Lieferung 14

Karl May

24. Februar 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Auch Dir, Adonis?« fragte der Herzog lachend.

»Auch mir!«

»So rufe sie!«

Cortejo rief und klopfte, es erfolgte aber keine Antwort.

»Da haben Sie es,« meinte Cortejo trocken.

»Schlaukopf!« rief der Andere. »Du hast ihr Verhaltungsmaßregeln ertheilt. Aber das schadet Nichts. Sie hat zwar genug Fleisch, aber auch einen halben Centner zu viel Knochen!«

Diese wegwerfenden Worte waren so laut gesprochen, daß Clarissa sie hören mußte; sie waren jedenfalls nicht geeignet, ihm ihre Liebe und Zuneigung zu erringen. Dann fragte er leise:

»Du hast ihr doch nicht gesagt, wer ich bin?«

»Nein,« log der Haushofmeister.

»Gut! Bist Du fertig?«

»Ja, bis auf die Larve.«

»So lege sie an, und komm!«

Sie verließen das Haus und warfen sich unten in das Gewühl der Masken. Der reiche Anzug des Herzogs erregte die allgemeine Aufmerksamkeit, doch hätte Niemand unter demselben einen so hohen Würdenträger vermuthet, denn er benahm und gab sich ganz so wie der ungebildetste Wasserträger oder Melonenhändler. Er machte selbst die rohesten Scherze mit, sprang in die geöffneten Thüren der Häuser, drang in die Wohnräume, die zu dieser Zeit einer jeden Maske offen stehen, und brachte Aufruhr und Verwirrung überall da hin, wo er erschien.

So kamen sie durch verschiedene Straßen und Gassen, über die Brücke hinüber, wo sie ihre überlustigen Streiche fortsetzten. Da, einmal, blieb er stehen und blickte nach einem Balkon empor.

»Donnerwetter!« raunte er Cortejo zu. »Blicke einmal da hinauf!«

»Wohin?«

»Nach dem kleinen Balkon.«

»Ah! Ja, Die ist fein!«

»Fein! Pah, das ist viel zu wenig! Das ist ein wirkliches Madonnenangesicht, so hold, so rein, so ernst. Die müßte man kennen lernen! Die müßte man zu erobern versuchen!«

»Hm! Bei dieser würde man, wie es scheint, mit Späßen nicht weit kommen!«

»So versucht man es anders. Schau, jetzt sieht sie uns!«

Es war die Gouvernante, welche er meinte. Ihre reine, keusche Weiblichkeit hatten sogar diese Wüstlinge auf den ersten Blick erkannt. Der Herzog warf ihr eine Kußhand empor. Sie bemerkte es und erglühte. Er trug eine Kleidung im Werthe von Tausenden; er war kein gewöhnlicher Mann, das sah sie, und welches Mädchenherz schlägt nicht höher, wenn es das Auge eines bevorzugten Mannes bewundernd auf sich gerichtet sieht! Halb bewußt und halb unbewußt nahm sie die seidene Schleife von ihrem züchtig verhüllten Busen und warf sie ihm herab. Sie flatterte in unregelmäßigen Kreisen hernieder, doch gelang es dem Herzog, sie zu erhaschen. Er küßte sie und steckte sie an seine Brust. Die Gouvernante erröthete bis zum Nacken herab und zog sich beschämt vom Balkon zurück.


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»Donnerwetter, Diese muß mein werden!« sagte der Herzog. »Sie ist unwiderstehlich.«

»Gehen Sie hinauf?«

»Ja.«

»Ich mit?«

»Nein. Du würdest mir Alles verderben, Du Bär. So eine Blume muß mit Zartheit angefaßt werden. Spaziere einstweilen hier auf und ab, daß ich Dich dann wiederfinde!«

Er betrachtete sich die Fenster des Hauses, um sich im Innern desselben zurechtfinden zu können, und trat dann ein, stieg die Treppe empor und klopfte an die Thür, hinter welcher er die Gesuchte vermuthete. Ein leises, fast ängstliches »Herein!« ertönte, und er öffnete die Thür.

Als sie ihn erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus und wollte in das Nebenzimmer entfliehen. Aber schon stand er bei ihr und hielt sie an der Hand fest.

»Halt, schöne Dame, entweiche mir nicht!« bat er mit dem sanftesten Tone seiner Stimme.

»Mein Gott, lassen Sie mich!« flehte sie angstvoll. »Wenn man Sie hier entdeckte, mein Herr!«

»Was könnte man sagen? Es ist heute Karneval und Maskenfreiheit!«

»Aber für mich nicht!«

»Für jede Dame!«

»Ich bin hier fremd; ich bin hier in untergeordneter Stellung!« sagte sie in ihrer Herzensangst.

»Das ist gleich, Du schönes Kind! Wem gehört dieses Haus?«

»Dem Bankier Salmonno.«

»Ah, diesem Hamster, diesem Cerberus! Und bei ihm bist Du? Bei ihm wohnest Du?«

»Ja.«

»Als was?«

»Als Gouvernante.«

Er jubelte im Innern auf, denn einer armen Gouvernante gegenüber hielt er sein Spiel für gewonnen. Er zog sie also mit seiner unwiderstehlichen Körperkraft an sich und flüsterte:

»O, wie habe ich Dich so lieb! Ich sehne mich, daß Du die meine wirst.«

»Lassen Sie mich!« bat sie dringend.

Er aber hielt sie fest und küßte sie.

Da wandt sie sich unter zornigen Thränen in seinen Armen und rief empört:

»Welch' eine Frechheit! Gehen Sie, sonst rufe ich um Hilfe!«

»Rufe, mein Täubchen! Heute dürfen die Masken thun, was ihnen beliebt. Weißt Du das?«

Wieder wollte er sie küssen; da wandt sie den Kopf aus seinen Händen und rief, so laut sie konnte:

»Herr Sternau, zu Hilfe, zu Hilfe

Herr Sternau, zu Hilfe, zu Hilfe!

Der Herzog hatte sich keine Zeit genommen, die Thüre zu schließen, und der


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Hilferuf drang also hell auf den Corridor hinaus. Bereits im nächsten Augenblicke erklangen eilige Schritte. Der Herzog achtete ihrer nicht. Er hielt das zarte, schwache Wesen, welches sich aus allen Kräften gegen seine Umarmung sträubte, fest und wollte sie auf den Mund küssen.

»Was geht hier vor?« erklang es da hinter ihm.

Er wandte sich nach der Thür zurück und erblickte Sternau, welcher am Eingange stand. Die schmächtige und nicht hohe Gestalt desselben imponirte ihm nicht im Geringsten.

»Was hier vorgeht?« antwortete er. »Ah, das wird man sogleich zu sehen bekommen!«

Er näherte seinen Mund wieder den Lippen der Gouvernante; da aber stand Sternau auch schon an seiner Seite und legte ihm die Linke auf den Arm.

»Maskenscherze sind nicht verboten, aber Maskenrohheiten wird man abzuweisen wissen,« sagte er. »Lassen Sie diese Sennora los!«

»Alle Teufel, Knirps, was fällt Dir ein!« lachte der Herzog. »Packe Dich fort, Kerl!«

Er senkte abermals den Kopf, um das Mädchen zu küssen, da aber ballte Sternau die Faust und schlug sie ihm mit solcher Gewalt unter das Kinn, daß er zurücktaumelte und die Hände von der Gouvernante ließ. Sobald sich diese frei fühlte, floh sie in das Nebenzimmer, welches sie, gerade so wie vorher Clarissa, hinter sich verschloß.

Der Hieb hatte nur für einen kurzen Augenblick gewirkt. Der Herzog richtete seine Gestalt hoch empor und donnerte dem Erzieher entgegen:

»Wurm, Du wagst es, mich zu schlagen? Ich werde Dich zermalmen!«

Die Gouvernante hörte diese Drohung und es wurde ihr himmelangst um Sternau, der dem riesigen Gegner gewiß nicht gewachsen war. Sie horchte, hörte aber kein Wort der Erwiderung aus dem Munde des Erziehers. Da erklang ein Schlag und noch einer; es stürzte etwas Schweres zu Boden; sie hörte ein schleifendes Geräusch, welches sich entfernte; dann nahten sich wieder leichte Schritte dem Zimmer, und es klopfte an die Thür, hinter welcher sie stand.

»Fräulein Wilhelmi, er ist fort. Sie können wieder eintreten.« Es war die Stimme Sternau's, welche diese Worte sprach.

»Ist es wahr?« fragte sie, noch immer ungläubig.

Es schien ihr eine absolute Unmöglichkeit zu sein, daß der Riese diesem kleinen Sternau gewichen sei.

»Ja. Sie sind vollständig sicher,« antwortete der Erzieher.

Jetzt öffnete sie und trat schüchtern in den Wohnraum zurück. Wahrhaftig, da stand Sternau mit lächelnder Miene, und nicht das Geringste war an ihm zu sehen, was an einen Kampf mit einem solchen Gegner erinnert hätte.

»Ist es möglich? Sie sind es wirklich?« fragte sie erstaunt.

»Warum soll ich es nicht sein?«

»O, dieser Riese!«

»Pah! Die Gestalt thut es nicht. Ich bin längere Jahre Fechtlehrer gewesen und weiß mit solchem Gesindel umzugehen.« Und mit vergnügtem Lächeln fügte er hinzu: »Man hat auch seine Meriten!«


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»So ging er nicht freiwillig?«

»Nein. Ich habe ihn zu Boden schlagen müssen -«

»Mein Gott!«

»Und dann nach der Treppe geschleift und hinuntergeworfen.«

»Wenn er wiederkommt!«

»Das wird er unterlassen.«

»Haben Sie sein Gesicht gesehen?«

»Nein. Ich nahm mir nicht die Mühe, seine Larve abzunehmen. Das Gesicht eines Schurken ist mir gleichgiltig.«

»Aber wenn er sich rächt! Er schien ein vornehmer Herr zu sein.«

»So werde ich ihn ebenso wenig fürchten wie heute. Ich hoffe nicht, daß der Schreck Ihnen geschadet hat, Fräulein Wilhelmi.«

»O nein. Aber ich war in einer ganz entsetzlichen Angst; er war so stark wie ein Simson oder Goliath!«

»Richtig! Und ich war der kleine David,« nickte Sternau freundlich. »Uebrigens danke ich Ihnen recht herzlich, daß Sie mich herbeiriefen. Ich wollte, ich hätte etwas Besseres für Sie thun können, als Sie von einem solchen Bramarbas befreien.

Wenn Sie nicht beabsichtigen, Ihr Zimmer zu verschließen, so bitte ich Sie, mich ja sofort zu rufen, wenn Sie einen ähnlichen Besuch erhalten sollten. Hier erhalten Sie auch Ihre Schleife zurück!«

Sie hatte noch gar nicht bemerkt, daß er diese Schleife in der Hand hielt. Er reichte sie ihr mit einem ernsten, beinahe traurigen Blicke entgegen, der sie tief erröthen machte.

»Herr Sternau -!« stotterte sie. »Sie haben gesehen -?«

»Ja. Ich stand auf dem anderen Balkon und Sie bemerkten mich nicht. Als ich dann den Perser in das Haus treten sah, hielt ich mich bereit, Ihnen beizustehen. Nur aus diesem Grunde hörte ich sofort Ihren Hilferuf. Leben Sie wohl, Fräulein Wilhelmi!«

Er ging, und sie wagte nicht ein Wort zu sprechen. Was hatte sie gethan! Für ihn, der sein Leben für sie lassen würde, hatte sie keinen warmen Blick gehabt, und der ersten, besten Maske hatte sie die Schleife vom Busen hingeworfen. Es stiegen ihr die Thränen des Aergers und der Reue in die Augen. Was mußte er von ihr denken, er, der Alles mit angesehen hatte! Wie stolz und selbstbewußt hatte er dem frechen Eindringling gegenüber gestanden. O, es war ihr, als ob sie ihn dennoch lieben, als ob sie stolz auf ihn sein könne.

»Wenn Sie nicht beabsichtigen, Ihr Zimmer zu verschließen,« hatte er gesagt. O, damit hatte es keine Noth! Sie verschloß es und schob noch extra den Riegel vor, und dann that sie ganz dasselbe auch mit der Balkonthür. Sogar die Gardinen des Fensters zog sie eng zusammen. Sie wollte sich isoliren, sie wollte allein sein, sie wollte von dem Karneval nichts mehr sehen und nichts mehr hören.

Gasparino Cortejo, der Mexikaner, war die Straße auf und ab geschritten, hatte aber dabei die Thür des Hauses immer im Auge behalten. Da endlich sah er den Perser wieder heraustreten, und zugleich bemerkte er, daß derselbe noch an seiner Kleidung herumnestelte, als ob irgend Etwas daran beschädigt worden sei. Er drängte sich durch das Maskengewühl zu ihm hin.


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»Ah, Gasparino,« brummte der Perser; »gut, daß Du kommst! Sieh' einmal meinen Rücken an!«

»Warum?«

»Ob er vielleicht schmutzig ist.«

»Nein. Darf ich fragen, wie das kleine Abenteuer abgelaufen ist?«

»Hole Dich der Kukuk! Aber mein muß sie werden, mein um jeden Preis! Sie ist zu köstlich!«

Cortejo lachte unter seiner Larve schadenfroh. Er hörte ja, daß der Herzog ein Fiasko erlebt hatte. Vielleicht hatte er gar Prügel erhalten und war dann zur Treppe herabgeworfen worden, da er so um den Schmutz seines Anzuges besorgt war. Während sie weiterschritten, fragte Cortejo:

»Es war eine Dame?«

»Pah, eine Gouvernante!«

»O weh!«

»Aber ein Teufelchen. Sie hat sich gewehrt wie eine Katze. Du wirst Dich nach ihr erkundigen, bald, noch heute! Ich muß wissen, ob es möglich ist, diese Katze zu kaufen oder wegzufangen.«

»Dann muß ich freilich um Urlaub bitten!« sagte der Haushofmeister, dem es sehr gelegen war, von seinem Herrn fortzukommen. Auf diese Weise wurde es ihm möglich, seinem Vergnügen auf eigene Faust und ohne lästige Beaufsichtigung nachzugehen.

»Du sollst den Urlaub haben,« antwortete der Herzog.

»Wann?«

»Gleich jetzt, und so lange Du willst. Aber ich verlange, daß Du mir einen sicheren Bescheid bringst!«

Sie trennten sich. Cortejo wartete, bis der Perser in der Ferne verschwunden war und ging dann seine eigenen Wege. Er kam nach einiger Zeit vor die Kirche Nuestra Sennora del Pilár, welche die berühmteste Saragossas ist, und in welcher sich auf einer Jaspissäule ein wunderthätiges Marienbild befindet, das von der katholischen Kirche zu den größten Heiligthümern gezählt wird.

Vor dieser Kirche ging es lebhaft zu, am lebhaftesten aber um eine Gruppe von Zigeunern, welche sich da niedergelassen hatte, um dem andrängenden Publikum zu weissagen. Er trat näher, um zu sehen, ob es echte Zigeuner seien, oder ob sich eine Gesellschaft lustiger Leute nur den Spaß gemacht habe, sich als Gitanos zu verkleiden. Es gelang ihm, sich durch das Gedränge hindurchzuschieben.

»Ah!« entfuhr ihm da ein Ausruf höchster Verwunderung. »Welch eine Schönheit!«

»Nicht wahr!« stimmte ein Domino bei, der neben ihm stand und seinen Ausruf vernommen hatte. »Ein solches Kind bekommt man nicht allzu oft zu sehen, Sennor. Meint Ihr es nicht auch?«

»Ich bin vollständig mit Euch einverstanden,« antwortete Cortejo, dessen Augen mit fast trunkener Bewunderung an dem Gegenstande hingen, der ihm seinen Ausruf entlockt hatte.

Es war dies ein Zigeunermädchen von einer Schönheit, wie er sie noch niemals gesehen hatte. Sie trug über dem schneeweißen Hemde nichts als ein vorn offenes,


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leichtes, mit Goldschnüren besetztes Jäckchen, und einen kurzen, rothen Rock, der kaum einen Zoll breit über die Kniee herabhing und ein Paar Beine mit Füßchen sehen ließ, wie sie der größte Bildhauer nicht entzückender dem Meißel hätte entspringen lassen können. Das volle, schwere, rabenschwarze Haar hing in vier langen, schweren Flechten fast bis zur Erde herab und war mit silbernen Münzen geschmückt und mit schimmernden Ketten durchflochten.

Alles drängte sich zu ihr, um sich aus den Linien der Hand wahrsagen zu lassen. Um die anderen Glieder der Truppe kümmerte sich fast Niemand.

Cortejo's Herz klopfte fast hörbar. Was war Clarissa gegen diese Zigeunerin! Sie mußte sein werden, und wenn er ihretwegen hundert Mordthaten begehen sollte! Er wartete einen Augenblick ab, an dem sie nicht in Anspruch genommen war, und trat zu ihr.

»Wie ist Dein Name, schöne Zingarita?« fragte er.

Zingarita ist der Zärtlichkeitsname für eine Zigeunerin.

Sie blickte zu ihm auf, sah forschend in seine Augen und antwortete dann:

»Man nennt mich Zarba, Sennor.«

»Wohlan, willst Du mir wahrsagen, Zarba?«

»Reicht mir Eure Hand!«

Er gab ihr ein Goldstück, welches er zu diesem Zwecke bereit gehalten hatte, und sagte leise:

»Nicht hier, mein schönes Kind. Ich muß länger mit Dir sprechen.«

Sie betrachtete die reiche Gabe mit freudeglänzenden Augen und antwortete ebenso leise wie er:

»Warum, Sennor?«

»Weil ich Dich liebe!«

»Ihr liebt mich, die arme Gitana, die arme Zingarita? Sennor, das glaube ich nicht!«

»O, glaube es doch, Du süßes Mädchen, und sage mir, wo ich Dich treffen kann!«

»Wann?«

»Heut!«

»Heut! Da wird es sehr spät möglich sein!«

»Ich komme wohin Du willst, und wann Du willst!«

Ihr Gesicht glänzte in unschuldiger und heller Freude darüber, daß sie von einem so vornehmen Sennor geliebt werde. Sie war eine Tochter des Südens, sie war das Kind eines verachteten Stammes; sie beschloß, diesem Abenteuer zu folgen. Darum ergriff sie seine Hand, um die Umstehenden glauben zu machen, daß sie ihm weissage, flüsterte aber leise zu ihm:

»Kennt Ihr die Straße nach Hueska, Sennor?«

»Ja.«

»Dort rechts von der Straße, am Flusse Gallego und hart an der Stadtmauer haben wir unser Lager aufgeschlagen.«

»Ich werde es finden.«

»Nein, das sollt Ihr nicht. Es soll Niemand wissen, daß ich Euch treffe. Weiter aufwärts am Flusse stehen fünf Silberpappeln eng beisammen.«


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»Diese kenne ich.«

»Dort sollt Ihr mich erwarten.«

»Wann?«

»Gerade eine Stunde nach Mitternacht. Und nun geht, man beobachtet uns.«

»Wirst Du mir auch Wort halten, Zarba?« fragte er.

Sie blickte mit einem aufrichtigen Aufschlage ihrer Augen zu ihm empor und antwortete :

»Ich sage Euch die Wahrheit. Und Ihr, Sennor?«

»Ich schwöre Dir, daß ich sicher kommen werde!«

Sie gab seine Hand frei und er ging zur Seite. Dort beobachtete er mit Entzücken noch eine Zeit lang die gewandten, graziösen Bewegungen ihres bildschönen Körpers, dann entfernte er sich, um sich von dem tollen Wirbel der Masken wieder mit fortreißen zu lassen.

Dabei gelangte er wieder in die Gegend, in welcher das Haus des Bankiers Salmonno lag. Er blieb stehen und überflog die Fronte desselben mit forschenden Blicken, konnte aber keine Spur von der Gesuchten bemerken. Der Balkon, auf welchem sie gestanden hatte, war verschlossen und das daneben befindliche Fenster verhängt.

Da trat ein junger Mann aus dem Eingange. Er trug die Kleidung gewöhnlicher Arbeiter und hatte ein Packet Briefe in der Hand. Sofort war Gasparino Cortejo an seiner Seite. Er frug in einem höflichen Tone:

»Verzeihung, Sennor! Seid Ihr vielleicht im Geschäfte des Bankiers Salmonno angestellt?«

»Ja,« lautete die Antwort.

»Als was?«

»Ich bin nur Austräger,« sagte der Mann in bescheidenem Tone.

»Habt Ihr vielleicht fünf Minuten Zeit?«

»Wozu?«

»Um in der nächsten Venta ein Glas Wein mit mir zu trinken.«

»O, ein Glas Wein versagt man Niemandem; nur muß man wissen, welchen Zweck die Gabe hat.«

»Der Zweck ist sehr einfach: Ich beabsichtige, mich bei Euch nach Etwas zu erkundigen.«

»Ihr sollt Auskunft haben, Sennor. Wenn meine Briefe etwas später zur Post kommen, so ist es mir gleich. Dieser Knicker von Prinzipal hat uns heut zum Karneval keine Stunde frei gegeben.«

»So gebt Euch selber wenigstens eine Viertelstunde frei,« lachte Cortejo.

Er führte den Mann nach der nächsten Weinschänke, wo er sich eine Flasche Wein mit zwei Gläsern geben ließ. Nachdem er eingeschenkt und angestoßen hatte, begann er, ohne seine Maske abzunehmen:

»Euer Prinzipal scheint eine Art von Geizhals oder Filz zu sein, da er Euch selbst am heutigen Tage keine freie Stunde gönnt?«

»Das ist er allerdings, Sennor.«

»Ist er denn so arm, daß er es braucht?«

»Im Gegentheile, er besitzt Millionen.«


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»Er ist alt?«

»Nicht übermäßig.«

»Und verheirathet?«

»Wittwer.«

»Hat er Kinder?«

»Er hatte zwei, einen Knaben und ein Mädchen; das Letztere ist aber vor kurzer Zeit gestorben.«

»Jenes Kind wird von dem Filze eine sehr nachahmungswürdige Erziehung erhalten.«

»O, er bekümmert sich nicht um dasselbe; das thut die alte Magd nebst dem Erzieher und der Erzieherin.«

»Ah, so hat er einen Gouverneur und eine Gouvernante?«

»Ja. Es sind zwei Deutsche.«

»Warum stellt er Deutsche an?«

»Er steht mit Deutschland in einer regen Geschäftsverbindung und wünschte deshalb, seinen Kindern, besonders aber dem Sohne, die deutsche Sprache lehren zu lassen. O, er ist schlau und berechnet Alles!«

»Wie heißt dieser Gouverneur?«

»Es ist Sennor Sternau, ein guter, stiller Mann, der sehr wenig redet. Wenn er aber redet, so haben seine Worte Hände und Füße, und darum hat der Prinzipal großen Respekt vor ihm.«

»Und die Gouvernante?«

»Sie heißt Sennora Wilhelmi. Auch sie ist still und zurückgezogen. Man sieht sie wenig, aber man hat sie lieb, denn sie hat für einen jeden einen freundlichen Blick, was man in diesem Hause sonst nicht gewöhnt ist. Schade, daß sie nicht mehr lange bleiben kann!«

»Sie geht fort?«

»Voraussichtlich.«

»Warum?«

»Weil die Tochter gestorben ist, welche ihr übergeben war. Für den Sohn ist der Erzieher genug.«

»Wann geht sie fort?«

»Ich habe noch nicht gehört, daß davon bereits die Rede gewesen ist. Sie hat vierteljährige Kündigung und darf eigentlich noch fünf Monate bleiben. Wenigstens hat sie den Gehalt für die Zeit zu beanspruchen, wenn Salmonno verlangt, daß sie sein Haus verläßt.«

»Habt Ihr vielleicht davon gehört, daß sie sich um eine Stelle bereits beworben hat?«

»Nein. Ich glaube nicht, daß dies geschehen ist; aber wenn sie es doch gethan hätte, so würden wir wohl Nichts davon erfahren; sie ist nicht gewohnt, mit Fremden von solchen Sachen zu sprechen.«

»Hat sie keinen Sennor, der sie liebt und sich ihrer annehmen könnte?«

»Einen Sennor? Sennora Wilhelmi einen Anbeter?« lachte der Mann. »Das fällt Ihr gar nicht ein. Sie hat das Haus wohl kaum ein einziges Mal verlassen, um an den Fluß spazieren zu gehen.«


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»Ah, da läßt es sich leicht denken, wie es steht,« sagte Cortejo schlau.

»Was?«

»Sie wird dem Erzieher ihr Herz geschenkt haben. Zwei solche Leute, Gouverneur und Gouvernante, können doch gewöhnlich gar nicht beisammen wohnen, ohne sich zu verlieben. Habe ich Recht?«

»Nicht ganz, Sennor. Man spricht zwar davon, daß Sennor Sternau ein Auge auf sie geworfen hat, aber sie mag Nichts von ihm wissen; das merkt man an ihrem ganzen Verhalten.«

»Das sind die sämmtlichen Mitglieder des Haushaltes des Bankiers?«

»Ja.«

»Wie lebt Salmonno? Verschwenderisch und flott, oder einfach und zurückgezogen?«

»Das Letztere. Ich habe Euch ja bereits gesagt, daß er ein Geizhals ist. Ich bin einer der niedrigsten seiner Leute, aber ich weiß ganz genau, daß ich besser esse und trinke als mein Prinzipal.«

»Und glaubt Ihr, daß in seinen Büchern Ordnung und Solidität zu finden ist?«

»Das versteht sich. Er ist in solchen Sachen sehr oft zu streng. Aber, Sennor, warum fragt Ihr nach diesen Dingen? Wollt Ihr vielleicht in geschäftliche Beziehung zu Salmonno treten?«

»Hm, ich will Euch gestehen, daß dies wirklich meine Absicht ist. Ich habe da eine unerwartete Erbschaft gemacht und weiß nicht, was ich sogleich mit der Summe anfangen soll. Da hat man mir gerathen, sie gegen die gewöhnlichen Zinsen einem Bankier in Verwahrung zu geben. Und nun erkundige ich mich nach den Verhältnissen der hiesigen Häuser, um zu sehen, wem ich mein Vertrauen schenken kann. Das ist der Sachverhalt, der mich veranlaßte, Euch beschwerlich zu fallen.«

Der ehrliche Arbeiter glaubte jedes Wort.

»O, wenn es das ist,« sagte er, »so könnt Ihr unserem Herrn jede Summe getrost übergeben. Sie steht bei ihm wenigstens ebenso sicher wie bei jedem Andern, das könnt Ihr mir getrost glauben!«

»Ihr macht mir wirklich Vertrauen! Ich werde mir es heut noch überlegen und danke Euch für die Bereitwilligkeit, mit welcher Ihr mir Auskunft ertheilt habt.«

»Dankt nicht, Sennor! Ihr habt meine geringe Mühe und Zeitversäumniß reichlich bezahlt.«

Nachdem noch einige höfliche Redensarten gewechselt worden waren, trennten sie sich. Der Austräger ging mit seinen Briefen zur Post, und Cortejo trat wieder hinaus auf die Straße.

Es fiel ihm gar nicht ein, nun sogleich den Herzog aufzusuchen und ihm mitzutheilen, was er in Erfahrung gebracht hatte. Er hatte die Absicht, aus seiner Neuigkeit so viel Kapital und Vortheil wie nur möglich zu schlagen und nahm sich vor, sich heut gar nicht im Palaste sehen zu lassen. So trieb er sich denn während des Tages und des Abends in den Straßen und Weinstuben der Stadt umher, bis es Mitternacht wurde und er es an der Zeit hielt, sich nach der Straße von Hueska


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zu begeben, wo er die schöne Zigeunerin keinen Augenblick auf sich warten lassen mochte.

Saragossa liegt am Ebro, und bei der Stadt fließt von Norden her der Gallego in diesen Fluß.

Gegen die Ufer dieses Zuflusses hin mußte sich Cortejo wenden. Er gewahrte bald ein hell loderndes Feuer, und wußte, daß dort das Lager der Gitanos zu suchen sei. Er ging, ohne sich von ihnen bemerken zu lassen, am Gallego aufwärts und gewahrte nach einer nicht zu langen Strecke die Silberpappeln, bei denen er die Zingarita treffen sollte.

Sie war noch nicht da, und er wartete.

Seine Geduld wurde nicht auf eine harte Probe gestellt. Sie erschien bald. Sie trug dasselbe Gewand, in welchem er sie heut gesehen hatte, doch hatte sie der nächtlichen Kälte wegen ein altes Tuch darüber genommen.

»Guten Abend, Sennor! Seid Ihr es?« grüßte sie.

»Ja, Zarba, ich bin es,« antwortete er.

Er reichte ihr seine Hand entgegen und fühlte nun in derselben ein kleines Händchen, welches demjenigen eines Kindes glich. Es zitterte in der seinen.

»Hast Du Angst vor mir?« fragte er.

»Warum denkt Ihr das?«

»Du zitterst. Ist es die Kälte?«

»Nein. Ich habe noch niemals mit einem Sennor des Abends allein gesprochen.«

»Und nun hast Du Sorge, wie das sein und werden wird? Fürchte Dich nicht! Ich habe Dich sehr lieb, und wen man lieb hat, zu dem ist man ja nur gut und freundlich. Wissen die Deinen, wo Du bist?«

»Nein. Sie denken, ich schlafe abseits vom Lager.«

»Werden sie Dich nicht suchen?«

»Nein. Sie liegen um das Feuer und schlafen.«

»So laß uns hier niedersetzen und plaudern. Komm!«

Er setzte sich nieder, und sie nahm langsam an seiner Seite Platz, aber mit einer solchen Scheu, wie der Kanarienvogel sich auf den entgegen gestreckten Finger seines Herrn setzt. Als er jetzt abermals ihr Händchen ergriff, fühlte er, daß sie zusammenzuckte. Ja, sie glich wirklich dem Vogel, der zwischen Angst und Vertrauen schwebt und unsicher ist, was er thun und wagen darf.

»Warum bangst Du?« fragte er zärtlich. »Willst Du mir Dein Händchen nicht lassen, Zarba?«

»O, Sennor, was kann es Euch helfen!«

»Das weißt Du nicht und begreifst es nicht?«

»Nein.«

»Hast Du noch keinen Mann lieb gehabt? So, daß Du glaubtest, ohne ihn nicht leben zu können?«

»Niemals.«

»Ist dies wahr?«

»Ich belüge Euch nicht!«

»So versuche es einmal, ob Du vielleicht mich lieben kannst.«


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»Daß ich ohne Euch gar nicht leben mag?«

»Ja.«

»O, Sennor, ich habe Euer Angesicht noch gar nicht gesehen, aber ich merke, daß ich Euch gut bin.«

»So siehe es Dir einmal an!«

Er hatte die Maske noch immer vor dem Gesichte. Jetzt nahm er sie ab und näherte seinen Kopf dem ihrigen, so daß sie ihn beim Scheine des Mondesviertels genau genug sehen und betrachten konnte.

»Gefalle ich Dir?« fragte er scherzend.

»Ja,« antwortete sie ernsthaft.

»Aber gewiß noch lange nicht so sehr, wie Du mir. Ich möchte den Arm um Dich legen, Dich an mein Herze nehmen und gar nie wieder davon lassen. Darf ich, meine liebe Zarba?«

»Muß dies sein?« fragte sie mit der Naivetät eines Naturkindes.

»Wenn man sich lieb hat - ja.«

Er legte den Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sie widerstrebte nicht, und nun fühlte er die nur leicht bedeckte, herrliche Gestalt lebenswarm an seinem Herzen liegen. Er sagte Nichts, aber er bog sich zu ihr herab, hob ihr Köpfchen empor und blickte ihr lange, lange magnetisirend in die dunklen Augen. Ihr Busen wallte und ihr Athem ging hörbar unter unbeschreiblichen Empfindungen, welche sie bisher noch nie gekannt hatte.

Da bog er sich noch weiter herab und legte seinen Mund zu einem langen und glühenden Kusse auf ihre Lippen. Sie litt es, ja, er fühlte bald einen leisen, leisen Gegendruck, während aus ihrem Munde sich ein tiefer Seufzer an dem seinigen vorüber stahl - der Verführer merkte, daß er gesiegt habe. Er drückte sie inniger und wärmer an sich; er gab ihr Kuß auf Kuß, und sie blieb dabei willens- und bewegungslos, sich ganz den Gefühlen überlassend, welche seine heißen Liebkosungen in ihr erweckten. Sie fühlte, daß sie ihn liebe, daß er von jetzt an ihr Herr und Gebieter sei.

»Nun, meine süße Taube, wie gefällt Dir die Liebe, die Du bisher noch nicht gekannt hast?« fragte er endlich, als er sich von Küssen einstweilen gesättigt fühlte.

»O, Sennor, ich träume!« antwortete sie leise.

»Nein, es ist Wirklichkeit. Wünschest Du nicht, daß es immer so bleiben möge, Zarba?«

»Ja!« hauchte sie verschämt.

»Nun, das kommt nur auf Dich an. Wenn Du thust, um was ich Dich bitte, so werden wir immer so glücklich sein.«

»Was soll ich thun, Sennor?«

»Das laß uns überlegen! Wie lange seid Ihr bereits in Saragossa?«

»Eine Woche.«

»Und wie lange werdet Ihr hier bleiben?«

»Abermals eine Woche.«

»Wie viel Familien seid Ihr?«

»Vier Familien und zwanzig Personen.«


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»Hast Du den Vater dabei?«

»Ja.«

»Und die Mutter?«

»Ja.«

»Auch andere Verwandte?«

»Nein.«

»Wie heißt Dein Vater?«

»Jarko.«

»Und Deine Mutter?«

»Kaschima.«

»Haben Dich Beide lieb?«

»O, sehr! Und auch der Stamm und alle Gitanos Spaniens haben mich lieb, denn ich werde einst ihre Königin sein.«

»Alle Teufel!« meinte er überrascht. »Giebt es bei Euch auch Könige?«

»Nein, sondern nur Königinnen.«

»Wer ist die jetzige?«

»Kaschima, meine Mutter.«

»Aber Ihr seid ja arm!«

»Ihr denkt, man kann nicht zugleich arm und auch Königin sein? O, Sennor, Ihr kennt die Gitanos nicht! Sie scheinen arm und sind reich; sie scheinen verachtet und sind stolz. Es besitzt gar mancher Fürst nicht die ungeheure Macht, welche unsere Königin über den Stamm ausübt.«

»Welches sind die Gebräuche, wenn eine neue Königin antritt?«

»Das darf ich nicht sagen, Sennor.«

»So? Na, da muß ich mich zufrieden geben mit dem Glücke, daß ich eine Prinzessin hier in meinen Armen halte, eine Prinzessin, die ich unendlich lieb habe und die auch mich ein Wenig liebt. Nicht?«

»O, nicht ein Wenig, sondern sehr!« antwortete sie

»Darfst Du denn vor Deinem Vater und Deiner Mutter mich lieb haben, Zarba?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich soll nur einem Gitano angehören, keinem Andern.«

»O weh, das ist traurig! Wirst Du ihnen gehorchen?«

Sie senkte den Kopf und antwortete nicht. Es war zum ersten Male, daß ein solcher Zwiespalt ihr Herz zerriß. Cortejo begriff recht gut, daß ihre Liebe jetzt noch zu jung sei, um ein allzu hartes Opfer von ihr zu erwarten; daher drang er für jetzt nicht weiter in sie, sondern fragte:

»Darf ich Dich in dieser Woche wiedersehen?«

»Ja,« antwortete sie.

»Wann und wo?«

»Wann und wo Ihr es wünschet.«

»Darfst Du denn von den Deinen gehen und kommen, wann und wie es Dir beliebt?«

»Es wird Niemand zanken, oder mir Etwas sagen. Es beleidigt oder kränkt mich Keiner.«

»So versprich mir, eine Bitte zu erfüllen!«


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»Welche?«

»Versprich es mir vorher!«

»Kann ich?«

»Ja.«

»Ich werde sie erfüllen.«

»Gut. Besuche mich in meiner Wohnung!«

Er hatte Widerstand erwartet und fühlte sich daher höchst angenehm berührt, als sie freudig in die Hände schlug und beistimmend erklärte:

»Ich komme, Sennor, ich komme; o, ich komme gern, denn ich habe noch niemals die Wohnung eines so vornehmen Herrn gesehen. Wo wohnt Ihr?«

»In der Strada Domenica, in dem großen Hause, welches die Nummer 10 trägt.«

»Und wann soll ich kommen?«

»Wenn die Dämmerung angebrochen ist. Aber Eins muß ich Dir sagen: Ich wünsche nicht, daß Du gesehen werdest, Zarba.«

»Warum?« fragte sie in ihrer Unschuld. »Schämt Ihr Euch vielleicht meines Besuches?«

»Nein,« log er ihr vor; »aber in unserm Hause darf Niemand einen Besuch empfangen, mein Herz.«

»Aber wie soll ich es da machen?«

»Du gehst an der Ecke des Hauses hinab und wirst an eine lange Gartenmauer kommen.«

»Ja.«

»In dieser Mauer befindet sich ein kleines Pförtchen; dahinter stehe ich. Du klopfest, und ich werde Dir öffnen.«

Sie nickte mit dem Kopfe und fragte:

»Werde ich das Pförtchen auch leicht finden?«

»Sehr leicht. Wie lange wirst Du bei mir bleiben können?«

»So lange es mir gefällt. Ich gehe oft des Abends oder des Nachts vom Lager fort, um einsam zu sein und im Scheine des Mondes im Wald oder auf der Wiese herumzuschweifen. Das wissen die Meinen und fragen mich nicht.«

»Und Du wirst also ganz gewiß kommen?«

»Ganz gewiß!«

»Ich danke Dir! O, wie glücklich würde ich sein, wenn Du ganz bei mir bleiben könntest, ohne wieder von mir fortzugehen!«

Er drückte sie wieder an sich, und das Küssen begann von Neuem.

So saßen sie bis fast zu der Zeit des Tagesanbruches, und als er endlich zur Heimkehr aufbrach, begleitete sie ihn noch bis an das Thor der Festungsmauer; dann nahm er zärtlich Abschied von ihr. Zu Hause angelangt, legte er sich sofort zur Ruhe und hätte wohl den ganzen Vormittag verschlafen, wenn ihn nicht ein Diener geweckt hätte, der ihm meldete, daß Serenissimus ihn zu sprechen wünsche. Er erhob sich sofort vom Lager, um Toilette zu machen und dem Befehle Gehorsam zu leisten.

Der Herzog schien schlecht geschlafen zu haben; er sah übernächtig aus und war bei schlechter Laune.

»Kerl, wo steckst Du denn?« fragte er. »Ich bin nicht gewohnt, mich so lange warten zu lassen.«


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»Ich habe bis zu diesem Augenblick geschlafen,« gestand er gleichmüthig.

»Geschlafen? Während ich mit Schmerzen und seit Stunden auf Dich warte?«

»Ich kam erst am Morgen nach Hause.«

»Schwärmer! Wann wirst Du einmal aufhören, liederlich zu sein, und anfangen, ein ordentlicher Kerl zu werden!«

»Dann, wenn ich aufhöre, ein treuer, und anfange, ein gleichgiltiger Diener zu sein.«

»Ah, Du willst Dich doch nicht etwa mit Deiner Treue entschuldigen!«

»Nichts Anderes!«

»Das klingt lustig, aber ich habe nur leider nicht die Laune, mich mit Dir herum zu scherzen.«

»Ich spreche im Ernste, Excellenz. Der Auftrag, den Sie mir ertheilten, hat mich so lange wach erhalten.«

»Lügner!«

Cortejo nahm die Miene des Gekränkten an und sagte:

»Dieses Wort verdiene ich nicht; die heilige Jungfrau ist mein Zeuge!«

»Gehe mir mit dieser Zeugin! Die heilige Jungfrau weiß nichts von Dir. Sie wird sich hüten, sich mit Dir in den Kneipen und Winkeln herum zu treiben. Wo warst Du so lange, Mensch?«

Cortejo kannte seinen Herrn und wußte, wie er sich zu verhalten habe. Darum nahm er eine ironisch reumüthige Miene an und sagte in der demüthigsten Haltung, die ihm möglich war:

»Nun gut, so will ich zugeben, daß ich die ganze Nacht geschwärmt und sogar meine ganze Kasse vertrunken habe. Ich bitte um Verzeihung und verspreche, daß es nicht wieder geschehen soll!«

Er trat bis zur Thür zurück, als erwarte er, daß er nun gehen dürfe. Aber der Herzog brummte:

»Schlingel, so kommst Du mir nicht! Hast Du über das Mädchen Etwas erfahren, oder nicht?«

»Ja. Ich kam ja aus diesem Grunde so spät nach Hause. Ich habe trinken müssen wie ein Kellerloch und sogar meine Kasse gesprengt, um diese Kerls gesprächig zu machen.«

»Gauner!« lachte der Herzog. »Ich bin der festen Ueberzeugung, daß Du keinen halben Duro für die Kerls ausgegeben hast, von welchen Du sprichst, und nehme meinerseits ohne alles Bedenken auch die heilige Jungfrau als Zeugin an. Wie viel Geld hattest Du ungefähr bei Dir?«

»Wenigstens sechzig Duros, die sie mir im Weine und Spiele abgenommen haben.«

»Betrüger! Ich weiß ja am Besten, daß Du ein fertiger Spieler bist, der sich niemals auch nur das kleinste Silberstück abnehmen läßt!«

»Das ging hier nicht. Bedenken Sie, Excellenz, daß ich diese Leute bei Laune erhalten mußte!«

»Nun meinetwegen, Du sollst die Summe haben. Wer waren denn die beiden Kerls?«

»Zwei Comptoiristen des alten Salmonno.«


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»Wie bist Du an sie gekommen?«

»Ja, das war eben die Schwierigkeit. Sie hatten am Tage nicht frei und konnten also erst des Abends ausgehen. Da habe ich denn zuerst wie ein Nachtwächter vor den Thüren warten müssen und folgte ihnen dann mehrere Stunden lang durch alle Straßen und Kneipen, bis es mir endlich gelang, einen Platz an ihrem Tische zu finden. Wir begannen ein Spielchen, und das Uebrige können Excellenz sich denken.«

»Hm, ich will einmal glauben, daß es so gewesen ist, obgleich es mich wundern sollte, wenn Du so völlig auf Dein eigenes Vergnügen Verzicht geleistet hättest. Also, Du hast Etwas erfahren?«

»Natürlich!«

»Das will ich auch hoffen! Ich habe bei Gott diese ganze Nacht kein Auge zugethan; ich mußte immer an diese verdammte Gouvernante denken und an den verfluchten Kerl, den sie zu Hilfe rief.«

»Ah,« lächelte Cortejo, »Excellenz haben ein Intermezzo erlebt?«

»Ja. Sie rief um Hilfe, und da ihr Ruf gehört wurde, so mußte ich leider abtreten.«

»Donnerwetter, das begreife ich nicht! Waren es denn so Viele, welche herbei kamen?«

»Nur Einer, aber dieser Kerl hatte das höllische Feuer im Leibe.«

»Das muß ja ein wahrer rasender Roland gewesen sein, so einem Riesen gegenüber wie Sie sind!«

»Ein Roland? Pah, ein Zwerg war er, aber was für Einer!«

»Wenn ich nur seinen Namen wüßte!«

»Sternau rief sie ihn.«

»Sternau? Ah, das ist ja der Schulmeister!«

»Schulmeister!« rief der Herzog ergrimmt. »Ein Schulmeister? Ist das wirklich wahr?«

»Ja. Sternau heißt der Erzieher des Sohnes des Bankiers.«

»Alle Teufel! Also wirklich ein Schulmeister! Und vor ihm bin ich gewichen! Wenn ich diesen Kerl einmal erwische, so soll Gott ihm gnädig sein. Dürr und zerbrechlich wie ein Schulmeister sah er allerdings aus; aber Kraft hatte der Kerl in den Knochen wie ein Schmied, und schnell war er wie ein Satan! Also da wissen wir nun schon Etwas. Weiter!«

»Dieser Erzieher ist ein Deutscher und hat ein Auge auf die Gouvernante geworfen.«

»Das mag er bleiben lassen!«

»Keine Sorge, Serenissimus! Sie mag nichts von ihm wissen, obgleich auch sie eine Deutsche ist.«

»Ah, das ist mir lieb! Um eine Ausländerin wird sich kein Mensch kümmern, wenn ihr etwas nicht ganz Gewöhnliches begegnen sollte. Und besonders diese Deutschen braucht man gar nicht zu fürchten. Wie heißt sie?«

»Es ist eine Sennora Wilhelmi.«

»Hat sie es bei diesem Filz, dem Salmonno, gut?«

»Ich glaube schwerlich.«


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»Hm! Wenn man sie aus dem Hause bringen könnte! Es ist das aber wohl zu schwierig!«

»Ich glaube nicht.«

»Ah! Hast Du bereits darüber nachgedacht?«

»Ein Wenig.«

»Nun?«

»Das Kind, welches sie zu erziehen hatte, ist gestorben - -«

»Alle Teufel, das wäre gut!«

»Ja. Der Bankier ist nicht Derjenige, welcher eine Gouvernante bezahlt, für welche er keine Beschäftigung hat. Er wird ihr jedenfalls in nächster Zeit kündigen.«

»Schlaukopf! Du meinst, daß sie dann vielleicht in eine bedrängte Lage gerathen wird, welche sie gefügig macht?«

»Nein, darauf rechne ich nicht. Diese Deutschen sind da von einer Ehrenhaftigkeit, welche ganz und gar unglaublich ist; sie haben Fischblut in den Adern. Nein, ich dachte an etwas Anderes.«

»Nun? Heraus damit!«

»Werden Sie mir verzeihen, wenn mein Plan etwas zudringlich erscheinen sollte?«

»Schweige nicht, sondern rede!«

»Nun, ich dachte daran, daß Eure Excellenz ja selbst eine Tochter besitzen, für welche es sehr - -«

Der Herzog sprang wie electrisirt vom Stuhle auf und unterbrach ihn:

»Donnerwetter, das ist ja wahr! Ich kann sie ja als Gouvernante engagiren. Dann wohnt sie bei mir, und ich möchte sehen, ob sie sich dann nicht bewegen ließ, auch den Vater ein wenig zu erziehen! Der Plan ist gut, ist prachtvoll. Aber wie führen wir ihn in's Werk?«

»Auffällig darf man nicht werden.«

»Nein.«

»Also anbieten dürfen wir uns nicht.«

»Nein.«

»Man könnte eine Annonce in das Blatt rücken - -«

»Ob sie sich da melden würde?«

»Man muß nur sagen, daß man einer Deutschen den Vorzug geben würde.«

»Ja, das könnte gehen. Aber wenn sie diese Annonce gar nicht liest, gar nicht zu sehen bekommt?«

»So ist es immer noch Zeit, an ein anderes Mittel zu denken. Man muß es abwarten.«

»Gut, bleiben wir also bei der Annonce! Willst Du sie abfassen?«

»Wie Sie befehlen!«

»Thue es, sei aber vorsichtig. Es muß jede Auffälligkeit vermieden werden. Aber, da fällt mir ein: Das Mädchen wird mich doch nicht etwa wieder erkennen?«

»Hatten Sie denn die Maske abgenommen?«

»Nein, sondern nur bis zum Munde empor gezogen.«

»So wäre ja nur der Bart zu fürchten.«


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»Ich werde ihn ein wenig kürzen. Uebrigens ist es ja gar nicht nothwendig, daß ich selbst das Engagement mit ihr bespreche und abschließe. Das werde ich Dir überlassen. Ist sie einmal eingetreten, so soll es ihr nicht leicht werden, gleich wieder fortzugehen. Also, besorge die Annonce, und hier, hast Du eine Anweisung an den Kassirer. Du sollst nicht um Deine sechzig Duros kommen!«

Er notirte eine Summe auf einen Zettel, den er Cortejo gab, und dieser entfernte sich. Er freute sich der ganzen Angelegenheit königlich, denn je mehr er zum Vertrauten der Schwächen seines Gebieters gemacht wurde, desto mehr Herrschaft gewann er über denselben. Er befand sich während des ganzen Tages in einer sehr gehobenen Stimmung, welche noch dadurch bedeutend erhöht wurde, daß der Herzog anstatt sechzig Duros eine bedeutendere Summe notirt hatte.

Am Nachmittage trug er in eigener Person die Annonce fort und benutzte diesen Ausgang, um Clarissa mit zu besuchen. Sie empfing ihn schmollend.

»Du kamst ja nicht!« klagte sie.

»Ich konnte nicht, Herz.«

»O, für eine Viertelstunde hättest Du gekonnt!«

»Nicht für eine Minute!«

»Ich habe alle diese Zeit auf Dich gewartet und konnte also das Zimmer nicht verlassen. So bin ich um den ersten Tag des Karnevals gekommen. Aber ich hoffe, daß Du heute mit mir ausgehen wirst!«

»Das wird leider auch nicht gehen!«

»Nicht?« fragte sie enttäuscht. »Ah, ich sehe nun, woran ich bin! Du liebst mich nicht mehr. Ich habe, um Dir zu folgen, mein Asyl und meine Verwandten verlassen; ich habe Dir meine Ehre geopfert und lebe mit Dir, als ob ich Dein Weib sei. Und nun ich auf diese Weise die Brücke hinter mir abgebrochen habe, willst Du nichts mehr von mir wissen. Geh' fort! Du hast mich getäuscht; Du hast mich betrogen!«

Cortejo war in Beziehung auf dieses Mädchen ein psychologisches Räthsel. Er liebte sie wirklich; er gedachte, sie zu seinem Weibe zu machen; er lebte mit ihr im Concubinate, aber sein Herz hatte doch noch Platz genug für Andere, welche ihn für den Augenblick fesselten. Er war gewissenlos, ein Mädchen zu betrügen, welche ihm Alles geopfert hatte, besaß aber doch Zuneigung genug zu ihr, sie nicht ganz fallen zu lassen.

Er trat jetzt zu ihr an das Fenster, wohin sie sich schmollend zurückgezogen hatte, legte den Arm um ihre üppige Taille und sagte:

»Sei nicht unverständig, Clarissa!«

»Bin ich unverständig, wenn es mich betrübt, daß Du gegen mich mit Deiner Liebe geizest?«

»Du irrst! Ich geize nicht, aber ich habe noch Anderes zu thun, als nur an die Tändelei des Verliebten zu denken. Du kennst die Aufgabe, welche wir uns gestellt haben: reich werden, um Dich in anständiger Weise Deinen Verwandten zurückzubringen, welche gar nicht wissen, wo Du bist. Dieses Ziel verfolge ich, und gestern habe ich einen großen Schritt dahin zurückgelegt; heute und morgen werde ich den zweiten und dritten thun, und wenn ich mich nicht ganz und gar irre, so


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wird keine sehr lange Zeit vergehen, bis wir da anlangen, wohin wir wollen. Also ist es unverständig von Dir, zu schmollen.«

»Darf man denn etwas über diese berühmten Schritte erfahren?«

»Ja, ich will aufrichtig sein mit Dir, vorausgesetzt, daß Du Das, was ich thue, nicht falsch deutest.«

»Du kennst mich; als prüd wirst Du mich nicht bezeichnen wollen.«

»Nein. Also höre! Du weißt, daß der Herzog von Olsunna einer der Mächtigsten des Reiches ist?«

»Sein Vater war sogar der Mächtigste; er regierte die Königin.«

»Und siehst also ein, daß mir sein Wohlwollen, seine Protektion von außerordentlichem Nutzen sein kann?«

»Das ist sehr leicht einzusehen.«

»Daher gebe ich mir alle Mühe, sein Vertrauen zu erwerben.«

»Und Du bist ein schlauer Bursche. Es ist Dir gelungen.«

»O, besser und mehr, als Du denkst! Das Geheimniß eines Menschen, einen Anderen zu beherrschen, besteht darin, daß man seine Fehler und Schwächen ergründet, ihnen schmeichelt, ihn darin bestärkt und sich zum Werkzeug für die Befriedigung dieser Schwächen macht.«

»Ah, hast Du das bei mir auch gethan?«

»Nein. Gegen Dich war ich ehrlich und werde auch ehrlich bleiben.«

»Nun, welches sind denn die Fehler des Herzogs?«

»Seine größte Schwäche besteht in seiner Liebe zum weiblichen Geschlechte. Seine hohe Stellung nur erlaubt ihm nicht, diese Leidenschaft merken zu lassen; er muß vorsichtig sein und bedarf also eines Vertrauten, auf den er sich verlassen kann.«

»Und dieser bist Du?«

»Dieser bin ich,« nickte Cortejo. »Du hast gestern den Beweis davon gesehen. Wenn der Herzog mit mir den Carneval besucht, so ist dies ein sicheres Zeichen, daß ich sein Meister bin. Bisher nun hat sich Alles, was er mit meinem Wissen unternommen hat, auf dem Gebiete des gesetzlich Erlaubten bewegt; will ich ihn aber in meine Gewalt bekommen, so muß er Etwas thun, was unerlaubt, was ein Vergehen oder gar ein Verbrechen ist; erst dann habe ich ihn vollständig fest.«

»Gasparino, ich glaube, Du bist ein Teufel!« lächelte sie, stolz auf den Geliebten.

»Pah, wir sind Alle mehr oder weniger Teufel! Es handelt sich nur darum, unsere Teufeleien so zu begehen, daß sie uns Nutzen bringen. Ich glaube, Du bist derselben Ansicht. Oder nicht?«

»Ganz und gar! Aber, glaubst Du, den Herzog zu einer solchen That bringen zu können?«

»Ja, ich bin heut überzeugt davon; er befindet sich bereits auf dem besten Wege.«

»Du machst mich neugierig! Erzähle!«

Er erzählte ihr das gestrige Vorkommniß mit der Gouvernante und schloß daran die Worte:

»Wie ich diese Deutsche beurtheile, so wird sie sich nicht ohne Gegenwehr ergeben; er wird kämpfen müssen; er wird zu Mitteln greifen, welche unerlaubt sind.


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Und hat er einmal diese Bahn betreten, so ist er mir ohne Widerrede verfallen; ich werde ihn bemeistern.«

»Du bist wirklich ein ganz gefährlicher und gewissenloser Intriguant, und ich beginne, stolz auf Dich zu werden! Aber was hat die Liebschaft des Herzogs damit zu thun, daß Du heut nicht mit mir spazieren gehen kannst?«

»Ich habe die Bekanntschaft mit Salmonno's Leuten fortzusetzen, um Alles zu erfahren, was im Hause vorgeht. Wir haben uns für heut bestellt, und ich muß also mein Wort halten.«

»Hm, das sehe ich ein, aber unangenehm ist es doch immer, so einsam zu sein.«

»Es wird ja wohl bald die Zeit kommen, in welcher Du dafür entschädigt wirst.«

Er bemühte sich, durch einige Küsse ihren Unmuth zu zerstreuen und kehrte dann nach seiner Wohnung im Palais des Herzogs zurück, denn die Zeit der Dämmerung war nahe herangerückt.

Er hatte mit eigener Hand seine Zimmer geordnet, so daß die glänzende Einrichtung derselben einen möglichst großen Eindruck auf das Naturkind machen müsse, und dann, als es dunkel geworden war, sorgte er dafür, daß die Dienerschaft von dem Flügel, welchen er bewohnte, für einige Zeit ferngehalten wurde. Dann begab er sich in den Garten.

Er lauerte hinter dem betreffenden Pförtchen, bis ein leises Klopfen erscholl. Er öffnete, ließ die Zigeunerin eintreten und schloß dann wieder zu. Als er sie mit einer innigen Umarmung und einem langen Kusse begrüßte, hing sie regungslos und hingebend in seinen Armen.

»Wie pünktlich Du bist, meine Zarba!« belobte er sie.

»O, ich habe mich nach Euch gesehnt!« gestand sie ihm leise und verschämt.

»So komm! Du sollst mir wie eine Königin willkommen sein!«

Er nahm sie bei der Hand und führte sie durch den Garten nach dem Palast. Kein Mensch begegnete ihnen, und sie erreichten seine Zimmer völlig unbemerkt. Dort blieb sie stehen, geblendet von dem Glanze der Kerzen und dem Reichthum der Einrichtung. Er sah mit Vergnügen das Erstaunen, welches ihre feuchten Lippen geöffnet erhielt und den erschrockenen Ausdruck ihrer Augen, welche noch niemals auf solchen Dingen geruht hatten. Er begriff, daß er diesem Wanderkinde wie ein halber Gott erscheinen müsse, und so wartete er, um diesen Eindruck nicht abzuschwächen, bis sie sich selbst zu ihm wendete.

»O, wie schön! Wie herrlich!« flüsterte sie.

»Komm weiter! Das ist noch nicht Alles!«

Er nahm sie bei der Hand und führte sie durch eine ganze Reihe von Zimmern, welche zwar nicht alle zu seiner Wohnung gehörten, die er aber erleuchtet hatte, um die Sinne des Mädchens ganz und gar gefangen zu nehmen. Als sie auch den letzten dieser Räume durchschritten hatten, sagte sie ganz entzückt:

»O, Sennor, wie seid Ihr groß und herrlich! Und es ist wirklich wahr, daß Ihr mich liebt?«

»Ich mag nicht leben ohne Dich! Ich müßte sterben, wenn Du mich verließest, meine Zarba!«

Bei diesen Worten drückte er sie so feurig an das Herz, daß sie vor Wonne


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fast laut aufgeschrieen hätte. Ein heißer, glühender Kuß brannte auf ihren Lippen; dann führte er sie nach seinem Schlafzimmer, wo an den Divan ein Tisch geschoben war, auf welchem man ein köstliches Souper für Zwei servirt hatte. Sie mußte Platz nehmen, während er ging, die Lichter zu verlöschen. Bald brannte nur noch die Ampel des Schlafzimmers, und hinter der verschlossenen Thür desselben ging das Glück eines Wesens verloren, welches einem Teufel in die Hände fiel, weil es zu rein und unerfahren war, um Mißtrauen hegen zu können.

Als diese Thür sich wieder öffnete, war die Morgendämmerung nahe; die Ampel hatte bereits seit einigen Stunden nicht mehr gebrannt. Man konnte Niemand sehen, aber man konnte die Beiden in leisen, liebevollen Flüstertönen sprechen hören.

»Also es hat Dir bei mir gefallen, Zarba?« flüsterte er.

»Ja,« antwortete es mit vibrirender Stimme.

»Und Du wirst heut Abend wiederkommen?«

»Alle Abende!«

»So lange Ihr da bleibt?«

»Ich werde es der Mutter sagen, daß sie noch länger in Saragossa bleiben soll.«

»Wird sie es thun?«

»Sie wird es thun; sie wird bleiben, so lange es mir gefällt.«

»Hast Du den Gartenschlüssel?«

»Ja.«

»Und das Päckchen mit dem Knabenanzuge?«

»Ja.«

»Also Du kommst von jetzt an nur als Knabe, schleichst Dich in den Garten und giebst mir das Zeichen, auf welches ich die Strickleiter aus meinem Fenster lasse, damit Du gleich direct zu mir gelangst und nicht im Palais gesehen wirst. Komm!«

Er brachte sie in den Garten und kehrte dann in sein Schlafzimmer zurück, um noch einige Stunden der Ruhe zu pflegen während Zarba, die Betrogene, dem Lager zuschlich, wo ihre in Lumpen gehüllten, ahnungslosen Verwandten um das Feuer hockten.

Am nächsten Morgen konnte man in den drei Blättern der Stadt Saragossa »El Diario de Zaragoza«, »El Imparcial« und »Saldubense« folgende Annonce lesen:

      »Gesucht
wird zum sofortigen Antritte bei hohem Gehalte und dauernder Stellung in einem feinen, hochadeligen Hause eine Gouvernante von wo möglich deutscher Abstammung. Adressen nimmt die Expedition dieses Blattes entgegen.« -

Fräulein Wilhelmi erhielt die Zeitungen gewöhnlich erst gegen Mittag, wenn sie im Comptoir nicht mehr gebraucht wurden. So war es auch heute. Sie fand diese Annonce und richtete sofort ihre ganze Aufmerksamkeit auf dieselbe. Sie versuchte, sich ihre Lage zurecht zu legen; sie dachte daran, daß sie bei Salmonno nicht bleiben könne, und sah es schließlich als eine Fügung Gottes an, daß er ihr dieses Blatt mit der Annonce in die Hände geführt habe.

Bereits nach einer Stunde ging sie aus, um ihre Adresse versiegelt in der Expedition des »Diario de Zaragoza« niederzulegen.


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Sie sprach über diesen Schritt mit keinem Menschen ein Wort und wartete mit großer Spannung auf den Erfolg desselben. Sie sollte ihn bereits am nächsten Tage bemerken. Es klopfte höflich an ihre Thür. Schon glaubte sie, daß es Sternau sei, aber auf ihren Ruf trat nicht dieser, sondern ein reich galonirter Diener herein.

»Verzeihung!« sagte er mit einer tiefen Verbeugung. »Sie sind Sennora Wilhelmi?«

»Ja.«

»Ich diene im Palais Seiner Excellenz des Herzogs von Olsunna und soll Sie fragen, zu welcher Zeit man Sie heut dort empfangen könnte.«

Sie erröthete vor freudigem Schreck, fragte aber doch:

»In welcher Angelegenheit erwartet man mich dort?«

»Ich kann dies nicht sagen, Sennora, aber der Herr Haushofmeister deutete an, daß es sich um die Erledigung einer Annonce handelt.«

»Und Sie erwarten von mir die Angabe, wann ich mich vorstellen kann?«

»Allerdings.«

»Würde die Zeit um drei Uhr gut gewählt sein?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»So bitte ich, mich Serenissimus zu empfehlen. Ich werde zu der angegebenen Zeit pünktlich erscheinen. Wo liegt das Palais?«

»Es ist Strada Domenica, Nummer 10. Leben Sie wohl!«

Als der höfliche Mann verschwunden war, blieb die Gouvernante in einem Zustande zurück, der mit einem glücklichen Traume verglichen werden konnte. In das Haus eines Herzogs sollte sie eintreten! Und wie höflich war dieser Herzog gegen sie! Sie selbst hatte die Stunde zu bestimmen gehabt! Wie würde sich Salmonno ärgern! Was würde Sternau sagen! Welche Freude würden die Ihrigen empfinden, wenn sie in der Heimath diese Freudenbotschaft erhielten!

Sie konnte die angegebene Zeit kaum erwarten, und es hatte noch lange nicht drei Uhr geschlagen, als sie sich schon auf den Weg begab. Sie mußte wirklich einen Umweg einschlagen, um nicht zu früh zu kommen; aber als sie dann das große, prächtige Gebäude vor sich stehen sah, da kam sie sich so arm und klein und unwürdig vor, da hielt sie es für ganz unmöglich, Mitbewohnerin desselben werden zu können, da fragte sie sich, ob es denn nicht vielleicht besser gewesen wäre, den braven Sternau erst um seinen wohlgemeinten Rath zu bitten.

Doch, jetzt war es zu spät. Sie ahnte nicht, daß droben von einem der großen Fenster aus die Augen des Herzogs gierig auf ihr ruhten. Sie trat ein.

Der Portier wies sie schweigend eine breite Marmortreppe hinan, deren Seiten mit hohen Alabastervasen geschmückt wurden, in denen herrliche exotische Gewächse leuchteten. Oben nahm sie derselbe Diener in Empfang, welcher heut bei ihr gewesen war, und führte sie in einen Salon, in welchem die Werke großer Meister an den Wänden hingen und dessen Ausstattung den feinsten künstlerischen Geschmack verrieth. Sie nahm Platz und wartete. Da öffnete sich die Portiere, und Cortejo trat ein.

Sie erhob sich und wechselte mit ihm eine tiefe, schweigsame Verbeugung. Er


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winkte ihr vornehm mit der Hand, wieder Platz zu nehmen, und setzte sich ihr gegenüber in ein Fauteuil.

»Sie wurden mir als Fräulein Wilhelmi gemeldet?« fragte er mit dem angenehmsten Tone seiner Stimme.

Sie verbeugte sich bejahend.

»Sie sind dieselbe Dame, welche die Güte hatte, in Folge unserer Annonce ihre Adresse anzugeben?«

Sie antwortete abermals durch bejahende Verbeugung.

»Sie werden mit Recht erwarten, von einem Gliede der herzoglichen Familie empfangen zu werden, da es sich doch eigentlich um eine Familienangelegenheit von großer Wichtigkeit handelt,« fuhr er in verbindlicher Weise fort; »aber leider lebt Ihro Altezza, die Frau Herzogin nicht mehr, und Serenissimus sind verreist. Darum wollen Sie es entschuldigen, daß ich, der ich nur der Haushofmeister bin, Ihren Empfang übernommen habe. Excellenz jedoch haben mich ermächtigt, mit Ihnen zu verhandeln, respective auch endgiltig abzuschließen. Sind Sie bereit, meine Bitte um Beantwortung einiger Fragen zu erfüllen?«

»Ich stehe gern zu Diensten, Sennor.«

Die Art und Weise, in welcher Cortejo sich gab, flößte ihr vollständiges Vertrauen ein.

»So sehe ich mich zunächst veranlaßt, eine sehr nothwendige Bemerkung zu machen,« fuhr er fort. »Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß ein Herzog, um eine Erzieherin seiner Tochter zu bekommen, denselben vulgären Weg betritt, den selbst die zu den unteren Schichten Gehörigen nur dann betreten, wenn sie sich ohne bessere Chancen sehen?«

Sie lächelte ein wenig und antwortete dann:

»Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß mich dieser Umstand im ersten Augenblicke einigermaßen befremdete. Dann aber sagte ich mir, daß ja wohl eine leicht erklärliche Ursache vorliegen könne, die selbst einen so hohen Herrn veranlaßt, den Weg der Annonce zu betreten.«

»Sie haben Recht gehabt. Die Sache ist nämlich die, daß die bisherige Erzieherin wegen eines plötzlichen Todesfalles um ihre sofortige Entlassung bat. Um sie auf dem gewöhnlich von uns eingeschlagenen Wege zu ersetzen, hätte es die Zeit von einigen Monaten bedurft, und da wir die liebe, kleine Prinzessin doch nicht so lange ohne mütterliche Beaufsichtigung lassen konnten, schlug ich vor, eine Annonce drucken zu lassen. Es haben sich mehrere Damen gemeldet; da wir jedoch eine Erzieherin deutscher Abkunft vorziehen, so sollte es mich freuen, wenn unsere Ansprüche sich gegenseitig ergänzten, Sennorita!«

Cortejo machte hier eine Lüge. Die bisherige Gouvernante war nicht wegen eines Todesfalles entlassen worden, sondern sie hatte wegen Fräulein Wilhelmi einen einstweiligen Urlaub auf unbestimmte Zeit erhalten und sollte später wieder eintreten. Ihr Gehalt ging fort.

»Ich hoffe nicht, daß meine Ansprüche Ihnen zu hoch erscheinen werden,« sagte Fräulein Wilhelmi.

»Ich bin überzeugt davon. Sie waren jetzt in einem hiesigen Engagement?«

»Ja, beim Bankier Salmonno.«


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Der Haushofmeister gab sich Mühe, ein geringschätziges Lächeln zu unterdrücken, und sagte :

»Ich glaube kaum, daß sich eine Dame von Geist und Befähigung in der Familie eines solchen Mannes wohlbefinden kann.«

»Ich ziehe es in solchen Fällen vor, die Veranlassungen zu Klagen zu übersehen.«

»Das ehrt Sie, Sennora! Wie lange waren Sie bei diesem Manne?«

»Ungefähr ein Jahr.«

»Und vorher?«

»Ich kam aus Deutschland nach hier. Meine Referenzen von dort stehen Ihnen augenblicklich zu Gebote, von Salmonno jedoch habe ich mir noch kein Zeugniß erbeten, da ich es vorzog, ihm von dem gegenwärtigen Schritte noch Nichts mitzutheilen.«

Er machte eine abwehrende Handbewegung und sagte freundlich:

»Bitte, Sennora, lassen Sie! Ich gehöre nicht zu den Pedanten, welche die Menschen nach ihren Zeugnissen beurtheilen; ich habe reichliche Erfahrungen gemacht, wie werthlos oder wenigstens unsicher dieselben sind. Ich frage nicht nach Ihren Legitimationen, ich frage Sie selbst und werde dann genau wissen, welches Urtheil ich mir über Sie zu bilden habe. In welcher Stadt Deutschlands sind Sie geboren?«

»In Köln.«

»Ihre Eltern waren?«

»Mein Vater war Lehrer. Er ist todt, und meine arme Mutter lebt von einer kärglichen Pension von fünfzig Thalern.«

»Die Sie durch Ihr Gehalt zu vergrößern suchen?«

Sie erröthete.

»Die Gehalte, welche ich bisher bezog,« sagte sie, »waren leider nicht so hoch, daß es mir möglich gewesen wäre, hinreichende Ersparnisse zu machen.«

»Sie sprechen das Spanische ziemlich fehlerlos. Welcher Sprachen sind Sie sonst noch mächtig?«

»Des Englischen und Französischen. Latein habe ich so viel getrieben, daß ich wenigstens einen Anfänger nebenbei mit unterstützen kann.«

»In Beziehung auf Musik?«

»Ich spiele Piano und singe sehr gern.«

»Ich habe nicht die Absicht, Sie zu examiniren, Sennorita, werde Sie also nach den Wissenschaften gar nicht fragen -«

»O, bitte,« unterbrach sie ihn. »Ich trage mein Abgangszeugniß bei mir. Wenn Sie die Güte haben wollten, wenigstens in dieses einen Blick zu werfen.«

»Ich bin des Deutschen nicht mächtig.«

»Es ist auf französisch und englisch abgefaßt.«

»So zeigen Sie her, wenn es Ihnen Beruhigung gewährt.«

Sie reichte ihm das Dokument entgegen. Er wollte es nur mit einem flüchtigen Blick überlaufen, nahm aber doch genauere Einsicht, da ihm die hohen Ziffern auffielen, welche er erblickte. Dieses Mädchen hatte wahrhaftig in jedem Fache die


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Eins erhalten. Und so ein reich begabtes Mädchen sollte hier einem moralischen Untergange entgegen geführt werden.

»Ah, das ist wirklich erstaunlich!« sagte er. »Solche Zeugnisse sind selten, Sennorita, ich werde keine weitere Frage an Sie richten, sondern ich bitte Sie, mir einmal zu folgen, um sich die Räume zu besichtigen, welche der Erzieherin zur Verfügung stehen.«

Sie erhoben sich Beide.

Er gab ihr die Censur zurück und führte sie zunächst nach dem Kinderzimmer, wo sich die kleine Prinzeß unter der Aufsicht einer Bonne befand. Diese Letztere warf einen gehässigen Blick auf die Deutsche, welche einen freundlichen Gruß ausgesprochen hatte.

»Das ist Prinzeß Flora,« sagte Cortejo. »Prinzeß, begrüßen Sie diese Dame, welche gekommen ist, Ihnen viel Gutes zu zeigen und zu lehren.«

Die Tochter des Herzogs war ein allerliebstes Kind, dem man sofort gut sein mußte.

»Sie sind wohl eine Gouvernante?« fragte sie, im Verhältniß zu ihren drei Jahren mit einer überraschenden Verständigkeit.

»Ja, meine liebe Donna Flora,« antwortete die Deutsche.

»Ich liebe die Gouvernanten nicht!«

»Schweigen Sie, Prinzeß!« gebot die Bonne in drohendem Tone.

»Und die Bonnen liebe ich auch nicht,« fügte die Kleine herzhaft hinzu.

»Warum?« fragte die Deutsche.

»Weil sie mich auch nicht lieben.«

Da kauerte sich die Gouvernante nieder, erfaßte die Händchen des Kindes und fragte :

»Würden Sie auch mich nicht lieben, Donna Florita?«

»Sie!« sagte das Kind nachdenklich. »O, Sie würde ich vielleicht gern haben!«

»Warum?«

»Weil Sie mich so gut ansehen, weil Ihre Augen so freundlich sind, und weil Sie gleich Florita, anstatt Flora sagen, was die Anderen gar nicht thun.«

»Ich möchte gern bei Ihnen bleiben, Florita,« sagte sie herzlich, das Kind näher an sich ziehend.

»Warum?«

»Weil ich Sie lieb habe; weil ich wünsche, Sie immer recht gut und fröhlich zu sehen.«

Da schlang die Kleine die Aermchen um den Hals der Gouvernante und fragte :

»Würden wir auch manchmal mit einander lachen?«

»O, sehr viele Male! Ich lache gern.«

»Ich auch, aber ich darf immer nicht. Ja, bitte, bleiben Sie da bei Ihrer kleinen Florita! Ich werde Papa sagen, daß ich Sie haben will.«

Die Bonne stand dabei mit einem höchst grimmigen Gesicht. Sie ärgerte sich darüber, daß diese Fremde die Liebe des Kindes im Fluge gewann, wagte aber nicht, eine gehässige Bemerkung zu machen.


Ende der vierzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk