Lieferung 23

Karl May

28. April 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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in seinem Begräbnisse beigesetzt, welches er für sich hatte erbauen lassen. Graf Alfonzo wurde trotz seiner zur Schau gestellten Betrübniß viel beneidet, und nur die reinen Ehrenmänner hätten nicht mit ihm getauscht.

Nach der Beerdigung herrschte tiefe Ruhe im Hause. Alfonzo saß auf dem Divan und dachte darüber nach, wie er seinen Reichthum nun am Besten genießen könne, da wurde die Thür leise geöffnet und - Josefa trat ein.

Er erhob sich in höchster Ueberraschung; ein solches Wagniß schien ihm undenkbar zu sein.

»Du?« fragte er. »Was willst Du?«

»Dich sprechen,« antwortete sie kurz.

»Konntest Du Dich nicht anmelden lassen?«

»Lässest Du Dich anmelden, wenn Du zu uns kommst?«

»Das ist ein anderer Fall!«

»Ganz derselbe!«

»Was soll die Dienerschaft sagen, wenn sie sehen, daß Du zu mir schleichst!«

»Daß wir verwandt sind,« sagte sie höhnisch.

»Du! Bist Du toll?«

»Still! Ereifere Dich nicht. Es weiß es noch Niemand, aber es ist sehr leicht möglich, daß sie es erfahren und zwar von mir.«

»Du beliebst, zu scherzen!«

»Ich spreche im Ernste, wenn ich auch bei schlechter Laune bin.«

»Willst Du wohl die Güte haben, mir zu sagen, wer oder was Dich in diese Laune versetzt hat?«

Josefa blickte den Frager zornig an, als sie antwortete:

»Erstens dadurch, daß Du nicht einmal die Höflichkeit hast, mir einen Sessel anzubieten.«

»Setze Dich! Und zweitens?«

»Zweitens hast Du mich fürchterlich beleidigt!«

»Beleidigt? Und sogar fürchterlich? Das ist schlimm; leider aber bin ich mir nichts bewußt.«

»Hast Du nicht gesagt, ich sei häßlich und alt, hätte kein Herz und wäre zu jedem Verbrechen fähig?«

»Alles dies habe ich gesagt.«

Er sagte diese einsilbigen Antworten in einem kurzen, beinahe lustigen Tone. Sie aber wurde immer bleicher vor Grimm. Ihre Eulenaugen bohrten sich drohend in die seinigen, als sie ihn zornig fragte:

»Darf ich annehmen, daß Du dies im Scherz sagst?«

»Nein.«

»So war es Ernst, wirklicher Ernst?«

»Gewiß! Dein Vater, die alte Plaudertasche, kann es mir bezeugen.«

»Ah, welch' eine Beleidigung!« rief sie, indem sie die dürren Hände zur Faust ballte.

»Willst Du mich fordern?« lachte er.

»Nein, denn Du wärst so feig, nicht zu kommen. Soll ich Dir beweisen, daß ich ein Herz habe?«


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»Beweise es!«

»Hat man ein Herz, wenn man liebt?«

»Ja, vorausgesetzt, daß man mit dem Herzen liebt.«

»Nun wohlan, ich liebe sogar mit dem Herzen und zwar Dich selbst.«

Es war nicht etwa ein inniger, warmer Blick, den sie ihm bei diesen Worten zuwarf, sondern ein funkelnder Katzenblick, etwa wie beim Panther, der im Käfige steckt und sich doch auf Jemand werfen möchte.

»Mich?« fragte er, laut lachend. »Das ist amüsant. Ich habe übrigens ganz und gar nichts dagegen.«

»Das ist Deine einzige Antwort?«

»Willst Du mehr Antworten? Zwei oder gar drei?«

Sie hörte und sah, daß er sich über sie lustig machte, und ihre Finger zuckten; sie krallten sich zusammen, als ob sie ihm das Gesicht zerreißen und zerkratzen wolle. Dann sagte sie, vor Zorn zischend:

»Hast Du einmal Etwas von Gegenliebe gehört?«

»Freilich,« sagte er. »Ich habe sogar Gegenliebe gefühlt und gefunden, viele, viele Male!«

»So weißt Du, daß zur Liebe Gegenliebe gehört?«

»Ja.«

»Nun wohl, ich verlange Gegenliebe von Dir!«

»Pah! Du bist toll!«

»O, ich bin sehr bei Sinnen, aber es ist möglich, daß ich noch toll werde!« sagte sie.

»Probire es einmal!«

»Wünsche das nicht, denn ich würde Dich zerreißen!«

»Hm, die Krallen hättest Du dazu!« sagte er mit schneidendem Hohne.

»Alfonzo!« knirschte sie auf.

»Sprich leiser! Ich höre Dich sehr gut.«

»Also Du liebst mich nicht?«

»Nein, Cousinchen. Du wirst auch nie im Leben Einen finden, der sich in Dich verlieben möchte.«

Ein jedes seiner Worte war ein spitzer, barbarischer Dolchstoß für sie; sie bezwang sich aber.

»Warum?« fragte sie. »Etwa weil ich nur noch einen Zahn habe?«

»Auch deshalb mit!«

»Hast Du bereits einmal gehört, daß man sich Liebe erzwingen kann?«

»Etwa mit einem Liebestrank? Pah!«

»Nein, sondern durch wirkliche Gewalt, wirklichen Zwang.«

»Das träumst Du nur!«

»Und doch ist es Wahrheit, das werde ich Dir beweisen.«

»Du machst mich neugierig!«

Er spielte mit ihr wie die Katze mit der Maus, aber es war nur der Leichtsinn, welcher ihn dazu verführte. Er hätte denken können, welche Folgen eine solche Grausamkeit haben mußte.

»Ich werde Dich zwingen,« sagte sie.


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»Womit?«

»Mit einer Grafenkrone.«

»Du sprichst in Räthseln!«

»So will ich deutlicher sein: Wenn Du mich nicht zur Gräfin machst, so ist es um Deine Grafenkrone geschehen.«

Er erbleichte jetzt doch. Er dachte daran, daß sie eines jeden Verbrechens fähig sei, und antwortete:

»Sei verständig, Josefa! Die Liebe läßt sich nicht geben und nicht nehmen; ich kann ja nicht dafür, daß ich für Dich nicht das empfinde, was Du für mich fühlst.«

»Du sollst es aber empfinden; ich will es so!«

Dabei stampfte sie den Boden mit ihrem Fuße.

»Bitte, beherrsche Dich!« sagte er ernst.

»Ich habe mich beherrscht Jahre lang. Ich habe meine Liebe versteckt, tief in der Brust, bis sie mir das ganze Herz zerfressen hat. Ich habe mich beherrscht auch heute und jetzt, wo Du mich mit Ironieen zerfleischtest. Und ich beherrsche mich noch einmal, indem ich Dich bitte, doch nur den Versuch zu machen, mich zu lieben. Alfonzo, ich beschwöre Dich, versuche es!«

Sie trat auf ihn zu, um seine Hand zu erfassen, er aber entzog ihr dieselbe und sagte:

»Spiele nicht Komödie, Cousine. Bei mir wirkt das nicht!«

»Es ist keine Komödie, bei Gott nicht!« betheuerte sie.

»So gehe in Dein Zimmer; ich kann Dir nicht helfen!« Sie blickte ihn mit einem tiefen, unbeschreiblichen Blicke an.

Hätte er jetzt die Hand nach ihr ausgestreckt, sie wäre unendlich glücklich geworden, sie wäre ein gutes, braves Weib geworden, alles Böse in ihr wäre gewichen vor der einen, unwiderstehlichen Macht der Liebe. Er that es nicht.

»Nun wohlan,« sagte sie, »da Du mir nicht helfen kannst, so muß ich mir selber helfen. Nicht wahr, mein Vater geht nach Vera Cruz?«

»Ja; er schafft die Leiche fort.«

»Wann kommt er wieder?«

»Es wird über eine Woche dauern.«

»Gut, so gebe ich Dir Zeit bis dahin. Nach der Rückkehr des Vaters werde ich Dich fragen. Weisest Du mich dann auch noch zurück -«

»Ich weise Dich sicher zurück!« unterbrach er sie. »Ich werde Dich zurückweisen selbst wenn Du mir fünfzig Jahre Bedenkzeit giebst.«

»So hassest und verachtest Du mich?«

»Weder das eine, noch das andere.«

»Was denn?«

»Gar nichts. Ich scheue Dich; das ist Alles, was ich für Dich fühle. Gieb Dich damit zufrieden!«

»Er scheut mich!« sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich bin ihm nichts als eine Vogelscheuche!«

»Ja, Cousine, dies ist das richtige Wort!« lachte er.

Sie kniff die schmalen Lippen zusammen und ballte abermals die Fäuste.


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»Wahre Dich, Alfonzo! Du hast mich nun genug beleidigt!« zischte sie.

»So gehe doch!«

»Ja, ich gehe! Du weißt, wie lange ich Dir Frist gegeben habe. Adieu.«

»Adieu! Und merke Dir, daß Du Dich anmelden zu lassen hast, wenn Du mit mir sprechen willst.«

Sie ging, und er sank lachend in seinen Divan zurück. Er hatte eine Art Lustspiel jetzt durchgelebt, und er dachte gar nicht daran, wie bald dasselbe zum Trauerspiele werden könne.

Am Abende machten sich zwei Männer auf dem hinteren Hofe des Palastes zu schaffen. Es war Graf Alfonzo und der Sekretär. Dieser Hof stieß mit einer seiner Seiten an den Blumengarten, in dessen Ecke eine große Laube stand, der Lieblingsaufenthalt der alten Amme, welche hier ihre Schlummer- und Denkstunden hielt. Seit dem Tode Don Ferdinando's war sie öfters hier als früher. Dieser Tod hatte ihr mehr als den äußeren, auch den inneren Halt geraubt, den sie durch einsames Sinnen und Grübeln wieder zu gewinnen gedachte. Auch heute Abend saß sie hier, ganz einsam und allein. Sie hörte, daß die beiden Männer Pferde aus dem Stalle zogen und sattelten; sie hörte auch, was sie sprachen, ehe sie das Haus verließen. Sie erkannte sie an ihren Stimmen. Es war Alfonzo und Cortejo.

»Also wie lange wirst Du wegbleiben?« fragte der Erstere.

»Acht bis neun Tage.«

»In die Stadt Vera Cruz kommst Du nicht?«

»Nicht eher, als bis ich den Pakt losgeworden bin. Ich hoffe, daß ich mich auf die sechs Comanchen verlassen kann!«

»Vollständig. Sei nur vorsichtig, daß man Dich nicht erwischt!«

Es waren vier Pferde, welche durch das hintere Thor den Palast verließen, zwei Reitpferde und zwei Packpferde. Eines der Letzteren trug Lebensmittel und auf das Andere hatte man einen wohl sechs Fuß langen Korb auf eine höchst sonderbare, aber feste Weise angebunden.

Der kleine Zug ritt nach dem Gottesacker. Dort wurden die Pferde angebunden, während die Männer durch das stets offene Thor nach dem Begräbnisse der Rodriganda schritten. Alfonzo öffnete dasselbe. Sie stiegen hinab und öffneten im Finstern den Sarg. Kein Wort wurde gesprochen. Sie hoben den Todten heraus, trugen ihn empor und schlossen dann Sarg und Mausoleum wieder fest zu. Dann schafften sie die Leiche aus dem Friedhof fort und legten sie mit großer Anstrengung in den Korb, dessen Deckel mit mehreren Schlössern befestigt wurde. Dann trabten sie fort.

Es war erst gegen Morgen, als der Graf durch das hintere Thor zurückkehrte.

Am anderen Abend, fast um dieselbe Zeit saß Maria Hermoyes wieder im Garten. Sie dachte an den Todten, an das Testament, an das jetzige Leben hier, und wie es doch ganz anders gewesen war, als der wackere Petro Arbellez noch hier gewohnt hatte. Ja, wenn der noch hier wäre, so könnte sie sich bei ihm Raths erholen!

Aus diesem Sinnen wurde sie durch ein leichtes Geräusch aufgeschreckt. Sie blickte empor und erschrak. Es schwang sich Jemand über die Mauer herüber. Ihr


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Schreck war so groß, daß sie nicht einmal um Hilfe rufen konnte. Nur einen leisen, ganz, ganz leisen Laut brachte sie hervor.

Aber dieser Laut, auf den kein Anderer geachtet hätte, war hier genug. Der Mann that einen Sprung auf sie zu und faßte sie bei der Gurgel, so, daß sie nicht schreien konnte.

»Still,« sagte er, »sonst steche ich Dich nieder. Wer bist Du?«

Er ließ ihre Kehle ein wenig locker, so, daß sie antworten konnte.

»Ich bin die Amme beim Grafen de Rodriganda,« sagte sie.

»Die Amme? Hat er Kinder?«

»Nein.«

»Wozu braucht er da eine Amme?«

»Ich war die Amme des jungen Herrn.«

»Ugh! jetzt verstehe ich! Wie heißest Du?«

»Maria Hermoyes.«

»Hermoyes - Hermoyes - den Namen habe ich gehört!« Er sann nach und sagte dann: »Ugh! Kennst Du Petro Arbellez und Sennora Emma?«

»Ja.«

»Sie haben von Dir gesprochen. Du bist ein gutes Weib. Du wirst mich nicht verrathen, und ich brauche Dir kein Leid zu thun!«

Er nahm die Hand von ihrer Kehle und ließ sie frei.

Jetzt erst getraute sie sich, den Mann genauer zu betrachten. Er war hoch und stark gebaut und ganz in festes, unverwüstliches Büffelleder gekleidet. Er trug eine schwere Doppelbüchse in der Hand und mehrere Waffen, die sie aber wegen der Dunkelheit nicht zu unterscheiden vermochte, im Gürtel. Jetzt setzte er sich auf die Bank neben sie und sagte:

»Fürchte Dich nicht, ich bin Dein Freund!«

»Wer seid Ihr?« fragte sie.

»Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas.«

»So seid Ihr ein Indianer?«

»Ja.«

Er hatte von ihrem Freunde Arbellez und von dessen Tochter gesprochen; seine Stimme klang jetzt mild und weich; sie fürchtete sich nicht mehr.

»Was wollt Ihr hier?« fragte sie.

»Gieb mir erst Antwort auf meine Fragen!« sagte er.

»Wem gehört dies Haus?«

»Dem Grafen de Rodriganda.«

»Welcher Ferdinando heißt?«

»Nein. Dieser ist vor einigen Tagen gestorben.«

»Wie heißt der jetzige Graf?«

»Alfonzo; der jetzt auf der Hacienda war.«

»Ist er ein guter Mann?«

Sie schwieg. »Sage mir die Wahrheit. Ich bin Dein Freund. Emma Arbellez sendet mich.«

»Warum fraget Ihr so?« erkundigte sie sich.


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»Weil er auf der Hacienda viel Schlimmes verübt hat. Er ist ein Lügner, ein Betrüger, ein Mörder, aber ein Feigling.«

»Ja, er ist nicht gut,« sagte sie.

»Du liebst ihn nicht?«

»Nein. Niemand liebt ihn.«

»Wer ist noch in diesem großen Hause?«

»Die ganzen Beamten und Diener. Der oberste ist Sennor Pablo Cortejo.«

»Cortejo - Cortejo - den Namen habe ich auch gehört. Ich habe mich bei Sennor Arbellez nach Allen erkundigt. Cortejo ist ein Spanier?«

»Ja, derselbe ist verreist, und zwar nach Vera Cruz.«

»Allein?«

»Nein, mit sechs Comanchen.«

»Ugh!« stieß der Indianer zwischen den Zähnen hervor. »Hast Du die Comanchen gesehen?«

»Nein.«

»Wird dieser Graf Alfonzo verreisen?«

»Nein.«

»So ist er mir sicher. Wann ist dieser Cortejo mit den Comanchen fort von hier?«

»Gestern Abend um diese Zeit. O, Sennor, habt Ihr etwas Böses im Schilde?«

»Nein. Ich liebe die Guten und hasse die Bösen.«

»Wie geht es Sennor Arbellez?«

»Er ist reich und gut. Er ist gesund und stark und hat ein Kind, welches ihn sehr liebt.«

»Ja, er ist glücklich. Ach, könnte ich doch bei ihm sein. Könnte ich hier fort!«

»Es gefällt Dir hier nicht?«

»Nein. Sie Alle sind bös.«

»Du liebst sie Alle nicht?«

»Nein. Nur Don Ferdinando war gut.«

»Würdest Du Dich freuen, wenn sie ihre Strafe erhielten?«

»Ja; o, wie wollte ich es ihnen gönnen!«

»Hat dieser Alfonzo auch hier Böses gethan?«

»Genug!«

Jetzt endlich war Büffelstirn seiner Sache sicher, und nun sagte er aufrichtig zu ihr:

»Ich bin als Rächer gekommen.«

»Gegen den Grafen?«

»Ja.«

»Straft ihn, Sennor; straft ihn! Er hat die schlimmsten Strafen verdient!«

Die gute Frau war mit den Indianergebräuchen zu wenig bekannt. Sie dachte nicht an den Tod und das Skalpiren; sie dachte nur im Allgemeinen an Strafe.

»Du möchtest gern bei Sennor Arbellez sein?« fragte er.


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»O wie gern! Ich sehne mich nach ihm und Sennorita Emma von ganzem Herzen,« antwortete sie.

»Willst Du mit uns zu ihm gehen?«

»Mit Euch? Seid Ihr Mehrere?«

»Wir sind Zwei.«

»Wer ist der Andere?«

»Es ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.«

»Ihr geht nach der Hacienda?«

»In einer Woche.«

»O, ich ging so gerne mit, aber ich kenne Euch nicht. Ihr seid wilde Indianer!«

Die gute Alte war naiv genug, sich zu fürchten, und doch den Ausdruck »wild« zu gebrauchen, der ihn beleidigen mußte, wenn er wirklich »wild« war. Er schien es gar nicht gehört zu haben, sondern er ergriff ihre Hand und sagte im herzlichsten Tone, dessen er fähig war:

»Du bist eine gute Squaw. Darf ich Dir erzählen, was Graf Alfonzo gethan hat?«

»Erzählt es, Sennor!«

Er setzte sich neben sie hin und berichtete ihr das auf der Hacienda Geschehene soweit, um ihr ein Urtheil zu ermöglichen, wie schlecht der Graf gewesen war und wie sie im Gegentheile davon ihm, dem Sprecher vertrauen könne. Er erreichte diesen Zweck; denn als er geendet hatte, sagte sie zu ihm:

»Sennor, Ihr seid ein Rother, aber Ihr seid ein guter Mensch. Ich gehe mit Euch fort.«

»Uff! Du bist alt; Du sollst eine Sänfte haben.«

»Wo ist Euer Gefährte?«

»Draußen vor der Stadt. Er wartet auf mich.«

»Warum kam er nicht mit?«

»Einer ist genug, um auf Kundschaft zu gehen. Er redet die Sprache der Weißen nicht so wie ich. Aber Du wirst ihn sehen, wenn wir wiederkommen.«

»Wohin wollt Ihr gehen?«

»An das Meer.«

»Und ihr kommt wirklich wieder?«

»Ja, wenn Du schweigen kannst.«

»O, Sennor, von mir wird kein Mensch Etwas erfahren!«

»Auch nicht, daß Büffelstirn hier gewesen ist?«

»Nein.«

»Halte Dein Wort, so werde ich auch das meinige halten! Gute Nacht, Du gutes Weib der Bleichgesichter!«

Er gab ihr die Hand und war im nächsten Augenblicke über die Mauer wieder hinüber.

Sie blieb sitzen, als hätte sie nur geträumt, daß der erst so feindselig auftretende Mann gekommen sei, sie aus diesem Hause zu erlösen. Er aber schritt durch die stille, dunkle Stadt, bis er dieselbe im Rücken hatte.

Dann stieß er einen Pfiff aus, ein zweiter antwortete, und bald tauchte die Gestalt des Apachen vor ihm in der Finsterniß auf.


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»Wo hat mein Bruder die Pferde?« fragte er.

»Sie grasen nicht weit von hier,« antwortete Bärenherz. »Hat mein Bruder Etwas entdeckt?«

»Ich habe das Haus gefunden.«

»Ist es groß?«

»Es gehört zu den größten Häusern der Stadt.«

»Werden wir darin gleich den finden, den wir suchen?«

»Wir werden ihn finden, denn ich habe eine Führerin.«

»Ein Weib?«

»Ja. Sie ist seine Feindin; sie haßt ihn. Sie ist die Freundin von Sennor Arbellez und von Sennorita Emma. Ich habe ihr versprochen, sie mit nach der Hacienda zu nehmen.«

»Ugh!« sagte der Apache unmuthig. »Ein Weib ist wie der Bach, der stets murmelt!«

»Diese weiße Squaw plaudert nicht,« entgegnete der wackere Cibolero. »Sennora Emma hat mir ihren Namen genannt, als ich ging. Ich kenne sie.«

»So hat mein Bruder weiter Nichts erforscht als dies Weib?«

»Noch viel mehr. Sie hat mir gesagt, wo die Comanchen sind.«

»Ugh! Wo sind sie?«

»Fort nach Vera Cruz.«

»Und wo ist der weiße Graf?«

»In seinem Hause, wo er bleiben wird.«

»So ist er uns sicher; diese Hunde der Comanchen aber können uns entgehen. Mein Bruder Büffelstirn beeile sich, ihnen mit mir nachzufolgen! Wann sind sie fort?«

»Gestern Abend; den Weg, den sie genommen, kenne ich.«

»So wollen wir, jetzt in diesem Augenblicke, aufbrechen.«

»Ugh! Ich bin einverstanden!«

Eine Minute später saßen die beiden Helden bereits zu Pferde und ritten dem Osten zu.

Die Comanchen ahnten nicht, daß sie zwei so unversöhnliche Verfolger hinter sich hatten. Sie erreichten glücklich die Gegend von Vera Cruz und wandten sich dann nordwärts von der Stadt der Küste zu, wo sie endlich nach längerem Suchen eine kleine, versteckte Bucht fanden, in welcher ein Boot bequem landen konnte.

Cortejo begab sich dann nach dem Hafen, um sich zu Landola an Bord zu begeben. Er fand ihn auf dem Schiffe anwesend.

»Endlich!« sagte der Kapitän. »Ich habe auf Euch gewartet wie der Teufel auf die Seele. Ich durfte, um von Euch sogleich getroffen zu werden, das Schiff nicht verlassen, und diese Zeit ist mir verdammt langweilig vorgekommen. Habt Ihr die Fracht?«

»Ja, in einem Korbe.«

»Wo befindet sie sich?«

»Nordwärts in einer Bucht.«

»Könnt Ihr uns führen?«


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»Ich denke, daß ich den Ort treffen werde.«

»So werde ich sogleich das große Boot in See gehen lassen. Was habt Ihr für Leute zur Bedeckung mit?«

»Sechs wilde Indianer.«

»Donnerwetter, Ihr seid klug! Diese Leute werden schweigen; das ist sicher und gewiß.«

Das große Boot wurde herabgelassen und bemannt. Die Matrosen waren mit Waffen versehen, denn der Kapitän war entschlossen, es mit dem Zollkutter aufzunehmen, wenn dieser ihn stören sollte. Er schlug jedoch vorsichtshalber einen weiten Bogen in die See hinaus und näherte sich erst dann dem Lande, als er glaubte, nicht mehr gesehen zu werden.

Cortejo zeigte, daß er ein gutes Ortsgedächtniß besaß. Er fand die Bucht sehr leicht. Sie landeten und nahmen den Korb, von dessen Inhalt weder die Indianer noch die Matrosen eine Ahnung hatten, in das Boot herein. Dann ruderte man zurück.

Cortejo begleitete den Kapitän wieder mit auf das Schiff, um eine Flasche Wein mit ihm auszustechen. Er hatte den Comanchen die Weisung ertheilt, an der Bucht auf ihn zu warten.

An Bord angekommen, wurde der Korb zunächst in die Kajüte des Kapitäns gebracht.

»Was wollt Ihr hier mit ihm?« fragte Cortejo, als sie dort allein waren.

»Ich muß beobachten, was ein Scheintodter für ein Gesicht macht, wenn er lebendig wird.«

»Aber hier kann er von Eueren Leuten entdeckt werden!«

»Tragt keine Sorge! Sobald er lebendig ist, kommt er hinunter in den Raum, wo ihn kein Mensch sehen und hören kann. Kommt, und helft mir mit!«

Neben der Kapitänskajüte befand sich ein kleiner, enger Raum, der nothdürftig von einem kleinen runden Fensterchen erleuchtet war, welches sich an der Seite des Schiffes befand. Hier herein schafften sie den Korb. Da der Raum zu kurz und schmal war, als daß der Korb hätte stehen können, so lehnten sie denselben schief in die von dem Fensterchen beleuchtete Ecke empor und öffneten ihn.

Der Todte stand nun aufrecht in dem schräg anliegenden Korbe. Er sah wie eine Leiche, und doch hätte man schwören mögen, daß es nur ein Schlafender sei.

»Donnerwetter!« rief Cortejo, als er ihn sah. »Was ist das! Sein Haar ist ergraut!«

»Hat er das Bewußtsein?« fragte der Kapitän.

»Ja.«

»Dann ist es bei der fürchterlichen Angst, die er auszustehen hatte, kein Wunder, daß das Haar im Scheintode ergraute. Wenn er uns reden hört, so wird er wissen, daß sein Leben nun gerettet ist. Kommt wieder herein, Sennor; unser Wein wartet.«

Sie traten in die Kajüte zurück. Während sie dort zechten, lag oder vielmehr stand der Scheintodte in seinem Korbe, ein Raub der tiefsten Verzweiflung. Sein Herz stand beinahe still, aber welche Gefühle mußten es trotzdem durchwühlen. Welche Fragen mußten diesen stillen Mann beschäftigen, der nicht wußte, was man


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mit ihm vorgenommen hatte, und der nun, ohne sich rühren zu können, aus dem Munde des Räuberkapitäns erfuhr, daß es sich wenigstens nicht um sein Leben handele. Aber welcher dunkelen, vielleicht fürchterlichen Zukunft führte man ihn entgegen!

Als Cortejo sich einige Zeit später von dem Kapitän verabschiedete, wurde er von zwei Matrosen an das Land gerudert. Am Steuer saß ein junger Mann, welcher als zweiter Steuermann auf dem Schiffe diente; es war jener Jaques Garbilot, welcher, wie wir bereits gesehen haben, im Gefängnisse zu Barcelona starb und vor seinem Tode dem Pater Dominikaner in Gegenwart Doktor Sternau's beichtete. -

Die sechs Comanchen hatten unterdeß am Ufer der Bucht gesessen und die Rückkehr des Sekretärs erwartet. Die Küste bildete hier einen höchstens zwanzig Schritte breiten Sandstrich, an welchen der Wald stieß, gebildet von fieberathmenden Wurzelbäumen, welche von einem dichten Lianennetze umschlungen waren.

Am Rande des Waldes weideten die Pferde, während die Comanchen hart am Wasser saßen. Ihr Anführer hatte sein neues Gewehr, welches er von Alfonzo erhalten hatte, vorgenommen und betrachtete es mit den Augen eines Mannes, der sich freut, ein solches Eigenthum zu besitzen.

Da schnaubte eines der Pferde, und er wendete den Kopf.

»Ugh!« rief er erschrocken.

Dieses Wort war sein letztes gewesen, denn es blitzten vom Walde her zwei Schüsse auf, und er sank todt nieder. Der, welcher neben ihm gesessen hatte, streckte den Arm starr aus und legte sich langsam in den Sand; auch er hatte eine Kugel in den Kopf erhalten.

Die Comanchen sprangen empor. Da krachten abermals zwei Schüsse und zwei Andere stürzten nieder. Nun waren nur noch Zwei übrig. Sie hielten ihre Büchsen gefaßt und strengten ihre Augen an, um dort, wo der Pulverrauch sich kräuselte, den Feind zu erkennen. Der Eine von ihnen bemerkte, daß sich hinter einem Baume etwas bewegte. Er hob das Gewehr empor, zielte und drückte ab - er hatte getroffen.

»Ugh!« rief es hinter dem Baume, nach welchem der Comanche gezielt hatte.

Es war Büffelstirn, welcher dort stand. Er fuhr sich mit der Hand nach der Hüfte.

»Ist mein Bruder verwundet?« fragte ihn Bärenherz, welcher hinter dem nächsten Baume stand.

»Ja,« antwortete der Miztecas.

»Wo?«

»Hier an der Hüfte.«

»So mögen diese beiden Hunde der Comanchen schnell sterben!«

Sie hatten im Begriffe gestanden, ihre abgeschossenen Gewehre wieder zu laden. Jetzt waren sie fertig und schossen wieder. Die beiden Comanchen fielen.

»Ugh!« sagte der Apache. »Nun lebt von den Comanchen keiner mehr, um die Kunde nach ihren Weideplätzen zu bringen. Mein Bruder zeige mir seine Wunde!«

Es war ein Streifschuß, welchen Büffelstirn erhalten hatte, zwar nicht gefährlich, aber sehr schmerzhaft.


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»Wir müssen schnell weiter reiten,« sagte der Apache.

»Warum?« fragte der Miztecas.

»Weil hier am Salzwasser nicht das Wundkraut wächst.«

»Wir werden morgen wohl welches finden. Jetzt aber wollen wir uns die Todten betrachten.«

Sie traten aus dem Walde hervor und nahmen den Comanchen die Skalpe.

»Jeder hat zwei Büchsen!« sagte der Apache verwundert.

»Eine alte und eine neue!«

»Von wem mögen sie das gestohlen haben?«

»Die Gewehre sind nicht gestohlen. Sie haben sie von dem Grafen erhalten dafür, daß sie ihn begleiteten.«

»Wir nehmen sie ihnen.«

»Oh,« sagte Büffelstirn, »Sie haben auch noch Anderes erhalten, was wir gebrauchen können. Wir nehmen ihnen Alles! Mein Bruder hole unsere Pferde herbei.«

Der Apache ging und brachte nach einiger Zeit ihre Pferde, die sie versteckt hatten.

»Was thun wir mit ihren Thieren?« fragte Bärenherz.

»Eins nehmen wir.«

»Wozu?«

»Es soll Alles tragen, was wir diesen Comanchen wegnehmen. Aber, wo ist der Weiße, welcher bei ihnen war?«

Büffelstirn betrachtete den Rand der Küste und sagte dann, auf die weiche Erde deutend:

»Erblickt mein Bruder nicht die Spur eines Bootes, welches hier gewesen ist?«

»Ja; es war kein Canoe, sondern es war ein Boot, wie es die Schiffe der Bleichgesichter haben,« antwortete der Apache, nachdem er den Eindruck untersucht hatte, welchen das Schiffsboot zurückgelassen hatte.

»Er ist nach einem der Schiffe gefahren, welche im Hafen liegen.«

»Er hat den Korb mitgenommen, den wir gesehen haben.«

»Wird er zurückkehren?«

»Darnach brauchen wir nicht zu fragen,« sagte der Apache. »Es ist der Schreiber des Grafen; er hat uns nichts gethan, wir haben keine Blutrache mit ihm und werden ihm nichts thun.«

»Mein Bruder hat Recht,« antwortete der Miztecas. »Wir werden ihm nur die Pferde nehmen, damit wir vor ihm nach Mexiko kommen und er den Grafen nicht warnen kann.«

Er zog das Messer und stieß es einem der Pferde nach dem andern in das Herz. Es war dies eine Grausamkeit, die aber einen triftigen Grund in seiner indianischen Vorsichtigkeit hatte.

Sie bepackten dasjenige der Pferde, welchem sie das Leben geschenkt hatten, mit den vorgefundenen Waffen und anderen Gegenständen, stiegen dann auf ihre Thiere und ritten davon, indem sie sich gar keine Mühe gaben, die skalpirten Leichen der Comanchen zu verbergen.


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Grad um dieselbe Zeit war es, daß Pablo Cortejo vom Schiffe zurückkehrte. Er war durch die Stadt gegangen und schlenderte längst des Waldes am Strande dahin, als er nahenden Hufschlag vernahm. Rasch versteckte er sich in die Büsche, und da erblickte er denn die beiden Häuptlinge, welche an seinem Verstecke vorbeiritten. 

Sie waren noch nicht zehn Schritte vorbei, so hielt der Apache sein Pferd an.

»Uff!« rief er, auf den Boden deutend.

Auch Büffelstirn bückte sich von seinem Pferde herab und erblickte die frische Fußspur Cortejo's. Ein Anderer hätte sie unmöglich sehen können, aber die Augen dieser beiden Häuptlinge waren so scharf geübt, daß kein solcher Fußdruck ihnen entgehen konnte.

»Ein Weißer!« sagte der Miztecas, indem er zur Büchse griff.

Der Apache blickte umher und war mit einem raschen Sprunge vom Pferde. Er hatte nur einen Zweig leise sich bewegen gesehen, stand aber im nächsten Augenblicke bereits vor Cortejo, der vor Schreck ganz starr stand und keinen Versuch der Flucht machte. Bärenherz zog ihn hervor.

Sie erkannten ihn sofort. Sie waren ihm von Mexiko bis hierher unablässig gefolgt und konnten sich also gar nicht täuschen. Dennoch fragte Büffelstirn:

»Wer bist Du?«

»Ich bin aus Mexiko,« antwortete der Gefragte angstvoll.

»Ich habe Dich gefragt, wer Du bist?«

»Ich bin der Sekretär des Grafen de Rodriganda.«

»Und wie heißest Du?«

»Pablo Cortejo.«

»Wir kennen Dich. Wenn Du nicht besser bist als Dein Graf, so werden wir uns einst Deinen Skalp holen. Kennst Du uns?«

»Nein.«

»Ich bin Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, und dieser ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Wenn Du nach Mexiko kommst, haben wir bereits mit Deinem Grafen gesprochen. Er soll uns Rede stehen über die Hacienda del Erina. Warum verstecktest Du Dich?«

»Ich wußte nicht, wer kam.«

»Uff! So hast Du ein böses Gewissen! Du suchst Deine Freunde, die Comanchen?«

»Ja.«

»Du wirst sie finden. Es waren die letzten der Hunde, welche die Hacienda überfielen. Sie werden die ewigen Jagdgründe der tapferen Todten niemals sehen. Ugh!«

Sie ritten weiter und ließen den Sekretär unbeschädigt stehen. Er blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr zu sehen vermochte, und erst dann verlor sich sein Schreck.

»Sie haben ein Pferd von uns, und die Waffen der Comanchen! Was ist geschehen?« fragte er sich. »Es sind die beiden berühmten Häuptlinge, von denen Alfonzo mir erzählt hat. Alle Wetter, sie sind den Comanchen gefolgt, um sich an ihnen zu rächen, und sie wollen auch nach Mexiko zu Alfonzo! Ich muß


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ihnen zuvorkommen! Dieser Büffelstirn war verwundet. Vielleicht macht ihm seine Verletzung Beschwerde, und dann steche ich sie aus.«

Er eilte nach dem Orte, wo er die Comanchen gelassen hatte. Dort fand er ihre Leichen und auch die todten Pferde. Er hielt sich keinen Augenblick hier auf, sondern begab sich schleunigst nach Vera Cruz, um sich mit einem guten Pferde zu versehen und die Rückreise sofort anzutreten.

Es gelang ihm, zwei tüchtige Renner zu bekommen, deren einen der Führer bestieg, den er sich vorsichtiger Weise miethete. Der Ritt ging in höchster Eile über Soledad, Lomalto, Paso del Macho, Cordova, Orizaba, Puebla und endlich nach Mexiko.

Er hatte während des ganzen Rittes stets die Befürchtung gehegt, daß er den beiden Indianern begegnen werde, doch war dies nicht der Fall gewesen. Die Häuptlinge hatten eine weniger bewohnte Richtung eingeschlagen, und dabei stellte es sich heraus, daß die fieberschwangere Niederung des Meeres in der Gegend von Vera Cruz der Wunde des Miztecas schädlich gewesen war. Er fühlte sich so ermattet, daß sie zwei Tage ruhen mußten, und endlich, als sie in höher liegender Gegend das berühmte Wundkraut fanden und auflegten, konnte er das Pferd wieder besteigen.

So kam es, daß sie volle zwei Tage nach Cortejo in Mexiko anlangten.

Dieser wurde von Graf Alfonzo natürlich mit der allergrößten Spannung erwartet. Sobald er ihn kommen sah, ließ er ihn zu sich rufen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte der Graf.

»Gut, sehr gut,« lautete die Antwort.

»Ah, da ist mir ein Stein vom Herzen! Es ist keine Kleinigkeit, einen scheintodten Menschen von hier bis an die Küste zu transportiren. Habt Ihr ihn unbemerkt auf das Schiff gebracht?«

»Ja.«

»Und die Indianer? Sie sollen ihren Lohn erhalten. Wo sind sie?«

»Todt.«

»Todt?« fragte Alfonzo überrascht. »Wieso?«

»Das ist es eben, weshalb ich sagte, daß es sehr gut gegangen sei. Wir haben keine Zeugen mehr zu fürchten, denn diese Comanchen sind alle erschossen worden.«

»Erschossen! Von wem?«

»Von Büffelstirn und Bärenherz.«

»Ah!« rief Alfonzo. »Von diesen beiden verdammten Kerls? Wo ist es geschehen?«

»In unserem Versteck an der Küste bei Vera Cruz.«

»Donnerwetter, so sind sie ihnen gefolgt!«

»Ja, ihnen und Dir.«

»Das steht zu erwarten, sie sind uns von der Hacienda aus auf dem Fuße nachgeritten.«

»Und haben zunächst die Comanchen gewonnen, da Du ihnen sicherer bist. Jetzt nun, da sie mit ihnen fertig sind, wirst Du an die Reihe kommen.«

»Das ist verdammt! Erzähle!«


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Cortejo erzählte den ganzen Verlauf seiner Reise und auch das Zusammentreffen mit den beiden Häuptlingen. Dann fügte er hinzu:

»Dieser Büffelstirn sagte, daß sie mit Dir bereits gesprochen haben würden, wenn ich nach Mexiko käme. Du siehst also, daß sie die Absicht haben, Dich aufzusuchen. Ich habe mir zwei schnelle Pferde gekauft und bin ihnen zuvorgekommen. Die Wunde des Miztecas wird sie aufgehalten haben.«

»So gilt es, ihnen schleunigst aus dem Wege zu gehen; denn gegen solche Menschen giebt es selbst hier in unseren verhältnißmäßig geordneten Verhältnissen keinen genügenden Schutz.«

»Du mußt ja nach Spanien hinüber!«

»Allerdings, ich habe vom »Vater« einen Brief erhalten.«

»Ah! Kann ich ihn lesen?«

»Ja. Er ist sehr kurz. Hier ist er.«

Er nahm das nur einige Zeilen lange Schreiben von seinem Schreibtische und reichte es Cortejo hin. Dieser las:

      »Mein lieber Alfonzo!
Ich ließ Dir bereits durch Sennor Cortejo sagen, daß ich Dich hier in Rodriganda mit großer Sehnsucht erwarte. Seitdem stellt sich fast die Hoffnungslosigkeit meiner Augenkrankheit heraus, und ich bitte Dich, daran zu denken, daß ich in Dir als meinen Sohn meine einzige zuverläßliche männliche Stütze sehen muß und Dich also sehr bald hier erwarte.
      Dein Vater Emanuel, Graf de Rodriganda y Sevilla.«

»Das klingt allerdings sehr dringend,« sagte der Sekretär. »Was gedenkst Du zu thun?«

»Ich reise natürlich!«

»Auch ich rathe Dir dazu. Unsere Angelegenheit stellt sich jeden Augenblick vortheilhafter an. Hier bist Du bereits der Erbe, und drüben wirst Du nach Deiner Ankunft auch die ganze Leitung der Grafschaft in die Hand bekommen. Diese Erblindung Don Emanuels ist ein Glück für uns.«

»Ich habe oft schon Sorge getragen, daß er meine Aehnlichkeit mit Dir erkennen werde,« sagte Alfonzo. »Nun aber bin ich von dieser Sorge befreit.«

»Hm, man müßte freilich dafür sorgen, daß er nicht wieder hergestellt werden kann.«

»Das werde ich natürlich mit allen Kräften thun!«

»Und Rosa? Sie wird natürlich die Aehnlichkeit bemerken.«

»Pah, diese fürchte ich nicht.«

»So schlage ich vor, daß Du sofort abreisest. Deine Angelegenheiten sind bei mir ja gut aufgehoben.«

»Zuvor werde ich nach der Hacienda reiten.«

»Ah! Diesen Plan hast Du wirklich noch?«

»Ja. Ich muß Rache nehmen für Alles, was ich dort erfahren habe.«

»Die beiden Häuptlinge werden Dir aber folgen!«

»Sie können mir nichts thun, denn ich befinde mich unter einem sehr guten Schutze.«


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»Du meinst die Lanzenreiter?«

»Ja.«

»Du müßtest, um eine solche Begleitung zu erhalten, zuvor mit dem Präsidenten sprechen.«

»Das habe ich während Deiner Abwesenheit bereits gethan.«

»Und er hat Dir die Erfüllung dieses Wunsches zugesagt?«

»Ja. Ein Graf de Rodriganda ist natürlich ein Mann, dessen Wünsche man berücksichtigen muß.«

»Welche Gründe hast Du angegeben?«

»Ich erzählte von dem Ueberfalle der Comanchen, ohne natürlich zu erwähnen, daß ich dieselben selbst nach der Hacienda führte, und sprach die Vermuthung aus, daß nun eine bedeutendere Truppe der Wilden kommen werde, um den Tod der Ihrigen zu rächen.«

»Und was wurde Dir versprochen?«

»Ich habe bereits zwei Befehle in den Händen, den einen an den Gouverneur und den anderen an den Divisionär von Durango, mir eine Schwadron Lanzenreiter sofort zu verabfolgen.«

»Oh, das ist gut! Ich habe diesen alten Petro Arbellez nie geliebt!«

»Er wird Augen machen, wenn ich komme. Er hatte die Frechheit, mir zu sagen, daß ich nur sein Gast, nicht aber sein Gebieter sei, da er den Pacht der Hacienda auf Lebenszeit besitze.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Ich auch nicht. Don Ferdinando hat nie davon gesprochen, und in den beiden Testamenten wurde die Hacienda mit vollständigem Stillschweigen übergangen.«

»Ich habe nicht einmal einen Pachtcontract auf die Zeit nur eines Jahres in den Händen gehabt. Don Ferdinando hat sein Verhältniß zu Arbellez niemals klar darlegen wollen.«

»So brauche ich mich also nach gar Nichts zu richten und kann thun, was mir beliebt.«

»Wann wirst Du abreisen?«

»Sogleich.«

»In welcher Begleitung?«

»Ich erhalte einige Mann Militär.«

Jetzt warf Cortejo ihm einen scharfen, forschenden Blick zu und fragte:

»Wie steht es mit Josefa? Habt Ihr mit einander gesprochen und Euch geeinigt?«

»Geeinigt?« fragte Alfonzo, indem er that, als wisse er gar nicht, was Cortejo meinte. »Sind wir entzweit oder uneinig gewesen?«

»Hm! Du nimmst doch Abschied von uns, ehe Du gehst?«

»Das versteht sich!« antwortete der Gefragte zögernd.

»Gut, so will ich Josefa begrüßen, denn ich habe sie noch gar nicht gesehen, seit ich angekommen bin.«

Er ging und suchte seine Tochter in ihrem Zimmer auf. Sie freute sich seiner glücklichen Rückkehr, schien aber nicht gut bei Laune zu sein.


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»Ich sah Dich kommen,« sagte sie. »Du warst bei Alfonzo?«

»Ja.«

»Sprach er von mir?«

»Nur nebenbei. Ihr habt Euch in diesen Tagen gemieden?«

»Er mich, nicht aber ich ihn. Weißt Du, daß er nach Rodriganda gehen will?«

»Ich weiß es. Zuvor aber will er nach der Hacienda del Erina.«

»Auch das habe ich gehört. Ich glaube, daß er von der Hacienda gar nicht wiederkommen wird, sondern von da gleich direkt nach Spanien gehen will, um mir auszuweichen.«

»So müssen wir die Sache jetzt sofort in Richtigkeit bringen.«

»Wann geht er?«

»Sogleich; er sagte aber, daß er sich verabschieden wird.«

»Ich glaube es ihm nicht. Ich werde sofort zu ihm gehen.«

»Wird er sich zwingen lassen?«

»Ja,« sagte sie in einem sehr bestimmten und selbstbewußten Tone.

»Ich zweifle!«

»Laß nur mich machen! Du gehst doch mit?«

»Das versteht sich!«

»So komm'!«

Sie gingen mit einander nach der Wohnung Alfonzo's, den sie mit dem Einpacken beschäftigt fanden. Er machte ein sehr unangenehm überraschtes Gesicht, als er sie anblickte, und schien Lust zu haben, sie fortzuweisen. Josefa aber kam ihm zuvor, indem sie fragte:

»Du wirst verreisen, Alfonzo?«

»Allerdings.«

Seine Miene war bei dieser Antwort eine zornige. Das Mädchen aber kümmerte sich nicht darum.

»Ohne an Das zu denken, was ich Dir sagte, als der Vater nach Vera Cruz ging?«

»Hm, O, ich besinne mich wirklich nicht,« heuchelte er.

»So muß ich Deinem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Ich sagte Dir offen und ehrlich, daß ich Dich liebe und daß ich deshalb erwarte, Gräfin de Rodriganda zu werden.«

Jetzt legte sich ein offenbarer Hohn über sein Gesicht, und er antwortete:

»Donnerwetter, ja, jetzt besinne ich mich, daß Du Dir diesen unsinnigen Spaß erlaubtest! Ich hoffe jedoch, daß er abgethan ist!«

»Abgethan? Das fällt mir gar nicht ein! Ich erklärte Dir, daß ich Dir bis zur Rückkehr des Vaters Zeit geben würde, mir meine Frage zu beantworten. Jetzt ist diese Frist verstrichen. Wie steht es?«

»Ah, Du redest also wirklich im Ernste?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie mit blitzenden Augen.

»Und willst eine Antwort?«

»Ich verlange sie!«

»Nun, so sollst Du sie hören: Ich heirathe, wen ich will, Dich aber niemals, nie, nie, nie!«


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Er hatte erwartet, daß sie aufbrausen werde; dies war aber keineswegs der Fall. Sie war sich ihrer Sache so gewiß, daß sie ruhig blieb und ihm nur mit einem scharfen Lächeln sagte:

»Und dennoch wirst Du mich heirathen!«

»Pah! Wer will mich zwingen?«

»Ich!«

»Du?« fragte er mit verächtlichem Tonfalle. »Mache Dich nicht lächerlich! Ich errathe Deine Absichten und auch die Gründe, welche Du gegen mich loslassen willst. Sie taugen aber nichts!«

»Du irrst; sie sind die Besten, welche es geben kann.«

Er blickte ihr überlegen in das scharfe Gesicht mit den Eulenaugen und antwortete:

»Du willst mich zwingen, Dich zur Gräfin de Rodriganda zu machen, indem Du mir drohst, zu verrathen, daß ich gar nicht ein Rodriganda bin?«

»Ja,« sagte sie gelassen.

»So bitte ich Dich abermals, Dich nicht lächerlich zu machen! Ueber diese Waffe lache ich, denn Du kehrst sie gegen Dich selbst und gegen Deinen Vater. Ihr seid ja meine Mitschuldigen!«

»Das müßte erst bewiesen werden. Dir wenigstens dürfte es schwer werden, es zu beweisen. Du irrst Dich übrigens, wenn Du glaubst, daß ich eine Lächerlichkeit begehe. Wie nun, wenn das zweite Testament noch vorhanden wäre?«

Er lächelte höhnisch.

»Das ist verbrannt,« sagte er.

»Nein, es ist noch da!« sagte sie.

Ihre Miene war bei diesen Worten so ernst, und ihre Stimme erklang so siegesgewiß, daß er sich doch unsicher und betreten zu fühlen begann. Auch der Sekretär war überrascht.

»Was, Du hättest es nicht verbrannt, Josefa?« fragte er.

»Nein.«

»Aber ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen!«

»Ein Zeitungsblatt hast Du brennen sehen,« lachte sie. »O, Ihr klugen Männer! Vater, Du wolltest dieses Testament vernichten, ohne daran zu denken, welch' eine vortreffliche Waffe es ist gegen diesen sogenannten Grafen de Rodriganda.«

»Ah, das ist schlau! Das ist allerdings ein Meisterzug!« rief Cortejo.

»Sie lügt!« behauptete Alfonzo.

»Ich rede die Wahrheit!« antwortete sie.

»Wo ist es?«

»Hier, in meiner Tasche!«

Sie klopfte mit der Hand triumphirend an die Stelle ihres Kleides, an welcher sich die Tasche befand. Die Augen Alfonzo's leuchteten heimtückisch auf, und er sagte:

»Zeige es her, sonst glaube ich es nicht!«

»Da, siehe es an!«

Mit diesen Worten griff sie - aber nicht nur in eine, sondern in alle beiden Taschen. Er sah das Dokument in ihrer linken Hand und fuhr schnell zu, um es


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ihr zu entreißen; aber er hatte nicht den Dolch gesehen, den sie mit der Rechten aus der anderen Tasche gezogen hatte. Sie zückte den Stahl gegen ihn, und er fuhr erschrocken zurück.

»Donnerwetter,« rief er; »Du willst mich stechen!«

»Nein,« lachte sie; »aber Du wirst es mir nicht übel nehmen, wenn ich mein Eigenthum vertheidige.«

»Dein Eigenthum?« zürnte er. »Dieses Testament gehört mir!«

»Nein. Es gehört in die Hand des Präsidenten. Und ich schwöre es Dir bei allen Heiligen, daß er es bekommt, wenn Du Dich vor Deiner Abreise nicht schriftlich mit mir verlobst.«

»Das ist unverschämt!« erklärte er wüthend.

»War es etwa nicht unverschämt, als Du mich alt, häßlich und verbrecherisch nanntest!«

»Du wirst es nicht auf das Aeußerste treiben!«

»Das werde ich sicher; darauf kannst Du Dich verlassen! Ich hoffe, daß ich die Unterstützung meines Vaters dabei finde!«

»Das versteht sich!« antwortete dieser. »Das Testament ist in unserer Hand eine Waffe, gegen welche Du nicht aufkommen kannst. Du wurdest uns als der kleine Prinz Rodriganda herübergeschickt, und ich habe den Teufel gewußt, daß Du verwechselt worden bist. Die in meiner Hand befindlichen Briefe werde ich verbrennen, und so will ich sehen, wie Du es anfingst, die Waffe auch gegen mich zu kehren!«

»Ihr seid Beide schlecht!« rief Alfonzo.

»Möglich. Aber ich habe keine Lust, mit einem Undankbaren zu arbeiten. Was wir gethan haben, muß belohnt werden. Du erhältst aus meiner Hand die unermeßliche Herrschaft der Rodriganda's in Mexiko; es versteht sich ganz von selbst, daß wir Theil daran nehmen, indem Du Josefa heirathest.«

»Den Teufel werde ich thun!«

Da trat Josefa hart an ihn heran und fragte mit zornig blitzenden Eulenaugen:

»Ist das Dein wirklicher Entschluß?«

»Ja,« antwortete er.

»Gut!«

Nur dieses eine Worte sagte sie; dann wandte sie sich um und schritt nach der Thür. Er sah es ihr an, daß sie im Begriffe stand, einen ernsten Vorsatz auszuführen. Es wurde ihm doch angst, und er rief sie zurück:

»Halt, wohin willst Du?«

»Zum Präsidenten,« sagte sie, stehen bleibend.

»Bist Du denn wirklich des Teufels! Bildest Du Dir denn wirklich ein, daß Du als meine Frau glücklich sein wirst?«

»Ja. Du sollst freie Hand haben in Allem, aber Gräfin de Rodriganda will ich sein.«

»Das geht ja nicht! Was wird Graf Emanuel sagen, wenn ich mich ohne seinen Willen mit der Tochter des Sekretärs seines Bruders verheirathe!«

»Das verlange ich noch gar nicht. Du kannst mit der Hochzeit bis


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nach seinem Tode warten; aber jetzt giebst Du mir eine schriftliche Erklärung, daß ich Deine Verlobte bin.«

Er besann sich und fragte dann:

»Wirst Du mir gegen diese Erklärung das Testament aushändigen?«

»Nein. Das Testament erhältst Du erst am Tage unserer Hochzeit. Aber gegen diese Erklärung erhältst Du Deine Freiheit und kannst reiten, wohin es Dir beliebt.«

Er nickte mit verschlagener Miene und sagte:

»Gut; Du sollst die Schrift haben.«

»Sofort?«

»Sofort.«

»So wirst Du endlich klug; aber denke ja nicht, daß nun Alles gut ist und daß Du Dein Wort nicht zu halten brauchst, wenn Du fort bist von uns! Ich würde mich zu rächen wissen!«

Er warf den Kopf trotzig empor und unterschrieb. Kurze Zeit später ritt er mit einigen Soldaten zur Stadt hinaus, um sich nach Durango zu begeben. Es waren zwischen der Ankunft Cortejo's und der Abreise Alfonzo's nur einige Stunden vergangen; so groß war die Furcht des Letzteren vor den beiden Indianerhäuptlingen.

Erst zwei Tage später erreichten die Letzteren die Mauern der Hauptstadt. Dort warteten sie den Abend ab, und dann begab sich Büffelstirn nach dem Palaste Rodriganda. Er schwang sich, wie vorher, über die Mauer und fand die alte Maria Hermoyes seiner wartend.

»Uff, Du hältst Wort!« sagte er zu ihr.

Und sie in ihrer Herzensfreude, ihn wiederzusehen, nannte ihn auch gleich Du:

»Ja, ich habe alle Tage auf Dich gewartet, jedoch vergeblich.«

»Ist dieser Cortejo zurück von dem Meere?«

»Bereits seit zwei Tagen.«

»Uff! Ich war krank und konnte nicht schnell folgen. Wo ist der Graf der Bleichgesichter?«

»Du meinst Graf Alfonzo? Der ist fort.«

»Uff! Wohin?«

»Es sollte Niemand wissen, aber ich habe es erlauscht. Er ist nach der Hacienda del Erina.«

Der Indianer machte eine Bewegung der Ueberraschung und fragte dann:

»Wann ist er fort?«

»Seit vorgestern, er will Sennor Petro Arbellez aus der Hacienda vertreiben.«

»Weißt Du dies gewiß?«

»Ja. Ich habe Sennor Cortejo mit seiner Tochter belauscht, welche davon sprachen.«

»Das wird ihm aber nicht allein gelingen!«

»O, er nimmt eine ganze Schwadron Lanzenreiter mit, um sich bei den Ciboleros und Vaqueros Respect zu verschaffen. Er ist nun der Erbe, da Graf Ferdinando gestorben ist.«


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»Uff! Weißt Du nicht, was dieser Cortejo jetzt in einem großen Korbe nach der Küste geschafft hat?«

»Nein.«

»So haben wir hier nichts mehr zu thun. Wir müssen sofort nach der Hacienda reiten.«

»Ihr wolltet mich mitnehmen!«

»Willst Du denn noch zu Petro Arbellez?«

»O, wie gern!«

»So sollst Du mit. Habt Ihr Pferde im Palast?«

»Wir haben nur zwölf der Besten hier; die Andern sind stets auf der Weide.«

»Werden diese zwölf Thiere bewacht?«

»Ein Reitknecht ist stets im Stalle.«

»Du wirst nicht viele Sachen mitnehmen dürfen. Kannst Du reiten?«

»Ja. Es sind Damensättel im Stalle.«

»Wie lange bringst Du zu, um das Nothwendige einzupacken?«

»Keine Stunde.«

»So gehe, und thue es. In einer Stunde sind wir hier.«

Er sprang wieder über die Mauer und sie kehrte in den Palast zurück, hoch erfreut darüber, daß sie ein Haus verlassen konnte, welches ihr seit dem Tode Don Ferdinando's verhaßt geworden war. Sie packte ihre Ersparnisse und nur das Allernothwendigste an Kleidern und Wäsche zusammen und war damit in der angegebenen Zeit fertig. Als sie dann mit diesem Packt die Laube wieder betrat, fand sie die beiden Indianer bereits ihrer wartend.

Der Apache ließ kein Wort hören; Büffelstirn aber sagte:

»Unsere Pferde sind müde, die Eurigen aber sind frisch. Wir werden die Eurigen nehmen. Wo ist der Stall?«

»Aber der Stallknecht ist darin!« warnte sie.

Der Miztecas machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und sagte nur:

»Komm!«

Sie führte ihn nach dem Stalle, welcher nicht verschlossen war. Es brannte dort ein Licht, und in dem Scheine desselben erblickten sie den Knecht, welcher auf einer Decke lag und schlief.

Bereits im nächsten Augenblicke kniete der Apache bei ihm, um ihn zu knebeln und zu binden, was mit einer solchen Schnelligkeit und Sicherheit gelang, daß der Mann gefesselt war, ehe er nur ganz erwachte. Nun wählten sich die beiden Indianer die vortrefflichsten Pferde aus. Sie nahmen davon fünf, zwei für sich, eines für die Amme und zwei für das Gepäck und zum Umwechseln.

Trotzdem sie mit der Auswahl der Pferde sehr bedächtig vorgegangen waren, waren doch kaum fünf Minuten verflossen, als sie im Galopp durch die Straßen sprengten, um zu ihren, vor der Stadt gelassenen Thieren zu kommen. Von diesen luden sie Alles auf die frischen Pferde über und ließen sie frei.

Als am andern Morgen dem Sekretär Pablo Cortejo die Meldung gemacht wurde, daß die alte Maria Hermoyes in Begleitung von zwei Indianern mit fünf


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Pferden verschwunden sei, hätte Niemand es vermocht, die drei Flüchtigen einzuholen. -

Unterdessen hatte sich auf der Hacienda nichts wesentlich geändert. Die Spuren des Kampfes waren längst verwischt, und es ging Alles nach seinem gewöhnlichen Gange.

Der Zustand des Deutschen war nur insofern ein anderer geworden, als der Patient das Lager verlassen hatte. Er lebte still und tiefsinnig vor sich hin, und wenn er ja einmal Etwas sagte, so waren es nur die Worte: »Ich bin erschlagen worden.«

Eines Tage saß er dumpf brütend am offenen Fenster, und Emma lehnte an ihm, den Blick in träumerischer Trauer nach Süden gerichtet. Da erblickte sie fünf dunkle Punkte, welche sich in großer Eile näherten, und bald sah sie, daß es zwei Reiter, eine Reiterin mit zwei Packpferden seien. Endlich erkannte sie die beiden Häuptlinge mit ihrer alten Freundin Maria Hermoyes, und mit einem Jubelrufe sprang sie auf, um ihnen entgegen zu eilen.

Ihr Ruf war auch von Anderen gehört worden, und als sich die Angekommenen vom Pferde schwangen, waren bereits sämmtliche Bewohner des Hauses bei ihnen versammelt. Sie wurden mit Freuden empfangen, und besonders führte Emma ihre treue Maria förmlich im Triumphe nach dem Salon, wohin auch die Häuptlinge kamen, um dort Rede und Antwort zu stehen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte Petro Arbellez.

»Wir haben die Scalpe der Comanchen,« sagte Büffelstirn.

»Und der Graf?«

»Graf Ferdinando ist gestorben.«

Petro und seiner Tochter entfuhr ein Ruf des Schreckes.

»Todt! Ist's wahr?« frug der Erstere.

»Ja,« antwortete die Amme.

Und dann erzählte sie den ganzen Verlauf der Sache, so weit sie ihn kannte.

»So ist also Alfonzo Nachfolger?« fragte Emma.

»Ja. War er noch nicht hier?«

»Will er denn nach der Hacienda kommen?« erkundigte sich Arbellez.

»Ja,« antwortete die Amme in dringendem Tone. »Wenn er noch nicht hier war, so ist er doch bereits unterwegs, und zwar mit einer ganzen Schwadron von Lanzenreitern.«

»Was sollen diese?«

»Ihr sollt sofort vertrieben werden.«

»Ich? Ah!« sagte er mit stolzem Lächeln. »Das soll ihnen schwer werden.«

»Wir beschützen unsere weißen Brüder,« erklärte der Apache.

»Wir holen die Ciboleros und Vaqueros zusammen,« sagte Büffelstirn.

»Ich danke Euch!« sagte der Haciendero. »Ich werde Eure Hilfe vielleicht brauchen, aber ich habe noch eine andere Waffe.«

»Welche?«

»Das werdet Ihr später genauer erfahren. Können die Soldaten bald kommen?«

»Sehr bald!« erklärte die besorgte Amme. »Alfonzo hat Mexiko zwei Tage


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vor uns verlassen. Er will die Lanzenreiter in Durango holen.«

»So will ich meine Leute schnell zusammenrufen!«

Er verließ das Zimmer, und gleich darauf hörte man das Signal weithin über die Felder und Weiden erschallen. In nicht ganz einer Viertelstunde waren gegen vierzig Ciboleros und Vaqueros zusammen, und es war, als hätte es nicht anders sein sollen, denn kaum hatte sich das starke Hofthor hinter ihnen geschlossen, so sah man eine dunkle Wolke von Reitern angesprengt kommen, über welcher ein Wald spitzer Lanzen emporstarrte.

»Das sind sie schon!« rief Arbellez. »Verhaltet Euch still; ich werde sie empfangen.«

Die Schwadron kam heran gebraust und hielt draußen vor dem Thore. Der Graf war mit den Offizieren an der Spitze geritten. Er klopfte an das Thor. Arbellez trat hinzu und fragte von innen, was man begehre.

»Oeffnet!« gebot Alfonzo.

»Für wen?«

»Für mich, den Besitzer dieser Hacienda.«

»Wer seid Ihr?« fragte Arbellez, der mit Absicht den Guckschieber nicht geöffnet hatte.

»Graf Alfonzo de Rodriganda.«

»Der die Damen überfällt? Ah, ich kenne keinen Grafen de Rodriganda, welcher Herr dieser Hacienda ist. Ich werde es Euch beweisen. Wartet einen Augenblick!«

Er schritt über den Hof zurück und trat in das Haus. Bald kehrte er mit einem großen Pergament zurück.

»Legt die Gewehre an,« gebot er; »aber schießt nicht eher, als bis ich es Euch befehle!«

Sofort bildeten die halb wilden Rinderhirten zu beiden Seiten des Thores ein dichtes Spalier, dessen Büchsen nach dem Eingange gerichtet waren. Diesem gegenüber stand der Haciendero und hinter ihm die beiden Indianerhäuptlinge, das Gewehr bei Fuß.

»Oeffnet!« gebot Arbellez.

Der tapfere Franzesko, welcher dem Thore am nächsten stand, öffnete dasselbe, und sofort wollten die Lanziere in den Hof reiten, wichen aber erschrocken zurück, als sie vierzig geladene Gewehre auf sich gerichtet sahen. Den allergrößten Schreck aber hatte Graf Alfonzo. Er hatte die beiden Indianer, denen er entgehen wollte, gar nicht hier vermuthet, und als er sie erblickte, riß er sein Pferd sofort aus der Nähe des Thores und hinter die Mauer zurück, wo ihn keine Kugel treffen konnte.

»Was soll das?« fragte der Rittmeister streng.

»Daß ein freier Mexikaner auf der ihm gehörigen Hacienda nur solchen Besuch empfängt, der ihm angenehm und willkommen ist.«

»Diese Hacienda gehört Euch nicht. Der Besitzer ist bei uns, und wir werden uns den Zutritt erzwingen, wenn er uns verweigert wird.«

»So nehmt Euch in Acht! Die Hacienda gehört mir. Dieser Graf hat Euch belogen und wird sterben, sobald er meinen Hof betritt. Die beiden Sennores hinter mir sind Häuptlinge der Apachen und Miztecas und haben eine Blutrache


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mit ihm. Gegen Euch aber habe ich nichts, Sennor. Ich bin Petro Arbellez, der Herr dieser Besitzung. Darf ich Euren Namen erfahren?«

»Ich bin Haro de la Vega, Rittmeister dieser Schwadron.«

»Haro de la Vega? Ah, seid Ihr vielleicht verwandt mit dem Präsidenten General Diaz de la Vega?«

»Ja. Er ist mein Vater.«

»O, dann seid Ihr der Rechte! Reitet näher und seht Euch dieses Pergament an! Es ist von Don Diaz, Eurem Vater, und dem General Carrera unterzeichnet.«

»Ah, zeigt her

Er drängte sein Pferd näher, ergriff das Schriftstück und las es.

Er drängte sein Pferd näher, ergriff das Schriftstück und las es.

Während der Rittmeister die Urkunde durchsah, nahmen dessen Gesichtsmienen einen immer ernsteren Ausdruck an, und als er das Schriftstück gelesen, wandte er sich zurück an die hinter ihm wartenden Chargirten seiner Schwadron.

»Sennores, kommt näher,« bat er auch seine Offiziere. »Dieser brave Sennor Petro Arbellez hat die Hacienda del Erina als Pacht erhalten mit der Bedingung, daß er sofort und vollständig Eigenthümer wird, sobald Graf Ferdinando de Rodriganda stirbt. Graf Alfonzo scheint gar nichts davon gewußt zu haben. Sennor Arbellez, darf ich ihm das Pergament zeigen?«

»Nur unter der Bedingung, daß ich es sogleich und unbeschädigt zurück erhalte!«

»Verlaßt Euch darauf!«

»Gewiß, da Ihr mir für die Zurückgabe der Urkunde Bürgschaft leistet; denn einem Grafen Alfonzo würde ich sie in keinem Falle in die Hand legen, selbst dann nicht, wenn er auch sein Ehrenwort verpfändete.«

»Oho! Habt Ihr so wenig Vertrauen zu ihm? - Nun denn; die von mir verlangte Bürgschaft sollt Ihr haben.«

Sennor Petro Arbellez gab hierauf seine Zustimmung durch eine bejahende Handbewegung, und der Rittmeister wendete sein Pferd.

Er ritt aus dem Thore hinaus zu Alfonzo. Es verging eine Weile; man hörte einige kräftige Flüche von Alfonzo's Stimme. Dann kehrte der Rittmeister in den Hof zurück und gab Arbellez sein Pergament.

»Sennor, Ihr seid unbestrittener Besitzer dieser Hacienda, und da Graf Alfonzo unter diesen Umständen keinen Augenblick länger hier verweilen wird, so sage ich Euch Lebewohl!«

In der nächsten Minute donnerte die Schwadron über die weite Ebene dahin. Kaum aber war sie verschwunden, so trabten ihr zwei Reiter nach: Bärenherz und Büffelstirn, die jetzt nur an das strenge indianische Gesetz der Rache dachten. -

Sennor Arbellez kehrte mit den Seinen in das Haus der Hacienda zurück, deren Eigenthümer er durch den Tod des Grafen Ferdinando de Rodriganda geworden war.

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Dreizehntes Kapitel.

Eine Tänzerin.

»Ich sah Dich, hingegossen
   Auf üppig weichem Samm't,
Von gold'nem Licht umflossen,
   Von Liebesgluth umflammt.
Die heißen Blicke lockten
   Mich hin zur süßen Ruh',
Und meine Pulse stockten,
   So schön, so schön warst Du.

Ich sah Granaten blühen
   In Deines Haares Pracht,
Sah Deine Augen glühen
   Wie Sterne in der Nacht.
An Deinen Busen sank ich,
   Vor Glück bald bleich, bald roth;
Von Deinen Lippen trank ich
   Das Leben und - - - den Tod!«

Hat der freundliche Leser bisher zwei so verschiedene Brüderpaare kennen gelernt, wie die Grafenbrüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda und die Beamtenbrüder Gasparino und Pablo Cortejo, so wird es ihm sicher ein sehr großes Räthsel sein, warum die beiden Grafen trotz ihrer freundlichen und hochherzigen Eigenschaften von den beiden Cortejo's auf eine Weise und mit einer Grausamkeit verfolgt und betrogen wurden, welche selbst vor dem ärgsten und unmenschlichsten Verbrechen nicht zurückbebte. Dieses Räthsel soll jetzt gelöst und der bisher so dunkle Schleier gelüftet werden. -

Es war zu Saragossa, kurze Zeit, nachdem die schöne Zigeunerin Zarba sich mit Gasparino Cortejo entzweit und der Hauslehrer Sternau seine Sennora Wilhelmi den buhlerischen Händen des Herzogs von Olsunna entrissen hatte. Da traten in Saragossa zwei Persönlichkeiten auf, welche Beide, ein Jedes auf seine Weise und in seinem Kreise, ein gerechtes Aufsehen erregten.

Die eine dieser beiden Persönlichkeiten war der alte Graf Manfredo de Rodriganda, der Vater der damals noch jungen Brüder Emanuel und Ferdinando.

Er hatte lange Zeit als Vicekönig der spanischen Besitzungen in Ostindien gelebt, und man sagte sich, daß er aus diesen Ländern geradezu ungeheure Schätze mitgebracht habe. Jetzt hatte er sich in den Ruhestand versetzen lassen und war nach Madrid gekommen, um die letzten Studien seiner beiden Söhne zu überwachen. Da er in der Nähe von Saragossa reiche Güter besaß, so verweilte er jetzt vorübergehend in dieser Stadt, um die Administration dieser Besitzungen einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen.

Einer seiner hervorragendsten Administratoren war Henrico Cortejo, der Vater der beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo. Ueberhaupt waren die Cortejo's seit Menschengedenken bei den Rodriganda's bedienstet gewesen, und man sagte sich, daß dieser Henrico ein ganz besonderer Liebling des alten Vicekönigs Don Manfredo sei.


Ende der dreiundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk