Lieferung 105

Karl May

2. August 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»O, Majestät werden sich bald wieder an das zurückkehrende Glück gewöhnen und Ihre Regierung noch lange zum Wohle und Ruhme des Landes fortsetzen.«

»Ich verstehe Sie nicht. Welche Nachricht bringen Sie?«

»Juarez wird von Queretaro ablassen.«

»Ah!« rief der Kaiser im Tone des höchsten Erstaunens.

»Und Diaz von der Hauptstadt und Puebla.«

»Das wäre mir unbegreiflich.«

»Juarez ist gezwungen.«

»Wodurch?«

»Durch den Aufstand Ihrer Treuen.«

Da trat der Kaiser rasch näher.

»Einen Aufstand giebt es? Wirklich?«

»Ich bringe die Nachricht davon.«

»Gegen Juarez ein Aufstand?«

»Ja.«

»Wo?«

»O, an vielen, vielen Orten.«

»Nennen Sie dieselben.«

»Da ist zuerst zu nennen das Kloster della Barbara.«

»Wo liegt dieses?«

»In Santa Jaga.«

»Liegt diese Stadt nicht viel nördlicher als Zacatecas?«

»Allerdings.«

»So wäre dieser Aufstand ja im Rücken von Juarez.«

»So ist es.«

»Und die anderen Orte?«

»Liegen alle auch im Rücken der Republikaner.«

»Woher haben Sie diese Kunde?«

»Von einem sicheren Gewährsmanne.«

»Können Sie sich auf ihn verlassen?«

»Wie auf mich selbst.«

»Wo befindet er sich?«

»Vor der Thür Eurer Majestät.«

»Ah, Sie haben ihn mitgebracht?«

»Ich sagte mir, daß Majestät den Wunsch haben würden, eine so wichtige Botschaft aus seinem eigenen Munde zu hören.«

»Ich danke Ihnen. Wer ist der Mann?«

»Er ist ein hochgelehrter und berühmter Arzt, Pater Hilario, der Dirigent der ebenso berühmten Krankenheilanstalt della Barbara.«

»Wo der Aufstand ausgebrochen ist?«

»Ja.«

»Lassen Sie ihn eintreten.«

Eigenthümlich! Die Haltung des Kaisers war im Handumdrehen eine ganz andere geworden. Er dachte bereits nicht mehr an Rückzug und Flucht. Seine


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Augen glänzten; seine Wangen hatten sich geröthet, und es war ein höchst wohlwollender Blick, mit welchem er den Eintretenden betrachtete.

»Sie nennen sich Pater Hilario?« fragte er ihn.

»Zu Befehl, Majestät,« antwortete der Gefragte, indem er sich fast bis zur Erde verneigte.

»Haben Sie sich bisher mit Politik beschäftigt?«

»Ich habe mich nur mit meinen Kranken beschäftigt.«

»Das ist sehr verdienstvoll. Man sagt mir, daß diese Anstalt jetzt sehr beunruhigt worden sei?«

»Majestät meinen die militärische Demonstration, welche in Santa Jaga stattgefunden hat?«

»Ja. War sie bedeutend?«

»Sie wurde von vielleicht zweihundert Personen eingeleitet, und sodann betheiligte sich die Bevölkerung der ganzen Stadt und Umgegend daran.«

»In welcher Weise?«

»Man bewaffnete sich, man ließ Fahnen und Flaggen wehen, man läutete die Glocken und sandte zu den Nachbargemeinden, um Compagnien, Bataillone und Regimenter zu bilden, welche ausziehen werden, unseren Kaiser zu beschützen.«

»Wie hoch belief sich die Anzahl der Demonstrirenden in Santa Jaga?«

»Früh Zweihundert, Abends vielleicht bereits Dreitausend.«

»Man sagt, auch andere Orte haben demonstrirt?«

»Ich habe die Liste derselben bei mir.«

»Zeigen Sie, guter Mann.«

Der Pater gab auch hier den Zettel hin. Maximilian las die Namen und sagte dann zu Miramon gewendet:

»Alle im Rücken von Juarez.«

»Desto besser für uns.«

»Gelangen diese Demonstrationen ebenso wie diejenige in Santa Jaga?«

»Gewiß. Die Bewegung wird sich wie ein Prairiefeuer verbreiten. Nach meiner Rechnung stehen dreißigtausend Mann hinter Juarez, welche sich von Stunde zu Stunde verstärken werden.«

»Man muß ihnen einen geeigneten Anführer senden.«

»Ich bitte um die Erlaubniß, dies mit Majestät besprechen zu dürfen. Aber wir sehen, daß der Kaisergedanke tief Wurzel geschlagen hat und von keinem republikanischen Schwärmer jemals wieder umgestürzt werden darf.«

»Wenigstens sind die militärischen Folgen dieser Kundgebung leicht einzusehen.«

»Sie werden nicht auf sich warten lassen. Die Republikaner müssen sich gegen den neuen Feind nach Norden wenden. Das verschafft uns Luft und Raum zu neuen Evolutionen.«

Während der Kaiser mit Miramon ganz begeistert von den so plötzlich neu belebten Hoffnungen sprach, kam Mejia mit Emilia aus dem Garten.

»Ist Majestät noch allein?« fragte der General einen Bedienten.

»Nein,« antwortete dieser.

»Wer ist bei ihm?«


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»Miramon und ein Unbekannter.«

Mejia's Stirn legte sich in Falten. Diese Beiden waren also zum Kaiser gegangen. Er ahnte eine Gefahr, und schnell entschlossen, wie er als Soldat war, sagte er zu Emilia:

»Kommen Sie! Treten Sie gleich mit ein.«

Es war dies natürlich gegen den Gebrauch. Miramon machte daher ein sehr finsteres Gesicht, als er Mejia eintreten sah. Der Kaiser aber übersah in seiner Freude den faux pas und trat rasch auf Mejia zu.

»General, haben Sie bereits gehört, daß es nun nicht nöthig sein wird, unseren Plan auszuführen?«

»Unseren Plan,« dachte Miramon. »Ah, sie hatten einen Plan, von dem ich nichts wissen sollte.«

Mejia verbeugte sich kalt und antwortete:

»Ich würde glücklich sein, zu hören, daß Ereignisse eingetreten sind, welche diesen Plan unnöthig machen; darf ich mir eine Erkundigung erlauben?«

»O, sehr einfach. Man revoltirt gegen Juarez und zwar an zehn Orten, hinter seinem Rücken. Er ist jetzt gezwungen, mit seinen Truppen eine Retourbewegung zu machen, welche uns erlaubt, angriffsweise vorzugehen und ihn zwischen zwei Feuer zu nehmen.«

Der verständige Mejia schüttelte den Kopf.

»Haben Eure Majestät Beweise?« fragte er.

»Ja. Hier steht der Bote.«

Der General wandte sich zum Pater. Dieser hatte nicht gewagt, sich umzudrehen, als die Thür aufging, und also Emilia auch noch nicht gesehen.

»Wer sind Sie?« fragte ihn Mejia.

»Es ist ein Sennor, welchen ich Majestät bereits vorgestellt habe,« sagte Miramon in scharfem Tone.

Um Mejia's Lippen spielte ein überlegenes Lächeln.

»Das schließt nicht aus, daß auch ich ihn kennen lernen muß,« antwortete er. »Majestät sind nicht so gnädig gewesen, mir den Namen zu nennen, nach welchem ich mich also erkundigen muß.«

»Dieser Sennor ist der Arzt Pater Hilario im Kloster della Barbara in Santa Jaga,« erklärte der Kaiser.

Mejia konnte einen Ausdruck der Ueberraschung nicht verbergen. Sein Blick flog zu Emilia hin und auf den Pater zurück, auf welchem er streng und stechend haften blieb. Dann fragte er, sich zum Kaiser wendend:

»Erlauben mir Majestät, einige Fragen an diesen Mann zu richten?«

»Sprechen Sie mit ihm,« nickte der Kaiser.

»Nicht wahr, Sie sind Arzt?« fragte Mejia.

»Ja,« antwortete der Pater.

»Wer schickt Sie her nach Queretaro?«

»Die Bevölkerung der Stadt.«

»Weshalb?«

»Sie hat sich nebst den Bewohnern anderer Städte für seine Majestät, den


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Kaiser erklärt. Wir sind über dreißigtausend Mann stark und stehen bereit, Juarez anzugreifen.«

»Wer ist Euer Anführer?«

»Wir haben noch keinen, bitten aber um einen solchen.«

»In solchen Fällen schickt man eine Deputation und keinen einzelnen Mann. Wo haben Sie die Adresse?«

»Eine Deputation mit Adresse wäre in die Hände von Juarez gefallen. Darum komme ich allein.«

»Ich hoffe, daß Sie ein ehrlicher Mann sind.«

»Ich bin es!«

»Kennen Sie diese Dame?«

Der Pater drehte sich um. Er erkannte Emilia, hatte aber so viel Macht über sich, daß er sich nicht aus der Fassung bringen ließ.

»Ja,« antwortete er ruhig.

»Nun, wer ist sie?«

»Eine Spionin des Juarez, die ich allerdings nicht hier erwartet habe.«

»Ah!« machte es Miramon, indem er Emilia näher fixirte.

Mejia lächelte überlegen und antwortete:

»Majestät wissen bereits, wer diese Dame ist. Ich habe von ihr erfahren, daß sie auf dem Kloster della Barbara gewesen ist. Es scheint dort nicht Alles in Ordnung zu sein.«

Da trat Miramon vor. Er ahnte, was hier beabsichtigt wurde, und fiel schnell ein:

»Die Privatverhältnisse dieses Sennors interessiren uns hier nicht. Wir haben es zunächst nur mit seiner Botschaft zu thun.«

»Ich glaube nicht daran,« meinte Mejia.

»Sennor!« rief Miramon.

Da trat Mejia hart an ihn heran und antwortete:

»Welch ein Ton ist dies in Gegenwart unseres allergnädigsten Kaisers! Ich wiederhole, daß ich nicht an die Worte dieses Mannes glaube, es sei denn, daß er mir Beweise bringe.«

Da winkte der Kaiser mit der Hand und wendete sich an Miramon:

»General, Sie haben diesen Mann eingeführt. Sind Sie überzeugt von der Wahrheit dessen, was er berichtet hat?«

»Vollständig.«

»Das ist genügend.« Und sich an Mejia wendend, fuhr er fort: »Ich habe Ihnen die Mittheilung zu machen, daß ich dieser Dame nicht mehr bedarf. Sie können dieselbe begleiten.«

Mejia's Fäuste ballten sich, aber er hielt an sich. Er verbeugte sich tief, aber nur vor dem Kaiser, und entfernte sich dann mit Emilia, seinen Feind und Widersacher beim Regenten lassend. Wieder einmal hatte ihm der Verräther den Rang abgelaufen!

Erst eine Stunde später verließ auch Miramon das Cabinet des Kaisers, an seiner Seite der Pater. Er bezeichnete diesem Letzteren eine Venta, in welcher er logiren solle, und begab sich dann zu dem Beichtvater.


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Dieser hatte augenscheinlich auf ihn gewartet und empfing ihn mit der Frage:

»Gelungen, Sennor?«

»Ja, aber schwer.«

»Ah! War der Kaiser ungläubig?«

»Dieser nicht, aber Mejia.«

»Der General war bei ihm und befand sich in seiner Gesellschaft Sennorita Emilia?«

»Ja.«

»Diese Sennorita war beim Kaiser?«

»Ja.«

»Mit Mejia?«

»Ja. Und zwar hatte Mejia mit dem Kaiser einen Plan gefaßt, von dem ich nichts wissen sollte.«

»Donner! Er wird doch nicht etwa fliehen wollen?«

»Ich vermuthe es.«

»Das müssen wir hintertreiben. Aber was hat diese Emilia dabei zu thun?«

»O, sehr viel. Unser Pater sagte mir, daß sie eine Spionin des Juarez sei und viele Franzosen in das Verderben geführt habe. Sie soll wenigstens ebenso gefährlich sein wie jener schwarze Gérard, von dem man vor Wochen so viel erzählte.«

»So steht zu vermuthen, daß Beide, der Kaiser und Mejia, mit ihrer Hilfe, also unter dem indirecten Schutze des Juarez fliehen wollen, was wir verhindern müssen.«

»Natürlich. Aber wie?«

»Ich habe das Meinige bereits gethan. Der Kaiser glaubt mir und dem Pater. Er ist voller Hoffnungen und erwartet nur eine Kunde, daß Juarez von hinten angegriffen worden sei. Ich werde ein Regiment detachiren, welches eine Demonstration machen soll, dann ist dieser Max völlig überzeugt und wird in der Falle sitzen bleiben.«

»Das ist indeß nur halbe Arbeit. Wie leicht könnte er dennoch mißtrauisch werden.«

»Er war nahe daran.«

»In wiefern?«

»Diese Sennorita Emilia muß Mejia einiges nicht Empfehlende von unserem Pater mitgetheilt haben. Der General fing davon an, ich aber fiel ihm sofort in die Rede.«

»So müssen wir das Frauenzimmer entfernen.«

»Jedenfalls. Dann fehlt Mejia der Beweis und ihnen beiden die Helferin zur Flucht.«

»Also fort mit ihr! Aber wie?«

»Es muß scheinen, als ob sie heimlich entwichen sei. Dann fällt der Verdacht des Kaisers auf sie, daß sie gelogen habe und vor der Verantwortung davongewichen sei.«

»So muß ihre Entfernung im Geheimen geschehen.«

»Natürlich. Kennen Sie ihre Wohnung?«


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»Sehr gut. Sie wohnt bei der alten Sennora Miranda, deren Beichtvater ich bin und deren Haus ich also ganz genau kenne.«

»Könnten Sie sie heut Abend aus dem Hause locken, ohne daß es bemerkt wird?«

»Ich bin bereit. Aber was dann?«

»Der Kaiser darf nichts ahnen. Ich sende sie nach Tula und lasse ihr dort als Spionin den Proceß machen.«

»Lopez ist zuverlässig und verschwiegen, er wird sie sicher hingeleiten. Sie werden also die Sennorita aus dem Hause locken. In der Nähe hält Lopez dann mit seinen Leuten. Um wie viel Uhr sind Sie bereit?«

»Punkt neun Uhr.«

»Lopez wird fünf Minuten vorher zu Ihnen kommen. Adios!«

»Adios!«

Während dieses Complott gegen Emilia geschmiedet wurde, war diese in ihre Wohnung zurückgekehrt. Sie sah ein, daß ihre Rolle hier ausgespielt sei und sehnte sich fort. Da hörte sie draußen Männerschritte, welche vor der Thüre halten blieben. Die alte Dienerin, welche ihre Wirthin ihr zur Verfügung gestellt hatte, öffnete, steckte den Kopf herein und sagte:

»Zwei Sennores wollen Euch sprechen, Sennorita.«

»Wer sind sie?«

»Ein Sennor Helmers und der Andere heißt Strau- Strau-ber - ja, Straubenberger.«

»Ich kenne sie nicht.«

»Aber sie kennen Euch.«

»Nun, so mögen sie eintreten.«

Die beiden Eintretenden waren Curt und der kleine André. Sobald Emilia's Blick auf den Letzteren fiel, erheiterte sich ihr Gesicht. Sie eilte auf ihn zu, streckte ihm ihre Hände entgegen und sagte im Tone der höchsten Freude:

"Ihr hier, Sennor André?"

»Mein Gott, welch eine Ueberraschung! Ihr hier, Sennor André?«

»Ja ich,« antwortete der Kleine, ihre Hand ergreifend.

»Wo kommt Ihr denn her?«

André sah sich vorsichtig um und als er fand, daß die Dienerin sich zurückgezogen habe, antwortete er leise:

»Von Juarez.«

»Von Juarez? Das ist aber unendlich gefährlich.«

»Ja, müßt Ihr wissen, grad das Gefährliche liebe ich.«

»Das habe ich erfahren. Aber wer ist Euer Begleiter hier?«

Ihr Blick glitt mit sichtlichem Wohlgefallen an Curt's Gestalt nieder.

»Hm. Wenn Ihr das rathen könntet!« schmunzelte der Kleine.

»Mit Rathen gebe ich mich nicht gern ab.«

»Er kennt meinen Bruder.«

»Ah!«

»Ja, den Ludewig.«

»So, so,« lächelte sie.


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»Habt Ihr denn nicht von den beiden Brüdern Helmers gehört, welche mit Sennor Sternau waren?«

»O doch. Ihr meint Donnerpfeil und den Steuermann?«

»Ja. Sennor Curt hier ist der Sohn des Steuermannes. Er ist aus Deutschland herübergekommen, um uns zu retten.«

»Zu retten? Bedurftet Ihr denn der Rettung?«

»Das versteht sich. Wir waren Alle miserabel gefangen.«

Das wunderte sie noch mehr, und die Beiden mußten sich niedersetzen und erzählen. Dieses Letztere besorgte der brave André. Curt saß da und beobachtete Emilia, deren Schönheit er bewunderte.

Das schöne Mädchen war so lieb und gut mit dem Kleinen, daß diesem das Herz aufging. Was er darauf hatte, mußte herunter, und so kam es auch, daß er ihr den Zweck ihrer gegenwärtigen Anwesenheit mittheilte.

»Wie?« fragte sie Curt. »Sie wollen mit dem Kaiser sprechen? Ich darf wohl nicht fragen, welches der Zweck Ihrer Audienz beim Kaiser ist?«

»Es ist mir allerdings nicht erlaubt, darüber zu sprechen, obgleich ich überzeugt bin, daß ich Ihnen Vertrauen schenken dürfte.«

»Sicher, Sennor. Wie lange werden Sie hier bleiben?«

»Das ist noch unbestimmt. Es kommt das auf die Antwort an, welche ich vom Kaiser erhalte.«

»Sie gehen wieder zu Juarez?«

»Ja.«

»O, würden Sie mich mitnehmen? Ich fühle mich so unsicher und elend hier.«

»Natürlich. Natürlich. Wir nehmen Euch mit!« rief der kleine André ganz enthusiasmirt.

»Ich stimme meinem Kameraden vollständig bei,« fügte Curt hinzu.

»Wann gehen Sie zum Kaiser?«

»Sogleich.«

»Darf ich dann erfahren, wie lange Sie noch hier bleiben?«

»Ich stehe gern zu Diensten. Wann darf ich Sie wiedersehen?«

»Heut Abend?« fragte sie.

»Gewiß.«

»Vielleicht nach neun Uhr? Sie müssen nämlich wissen, daß man hier sehr spät empfängt.«

»Wir werden kommen, Sennorita. Nicht wahr, lieber André?«

»Mit dem allergrößten Vergnügen,« schmunzelte der Kleine.

»Wo logiren Sie?«

»In der Venta rechts auf dieser Gasse.«

»So haben Sie also nicht weit zu mir. Ich wollte, Sie reisten bereits morgen wieder ab.«

»Vielleicht habe ich die Freude, Ihnen diese Antwort zu bringen.«

»Aber wie sind Sie in die Stadt gekommen? Man controllirt seit einiger Zeit sehr streng.«

»Ich bin im Besitze von Papieren, welche mir überall Eingang verschaffen.«

Die Beiden gingen. Während André nach seiner Venta zurückkehrte, wendete


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Curt sich nach dem Kloster la Cruz. Er wurde zwar dort eingelassen, aber nach seinem Begehr gefragt. Er zeigte seine Papiere vor und erhielt nun erst die Erlaubniß, in das Vorzimmer zu treten. Er wurde angemeldet, obgleich noch mehrere andere Personen auf Einlaß warteten. Es dauerte kaum zwei Minuten, so durfte er eintreten.

So stand er also jetzt vor dem Manne, von dem die ganze Welt sprach, den so Viele in den Himmel hoben und den noch viel Mehrere verurtheilten.

Max richtete sein großes Auge auf ihn und fragte:

»Man hat Sie mir als Lieutenant Helmers angemeldet?«

Curt machte seine Reverenz und antwortete:

»Dies ist mein Name und meine Eigenschaft, Majestät.«

»In welchem Lande dienen Sie?«

»Ich bin Preuße.«

»Ah! Sie waren in der Hauptstadt?«

»Vor einiger Zeit.«

»Kommen Sie vielleicht von Herrn von Magnus?«

»Leider nein.«

Das Gesicht des Kaisers hatte in Folge der letzteren Vermuthung einen freundlicheren Ausdruck angenommen, jetzt aber wurde es wieder ernster.

»So ist es vielleicht eine Privatangelegenheit, in welcher Sie sich mir nähern?«

»Eine Privatangelegenheit? Ja, fast möchte ich es so nennen.«

»Das heißt, eine Angelegenheit, welche persönlich Sie betrifft?«

»Nein, Majestät. Ich komme aus Zacatecas.«

Da trat der Kaiser einen Schritt zurück.

»Aus Zacatecas? Aus dem Hauptquartiere des Juarez?«

»Ja.«

»Waren Sie bei ihm?«

»Ich sprach mit ihm.«

»Wie kommen Sie als preußischer Offizier zu Juarez?«

»Ich bin nicht als Offizier, sondern als Privatmann bei ihm gewesen. Er ist bereits vor Jahren der Freund und Beschützer einiger Glieder meiner Familie gewesen und in Angelegenheit dieser Familie mußte ich zu ihm.«

»Und wie kommt es, daß Sie von ihm nach Queretaro kommen?«

»Er sendet mich.«

»Zu wem?«

»Zu Ihnen, Majestät.«

Die Züge des Kaisers wurden kälter und kälter.

»Halten Sie mich für einen Mann, der mit Juarez in Correspondenz oder Verbindung steht?« fragte er.

»Mit nichten,« antwortete Curt. »Ich bin hier auf Veranlassung mehrerer hervorragender Männer, welche sich zwar in der Nähe des Zapoteken befinden, aber trotzdem nur das Wohl des Kaisers von Mexiko im Auge haben.«

»Welch eine Ehre!« meinte Max beinahe ironisch. »Nun, was haben Sie mir zu sagen?«


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»Ich habe Eurer Majestät ein kleines Schriftstück zu übergeben, mußte aber mein Ehrenwort verpfänden, dasselbe zu vernichten, falls Eure Majestät sich dessen nicht zu bedienen beabsichtigen.«

»Das heißt, ich darf dieses Schriftstück nur lesen, muß es Ihnen aber wiedergeben?«

»Nur in dem von mir erwähnten Falle.«

»Das klingt ja sehr geheimnißvoll. Zeigen Sie!«

Curt zog seine Brieftasche heraus, nahm das von Juarez beschriebene Blatt hervor und überreichte das dem Kaiser. Dieser las es. Zuerst spiegelte sich die allergrößte Ueberraschung in seinem Gesichte, dann aber zog er die Brauen finster zusammen.

»Was ist das?« fragte er. »Wer hat das geschrieben?«

»Juarez,« antwortete Curt kalt.

Er besaß Scharfsinn genug, um zu bemerken, daß seine Botschaft verunglückt sei.

»Ist die Unterschrift echt?«

»Majestät! Ich bin Offizier!«

Aus den Augen des Kaisers fiel ein Blitz auf den Sprecher.

»Ich meine,« sagte er, »ob Sie zugegen gewesen sind, als Juarez dieses Schriftstück verfaßte?«

»Ja.«

»Aus welchem Grunde that er das?«

»Er wurde von den bereits erwähnten Personen darum gebeten.«

»Er setzt also voraus, daß ich zu fliehen beabsichtige?«

»Nein, sondern es ist die Ueberzeugung aller seiner Anhänger, daß Majestät nur auf diese Weise zu retten sind.«

»Junger Mann, vergessen Sie nicht, vor wem Sie stehen!«

»Ich bin meiner Lage vollständig eingedenk.«

»Dem Wortlaute dieses Schreibens nach hätte ich mich irgend Jemand anzuvertrauen?«

»Ja.«

»Wem?«

»Dem Besitzer dieses Passepartout.«

»Ah! Das sind ja Sie!«

»Allerdings.«

»Das ist mir interessant!« rief der Kaiser, in dessen Gesicht sich das allergrößte Erstaunen zu erkennen gab. »Sie sind es, der mich retten will?«

»Ich bin es,« antwortete Curt ruhig.

»Ein junger Lieutenant!«

»Ich bin überzeugt, Majestät könnten sich mir anvertrauen. Sie sehen, daß Juarez ganz derselben Ueberzeugung ist.«

»Das wäre Wahnsinn! Hier haben Sie Ihr Papier zurück.«

Curt nahm die Schrift und schob sie wieder in die Brieftasche.

»Ich halte es für meine Pflicht, Eure Majestät darauf aufmerksam zu machen,


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daß dies der letzte Schritt von Benito Juarez ist, den er in dieser Angelegenheit thun kann.«

»Diese Bemerkung ist vollständig überflüssig.«

»Sie kommt aus einem wohlmeinenden deutschen Herzen, Majestät. Und sollte sie wirklich überflüssig sein, so gestatte ich mir eine zweite, nämlich die, daß sich eine Clique gebildet hat, welche Juarez dadurch stürzen will, daß sie ihn zwingt, Ihr Mörder zu werden.«

»Das klingt sehr romantisch.«

»Ist aber dennoch wahr. Und da er nur dann Ihr Mörder werden kann, wenn Sie in seine Hände gerathen, so wird diese Clique Alles thun, um Sie zu veranlassen, hier in Queretaro zu bleiben.«

»Woher wissen Sie das so genau?«

»Ich gestatte mir vorher die Gegenfrage, ob nicht ein gewisser Pater Hilario aus Santa Jaga hier angekommen ist.«

»Ich betrachte diese Frage als nicht an mich gerichtet.«

»So kann ich nur bemerken, daß dieser Pater das Werkzeug dieser Clique ist und daß es sehr wohlgethan sein wird, Alles, was er thut und sagt, mit Mißtrauen entgegen zu nehmen.«

»Ich verstehe. Juarez will nicht gestürzt sein, darum will er mich nicht fangen und darum fordert er mich auf, zu entfliehen.«

Der Kaiser sprach diese Worte in einem höchst beleidigenden Tone aus. Curt aber blieb gleichmüthig und antwortete:

»Ich bezeuge mit meinem Ehrenworte, daß Juarez nicht durch eine solche Berechnung, sondern allein durch die Stimme seines Herzens und durch unsere vereinten Bitten veranlaßt wurde, die Zeilen zu schreiben, welche ich die Ehre hatte, Eurer Majestät vorzulegen. Juarez ist nicht der Mann, sich durch eine Intrigue in seiner Handlungsweise beeinflussen zu lassen. Ein Mann des festen, unerschütterlichen Principes, wie er ist, kann wohl besiegt werden, kann wohl untergehen, wird aber nie einer gemeinen Berechnung fähig sein. Er kennt sein Ziel, er weiß, daß er es erreichen wird, und wenn er während seines riesenhaften, gigantischen Ringens einmal zeigt, daß in seinem Herzen nicht nur eine geradezu bewundernswerthe Energie, sondern auch ein menschliches Fühlen wohnt, so muß man diesen großen Mann um so höher achten.«

Er verbeugte sich und ging hinaus.

Der Kaiser wußte nicht, wie ihm geschah. Er vergaß, zu fragen, ob Curt in Queretaro bleiben oder dasselbe verlassen werde. Er vergaß ferner, daß die militärische Klugheit es fordere, sich dieses Mannes zu bemächtigen, der das Innere der Stadt gesehen hatte und dasselbe an Juarez verrathen könne. Er dachte nur an die Worte, welche er zuletzt gehört hatte. Sie klangen wie ein sich immer mehr entfernendes Donnerrollen an sein Ohr, aber - er hatte die Stunde der Rettung unbenützt vorübergehen lassen.

Curt fühlte sich nicht aufgelegt, in seine Venta zurückzukehren. Der Nachmittag neigte sich zu Ende und so strich er sinnend und langsam durch die Stadt, bis die Dunkelheit hereinbrach. Erst dann begab er sich zu André, welcher mit dem Abendbrode auf ihn gewartet hatte.


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»Gelungen?« fragte dieser kurz.

»Mißlungen!« lautete die Antwort.

»Warum?«

»Der Kaiser hat jedenfalls noch eine Hoffnung, Juarez niederzuwerfen.«

»Wird ihm verdammt schwer werden.«

Es war gegen neun Uhr, und Emilia erwartete bereits ihre Gäste. Da ließen sich schleichende Schritte draußen vernehmen; die Thür wurde eine Lücke breit geöffnet, und zwei Augen lugten vorsichtig herein. Als der draußen Stehende sich überzeugt hatte, daß die Dame allein sei, trat er ein.

Emilia war erst ein wenig erschrocken gewesen, jetzt aber erkannte sie ihn. Es war - der Beichtvater des Kaisers.

Er grüßte sehr höflich und sagte dann:

»Verzeihung, Sennorita, daß ich in dieser Weise Zutritt zu Ihnen nehme. Aber es handelt sich um eine discrete Angelegenheit. Sie waren heut mit dem General Mejia beim Kaiser. Seine Majestät konnte Ihnen keine Aufmerksamkeit schenken, weil Miramon mit einer anderen Person zugegen war. Da nun der Kaiser von Ihnen gewisse Vorschläge und vielleicht auch etwas über jene Person zu hören beabsichtigt, so glaubte er, Sie jetzt bei sich sehen zu können.«

»Sie sollen mich zu ihm bringen?«

»Ja, und dabei haben Majestät noch gewünscht, daß Niemand etwas von dieser Audienz wissen solle.«

»Es ist meine Pflicht, mich zur Verfügung zu stellen. Zuvor aber muß ich meiner Dienerin sagen - -«

»Halt! Auch diese darf nicht wissen, wohin Sie gehen.«

»O nein. Ich werde ihr nur befehlen, den Personen, welche ich erwarte, zu sagen, daß ich erst in einer Stunde zu sprechen bin.«

»Gut. Ihre Dienerin ist bei der Sennora unten. Ich werde mich vor das Haus begeben und Sie dort erwarten.«

Er ging.

Emilia machte schleunigst Toilette und stieg dann die Treppe hinab. Unten gab sie der Duenna den erwähnten Befehl und trat dann auf die Straße, wo sie den Pater Beichtiger sah. Sie schritt zu ihm hin.

»So, jetzt stehe ich zur Disposition,« meinte sie.

»Es ahnt doch Niemand, wohin Sie gehen?« fragte er.

»Kein Mensch!«

»So kommen Sie.«

Sie folgte, aber kaum hatte sie fünf Schritte gethan, so wurde sie von starken Armen von hinten erfaßt.

»Hil- -«

Mehr konnte sie nicht rufen, denn ein Tuch legte sich auf ihren Mund, und zugleich wurde sie an Händen und Füßen gebunden. Ein zweites Tuch wand man ihr über die Augen um den Kopf, und dann bemerkte sie, daß sie auf ein Pferd gehoben wurde. Der Reiter, welcher auf demselben saß, nahm sie in Empfang, und dann ging es fort.


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Sie vermochte sich nicht zu bewegen, sie wurde in einer höchst unangenehmen Lage von starken Armen festgehalten. Sie hörte, daß die Pferde erst durch die Straßen der Stadt trabten und dann draußen auf der breiten Feldstraße in einen gestreckten Galopp fielen.

Sie konnte kaum athmen. So ging es, wie es ihr schien, eine ganze Ewigkeit fort, bis der Führer zu halten gebot. Er nahm ihr die Tücher ab. Nun konnte sie wenigstens sehen und athmen.

»Um Gotteswillen, was soll das sein?« fragte sie. »Ihr müßt Euch in mir geirrt haben, Sennores.«

»O nein. Wir wissen ganz genau, wen wir haben,« lachte der Reiter.

»Was wollt Ihr denn von mir?« fragte sie voller Angst. »Und was soll mit mir geschehen?«

»Halte den Mund. Du wirst schon Antwort erhalten, wenn es Zeit ist. Mit Weibern Eures Gelichters wird wenig Federlesens gemacht. Für Euch ist der Strick noch viel zu gut.«

Der dies sagte, war der Oberst Miguel Lopez, ein Oheim der Frau Marschallin Bazaine, Ritter der französischen Ehrenlegion und gern gesehener Gast in den Tuilerien (der Wohnung des Kaisers Napoleon in Paris).

»Hier ist ein Pferd für Dich. Ich kann mich mit Dir nicht weiter schleppen. Wir werden Dich also auf den Gaul binden. Aber spreize Dich nicht, und versuche weder zu sprechen noch zu entfliehen, sonst erhältst Du eine Kugel vor den Kopf.«

Sie wurde auf das Pferd gebunden; der Oberst nahm die Zügel desselben in die Hand und dann ging es im Galopp weiter.

So mochte man wohl drei Stunden geritten sein, als man an einer Venta vorüberkam, welche einsam an der Straße lag. Man sah noch Licht durch die Ladenritzen schimmern.

»Enrico, siehe nach, wer drin ist,« gebot Lopez.

Der genannte Soldat stieg ab und blickte durch eine der Ritzen.

»Einige Vaqueros,« antwortete er.

»Wie viele?«

»Ich sehe drei, es können im Ganzen höchstens fünf sein.«

»So steigen wir ab, um einen Schluck zu thun. Bindet das Frauenzimmer ab und bringt es herein.«

Die Pferde wurden an eine dazu vorhandene Querstange gebunden, und dann trat Lopez in das Haus, die Anderen folgten.

Als die fünf Männer in Queretaro Emilia gefesselt hatten und dann aufgestiegen waren, hatte der Beichtvater den Beobachter gemacht. Als sich dann die Pferde in Bewegung setzten, hatte er die Unvorsichtigkeit begangen, ihnen nachzurufen:

»Guten Ritt nach Tula!«

Die Reiter hatten es nicht beachtet oder wohl auch gar nicht gehört, wohl aber zwei Andere.

Nämlich, als es einige Minuten nach Neun geworden war, hatte Curt sich mit André aufgemacht, um zu Emilia zu gehen. Queretaro ist, wie damals alle


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mexikanischen Städte, nicht gepflastert, deshalb verursachten ihre Schritte nur wenig Geräusch.

Da hörten sie plötzlich ein laut gerufenes

»Hil- -«

Sie blieben stehen.

»Was war das?« fragte André.

»Es rief Jemand um Hilfe,« antwortete Curt.

»Aber nur halb.«

»Es schien eine Dame zu sein.«

»Ja. Sie brachte das Wort nur halb hervor. Man hat ihr also den Mund zugehalten.«

»Wir müssen zu Hilfe kommen. Vorwärts.«

»Halt. Langsam und leise anschleichen. Das ist viel sicherer.«

Sie versuchten, ihre Schritte so viel wie möglich zu dämpfen, und huschten leise vorwärts. Sie kamen vor der offen stehenden Thür des Hauses vorüber, in welchem Emilia wohnte. Schon bemerkten sie eine dunkle Gruppe vor sich, da setzte sich dieselbe mit lautem Pferdegetrappel in Bewegung.

»Guten Ritt nach Tula,« rief dabei eine Stimme.

Im Nu stand Curt neben dem Sprecher und hatte ihn gepackt.

»Kerl, was ist hier geschehen?« fragte er.

»Nichts,« antwortete der Mann.

Er machte eine rasche Bewegung - Curt hielt ein Kleidungsstück in der Hand, Der aber, welcher darinnen gesteckt hatte, eilte davon.

»Er entkommt!« rief André.

Zugleich schickte er sich an, dem Fliehenden nachzueilen.

»Halt!« gebot Curt.

André gehorchte; aber er brummte unwillig:

»Wollen wir den Kerl denn entlaufen lassen?«

»Vielleicht ist es das Beste. Und selbst wenn sich meine Vermuthung bestätigt, nützt es uns nichts.«

»Wie? Sie haben eine Vermuthung?«

»Ja.«

»Alle Teufel! Denken Sie etwa gar - Sennorita Emilia?«

»Ueberzeugen wir uns.«

»Ah, da sollte der Teufel diese Kerls holen.«

Der kleine Mann sprang vorwärts, zur Thür hinein, zur Treppe empor. Oben war kein Licht, und die Zimmerthür fand er verschlossen. Man hatte seine Schritte gehört, und eben als er zur Treppe wieder herabkam, trat die Dienerin in den Hausflur.

»Zu wem wünschen Sie?« fragte sie ihn.

»Ist Sennorita Emilia zu Hause?« fragte er.

»Nein,« antwortete die Duenna. »Ah, gewiß sind Sie die Sennores, welche sie erwartete? Sie waren heute bereits einmal da?«

»Ja.«

»In diesem Falle muß ich Sie bitten, in einer Stunde wieder zu kommen.«

»Weshalb?« fragte Curt.


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»Der Beichtvater des Kaisers war bei Sennorita Emilia, und sie ging gleich nach ihm aus.«

»Leuchten Sie einmal her. Kennen Sie dieses Gewand?«

»Himmel. Das ist ja die Kutte des Beichtvaters.«

»O, nun weiß ich genug. Die Sennorita ist auf einige Zeit verreist, sie wird aber wiederkommen. Schließen Sie alle Sachen, welche sie zurückgelassen hat, sorgfältig ein, und geben Sie den Schlüssel Niemand in die Hände.«

Er ließ die Alte in ihrer Verwunderung stehen und eilte davon, seiner Venta zu. Der kleine André sprang ihm nach.

»Donnerwetter. Verreist soll sie sein?« fragte er.

»Fällt Niemand ein,« antwortete Curt.

»Sie sagten es aber doch.«

»Weil die Alte das Richtige nicht zu wissen braucht.«

»Sennorita Emilia ist entführt, das unterliegt keinem Zweifel, und da der dumme Teufel von einem Pfaffen selbst sich verrathen hat, indem er ausrief: »Nach Tula«, so müssen wir ihr nach und zwar sofort. Hier ist die Venta. Bezahlen wir unsere Zeche und dann ihnen nach.«

»Wissen Sie den Weg?«

»Ja, ich bin ihn schon geritten.«

Unter diesen Interjectionen hatten sie das Gasthaus erreicht. Der Wirth wunderte sich nicht wenig, als Curt die Zeche bezahlte und dann die Beiden ihre Pferde schnell sattelten und auf die Straße zogen.

»Sennores, wollt Ihr etwa abreisen?« fragte er.

»Ja, alter Christian,« antwortete der Kleine.

»Nur werdet Ihr nicht hinauskommen. Denn es darf, sobald es dunkel ist, Niemand passiren.«

»Bei Dir mag es schwarz sein, bei uns aber ist es hell. Adieu, lieber Gottlieb.«

Nach diesem halb zärtlichen, halb beleidigenden Abschied trabten die Beiden davon. Am Thore angekommen, sahen sie beim Scheine einer Lampe eine Schildwache stehen.

»Halt! Werda?« rief dieselbe.

»Offizier!«

»Der Name.«

»Petro Gibellar.«

»Kann passiren.«

»Sage, mein Lieber, sind nicht vor einer halben Stunde hier mehrere Reiter passirt? Wir gehören zu ihnen.«

»Ja. Oberst Lopez.«

»Richtig. Sie hatten eine gefangene Dame bei sich?«

»Ja. Sie mußten Eile haben, denn sie begannen draußen zu galoppiren.«

»Wir erreichen sie doch noch. Hier hast Du.«

»Danke, Sennor.«

Während der Soldat aufschloß, hatte Curt ihm eine Silbermünze zugeworfen.


// 2511 //

Als sie das Freie erreichten und ihre Pferde in einen fliegenden Galopp gesetzt hatten, meinte der Kleine:

»Schöne Wirtschaft da in Queretaro.«

»Wieso?«

»Nicht einmal Parole oder wie man es nennt.«

»Das war gut für uns.«

»Ich stand schon im Begriff, den Kerl mit dem Kolben niederzuschlagen, um zu seinem Schlüssel zu kommen.«

»Es wäre schade um seine Dummheit gewesen. Doch vorwärts.«

Sie ritten mehrere Stunden lang, ohne die Verfolgten zu ereilen. Da sahen sie an der Straße eine Venta liegen, durch deren Ladenritzen Licht schimmerte.

»Sollten sie da eingekehrt sein?« fragte André.

»Jedenfalls!«

»Ah! Wieso?«

»Dort hängen ja sechs Pferde.«

»Bei Gott, das ist wahr. Hallelujah! Wir haben sie.«

»Ruhig. Auch wir binden unsere Pferde an, aber abseits. Wenn wir drin die Sennorita sehen, thun wir so, als ob wir sie nicht kennen und gar nichts ahnten.«

Sie stiegen ab. In der Stube waren sehr laute Stimmen zu hören. Nachdem sie ihre Pferde angebunden hatten, traten sie an den Laden und blickten hindurch.

»Ein Offizier und vier Soldaten,« flüsterte André.

»Und einige Vaqueros am anderen Tische,« antwortete Curt. »Hinten am Heerde sitzt die Sennorita.«

»Richtig. Na freue Dich, Oberst Mo- Po- Ro- wie hieß der Kerl?«

»Lopez.«

»Ja, Lopez. Freue Dich, Lopez; der kleine André ist da.«

»Schonen wir ihn so viel wie möglich.«

»Werden es abwarten.«

»Sie brüllen so laut, daß sie den Hufschlag unserer Pferde wohl gar nicht gehört haben. Treten wir ein.«

Curt hatte recht. Als die beiden Männer grüßend in die armselige Stube traten, fuhr Lopez erschrocken auf. Als er aber bemerkte, daß es nur Zwei seien, setzte er sich wieder nieder. Aber er drehte sich zu ihnen herum und fixirte sie scharf.

Sie setzten sich an einen leeren Tisch nieder, welcher an der Thür stand. So waren sie sicher, daß ihnen Niemand entgehen könne. Der Wirth fragte sie, ob sie etwas genießen wollten.

»Drei Glas Wein,« antwortete André.

»Drei?« fragte der Wirth verwundert.

»Ja.«

»Sie sind doch nur Zwei.«

»Was geht das Deiner Tante an.«

Da begann der Oberst:


// 2512 //

»Wer seid Ihr, Sennores?«

Der kleine André saß mit dem Rücken gegen ihn gerichtet. Jetzt drehte er sich herum, betrachtete sich den Frager mit malitiösen Blicken und antwortete:

»Neugierde.«

»Was? Neugierde?« brauste der Offizier auf. »Wißt Ihr, wer ich bin?«

»Pah! Wollen es gar nicht wissen. Viel Gescheidtes wird es nicht sein.«

»Mensch, ich glaube, Du bist verrückt.«

Bei diesen Worten erhob sich Lopez und trat an den Tisch.

Emilia hatte beim Eintritt der Beiden sofort gewußt, daß dieselben gekommen seien, sie zu retten. Aber sie hatte das mit keiner Miene verrathen. Jetzt wollte es ihr angst werden um den kleinen Mann. Dieser jedoch blickte den Oberst furchtlos an und meinte:

»Ja, Einer von uns Beiden ist verrückt.«

»Du nämlich, Mensch.«

»Wollen sehen.«

In demselben Augenblicke gab er dem Obersten, der ihm prächtig hiebrecht stand, einen so gewaltigen Faustschlag in die Magengegend, daß der Getroffene zu Boden stürzte. Und im nächsten Augenblicke kniete er auf ihm und schnürte ihm die Kehle zu.

Die vier Soldaten wollten ihrem Offizier zu Hilfe kommen, aber da stand auch Curt vor ihnen und hielt ihnen die geladenen Revolver entgegen.

»Halt!« gebot er. »Keinen Laut und keine Bewegung, wenn Ihr nicht eine Kugel haben wollt.«

Sein Aussehen war so drohend, daß sie auf Widerstand verzichteten. Sie setzten sich, gar nicht an ihre Waffen denkend, wieder nieder. Die Vaqueros und der Wirth, an solche Scenen gewöhnt, hielten es für das Beste, sich nicht einzumischen.

»Fertig mit dem Oberst?« fragte Curt.

»Gleich!« meinte der Kleine, indem er dem Offizier noch einen Faustschlag an den Kopf versetzte. »So, der hat einstweilen genug für diesen Abend.«

»Dann die Stricke her dort von der Wand. Wir wollen diese vier Sennores ein wenig binden.«

André brachte die Stricke herbei und fesselte einen Soldaten nach dem anderen. Sie wagten auch jetzt nicht, sich zu widersetzen, denn sie sahen es Curt an, daß er wirklich schießen werde. Zuletzt wurde auch der Oberst gebunden, damit er nicht schaden könne, wenn er wieder zu sich komme.

»So!« meinte der Kleine. »Von jetzt an wird Niemand ohne unsere Erlaubniß die Stube verlassen. Es geschieht Keinem etwas, aber wer sich nicht fügt, den holt entweder der Teufel oder ich.«

Dann trat er zu Emilia.

»Welche Angst werden Sie ausgestanden haben,« sagte er. »Wir kamen gerade dazu, als diese Kerls mit Ihnen forttrabten, und sind natürlich schleunigst nach. Kommen Sie, Sennorita, und trinken Sie einen Schluck.«

Er führte sie zum Tische und reichte ihr das dritte Glas.

Er reichte ihr das dritte Glas


// 2513 //

»Seht Ihr,« sagte er zum Wirthe, »daß ich wohl recht hatte, als ich drei Gläser verlangte.«

Emilia dankte ihnen mit überströmendem Herzen. Sie erzählte ihnen, wie sie behandelt worden war, und daß man sie morgen hätte aufknüpfen wollen.

»Was?« rief der Kleine. »Gehängt sollten Sie werden?«

»Ja.«

»Das war doch nur dummer Spaß?«

»Nein, sondern völliger Ernst.«

Da versetzte er dem noch immer bewußtlosen Obersten einen wüthenden Fußtritt und rief:

»Das hätten sie nur wagen sollen. Wäre ich morgen nach Tula gekommen und hätte Sie hängen sehen, so hätte ich das ganze Nest in die Luft gesprengt.«

Sie reichte ihm das kleine, schöne Händchen und sagte:

»Ich glaube, daß Sie zornig geworden wären, und danke Ihnen herzlich für diese Theilnahme.«

»Was? Zornig?« fragte er. »Verrückt wäre ich geworden, ein rasender Robinson, oder heißt es vielleicht Roland? Wissen Sie noch in Chihuahua, was ich für meine Kameraden that?«

»O, noch sehr gut weiß ich das. Ich werde es nie vergessen.«

»Nun, für Sie könnte ich noch tausendmal mehr thun. Trinken Sie nur, damit der Schreck keine weiteren Folgen hat.«

Eben, als sie das Glas zum Munde führte, hörte man den Hufschlag eines Pferdes, welches draußen anhielt, und eine Minute darauf trat der Reiter ein. Es war - der dicke Kleine, der Bote des geheimen Bundes.

Als er die Gefesselten erblickte, wollte er sofort zurückweichen, aber André war schneller als er und hatte ihn gepackt.

»Halt, Freund!« sagte er. »Hierbleiben. Wer hier einmal eintritt, der muß wenigstens so lange bleiben, wie wir.«

»Aber, Sennor, ich wollte ja gar nicht bleiben,« meinte der Mann angstvoll.

»So? Was wolltest Du denn?«

»Ich wollte einen Schluck Wein trinken und dann wieder fort.«

»Trinke zehn Schlucke. Dann sind auch wir fertig, und Du kannst gehen, wohin es Dir beliebt.«

»Das wohl nicht,« meinte Curt lächelnd. »Dieser Sennor wird uns begleiten.«

»Sie begleiten?« fragte der Dicke. »Wohin?«

»Zu Juarez.«

Er wurde leichenblaß.

»Zu Juarez?« fragte er. »Warum?«

»Weil der Präsident Sie gern kennen lernen will. Wo sind Sie heute gewesen?«

»In der Umgegend.«

»Nicht in Queretaro?«

»Auch mit.«

»Was hatten Sie da zu thun?«

»Ich bin ein Handelsmann und reise in meinem Geschäfte.«


// 2514 //

»Ja, Sie handeln mit Lügen, und Ihr Geschäft ist der Verrath.«

»Gott, Sennor, Sie verkennen mich,« rief der Beschuldigte voller Angst.

»Ich Sie verkennen? Das wollen wir gleich sehen. Sind Sie in Santa Jaga bekannt?«

»Nein.«

»Auch nicht im Kloster della Barbara dort?«

»Nein.«

»Sie sind nie dort gewesen?«

»Nein.«

»Aber Sie kennen den Pater Hilario?«

»Nein.«

»Oder seinen Neffen Manfredo?«

»Auch nicht.«

»Sie lügen. Ich selbst habe Sie dort gesehen.«

»Sie täuschen sich.«

Da holte Curt aus und gab ihm eine solche Ohrfeige, daß er mit dem Kopfe an die Wand flog. Der Getroffene nahm den Kopf in beide Hände und rief:

»Sie thun mir wirklich unrecht. Der, den Sie gesehen haben, muß mir außerordentlich ähnlich sein.«

»Ja, so ähnlich, daß Du es bist, mein Bursche. Hast Du nicht am Mittwoch Abend im Zimmer des Paters mit dessen Neffen gesprochen?«

»Nein.«

»Hast Du ihm nicht gesagt, daß zweihundert Soldaten kommen würden, die er unten vom Beginn des Klosterweges herauf holen solle?«

Der Mann starrte Curt erschrocken an.

»Nein,« leugnete er dennoch.

»Diese Soldaten sollten das Kloster in Besitz nehmen, damit der Kaiser getödtet und Juarez sein Mörder werde?«

»Nein. Ich habe nicht daran gedacht.«

»Leugne jetzt, wie Du willst. Ich bin kein Henker. Aber wir werden Dich schon noch zum Sprechen bringen, und dann auch die Mitglieder Eures sauberen Bundes erfahren. Wir binden Dich auf's Pferd und nehmen Dich mit. Brechen wir auf.«

Er warf ein Geldstück als Bezahlung für den Wein auf den Tisch und faßte den Dicken an. André half, und bald war der Verschwörer auf sein Pferd gebunden. Emilia, jetzt frei, stieg auf ein anderes, und dann ging es fort.

Sie mußten retour, vorsichtig um Queretaro herum, und dann galt es, die Vorposten von Juarez zu erreichen.

Der ebenso vorsichtige wie thatkräftige Zapoteke hatte seinem Heere unterdessen eine allgemeine Vorwärtsbewegung machen lassen. Er befand sich in viel größerer Nähe, als selbst Mejia heute am Nachmittage geahnt hatte, denn noch war der Mittag nicht vorüber, so stieß Curt auf eine bedeutende Streifpatrouille, welche zum Corps des Generals Velez gehörte.

Sie wurden in das Quartier desselben geleitet. Dieser hatte Curt bei


// 2515 //

Juarez gesehen und kannte überdies Emilia sehr genau. Er war ein rauher, höchst feuriger und oft rücksichtsloser Republikaner. Er ließ sich das Geschehene erzählen und rief dann den Dicken vor sich, den er eine ganze Weile schweigend und mit finsterem Auge betrachtete.

»Du hast geleugnet, was Dir dieser Sennor vorgeworfen hat?« fragte er ihn.

»Ich mußte es leugnen, denn ich sagte die Wahrheit,« antwortete der Mann.

»Du bist nicht Derjenige, für den er Dich hielt?«

»Ich heiße Perdillo und handle mit Ponchos und Serapen.«

Da nahm die Miene des Generals ein höhnisches Grinsen an.

»Und jetzt sagst Du auch die Wahrheit?« fragte er.

»Die reine, lautere Wahrheit.«

»Wenn ich Dich nun besser kenne?«

»So täuschen Sie sich, Sennor.«

»Hund! Ich täusche mich niemals in einer Person, am allerwenigsten aber in einer solchen Galgenphysiognomie, wie die Deinige ist. Hast Du jemals einen Mönch, einen Pater Juanito gekannt?«

Der Mann wurde leichenblaß.

»Nein,« antwortete er dennoch.

»Der aus dem Kloster Anuamente entwich?«

»Nein.«

»Und dann den Franzosen den General Tonamente an das Messer lieferte?«

»Ich habe ihn nicht gekannt, Sennor.«

Dieses Verhör fand im Freien statt. Der General stand wie ein Racheengel vor dem Gefangenen.

»Mensch, zu allen Teufeleien hattest Du den Muth, aber zu einem Bekenntnisse bist Du zu feig!« rief Velez. »Du nanntest Dich Perdillo, den Verlorenen, und Du hast recht. Verloren bist Du. Du sollst zum Teufel fahren in allen Deinen Sünden, ohne Beichte und Absolution.«

Seine Hand fuhr in den Gürtel, ein Schuß krachte und der frühere Mönch stürzte, durch den Kopf getroffen, todt zur Erde.

»General!« rief Curt.

»Was?« fragte Velez rauh.

»Er hätte noch leben sollen.«

»Wozu?«

»Er hätte uns Geständnisse machen und alle seine Mitschuldigen und Mitverschworenen nennen müssen.«

»Pah! Ich mag nichts von ihnen wissen. Diese Schufte gerathen noch alle in meine Hände. Wenn ich so einen Schurken auf irgend ein Verhör oder eine Untersuchung aufhebe, so bin ich niemals sicher, daß er mir doch noch entkommt.« -

An demselben Mittag traf Oberst Lopez mit seinen vier Soldaten wieder in Queretaro ein; man kann sich denken, in welcher Stimmung. Seine Pflicht war, sich sogleich zu Miramon zu begeben, um diesem Meldung über das Geschehene zu machen.

Der General hörte ihn erstaunt an.


// 2516 //

»Was?« sagte er. »Zwei Männer waren es, welche Euch bezwangen?«

»Es ging so verteufelt schnell, Sennor.«

»Hm. Und wohin haben sie das Mädchen geschafft?«

»Zu Juarez, wie die Vaqueros sagten.«

»Das ist noch gut, denn da sind wir sicher, daß der Kaiser sie niemals wieder zu sehen bekommt, und darum will ich Ihnen diesen unverzeihlichen Fehler doch noch verzeihen. Aber ich hoffe, daß Sie den nächsten Auftrag, welchen ich Ihnen geben werde, desto besser, sorgfältiger und vorsichtiger zu Ende führen.«

Welcher Auftrag dies sein sollte, das wußte er jetzt bereits, hütete sich aber sehr, schon ein Wort davon zu sagen.

Von jetzt an entwickelten sich die Verhältnisse mit ungemeiner Schnelligkeit. Eskobedo rückte rasch näher und schloß die fünfzehntausend Mann, welche Max bei sich hatte, mit fünfundzwanzigtausend Republikanern ein. Die Belagerung von Queretaro begann.

Ebenso umschloß Porfirio Diaz mit seiner Armee die Hauptstadt, in welcher bald der gräßlichste Hunger zu wüthen begann.

Curt wollte nicht unthätig bleiben. Er schloß sich dem Geniewesen an und leitete unter dem Commandanten dieses Corps die Belagerungsarbeiten.

Sternau bewährte sich als tüchtiger Arzt und leuchtete allen seinen mexikanischen Collegen als Muster vor.

Juarez hatte den Sitz der Regierung nach San Luis Potosi verlegt. Lindsay und Amy befanden sich bei ihm. Es läßt sich denken, wie erfreut diese Beiden gewesen waren, als sie von der Rettung der Gefangenen gehört hatten. Wie gern wäre Amy einmal nach Santa Jaga gegangen, aber allein getraute sie sich nicht fort und die Begleitung ihres Vaters konnte sie nicht erlangen, da er bei Juarez unumgänglich nöthig war. Um desto eifriger aber wurden Briefe gewechselt. Täglich flogen dieselben zwischen Santa Jaga und Potosi hin und her, um Grüße und Küsse zu bringen und die Liebenden auf die so nahe Zukunft zu vertrösten.

Auch Sternau hatte seine Pflicht gethan und, sobald der Telegraph practicabel war, in die Heimath telegraphirt, daß sie Alle gerettet seien. Hätte er dabei sein können, als diese Depesche das alte, liebe Rheinswalden erreichte!

Da saß der Hauptmann Rodenstein in seinem Lehnstuhle und stöberte in allerlei Papieren herum. Er war recht alt und grau und wackelig geworden, der gute Oberförster, und grad heut plagte ihn die Gicht auf eine wahrhaft gräßliche Weise.

Da trat der Ludewig ein, schob die Absätze zusammen, legte die Hand an den Kopf, als ob er seine Mütze aufhabe, und wartete, bis sein Herr ihn anreden werde. Dieser drehte sich endlich zu ihm um und sagte mißmuthig:

»'n Morgen, Ludewig!«

»'n Morgen, Herr Hauptmann!«

»Was Neues?«

»Nein.«

»Kein Wilddieb? kein Windbruch? keine Kuh gekalbt?«

»Nein.«


// 2517 //

»Hole Dich der Teufel, Du alte Neinposaune - - au!«

Er hatte eine schnellere Bewegung gemacht, als seine liebe Gicht es ihm gestattete, und zog nun vor Schmerzen ein fürchterliches Gesicht.

»Da hat man's!« raisonnirte er. »Ich wollte, Du wärst der Oberförster und hättest die Gicht!«

»Und Sie wären der Ludewig ohne Gicht dahier?«

»Ja.«

»Habe auch mein Leiden, Herr Hauptmann.«

»Was denn?«

»Gehaltszulage.«

»Donnerwetter! Das fällt Dir niederträch- - au! Mensch, mache, daß Du fortkommst, sonst werfe ich Dir hier meine Tabakspfeife in das Gesicht, daß Dir die Gehaltszulage aus der Nase wachsen - he, wer kommt denn da?«

Es hatte draußen geklopft.

»Weiß es nicht dahier,« meinte Ludewig gleichmüthig.

»So gucke doch hinaus, Du Esel!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Er drehte sich um, öffnete ein wenig, steckte den Kopf vorsichtig hinaus, zog ihn wieder herein und meldete dann:

»Der Telegraphenbote.«

»So laß ihn herein!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Der Bote trat ein.

»Woher?« fragte der Alte, indem er die Hand ausstreckte.

»Aus Mexiko,« antwortete der Beamte, indem er ihm das Couvert entgegenstreckte.

»Aus Me- Me- Mexi- - woher, Kerl?«

»Aus Mexiko.«

Der Hauptmann machte Augen, wie ein Teller so groß.

»Ist's wahr?« fragte er.

»Natürlich. Hier steht es ja!«

»So soll mich doch gleich vor lauter Freude der Kukuk fressen! Fahre hin, du alte Canaille! Von heut an wird die neue gestopft! Verstanden, Ludewig?«

Er warf bei diesen Worten die Tabakspfeife zum Fenster hinaus, so daß sie mit sammt der zerbrochenen Scheibe in den Hof hinunterflog.

»Zu Befehl!« brummte Ludewig. »Erst mir in's Gesicht und dann zum Fenster hinaus dahier. Wollte lieber, ich hätte sie zum Präsent erhalten.«

»Gehe hinunter und hole sie.«

Aber der brave Bursche ging noch lange nicht. Er mußte doch auch hören, was auf der Depesche stand.

Der Alte hatte jetzt geöffnet und las:

»An den Hauptmann von Rodenstein. Rheinswalden bei Mainz in Deutschland. - Alle glücklich gerettet durch Curt. Brieflich mehr. Euer Sternau.«


// 2518 //

Noch einmal las er diese Worte leise durch, dann aber fuhr er in die Höhe, daß der Stuhl umfiel, machte einen Freudensprung und rief:

»Gerettet! Hurrah! Alle gerettet! Hosiannah! Durch Curt! Kyrieleison! Glücklich gerettet! Gaudeamus igitur! Brieflich mehr! In dulci jubilo! Euer Sternau! Vivat Pestilenz, Pereat Excellenz! Hast Du's gehört, Ludewig?«

»Na, was steht denn Er noch da und hält Maulaffen feil?«

Diese Worte waren an den Telegraphenboten gerichtet. Dieser kannte den Alten von früher her und antwortete ruhig:

»Ich laure auf meine Gebühr.«

»Auf Deine Gebühr?«

»Ja.«

»Hast Du denn eine Gebühr zu bekommen?«

»Natürlich. Oder denken Sie etwa, daß so eine Depesche ganz umsonst übers Meer herübergetragen wird?«

»Alle Teufel, ist der Kerl grob! Na, dieses Mal mag Dir's noch so hingehen, weil ich grad bei guter Laune bin. Also Deine Gebühr. Hm. Was gebe ich Dir nur gleich?«

Er war vor Freude ganz außer Rand und Band gerathen. Er dachte in seinem Entzücken gar nicht daran, daß für das Telegramm eine feste Taxe zu bezahlen sei, sondern sein Auge schweifte im Zimmer herum, um da etwas zu finden, womit er den Mann belohnen könne.

»Halt! Ich hab's!« rief er endlich.

Er sprang auf den Stuhl und von da auf den Tisch und langte an die Wand, wo hoch oben eine uralte Schwarzwälder Kukuksuhr hing, deren Schleuder und Gewichte in einem ewig langen, wurmgestochenen Kasten steckten.

»Kerl, siehst Du diese Uhr, he?« fragte er.

»Ja, Herr Hauptmann.«

»Das ist ein altes Capitalstück. Sie geht zwar schon einundzwanzig Jahre nicht mehr, aber sie ist unter Brüdern noch vierzig Thaler werth. Da, nimm sie! Sie soll Deine Gebühr sein!«

»Da!« Damit hob er die Uhr ab und schob sie dem Boten in die Arme.

»Da!« Dabei sprang er vom Tische herab, packte den Kasten und packte denselben dem Boten entgegen, daß Beide beinahe niedergestürzt wären.

»Da hast Du sie! Halte sie gut! Wenn Du sie nicht aufziehst, brauchst Du sie im ganzen Leben nicht repariren zu lassen. Gescheidt muß man sein. Nun aber hinaus mit Dir und dem alten Urahnenkasten! Fort! Hinaus mit Euch!«

Der Telegraphenbote wollte gegen diese Art der Gebührenentrichtung protestiren, aber ehe er so recht zu Worte kam, stand er draußen, die Uhr in den Händen und der Kasten lag neben ihm. Nach einigem Nachdenken fügte er sich in das Unvermeidliche, hob den Kasten auf und schleppte seine »Telegrammgebühr« mühselig und beladen zur Treppe hinab.

»So, der ist bezahlt,« meinte der Hauptmann. »Habe ich eine Freude, so mache ich Andern auch gern eine.«


// 2519 //

Ludewig stand dabei, starrte ihn ganz verdutzt an und fragte:

»Aber, Herr Hauptmann, thut es denn nicht weh!«

»Was denn?«

»Beißt oder zwickt und kneipt es denn gar nicht?«

»Zum Teufel! Was denn?«

»Na, die Gicht dahier.«

Jetzt erst fiel auch dem Alten seine Gicht ein. Er machte ein eminent überraschtes Gesicht, stampfte einige Male mit den Füßen und rief dann:

»Ludewig, sie ist fort, reine fort, Gott hab sie selig!«

»Das ist aber doch merkwürdig,« meinte der Bursche kopfschüttelnd.

»Ja. Was mag da schuld sein?«

»Die Freude oder das Telegramm.«

»Die Freude natürlich, Dummkopf! Und denke Dir, an mich hat er's adressirt, an mich! Der Prachtkerl, dieser Sternau! Ludewig, renne hinunter in die Küche und sage es, daß Ihr heut Mittag ein Extraessen bekommen sollt.«

»Was denn dahier?«

»Na, was ist Euch denn lieber? Nudeln mit Hering oder Eierkuchen mit Sauerkraut oder Pflaumenmuß mit Schweizerkäse?«

»Alles Drei's!«

»Gut. Mir auch egal. Laßt es Euch machen. Ich aber laufe sogleich hinüber nach Rodriganda, um die Depesche vorzulesen.«

»Laufen? Mit der Gicht?«

»Sie ist ja fort.«

»Aber sie kann unterwegs wiederkommen.«

»Das mag sie nur nicht etwa wagen! Ich würde ihr schön heimleuchten! Heut und Gicht! Das reimt sich schlecht auf ein Telegramm aus Mexiko.«

Damit humpelte er fort. Man kann sich denken, welche Freude, ja welches Entzücken seine Botschaft da drüben bei den Lieben allen hervorbrachte. -

Unterdessen schritt die Belagerung von Queretaro rasch vorwärts. Die Belagerten sahen freilich nicht müssig zu. Bis zum sechsten Mai hatten sie fünfzehn Ausfälle gemacht, aber nun waren auch die Mittel zum Widerstande fast erschöpft.

Max hatte Unterhandlungen mit Eskobedo anzuknüpfen versucht. Er bot demselben die Uebergabe der Stadt an unter der Bedingung, daß ihm nebst seinen europäischen Soldaten und Begleitern freier Abzug aus dem Lande bewilligt und seinen mexikanischen Anhängern eine vollständige Amnestie zugesichert werde. Eskobedo ließ kurz antworten:

»Ich habe den Befehl, Queretaro zu nehmen, nicht aber, mit dem angeblichen Kaiser von Mexiko - ich kenne gar keinen solchen - zu unterhandeln. Im Uebrigen schreit das Blut Derer, welche um dieses sogenannten Kaiserreiches willen ermordet wurden und die man in Folge des Decretes vom dritten October rechtlos erschoß, zum Himmel auf um Rache. Zudem ist es dem Erzherzog von Oesterreich verschiedene Male geflissentlich an die Hand gegeben worden, dem wohl verdienten Schicksale zu entgehen. Hat er diese Winke nicht befolgt, so ist das seine Sache.«


// 2520 //

So von Eskobedo abgewiesen, hatte Maximilian sich an Juarez selbst gewendet, nun aber gar keine Antwort erhalten.

Ebenso war es Miramon ergangen. Er hatte sich mit verschiedenen Anträgen an Juarez, Eskobedo und Andere gewendet, aber seine Hoffnung, aus der Falle zu kommen, in welche er seinen Kaiser gelockt hatte, war stets vergeblich gewesen. Er erntete entweder Schweigen oder verächtlichen Hohn.

Jetzt hatte er sich auf sein Zimmer zurückgezogen und vor ihm stand - der Oberst Miguel Lopez, jener Ritter der französischen Ehrenlegion, welcher für einen persönlichen Freund des Kaisers gehalten wurde, weil dieser sogar seinen Sohn aus der Taufe gehoben hatte. Max hatte ihn erst zum Commandant und Gouverneur der Feste und des Schlosses Chapultepek und sodann zum Obersten des Reiterregimentes der Kaiserin, sowie zum Befehlshaber der Leibgarde derselben gemacht. Grund genug, seinem Kaiser die höchste Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu erweisen.

Jetzt also stand er vor Miramon. Beider Mienen waren düster, aber doch zeigten sie einen ganz verschiedenen Ausdruck.

Der General hatte das Aussehen eines Mannes, der sich verloren giebt, der keine Hoffnung mehr hat und doch nach jedem Strohhalme greifen möchte. Er sah ein, daß er nicht entkommen könne, daß er rettungslos verloren sei.

Oberst Lopez hingegen zeigte eine finstere Entschlossenheit. Er war anzusehen wie ein Mann, der seine schlimme Lage zwar kennt, dem aber jedes Mittel recht ist, sich derselben zu entwinden.

»Soeben komme ich von einer Inspection zurück,« meinte Miramon. »Wir vermögen uns kaum noch einige Tage zu halten. Der Cerro de las Campanas ist von den Kartätschen des Feindes vollständig verwüstet, die Stadt ist zerstört, die Befestigungen sind vernichtet und nur das Fort la Cruz vermag noch Widerstand zu leisten.«

»Es wird für uneinnehmbar gehalten,« meinte Lopez.

»Das ist es jetzt nicht mehr. In kurzer Zeit wird Eskobedo seinen Einzug halten und uns das fürchterliche Echo des Blutdecrets vernehmen lassen.«

»Sollte es keine Rettung geben?«

»Den Heldentod mit der Waffe in der Hand.«

»Pah!« lachte Lopez. »Es mag sehr schön sein, für seinen Kaiser zu sterben, noch schöner aber ist es jedenfalls, für sich selbst zu leben.«

»Sie haben nicht unrecht,« sagte Miramon nachdenklich. »Und was heißt für uns, sterben. Es ist das Aufgeben aller Errungenschaften, aller Hoffnungen und Wünsche, aller Pläne, an denen wir Jahrzehnte lang gebaut und gearbeitet haben. Ich mag, ich kann nicht sterben mit dem Gedanken, daß dieser Juarez, dieser Indianer wieder Präsident von Mexiko ist und als der Retter seines Vaterlandes gefeiert wird.«

»Es muß, es muß ein Mittel geben, uns zu retten!«

»Es giebt eins.«

»Ah! Welches, General?«

»Es ist ein Mittel, welches man kaum sich selbst anzuvertrauen wagt, viel weniger einem Anderen.«


Ende der einhundertfünften Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk