Lieferung 3

Karl May

9. Dezember 1882

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Es ist ein Name überhaupt nicht genannt worden.«

»Nun, so melden Sie uns.«

»Ich möchte es nicht wagen.«

»Warum nicht? Wenn seine Erlaucht krank sind, so sind wir als Aerzte doch da, ihm unsere Hilfe zu bringen.«

»Ich möchte dennoch von einer Meldung absehen,« meinte der Diener mit höflichem Tone. »Ich habe den Befehl des gnädigen Herrn zu respektiren.«

»Und den unserigen auch!« bemerkte der Arzt in strengem Tone. »Wo es einen Kranken giebt, da ist stets der Arzt der Befehlende.«

»Das habe ich auch geglaubt, Sennor; aber ich bin eines Besseren belehrt worden.«

»Wie denn? Durch wen?«

»Zunächst durch den Herrn Doktor Sternau und dann durch den gnädigen Herrn selbst. Sie gaben mir, als Sie die Operation vornehmen wollten, den Befehl, keinen Menschen und auch die gnädige Contezza nicht einzulassen; ich gehorchte ihnen, und habe einen Verweis erhalten, wie er mir noch niemals gegeben wurde.«

»Daran sind Sie selbst schuld; hätten Sie die Contezza und diesen brutalen Fremden mit Gewalt abgewehrt, so wäre der ganze unangenehme Fall nicht passirt. Also, werden Sie uns melden oder nicht?«

Der Diener zögerte einige Sekunden und antwortete dann:

»Nun wohl, ich will es wagen.«

Er trat in das nebenanstehende Gemach und kehrte bald darauf mit dem Bescheide zurück, daß die Sennores eintreten dürften.

»Sehen Sie!« meinte Francas triumphirend. »Ich ersuche Sie, in Zukunft höflicher mit uns zu sein!«

Der Diener öffnete ihnen die Thür und machte, als sie eingetreten, hinter ihnen eine Pantomime, welche nichts weniger als Achtung und Höflichkeit ausdrückte.

Der Graf befand sich in demselben Zimmer, in welchem einige Tage vorher die Operation hatte vorgenommen werden sollen. Er lag in einem mit Sammet gepolsterten Ruhestuhl, und trug ein sehr bequemes Morgenhabit. Sein Aussehen war allerdings ein angegriffenes, keineswegs aber ein wirklich leidendes zu nennen.

Die drei Herren verbeugten sich tief vor ihm, obgleich er von dieser Verbeugung nichts sehen konnte. Der Graf winkte ihnen leicht entgegen, bedeutete sie durch eine Handbewegung, sich zu setzen, und begann dann:

»Sennores, Ihr habt wohl gehört, daß ich die Ruhe begehre. Wenn ich Euch trotzdem hier empfange, so mag Euch das ein Beweis meiner freundschaftlichen Gesinnung sein. Was wünscht Ihr, mir zu sagen?«

Francas erhob sich von seinem Sitze und begann:

»Erlauchtester Graf, es treibt uns Nichts, als die Sorge um Ihr Wohlbefinden, zu Ihnen. Wir hörten allerdings, daß Sie die äußerste Stille anbefohlen hätten, und da wir daraus auf eine Verschlimmerung Ihres so Besorgniß, erregenden Zustandes schließen mußten, so eilten wir herbei, um, wie es uns die Pflicht gebietet, Ihnen mit unserem ärztlichen Rathe zur Seite zu stehen.«

»Ich danke Euch!« erwiderte der Graf in seinem höflichsten Tone. »Ich fühle mich matt, sonst aber scheint mir ein Grund zu wirklicher Besorgniß nicht vorhanden zu sein.«


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»Gnädigster Herr,« fiel da Doktor Millanos aus Cordova ein; »oft hält der Leidende seinen Zustand für tröstlich, während doch gerade das Gegentheil stattfindet. Nur der Arzt vermag zu erkennen, welcher Art das Befinden seines Patienten ist.«

»Ihr mögt Recht haben,« antwortete der Graf mit einem leisen Lächeln. »Auch ich enthalte mich aller eigenmächtigen Beurtheilung meines Zustandes, und acceptire nur die ärztliche Ansicht. Sennor Doktor Sternau aber hat mich versichert, daß ich nichts zu befürchten habe, und nach Eurer eigenen Ansicht muß ich ihm als Arzt doch meinen Glauben schenken.«

Die drei Herren wechselten mit einander einen Blick, welcher die allergrößte Indignation ausdrückte, und Francas sagte mit einem finsteren Stirnrunzeln:

»Dieser fremde Sennor Sternau? Erlaucht, mein werther Kollege, Sennor Cielli hier, hat die Ehre gehabt, viele Jahre lang Ihr Hausarzt zu sein, und während dieser ganzen Zeit Ihr vollständiges Vertrauen zu genießen. Auch wir beiden Andern sind Ihrem ebenso ehren- wie vertrauensvollen Rufe gefolgt, um Sie von einem Leiden zu befreien, welches Ihnen den sicheren Tod bringt, wenn es nicht durch schnellste Eingreifung energischer Maßregeln gehoben wird. Wir vertreten die ärztliche Kunst und Geschicklichkeit unseres Vaterlandes; wir sind bereit, Ihnen das Leben zu retten, und wenn ein vollständig fremder, obscurer Medicaster zu ihnen kommt, vertrauen Sie ihm mehr, als uns, und beachten es nicht, daß Sie dieses Verhalten mit ihrem so kostbaren Leben bezahlen werden. Bedenken Sie, Erlaucht, daß in uns alle Vertreter der ärztlichen Wissenschaft in Spanien beleidigt werden.«

»Sennores,« erklärte der Graf, »Ihr geht zu weit! Doktor Sternau ist hier allerdings ein Fremder, doch einen obscuren Medicaster darf ihn Niemand nennen. Er ist einer der hervorragendsten Jünger seiner Kunst, wie ich mich vollständig überzeugt habe. Er hat die berühmtesten Universitäten seines Vaterlandes mit Ehren absolvirt und bei den geachtetsten Aerzten assistirt. Dann hat er mehrere Erdtheile bereist, um die Schätze seines Wissens zu vermehren, und ist nach seiner Rückkehr bei Professor Letourbier in Paris, den alle Welt als den bedeutendsten Chirurgen Frankreichs anerkennt, eingetreten, um seine Anschauungen und Erfahrungen zu verwerthen.«

»Das hat er wohl selbst erzählt,« meinte Cielli mit einem wegwerfenden Tone.

»Ihr irrt Euch! Sennor Sternau besitzt zu viel wahre Bildung, als daß er von sich redet. Meine Tochter hat in der ärztlichen Abtheilung Bücher gefunden, welche er geschrieben hat, und eine ganz Reihe von ärztlichen Zeitschriften, in denen von seinen Kenntnissen und Erfolgen in der lobenswerthesten Weise die Rede ist. Ein jeder Arzt, welcher sich bemüht, der Entwickelung seiner Wissenschaften zu folgen, muß den Namen Sternau kennen. Wer allerdings bequem und gegen seine Patienten gewissenlos genug ist, auf dem alten, fehlervollen Standpunkte zu beharren, wer sich für so untrüglich hält, daß er es verschmäht, die Literatur zu studiren, in welcher die segensreichen und oft staunenswerthen Erfolge der neueren Forschung niedergelegt sind, der wird die Namen wissenschaftlicher Capacitäten und Heroen niemals kennen lernen.«

Bei diesen Worten konnte keiner der drei Aerzte eine Bewegung des Zornes unterdrücken, und Doktor Francas fragte:


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»Erlaucht, haben wir die Worte »bequem« und »gewissenlos« vielleicht auf uns zu beziehen?«

»Nein,« antwortete der Graf in höflicher Gelassenheit. »Ich spreche im Allgemeinen und hielt allerdings Euch gegenüber es für meine Pflicht, den Ausdruck »obscurer Medicaster« zu berichtigen, da Sennor Sternau nicht anwesend ist und sich also nicht selbst vertheidigen kann.«

»So stellen wir uns mit dieser Erklärung zufrieden, Don Emanuel,« bemerkte Millanos. »Wir wissen sehr genau, daß nicht ein Jeder, welcher ein ärztliches Buch verfaßt, ein ärztlicher Heros sein wird, und beziehen dies gerade ganz strikte auf diesen Doktor Sternau. Wir dürfen uns rühmen, durch ganz Spanien einen Ruf zu besitzen, an welchem Niemand, am allerwenigsten ein Fremder, zu rütteln vermag. Wenn wir uns demnach herabgelassen haben, die fehlerhafte Prognose des Sennor Sternau zu kritisiren, so geschah dies aus Theilnahme für Eure Erlaucht, nicht aber etwa, weil wir meinen, daß er auf derselben wissenschaftlichen Stufe neben uns stehe. Wir erklären nochmals mit aller Ueberzeugung und Entschiedenheit, daß Ihr Leben nur durch einen schleunigen Schnitt gerettet werden kann, daß aber die Operation mittelst des Zangenbohrers Ihren augenblicklichen Tod zur Folge haben muß.«

»Ist dies wirklich Eure feste Ueberzeugung, Sennores?« fragte der Graf sehr ernst.

»Ja,« antworteten alle Drei.

Da tastete er nach einem kleinen Schächtelchen, welches neben ihm auf dem Tische lag, öffnete es und reichte es ihnen entgegen.

»Dann bitte, nehmen Sie einmal Einblick in den Inhalt dieses Etuis!« sagte er lächelnd.

Francas griff darnach, unterwarf den Gegenstand einer kurzen, oberflächlichen Untersuchung und gab es dann an Cielli weiter.

»Ein Pulver,« sagte er wegwerfend. »Wenn Sennor Sternau glaubt, Ihr Leiden durch eine innerliche Behandlung mit Pulvern und Tinkturen zu heben, so hat er sich damit selbst sein Urtheil gesprochen.«

»Ihr irret! Dieses Pulver soll nicht in das Innere meines Körpers kommen, sondern es ist aus demselben herausgenommen worden.«

»Ah!« rief Francas.

»Ja, Sennores! Heute in der Frühe hat Doktor Sternau mit der Zermalmung des Steines begonnen und dieses Pulver ist der sichtbare Erfolg seiner Bemühung. Ihr seht übrigens, daß ich nicht todt bin.«

Die drei Männer machten verlegene Gesichter, was der Graf aber infolge seiner Blindheit nicht bemerken konnte. Francas faßte sich schnell und fragte:

»Sind Eure Erlaucht auch wirklich überzeugt, daß dieses Pulver einen zermalmten Theil des Steines darstellt?«

Da machte der Graf eine Bewegung des höchsten Unwillens und rief:

»Sennor, glaubt Ihr etwa, Doktor Sternau sei ein Betrüger, ein Escamoteur? Das wäre ein unwürdiges Verhalten, mit welchem Ihr nur Euch selbst schaden würdet! Ich habe gefühlt, wie er den Stein packte; ich habe das Knirschen


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desselben gehört, als der Bohrer sich zu drehen begann, und ich fühle selbst jetzt die Reste des Pulvers von mir weichen.«

»Aber die Schmerzen, die Eure Durchlaucht auszustehen haben!« lenkte Francas ein.

»Schmerzen? Sie sind nicht von Bedeutung! Die Applikation des Bohrers war bereits vorbereitet und hat mir nur das Gefühl einer nicht angenehmen Ausdehnung verursacht; die Anbohrung des Steines war sehr wenig schmerzhaft und die einzigen wirklichen Schmerzen, welche ich erst jetzt empfinde, bestehen nur in jenem einfachen Weh, welches man bei jeder Affektion der Wasserwege empfindet.«

»Aber die anhaltende Dauer dieser Schmerzen!«

»Ich fühle und bin überzeugt, daß ich sie ertragen werde. Sennor Sternau besitzt mein vollständiges Vertrauen. Er hat mir heute bewiesen, daß seine Art, zu operiren, bei weitem nicht die Gefahr in sich schließt, wie diejenige, welche mir von Euch vorgeschlagen wurde. Ich glaube nun auch seiner Versicherung, daß die Blindheit meiner Augen heilbar sei. Sennores, laßt Euch ein Wort sagen! Doktor Sternau hatte die Absicht, nur unter Eurem Beirathe zu handeln, ist aber durch Eure Schroffheit zurückgestoßen worden. Er ist trotz seiner Jugend der Mann, von dem selbst erfahrene Aerzte lernen können. Schließt ihm Euch an und dann soll es mir lieb sein, auf Euren Rath hören und ihn berücksichtigen zu können.«

Da streckte Francas beide Hände wie zur Abwehr aus und sagte:

»Ich danke, Erlaucht! Es kann nicht meine Absicht sein, zu einem Manne in die Schule zu gehen, welcher selbst der Schule noch nicht entwachsen ist. Schenken Sie ihm mehr Vertrauen als uns, so können wir ja nichts dagegen thun; aber entgehen wenigstens können wir der Zumuthung, uns als Schüler betrachten zu lassen. Ich bitte um die Erlaubniß, nach Madrid zurückkehren zu können.«

»Auch ich werde noch heute wieder nach Cordova gehen, wo man mich kennt und mir vertraut,« bemerkte Millanos in stolzem, selbstbewußtem Tone.

»Und ich,« fügte Cielli bei, »bitte Eure Durchlaucht, mich von meiner Stellung als Hausarzt zu entheben. Vielleicht ist Sennor Sternau bereit, die dadurch entstehende Lücke auszufüllen.«

»Das ist ja eine Attaque, der ich als Einzelner, so überlegenen Kräften gegenüber, gar nicht widerstehen kann!« meinte der Graf mit seinem ruhigen Lächeln. »Schloß Rodriganda steht Euch jederzeit gastlich offen; wenn Ihr aber so stürmisch fort verlangt, so darf ich Euch allerdings Denen nicht entziehen, welche Eures Rathes und Eurer Hilfe nicht entbehren können. Legt meinem Rentmeister Eure Rechnungen vor, Sennores, und nehmt meinen herzlichsten Dank für das Wohlwollen, mit welchem Ihr Euch meiner Krankheit angenommen habt!«

»Den Dank haben wir bereits erhalten, Don Emanuel,« sagte Francas scharf. »Werden Sie die Güte haben, diesen Besuch gleich auch als Abschiedsvisite gelten zu lassen?«

»Dieser Wunsch ist auch mir genehm,« antwortete der Graf. »Reist mit Gott, Sennores!«


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Sie verbeugten sich und schritten hinaus. Draußen im Nebenzimmer aber blieben sie ganz unwillkürlich stehen, um sich anzublicken.

»Es ist aus!« meinte Francas.

»Leider!« fügte Millanos hinzu.

»Geschlagen!« zürnte Cielli. »Geschlagen von einem solchen Menschen.«

»Pah, noch nicht!« sagte Francas. »Wir reisen zwar ab, aber ich bin überzeugt, daß wir zurückgerufen werden!«

Sie schritten durch das Vorzimmer und mit einer keineswegs siegesstolzen Miene an dem Diener vorüber und trennten sich draußen, um sich ein Jeder in sein Zimmer zu begeben.

Als Francas das seinige betrat, fand er es nicht leer. Graf Alfonzo, nebst dem Notar und der frommen Schwester, hatten ihn hier erwartet.

»Nun, gelungen?« fragte der Erstere.

»Ja,« antwortete der Gefragte barsch.

»Gott sei Dank!«

»Spart Euren Dank für spätere Zeit, Graf!« meinte der Arzt. »Gelungen ist es allerdings, aber nicht uns.«

»Ah!«

»Nein, sondern diesem Sternau.«

»Wirklich?« fuhr der Notar auf. »Der Teufel soll ihn holen!«

»Aber sehr bald, sonst bin ich nicht mehr da!« lachte der Doktor ergrimmt.

»Ihr wollt abreisen?« fragte die Schwester erschrocken.

»Ja. Wir haben den Abschied erhalten und sollen dem Rentmeister unsere Rechnungen vorlegen.«

»Das ist ja außerordentlich! Das ist ja mehr als unhöflich! Das ist ja förmlich vor die Thüre hinausgeworfen!« meinte der Notar. »Ihr werdet nicht gehen!«

»Nicht? Meint Ihr?«

»Ja.«

»Da irrt Ihr! Doktor Francas hat nicht nöthig, einem halsstarrigen Patienten seine Hilfe aufzuzwingen.«

»Ihr sollt sie nicht aufzwingen, Sennor, sondern der Graf selbst wird Euch ersuchen, noch länger hier zu bleiben.«

»Möglich. Aber wie wollt Ihr ihn dazu vermögen?«

»Es wird Euch das nur einen kleinen Wink kosten. Aber vor allen Dingen erzählt uns Euer Gespräch mit dem Grafen.«

»Das war sehr kurz und bündig. Es ist aus Allem zu ersehen, daß er uns den Abschied ertheilt hätte, falls wir nicht so klug gewesen wären, ihn zu fordern.«

Er erzählte.

Graf Alfonzo hatte bis jetzt kein Wort weiter gesagt. Er stand mit finsterer Miene am Fenster. Aber als der Arzt geendet hatte, wandte er sich zu den Anderen herum und rief:

»Die Operation hat also begonnen? Wirklich?«

»Ja.«

»Ohne unser Vorwissen!«


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»Ja, ohne unser Vorwissen! Dieser Sternau zahlt uns mit unserer eigenen Münze.«

»Und Ihr glaubt, daß die Entfernung des Steines gelingt, Sennor Francas?«

»Ich bin überzeugt davon!«

»Das darf nicht geschehen! Das muß verhindert werden!«

»Wie wollen Sie es verhindern, Don Alfonzo?« fragte der Arzt mit einem lauernden Blicke.

»Sennor Cortejo wird es übernehmen.«

»Ja, ich werde es übernehmen, und es wird mir gelingen,« antwortete dieser mit entschlossener Miene.

»Ja, unser guter Sennor Gasparino wird dies besorgen,« meinte zustimmend Schwester Clarissa, »dieser fremde Eindringling wird uns keinen weiteren Schaden bereiten. Er darf die Wege der Vorsehung nicht kreuzen und der Zorn Gottes wird sein freches Haupt zerschmettern!«

»Doktor, wollt Ihr Euch entschließen, nur noch einen Tag auf Rodriganda zu verweilen?«

»Warum?« fragte Francas den Notar, der diese Frage ausgesprochen hatte.

»Weil ich überzeugt bin, daß der Graf morgen froh sein wird, wenn er erfährt, daß Ihr noch anwesend seid.«

»Könnt Ihr mir dies versprechen?«

»Ja.«

»Nun wohl, ich bleibe, aber nur bis morgen früh. Bin ich dann noch nicht zum längeren Verweilen aufgefordert worden, so reise ich ab.«

»Habt keine Sorge und verlaßt Euch ganz auf mich!« meinte Cortejo. »Jetzt aber muß ich gehen.«

Er verließ das Zimmer und auch das Schloß. Er wandte sich nach dem Parke zu. Als er denjenigen Theil desselben, welcher an den Wald stieß, erreicht hatte, trat er hinter ein Gebüsch und stieß einen kurzen aber scharfen Pfiff aus.

Nur einige Augenblicke später raschelte es in den Zweigen und es trat ein Mann zu ihm, der in die Tracht der dortigen Gegend gekleidet war, am Arme aber eine schwarze Kapuze hängen hatte.

Ihr seid es, Sennor

»Ihr seid es, Sennor,« meinte er. »Habt Ihr endlich einen Auftrag? Es ist ganz außerordentlich langweilig, so vergeblich im Walde zu liegen!«

»Ja, ich habe den Auftrag,« meinte Cortejo. »Heute muß es geschehen.«

»Ah - endlich! Aber wann?«

»So bald es paßt. Der Kerl ist jetzt nicht im Schlosse.«

»Ich weiß es, ich sah ihn gehen.«

»Wohin?«

»In den Wald. Ich schickte ihm einen meiner Leute nach, und Dieser meldete mir, daß er mit dem alten Förster nach den Bergen sei.«

»Also auf die Jagd! Könnte es nicht während derselben geschehen?«

»Nein, denn wir werden ihn schwerlich finden.«

»Dann also bei seiner Rückkehr in den Park.«

»Gut. Und wenn er von der anderen Seite kommt?«

»So wartet Ihr bis später. Er scheint die Gewohnheit zu haben, während


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der Dämmerung zu promeniren; dabei bietet sich Euch die beste Gelegenheit. Ich hoffe, daß es gelingen wird!«

»Ohne Zweifel, Sennor! Unsere Kugeln treffen sicher.«

»Nein, Kugeln nicht. Es muß mit dem Messer geschehen. Der Schuß würde Alarm machen, den ich vermeiden will. Wenn Ihr ihm das Messer dann in die Hand drückt, wird er als Selbstmörder gelten.«

»Ich muß Euch gehorchen; aber ein Schuß wäre sicherer. Dieser Mann scheint sehr stark zu sein und es wird vielleicht einen Kampf geben.«

»Ach so, ihr fürchtet Euch!« spottete Cortejo verächtlich.

»Das fällt uns gar nicht ein! Euer Auftrag wird auf jeden Fall erfüllt. Aber, wie steht es mit dem Gelde? Der Hauptmann hat mich beauftragt, es in Empfang zu nehmen.«

»Kommt heute punkt Mitternacht wieder hierher an dieselbe Stelle; da werde ich Euch die Summe ehrlich auszahlen. Ihr habt Kapuzen mit? Wozu?«

»Haltet Ihr uns für Anfänger?« lachte der Brigand. »Man muß alle Fälle überlegen. Wie leicht könnte man uns sehen und dann wiedererkennen. Die Kapuze ist das beste und sicherste Mittel, unentdeckt zu bleiben, Sennor!«

»So macht Eure Sache gut!« ermahnte der Notar, indem er sich umdrehte, um nach dem Schlosse zurück zu gelangen.

Der Brigand gehörte zu den Räubern, welche der Capitano dem Advokaten zur Ermordung Sternau's nach Rodriganda gesandt. Er hatte die Wahrheit gesagt. Sternau war mit einem der gräflichen Förster in den Wald gegangen, weniger um ein Wild zu erlegen, als vielmehr die frische, reine Berg- und Waldesluft zu genießen und die zu Rodriganda gehörenden Forste kennen zu lernen.

Diese Streiferei dauerte länger, als er erst beabsichtigt hatte, und es war bereits am späten Nachmittage, als er zurückkehrte.

Er trug die Büchse in der Hand, welche er von dem Grafen entlehnt hatte; der eine ihrer Läufe war mit Schrot und der andere mit einer Kugel geladen, denn er hatte keine Gelegenheit gefunden oder benutzt, einen Schuß zu thun. Irgend einer romantischen Stimmung zufolge, kehrte er nicht auf einem der gebahnten Wege zurück, sondern er zog es vor, durch den dichten, unwegsamen Wald zu streifen. Er befand sich allein, denn der Förster hatte sich von ihm verabschiedet, um nach seiner im Walde gelegenen Wohnung zu gehen.

So näherte er sich, in Gedanken versunken, mit langsamen Schritten dem Parke. Da sah er plötzlich einen lichten, glänzenden Punkt vor sich. Ein Waldweg führte vorüber und auf demselben ging Rosa, deren weißes Gewand hell durch die Baumgruppen schimmerte.

Es war, als ob sie Jemand suche oder erwarte, denn sie blieb zuweilen stehen und horchte in die Tiefe des Forstes hinein. Sie wußte, daß Sternau in den Wald gegangen war. Er kehrte nicht zurück, und eine ihr fremde und unerklärliche Unruhe trieb sie an, nach dem Parke zu gehen.

Er sah sie näher kommen. Sie war unendlich schön in dem einfachen, weißen Gewande, welches sich eng und innig an die vollen Formen ihres Körpers schmiegte. Sie trug nicht den mindesten Schmuck; der einzige, der als ein solcher gelten konnte,


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bestand aus zwei dunkelglühenden Nelken, welche aus der Fülle ihres prächtigen Haares blickten.

Da raschelte es vor ihr in den Büschen. Sie blickte auf und stand vor Sternau, welcher aus der Dichtung getreten war, um sie zu begrüßen.

Sie streckte, wie in froher Ueberraschung, die Arme aus, zog sie aber sogleich wieder zurück, während eine tiefe, glühende Röthe ihre Wangen färbte.

»Sennor,« sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wolle, »Ihr Erscheinen war so plötzlich - ich hatte Sie nicht erwartet!«

»Verzeihung, Donna Rosa!« antwortete er. »Ich kam durch den Wald und erblickte Sie. Da hielt ich es für meine Schuldigkeit, Ihnen zu zeigen, daß Sie nicht allein sind.«

»Der Notar hat nach Ihnen gefragt.«

»Ich ahnte es. Ich habe mich verspätet und werde mich nun beeilen.«

»Wollen Sie mich mitnehmen?« fragte sie, abermals erröthend.

»Gern!«

Er warf die Büchse auf den Rücken und bot ihr seinen Arm. Sie legte ihre Hand auf denselben und so schritten sie dem Parke und dem Schlosse zu.

»Wissen Sie, daß die drei Aerzte abreisen werden?« fragte sie, in dem Bemühen, ein unverfängliches Gespräch zu beginnen.

»Ah!« antwortete er. »Das ist mir nicht lieb. Ich hege keine Feindseligkeit gegen sie und habe sehr gewünscht, ihnen zeigen zu können, daß Don Emanuel gesund und sehend wird.«

»Glauben Sie wirklich, daß der Vater das Licht der Augen wieder erhält?«

»Ich bin beinahe überzeugt davon!«

»Und diese Männer haben es noch heute bestritten. O, Sennor, geben Sie dem Vater die Gesundheit und das Augenlicht zurück, und mein Herz wird niemals aufhören, ihnen zu danken!«

»Vertrauen Sie auf Gottes Hilfe. Er wird mich leiten, das Richtige zu treffen!«

»Er wird mich - - - o mein Gott, was ist das!«

Diese letzten Worte rief sie im höchsten Schrecke aus, denn gleich vor ihnen zertheilten sich die Büsche und zwischen ihnen kam ein in eine schwarze Kapuze gehüllter Kopf zum Vorschein, dessen dunkle Blicke wild aus den runden Augenöffnungen der Verhüllung hervorglühten.

»Drauf! Tödtet ihn!«

Diese Worte erklangen und in dem nächsten Augenblicke warfen sich mehrere Gestalten, welche aus den Büschen brachen und ebenso verhüllt waren, wie der Andere, mit gezückten Messern auf Sternau.

Dieser befand sich glücklicherweise nicht zum ersten Male in einer solchen Lage. Während seiner Wanderungen durch fremde Erdtheile hatte er mit den wilden Indianern Nordamerikas, den Beduinen der Wüste, den Malayen des ostindischen Archipels und den Papuas Neuhollands gekämpft. Er hatte sich dabei jene Geistesgegenwart angeeignet, welche kein Erschrecken kennt, keinen Augenblick zaudert und in jeder Lage sofort das Richtige ergreift.

Hollah, das gilt mir!

»Hollah, das gilt mir!« rief er.


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Er ließ den Arm seiner Begleiterin fahren und sprang mit Blitzesschnelle einige Schritte seitwärts. Ebenso rasch hatte er die Büchse hervorgerissen und angelegt; zwei Schüsse krachten und zwei der Vermummten stürzten zu Boden. Im Nu hatte er die Büchse umgedreht und ihr Kolben sauste auf den Kopf des Dritten der Angreifer nieder, so daß dieser lautlos zusammenbrach. In demselben Augenblicke erhielt er von dem Vierten einen Stich in den Oberarm, aber mit einer raschen Wendung packte er den Mann bei der Gurgel, ließ die Büchse fallen, da diese zu einem Hiebe jetzt zu lang war, und schlug dem Gegner die geballte Faust mit solcher Kraft an die Schläfe, daß er besinnungslos niedersank. Als er sich nach dem nächsten Angreifer umsah, war er entflohen.

Nun konnte er sich zu Rosa wenden. Der Schreck hatte ihr die Bewegung geraubt. Sie lehnte an einem Baume, dessen Stamm sie umschlungen hielt. Ihr Antlitz hatte die Bleiche des Todes und ihre Augen waren geschlossen, als getrauten sie sich nicht, den Kampf des Geliebten gegen eine solche Ueberzahl anzusehen.

Dieser Kampf hatte kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen. Einen solchen Gegner hatten sich die Briganden gar nicht vermuthet; er wog ein volles Dutzend solcher Leute auf, wie sie waren.

»Contezza,« sagte Sternau, indem er seine Hand auf den Arm Rosa's legte, »ist Ihnen unwohl?«

Der Klang seiner Stimme brachte sie wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf, und als sie ihn vor sich stehen sah, kehrte die Röthe des Lebens in ihre Wangen zurück.

»Carlos!« rief sie, beinahe jauchzend.

Der Uebergang vom tiefsten Schrecke zu einer solchen Freude war zu schnell und gewaltig. Sie dachte an keine Rücksicht, an keine Scheu, sie dachte nur daran, daß er getödtet werden sollte, und doch noch lebend war. Sie warf sich an seine Brust, schlang die Arme um ihn, und legte mit lautem Schluchzen des Entzückens ihr Köpfchen an sein Herz.

»Rosa!«

Dieses Wort sagte er leise, beinahe unhörbar, aber es klang eine ganze Welt voll Liebe und Glück aus den beiden Silben heraus.

»Rosa, beruhigen Sie sich. Diese Menschen sind zurückgewiesen worden.«

Da fiel Ihr Blick auf seinen blutenden Arm; sie fuhr erschrocken zurück und rief:

»Heilige Madonna, Sie bluten! Sie sind verwundet! O, mein Gott, was soll ich thun!«

»Tragen Sie keine Sorge,« bat er. »Ich fühle, daß es nur eine kleine, unbedeutende Fleischwunde ist. Der Stich galt meinem Herzen.«

»Diese bösen, fürchterlichen Menschen!« sagte sie schaudernd, während sie einen furchtsamen Blick auf die am Boden Liegenden warf. »Wer sind sie? Und was haben Sie ihnen gethan? Vier Mörder, Carlos, Sie starker, muthiger Mann, Sie sind ein Held!«

Sie legte sich abermals an seine Brust, und als sie ihre herrlichen Augen zu ihm erhob, strahlte aus ihnen ein solcher Strahl von Liebe, Hingebung und Be-


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wunderung, daß er nicht widerstehen konnte; er beugte sich zu ihr hernieder und legte seine Lippen zu einem langen, innigen Kusse auf ihren Mund.

Da fuhr sie zurück.

»Man kommt!«

Es ertönten wirklich eilige Schritte, welche sich vom Schlosse her nahten, und gleich darauf kamen drei Männer herbei. Es waren zwei Gehilfen des Gärtners und der kleine Kastellan, Sennor Juan Alimpo. Dieser Letztere war in den Garten gegangen, um einen Blumenstrauß für das Zimmer Sternau's zu holen.

Während des Abschneidens der Blumen hatte man die beiden, so kurz auf einander folgenden Schüsse gehört. Das war im Parke auffällig; darum vermutheten die Drei ein ungewöhnliches, vielleicht gar unglückliches Ereigniß, und eilten der Gegend zu, in welcher die Schüsse erklungen waren.

Als der Blick des Kastellans auf die Szene fiel, blieb er erschrocken stehen. »Gnädige Contezza! Sennor Sternau! Was ist geschehen?« rief er.

»Man hat den Sennor tödten wollen,« antwortete Rosa in noch immer großer Erregung.

»Tödten?« frug der Kleine. »O Gott! wie ist das möglich? Das muß ich meiner Elvira sagen!«

Er schlug die Hände zusammen und blickte sich um, als erwarte er, daß seine Elvira in der Nähe sei.

»Aber der Sennor hat gesiegt,« fuhr Rosa fort. »Er hat diese Vier getödtet.«

»Vier? Oh! Ah!« rief Alimpo erstaunt. »Vier Männer auf einmal!«

»Wohl nur Drei,« verbesserte Sternau. »Diesen hier traf ich mit der Faust. Er wird nur betäubt sein.«

»Betäubt! Mit der Faust! Einen solchen Hieb brächte ich im ganzen Leben nicht fertig! Das muß ich meiner Elvira sagen!«

»Kommt, helft mir den Leuten die Kapuzen abnehmen,« gebot Sternau. »Wir wollen einmal sehen, ob Jemand sie kennt.«

»Aber Sennor, wollen Sie sich nicht vor allen Dingen verbinden lassen?« fragte Rosa.

»Das hat Zeit, Donna Rosa,« antwortete er. »Der Stich ist wirklich nicht gefährlich.«

»Einen Stich! Einen richtigen, wirklichen Stich!« rief Alimpo. »O, mein Gott, das ist ja schrecklich. Das Blut läuft ja zur Erde nieder! Ach, wenn doch nur gleich meine Elvira da wäre; sie würde Euch verbinden! Kommt her, Sennor; ich will Euch wenigstens einstweilen das Taschentuch um den Arm binden!«

Sternau streckte ihm lächelnd denselben entgegen, und der brave Kastellan band sein Tuch so fest darum, daß das Blut nicht mehr hindurchdringen konnte.

»So das war das Nothwendigste,« meinte er. »O, heiliger Sebastiano, ein Mordanfall auf Schloß Rodriganda! Ein Mordanfall mit vier - und dabei von dem Angefallenen drei getödtet, und einen - was wird meine Elvira dazu sagen.«

Er bückte sich nieder, und die beiden Gärtner halfen ihm, von den Gefallenen die Kapuzen zu entfernen. Es stellte sich heraus, daß man die vier Männer nicht kannte. Drei von ihnen waren wirklich todt. Zweien waren die Schüsse aus unmittelbarer Nähe gerade durch das Herz gedrungen, und dem Dritten war durch


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den Kolbenschlag der Schädel vollständig zerschmettert worden. Rosa wandte sich schaudernd von diesem Anblicke ab.

»Welch ein Hieb!« meinte Alimpo. »Wie mit einem Dampfhammer! Sennor, Ihr habt mehr Körperstärke, als zehn andere Männer zusammen.«

»Hat Jemand eine Schnur, oder dem Aehnliches bei sich?« fragte Sternau, welcher soeben den Vierten untersuchte. »Dieser ist wirklich nur besinnungslos. Wir müssen ihn binden. Er wird uns sagen, wer er ist, und weshalb mich seine Gefährten tödten wollten.«

»Ja, das wird er sagen müssen,« betheuerte Alimpo; »sonst, ja sonst zerreiße ich ihn! ja, Sennor, ich bin ein grimmiger Mensch, wenn ich einmal in die Wuth gerathe!«

Sternau lächelte und frug:

»Seid Ihr denn schon einmal in Wuth gewesen, Sennor Alimpo?«

»Nein, noch niemals; aber ich ahne, daß ich dann ganz schrecklich bin, ungefähr so fürchterlich, wie ein Tiger, oder ein Krokodil, oder gar wie eine - Fledermaus.«

Dem guten Juan Alimpo schienen die Fledermäuse also die allergrimmigsten Thiere zu sein. Uebrigens zog er jetzt eine Schnur aus der Tasche und band dem Besinnungslosen die Hände so fest auf den Rücken zusammen, daß dieser sie sicher nicht zu rühren vermochte, wenn er wieder zum Bewußtsein kommen werde.

»So, der ist gebunden,« meinte er. »Was befehlt Ihr noch, Sennor?«

»Ich werde jetzt mit der gnädigen Contezza nach dem Schlosse gehen, um Euch Leute zu senden,« antwortete Sternau. »Dieser Eine wird sofort, nachdem er erwacht ist, in ein sicheres Gewahrsam gebracht; die Andern aber müssen wir liegen lassen, bis der Alkalde kommt, um den Thatbestand aufzunehmen.«

»Ein sicheres Gewahrsam haben wir, Sennor, ein Gewahrsam, aus welchem er mir nicht entkommen soll!«

»Schön! Das ist sehr nothwendig! Aber nehmt Euch jetzt hier noch sehr in Acht! Es sind Mörder entkommen. Wir wissen nicht, wie viele es ihrer sind, und es ist also möglich, daß sie zurückkehren, um den Gefesselten zu befreien.«

»Wiederkommen? Befreien?« fragte der Kastellan erschrocken. »Und da soll ich hier bleiben?«

»Ja.«

»Aber, wenn sie nun gar stechen, oder schießen, Sennor? Das ist sehr gefährlich! O, wenn das meine Elvira wüßte!«

»Ich halte Euch für einen sehr muthigen Mann, Sennor Juan Alimpo!« sagte Sternau lächelnd.

»Muthig? O, das ist noch nichts!« antwortete der Kleine. »Ich bin nicht nur muthig, sondern sogar tapfer und verwegen, ja, über alle Maßen verwegen, und zwar ganz besonders in Gefahren! Aber ein Stich ist eine böse Sache, und ein Schuß kann noch viel schlimmer sein!«

»Nun gut! Ich werde Euch meine Büchse laden und zurücklassen, und außerdem sind ja die Messer dieser Todten da. Das ist genug, sich zu vertheidigen.«

Er lud die Büchse und reichte sie dann dem Kastellan hin; dieser aber trat drei Schritte zurück und sagte mit einer abwehrenden Geberde:

»Mir nicht, Sennor! Ich mag das Gewehr nicht! Wenn man es falsch hält,


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und es geht los, so kann man sich ganz leicht selbst treffen. Gebt es diesen beiden Gärtnern! Es sind zwei Läufe geladen, und da kann jeder von den Beiden einen Schuß thun, wenn wir überfallen werden; ich aber will die Messer dieser vier Besiegten nehmen. Damit kann ich unter Umständen vier Feinde stechen und vollständig tödten.«

Es geschah so, wie er verlangte; dann bot Sternau der Gräfin von Neuem den Arm und führte sie dem Schlosse entgegen. Dort angekommen, bat er sie, den Grafen Emanuel aufzusuchen, und dafür zu sorgen, daß ihn die Kunde von dem Ueberfalle nicht unvorbereitet finde und vielleicht in eine schädliche Aufregung versetze. Dann sorgte er dafür, daß sofort eine Anzahl Schloßarbeiter nach dem Thatorte gingen, und erst nun begab er sich nach seinem Zimmer, um sich zu verbinden.

Auf der Freitreppe begegnete ihm die fromme Schwester Clarissa, welche einen Spaziergang unternehmen zu wollen schien. Sie erblickte das Tuch um seinen Arm und frug sogleich:

»Sennor, was sehe ich! Ihr tragt ein Tuch um den Arm, und Eure Kleidung ist blutig! Um Gott, was ist geschehen?«

Sternau wunderte sich ein wenig, daß die Dame, welche von ihm nicht die geringste Notiz genommen hatte, und stets an ihm vorübergerauscht war, ohne ihn bemerken zu wollen, ihn jetzt anredete. Doch antwortete er in höflichem Tone:

»Ich bin verwundet, Sennora.«

Verwundet? Mein Gott! Ist das möglich? Wer ist es, der Euch verwundet hat, Sennor?«

»Man kennt die Leute nicht.«

»Leute? Es waren mehrere?«

»Ja.«

»Also kein Duell etwa?«

»Nein, ein Mordanfall.«

»Heilige Lauretta, ist man seines Lebens hier auf Rodriganda nicht mehr sicher? Aber,« fügte sie mit einem forschenden Seitenblicke hinzu, »Ihr sagtet, daß man sie nicht kenne. So sind also diese Mörder auch außer Euch von jemand gesehen worden?«

»Von dem Kastellan und zwei Gärtnern.«

»Und dann sind sie geflohen?«

»Einer oder Einige sind entkommen; Drei habe ich getödtet, und der Vierte ist unser Gefangener. Der Kastellan wird ihn sogleich bringen.«

Das Gesicht der frommen Dame wurde leichenblaß. Sie konnte sich vor Schreck kaum halten und sagte daher, jedoch mit zitternder Stimme:

»Verzeiht, Sennor, diese Nachricht erschreckt mich so, daß mir ganz schwach und übel wird! Ein Mordanfall! Möge Gott die That an das Tageslicht ziehen und die Anstifter derselben bestrafen! Ich fühle mich so angegriffen, daß ich meinen Spaziergang, welchen ich beabsichtigte, gar nicht unternehmen kann.«

»Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, Sennora, um Sie nach Ihren Gemächern zu geleiten?« frug er.

Sie nickte und stützte sich auf ihn, was sie unter andern Umständen sicherlich


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nicht gethan hätte. Aber die Angst, entdeckt zu werden, raubte ihr wirklich alle Kräfte, daß sie schwer am Arme des Arztes hing.

Dieser geleitete sie bis an ihre Thür und verabschiedete sich von ihr durch eine tiefe Verneigung. Er war froh, fort von ihr zu können, denn es gab in ihm ein Etwas, was sich gegen diese alte, fromme Dame sträubte. Diese Letztere trat in ihr Zimmer und sank dort sogleich ganz kraftlos in einen Divan. Bald aber klingelte sie nach ihrem Mädchen und befahl demselben, Sennor Gasparino Cortejo sofort zu ihr zu bescheiden.

Es dauerte nicht lange, so trat er ein, außerordentlich verwundert über die Eile, welche seine Verbündete hatte, ihn bei sich zu sehen.

»Ihr schickt nach mir, Clarissa. Was giebt es so Eiliges?« fragte er.

»Ein Unglück, ein sehr großes Unglück, Sennor!« rief sie.

»Welches Unglück?«

»O, ich bin so schwach, daß ich es kaum erzählen kann!« jammerte sie.

»Bah!« meinte er ruhig. »Ihr könnt sprechen, und folglich wird es Euch auch möglich sein, zu erzählen, was Euch so außerordentlich übermannt.«

»Aber, es ist zu schrecklich! Es kann um uns geschehen sein, Sennor!«

»Alle Teufel, jammert nicht, sondern redet! Ihr erschreckt mich ganz ohne Nutzen mit Eurer Fassungslosigkeit. Ist ein Unglück geschehen, nun, heraus damit!«

»Nun, so hört! Dieser Doktor Sternau ist überfallen worden.«

»Wo?«

»Im Parke.«

Ueber die raubvogelartigen Züge des Notars glitt ein befriedigtes Lächeln. Er wähnte, daß sein Anschlag glücklich ausgeführt worden sei, und sagte daher in einem verweisenden Tone:

»Nun, was ist da weiter? Ich sehe darin kein Unglück! Wer hat zu Euch von diesem Ueberfalle gesprochen?«

»Das ist es ja eben! Hätte ich es von einer andern Person erfahren, so hätte ich in aller Ruhe meine Hände gefaltet und Gottes Gerechtigkeit gepriesen; so aber - - -«

»Nun, was denn aber? Redet doch, zum Teufel!«

»Er hat es mir selbst erzählt.«

»Er? Wer?«

»Der Doktor.«

»Der Doktor? Doch wohl der Doktor Francas!«

»Nein, sondern dieser Doktor Sternau.«

Der Notar fuhr erschrocken zurück.

»Doktor Sternau? Nicht möglich!« meinte er mit unsicherer Stimme.

»Nicht möglich, sagt Ihr? O, es ist nicht nur möglich, sondern sogar wirklich, Sennor. Ich war von der Nachricht so erschreckt und betroffen, daß ich es mir gefallen lassen mußte, von diesem verhaßten Menschen nach meinem Zimmer geführt zu werden.«

»Alle Teufel!« knirschte der Notar. »So ist er entkommen?«

»Er war nur leicht am Arm verwundet.«


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»O, diese Schufte! Ich werde ihnen lehren müssen, ein Messer richtig zu führen.«

»Ihr werdet es ihnen leider nicht lehren können.«

»Nicht? Warum?«

»Drei von ihnen hat er getödtet, und der Vierte ist gefangen.«

»Teufel!« fluchte der Advokat durch die Zähne. »Das ist schlimm! Die Todten können nicht reden; aber dieser Gefangene, der kann gefährlich werden!«

»Kann er etwas verrathen?«

»Das versteht sich! Diese Burschen haben mich ja gesehen; sie kennen mich, denn ich habe mit ihnen sprechen müssen.«

»O wehe! Sennor, Ihr seid unvorsichtig gewesen.«

»Laßt das Schreien und Klagen! Ich habe keine Lust, in dieser fatalen Lage noch Vorwürfe anzuhören. Es muß ein Ausweg gefunden werden.«

»Ja, ja! Es giebt einen solchen, aber auch nur einen einzigen!« rief sie schnell und von Neuem belebt.

»Welchen?« fragte er.

»Man muß diesen Gefangenen befreien.«

»Das geht. Aber man wird da bis zur geeigneten Stunde warten müssen, und es fragt sich, ob der Mann bis dahin schweigen kann. Da die gerichtliche Kommission, welche zur Aufnahme des Sachverhaltes eintreffen muß, erst morgen hier sein und auch erst dann den Gefangenen mitnehmen wird, so bleibt er für die Nacht jedenfalls im Schlosse eingesperrt. Da wird es leicht sein, ihm die Freiheit zu geben. Aber bis dahin kann er bereits Alles verrathen haben.«

»So muß ihm ein Wink gegeben werden.«

»Ja, richtig! Diese Geschichte hat mich ganz kopflos gemacht. Es ist ja gar nichts Gewagtes dabei, wenn ich in den Park gehe, um mir den Ort des Ueberfalles anzusehen. Aber, beim Teufel! Dieser Deutsche ist mir heut entkommen, zum zweiten Male jedoch soll es ihm nicht gelingen: Er gegen so Viele! Der Kerl muß eine wahre Elephantenstärke besitzen, und daraus lernt man, daß ihm nur mit List beizukommen ist.«

»Aber, wie werdet Ihr es beginnen, um den verhaßten Deutschen endlich zu beseitigen?« fragte die fromme Dame eifrig.

»Ueber das »Wie?« bin ich mit mir noch nicht zu Rathe gegangen,« erwiderte der Bundesgenosse Clarissa's.

»Fallen muß dieser Doktor Sternau, wenn wir unseren Plan nicht aufgeben wollen,« bemerkte die Dame entschieden.

»In keinem Falle dürfen wir unser Vorhaben außer Acht lassen,« pflichtete der Notar bei, »darum werde ich jedes Mittel für recht halten, das uns zum Ziele führt.«

Clarissa nickte zustimmend und der Notar fuhr fort:

»Ich gehe jetzt, um den Platz zu besehen, wo das Treffen stattgefunden hat.«

Er ging und eilte nach dem Parke, in welchem sich bereits ein großer Theil der Schloßbewohner versammelt hatte, herbeigeführt von einem Ereignisse, wie es in Rodriganda noch nicht vorgekommen war. - - -


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Drittes Kapitel.

Die ersten Spuren.

»Ich suche Dich, o Vaterhaus,
   Von dem mich finstre Mächte trennen.
Ich kämpfte gern manch' heißen Strauß,
   Zu finden Dich und zu erkennen!

Ich suche Dich, o Mutterherz,
   Und hör' kein Echo meiner Klagen.
Ich trüge gern den größten Schmerz,
   Um Dir mein Leid und Weh zu klagen!

Ich suche Dich, o Vaterhand,
   Der man mich mit Gewalt entrissen,
Und werde wohl von Land zu Land
   Fremd und erfolglos wandern müssen!«

Es geschah ganz so, wie Sennor Gasparino Cortejo zu seiner Verbündeten gesagt hatte. Während die drei Leichen im Parke unter Bewachung liegen blieben, wurde der Gefangene in das Schloß geschafft. Es war derselbe, welchem der Notar heut seine Verhaltungsregeln ertheilt hatte. Sie begegneten einander kurz vor dem Schlosse. Es gelang Cortejo, unbeobachtet von Andern seine Finger auf den Mund zu legen, so daß der Brigand es bemerkte. Dieser nickte als Antwort leicht vor sich hin, während ein Lächeln der Freude über sein finsteres Gesicht huschte. Dieser Mann konnte es sich denken, daß Cortejo ihn nicht verlassen werde, wenn nur er selbst sich der Hilfe würdig erweise.

Der Graf gerieth bei der Kunde, daß sein Gast und Arzt hatte ermordet werden sollen, in eine ganz ungewöhnliche Aufregung, und es gelang Rosa nur schwer, ihn zu beruhigen; doch befahl er, daß die Untersuchung mit aller Strenge geführt werden solle.

Die drei Aerzte reisten noch am Abende ab. Sie ahnten, wer der Auftraggeber der Mörder sei, und glaubten nach dem Mißerfolge nun, für die erste Zeit keine Chancen mehr zu haben.

Sternau hatte seine Vermuthung, daß seine Wunde nicht bedeutend sei, bestätigt gefunden. Er sah sich von ihr nicht im Mindesten behindert, und konnte sich also ohne Unterbrechung dem Grafen widmen. Er war bei allen Bediensteten des Grafen trotz der Kürze seines Hierseins bereits außerordentlich beliebt, und darum war man gespannt, zu hören, wer ihm nach dem Leben getrachtet habe. Leider verweigerte der Gefangene jedwede Auskunft. Er verschwieg hartnäckig, wer er sei und wer ihn veranlaßt habe, Sternau zu überfallen. Man mußte sich also auf den späteren Verlauf der Untersuchung vertrösten.

Am Eingehendsten wurde das Ereigniß in der Wohnung des Kastellans besprochen. Es dürfte gewiß ein ungewöhnlicher Genuß sein, den beiden braven Eheleuten zuzuhören.

»Also, liebe Elvira, ich werde Dir es genau erklären,« sagte Alimpo.


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»Ja, sehr genau, lieber Alimpo!« erwiderte Elvira.

Der Kastellan nahm einen Borstenbesen in die Hand, blickte sich sehr ernsthaft und forschend in der Stube um, und meinte dann:

»Also Fünf werden es gewesen sein. Denke Dir einmal, der Erste sei dort der Uhrkasten, der Zweite der Kleiderschrank, der Dritte der Blumentisch, der Vierte die Astrallampe hier und der Fünfte der Koffer dort in der Ecke. - Verstanden?«

»Sehr gut, lieber Allimpo.«

»Schön! Also die fünf Mörder haben wir. Wir brauchen also nur noch den Doktor Sternau, den sie ermorden wollen, und die gnädige Contezza. - Sennor Sternau bin ich, und Contezza Rosa bist Du, meine gute Elvira. Verstanden?«

»Sehr! Die gnädige Contezza Rosa bin ich!«

Bei diesen Worten richtete sich die dicke Kastellanin möglichst empor, und gab sich Mühe, sich in eine gräfliche Positur zu werfen.

»Nun gehe ich, Doktor Sternau, auf die Jagd,« fuhr der Kastellan fort, »und komme jetzt wieder zurück, indem ich die Doppelbüchse auf der Achsel habe.«

Bei diesen Worten legte er den Borstenbesen über die Schulter und erklärte weiter:

Da treffe ich im Parke Dich, meine liebe Elvira, nämlich unsere gnädige Gräfin Rosa. Ich mache ihr natürlch eine Verbeugung und sie mir auch.«

Bei dieser Erklärung machte er seiner Frau ein sehr tiefes und ehrfurchtsvolles Kompliment, und sie versuchte, ihren starken Körper ebenfalls zu einer Verneigung zu zwingen. Dann fuhr er fort:

»Indem wir uns verneigen, werde ich von fünf Mördern angefallen. Der Erste, also der Uhrkasten, kommt auf mich zugesprungen; ich aber reiße mein Gewehr von der Achsel und schieße ihn mit dem einen Laufe todt - puff«

Bei diesen Worten nahm er den Besen von der Schulter, legte ihn an, zielte und schoß mit dem Munde. Dann erklärte er weiter:

»Jetzt kommt der Zweite, also der Kleiderschrank, mit dem Messer auf mich zu. Ich aber schieße ihn nieder - puff. Nun kommt der Dritte, der Blumentisch, auf mich zu. Ich habe keinen Schuß mehr, und muß ihn also mit dem Kolben erschlagen.«

Er drehte den Besen um und versetzte dem Tische einen Hieb.

»Jetzt kommt der Vierte, nämlich die Astrallampe. Ich habe keinen Schuß mehr, und die Lampe ist mir bereits so nahe, daß ich mit dem Kolben gar nicht ausholen kann; ich muß ihr also mit der Faust so Eins versetzen, daß sie in Ohnmacht fällt, ungefähr so - - -«

Er faßte die Lampe mit der Linken, holte mit der Rechten aus und schlug zu - klirr prasselten die Scherben zur Erde nieder.

Der gute Kastellan war durch seine Phantasie verleitet worden, aus dem Gebiete des Figürlichen auf dasjenige des Wirklichen überzugehen.

»Aber, lieber Alimpo,« meinte die Kastellanin, »was machst Du denn da für Dummheiten.«

»Sei still, meine gute Elvira,« antwortete er. »Du bist jetzt die gnädige Contezza Rosa, und die hat über diese Lampe gar nichts zu sagen. Ich mußte ja den Vierten erschlagen, weil er mich mit dem Messer in den Arm gestochen hat.«


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»Recht hast Du eigentlich,« gab sie zu; »aber Schade ist es dennoch um die schöne Lampe. Und weil Du sie für unsern lieben Sennor Sternau erschlagen hast, so mag es für dieses Mal hingehen.«

»Ja, Elvira, nur für ihn habe ich sie erschlagen. Und für ihn würde ich noch ganz andere Dinge erschlagen. Ich hatte ja im Parke mich bereits mit vier Messern bewaffnet, um die Kerls zu erstechen.«

»Du?« frug sie ganz erstaunt.

»Ja, ich, Dein Alimpo!« antwortete er stolz.

»Heilige Madonna! Vier Messer! Wen wolltest Du denn erstechen?«

»Die entflohenen Mörder, wenn sie zurückgekommen wären.«

»Mein Gott!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Mensch! Mann! Alimpo! Du bist ja der reine Wütherich! Du dürstest ja nach Blut! Höre, ich darf Dich nicht mehr aus den Augen lassen, denn Dein Temperament wird mir zu tapfer und verwegen.«

»Ja, das braucht man auch!« antwortete er, indem er sich mit einer sehr martialischen Geberde die beiden Bartflocken strich, welche gerade unter der Nase über seinen Mund herabhingen. Die Spitzen des Schnurrbartes trug er abrasirt. »Gehe einmal hinauf in die Rüstkammer, liebe Elvira, und hole mir das Schwert des alten Ritters Arbicault de Rodriganda herunter.«

»Das Schwert? Das große, ungeheure Schwert?« frug sie erstaunt. »Warum denn?«

»Weil ich heut Nacht den Gefangenen zu bewachen habe.«

»Bist Du toll!« rief sie. »Den Gefangenen willst Du bewachen? An seine Thür willst Du Dich stellen, mit dem Schwerte in der Hand? Wenn er nun ausbricht! Willst Du denn geradezu in den Tod gehen? Willst Du Dich denn mit aller Gewalt für die Andern aufopfern, mein guter Alimpo?«

»Nein! das fällt mir nicht ein. Aber hole nur das Schwert herab! Ich werde den Gefangenen unten im Gewölbe mit dem Schwerte hier in meiner Stube bewachen. Bricht er ja aus, so sieht er mich nicht. Und kommt er ja in die Stube, so wird er das Schwert erblicken und entfliehen, wenn er nicht ganz und gar blutdürstig ist. Uebrigens werde ich jetzt in Begleitung der Knechte einmal hinabgehen, um nachzusehen, ob die Riegel fest vorgeschoben sind.«

Er ging und ahnte nicht, daß es Leute im Schlosse gab, vor denen diese Riegel nicht sicher waren.

Um dieselbe Zeit kam Contezza Rosa ganz athemlos vor freudiger Ueberraschung zum Grafen, bei welchem sich Sternau befand.

»Mein Vater, ich habe Dir eine recht gute Kunde zu bringen,« sagte sie.

»Welche?«

»Soeben empfing ich diesen Brief, den ich Dir vorlesen muß.«

»So lies, wenn es Sennor Sternau erlaubt,« sagte er mit freundlichem Lächeln.

»O, Sennor erlaubt es!« antwortete sie. »Höre also!«

Sie las folgende Zeilen:

»Meine theure Rosita!
Gleich nach meinem gestrigen Briefe muß ich Dir diese Zeilen senden.


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Vater ist als Consul nach Mexiko designirt. Er muß schleunigst hinüber, und ich begleite ihn natürlich. Vorher aber muß ich Dich noch einmal sehen. Ich komme nach Rodriganda und werde übermorgen da eintreffen. Kannst Du, so hole mich in Pons ab, wo ich eine halbe Stunde ruhen werde.
   Vermelde dem gnädigen Grafen meinen Respekt, und sei herzlich gegrüßt von
Deiner
Amy Lindsay.«

»Ist das nicht eine recht große und angenehme Ueberraschung, mein Vater?« fragte die Vorleserin.

»Allerdings, mein Kind,« antwortete er. Und sich an den Arzt wendend, sagte er: »Miß Amy Lindsay ist nämlich die Tochter von Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell, der längere Jahre in Madrid lebte, wo sich die Damen kennen lernten.«

»Erlaubst Du, daß ich morgen früh nach Pons fahre, um sie abzuholen?« fragte Rosa den Grafen.

»Gern!« antwortete dieser. »Habe ich recht gehört, so ist gerade morgen der Jahrmarkt in Pons. Es wird gut sein, den Kastellan mitzunehmen, mein Kind.«

»Das wird ein sehr muthiger Cavalier und Beschützer sein,« lachte sie.

Gern hätte Sternau seine Begleitung angeboten, doch einestheils hätte das nicht mit dem gesellschaftlichen Verhältniß im Einklange gestanden, und anderntheils konnte er seinen Patienten nicht verlassen; darum blieben seine Worte, welche ihm bereits auf den Lippen schwebten, unausgesprochen. - -

Kurze Zeit später, als Alles sich zur Ruhe begeben hatte, schlichen sich zwei Männer hinab nach dem Gewölbe, in welches man den Gefangenen eingesperrt hatte. Es war Graf Alfonzo und der Notar Cortejo. Vor der Thür des Gewölbes standen zwei Diener, welchen die Aufgabe zugefallen war, den Räuber zu bewachen. Unten angekommen, blieb der Notar zurück, während der Graf einen lauten Schritt annahm, so daß die Wächter sein Kommen hörten. Sie saßen mürrisch am Boden und hatten eine Laterne brennen. Als sie ihren jungen Herrn erkannten, erhoben sie sich ehrfurchtsvoll.

»Hier hinter dieser Thür steckt der Kerl?« fragte Alfonzo.

»Ja,« antwortete der Eine.

»Ich hoffe, daß Ihr gute Wache haltet! Laßt Ihr ihn entkommen, so dürft Ihr auf keine Nachsicht rechnen. Gebt einmal die Laterne her.«

Er that, als ob er sich seine verlöschte Cigarrette anbrennen wolle, griff jedoch absichtlich nicht richtig zu und stieß dem Diener die Laterne aus der Hand, so daß diese zur Erde fiel und zerbrach.

»Ungeschickter!« zürnte er. »Hebe die Laterne auf; ich werde selbst Licht machen.«

Dabei aber bückte er selbst sich schnell zu Boden und hob die Laterne unbemerkt auf. Während die Diener nun vergeblich umhertasteten und er laut über sie zankte, schlich der Notar herbei, öffnete geräuschlos die Thür des Gewölbes und trat hinein. Graf Alfonzo stellte sich so, daß die Diener nichts bemerken konnten, und als er einige Augenblicke später die Hand des Notars auf seiner Schulter fühlte, zum Zeichen, daß ihr Vorhaben gelungen sei, legte er die Laterne leise auf den Boden nieder und trat zurück.

»Nun, soll ich vielleicht selbst mit suchen helfen?« zürnte er.


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»Hier ist sie, Don Alfonzo,« meinte da der Eine der Leute »Aber das Oel ist verschüttet.«

»So holt anderes. Bis dahin aber brennt der Docht wohl noch.«

Er zog ein Zündholz hervor und steckte das Lämpchen in Brand. Dann öffnete er die Thür des Gewölbes, deren Riegel der Notar leise wieder vorgeschoben hatte, und leuchtete hinein. Das geschah jedoch in der Weise, daß die Diener keinen Blick in das Innere werfen konnten.

»Der Mensch schläft, oder er stellt sich nur so,« sagte er, die Thür wieder verschließend. »Es ist am Besten, man stört ihn nicht!«

Mit diesen Worten drehte er sich langsam um und stieg die Treppe wieder empor.

Unterdessen hatte sich der Notar mit dem Gefangenen fortgeschlichen. Sie gelangten unbemerkt aus dem Schlosse und schritten leise und wortlos in das Dunkel der Nacht hinein. Endlich, als sie keine Ueberraschung mehr zu befürchten hatten, blieb der Advokat stehen und meinte mit harter Stimme:

»Du hast Deinen Auftrag ausgezeichnet ausgeführt, mein Bursche. Soll ich Dir den Preis auszahlen?«

»Verzeihung, Sennor!« antwortete der Andere. »Man kann auch einmal unglücklich sein in einem Unternehmen.«

»Aber in keinem so wichtigen! Der Capitano scheint mir lauter Feiglinge geschickt zu haben.«

Der Brigand trat um einen Schritt näher heran und sagte mit flüsternder, aber dennoch sehr scharfer Stimme:

»Wollt Ihr mich beleidigen, Herr?«

»Bah! Wenn so Viele gegen Einen stehen und ihn doch nicht niedermachen, so sind sie Feiglinge!«

»Oho, Sennor! So schlagt ihn doch selbst nieder! Wenn Einer mit einem Andern den ganzen Tag zusammenlebt und täglich zehnmal Gelegenheit hat, sich seiner zu entledigen, und sich dennoch an Andere wendet, so ist er ein Feigling. Merkt Euch das, Sennor! Ihr seid weder ein Capitano noch sonst ein Mann, von dem ich ein Wort, welches mir nicht paßt, anhören muß. Ihr seid nichts Besseres als ich; wenn ich Euch verrathe, so seid Ihr verloren, und darum solltet Ihr vorsichtig sein, mich zu beleidigen. Es giebt nicht einen einzigen Feigling unter meinen Kameraden.«

»Warum habt Ihr diesen Menschen dann nicht überwältigt ?«

»Wer konnte es ahnen, daß er eine solche Stärke besitzt und ein solcher Teufel ist, Sennor!«

»Ihr wart ja in der Mehrzahl!«

»Aber wir sollten ihn nur mit dem Messer angreifen, so hattet Ihr uns geboten. Ein guter Schuß war das Sicherste, das aber habt Ihr nicht gewollt, und so tragt nur Ihr allein die Schuld an dem Mißlingen des Unternehmens.«

»Ach so!« lachte der Notar. »Du wirst mir wohl gar die Bezahlung abverlangen, gerade so, als ob Ihr Eure Schuldigkeit gethan hättet.«

»Allerdings thue ich das! Ihr tragt allein die Schuld, und meine Kameraden sind getödtet. Ihr werdet zahlen müssen.«

»Nicht eher, als bis dieser deutsche Doktor todt ist!«


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»So versucht es selbst, ihn zu tödten - wenn es Euch gelingt nämlich!«

»Dazu seid Ihr da!« zürnte der Notar.

»Jetzt nicht mehr, Sennor! Wir haben nach Eurer Anweisung gehandelt. Daß diese Anweisung schlecht war und uns die Sache verdarb, dafür können wir nicht. Ich fordere das Geld. Gebt Ihr es nicht, so werdet Ihr noch viel mehr bezahlen müssen, denn der Hauptmann wird dann für unsere Todten eine Entschädigung verlangen.«

»Geht zum Teufel, Ihr Schurken!«

»Gut, ich gehorche und gehe!« lachte der Räuber höhnisch und war im nächsten Augenblicke im Dunkel der Nacht verschwunden.

Das hatte der Advokat nicht erwartet. Er rief so laut, als es die Vorsicht ihm gestattete, erhielt aber keine Antwort. Dies brachte ihn in die größte Verlegenheit. Wie nun, wenn er von den Briganden verrathen wurde? Dann war mit ihm selbst auch sein groß angelegter Plan verloren, an dem er seit so vielen Jahren mit allen Kräften gearbeitet hatte.

Er kehrte mit höchst sorgenvollem Herzen nach dem Schlosse zurück, wo er sich schlafen legte, aber keine Ruhe fand. Es war nicht das böse Gewissen, welches ihn peinigte, denn ein Gewissen hatte dieser Mann nicht, sondern er schlug sich mit wirren Gedanken und Plänen, wie er jedem ihm drohenden Unheile begegnen könne.

So hatte er noch kein Auge geschlossen, als am andern Morgen sich im Schlosse ein unruhiges Hin- und Herlaufen bemerkbar machte. Man vernahm dazu untermischte Ausrufe, welche darauf schließen ließen, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sei. Er konnte es sich leicht denken, was die Ursache sei, und erhob sich von seinem Lager. Das war kaum geschehen, so klopfte es an die Thür seines Schlafzimmers, und der Domestike, welcher ihn zu bedienen hatte, frug von außen:

»Schlaft Ihr noch, Sennor Cortejo?«

»Ja,« antwortete er aus Vorsicht.

»So erhebt Euch schnell! Don Emanuel verlangt, mit Euch zu sprechen.«

»So früh! Weshalb?«

»Es ist etwas höchst Unangenehmes geschehen.«

»Was?«

»Der Räuber ist während der Nacht entflohen.«

»Nicht möglich!« rief er mit künstlichem Staunen in seinem Tone. »Ich werde sogleich kommen.«

Kaum zwei Minuten später verließ er sein Zimmer und begab sich zum Grafen. Er fand bei demselben die Gräfin Rosa, die fromme Schwester Clarissa und den jungen Grafen Alfonzo.

»Sennor, habt Ihr bereits gehört, um was es sich handelt?« wurde er von Don Emanuel gefragt.

»Ja,« antwortete er. »Aber ich halte die Sache für einen Irrthum.«

»Es ist kein Irrthum; der Brigand ist wirklich entkommen!«

»Das ist ja gar nicht möglich! Er wurde ja von zwei Männern sehr scharf bewacht.«

»Und dennoch ist er entkommen, oder vielmehr, er ist spurlos verschwunden, auf eine so unbegreifliche Weise, daß wir uns den Fall gar nicht erklären können.«


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»Hm!« brummte der Notar mit einer Miene des allerhöchsten Erstaunens. »Hat Ihnen Don Alfonzo gesagt, daß er selbst sich noch während der Nacht von der Sicherheit des Gefängnisses überzeugt hat?«

»Allerdings. Mein Sohn hat das Gefängniß inspizirt und dabei bemerkt, daß der Gefangene schlafend am Boden lag.«

»So müssen die Diener ihm zur Freiheit verholfen haben. Es ist kein anderer Fall denkbar.«

»Das bezweifle ich. Die beiden Männer waren so ganz außerordentlich bestürzt, daß ich an ihrer Unschuld gar nicht zweifeln kann.«

»Auch ich bin überzeugt, daß nicht die mindeste Schuld sie trifft,« bemerkte Rosa mit warmem Nachdrucke. »Diese Leute sind treu; das kann ich fest behaupten.«

»Aber, meine gnädige Contezza, wie hat dann der Räuber ohne ihr Wissen, oder gar ohne ihre Hilfe das Gefängniß verlassen können?« frug der Advokat.

»Das wird wohl die Untersuchung ergeben. Der Vater hat Euch rufen lassen, um Euch bei derselben zu betheiligen.«

»So wollen wir hoffen, daß sie nicht erfolglos sei! Ich werde mich sofort an Ort und Stelle begeben.«

Was sich voraussehen ließ, geschah. Die Nachforschung hatte nicht das mindeste Ergebniß.

Auch Sternau wurde durch die im Schlosse herrschende Unruhe vom Schlafe erweckt. Als er später den Korridor betrat, stieß er auf den kleinen Kastellan, dessen Gesicht ein einziger Ausdruck der höchsten Bestürzung war.

»Sennor, wißt Ihr es schon?« frug er hastig.

»Was?«

»Daß dieser Spitzbube, dieser Mörder ausgerissen ist?«

»Unmöglich!« rief der Arzt erschrocken.

»O, sehr möglich, Sennor!« antwortete der Kastellan. »Er ist fort, über alle Berge; das sagt meine Elvira auch!«

»Aber wie denn? Wie konnte es ihm gelingen, zu entkommen?«

»Das weiß kein Mensch, sogar meine Elvira nicht, Sennor!«
»Ist er denn nicht bewacht worden?«

»Sogar sehr! Ich habe ja zwei Knechte an seine Thür gestellt. Auch der gnädige Graf Alfonzo ist bei ihnen gewesen, um sich von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen. Er hat gesehen, daß der Gefangene sich in dem Gefängnisse befand. Heut früh aber, als die Knechte öffneten, um dem Menschen Wasser zu geben, da war er fort.«

»Das ist ja erstaunlich! Das klingt ganz und gar verdächtig. Das muß untersucht werden! Ist der Mann wirklich entwischt, so ist mit ihm ja auch die Hoffnung verschwunden, über den gestrigen Mordanfall eine Aufklärung zu erlangen!«

»Leider, Sennor, leider! Nun werden die Gerichte kommen, um die Untersuchung zu beginnen, und die Hauptperson, der Mörder, ist fort. Das ist fatal; das ist sogar höchst blamirend für uns; das sagt meine Elvira auch. Aber ich stehe hier und habe doch so nothwendig! ich muß mich sputen, denn der Wagen wird angespannt, und ich habe die gute Contezza Rosa nach Pons zu begleiten.«

Er eilte weiter, denn er hatte jetzt vor allen Dingen eine sehr ehrenvolle Pflicht


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zu erfüllen: er mußte seine schöne, junge Herrin unter seinen starken Schutz nehmen, damit ihr unterwegs ja nicht etwa ein Leid widerfahre. Das machte ihn stolz; das schwellte die Muskeln seines kleinen Körpers und gab ihm den Muth eines Löwen. Und wenn er auch nicht gerade das Schwert des alten Urahn-Ritters umschnallte, so fühlte er sich doch ganz und gar als den treusten und tapfersten Ritter der schönsten Donna im schönen Lande Spanien. Uebrigens, was das Schwert betrifft, so wäre es ihm gar nicht gut möglich gewesen, seine Hüften damit zu umgürten, da es fast ebenso lang war, als er selbst. - -

In Pons war heut Jahrmarkt, und darum durfte man sich nicht wundern, daß auf den Straßen und Wegen, durch welche dieser Ort mit der Umgegend verbunden wurde, bereits am frühen Morgen ein reges Leben herrschte. Der Spanier ist ernst, doch wenn sich ihm einmal Gelegenheit bietet, das Leben von der heitern Seite zu nehmen, so giebt er sich dem Genusse um so nachdrücklicher hin.

Zwei Männer schritten von Osten her der Stadt entgegen. Sie hielten sich mit Vorsicht der Straße fern und benutzten vorzugsweise nur Wege, auf denen sie keine allzu häufigen Begegnungen zu erwarten hatten. Sie trugen lange Pyrenäenbüchsen auf der Schulter und Messer und Pistolen im Gürtel, und hatten auch sonst nicht das Aussehen friedlich gesinnter Leute. An einer Schnur hing Jedem von ihnen eine schwarze Tuchrolle von der Achsel hernieder. Hätte man dieselbe aufgerollt, so hätte man sie als eine schwarze Kapuze erkannt, welche vorn wie eine Maske mit ausgeschnittenen Augenlöchern gebaut war. Solche Kapuzen hatten die Briganden bei dem Ueberfalle im Parke von Rodriganda getragen, und darum war es nicht schwer, diese zwei Männer mit ihnen in Verbindung zu bringen.

Und in der That, der Eine von ihnen war jener Räuber, welchen der Notar hatte entkommen lassen, und der Andere war Derjenige, welcher bei dem Angriffe auf den Doktor in die Büsche entsprungen war. Als der Erstere sein Gespräch mit dem Notar so schnell abgebrochen hatte, war er weiter in das Feld hineingegangen, hatte Rodriganda, das Dorf, zur Seite liegen lassen und war nachher in den nach Pons führenden Weg eingebogen. Dies war nicht die Richtung, welche in das Gebirge führte, und so war er hier wohl sicher, da die Verfolgung, wenn sie ja unternommen wurde, sich jedenfalls hinauf nach den Bergen zog.

So schritt er denn ziemlich unbesorgt weiter, als sich plötzlich vor ihm die Gestalt eines Mannes in der Dunkelheit der Nacht erhob.

»Halt!« rief ihm eine Stimme entgegen, indem zugleich der Hahn eines Gewehres knackte. »Bleib stehen, und leg Deine Waffen ab!«

Der Brigand war im ersten Augenblicke überrascht, im nächsten aber erkannte er die Stimme. Es war diejenige seines Gefährten, welcher vor den Hieben Sternau's geflohen war. Darum antwortete er:

»Mach keinen Spaß, Juanito! Bei mir findest Du weder Gold noch Silber, ja nicht einmal den zehnten Theil eines armen Maravedi; denn diese verdammten Kerls da drüben auf dem Schlosse haben mir Alles abgenommen.«

»Henricord, Du bist es?« rief der Andere, und man hörte es dem Tone seiner Stimme an, daß er freudig überrascht war. »Alle Teufel, wie kommst denn Du hierher an diesen Ort?«

»Auf meinen Beinen, denke ich!«


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»Ja, sie werden Dich nicht mit einem Sechsgespann herbeigefahren haben!« lachte Juanito. »Aber ich denke, Du steckst im Loche und sollst morgen transportirt werden?«

»Sie hatten es allerdings so vor, aber ich habe ihnen das Spiel verdorben.«

»Du bist entflohen?«

»Natürlich! Oder meinst Du vielleicht, daß sie mich freiwillig entlassen haben, he?«

»So dumm bin ich allerdings nicht ganz. Aber erzähle, wie es gekommen ist.«

Henricord erzählte, was er von seiner Gefangennahme an bis jetzt erlebt hatte, und frug sodann:

»Aber nun sage auch Du, wie Du hierher kommst! Was thust Du hier?«

»Das hast Du ja gesehen! Ich laure auf eine kleine Aufnahme.«

»Unvorsichtiger!«

»Bah!«

»Warum bist Du nicht zum Capitano zurückgekehrt?«

»Warum? Und das fragst Du? Meinst Du, daß ich Dich verlassen sollte?«

»Ach, wirklich? Du bist blos meinetwegen zurückgeblieben?«

»Ja; bei San Jago, es ist wahr! Als dieser deutsche Elephant so unsinnig auf uns losstampfte, und Ihr wie Grashalme von ihm niedergetreten wurdet, da machte ich mich in die Büsche und suchte zunächst den Ort auf, an welchem wir unsere Büchsen und die übrig gebliebenen Kapuzen versteckt hatten. ich raffte das Zeug zusammen und floh weiter. Später ging ich lauschen. Da erfuhr ich, daß man Dich gefangen genommen habe und daß die Andern todt seien; morgen würde man Dich weiter transportiren. Da nahm ich mir vor, Dich zu befreien. Ich wollte mich in den Hinterhalt stellen. Ich habe ja unsere fünf Büchsen und kann also zehn Schüsse abgeben. Für die Nacht hatte ich mich hier am Wege schlafen gelegt; da hörte ich Dich kommen, und dachte, es sei irgend einer von den reichen Bauern in Rodriganda, dem ich die Goldstücke aus der Tasche heben und die silbernen Knöpfe von der Weste und Jacke schneiden könne. Na, ich hatte mich verrechnet, aber es ist mir so doch noch lieber. Was gedenkst Du nun zu thun?«

»Ich kehre zum Capitano zurück.«

»Das fällt mir nicht ein!« meinte Juanito.

»Nicht? Warum?«

»Er wird ohne mich auch verkommen.«

»Ja, aber Du gehörst doch zu ihm.«

»Jetzt nicht mehr. Ich habe keine Lust, mich wegen des Mißlingens unseres Auftrages bestrafen zu lassen. Er entzieht uns wenigstens zehn Male unseren Beuteantheil.«

»Hm, wenn er es nicht gar noch anders macht!« brummte Henricord. »Recht hast Du, Juanito; aber wir müssen gehorchen.«

»Ich sehe keinen Grund dazu.«

»Wir haben ihm Treue geschworen.«

»Bah! Einem Räuberhauptmann braucht man keinen Schwur zu halten. Ich thue das, was die Kaufleute sagen: ich separire mich.«


// 72 //

»Das heißt, Du willst unser Geschäft von jetzt an auf eigene Faust betreiben?«

»Ja.«

»Ganz allein?«

»Ganz allein! Außer Du machst mit.«

»Ich? Hm!«

»Ueberlege es Dir, Henricord! Der Capitano nimmt von Allem, was wir bringen, den Löwenantheil; er behält alle Geheimnisse, alle Schliche, und Kniffe für sich; wir plagen uns, wir riskiren das Zuchthaus und den Galgen, er aber bleibt daheim und spielt den Gebieter. Du weißt, wie viel er für den Tod dieses Deutschen erhalten hat. Wieviel wird er wohl uns davongeben?«

»Einige lumpige Ducatos. Ja, das ist wahr!«

»Sind wir nicht die Kerls dazu, die Summe uns ganz zu verdienen? Können wir zum Beispiel uns nicht auch einen reichen Edelmann fangen, der uns ein so großes Lösegeld geben muß, daß wir dann die Herren spielen können?«

»Alle Teufel, Du hast recht, Juanito! Aber dann müssen wir diese Gegend sofort verlassen. Wenn uns der Capitano erwischt, so ist es um uns geschehen.«

»Wir gehen über den Ebro. Vorher aber müssen wir uns Reisegeld holen. Da ist heute in Pons Jahrmarkt und wir werden Manchen sehen, dessen Tasche für uns besser paßt als für ihn. Gehst Du mit?«

»Ja, es mag so beschlossen sein! Also Gewehre hast Du?«

»Die Gewehre und Pistolen, die wir ablegen mußten, da wir den Deutschen nur mit den Messern angreifen durften. Zufälligerweise habe ich zwei Messer bei mir; Du kannst eins davon bekommen.«

»Aber mit all den Büchsen und Pistolen sehen wir zu auffällig aus!«

»Narr! Was wir nicht brauchen, das wird versteckt bis zu einer gelegeneren Zeit. Jetzt aber wollen wir uns zunächst selbst in Sicherheit bringen und einen Ort suchen, an welchem wir die Nacht ungestört verschlafen können.«

Auf diese Weise hatten sich die Beiden zusammengefunden. Sie schliefen während der Nacht im Walde, vergruben am Morgen alles Ueberflüssige und machten sich dann auf den Weg nach Pons.

Sie hatten nicht die Absicht, in die Stadt zu gehen, denn das war zu gefährlich für sie; sie wollten sich vor dem Orte in den Hinterhalt legen, um irgend jemandem eine genügende Summe Geldes abzunehmen, mit der sie einige Zeit zu leben vermochten.

Sie lagen hinter einigen Sträuchern verborgen, sahen Manchen vorübergehen, ohne daß sie sich von der Stelle bewegt hätten, denn die Passirenden sahen nicht danach aus, als ob sie größere Summen bei sich führten.

Da vernahmen sie nahenden Hufschlag und das weiche Rollen von Wagenrädern; Henricord lugte mit vorgestrecktem Halse durch die Büsche und zog sich augenblicklich mit einer Bewegung des Schreckes wieder zurück

»Was hast Du? Wer ist es ?« fragte Juanito.

»Alle Wetter, bin ich erschrocken!« antwortete der Gefragte. »Das ist die Sennora!«

»Welche Sennora?«


Ende der dritten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk