Lieferung 40

Karl May

25. August 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Sodann ein deutscher Seemann, er heißt wohl Helmers; und drittens ist es ein Spanier, der sich Mariano oder vielleicht auch Lieutenant Alfred de Lautreville nennt.«

»Also diese Drei?«

»Ja.«

»Sternau, Helmers und Mariano, oder Lautreville. Ich werde diese Namen nicht vergessen. Also ich setze den Fall, daß sie Händel mit mir beginnen und ich erwehre mich ihrer, so ist das Quecksilberland mein?«

»Ja.«

»Wer garantirt mir?«

»Ich, mit meinem Ehrenworte.«

»Hm, das ist zwar auch eine Garantie, aber eine ungewisse. Was habt Ihr denn eigentlich gegen diese Leute? Haben sie Euch beleidigt?«

»Ja.«

»Macht mir nichts weiß, Sennor Cortejo. Um sich wegen einer Beleidigung rächen zu können, giebt man keine solche Besitzung umsonst hin. Es muß etwas Anderes sein.«

»Und wenn es das ist, was geht es Euch an?«

»Das ist richtig; aber warum bringt Ihr sie nicht selbst auf die Seite?«

»Kann ich? Ich bin mit Petro Arbellez verfeindet und darf mich in Folge dessen nicht auf der Hazienda del Erina blicken lassen.«

»So lauert sie ab, wenn sie die Hazienda verlassen!«

»Mein Amt läßt mir nicht die Zeit dazu. Uebrigens war ich jetzt deshalb hier. Ich will Euch sagen, daß ich mir einen Trupp hübscher Burschen angeworben hatte -«

»Dreier Männer wegen?« spottete der Hauptmann.

»Ja, lacht nur! Diese drei Kerls haben neunundneunzig Teufel im Leibe!«

»Das macht pro Mann dreiunddreißig. Nun, und wie es scheint, seid Ihr nicht mit ihnen fertig geworden?«

»Nein. Sie haben mir meine Leute alle erschossen und nur zufällig bin ich mit den Wenigen davongekommen, welche Ihr bei mir gesehen habt.«

»Das wäre ja entweder ein Wunder oder sonst etwas Aehnliches! Da bin ich doch begierig, diese drei Kerls kennen zu lernen. Also diese Leute, welche Ihr bei Euch habt, waren von Euch angeworben?«

»Ja.«

»Sie nehmen es also mit dem, was man Recht und Gewissen nennt, nicht sehr genau?«

»Nein.«

»Hm, die wären zu gebrauchen. Wenn Ihr sie mir doch ablassen könntet, Sennor!«

Bei diesen Worten fiel Cortejo eine Last vom Herzen.

»Herzlich gern,« sagte er. »Ich wußte nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte. Sie sind ganz Feuer und Flamme, sich an den Dreien zu rächen, und von mir aus hätten sie jetzt keine Gelegenheit dazu erhalten können.«


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»Gut, so sollen sie diese Gelegenheit bei mir finden. Morgen mit dem Frühesten werde ich mit ihnen sprechen. Ihr kehrt nach Mexiko zurück?«

»Ja.«

»So werde ich Euch Nachricht geben, sobald es mir gelungen ist.«

»Dann wird die Schenkungsurkunde oder der fingirte Kauf sofort nach Spanien gehen, um von Graf Alfonzo unterzeichnet zu werden. Aber wie wollt Ihr es anfangen, die drei Kerls zu beseitigen?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Das werde ich erst dann sagen können, wenn ich sie gesprochen und beobachtet habe. Habt Ihr in dieser Angelegenheit noch Etwas zu bemerken?«

»Nein.«

»So entschuldigt mich jetzt. Schlaft ruhig ein. Ich muß vorher gehen, um die Posten zu inspiziren. Juarez ist in solchen Sachen sehr streng, und wenn er eine Nachlässigkeit bemerkt, so sitzt selbst der Kopf eines Offiziers nicht fest auf seinem Körper.«

Cortejo lehnte sich in seine Hängematte zurück und lächelte befriedigt vor sich hin. Er konnte ruhig und sorgenlos nach Mexiko zurückkehren, denn er war überzeugt, seine Angelegenheit den besten Händen anvertraut zu haben.

Er kannte Verdoja als einen rohen, gewissenlosen und habgierigen Menschen, der um des Quecksilberlandes nicht nur drei, sondern zehn und zwanzig Morde auf sich nehmen würde. Uebrigens behielt er sich die Erfüllung seines Wortes im Stillen noch vor. Waren die Drei getödtet, so konnte man den Fall ja ganz einfach ignoriren. Verdoja wagte es sicher nicht, den Preis seines Verbrechens gerichtlich einzuklagen, denn dann wäre er ja selbst verloren gewesen.

Während Cortejo diesen Gedanken nachhing, ging der Hauptmann draußen von Posten zu Posten. Er hatte dabei aber weniger auf seine militärischen Obliegenheiten Acht, als vielmehr auf die Gedanken, welche der eigenthümliche Handel in ihm erweckte.

»Also, eine Beleidigung ist es nicht, um deretwillen sie verschwinden und sterben sollen,« dachte er. »Was aber ist es dann?«

Er ging eine Strecke in die finstere Nacht hinein und überlegte für sich:

»Es ist ein hoher Preis, den er zahlt. Die Besitzung ist wirklich eine Million werth, und wer eine Million zahlt, bei dem muß es sich um noch vielmehr handeln. Aber was kann das sein? Der Graf giebt das Quecksilberland, folglich muß es sich um die ganze Grafschaft handeln. So möchte man fast denken. Wer sind diese drei? Ein Arzt und ein Seemann; beide sind Deutsche. Der Dritte ist ein Spanier; er heißt Mariano, oder Alfred de Lautreville. Das klingt sehr geheimnißvoll. Er scheint Derjenige zu sein, um den es sich eigentlich handelt.«

Er setzte jetzt seine Inspection fort, konnte aber seine Gedanken nicht von diesem Gegenstande abbringen. Der ungeheure Vortheil, den ihm der Handel versprach, nahm alle seine Gedanken gefangen.

»Aber wird er auch Wort halten?« dachte er. »Ich kenne diesen Cortejo als einen ausgemachten Schlaukopf. Wie nun, wenn ich die Drei umbringe und er thut dann, als ob er gar nichts von der ganzen Sache wisse? Dann wäre das Quecksilberland allerdings zum Teufel. Ich könnte nichts machen. Aber Cortejo


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ginge auch zum Teufel; das ist gewiß. Ich werde mir die Angelegenheit beschlafen.«

Er kehrte in sein Quartier zurück und legte sich zu Bette. Am anderen Morgen ließ er die bisherigen Begleiter Cortejo's zu sich bescheiden und nahm sie in Gegenwart des Letzteren vor.

»Wer seid Ihr eigentlich?« fragte er sie.

Derjenige, welcher bereits gestern den Sprecher gemacht hatte, antwortete:

»Hat Euch dies Sennor Cortejo nicht gesagt?«

»Nein.«

»Nun, wir sind arme Teufel, welche sich auf verschiedene Art und Weise ihr Brot verdienen.«

»Die Art und Weise macht Euch also nicht bedenklich?«

»Das fällt uns nicht ein.«

»Wollt Ihr Euch ein Wenig Brot bei mir verdienen?«

»Das geht nicht, denn wir stehen jetzt in Sennor Cortejo's Dienste.«

»Er hat Euch an mich abgetreten.«

»Oho!« rief der Mann. »Das geht nicht!«

»Warum nicht?«

»Das ist unsere und des Sennor Cortejo's Sache.«

»Er hat mir Alles anvertraut,« sagte der Offizier. »Ihr könnt offen mit mir sprechen.«

»Ist's wahr, Sennor?« fragte der Mann Cortejo.

»Ja,« antwortete dieser.

»Das dürfen Sie nicht, Sennor! Sie dürfen uns an Niemand abtreten; wir sind freie Männer. Sie haben uns versprochen, daß wir unsere Kameraden rächen sollen!«

»Ich halte mein Wort. Ich habe keine Zeit, Euch weiter zu führen, aber dieser Sennor wird es an meiner Stelle thun.«

»Ist das wahr?«

»Ja,« sagte Verdoja. »Ihr sollt Euch rächen; Ihr begleitet mich nach der Hazienda del Erina.«

»Mit den Lanzenreitern?«

»Nein; das geht nicht. Ihr folgt uns. Kennt Ihr die Hazienda?«

»Ja.«

»Sie hat eine Umzäunung?«

»Ja, eine sehr feste.«

»Nun wohl. Heute um Mitternacht - bis dahin haltet Ihr Euch versteckt - kommt Einer von Euch an die südlichste Spitze dieser Umzäunung. Dort werde ich mich befinden, um ihm Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen.«

»Aber wie steht es mit dem Preise?«

»Es bleibt derselbe wie bei Sennor Cortejo.«

»So sind wir zufrieden. Dürfen wir aufbrechen?«

»Nein. Juarez hat noch nichts befohlen.«

Sie traten einstweilen ab. Der Hauptmann begab sich in Juarez' Quartier


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und erhielt dort bald den Befehl, Cortejo zu holen. Als dieser eintrat, stand der Indianer mitten in dem Zimmer und empfing ihn mit finsterem Auge.

»Weißt Du, wem Du Dein Leben zu verdanken hast?« fragte er ihn.

»Ich weiß es. Ich hätte es unschuldiger Weise verloren.«

»Schweig! Sennor Verdoja hat sich auch weiter für Dich verbürgt. Du willst nach Mexiko?«

»Ja.«

»Man soll dort nicht wissen, daß ich hier in El Oro war, aber man wird es durch Dich erfahren. Ich darf Dich also nicht von mir lassen.«

»Sennor, ich werde schweigen!«

Der spätere Präsident machte eine verächtliche Handbewegung und sagte geringschätzig:

»Ein Weißer schweigt nie; nur ein Indianer weiß Herr seiner Zunge zu sein. Ein Weißer hält höchstens dann sein Wort, wenn er es beschworen hat.«

»So will ich schwören, Sennor.«

»Gut, schwöre!«

Cortejo mußte die Hand erheben und beschwören, daß er von dem Zusammentreffen mit Juarez nichts verrathen wolle. Erst jetzt schien der Letztere ihm zu glauben.

»Jetzt kannst Du gehen,« sagte er. »Nimm Deine Leute mit und merke Dir, daß Du für sie verantwortlich bist!«

Einige Minuten später saß Cortejo zu Pferde und verließ El Oro auf der entgegengesetzten Seite, wo er gestern eingeritten war. Die Freischärler begleiteten ihn, denn es sollte ja Niemand wissen, daß sie mit dem Hauptmanne in Beziehung standen. Erst nach einiger Zeit trennten sie sich von Cortejo und suchten auf einem Umwege die Richtung nach der Hazienda del Erina zu gewinnen. Sie waren bis jetzt unglücklich gewesen in ihren Absichten auf die Hazienda, jetzt aber brannten sie vor Begierde, sich für das Erlebte reichlich zu entschädigen.

Kurz nach Cortejo's Abreise verkündigte der Ton einer Trompete den Aufbruch. Die Lanzenreiter bestiegen ihre Pferde. Juarez setzte sich mit den Offizieren an die Spitze und dann flogen sie auf ihren halbwilden Thieren über die Ebene dahin wie die Windsbraut, der Niemand widerstehen kann.

Es waren damals gar schlimme Zeiten für Mexiko. Es hatte sich längst vom Mutterlande Spanien losgesagt und sich einen eigenen Herrscher gegeben, aber es hatte nicht die Kraft, ein selbstständiger Staat zu sein. Ein Präsident verdrängte den anderen; die Finanzen befanden sich im schlechtesten Zustande; das Beamtenthum war corrumpirt; es herrschte weder Treu und Glauben, noch Gehorsam im Lande. Kein Militär wollte gehorchen; jeder Offizier wollte regieren, und jeder General wollte Präsident sein.

Wer an das Ruder kam, der suchte das Land schleunigst auszusaugen, denn er wußte, daß ihm nicht viel Zeit dazu übrig bleibe. Der Nachfolger that ganz dasselbe, ebenso der Statthalter jeder einzelnen Provinz. Zuletzt wußte kein Unterthan mehr, wem er zu gehorchen habe, und am Wohlsten befanden sich die Haziendero's, welche die entlegendsten Gegenden bewohnten.

Mitten in diesem Wirrwarr war Juarez aufgetaucht und erlangte bald einen


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solchen Einfluß, daß er, obgleich er nichts weniger als Präsident war, sogar mit der Regierung der Vereinigten Staaten Traktate abschloß. Er war bald hier, bald dort. Er flog im Lande umher, um für sich zu werben, um zu belohnen oder zu bestrafen, und ein solcher Zweck führte ihn auch heute nach der Hazienda Vandaqua.

Als die Lanzenreiter dort ankamen, erregte ihr Anblick allgemeinen Schreck. Juarez stieg vom Pferde und trat, gefolgt von einigen Offizieren, in das Haus. Der Besitzer desselben befand sich mit seiner Familie beim zweiten Frühstück, als der Fürchterliche bei ihm eintrat.

»Kennst Du mich?« fragte der Indianer streng.

»Nein,« antwortete der Haziendero.

»Ich bin Juarez.«

Bei diesem Namen erbleichte der Mann.

»O heilige Madonna!« rief er.

»Rufe die Madonna nicht, es ist vergebens; sie wird Dir nicht helfen!« sagte Juarez finster. »Du bist ein Anhänger des Präsidenten?«

Der Mann erbleichte.

»Nein,« sagte er.

»Lüge nicht!« donnerte ihn der Indianer an. »Stehst Du mit seinen Anhängern in Briefwechsel?«

»Nein.«

»Ich werde mich überzeugen. - Sucht!«

Das letzte Wort war an die Offiziere gerichtet. Diese winkten einige der Mannschaften herbei, und nun begann eine genaue Untersuchung des ganzen Hauses. Nach einiger Zeit kam einer der Offiziere mit einem Packet Briefen herbei, welche er dem Indianer wortlos überreichte. Dieser nahm sie ebenso wortlos entgegen und las sie. Als der Haziendero die Briefe bringen sah, war er todtenbleich geworden. Jetzt hing sein Auge angstvoll an dem Gesichte Juarez'. Die Seinen standen stumm in der Ecke und erwarteten mit klopfendem Herzen das Kommende. Endlich war Juarez fertig mit Lesen. Er erhob sich von seinem Sitze und fragte den Haziendero:

»Du hast diese Briefe empfangen?«

»Ja.«

»Und gelesen?«

»Ja.«

»Und beantwortet?«

»Ja.«

»Du hast vorhin gelogen; Du bist ein Anhänger des Präsidenten. Du bist Mitglied einer Verschwörung gegen die Freiheit des Volkes. Hier hast Du Deinen Lohn!«

Er zog ein Pistol hervor, zielte und drückte ab. Der Haziendero stürzte, durch die Stirn getroffen, zu Boden. Ein lauter, vielstimmiger Schrei des Entsetzens erscholl. Er wurde ausgestoßen von den Verwandten des Gerichteten. Juarez wandte sich mit einer unerschütterlichen Ruhe und Kälte an diese:

»Schweigt! Auch Ihr seid schuldig, aber Ihr sollt nicht sterben. Ihr verlaßt das Haus. Ich confiscire diese Hazienda mit Allem, was dazu gehört, als Eigenthum des Staates. In einer Stunde müßt Ihr fort sein. Ich gewähre Euch


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Pferde, auf welche Ihr Euer Eigenthum packen könnt. Auch Euer Geld dürft Ihr mitnehmen. Jetzt fort aus meinen Augen!«

»Dürfen wir den Todten mitnehmen?« fragte jammernd die Frau.

»Ja. Jetzt aber packt Euch!

Die Leute nahmen ihren Todten auf und trugen ihn hinaus. Als die Stunde vergangen war, verließen sie thränenden Auges die Hazienda. Jetzt gab Juarez dieselbe seinen Soldaten frei. Es wurde geplündert so lange Etwas zu finden war. Dann schlachtete man einige Rinder und begann im Freien nach Herzenslust zu schmaußen.

Juarez war unterdessen in dem Zimmer geblieben; Verdoja hatte die Plünderung beaufsichtigt. Als er nun bei dem Indianer eintrat, sagte dieser:

»So müssen Alle enden, welche gegen das Wohl des Vaterlandes sündigen. Verdoja, Ihr seid treu?«

Er richtete dabei einen wahren Tigerblick auf den Gefragten. Dieser antwortete ruhig:

»Ja, Sennor; das wißt Ihr.«

»Gut. Ich werde Euch eine Aufgabe ertheilen. Habt Ihr Muth?«

»Hm,« lächelte der Hauptmann, »habt Ihr mich einmal erbleichen sehen?«

»Nein, und darum werdet Ihr es zu hohen Ehren bringen. Kennt Ihr die Provinz Chihuahua genau?«

»Ich bin dort geboren und habe an der Grenze meine Besitzungen.«

»Gut. Ihr werdet Euch nach der Hauptstadt gleichen Namens begeben und meine Interessen dort vertreten. Wir trennen uns heute. Zuerst aber begleitet Ihr mich nach der Hazienda del Erina.«

»Reise ich mit Militärbegleitung?«

»Ihr erhaltet die eine Schwadron; mit der andern kehre ich zurück. Vorwärts!«

Eine Minute später saßen sie zu Pferde und ritten, nur von einigen Lanzenreitern begleitet, fort. Einer der anwesenden Vaqueros mußte den Führer machen.

Als sie die Hazienda erreichten, waren sie bereits bemerkt worden. Da die Bewohner derselben gewitzigt worden waren, so hatten sie das Thor fest verschlossen. Juarez selbst klopfte an.

»Wer ist draußen?« fragte Arbellez von innen.

»Soldaten. Oeffnet!«

»Was wollt Ihr?«

»Alle Teufel, wollt Ihr öffnen, oder nicht?«

Sternau, Helmers und Mariano standen neben dem Haziendero.

»Soll ich öffnen?« fragte dieser leise.

»Ja,« antwortete Sternau. »Es sind ja nur einige wenige Reiter.«

Als das Thor offen war und Juarez in den Hof ritt, musterte er mit funkelndem Auge die Leute, welche vor ihm standen.

»Warum gehorchter Ihr nicht?« donnerte er.

»Wir kennen Euch nicht,« antwortete Arbellez. »Seid Ihr Einer, dem man zu gehorchen hat, Sennor?«


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»Ich bin Juarez. Kennt Ihr meinen Namen?«

Arbellez verbeugte sich ohne alle Verlegenheit und antwortete: »Wohl kenne ich ihn. Verzeiht, daß wir nicht sogleich öffneten. Tretet in mein Haus; Ihr seid uns willkommen.«

Er geleitete die beiden Gäste nach dem Salon, wo sich Beide ohne Umstände niederließen. Trotz des freundlichen Empfanges hatte Juarez seine finstere Miene nicht verloren. Er fragte:

»Saht Ihr uns kommen?«

»Ja, Sennor.«

»Und Ihr saht, daß wir Soldaten sind?«

»Ja, das sahen wir.«

»Und Ihr öffnet trotzdem nicht? Das verdient Strafe!«

»O, Sennor, der Präsident hat auch Soldaten. Diese würden mir nicht willkommen sein. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie es selbst waren.«

Juarez' Züge heiterten sich auf.

»Also, ich bin Euch wirklich willkommen?«

»Von Herzen.«

»Warum?«

»Weil Sie eine feste Hand haben, Sennor, und diese fehlt unserm armen Lande.«

»Ja. Diese feste Hand hat bereits Mancher gefühlt. Vorhin wieder Einer. Sagt, kennt Ihr die Hazienda Vandaqua?«

»Ich kenne sie genau.«

»Und Alles, was dazu gehört?«

»Alles; ich bin ja der Nachbar.«

»Wie viel Pacht ist diese Besitzung wohl werth, Sennor Arbellez?«

»Sie ist ja Eigenthum, aber kein Pachtgut.«

»Beantwortet meine Frage!« sagte Juarez ungeduldig.

»Nun, wenn sie sich unter bessern Händen befände, könnte man zehntausend Duros zahlen, jetzt aber nicht.«

»Gut, so sollt Ihr sie für siebentausend Duros zum Pacht erhalten.«

Arbellez blickte den Indianer verwundert an.

»Sennor, ich verstehe Euch nicht,« sagte er.

»Ich spreche deutlich genug. Ich denke, diese Pachtung liegt Euch bequem. Wollt Ihr sie oder nicht?«

»Ich habe keine Ahnung, daß die Hazienda Vandaqua zu verpachten ist!«

»Sie ist's. Ich habe sie für den Staat confiscirt und gebe sie Euch.«

Arbellez erschrak.

»Er starb an meiner Kugel; er war ein Verräther. Seine Familie hat die Besitzung verlassen müssen. Entschließt Euch schnell, Sennor!«

»Wenn es so steht, so sage ich »ja«. Aber -«

»Kein Aber! Holt Schreibzeug! Wir wollen diese Angelegenheit sofort ordnen.«

Wie Alles, was Juarez in die Hand nahm, so wurde auch diese Sache in fliegender Eile und doch ganz sorgfältig und ordnungsmäßig erledigt. Dann sagte er:


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»Dieser Sennor ist Hauptmann Verdoja. Er wird einige Tage bei Euch wohnen.«

Das war dem Haziendero überraschend, aber er ließ sich nichts merken, sondern hieß den Hauptmann willkommen. Juarez fuhr fort:

»Er hat eine Schwadron Reiter mit. Könnt Ihr diese verpflegen?«

Arbellez bejahte diese Frage, obgleich er lieber »nein« gesagt hätte.

»Diese Leute werden gegen Abend hier eintreffen. Sorgt für sie und macht dann mit dem Hauptmann Eure Rechnung. Lebt wohl!«

Er erhob sich und schritt zur Thür hinaus. Verdoja folgte ihm. Sie ritten mit ihrer Begleitung im Galopp davon, die Bewohner der Hazienda del Erina in Verwunderung zurücklassend.

Weshalb hatte der Nachbar sterben müssen? Weshalb sollte gerade Petro Arbellez der Pächter sein? Also dieser Mann war Juarez, der große Indianer, welchen ganz Mexiko fürchtete und zugleich liebte und haßte? Diejenigen, welche diese Frage aussprachen, ahnten nicht, welche Folgen die Anordnungen des Parteigängers für sie haben würden.

Als dieser die Hazienda Vandaqua erreichte, fand er vor dem Hause Alles aufgeschichtet, was die Lanzenreiter des Mitnehmens für werth gehalten hatten. Diese Beute wurde getheilt, und so wenig auf den Mann kam, es erregte bei den nicht an Luxus gewöhnten Leuten doch unendliche Freude.

Nun das vorüber war, erhielt Hauptmann Verdoja seine Instruction. Sein Aufenthalt bei Arbellez hatte nur den Zweck, die Pferde ausruhen und kräftigen zu lassen, da der Weg hinüber nach Chihuahua ein sehr beschwerlicher ist. Verdoja sollte sich auf der Hazienda del Erina nicht zu lange verweilen und dann schnell seinen Bestimmungsort zu erreichen suchen, wo er im Interesse seines jetzigen Vorgesetzten zu wirken hatte. Beide sprachen lange Zeit heimlich und angelegentlich mit einander. Man sah es ihnen an, daß sie höchst wichtige Sachen besprachen; dann aber schieden sie mit einem einfachen Händedrucke von einander.

Juarez ließ aufsitzen und flog mit seiner Schwadron den Weg zurück, den er heut am Vormittage gekommen war. Er glich einem Rachegeiste, welcher ebenso schnell verschwindet, wie er kommt, immer aber die blutige Spur seines Wirkens hinter sich läßt. -

_________
 


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Fünftes Kapitel.

Tief unter der Erde.

Es wogt der Aufruhr durch die Gassen,
   Die Höhen leuchten blutig roth;
Es geht durchs Land ein grimmig Hassen,
   Und reiche Ernte hält der Tod.

Der Menschheit wild gewordne Schaaren
   Ziehn mordend durch den weiten Gau,
Und tausend tückische Gefahren
   Wälzt die Empörung durch die Au.

Das stille Land wird zum Vulkane,
   Der weithin sein Verderben speit,
Und die Erneute zum Orkane,
   Zertrümmernd Alles, weit und breit.

Es war bereits gegen die Zeit der Abenddämmerung, als donnernder Hufschlag das Nahen der Lanzenreiter verkündigte. Nur die Offiziere sollten in dem Hause wohnen, die Mannschaft mußte es sich unter dem freien Himmel so bequem wie möglich machen. Das ist in jenen Breiten nichts ungewöhnliches und wird nichts weniger als hart empfunden. Die Pferde sind dort halb wild und bedürfen keiner Stallung, und die Menschen führen ein Leben, welches es ihnen ganz gleichgiltig macht, ob sie in einem weichen Bette, in einer einfachen Hängematte, oder auf der harten Erde liegen.

Kapitän Verdoja wurde mit seinen Offizieren zunächst in den Salon geführt; dann trat nach dem Willkommentrunk die alte Hermoyes ein, um die Herren nach ihren Zimmern zu führen. Emma Arbellez hatte das Krankenbett des Geliebten verlassen, um diese Zimmer noch einmal zu revidiren, ob sich Alles in Ordnung befinde. Sie stand in dem Raume, welcher dem Kapitän zugewiesen wurde. Sie hörte seine Schritte; es war zu spät, sich zurückzuziehen.

Er öffnete die Thür, um einzutreten, da sah er sie in der Mitte des Zimmers stehen. Sie war vorher bereits schön gewesen, jetzt aber hatte die Sorge um den Geliebten ihren Zügen etwas Bewegt-Inniges aufgeprägt, welches den Eindruck ihrer Erscheinung noch um ein Bedeutendes steigerte. Die Sonne sank soeben hinter dem Horizont hinab; ihre letzten Strahlen drangen durch das Fenster herein und umflossen die Gestalt des schönen Mädchens in einem rosig goldenen Scheine. Es war, als ob die Königin des Tages ihre schönsten Strahlen hereinsende, um auf die schwellenden Lippen der Holden einen Abschiedskuß zu drücken. Verdoja blieb überrascht stehen. Das war ein Bild, wie es die Hand des größten Künstlers nicht auf die Leinwand zu werfen vermochte. Er fühlte sich ergriffen und gepackt, aber nicht von jenem reinen, heiligen Gefühle, welches das Schöne liebt und zugleich ehrt, sondern von einer plötzlichen, leidenschaftlichen Empfindung, wie sie dem Herzen eines in Genußsucht und Frivolität versunkenen Menschen eigen ist.

Emma verbeugte sich erröthend und bat mit lieblich klingender Stimme:


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»Treten Sie näher, Sennor! Sie befinden sich in Ihrer Wohnung.«

Er gehorchte dieser Aufforderung und verbeugte sich mit dem Anstande eines gewandten, im Umgange mit dem schönen Geschlecht erfahrenen Kavaliers.

»Ich bin entzückt, meine Wohnung durch die Anwesenheit der Schönheit geweiht zu sehen,« antwortete er, »Und bitte um Ihre milde Verzeihung, daß ich diesen Weiheakt durch meine Dazwischenkunft profanire.«

Sie hatte bereits im Begriffe gestanden, ihm nach mexikanischer Sitte die Hand zum Willkommen entgegenzustrecken, jetzt aber zog sie dieselbe wieder zurück. Es lag in seinem Wesen, seinen Worten, in seinem Gesichte und auch im Tone seiner Stimme ein Etwas, was sie feindselig berührte.

»O bitte, der ganze Weiheakt bestand nur darin, nachzusehen, ob genügend für Ihre Bequemlichkeit gesorgt sei,« sagte sie.

»Ah, so sind Sie also der Schutzgeist des Hauses! Vielleicht gar -?«

»Der Haziendero ist mein Vater,« sagte sie kurz.

»Ich danke, Madonna! Mein Name ist Verdoja; ich bin Hauptmann der Lanzenreiter und fühle mich in diesem Augenblicke unendlich glücklich, Ihr kleines reizendes Händchen küssen zu dürfen.«

Er hatte dabei ihre Hand ergriffen und drückte, ohne daß sie es so schnell zu verhindern vermochte, seine Lippen auf dieselbe. Sie zog die Hand wie erschreckt zurück.

»Erlauben Sie, daß ich Ihr Gebiet Ihnen überlasse,« sagte sie. »Sie werden der Ruhe und Erfrischung bedürfen.«

Sie machte Miene sich der Thür zu nähern, er aber trat ihr mit einem schnellen Schritte in den Weg.

»O, ich bedarf der Ruhe gar nicht,« sagte er; »und mein eigentliches Gebiet ist die Liebe und die Anbetung der Schönheit. Lassen Sie sich nieder, Madonna. Ich sehe Sie erst seit nur einer Minute, aber ich schmachte darnach, hier an Ihrer Seite bleiben zu dürfen.«

Sie gerieth in eine sichtliche Verlegenheit. Dieser Mann war jedenfalls gewöhnt, mit den koketten Damen der Hauptstadt zu verkehren, sie aber fühlte sich einem so selbstbewußten Auftreten gegenüber fast waffenlos.

»O bitte, erlauben Sie!« bat sie. »Ich habe Pflichten zu erfüllen.«

Sein Auge bohrte sich flammend und verlangend in ihr Angesicht. Er antwortete:

»Die vornehmste Pflicht der Wirthin ist, sich dem Gaste angenehm zu machen.«

»Und die Pflicht des Gastes ist es, aufmerksam gegen die Wirthin zu sein!«

»Das bin ich, wahrhaftig, das bin ich!« rief er. »Erlauben Sie mir Ihre Hand, und verlassen Sie mich jetzt noch nicht!«

Er griff nach ihrer Hand, sie aber brachte es fertig, in diesem Augenblicke an ihm vorüber zu schlüpfen und die Thür zu erreichen.

»Adieu, Sennor!« sagte sie, dieselbe öffnend.

»Halt!« rief er. »Ich lasse Sie nicht fort.«

Er griff nach ihr, aber schneller als seine Hand war, huschte sie hinaus und drückte die Thür hinter sich zu. Er stand da und starrte lange Zeit die Thür an.


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»Donnerwetter!« meinte er. »Welch eine Schönheit. Die ist noch rein und unbeschmutzt. Das reizt den Appetit. Es ist mir noch gar nicht so gegangen wie jetzt, daß ich gleich beim ersten Anblicke so perfekt verliebt bin. Das wird ein reizendes Quartier. Wäre ich nicht bereits verheirathet, so wäre ich vielleicht im Stande, hier an dieser wunderbar hübschen Klippe zu scheitern. Aber mein muß sie werden!«

Emma war froh, glücklich entkommen zu sein. Die unlautere Begierde, mit welcher die Augen dieses wüsten Mannes auf ihr geruht hatten, erschreckte sie, und sie nahm sich vor, seine Nähe so viel wie möglich zu meiden. Sie begab sich von ihm direkt nach dem Krankenzimmer, wo jetzt ihr immerwährender Aufenthalt war.

Dort fand sie Sternau und Helmers, welche neben dem Kranken saßen. Der Zustand desselben war ein befriedigender zu nennen. Die Operation war vortrefflich gelungen, und das Wundfieber machte ihm noch nicht viel zu schaffen. Er besaß sein vollständiges Bewußtsein, wenigstens in diesem Augenblicke, und sprach mit dem Arzte, welcher ganz in der Nähe des Bettes saß. Als er die eintretende Geliebte bemerkte, breitete sich die Röthe der Freude über sein blasses Gesicht.

»Komm her, Emma,« bat er. »Denke Dir, Herr Doktor Sternau behauptet, meine Heimath zu kennen.«

Emma wußte dies bereits, aber sie stellte sich, als ob es ihr neu sei.

»Ah,« sagte sie, »das ist ein sehr glückliches Zusammentreffen.«

»Ja. Meinen Bruder kennt er auch. Er hat ihn vor seiner Abreise gesehen.«

Dieser Bruder saß hinter dem Fenstervorhange; daß er da sei, durfte der Patient noch nicht wissen. Es war nothwendig, jede Aufregung, mochte sie nun eine fröhliche, oder traurige sein, von ihm fern zu halten. Uebrigens war er durch seinen krankhaften Zustand und die darauf folgende Operation so geschwächt, daß er fast stets im Schlafe, oder in einem traumhaften Halbwachen lag, und so waren die vollständig hellen Augenblicke, wie der gegenwärtige, nur selten.

Dies zeigte sich auch jetzt. Kaum hatte sich Sternau erhoben und Emma an seiner Stelle Platz genommen, so ergriff der Kranke ihre Hand, lächelte ihr glücklich zu und schloß die Augen. Er pflegte mit ihrer Hand in der seinigen einzuschlafen. Dies that er auch jetzt.

»Sie hegen keine Befürchtung mehr?« flüsterte da Emma Sternau zu.

»Nein. Diese stets wiederkehrende Ruhe, dieser gesunde Schlaf wird ihn körperlich und geistig schnell kräftigen. Wir haben nichts zu thun, als das Besserungsbestreben der Natur zu unterstützen, indem wir alles Störende von ihm fern halten. Aber Sie selbst müssen sich auch die nöthige Ruhe gönnen, sonst bringt uns die Heilung des Einen die Erkrankung des Andern.«

»O, ich bin stark, Sennor!« sagte sie. »Haben Sie um mich keine Sorge.«

Sternau ging und nahm Helmers mit sich. Sie begaben sich hinab vor das Haus, um das Lagerleben der Soldaten in Augenschein zu nehmen. Dort trafen sie auch Mariano, den die gleiche Absicht herbeigetrieben hatte.

Die Lanzenreiter waren beschäftigt, Holz zu ihren Lagerfeuern herbeizuschaffen. Sie trugen, während die Pferde frei zur Weide gingen, die Sättel zusammen, die als Kopfkissen zu dienen hatten. Arbellez hatte ihnen einen Stier zur Verfügung


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gestellt, welchen sie geschlachtet hatten und jetzt bereits zerstückten. Alles das gab ein lebhaftes, bewegtes Bild, welchem die Männer eine ganze Weile zuschauten.

Dann kam die Zeit des Nachtmahles. Sie begaben sich nach dem Speisesalon, wo sich auch bald die Offiziere einstellten. Der erste Blick des Hauptmanns, oder vielmehr Rittmeisters flog in der Runde herum, um zu sehen, ob Emma anwesend sei. Verdoja fühlte sich enttäuscht, als er bemerkte, daß sie nicht zugegen war. Die alte, gute Hermoyes mußte ihre Stelle vertreten.

Arbellez stellte die Gäste einander vor. Die mexikanischen Offiziere verhielten sich höflich, aber zurückhaltend gegen die Fremden. So feine Kavalleros, wie sie, brauchten um die Gunst eines Deutschen nicht zu buhlen.

Verdoja beobachtete die drei Männer. Sternau, Helmers und Mariano; das also waren die Männer, deren Tod ihm einen Länderbesitz im Werthe von über eine Million einzubringen hatte. Sein Auge glitt über Mariano und Helmers schnell fort und blieb auf Sternau haften. Die mächtige Gestalt desselben imponirte ihn. Mit diesem Manne war nicht leicht anzubinden; der war ja ein Riese, höher und stärker als Verdoja selbst. Und welches Selbstbewußtsein in jeder seiner Bewegungen und in jedem der wenigen Worte, welche er sprach. Der Rittmeister nahm sich vor, bei diesem Manne sein Heil nur in der List zu suchen.

Im Laufe der Unterhaltung während der Tafel machte Arbellez eine Bemerkung, welche der Rittmeister sofort aufgriff.

»Es ist uns nicht nur eine Freude, sondern auch eine Beruhigung, Sie hier zu sehen, Sennores,« sagte der Haziendero. »Noch gestern erst drohte uns eine große Gefahr.«

Verdoja kannte diese Gefahr aus seiner Unterredung mit Corteio, aber er that doch so, als ob er gar nichts davon wisse.

»Eine Gefahr? Welche war es?« fragte er.

»Wir sollten überfallen werden,« antwortete Arbellez.

»Nicht möglich! Von wem?«

»Von einer Schaar von Freibeutern oder Briganten.«

»Dann muß diese Schaar eine bedeutende gewesen sein.«

»Ueber dreißig Mann.«

»Alle Wetter! Wenn sich solche Banden zusammenthun, so ist es nothwendig, die Zügel fester anzuziehen. Galt es Ihrer Hazienda, oder hatte man es nur auf Personen abgesehen?«

»Eigentlich wohl das Letztere, aber da diese Personen sich in meinem Hause in Sicherheit befanden, so plante man, dasselbe zu überfallen, zu zerstören und Alles zu tödten.«

»Teufel! Darf man erfahren, welche Personen das sind?«

»Gewiß. Es sind die Sennores Sternau, Mariano und Helmers.«

»Sonderbar! Wie haben Sie sich der Spitzbuben erwehrt?«

»Unser Sennor Sternau hat sie Alle niedergeschossen.«

Der Rittmeister blickte überrascht zu dem Genannten hinüber, und auch die anderen Offiziere lächelten überlegen und ungläubig.

»Die ganze Bande?« fragte Verdoja.

»Nur einige Wenige ausgenommen.«


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»Und das hat Sennor Sternau ganz allein fertig gebracht?«

»Ja. Er hatte nur einen einzigen Begleiter mit, welcher vielleicht zwei der Feinde erschossen hat; die Anderen kommen Alle auf Sennor Sternau's Rechnung.«

»Das klingt unglaublich. Dreißig Mann sollten sich so ohne alle Gegenwehr von einem einzigen Manne niederschießen lassen? Ihr irrt!«

»Es ist wahr!« sagte der Haziendero begeistert. »Lassen Sie es sich erzählen!«

Da warf Sternau einen ernsten Blick auf Arbellez und sagte:

»Bitte, lassen wir das! Was geschah, ist keine Heldenthat.«

»Es ist eine Heldenthat, dreißig Mann zu tödten,« sagte der Rittmeister, »und ich hoffe, Sennor, daß Sie nichts dagegen haben, daß wir uns diese interessante Thatsache erzählen lassen.«

Sternau zuckte die Achseln und ergab sich in das Unvermeidliche. Petro Arbellez machte den Berichterstatter, und er erzählte so lebendig, daß die Offiziere mit ihren Blicken bis zu seinem letzten Worte an seinem Munde hingen.

»Kaum glaublich!« rief der Rittmeister. »Sennor Sternau, ich gratuliere Ihnen zu einer solchen That.«

»Danke,« sagte dieser ziemlich kühl.

»Solche Tapferkeit ist nicht zu verwundern,« meinte Arbellez. »Haben Sie einmal von dem Indianerhäuptling Büffelstirn gehört, Sennor Verdoja?«

»Ja. Er ist der König der Büffeljäger.«

»Und kennen Sie vielleicht einen nördlichen Jäger, den man den Fürst des Felsens nennt?«

»Ja. Er ist der stärkste und verwegenste Jäger, den es geben soll.«

»Nun, Sennor Sternau ist dieser Jäger, und Büffelstirn war sein Begleiter nach der Schlucht des Tigers.«

Die Offiziere stießen einen Ruf der Ueberraschung aus. Sie hatten nicht geahnt, daß sie sich einem so berühmten Mann gegenüber befanden.

»Ist dies wahr, Sennor Sternau?« fragte der Rittmeister.

»Ja,« antwortete dieser, »obgleich es mir lieb wäre, meine Person nicht in dieser Weise in den Vordergrund gedrängt zu sehen.«

Verdoja war ein kluger Compinist. Er sagte sich, dieser Mariano ist die Hauptperson des Geheimnisses und wenn sich dieser »Fürst des Felsens« seiner annimmt, so muß das Geheimniß ein werthvolles sein. Er beschloß, klug zu handeln, und fragte daher:

»Aber wie kommt es, daß man es gerade auf diese drei Sennores abgesehen hat?«

»Das kann ich Ihnen erklären,« antwortete der Haziendero.

Aber ehe er seine Erklärung beginnen konnte, fiel Sternau ein:

»Das ist eine Privatangelegenheit, von der ich nicht glaube, daß sie Sennor Verdoja interessiren wird. Brechen wir ab!«

Arbellez nahm diese verdiente Zurechtweisung schweigend entgegen, der Rittmeister aber gab sich nicht zufrieden. Er fragte:

»Liegt die Schlucht des Tigers weit von hier?«

»Sie ist in einer Stunde zu erreichen,« antwortete Sternau.


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»Ich bin begierig diesen Ort zu sehen. Würden Sie vielleicht die Güte haben, mich oder uns dorthin zu begleiten, Sennor Sternau?«

»Ich stehe zur Verfügung,« antwortete der Gefragte.

Ueber das Gesicht des Rittmeisters glitt ganz unwillkürlich ein Zug der Befriedigung, den er nicht sofort zu beherrschen vermochte. Sternau, gewohnt selbst auf das Geringste zu achten, bemerkte dies; es fiel ihm auf; es kam ihm vor, als sei der Rittmeister aus irgend einem Grunde froh, diese Zusage der Begleitung zu erhalten. Er wurde aufmerksam und mißtrauisch, ließ sich aber nichts merken.

»Und wann können wir reiten?« fragte Verdoja.

»Ganz wann es Ihnen beliebt, Sennor,« antwortete Sternau.

»So werde ich mir erlauben, Ihnen die Stunde mitzutheilen.«

Damit war dieser Gedanke abgethan und wurde im weiteren Verlaufe des Gespräches auch nicht wieder berührt.

Nach dem Abendmahle begaben sich die Offiziere nach ihren Gemächern. Der eine Lieutenant, ein junger, rücksichtsloser Wüstling, legte sich in sein Fenster, um die von den Wachtfeuern erleuchtete Szenerie zu genießen. Da erblickte er ein weißes Frauengewand, welches hell aus den dunklen Bosquets des Blumengartens emporleuchtete.

»Eine Dame,« dachte er. »Wo Damen sind, da giebt es Abenteuer; da sucht man Liebe und Erhörung. Ich gehe hinunter.«

Der Mexikaner ist gewohnt, mit jeder Dame zu tändeln; er findet niemals eine Zurechtweisung, und so machte sich Lieutenant Pardero kein Bedenken, sich ein kleines Abenteuer zu suchen. Die Soldaten hatten den Blumengarten respectirt; sie waren nicht in denselben eingedrungen, und so kam es, daß sich die Dame ganz allein befand. Es war Karja, die Indianerin, die Schwester Büffelstirns.

Sie hatte sich im Garten ergangen, um der Vergangenheit zu gedenken. Sie dachte an Graf Alfonzo, den sie geliebt hatte, und wunderte sich, daß es möglich gewesen war, einem solchen Menschen ihr ganzes Herz zu schenken; jetzt haßte sie ihn. Sie dachte an Bärenherz, den tapferen Häuptling der Apachen, der sie geliebt hatte, und wunderte sich, daß es möglich gewesen war, einem solchen Krieger gegenüber kalt und gleichgiltig zu bleiben; jetzt liebte sie ihn. Wie glücklich wäre sie gewesen, ihn einmal wiederzusehen.

Aus diesem Sinnen weckte sie ein leiser Schritt, der in ihrer Nähe erklang. Sie blickte auf und sah den Lieutenant. Sie wollte sich entfernen, er aber trat ihr in den Weg und bat mit einer galanten Verbeugung:

»Entfliehen Sie mir nicht, Sennorita! Es sollte mir leid thun, wenn ich Sie im Genusse dieser herrlichen Blumendüfte störte.«

Sie blickte ihn forschend an und fragte dann:

»Wen suchen Sie, Sennor?«

Es war ziemlich dunkel, aber die Wachtfeuer warfen ihren Schein über die Planken herein, und bei diesem flackernden Lichte erblickte er eine schlanke und doch volle Gestalt, welche fast negligee gekleidet war, und ein dunkel gefärbtes Gesicht mit glühenden Augen und einem Lippenpaare, welches zum sofortigen Genusse einladete. Er sah nach seiner Meinung eine jener üppigen, feurigen Indianerinnen vor sich, welche es für ein Glück zu rechnen haben, wenn ein Weißer die Knospe bricht, welche ihm entgegenschwillt.


// 951 //

»Ich suche Niemand,« antwortete er. »Der Abend war so schön, und da trieb es mich in den Garten. Ist der Zutritt zu demselben verboten?«

»Den Gästen des Hauses steht Alles offen.«

»Aber Sie werden durch meine Gegenwart gestört, schöne Sennorita?«

»Karja läßt sich durch Niemand stören,« sagte sie. »Es ist Raum für uns Beide in dem Garten.«

Das war ein Wink, sich zu entfernen, aber der Lieutenant that so, als ob er ihn nicht verstanden habe. Er trat dem Mädchen einen Schritt näher und sagte:

»Karja heißen Sie. Wie kommen Sie auf diese Hazienda?«

»Sennorita Emma ist meine Freundin.«

»Wer ist Sennorita Emma?«

»Sie sahen sie noch nicht? Sie ist die Tochter von Sennor Petro Arbellez.«

»Haben Sie noch Verwandte hier?« fragte er als ein gewandter Verführer, der stets wissen muß, ob er die Rache eines Verwandten zu fürchten hat.

»Büffelstirn ist mein Bruder.«

»Ah,« sagte er, sehr unangenehm berührt, »Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas?«

»Ja,« antwortete sie in einem selbstbewußten Tone.

»Befindet er sich gegenwärtig auf der Hazienda?«

»Nein.«

»Aber er war doch gestern hier? Er ist mit Sennor Sternau nach der Schlucht des Tigers gegangen und hat dort am Kampfe mit theilgenommen?«

»Er ist ein freier Mann; er geht und kommt, wie es ihm gefällt und sagt keinem Menschen, was er thut.«

»Ich habe viel Rühmliches von ihm gehört. Er ist der König der Ciboleros, der Büffeljäger; aber daß er eine so schöne Schwester hat, das wußte ich nicht.«

Er ergriff die Hand der Indianerin, um auf dieselbe einen Kuß zu drücken, aber ehe dies geschehen konnte, entzog sie sie ihm.

»Gute Nacht, Sennor!« sagte sie, sich abwendend.

Jetzt hatte er sie im Profile vor sich. Gerade in diesem Augenblicke flackerte eines der Wachtfeuer hoch auf, und diese Flamme beleuchtete hell die weichen, reinen Linien des dunklen Gesichtes und die volle, reizende Büste der schönen Indianerin. Der Lieutenant trat hastig einen Schritt näher und versuchte, den Arm um ihre Taille zu legen.

»Fliehen Sie nicht, Sennorita,« bat er, »ich bin ja nicht Ihr Feind.«

Sie schob seinen Arm von sich, aber so kurz die Berührung gewesen war, hatte er doch die Wärme ihrer weichen Taille gefühlt und dabei bemerkt, daß sie nach Art der Indianerinnen nur ein einziges Gewand trug, welches hemdartig bis auf die Knöchel herabfließend ihren Körper umfloß.

Die Begierde, welche in ihm erwachte, ließ ihn alle Rücksicht vergessen. Er faßte jetzt mit festem Griff ihre Hand und sagte:

»Ich lasse Sie nicht gehen, Sennorita; ich liebe Sie.«

Sie ließ ihm ihre Hand, aber er fühlte, daß alle Wärme aus derselben wich.

»Sie lieben mich?« sagte sie. »Wie ist das möglich? Sie kennen mich ja nicht!«


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»Ich kenne Sie nicht, meinen Sie? Sie irren. Die Liebe kommt wie der Blitz vom Himmel herab, wie die Sternschuppe, welche plötzlich leuchtet; so ist sie bei mir gekommen, und wen man liebt, den kennt man.«

»Ja, die Liebe der Weißen kommt wie der Blitz, der Alles vernichtet, und wie die Sternschuppe, die in einem einzigen Augenblicke kommt und vergeht. Die Liebe der Weißen ist das Verderben, ist Untreue und Falschheit.«

Sie entzog ihm die Hand und wendete sich zum Gehen. Da legte er die Hand um sie und versuchte, sie an sich zu ziehen. Da war es, als ob ihre Gestalt an Höhe und Kraft gewinne; ihre schwarzen Augen glühten ihm entgegen so wild und drohend wie die Augen eines Panthers.

»Was wollen Sie?« fragte sie in strengstem Tone.

»Was ich will?« fragte er. »Dich lieben, Dich umarmen und küssen!«

Er zog sie näher an sich und bog sich zu ihr nieder, um sie zu küssen.

Da entzog sie sich ihm mit einer schlangengleichen Bewegung und sagte:

»Lassen Sie mich! Wer giebt Ihnen die Erlaubniß, mich zu berühren!«

»Meine Liebe giebt mir sie.«

Er faßte sie von Neuem; er preßte sie an sich. Sein Athem glühte ihr heiß in das Angesicht. Sie bog den Kopf zurück und versuchte, sich von ihm loszureißen.

»Weg, fort von mir!« sagte sie. »Sonst - -!«

»Was, sonst?« fragte er. »Ich liebe Dich; ich muß Dich haben; Du mußt mein sein um jeden Preis!«

Er hatte seinen Mund bereits an ihren Lippen; da gelang es ihr, sich den rechten Arm frei zu machen, und sofort stieß sie ihm die geballte Faust mit solcher Gewalt unter das Kinn, daß ihm der Kopf nach hinten flog, als ob er das Genick gebrochen hätte.

»Donnerwetter!« fluchte er. »Warte, Du Teufel! Das sollst Du mir entgelten!«

Er hatte sie unwillkürlich fahren gelassen und wollte sie jetzt wieder ergreifen, aber sie flog schnell über den Sandweg dahin, dem Eingange des Gartens zu. Er eilte ihr nach.

Auch der Rittmeister hatte sein Fenster geöffnet, um dem Duft seiner Cigarrette freien Abzug zu verschaffen. Er schritt sinnend in seinem Zimmer auf und ab und trat dabei einmal an das geöffnete Fenster. Sein Blick fiel zufällig in den Garten hinab und wurde durch das weiß glänzende Gewand gefesselt. Er strengte seine Augen mehr an und bemerkte, daß eine männliche Person neben der Frauengestalt stand.

»Donnerwetter, wer ist das?« fragte er sich. »Ist das die Hazienderita? Und wer ist der Kerl bei ihr? Wenn sie bereits eine Liebschaft hat, so darf ich mich nicht wundern, daß sie spröde gegen mich ist. Ich werde den Menschen kennen lernen!«

Er eilte nach der Thür und begab sich in den Garten hinab. Eben als er die Pforte desselben geöffnet hatte und im Begriffe stand einzutreten, kam die weiße Gestalt auf ihn zugeflogen, ohne ihn in der Eile der Flucht zu bemerken.

»Ah, Sennorita!« sagte er.


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Da erst gewahrte sie ihn und blieb stehen. Sofort hatte er sie erfaßt und wollte sie an sich drücken. Da aber holte sie aus und stieß ihm gerade wie vorher dem Lieutenant die Faust an die Gurgel, so daß er sie fahren ließ und zurückflog.

»Alle Teufel!« rief er. »Wer ist diese Katze?«

In diesem Augenblicke kam der Lieutenant nachgesprungen und wollte, auch ohne ihn zu bemerken, an ihm vorüber.

»Lieutenant Pardero!« sagte er. »Ihr seid es? Wohin so schnell?«

Bei diesem Zurufe blieb Pardero stehen und sagte:

»Ah, Kapitän, Sie sind es? Ist Ihnen diese kleine, weiße Hexe begegnet?«

»Allerdings. Ich habe sie nicht blos gesehen, sondern auch gefühlt.«

»Gefühlt?« fragte der Lieutenant.

»Ja, leider!« lautete die Antwort.

»Sie sind wohl mit ihr zusammengestoßen?«

»Ja, das heißt, ihre Faust ist mit meiner Kehle zusammengestoßen.«

»Verdammt! So haben Sie sie küssen wollen, gerade wie ich.«

»Möglich! Gerade wie Sie! Ah, Sie verrathen sich!«

»Meinetwegen!«

»Und wie schmeckte der Kuß?«

»Verteufelt gesalzen; ich hatte den Stoß viel eher, als den Kuß.«

»Aber diesen Kuß doch auch?«

»Nein. Der Teufel mag küssen, wenn Einem der Kopf in's Genick getrieben wird.«

»Gerade wie bei mir,« lachte der Rittmeister.

»Das tröstet mich!« lachte nun auch der Lieutenant.

»Aber, Pardero, Sie gehen auf schlimmen Wegen. Vergilt man die Gastfreundschaft auf diese Weise?«

»Pah! Was hat denn Sie in den Garten getrieben!«

»Nur allein der schöne Abend.«

»Das machen Sie mir nicht weiß. Ich wette, daß es Ihnen gerade so wie mir gegangen ist.«

»Nun, wie?«

»Sie sahen zum Fenster heraus -«

»Zugegeben.«

»Erblickten ein weißes Frauenkleid -«

»Auch das.«

»Gedachten sich einen Kuß zu holen, oder etwas dergleichen -«

»Eingestanden.«

»Und gingen herab in den Garten.«

»Auch das hat Ihr bekannter Scharfsinn errathen.«

»So haben wir also ganz dieselbe Absicht gehabt und auch ganz denselben Erfolg errungen,« lachte der Lieutenant.

Der Rittmeister war der Vorgesetzte, aber in Mexiko sind die Dienstverhältnisse andere, als in Deutschland. Uebrigens befanden sich Beide jetzt nicht im Dienste und, was die Hauptsache war, sie waren Freunde, sie kannten sich und pflegten sich bei ihren kleinen und großen Abenteuern zu unterstützen. Daher kam


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es, daß sie jetzt so ohne alle Reserve mit einander sprachen und einander auslachten.

»Wer war denn die Kleine?« fragte der Rittmeister.

»Sie hieß Karia und ist eine Indianerin.«

»Und so spröde! Sie schien reizend zu sein.«

»Außerordentlich! Man könnte dieses Mädchens wegen recht gut irgend Jemand umbringen. Ich war ganz Feuer und Flamme.«

»Und sie ganz Eis und Schnee.«

»Leider. Aber ich hoffe, dieses Eis zum Schmelzen zu bringen.«

»Was thut sie denn hier in der Hazienda?«

»Sie scheint eine Gesellschafterin der Tochter des Hauses zu sein.«

»Der Tochter? Also von Sennorita Emma?«

»Ja. Kennen Sie diese Emma?«

»Ja.«

»Caramba! Welch ein Glück! Ist sie schön?«

»Schöner noch als diese Karja, weit schöner.«

»Das will viel sagen. Vielleicht auch freundlicher?«

»Ich habe das nicht gefunden. Dieses Haus scheint sehr klösterlich gesinnte Bewohner zu haben. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen, Pardero.«

»Ich höre.«

»Sie wollen diese kleine Indianerin?«

»Um jeden Preis! Und Sie diese kleine Sennorita Emma?«

»Auch um jeden Preis! Helfen wir uns?«

»Versteht sich! Hier meine Hand!«

»Topp! Da gilt es zunächst, zu erfahren, ob die Herzen dieser keuschen Dianen bereits engagirt sind. Es scheint so, nach der Kälte, welche wir verspürt haben!«

»Vielleicht ist uns dieser Sternau zuvorgekommen! Er ist ein sehr schöner Mann, der wohl hundert Mädchen die Köpfe verdrehen könnte.«

»Ich meine dies nicht; eher erscheint mir dieser Mariano verdächtig. Haben Sie nicht bemerkt, daß ihn der Haziendero so auf eine stille, unauffällige, feine Weise auszuzeichnen sucht? Es ist fast, als ob er der Höhere von den Dreien sei.«

»Ich hatte keine Veranlassung, so scharf zu beobachten. Erlauben Sie mir, schlafen zu gehen. Dieses Mädchen hat eine Faust, wie ein indischer Athlet; man sollte es ihren kleinen, weichen Händchen gar nicht anfühlen. Mein Genick schmerzt und ist mir so steif geworden, als ob es aus Holz gedrechselt sei. Der Teufel hole die Liebe, welche ihre Stärke und Innigkeit mit der Faust beweist!«

»So schlafen Sie aus, Lieutenant. Morgen erneuern wir den Angriff, und ich denke doch, daß es uns gelingen wird, Bresche zu schießen. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Sennor Verdoja!«

Pardero ging; der Rittmeister aber verweilte sich noch längere Zeit im Garten, bis seine Uhr die Nähe der zwölften Stunde zeigte. Dann that er, als ob er die Runde mache, und versuchte dabei, unbeobachtet an die südliche Ecke der Umzäunung zu kommen. Dies war ja der Ort, wohin er den Briganten bestellt hatte.


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Dieser war bereits eingetroffen; er hatte sich im tiefsten Schatten so eng nieder gehockt, daß ihn Niemand sehen konnte, auch der Rittmeister nicht.

»Sennor!« flüsterte er daher, als Verdoja an ihm vorüberschleichen wollte.

»Ah, bist Du es!« sagte der Angeredete, indem er stehen blieb.

»Ja, Sie sehen, daß ich pünktlich bin.«

»Das habe ich erwartet. Wo sind Deine Gefährten?«

»In der Nähe.«

»Man wird sie doch nicht bemerken?«

»Tragen Sie keine Sorge! Nun, was haben Sie uns zu befehlen?«

»Kennst Du diesen Sternau persönlich?«

»Nein.«

»Keiner von Euch kennt ihn?«

»Keiner.«

»Das ist unbequem. Er reitet mit mir nach der Schlucht des Tigers.«

»Und wir sollen ihn dort erwarten?«

»Erwarten und niederschießen.«

»Das werden wir thun; bei der heiligen Mutter Gottes, wir werden es thun. Er hat unsere Kameraden getödtet; er muß auch sterben, er und die Anderen.«

»Aber Ihr kennt Ihn nicht. Ich weiß noch nicht, wer uns begleitet. Ich kann nicht allein mit ihm reiten und werde daher wohl einige meiner Leute mitnehmen. Vielleicht gehen noch Andere mit. Welch ein Zeichen soll ich Dir geben, um ihn zu erkennen?«

»Beschreiben Sie mir ihn!«

»Er ist wohl noch länger und stärker gebaut als ich und trägt einen blonden Vollbart. Was für Kleider er tragen und welch ein Pferd er reiten wird, das weiß ich heute natürlich noch nicht.«

»Nun gut, so wollen wir ein Zeichen bestimmen, an welchem ich ihn erkenne. Halten Sie sich womöglich stets an seiner rechten Seite.«

»Wird das genügen?«

»Vollständig. Aber was wird mit den andern Beiden?«

»Ich liefere sie Euch bei einer anderen Gelegenheit. Hauptsache ist, daß Du an jeder Mitternacht Dich hier einfindest. Wir können uns besprechen. Für jetzt aber trennen wir uns. Man könnte uns bemerken.«

Er ging und legte sich schlafen. Er schlief sehr ruhig; der soeben besprochene Mordanschlag lag ihm nicht im Mindesten auf dem Gewissen.

Am andern Morgen brachte er beim ersten Frühstücke, welches gemeinschaftlich eingenommen wurde, die Rede auf den beabsichtigten Ritt nach der Schlucht des Tigers. Er hielt es für zweckmäßig, den Morgen dazu zu verwenden, und Sternau erklärte sich bereit dazu. Die beiden Lieutenants baten mitkommen zu dürfen, was ihnen bereitwilligst zugestanden wurde. Von den Andern nahm keiner Theil, da ihnen die Offiziere unsympathisch waren.

Das hatte der Rittmeister gewünscht. Sternau war der einzige Civilist, welcher bei ihnen war, und so konnte keine Verwechslung vorkommen; die Kugel mußte ihn treffen. Als sie zu Pferde die Hazienda verließen, hatte der Deutsche nicht die entfernteste Ahnung, daß er dem Tode verfallen sei.


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Sie ritten ganz denselben Weg, den Sternau mit Büffelstirn gegangen war. Er machte natürlich den Führer. Im Walde wurde abgestiegen, da man die Pferde stellenweise führen mußte. So näherten sie sich der Schlucht. Als man den Eingang zu derselben fast erreicht hatte, blieb Sternau stehen.

»Lassen wir die Pferde hier,« sagte er. »Sie mögen bis zu unserer Rückkehr weiden.«

Die Anderen thaten mit, und so schritt man ohne die Thiere weiter.

Sternau hatte keine andere Waffe als seinen Stutzen mit; nur das Messer stak ihm noch im Gürtel. Als sie den Eingang der Schlucht erreichten, blieb er plötzlich stehen und blickte nieder, um das Gras zu betrachten.

»Was suchen Sie?« fragte der Rittmeister.

»Hm, gehen wir weiter!«

Mehr sagte er nicht, aber sein Auge haftete nur am Boden.

Als man die Schlucht erreichte, hielt sich der Rittmeister an seiner Seite. Er suchte mit seinen Blicken die beiden Seitenwände und die Ränder der Schlucht ab; jeden Augenblick konnte der tödtliche Schuß fallen; es waren Minuten der peinlichsten Erwartung. Auf der Sohle des Thales lagen die Todten, wie man sie bei der Plünderung hingeworfen hatte; man konnte bereits den Verwesungsgeruch verspüren.

»Also hier war es, Sennor?« fragte der Rittmeister.

»Ja,« antwortete Sternau.

»Und diese Leichen sind Ihr Werk, außer zweien?«

»Man zählt solche Dinge nicht genau. Bemerken Sie, daß Alle durch den Kopf getroffen sind?«

»Wirklich!«

Sie betrachteten die Leichen und sahen, daß eine jede ganz genau an demselben Punkte der Stirn getroffen war. Bei dieser Betrachtung gewahrten sie nicht, daß Sternau sich mehr bückte als nothwendig war, und daß er hinter ihren Körpern sehr sorgfältig Deckung suchte. Auch sahen sie nicht, daß seine Blicke verstohlen rechts und links an den Seiten der Schlucht emporblitzten.

»Das ist viel,« sagte der Rittmeister. »Sie sind wirklich ein ganzer Schütze, Sennor. Man hat noch nie gehört, daß ein einziger Mann in der Zeit von zwei Minuten gegen dreißig Feinde erschießt.«

Sternau zuckte geringschätzig die Achsel.

»Ja, so ein Henrystutzen ist eine fürchterliche Waffe,« sagte er. »Aber es gehört auch Etwas dazu, diese Waffe im geeigneten Augenblicke zu gebrauchen. Dreißig sichtbare Feinde sind leichter zu erlegen als ein unsichtbarer«

»Ein solcher dürfte wohl gar nicht zu erlegen sein,« meinte Lieutenant Pardero.

»Ein guter Schütze erlegt auch ihn,« lächelte Sternau, indem er sich noch immer hinter den Körpern der Anderen hielt.

»Das ist unmöglich,« sagte der Rittmeister.

»Soll ich Ihnen die Möglichkeit beweisen?«

»Thun Sie es!« meinte der Lieutenant neugierig.

»So frage ich Sie, ob Sie glauben, daß sich hier ein einziger Feind befindet?«


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»Wer sollte das sein, und wo sollte er stecken?«

Sternau lächelte überlegen und sagte:

»Und dennoch lauert man mich hier auf, um mich zu erschießen.«

Er hatte seinen Stutzen schon längst von der Schulter genommen und hielt ihn unter dem Arme. Der Rittmeister erschrak. Woher wußte Sternau, daß man sein Leben bedrohte?

»Sie belieben zu scherzen, Sennor Sternau,« sagte der Offizier.

»Ich werde Ihnen beweisen, daß es Ernst ist.«

Mit diesen Worten riß er den Stutzen empor, zielte und drückte zweimal ab. Ein mehrmaliger Schrei erscholl am Rande der Schlucht herunter. Sternau aber sprang nach der Seite dieses Randes hinüber und schnellte dann in mächtigen Sätzen, von den Büschen gedeckt, dem Ausgange der Schlucht zu, hinter welchem er verschwand. Von seinem ersten Schusse an bis zu diesem Augenblicke war nicht eine Minute vergangen.

»Was war das?« rief Pardero.

»Er hat einen Menschen getödtet,« antwortete der andere Lieutenant.

»Ein fürchterlicher Kerl!« stieß der Rittmeister hervor.

Er konnte nichts anderes sagen.

»Wir stehen in Gefahr, wir müssen uns zurückziehen,« sagte Pardero.

Sie retirirten nach dem Eingang der Schlucht und warteten. Nach einer Weile ertönten ganz oben noch zwei Schüsse; dann blieb es längere Zeit still. So verging wohl eine Viertelstunde, da raschelte es hart neben ihnen in den Büschen so daß sie erschrocken hinblickten und zu den Waffen griffen.

»Fürchten Sie sich nicht, Sennores,« klang es ihnen entgegen. »Ich bin es.«

Es war Sternau, welcher hervortrat.

»Aber, Sennor, was war das, was haben Sie gethan?« fragte der Lieutenant.

"Geschossen habe ich", lachte der Gefragte.

»Geschossen habe ich,« lachte der Gefragte.

»Das wissen wir. Aber warum?«

»Aus Gegenwehr, denn ich war es, der erschossen werden sollte.«

»Unmöglich! Wer sollte das sein! Woher wissen Sie das?«

»Meine Augen sagten es mir.«

»Und wir haben nichts bemerkt!«

»Das ist Ihnen nicht anzurechnen, denn Sie sind keine Prairiemänner. Der Herr Rittmeister bemerkte, daß ich vorhin hier das Gras betrachtete. Ich sah die Fußspuren von Menschen, welche vor einer Viertelstunde hier gewesen waren; sie führten da rechts empor. Hier blicken Sie her; sie sind noch zu sehen.«

Er deutete auf den Boden nieder. Die Offiziere gaben sich alle Mühe, konnten aber nicht das Mindeste erkennen.

»Ja, es gehört ein geübtes Auge dazu,« lachte Sternau. »Nun weiter! Weil die Spuren rechts nach der Höhe führten, suchte ich nach unserem Eintritt in die Schlucht den Rand derselben ab, und da bemerkte ich denn einige Männerköpfe, welche hinter dem dort stehenden Buschwerke versteckt, uns beobachteten. Sie konnten nicht sehen, daß ich sie beobachtete, da meine Augen sich im Schatten meiner Hutkrämpe befanden.«

»Aber wie konnten Sie wissen, daß es Feinde waren?« fragte der Rittmeister.


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»Weil sie ihre Büchsen durch die Sträuche steckten, als wir in die Schlucht eindrangen. Ich sah ganz deutlich zwei Läufe auf uns gerichtet.«

»Caramba!« fluchte Lieutenant Pardero, der keine Ahnung von dem Zusammenhange hatte. »Das konnte auch uns gelten anstatt Ihnen.«

»Nein, es galt mir. Ich weiß, daß ich Veranlassung habe, auf meiner Hut zu sein; darum versteckte ich mich, je weiter wir gingen, immer hinter den Körper des Herrn Rittmeisters. Wer mich schießen wollte, mußte erst ihn treffen.«

Der Rittmeister sperrte den Mund auf.

»Donnerwetter,« meinte er endlich, »so bin eigentlich ich es gewesen, der sich in Lebensgefahr befunden hat!«

»Allerdings,« lachte Sternau. »Es ist mir dabei sehr auffällig, daß diese Mörder den Schild, als der Sie mir dienten, so sorgfältig respektirt haben.«

Diese Bemerkung verursachte dem Rittmeister doch einiges Bedenken. Ahnte dieser Sternau vielleicht den Zusammenhang? Dieser Letztere fuhr fort:

»Uebrigens wurde es mir sehr leicht, mich zu decken; die Büchsen blickten von rechts herab, und der Herr Rittmeister hatte die Güte, sich mit einer gewissen Anstrengung stets auch an meiner rechten Seite zu halten.«

Der Rittmeister erbleichte leicht. Jetzt war kein Zweifel übrig, daß er durchschaut war. Sternau ahnte, wer an dem Ueberfalle Schuld trage. Er fuhr fort:

»Sie sahen die Gewehre nicht. Ich aber weiß ganz genau, in welcher Richtung von der Mündung einer Büchse der Kopf des Zielenden zu suchen ist. Als ich meine beiden Schüsse abfeuerte, traf ich zwei Männer gerade in den Kopf. In demselben Augenblicke aber fuhren neben ihnen noch zwei Büchsen durch die Sträucher; darum sprang ich nach rechts hinüber, wo ich Deckung fand und eilte dem Ausgange zu. Die Bursche hatten ihre Position sehr schlecht gewählt; sie verdienen Ohrfeigen für ihre Dummheiten.«

»Und wo gingen Sie dann hin?« fragte der Rittmeister,

»Ich pürschte mich so eilig wie möglich hinauf, um den Leuten in den Rücken zu kommen. Aber als ich an den Ort gelangte, waren sie klug gewesen, sich davon zu machen. Ich hörte noch von Weitem die Büsche knacken und schickte ihnen auf's Geradewohl zwei Kugeln nach.«

»Und die Todten?«

»Sie liegen oben. Wollen Sie sie sehen?«

»Ja.«

»So kommen Sie. Ihre Kameraden haben ihnen nur die Waffen und das Geld abgenommen; das Uebrige werden wir noch finden.«

Sie folgten dem muthigen Manne am Rande der Schlucht empor und fanden dort oben wirklich zwei Männer liegen, welche beide durch den Kopf geschossen waren. Der Rittmeister erkannte mit Befriedigung, daß der Anführer, mit dem er um Mitternacht gesprochen hatte, und den er heute um dieselbe Zeit wieder erwartete, nicht dabei war.

»Sennor, Sie wagten viel, als Sie die Gewehre auf sich gerichtet sahen und dennoch mit uns gingen,« sagte der zweite Lieutenant.

»Ich wagte wenig. Aber diese beiden Todten wagten viel, daß sie mich ihre


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Läufe sehen ließen, ehe sie zum Schusse kamen. Ein erfahrener Westmann thut das nie.«

»Was thun wir mit den Leichen?«

»Nichts, sie mögen bei den Andern liegen, zu denen sie gehören. Ich irre mich wohl nicht, wenn ich annehme, daß diese beiden Menschen gestern mit einem gewissen Cortejo in El Oro gewesen sind. Sie selbst kamen ja wohl von dort her?«

Er sagte das in einem scheinbar gleichgiltigen Tone, aber der Rittmeister hörte aus demselben doch die Spur einer Anklage heraus.

»Ja, ein gewisser Cortejo kam zu Juarez, als wir gerad zur Tafel saßen,« sagte der zweite Lieutenant unbefangen und ahnungslos.

Der Rittmeister warf ihm einen wüthenden Blick zu, der aber nicht bemerkt wurde.

»Waren Leute bei ihm?« fragte Sternau.

»Ja. Fünf oder sechs.«

»Gehörten diese Beiden hier zu ihnen?«

»Ich habe sie nicht so genau angesehen, aber es ist mir so, als hätte ich sie bemerkt. Der Herr Rittmeister kann vielleicht nähere Auskunft ertheilen.«

»Warum der Herr Rittmeister?«

»Weil jener Cortejo bei ihm geherbergt hat.«

Ein zweiter wüthender Blick traf den Sprecher, wurde aber von ihm ebenso wenig bemerkt, wie der erste. Nur Sternau fing ihn auf, ließ sich aber nichts merken und sagte ruhig:

»Ich glaube nicht, daß ich von Sennor Verdoja Auskunft erhalten werde. Uebrigens ist ja die Sache abgemacht. Diese beiden Kerls haben ihren Lohn und mögen nun da verwesen, wo ihre Kameraden verfaulen.«

Er stieß die beiden Leichen über den Rand der Schlucht, so daß sie den steilen Abhang hinabstürzten und unten halb zerschmettert liegen blieben. Nun kehrten die vier Männer nach dem Orte zurück, an welchem sie ihre Pferde stehen gelassen hatten. Sie fanden dieselben ruhig weidend, stiegen auf und traten den Heimritt an. Während dieses Rittes wurde von Sternau kein Wort gesprochen; auch der Rittmeister verhielt sich vollständig schweigsam, und nur die beiden Lieutenants plauderten halblaut miteinander. Sternau war der Gegenstand des Gesprächs. Sein Muth, seine Geistesgegenwart und Geschicklichkeit wurde von ihnen mit Bewunderung besprochen, und noch waren sie keine Stunde lang zu Hause, so wußten sämmtliche Soldaten von dem Abenteuer, welches ihre Offiziere mit dem kühnen Deutschen erlebt hatten.

Die Bewohner der Hazienda erfuhren es natürlich auch, und es wurde von ihnen auf verschiedene Weise aufgenommen. Während der Eine nur das Verhalten Sternau's pries, hob der Andere hervor, daß man sich nun wohl sicher fühlen könne, und ein Dritter bedauerte, daß nur zwei getödtet worden seien und nicht auch die Anderen mit.

Da Sternau sich sagen konnte, daß er von dem Rittmeister beobachtet werde, so hielt er sich von allem Verkehr fern und machte auch während der Mittagsmahlzeit über sein heutiges Erlebniß nur einige allgemeine Bemerkungen. Als aber am


// 960 //

Nachmittage Verdoja einen Spazierritt unternahm, ließ er den Haziendero und die Freunde zu sich kommen und theilte ihnen seinen Verdacht mit.

Sie glaubten anfangs, daß er sich getäuscht habe, schenkten später aber doch seinen Gründen einigermaßen Glauben und beschlossen, den Rittmeister genau zu beobachten und sich möglichst vor ihm in Acht zu nehmen.

Der Abend verging wie der gestrige, nur daß die Indianerin sich hütete in den Garten zu gehen. Als der Rittmeister sich zur guten Nacht empfahl, ging Sternau scheinbar auch schlafen, kehrte aber auf der Treppe wieder um und begab sich in eines der Gemächer, welche im Parterre neben dem Hausflur lagen.

Wenn der Rittmeister mit dein Mordgesindel in Beziehung stand, so war es klar, daß er nur des Nachts mit diesen Leuten verkehren konnte; daher hatte Sternau beschlossen, sich auf die Lauer zu legen. Die hintere Thür war verschlossen und da in Folge dessen das Haus nur durch die vordere verlassen werden konnte, so mußte Sternau den Rittmeister, sobald dieser einen heimlichen Weg antrat, unbedingt bemerken.

Er öffnete den einen Flügel seines Fensters ein Wenig, um besser hören zu können und ließ sich dann auf einen Stuhl nieder. Es kam ihm oft der Gedanke an die Heimath und an sein schönes, herrliches Weib, aber er drängte diese Vorstellung zurück, da er seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu konzentriren hatte. So saß er lange mit scharf wachenden Sinnen, bis Mitternacht nahe war.

Da kam es ihm vor, als ob er ein Geräusch vernehme, welches sich draußen im Flur hören ließ. Er horchte mit doppeltem Fleiße und hörte die vordere Thür, neben welcher sein Fenster lag, leise öffnen. Ein scharfer Blick durch das Fenster zeigte ihm die Gestalt des Rittmeisters, welcher behutsam das Haus verließ und nach dem Thore schritt. Dasselbe war nicht verschlossen, da die Gegenwart der Lanzenreiter mehr als genug Schutz und Sicherheit bot. Man mußte es auf lassen, damit Mannschaft und Offiziere auch des Abends und Nachts mit einander verkehren konnten. Der Rittmeister trat in das Freie hinaus.

Sternau sprang durch sein Fenster, dessen Flügel er wieder anlehnte und folgte ihm, aber nicht hinaus in das Freie, sondern nur bis an die Palissaden, welche den Hof umschlossen. Ueber dieselben hinweg konnte er in das Freie blicken und so den Rittmeister sehen, wie er von Feuer zu Feuer ging, um die Wachen zu inspiciren. Wie dieser draußen ging, so folgte ihm Sternau im Inneren des Hofes. -

Bei einem zufälligen Rückblick auf das Gebäude bemerkte Sternau oben auf dem platten Dache desselben eine Gestalt, welche langsam auf- und niederschritt. Er konnte ihre Züge nicht erkennen, aber er wußte, daß es Emma sei, der er heute ernstlich anbefohlen hatte, frische Luft zu genießen, da sie sonst sich am Krankenbette zu sehr anstrenge. Des Tages wollte sie mit dem Militär nicht in Berührung kommen, und so zog sie es vor, jetzt, da der Geliebte schlief, sich auf dem Dache des Hauses zu ergehen.

Der Rittmeister hatte das ganze Lager durchschritten und hätte nun eigentlich zurückkehren müssen, aber er huschte nach der südlichen Ecke des Hauses zu.

Was wollte er dort? Warum schritt er nicht laut, wie ein ehrlicher Spaziergänger? Sternau folgte ihm von innen mit vollständig unhörbaren Schritten und


Ende der vierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk