, welchen Sternau gestreut hatte.

»Manfredo,« rief es glücklicher Weise in diesem Augenblicke von hinten her.

»Ja,« antwortete er.

Zugleich hielt er die Flamme des Hölzchens an das Pulver. Ein blaugelber Blitz zuckte von den beiden Enden des Ganges nach dem Mittelpunkte zu. Curt sprang zur Thür hinaus, warf dieselbe zu und schob die Riegel vor. Dann erst brannte er die Laterne wieder an und lauschte.

Er hörte hinter der Thür ein wirres Rufen und Fluchen, es folgte ein vielstimmiges Aechzen, welches nach und nach verstummte, und dann war es still. Das Pulver hatte seine Wirkung gethan.

Jetzt eilte Curt nach oben, um Hilfe zu holen. Grandeprise, Gérard, André, die Indianerhäuptlinge, kurz Alle außer Don Ferdinando, welcher zu schwach war, folgten ihm. Sie mußten sich, an Ort und Stelle angelangt, in vorsichtiger Entfernung halten, um, als Curt die Thür öffnete, von dem Geruche nicht erreicht zu werden. Nach einiger Zeit jedoch hatte sich derselbe so weit verflüchtigt, daß man zu den Gefangenen konnte.

»Curt,« rief es von hinten.

Es war Sternau, welcher die Laternen da vorn gesehen hatte.

»Ja,« antwortete der Angerufene.

»Gelungen bei Dir?«

»Ja.«

»Dann schnell entwaffnen und sie wieder einschließen.«

Dies wurde in aller Eile besorgt, während Sternau von seiner Seite beschäftigt war, den Eingang im Steinbruche wieder zu maskiren. Als er zu den Anderen kam, waren diese fertig.

»Das ist ein Streich,« meinte der kleine André. »Den werden diese Kerls gewiß nie vergessen.«

»Wir sind noch nicht fertig,« meinte Sternau. »Wo hat man die Pferde gelassen?«

»Unten unweit des Weges,« antwortete Curt.

»Wie viele Männer sind bei ihnen?«

»Da es dunkel war, konnte ich sie nicht zählen.«

»Viele werden es nicht sein. Wir werden es mit ihnen kurz machen.«

»Sie überfallen?« fragte André.

»Ja.«

»Ich würde einfacher verfahren,« antwortete Curt.

»Wie?«

»Ich gehe hinab zu den Wächtern und sage, daß wir glücklich im Kloster angekommen sind und die Republikaner überwältigt haben.«

»Du denkst, sie werden Dir mit den Pferden folgen und uns so von selbst in die Hände laufen?«

»Ja.«


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»Hm. Möglich wäre es, daß sie dumm genug sind. Mit unseren Cavalleriepferden brächten sie es nicht fertig; die mexikanischen Thiere aber folgen wie die Pudel, wenn sie einmal eingeritten sind. Versuche es.«

Nach kurzer Zeit verließ Curt das Kloster durch das Thor und schritt, laut pfeifend, den Weg hinab. Unten angekommen, bog er nach der Stelle ab, an welcher er die Pferde wußte.

»Na, da bin ich endlich,« meinte er in übermüthigem Tone.

»Kerl, was fällt Dir ein,« antwortete einer der Leute.

»Was denn?«

»So laut zu pfeifen!«

»Warum soll ich das nicht?«

»Du machst ja die Republikaner droben auf uns aufmerksam!«

»Fällt mir nicht ein.«

»Sie müssen es doch hören.«

»Pah! Die hören mein Pfeifen nicht. Sie stecken Alle im Keller.«

»Was? Wie? Ist es wahr?«

»Natürlich. Wir haben sie ausgezeichnet überrumpelt. Sie ahnten nichts und waren entwaffnet, ehe sie Widerstand zu leisten vermochten.«

»Das ist gut. Hurrah, das ist gut! Hört Ihr es, Ihr Anderen?«

Diese kamen herbei und jubelten mit, als sie die freudige Botschaft hörten. Einer fragte:

»Was thun denn nun die Kerls da oben?«

»O, die vertreiben sich die Zeit. Sie sitzen im Saale und schmaußen oder sind im Keller bei den großen Stückfässern.«

»Diese Lumpen! Und was haben wir?«

»Ihr sollt hier bei den Pferden bleiben.«

»Wer sagte das? Etwa der Oberst?«

»Nein, der sitzt beim Arzte und säuft. Ein Anderer sagte es.«

»Was Andere sagen, geht uns nichts an. Wenn Andere essen und trinken, so wollen wir es auch. Ist der Klosterhof groß?«

»Ja.«

»Faßt er diese Zahl von Pferden?«

»Hm, noch viel mehr.«

»So reiten wir hinauf.«

»Das geht ja nicht.«

»Warum nicht?«

»Die Pferde werden Euch nicht nachlaufen.«

»Kerl, was verstehst Du als Neffe eines alten Pfaffen von den Pferden! Diese Thiere werden uns ganz prächtig folgen. Kannst Du reiten?«

»Ein wenig.«

»So steig auf das erste, beste Pferd und zeige uns den Weg.«

»Gut. Aber ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn Ihr da droben nicht so aufgenommen werdet, als wie Ihr es denkt.«

»Rede nicht, sondern gehorche.«

»Meinetwegen.«


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Er stieg auf und ritt davon. Die Pferde folgten wirklich. In der Wildniß folgt jedes Thier dem Leithengste und diese Pferde waren ja fast noch halb wild.

Droben angekommen, gab Curt das Zeichen. Das Thor wurde geöffnet und sie ritten in den Hof, wo nur eine einzige Laterne brannte. Das Thor aber schloß sich hinter ihnen. Als die Leute den Hof so dunkel und menschenleer sahen, fragte Einer:

»Nun, wo sind denn die Kameraden?«

»Kommt nur hinter in den zweiten Hof,« antwortete Curt, »da könnt Ihr Euch eine Güte thun.«

Sie stiegen ab und folgten ihm. Allerdings war dieser andere Hof besser erleuchtet, aber kaum eingetreten, wurden sie umringt und entwaffnet, ohne daß es nur Einer von ihnen zu Stande gebracht hätte, das Messer zu ziehen oder ein Pistol abzudrücken.

Jetzt nun erst konnte man sagen, daß der Handstreich vollständig gelungen sei. Helmers war stolz auf seinen Sohn, er sah ja, was für ein tüchtiger Kerl er geworden war.

Nachdem auch diese Gefangenen in Sicherheit gebracht worden waren, wurde der Alkalde geweckt und geholt. Er mußte ein Protocoll über Alles, was geschehen war, anfertigen und gab gern seine Erlaubniß dazu, daß die beiden Cortejo's, Josefa und Landola so lange in ihrem Klosterkerker bleiben sollten, bis Juarez eine andere Bestimmung getroffen habe.

Sodann wurde berathen, was nun geschehen solle.

Es war klar, daß der erste gerichtliche Act in Angelegenheit der Familie Rodriganda hier in Mexiko spielen müsse. Das aber konnte nicht eher geschehen, als bis geordnetere Verhältnisse eingetreten seien. Die Franzosen waren fort und der Kaiserthron wankte bereits so sehr, daß er jeden Augenblick einstürzen konnte. Dann erst war auf die kräftige Hilfe Juarez' zu rechnen.

Darum wurde nach längerer Besprechung beschlossen, daß Curt, Sternau, Geierschnabel, Gérard, Büffelstirn und Bärenherz sich zu Juarez begeben sollten; auch der kleine André setzte es durch, mitgehen zu dürfen. Die Anderen aber sollten zurückbleiben, um dafür zu sorgen, daß keiner der vier so wichtigen Gefangenen entkomme. Peters blieb auch zurück. Die beiden Vaquero's wurden aus der Venta geholt und als sie Alles erfahren und gesehen hatten, ritten sie nach der Hazienda zurück, um dort die frohe Botschaft auszurichten, daß Alle, Alle gerettet seien.

Mariano sehnte sich zwar, auch mit zu Juarez zu gehen, da Lindsay und Amy sich bei demselben befanden, aber die Rücksicht auf die höchst angegriffene Gesundheit Don Ferdinando's, seines Oheims, nöthigte ihn, bei demselben zu bleiben.

Der Vormittag war noch nicht vergangen, so kam Geierschnabel den Klosterweg herangaloppirt und meldete, daß der Major in eigener Person mit zweihundert Lanzenreitern aufgebrochen sei und ihm auf dem Fuße folge.

Als einige Minuten später diese Truppe anlangte, erinnerte Sternau sich allerdings, diesen Offizier am Rio Grande del Norte bei Juarez bereits gesehen zu haben. Dieser war nicht wenig erstaunt, als er hörte, was geschehen sei und auf welche Weise man sich der Feinde bemächtigt hatte.

Er bestimmte, daß die Gefangenen bis auf Weiteres hier verbleiben sollten


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und legte hundert Mann Garnison in den Ort. Als er hörte, daß Sternau nebst seinen Genossen zu Juarez gehe, schrieb er einen Bericht an General Eskobedo nieder, welcher in Zacatecas kommandirte, und bat Sternau, dieses Schriftstück dem General zu überreichen.

Jetzt nun ging es an's Einpacken. Die im unterirdischen Gemache vorgefundenen Schriftstücke und Kostbarkeiten wurden sorgfältig emballirt, um sie Juarez zu bringen. Ueberhaupt wurde Alles, was für diesen großen Mann von Interesse sein konnte, mitgenommen.

Am Nachmittage ritt man ab, nachdem von den Anderen Abschied genommen worden war und am übernächsten Tage Vormittags langte die Truppe glücklich in Zacatecas an.

Dort gab es ein mehr als reges, ein beinahe fieberhaftes Leben, da General Eskobedo hier commandirte und zugleich Juarez seinen Sitz da hatte.

Der erste Weg Sternaus war natürlich zu diesem Letzteren.

Der Präsident war außerordentlich beschäftigt, aber als er hörte, wer es sei, der ihn sprechen wolle, ließ er Sternau augenblicklich vor.

Letzterer kam nicht allein, sondern er hatte Curt mitgebracht.

Curt hatte im Kloster und auch unterwegs gar nicht viel Redens von sich gemacht. Er hatte weder von seinen Orden noch von der Auszeichnung gesprochen, welche ihm von seinem höchsten Vorgesetzten geworden war; aber jetzt, da er diesem großen, berühmten Indianer gegenüberstehen sollte, hatte er sich doch den Spaß gemacht, alle seine Orden und Ehrenzeichen anzulegen. Da er aber nach mexikanischer Weise die Serape (kostbare Decke) um die Schulter trug, waren dieselben noch nicht zu sehen.

Sternau seinerseits hatte erkannt, daß der Same, den er in das Gemüth und den Character des Knaben gelegt hatte, zur glücklichen Reife gekommen sei. Er kannte zwar nicht die Anerkennungen, welche dem jungen Manne geworden waren, aber er war überzeugt, daß dieser ganz das Zeug zu einem mehr als gewöhnlichen Manne habe, und daher beschloß er, bei dieser Audienz beim Präsidenten Curt mehr in den Vordergrund treten zu lassen, sich selbst aber nur mit der zweiten Rolle zu begnügen. Er ahnte nicht, daß dies gar nicht nothwendig sei und daß Curt es selbst ganz vortrefflich verstand, sich Geltung zu verschaffen.

Die untersetzte, breite Gestalt des Zapoteken stand stramm aufgerichtet an dem Tische, als die Beiden eintraten. In seinem sonst so ernsten Auge glänzte ein freudiger Schimmer, als er Sternau erblickte. Er schritt ihm schnell entgegen, gab ihm beide Hände und sagte:

"Das sind Sie wirklich?"

»Wie? Da sind Sie wirklich, Sennor? Ich traute meinen Ohren kaum, als Sie mir gemeldet wurden. So ist es also nicht wahr, was man mir erzählte, daß Ihnen ein neues großes Unglück zugestoßen sei?«

»Wohl ist es wahr, Sennor,« antwortete Sternau ernst. »Ich und alle meine Freunde, wir befanden uns in einer gradezu verzweifelten Lage und nur diesem jungen Manne haben wir es zu verdanken, daß wir gerettet wurden.«

Juarez richtete sein Auge forschend, aber mild und wohlwollend auf Curt und sagte dann:

»Wollen Sie ihn mir nicht vorstellen, Sennor Sternau?«


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»Ich wollte bitten, es thun zu dürfen. Oberlieutenant Curt Helmers vom preußischen Regimente der Gardehusaren.«

Curt verbeugte sich sehr höflich. Juarez nickte ihm freundlich zu und fragte dann, wie nachsinnend:

»Curt Helmers? Habe ich diesen Namen nicht schon einmal gehört?«

»Gewiß, Sennor,« antwortete Curt. »Ich war so glücklich, zweimal durch Ihre Güte ein reicher Mann zu werden.«

»Wieso?« fragte der Präsident, frappirt durch diese Worte.

»Ich erhielt durch Ihre Vermittlung zweimal einen Betrag aus der Höhle des Königsschatzes.«

Jetzt besann sich Juarez.

»Ah, Sie sind aus Rheinswalden?« fragte er.

»Ja, Sennor.«

»Der Sohn des Steuermannes Helmers und der Neffe Donnerpfeils?«

»So ist es.«

»So seien Sie mir willkommen. Sennor Sternau bereitet mir wirklich eine große Freude, indem er mir Gelegenheit giebt, Sie kennen zu lernen. Wie es scheint, haben Ihnen diese Schmucksachen doch einen Nutzen gebracht?«

Er hatte Curt die Hand gereicht. Er wußte, daß der Steuermann ursprünglich arm sei und darum war es verzeihlich von ihm, zu denken, daß der Erlös aus jenen Kostbarkeiten Curt die zu seiner Ausbildung nöthigen Mittel an die Hand gegeben habe.

»Sie haben mich in eine freudige Ueberraschung versetzt,« antwortete Curt, »und werden nie aus meinen Händen oder denen meiner Familie kommen.«

»Ah, so besitzen Sie noch Alles. Das freut mich desto mehr.

Aber, lieber Sennor Sternau, jetzt bitte ich Sie, mir doch zu sagen, wie und wohin Sie verschwinden konnten.«

Sternau erzählte in kurzen aber hinlänglichen Worten seine Erlebnisse. Natürlich begann er von dem Augenblicke seiner Trennung von Juarez an. Das Gesicht dieses Letzteren nahm einen immer gespannteren Ausdruck an.

Sternau schwieg, als er den hoffnungslosen, verzweiflungsvollen Zustand ihrer Gefangenschaft geschildert hatte. Da holte der Zapoteke tief Athem.

»Ich kann an keinem Ihrer Worte zweifeln,« sagte er, »aber dennoch muß ich fragen, ob so etwas auf der Erde, in Mexiko, möglich sei. Dieser Pater Hilario ist mir nicht unbekannt. Sennorita Emilia hat ihn mir gegenüber entlarvt, wofür ich ihr großen Dank schuldig bin. Aber, daß er solcher Thaten fähig sei, das konnte ich nicht glauben. Welchen Zweck aber hat er gehabt, sich Ihrer zu bemächtigen und Sie Alle einzusperren? Und wie sind Sie dann doch noch entkommen?«

»Diese Fragen kann hier mein junger Freund am Besten beantworten,« meinte Sternau, auf Curt deutend.

»Erzählen Sie!« bat Juarez diesen.

Curt gehorchte dieser Aufforderung. Er begann bei seiner Begegnung mit Geierschnabel in Schoß Rodriganda bei Rheinswalden und erzählte Alles, was bis auf den gegenwärtigen Augenblick geschehen war. Das Erstaunen des Präsi-


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denten wuchs von Secunde zu Secunde; er wich ganz unwillkürlich Schritt um Schritt zurück. Er hatte ganz das Aussehen, als ob er sprachlos geworden sei.

Dann aber begann sein starres Gesicht sich zu beleben. Hundert Regungen zuckten blitzschnell über dasselbe hin, aber keine einzige konnte festgehalten werden, um sich definiren zu lassen.

»Was Sie mir da sagen, Sennor, ist mir von derselben Wichtigkeit,« meinte er endlich. Seine Stimme klang dabei tief grollend und drohend wie diejenige eines Löwen, welcher sich zum Sprunge vorbereitet. »Also es giebt hier eine Vereinigung, welche mich stürzen will, indem sie mich zwingt, der Mörder des Erzherzogs von Oesterreich zu werden?«

»Es scheint ganz so,« antwortete Curt.

»Und dieser geheimnißvolle dicke, kleine Mann gehört ihr an?«

»Ganz sicher.«

»Seinen Namen hörten Sie nicht?«

»Nein. Er kam mir wie ein verkappter Priester vor.«

»Sei er, wer und was er wolle, ich werde ihn zu packen wissen. Und dieser Pater Hilario ist also das Werkzeug dieser Verbindung?«

»Ohne allen Zweifel.«

»Jetzt bei Max in Queretaro?«

»Ja.«

»Dann ist es auch um Sennorita Emilia geschehen, deren Feind der Pater geworden ist. Doch das wird sich wohl arrangiren lassen. Sie glauben nicht, Sennor, welch einen Dienst Sie mir mit diesen Enthüllungen erweisen. Ein Meisterstück von Ihnen aber war es, daß Sie den Putsch auf Kloster Santa Jaga vereitelten. Aber, ich bin so überwältigt von Dem, was ich höre, daß ich ganz vergesse, höflich gegen Sie zu sein. Nehmen wir doch Platz.«

Die drei Männer hatten allerdings, hingerissen von ihrem Gegenstande, bisher nur im Stehen gesprochen. Jetzt zog Juarez Stühle herbei. Um bequem zu sitzen, legte Sternau die Serape ab, und Curt that dasselbe. Sofort ruhten die Augen der beiden Anderen erstaunt auf seiner Brust.

»Wie? Alle Wetter, Curt,« rief Sternau. »Diese Orden gehören Dir?«

»Würde ich sie sonst tragen?« antwortete Curt lächelnd.

»Aber, wie kommst Du dazu, ein halber Knabe noch!«

»Man hat mich vielleicht trotzdem für einen Mann gehalten.«

»So hast Du Außerordentliches erlebt. Mensch, daß Du darüber geschwiegen hast, das beweist zur Evidenz, daß Du ein braver, tüchtiger Junge geworden bist.«

»Auch ich muß sagen,« fiel Juarez ein, »daß ich auf einer so jungen Brust nicht solche Auszeichnungen erblickte. Das Schicksal scheint Ihnen wohlzuwollen. Verscherzen Sie sich die Gunst desselben nicht. Da Sie zur Garde gehören, stehen Sie wohl in Berlin?«

»Ja, Sennor,« antwortete Curt unter einer Verbeugung.

»So haben Sie das Glück, großen Männern zu begegnen, wenn auch einstweilen nur von Weitem. Ihr Moltke ist ein großer Kriegsmann. Suchen Sie, mit der Zeit seiner Umgebung näher zu treten. Und Ihr Bismarck ist ein Staats-


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mann von genialem Scharfblick und eiserner Energie. Er wird einst dem Erdkreis Gesetze vorschreiben. Haben Sie seinen Vertreter in Mexiko besucht?«

»Baron Magnus? Ja. Er gab mir Gelegenheit, Sie um die Ueberreichung dieser Zeilen zu bitten.«

Er zog ein Portefeuille hervor und überreichte Juarez ein kleines Couvert, welches derselbe öffnete, um den Inhalt zu lesen.

»Ah, das ist ja eine ganz und gar ungewöhnliche Empfehlung,« sagte er.

»Ich bedarf derselben, um dieses Zweite vorlegen zu dürfen.«

Er gab Juarez ein größeres Schreiben. Dieser brach das Wappensiegel auf und las. Sein Gesicht nahm den Ausdruck des allerhöchsten Erstaunens an. Als er fertig war, rief er förmlich laut:

»Dios mios! Junger Mann, wer sind Sie denn eigentlich? Wie kommen Sie dazu, der Ueberbringer so hochwichtiger Staatsacten zu sein? Entweder genießen Sie ein ganz und gar blindes Glück und Vertrauen, oder Sie haben das Zeug, das wirkliche Zeug zu einem Manne, dem seine Vorgesetzten bereits jetzt ein außerordentliches Prognosticon stellen. Während ich Ihnen rathe, sich der Umgebung dieser großen Männer zu nähern, genießen Sie den Umgang und die Zuneigung nicht der Umgebung, sondern dieser Größen selbst. Fast möchte ich unhöflich sein und Sie fragen, wie Sie bei Ihrer Jugend zu einer solchen Auszeichnung kommen?«

Sternau war ebenso überrascht über diese Worte wie über den Inhalt der Schreiben, den er allerdings nicht kannte, sondern nur vermuthen konnte. Er betrachtete Curt mit ebenso erstaunten Blicken wie der Präsident. Der junge Mann that, als ob er dies gar nicht bemerke und antwortete in ruhigem, bescheidenem Tone:

»Neben einigen kleinen Verdiensten ist es wohl zumeist die Güte derjenigen hohen Personen, mit denen ich in Berührung kam, welcher ich die Gnade zu verdanken habe, deren ich mich erfreue.«

Juarez überflog die Schriftstücke noch einmal und meinte dann:

»Sie werden mir hier als diejenige Person empfohlen, welche mir die Wünsche einer hervorragenden Regierung mündlich überbringt. Ich freue mich des Scharfsinnes der Vertreter dieser Regierung. Auf offiziellem Wege Verhandlungen über das Schicksal eines Mannes, der so viel dazu beigetragen hat, die Selbstständigkeit der Republik von Mexiko zu tödten, anzuknüpfen, das müßte ich entschieden ablehnen. Aber einen privaten Austausch unserer Gedanken werde ich nicht abweisen.«

»Diese Hoffnung war es, welche mich an ein Gelingen meiner Sendung nicht verzweifeln ließ, Sennor,« meinte Curt.

»Haben Sie fest formulirte Fragen oder Wünsche auszusprechen?« fragte Juarez in jenem Tone, mit welchem er auf schwierige Verhandlungen einzugehen pflegte.

»Ja.«

»Darf ich sie hören?«

»Jetzt?«

»Warum nicht sogleich jetzt?«


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»Ich bin beauftragt, unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen.«

Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Zapoteken, als er fragte:

»Mißtrauen Sie etwa unserem Freunde Sternau?«

»Nicht im Geringsten. Ich würde nicht anstehen, ihn zum Vertrauten aller meiner persönlichen Angelegenheiten zu machen; die Sache aber, welche wir zu verhandeln haben, ist nicht mein Eigenthum.«

»Aber das meinige. Geben Sie das zu?«

»Gern, obgleich Diejenigen, in deren Auftrage ich hier stehe, daran participiren.«

»Und mein Eigenthum kann ich theilen, mit wem ich will?«

»Allerdings.«

»Nun, so erkläre ich Ihnen, daß ich Sennor Sternau erlaube, unserer Unterhaltung beizuwohnen. Wollen Sie weniger höflich sein?«

»Sennor Sternau ist mein Freund und Gönner, mein Vater und Lehrer. Meine Pflicht gebot mir, seiner Gegenwart zu gedenken; nun aber erkläre ich, daß dieselbe mich nicht hindern kann, in aller Offenheit mit Ihnen zu sprechen.«

»So sprechen Sie.«

»Ich hoffe nicht, daß Sie erwarten, ein junger Mann von so wenig Erfahrung, wie ich bin, werde sich in complicirten, diplomatischen Wendungen ergehen. Ich sagte bereits, daß das, was ich zu sagen habe, streng formulirt ist, und ich bitte um die Erlaubniß, offen und ehrlich fragen und sprechen zu können.«

Juarez betrachtete ihn mit einem wohlgefälligen Blicke.

»Das ist Ihnen sehr gern gewährt,« antwortete er. »Ich hasse alle Finessen, alles diplomatische Versteckenspielen. Wie weit man sich auf eine Regierung verlassen kann, welche ihre Absichten stets hinter den Schleier des Geheimnisses versteckt, das habe ich ja zur Genüge erfahren. Ihr Minister ist der Erste gewesen, der mit dem alten Herkommen gebrochen hat. Talleyrand sagte, daß der Mensch die Sprache nur habe, um seine Gedanken zu verbergen. Dies ist der Grundsatz des Unehrlichen, der Spitzbuben. Trotzdem ist dieser Grundsatz von den Staatsmännern aller Zeiten und Völker befolgt worden. Ihr Minister hat den Muth gehabt, mit ihm zu brechen; er hat die offene, ehrliche Sprache zum Elemente auch diplomatischer Verhandlungen gemacht und dabei einen Sitz errungen, um welchen ich ihn beneiden möchte. Ich freue mich, daß in dieser Beziehung meine Intentionen sich mit den seinigen decken, und so ist es mir lieb, wenn Sie sich einer graden, ehrlichen Sprache bedienen.«

Curt verbeugte sich zustimmend und sagte:

»Man ist allgemein der Ansicht, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Kaiser Max sich nicht zu halten vermag. Darf ich Sie um Ihre Meinung ersuchen?«

Juarez machte mit dem Arme eine Bewegung, welche man fast geringschätzig nennen konnte, und antwortete:

»Sie nennen diesen Mann Kaiser?«

»Ja.«

»Mit welchem Rechte?«

»Weil er als solcher anerkannt ist.«


// 2472 //

»Ah! Von wem?«

»Von den meisten Regierungen.«

»Pah! Von den Regierungen aber nicht, welche dabei zunächst in Frage kommen. Uebrigens mußten die Regierungen, von denen Sie sprechen, wenigstens so viel Scharfblick haben, um gleich von vorn herein zu wissen, daß es sich um einen Theatercoup handle, welcher zu Ende gehen müsse, sobald den Lampen das Oel ausgehe. Das Stück hat ausgespielt. Ich habe keinen Max von Mexiko gekannt und kenne auch jetzt nur einen gewissen Max von Habsburg, welcher sich zu seinem eigenen Schaden von Napoleon verleiten ließ, mir va banque zu bieten. Die Bank hat gewonnen. Ich bitte, wenigstens in meiner Gegenwart nicht von einem Kaiser Max zu sprechen! Ihre Frage beantworte ich dahin, daß dieser Sennor allerdings nicht im Stande sein wird, sich zu halten.«

»Und wie denken Sie, daß sich dann sein Schicksal gestalten werde?«

»Sennor Helmers, Sie sprechen allerdings sehr offen und strikte. Ich will dasselbe thun. Geht dieser Max bei Zeiten aus dem Lande, so mag er mit dem Leben davonkommen und mit der Ehre, sich Kaiser von Mexiko genannt zu haben. Zögert er aber, so ist er verloren.«

»Was habe ich unter dem Worte »verloren« zu verstehen?«

»Ich meine, daß es ihm dann unmöglich sein werde, länger zu leben. Man wird ihm den Proceß machen.«

»Wer?«

»Die Regierung von Mexiko.«

»An wen habe ich bei dem Worte Regierung zu denken?«

»An mich.«

Curt verneigte sich höflich und fuhr fort:

»Sie werden Präsident von Mexiko sein?«

Juarez zog die Brauen finster zusammen.

»Ich werde Präsident sein?« fragte er. »Bin ich es etwa nicht gewesen, Sennor?«

Curt ließ sich nicht einschüchtern. Er meinte:

»Ich muß darauf aufmerksam machen, daß ich hier nicht von meiner persönlichen Meinung zu sprechen habe.«

»Oder bin ich es nicht mehr?« fuhr Juarez fort. »Wer hat mich abgesetzt?«

»Napoleon und Max.«

»Diese Beiden? Pah! Das glauben Sie selbst nicht. Ich sage Ihnen, daß in einigen Wochen ganz Mexiko mir unterthan sein wird. Ich wiederhole: das Stück ist ausgespielt.«

»Dann werden also Sie es sein, welcher Max richtet?«

»Ja.«

»Und wie wird das Urtheil lauten?«

»Der Tod durch die Kugel.«

»Wollen Sie nicht bedenken, daß man das Glied einer kaiserlichen Familie nicht so ohne Weiteres erschießt?«


Ende der einhundertdritten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk