Lieferung 42

Karl May

8. September 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Der Gefragte schwieg. Er wollte nicht mit Worten eingestehen, daß er bereit sei, seinen bisherigen Widerstand aufzugeben.

»Antworte mir jetzt!« fuhr Sternau fort. »Gestehst Du ein, daß Ihr von einem gewissen Cortejo gedungen waret, mich und meine Gefährten aufzulauern?«

»Ja, das will ich gestehen,« sagte der Mann.

»Als dies mißlang und ich Eure Leute in der Schlucht des Tigers getödtet hatte, engagirte Euch Uebrigen der Kapitän Verdoja, uns niederzuschießen?«

»Ja.«

»Ihr habt in Folge dessen auch wirklich auf mich geschossen?«

»Ich nicht, sondern nur die Beiden, welche Sie in der Schlucht tödteten.«

»Entschuldige Dich nicht; Du warst ihr Anführer. Du hast dann mit Verdoja einige Zusammenkünfte gehabt, und bei der letzten derselben, gestern, forderte er Dich auf, mich und Sennor Mariano heute mit Deinem Doppelgewehre zu erschießen, und zwar in dem Augenblicke, in welchem ich mit ihm auf der Mensur stehen werde?«

»Ja,« antwortete der Mexikaner kleinlaut. Er sah ein, daß Leugnen ganz vergeblich sei, fügte aber hinzu: »Sie können mir aber glauben, Sennor Sternau, daß ich es nicht gethan hätte; ich hätte Sie auf keinen Fall erschossen.«

»Ah! Was hättest Du denn gethan?«

»Ich wäre hervorgetreten und hätte Ihnen gesagt, was der Kapitän mit Ihnen im Sinne hatte.«

»Das mache einem Anderen weiß. Du wirst übrigens jetzt Deine Kameraden zu sehen bekommen. - Mariano, willst Du die beiden Leute holen?«

Mariano ging und brachte sie nach kurzer Zeit herbei. Sie erschraken sichtlich, als sie ihren Gefährten erblickten, und es bedurfte von Seiten Sternau's nur einer kleinen Einschüchterung, um sie zum vollen Geständniß zu bringen. Sie hörten, daß ihr Mithelfer bereits Alles gesagt habe, und sahen nun keinen Grund, um durch ein unnöthiges Leugnen ihre an und für sich bereits gefährliche Lage zu verschlimmern.

»Ihr seid Mörder und wohl auch noch mehr als das,« sagte Sternau; »es gehört Euch der Strick ohne alle Gnade und Barmherzigkeit, aber ich will Nachsicht üben, sobald Ihr bereit seid, eine Bedingung zu erfüllen.«

»Welche ist es?« fragte der Eine.

»Ich fordere von Euch, daß Ihr Euer Geständniß in Gegenwart des Kapitäns wiederholt, sobald ich es verlange. Seid Ihr bereit dazu?«

Sie blickten einander an und antworteten nicht. Endlich fragte der Anführer:

»Ist das unbedingt nothwendig?«

»Ja. Thut Ihr es nicht, so geschieht das mit Euch, was ich Euch bereits sagte: ich lasse Euch unverzüglich aufhängen. Denket nicht, daß ich nur drohe!«

»Hängen lassen wir uns des Rittmeisters wegen nicht. Wenn es wirklich nicht anders geht, so werden wir also auch in seiner Gegenwart die Wahrheit sagen.«

»Gut. Das Leben ist Euch also geschenkt und das Weitere wird sich finden. Ihr werdet jetzt zusammengesperrt. Versucht nicht, zu entfliehen, denn jeder Versuch wird Euern Tod zur Folge haben!«


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Sie wurden jetzt zu Dritt in dasselbe Gewölbe eingeschlossen, in welchem bereits die Zwei gesteckt hatten. Sternau ahnte mit den Uebrigen, daß sehr bald eine Kundgebung feindseliger Art von den Offizieren zu erwarten sei, und so zogen sie es vor, im Hause zu bleiben, um einander an jedem Augenblicke zur Hand zu sein.

Die drei Offiziere waren nach dem Aufbruche Sternau's und Mariano's noch längere Zeit auf dem Kampfplatze geblieben; sie sahen sich durch die Verwundungen dazu gezwungen. Die Hand Pardero's war zwar vollständig zerschmettert, aber die Blutung zeigte sich bei ihm als nicht übermäßig. Das Taschentuch und ein Stück von der Pferdedecke genügten zum einstweiligen Verbande. Anders war es bei dem Kapitän. Die scharfen Schnittflächen seiner vierfachen Fingerwunde begünstigten das Hervorbrechen des Blutes, und die Kugelwunde im Arme, obgleich nicht gefährlich, schien eine bedeutende Vene zerrissen zu haben. Hier war die Blutung mit weit größerer Mühe zu stillen.

Während dieser Verbandarbeiten wurde nur wenig gesprochen, und das, was geredet wurde, trug den Charakter des Grimmes und der Wuth an sich.

»Wer hätte das gedacht!« meinte Pardero.

»Daß Sie so ungeschickt sind, auf mich zu schießen!« unterbrach ihn der Kapitän.

»Ich? Sie haben ja bereits gehört, wie es zugegangen ist. Dieser Sternau ist ein Fechter und ein Schütze, wie es keinen zweiten giebt.«

»Und Sie ebenso ein Schütze, wie es keinen zweiten giebt, nämlich so schlecht!«

»Ich bitte die Herren, sich nicht zu entzweien!« sagte der Sekundant, welchem das Geschäft des Verbindens allein oblag, da die beiden Anderen durch ihre Wunden verhindert waren, ihm durch eine Handreichung beizustehen. »Das Rendez-vous war ein ganz und gar außerordentliches. Dieser Sternau kann wirklich fast ein Teufel genannt werden, obgleich Alles sehr natürlich zugegangen ist. Seine Geschicklichkeit sowohl in Beziehung der Schieß- als auch der Hiebwaffe ist eine geradezu auffällige, noch aber auffälliger sind mir die Worte, welche er sprach.«

»Allerdings auffällig im höchsten Grade,« stimmte Pardero bei. »Er beschuldigte Sie, Kapitän, ja geradezu, einen Mörder gedungen zu haben, der ihn und seinen Sekundanten niederschießen solle.«

»Schlechtigkeit!« antwortete Verdoja.

Aber trotz dieses Wortes konnte er die tiefe Röthe nicht verbergen, welche in sein vorher so todtenbleiches Gesicht getreten war. Wer bei solchem Blutverluste so tief erröthen konnte, der mußte sich getroffen fühlen.

Der Sekundant fixirte ihn mit scharfem Auge. Er war ein Ehrenmann, der, wenn gleich ein Mexikaner, sich der Beihilfe einer Unehrenhaftigkeit nicht schuldig machen wollte. Er hatte keine Ahnung von den eigentlichen Absichten seines Vorgesetzten, dem er nur sehr ungern als Sekundant gedient hatte, da es sich ja um die Beleidigung einer Dame handelte; aber gerade daß es sein Vorgesetzter war, hatte ihn vermocht, eine Weigerung nicht auszusprechen. Er fühlte, ja, er war fest überzeugt, daß Sternau's Anschuldigung eine begründete sei, und darum fragte er:

»Was sollte diesen Deutschen zu einer solchen Beschuldigung veranlassen?«

»Eben seine Schlechtigkeit,« antwortete der Kapitän.


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»Sie irren wohl, Sennor!« sagte der Sekundant ruhig. »So wie ich Sternau beurtheile, ist er nicht der Mann zu einer solchen Bosheit.«

»So war es ein übel angebrachter Theatercoup, um den Effekt zu erhöhen.«

»Auch das glaube ich nicht. Sternau, der berühmte Jäger, ist kein Schauspieler.«

Da stampfte Verdoja zornig mit dem Fuße.

»Schweigen Sie! Oder wollen Sie mir etwa sagen, daß Sie glauben, was dieser Mensch ausgesprochen hat?«

»Er hat eine offene Anschuldigung ausgesprochen, die Sie nicht wiederlegten,« antwortete der Lieutenant gemessen. »Ich enthalte mich natürlich eines jeden Urheiles, bis bewiesen ist, daß der Ankläger sich geirrt hat.«

»Das will ich Ihnen auch rathen!«

Der junge Mann blickte von dem Verbande auf, mit dem er beschäftigt war, zog die Brauen zusammen und fragte:

»Soll das eine Drohung sein, Kapitän?«

»Allerdings!« lautete die zornige Antwort.

Sofort ließ der Lieutenant das Tuch los und trat zurück.

»Ich verbitte sie mir sehr ernstlich!« sagte er. »Sie sind im Dienste mein Vorgesetzter, in einem Ehrenhandel aber ist meine Stellung keine andere, als die Ihrige. Ihr Verhalten gegen mich ist mir unbegreiflich, und ich sage Ihnen, daß ich sofort nach unserer Rückkehr mit Sennor Sternau sprechen werde. Er hat Sie des Meuchelmords angeklagt; geschah es mit Unrecht, so muß er widerrufen und Genugthuung geben; geschah es aber mit Recht, so werde ich aus meiner Stelle scheiden.«

»Ich verbiete Ihnen, mit diesem Menschen zu sprechen!« schnaubte der Kapitän.

»Sie haben mir nur in dienstlichen Dingen Befehl zu ertheilen, sonst nicht. Sie kennen jetzt meine Ansicht. Soll ich den Verband vollenden, so ersuche ich Sie, das jetzige Thema fallen zu lassen.«

Der Kapitän schwieg nothgedrungen und hielt ihm den Arm entgegen. Der Zorn, welcher ihn beherrschte, war nicht geeignet, die Wallungen seines Blutes zu beruhigen, und so kam es, daß das Verbinden eine längere Zeit in Anspruch nahm. Während der Lieutenant mit dem Arme seines Vorgesetzten beschäftigt war, wechselte dieser Blicke mit Pardero, aus denen er erkannte, daß er in letzterem einen Verbündeten haben werde.

Endlich stiegen sie zu Pferde, um nach der Hazienda zurückzukehren. Sie thaten dies, wie bereits bemerkt, mit düsteren Mienen, doch war bei dem Lieutenant der Grund dazu ein ehrenhafterer als bei den beiden Anderen.

Bei den Lanzenreitern befand sich einer, welcher einmal Arzt hatte werden wollen, aber wegen schlimmen Lebenswandels relegirt worden war. Er war der Chirurg der Schwadron und hätte bei dem Duelle eigentlich zugegen sein müssen. Aber Sternau hatte die Anwesenheit eines Arztes abgelehnt, und der Kapitän war so überzeugt gewesen, daß sein meuchlischer Anschlag gelingen werde, daß man nicht für nöthig befunden hatte, ihn zu benachrichtigen. Kaum aber waren Verdoja und


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Pardero nach der Hazienda zurückgekehrt, so ließen sie ihn kommen, um sich einen regelrechten Verband anlegen zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie von ihm, daß ein Bote angekommen sei, der von Juarez die Weisung gebracht habe, sofort nach Monclova aufzubrechen, da dort die Bevölkerung im Aufstande gegen die Regierung stehe. Dieser Bote war derselbe Reiter, welchen Sternau hatte kommen hören. Der Kapitän ließ ihn zu sich kommen und empfing den schriftlichen Befehl, den Monclovanern gegen die Regierungstruppen beizustehen.

»Werde ich reiten können?« fragte er den Chirurgen.

»Ja,« antwortete dieser. »Das Reiten strengt den Arm nicht an. Es ist nur das Wundfieber zu befürchten, und da ich das Wundkraut angewendet habe, so wird es gar nicht eintreten.«

»Und Lieutenant Pardero?«

»Seine Wunde ist schmerzhafter als die Ihrige, gefährlicher aber nicht. Auch er kann reiten. Allerdings den Degen werden Sie Beide nicht wieder führen können.«

»So fechte ich mit der linken Hand. Morgen früh brechen wir auf.«

Während der Chirurg mit den beiden Verwundeten beschäftigt war, führte der Lieutenant seinen Vorsatz aus und begab sich zu Sternau. Dieser sah ein, daß er es mit einem Ehrenmann zu thun hatte, verweigerte ihm aber einstweilen jede Auskunft.

»Und doch muß ich auf diese Auskunft bestehen,« sagte der Lieutenant. »Es ist ein Bote angekommen, welcher unseren schleunigen Aufbruch fordert. Juarez dirigirt uns nach Monclova. Haben Sie ein wirkliches Recht, den Kapitän des Meuchelmordes oder der Anstiftung dazu zu beschuldigen, so trete ich aus, oder zwinge ihn, auszutreten. Ganz dasselbe wird auch mit Pardero der Fall sein, denn ich vermuthe sehr, daß die Beiden zusammenhalten werden. Eigentlich genügt schon ihr ehrloser Angriff auf die Damen, mich von ihnen loszusagen.«

»Und doch dienten Sie ihnen als Sekundant!«

»Wer sonst hätte es thun sollen? Uebrigens erfuhr ich das Ausführliche erst auf dem Wege nach dem Stelldichein. Jetzt sehen Sie wohl ein, daß ich unbedingt um sofortige Aufklärung bitten muß.«

»Sie soll Ihnen werden, wenn auch nicht in dieser Minute, aber doch in ganz kurzer Zeit. Der Kapitän sieht seinen Anschlag mißlungen, und er wird, wie ich vermuthe, in kurzer Zeit ausreiten, um an denjenigen, welcher den Mord ausführen sollte, eine Botschaft zu richten. Ich beabsichtige ihn dabei zu beobachten; Sie werden mich dabei begleiten, denn dies ist der Weg, Sie von der Wahrheit meiner Behauptungen zu überzeugen. Bereiten Sie sich auf einen baldigen Spazierritt vor, aber ohne daß es Jemand merkt.«

Der Lieutenant mußte sich damit zufrieden geben und entfernte sich einstweilen. Sternau hatte sich in seinen Vermuthungen nicht getäuscht, denn kaum hatte der Chirurg den Kapitän verlassen, so verließ dieser zu Pferde die Hazienda, aber nicht allein, sondern er forderte den Lieutenant Pardero auf, ihn zu begleiten, da er mit ihm zu sprechen habe.

Pardero war ein ächter Mexikaner, leichtlebig, leidenschaftlich, seinen Wünschen


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und Begierden Alles unterordnend. Er war arm, wollte es aber nicht bleiben, denn der Besitz ist ja das einzige Mittel zur Befriedigung aller Bedürfnisse. Reich zu werden, war ihm kein Mittel zu verwerflich, aber leider hatte er bis jetzt noch keinen Erfolg gehabt. Er hatte es bisher zu Nichts gebracht als nur zu Schulden, und sein Hauptgläubiger war der Kapitän, an den er im leidenschaftlichen Spiele Summen verloren hatte, welche nicht ganz unbedeutend waren. Dies wollte Verdoja benutzen. Er brauchte einen Verbündeten, der von ihm abhängig war, und dazu paßte Niemand besser als Pardero. Daher nahm er ihn auf seinem jetzigen Ritte mit, um ihn für seine Zwecke zu engagiren.

Verdoja wußte nicht, daß seine Helfershelfer gefangen seien; er konnte nicht begreifen, wie Sternau seinen Anschlag erfahren hatte, und wollte nun für den Mörder einen zweiten Zettel unter den Stein stecken, um ihn für Mitternacht abermals zu bestellen. Doch ritt er nicht direkt der Gegend zu, in welcher sich der Stein befand. Er wußte sich von Sternau beobachtet, darum machte er einen Umweg, und zwar einen noch weiteren, als sein gestriger gewesen war.

»Warum brechen wir erst morgen nach Monclova auf?« fragte Pardero unterwegs. »Der Weisung nach müßten wir doch sofort reiten.«

»Wir haben erst hier noch Einiges abzumachen, ich und Sie,« antwortete Verdoja.

»Ich?« fragte Pardero erstaunt.

»Ja. Oder wollen Sie diesen Sternau, der Ihnen die Hand zerschmettert hat, unbestraft lassen?«

»Ah, wenn ich ihn fassen könnte!« knirrschte der Lieutenant.

»Das werden wir. Uebrigens denke ich auch, daß die schöne Indianerin Ihr Blut in Wallung gebracht hat. Sie ist schuld an Ihrem Rencontre mit dem Deutschen. Wollen Sie von hier fortgehen, ohne sich diese Schuld in liebenswürdiger Weise abtragen zu lassen?«

Aus den Augen Pardero's leuchtete eine gefährliche, sinnliche Gluth.

»Teufel, ja,« sagte er. »Ich gestehe aufrichtig, daß ich vor Lust brenne, sie willfährig zu sehen. Sie ist das schönste Mädchen, das ich kenne, und ich gebe viel darum, sie einmal - nun, als - als Frau zu besitzen!«

Dies war ein sehr offenes Geständniß. Der Kapitän nickte mit dem Kopfe.

»Als - wirkliche Frau?« fragte er lächelnd.

»Fällt mir nicht ein!«

»Und nur ein einziges Mal?«

»Je länger, desto lieber!«

»Gut! Sie werden offen, und so will ich Ihnen ebenso ehrlich sagen, daß es mir ganz ebenso geht mit dieser Sennorita Emma. Ich habe mich in sie vergafft und bin wirklich ganz verliebt in den Gedanken, meine innigen Gefühle belohnt zu sehen. Freiwillig wird das nicht geschehen, aber wer kann uns widerstehen, wenn wir vereint handeln? Wollen wir uns verbinden, Lieutenant?«

Er streckte Pardero die Hand entgegen.

»Gern!« rief dieser, indem er sofort und kräftig einschlug. »Aber wie?«

»Lassen Sie nur mich sorgen! Ich habe übrigens noch andere Pläne, welche nicht nur für mich, sondern auch für Sie von Vortheil sind.«


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»Ich hoffe, daß ich sie erfahren werde!«

»Hm, sie sind etwas heikler Natur, und ich weiß nicht, ob ich Ihnen vertrauen darf, ob ich auf alle Fälle und unter allen Umständen auf Ihre Verschwiegenheit rechnen kann.«

»Ganz sicher! Ich schwöre es Ihnen!«

»Nun wohl, ich will einmal kühn sein und Ihnen glauben. Was halten Sie von der Anschuldigung, welche Sternau heut gegen mich ausgesprochen hat?«

»Hm!« antwortete Pardero, indem er nachdenklich auf den Sattelknopf niederblickte.

»Nun? Reden Sie offen!«

»Wenn Sie es befehlen, so sage ich Ihnen aufrichtig, daß Ihr Verhalten bei dieser Sache nicht ganz geeignet war, das Gegentheil glauben zu lassen.«

»Richtig. Ich gestehe Ihnen, daß dieser Deutsche Recht hatte.«

Dieses rücksichtslose Bekenntniß machte Pardero doch etwas verdutzt.

»Also wirklich!« sagte er erstaunt.

»Ja, und wenn mein vorsichtiger Anschlag gelungen wäre, so befänden wir uns beide noch im Besitze unserer Hände und den Deutschen mit sammt seinem Sekundanten hätte der Teufel geholt. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich von sehr hoher und einflußreicher Seite den Befehl habe, Sternau und seine Begleiter unschädlich zu machen.«

Diese letzten Worte enthielten eine schlaue Berechnung; sie sollten Pardero willig machen, dem Kapitän Hilfe zu leisten.

»Das ist überraschend,« sagte dieser. »Darf man nach Namen fragen?«

»Jetzt noch nicht. Dieser Sternau ist mehr als er scheint. Es hängt von seinem Verschwinden das Gelingen weittragender Pläne ab, und Derjenige, welcher ihn verschwinden läßt oder dabei Hilfe leistet, hat auf eine nachhaltige Dankbarkeit zu rechnen. Sie können sich denken, daß ich mich nicht in Gefahr begeben hätte, wenn ich nicht wüßte, daß mir dadurch eine Carriere, eine Zukunft geöffnet wird, an die ich sonst nicht denken dürfte.«

Das war nicht wahr; das war eine große Lüge, aber der Kapitän sprach sie mit großem Vorbedacht aus. Indem er vorgab, in einem höheren Auftrage zu handeln, stellte er sich als einen Bevollmächtigten hin, dessen Thaten nicht gerichtet werden konnten. Und indem er von einer nachhaltigen Belohnung sprach, versicherte er sich des Beistandes Pardero's, der gar keine Ahnung hatte, daß die Worte seines Vorgesetzten eine Unwahrheit enthielten. Dieser fragte:

»Sie glauben, daß auch ich belohnt werde, wenn ich Ihnen behilflich bin?«

»Gewiß. Sie werden sogar doppelt belohnt, ebenso wie ich. Zunächst haben wir entweder auf ein schnelles Avancement oder auf eine bedeutende pecuniäre Berücksichtigung zu hoffen, und sodann ist es ja für uns Beide eine Genugthuung, diesen Kerls zu beweisen, daß wir uns zu rächen vermögen. Ich darf also auf Sie rechnen?«

»Vollständig, Kapitän! Ich stehe Ihnen mit größtem Vergnügen zur Verfügung und bitte, mir zu sagen, was ich zu thun habe.«

»Das weiß ich in diesem Augenblicke selbst noch nicht. Zunächst muß ich erfahren, weshalb mein Beauftragter heut nicht gekommen ist.«


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»Wir werden jetzt mit ihm sprechen?«

»Nein. Wir werden ihm jetzt zunächst ein Zeichen geben, daß ich heut Abend mit ihm sprechen will. Da erfahre ich, was ihn abgehalten hat und werde dann augenblicklich handeln. Dies ist auch der Grund dazu, daß ich heut noch nicht nach Monclova aufbrechen kann; es kann dies jedenfalls erst morgen geschehen.«

»Aber wie hat Sternau erfahren, was Sie mit ihm vorhatten?«

»Das ist mir ein Räthsel.«

»Ihr Mann wird Sie doch nicht verrathen haben?«

»Nein; er ist sicher. Eher glaube ich, daß Sternau uns belauscht hat. Er muß sich zufällig an dem Orte befunden haben, an welchem ich eine Unterredung hatte. Daher werde ich die heutige Besprechung nach einem anderen Platze verlegen. Kommen Sie!«

Pardero mußte sich mit diesen Andeutungen für jetzt begnügen und folgte dem Kapitän, welcher sein Pferd in einen schnelleren Gang versetzte. Sie hatten Beide keine Ahnung, daß Ihr Ritt nicht nur ein vergeblicher sein, sondern ihnen geradezu zum Schaden gereichen werde.

Nämlich sobald sie von der Hazienda aufgebrochen waren, stieg auch Sternau mit dem Lieutenant zu Pferde und schlug ganz denselben Weg ein, den er gestern geritten war, um zu dem Steine zu gelangen. Sie verbargen ihre Pferde ganz an demselben Orte, wo er gestern das seinige versteckt hatte, und begaben sich dann nach der improvisirten Poste-restante Station. Der Lieutenant bestieg die Ceder, und Sternau versteckte sich hinter einige Büsche, die ihm genügenden Schutz gewährten.

Sie hatten eine längere Weile zu warten, ehe sie den Hufschlag nahender Pferde vernahmen. Die Reiter hielten draußen am Rande des Gehölzes, stiegen ab und kamen dann bis zu dem Steine heran. Es waren Verdoja und Pardero.

Der Erstere hob den Stein empor und steckte einen Zettel unter denselben. Sie lauschten einige Sekunden lang, ob sich in der Umgebung etwas rege, dann kehrten sie zu ihren Pferden zurück und ritten davon. Nun verließen die beiden Lauscher ihre Verstecke, und Sternau nahm den Zettel hervor.

»Pardero war dabei,« sagte der Lieutenant; »er ist also eingeweiht. Darf ich diesen Zettel lesen, Sennor?«

Sternau hatte die Worte bereits überflogen und reichte ihm das Papier hin. Darauf stand:

»Bleibe in der Nähe dieses Ortes. Um Mitternacht treffe ich Dich hier beim Steine. Du hast Dich zu rechtfertigen.«

Auch dieses Mal fehlte die Unterschrift. Der Lieutenant fragte Sternau:

»Das ist für denjenigen bestimmt, der Sie und Sennor Mariano erschießen sollte?«

»Ja.«

»Er wird den Zettel finden?«

»Nein.«

»So beabsichtigen Sie nicht, ihn wieder unter den Stein zurückzulegen? Ich würde das thun und dann um Mitternacht das Gespräch belauschen.«

»Das ist nicht möglich, da der betreffende Mann nicht kommen wird. Er


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befindet sich bereits in meiner Gewalt; er ist Gefangener auf der Hazienda. Kommen Sie zu den Pferden. Nun Sie die beiden Mörder mit eigenen Augen beobachtet haben, werde ich Ihnen Alles erzählen, das kann ich während des Heimrittes thun.«

Was der Lieutenant hörte, das forderte nicht nur sein Erstaunen, sondern auch seine tiefste Indignation heraus; er beschloß, ganz nach den Gefühlen zu handeln, deren er sich jetzt nicht mehr erwehren konnte.

»Was werden Sie thun?« fragte er Sternau.

»Ich werde den Kapitän und seinen Helfer entlarven,« war die Antwort.

»So recht! Werde ich dabei sein dürfen?«

»Gewiß. Ich werde Sie sogar bitten, mein Zeuge zu sein.«

»Und was gedenken Sie mit den Gefangenen zu thun, Sennor?«

»Ich habe ihnen versprochen, ihr Leben zu schonen, falls sie ein offenes Geständniß ablegen; sie haben dies gethan, und nun ist es meine Pflicht, mein Wort zu halten.«

»Hm, das ist nicht vorsichtig. Diese Kerls haben den Strick verdient. Werden sie ohne Strafe entlassen, so sind Sie Ihres Lebens ja gar nicht mehr sicher.«

»Das sage ich auch, aber ich habe mein Wort noch nie gebrochen und werde es auch jetzt nicht thun. Vielleicht macht meine Nachsicht einen bessernden Eindruck auf sie.«

»Dies glaube ich nicht; auf diese Art von Menschen macht Liebe keinen Eindruck, da sie die Milde doch nur für Schwäche halten. Aber Sie haben leider Ihr Wort einmal gegeben, und so ist nichts daran zu ändern.«

Sie langten eine bedeutende Weile später auf der Hazienda an, als der Kapitän und Pardero. Der Erstere befand sich im Lager der Soldaten und sah sie kommen. Er runzelte die Stirn. Daß der Lieutenant sich in Sternau's Gesellschaft befand, war ihm im höchsten Grade unangenehm, ja bedenklich; darum trat er ihm mit finsterer Miene entgegen und fragte:

»Lieutenant, wo waren Sie?«

»Spazieren,« lautete die Antwort.

»Hatten Sie meine Erlaubniß?« klang es drohend.

»Bedarf ich derselben?« fragte der Offizier scharf.

»Ich denke. Wir befinden uns nicht in Garnison, sondern auf dem Marsche.«

»Ich meine, daß wir uns nicht auf dem Marsche, sondern im Bivouak befinden, Kapitän.«

»Diese Unterscheidungen sind hier nutzlos, Lieutenant. Sie haben um Urlaub anzufragen, sobald Sie die Absicht haben, sich zu entfernen.«

Der junge Offizier erröthete, aber nicht vor Scham, sondern vor Unwillen. Die Lanzenreiter standen umher und konnten jedes Wort hören, welches gesprochen wurde. -

»Dies hätte ich nur dann zu thun,« antwortete er, »wenn ich die Absicht hätte, zu verreisen, oder mich während einer Zeit zu entfernen, welche den dienstlichen Angelegenheiten gewidmet sein soll. Gegenwärtig aber habe ich ebenso einen Spazierritt gemacht wie Sie und Lieutenant Pardero. Was dem Einen gestattet


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ist, muß auch dem Anderen erlaubt sein. Sie werden mir da wohl recht geben?«

Der Kapitän streckte sich zu seiner vollen Höhe empor.

»Sennor, wissen Sie, was Widersetzlichkeit zu bedeuten hat?« rief er drohend.

»Das weiß ich genau so gut, wie Sie, Sennor; aber von Widersetzlichkeit ist hier keine Rede. Es handelt sich um eine einfache Meinungsverschiedenheit, welche in ruhiger und anständiger Weise ausgeglichen werden kann. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß ein Offizier sich vor den Augen der Mannschaft nicht grundlos maßregeln lassen kann!«

Die Augen des Kapitäns blitzten vor Wuth. Er trat einen Schritt näher, streckte die Hand aus und gebot:

»Geben Sie Ihren Degen ab, Lieutenant! Sofort!« Der Lieutenant war zwar noch jung, aber doch ein furchtloser Mann. Er vermochte sich so zu beherrschen, daß er lächelnd sagen konnte:

»Meinen Degen? Pah! Den haben Sie nicht zu verlangen!«

»Ich bin Ihr Vorgesetzter!«

»Gewesen! Sie sind ein Schurke, ein großer, ein ausgefeimter Bösewicht. Es wäre für mich die größte Schande, wenn Sie meinen ehrlichen Degen nur anrührten!«

Diese Worte waren mit erhobener Stimme gesprochen worden, so daß sie von sämmtlichen Soldaten verstanden werden konnten. Die mexikanische Disciplin ist eine andere als die preußische zum Beispiel. Als die Lanzenreiter die fürchterliche Anschuldigung vernahmen, schlossen sie sofort einen Kreis um die Offiziere. Pardero stand auch dabei, und Sternau hielt nach der Seite des muthigen, jungen Lieutenants, so daß er sich also mit den drei Offizieren in der Mitte des Kreises befand. -

Der Schimpf, welcher in den letzten Worten lag, war so groß, daß der Kapitän für den ersten Augenblick gar keine Worte zur Entgegnung fand, dann aber riß er den Revolver aus dem Gürtel, zielte auf den Lieutenant und rief mit donnernder, aber vor Wuth zitternder Stimme:

»Widerrufen Sie sofort, oder ich schieße Sie nieder!«

»Widerrufen? Nein. Ich wiederhole, was ich sagte,« lautete die furchtlose Antwort.

Da wollte der Kapitän wirklich losdrücken, aber in demselben Augenblicke gab Sternau seinem Pferde die Sporen; es schoß in einer kräftigen Lancade an dem Kapitän vorüber und dieser erhielt dabei von Sternau einen solchen Faustschlag, daß er augenblicklich zusammenbrach.

»Was ist das? Was wagen Sie?« rief da Pardero. »Nichts!« antwortete Sternau. »Höchstens wage ich, meine Hand zu besudeln.«

»Ja,« rief der junge Lieutenant seinem Kameraden zu, »ich erkläre auch Sie für einen Schurken, an dessen Berührung man sich nur besudeln kann!«

Pardero wurde bleich, entweder vor Aerger oder vor Angst oder aus allen beiden Gründen.


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»Sie phantasiren wohl!« rief er.

»Nein, ich bin im Besitze meiner Besinnung, ja sogar eines vollen moralischen Bewußtseins, was bei Ihnen nicht der Fall ist.«

»Ah, Sie mögen daran denken, daß ich Ihr Vorgesetzter bin. Sie sind der jüngste Offizier!«

»Sie sind mein Vorgesetzter nicht mehr. Ich diene keinen Augenblick länger mit Ihnen.«

»Ah, Sie treten aus?«

»Das wird sich finden. Entweder trete ich aus, oder Sie Beide.«

»Sie vergessen, daß man nicht so leicht und schnell auszutreten vermag,« lächelte Pardero höhnisch. »Zunächst verhafte ich Sie wegen Subordination, und auch Sennor Sternau ist wegen Körperverletzung ein Gefangener!«

»Meinen Sie?« sagte Sternau. »Sie Wurm hätten das Geschick, mich gefangen zu nehmen. Kommen Sie einmal her!«

"Sie Wurm hätten das Geschick mich gefangen zu nehmen!"

Pardero stand in seiner unmittelbaren Nähe; das war eine Unvorsichtigkeit von ihm, denn Sternau langte zu, faßte ihn beim Kragen, riß ihn zu sich empor und schmetterte ihn darauf mit solcher Gewalt zu Boden, daß er liegen blieb. Das war den Lanzenreitern denn doch zu viel. Der alte Wachtmeister der Truppe trat hervor, salutirte vor dem Lieutenant und fragte:

»Sennor Lieutenant, dürfen wir erfahren, was dies Alles zu bedeuten hat?«

Der Gefragte nickte ihm freundlich zu und sagte:

»Bartholo, wer ist Euch der liebste Offizier? Sage es aufrichtig!«

»Hm! Sie, Herr Lieutenant; das wissen Sie. Wir hätten sonst wahrlich nicht so ruhig zugesehen, daß Sennor Verdoja und Sennor Pardero von Ihnen in dieser Weise insultirt wurden. Und von einem Civilisten erst recht nicht!«

»Nun gut, Bartholo, so will ich Dir sagen, daß diese beiden Sennores ganz und gar infam gehandelt haben. Sie haben sich mit Räubern und Mördern verbunden, um ehrliche Leute zu morden und brave Damen zu beleidigen.«

»Das ist wahr, Sennor?«

»Ja, Du kannst es glauben. Wir haben heute Morgen ein Duell gehabt; dabei sind sie um ihre rechten Hände gekommen; das war ein Gottesgericht. Und eben jetzt war ich mit diesem Sennor draußen im Walde, um sie zu belauschen. Sie sind nicht werth, brave, mexikanische Lanzenreiter zu befehligen. Ich diene nicht unter ihnen weiter.«

»Caramba, Sennor, da trete ich auch aus!« meinte der Alte. »Das ist nicht nöthig, Bartholo. Du bist ein altgedienter Haudegen und weißt genau, was sich schickt. Ich meine, wir untersuchen den Fall und bestimmen dann, wer auszutreten hat, sie Beide oder ich.«

»Das ist wahr, Sennor Lieutenant,« meinte der Wachtmeister, indem er sich den gewaltigen Schnautzbart strich. »Müssen Sie austreten, dann trete ich mit aus, und ich glaube, es löst sich die ganze Schwadron auf. Werden aber diese Beiden, denen wir ja Alle nicht grün sind, zum Teufel gejagt, so sind Sie Kapitän.«

»Und Du wirst Oberlieutenant. Die Anderen folgen nach, ganz nach der Reihenfolge.«

»So meinen Sie also, wir constituiren ein Kriegsgericht?«


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»Nein, denn ihre Verbrechen sind keine militärischen. Ich meine ein Ehrengericht.«

»Gut. Nehmen wir ihnen die Waffen ab?«

»Das versteht sich.«

»Fesseln?«

»Nein. Aber sie sind einstweilen Arrestanten und werden in einem Zimmer der Hazienda bewacht. Das Gericht wird im Hofe abgehalten, so daß die ganze Schwadron es hören kann. Sie sind besinnungslos. Laß sie einschließen und bewachen, und dann kommst Du herauf zu mir, um bei der Voruntersuchung zugegen zu sein.«

Es war ein Glück, daß der junge Lieutenant die Liebe seiner Untergebenen in diesem Maße besaß, sonst wäre der Ausgang dieser gefährlichen Scene sicherlich ein ganz anderer gewesen. Wie zwei Helden hielten er und Sternau in der Mitte der halb wilden Soldateska; auf seinen Wink wurden den beiden Bewußtlosen die Waffen genommen und dann schaffte man sie in ein kleines Zimmer, dessen Thür und Fenster bewacht wurde.

Nun begaben sich die Beiden hinauf in den Saal, wo sie erzählten, was sie erlebt hatten. Mariano bestand darauf, daß das Ehrengericht in Anwesenheit der Bewohner der Hazienda gehalten werde, und daß die beiden Gefangenen unter Aufsicht einiger kräftiger Vaqueros vorgeführt werden sollten. Beides wurde zugestanden und dann auch sofort die Vorbereitung zu der Sitzung getroffen.

Während unten die Lanzenreiter in einzelnen Gruppen den ungewöhnlichen Vorfall besprachen, kam der alte Wachtmeister und wurde mit dem Lieutenant zu den drei gefangenen Mexikanern geführt, welche ihre Aussagen wiederholen sollten. Sie thaten es, und da hierdurch alle Vorbereitungen erfüllt waren, so wurden nun mehrere Stühle und Bänke in den Hof geschafft, auf denen die Hauptpersonen Platz zu nehmen hatten.

An einem Tische saß der Lieutenant und an seiner Seite der Wachtmeister, rechts und links von ihnen die Unteroffiziere. Sie bildeten den Gerichtshof. An der anderen Seite hatten Sternau, Mariano und die beiden Damen Platz genommen; sie waren die Ankläger. Ihnen gegenüber saßen Helmers und der Haziendero als vielleicht zu gebrauchende Zeugen und auf der vierten Seite standen in einiger Entfernung die Lanzenreiter nebst mehreren Vaqueros und Ciboleros als Publikum.

Jetzt wurden Verdoja und Pardero vorgeführt.

Es läßt sich gar nicht beschreiben, in welcher Verfassung sie sich befanden. Eine solche Lage, eine solche Demüthigung hatten sie gar nicht für möglich gehalten. Sie schäumten vor Wuth, und wenn sie ihre rechten Arme hätten gebrauchen können, so wären sie von den vier Vaqueros, von denen sie herbei gebracht wurden, wohl kaum zu bändigen gewesen.

»Was soll das?« rief Verdoja, als er die Versammlung bemerkte. »Was steht Ihr hier?« brüllte er die Soldaten an. »Packt Euch hinaus, Ihr Hunde!«

»Mäßigen Sie sich, Sennor Verdoja!« sagte der Lieutenant als Vorsitzender. »Sie stehen als Angeklagter vor uns, und es kommt ganz allein nur auf Ihr Verhalten an, wie Sie von uns behandelt werden!«


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»Als Angeklagter?« rief er. »Wer klagt mich an?«

»Das werden Sie sofort vernehmen.«

»Und wer soll mein Richter sein?«

»Wir, die Sie hier sitzen sehen.«

Da schlug er ein schallendes, höhnisches Gelächter auf.

»Befinde ich mich unter Wahnsinnigen?« fragte er. »Meine Soldaten wollen mich richten! Schurken, die Ihr seid, wollt Ihr hinaus an Eure Plätze gehen! Ich lasse Euch auf der Stelle füsiliren!«

Er erhob die linke Faust und trat auf den Wachtmeister zu, wurde aber bald von den Vaqueros abgehalten, thätlich zu werden.

»Ich stelle den Antrag, die beiden Angeklagten zu fesseln, wenn sie sich nicht augenblicklich beruhigen!« sagte Sternau.

»Der Antrag ist angenommen!« antwortete der Lieutenant.

»Wagt es einmal!« rief der Kapitän. »Ich lasse die ganze Hazienda demoliren!«

»Habt Ihr Riemen oder Stricke?« fragte anstatt der Antwort der Vorsitzende die Vaqueros.

Diese griffen in ihre Taschen und brachten das Verlangte hervor.

»Ihr seht, Sennores, daß wir nicht scherzen,« sagte der Vorsitzende. »Fügt Euch in das Unvermeidliche, sonst werdet Ihr gezwungen. Euch zu fügen!«

»Fügen!« rief Verdoja. »Was haben wir verbrochen? Wer kann wagen, ein Kriegsgericht über seine eigenen Vorgesetzten zu halten? Ich! Ich bin es, der anzuklagen hat!«

»Sie irren sich. Es handelt sich nicht um ein Kriegs- sondern um ein Ehrengericht, und es soll entschieden werden, ob Ehrenmänner unter Euch noch weiter dienen können.«

Der Kapitän wollte eine seiner kräftigen Antworten geben, aber Pardero legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter und flüsterte:

»Um Gottes willen ruhig! Mit Grobheit kommen wir hier nicht durch!«

Darum faßte er sich und sagte:

»Nun wohlan, beginnt Eure Faxe, aber ich behalte mir das Spätere vor!«

Da jetzt die Ruhe der Erwartung eintrat, so sagte der Vorsitzende:

»Sennor Sternau, sprechen Sie!«

Sternau erhob sich.

»Ich klage im Namen dieser beiden anwesenden Sennoritas diese beiden Männer der ehrlosen Handlung gegen unbeschützte Damen an,« sagte Sternau. »Ich klage sie ferner an des Mordanschlages gegen mich, Sennor Mariano und Sennor Helmers.«

»Können Sie diese Anklagen beweisen?«

»Ja.«

Der Lieutenant wandte sich zu den beiden Angeklagten und fragte:

»Wie gedenken Sie sich gegen diese Anschuldigungen zu verhalten?«

»Sie sind so ungereimt, daß ich sie einer Antwort gar nicht für werth halte!«

So antwortete Verdoja, und Pardero schloß sich dieser Meinung an.


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»Ich danke Ihnen,« antwortete der Lieutenant ironisch. »Wenn Sie wirklich gar nichts dazu sagen, so vereinfachen Sie das Verfahren auf eine sehr erwünschte Weise. Ueber die erste Anklage gehen wir billiger Weise hinweg; die Angeschuldigten beantworten sie nicht und gestehen also die Wahrheit derselben ein. Was aber die zweite betrifft, so sind wir da zu einer größeren Ausführlichkeit gezwungen. Da die beiden Angeklagten uns eine jede Antwort verweigert haben, so werde ich Sie, Sennor Sternau, bitten, Ihre Angaben zu machen.«

Sternau brachte hierauf seine Anklage in ausführlicher Weise vor, aber ohne ahnen zu lassen, daß die drei gedungenen Mörder ihm als Zeugen zur Verfügung ständen. Er erzählte Alles, was von dem Augenblicke an geschehen war, an welchem Büffelstirn die Reisenden vor dem Hinterhalte gewarnt hatte. Er berichtete über den Ritt, den er mit Verdoja und den Lieutenants nach der Schlucht des Tigers gemacht hatte, und bemerkte, daß bereits da sein Verdacht entstanden sei. Er erwähnte das nächtliche Schleichen und die verdächtigen Ausflüge des Kapitäns und schloß damit, daß der letzte Ritt, den derselbe mit Pardero unternommen habe, wohl auch nur aus feindseligen Gründen geschehen sei.

Als er geendet hatte, ergriff der Kapitän das Wort, obgleich er gesagt hatte, daß er keine Antwort geben werde.

»Ich scheine es wirklich mit Wahnsinnigen zu thun zu haben,« sagte er. »Dieser Mann hat nichts als leere Vermuthungen ausgesprochen, und auf diese hin wagt man es, zwei Kavalleros und Offiziere unserer glorreichen Republik vor ein Ehrengericht zu stellen; das ist nicht nur lächerlich, sondern geradezu schändlich, und eine solche Schändlichkeit werde ich zu bestrafen wissen, sobald diese Komödie beendet ist!«

»Eine derartige Bestrafung habe ich nicht zu befürchten,« antwortete Sternau, »denn ich werde meine Vermuthungen sofort mit Beweisen belegen. Als die beiden Sennores heute ausritten, ahnte ich den Zweck des Rittes und brach mit dem Herrn Lieutenant auf, um sie zu belauschen. Verdoja hatte nämlich im Walde eine Post errichtet, einen Stein, unter welchen er seine geschriebenen Befehle steckt. Der heutige lautet: »Bleibe in der Nähe dieses Ortes. Um Mitternacht treffe ich Dich hier beim Steine. Du hast Dich zu rechtfertigen.« Ich glaube nicht, daß Verdoja uns das ableugnen wird.«

Als Sternau den Stein erwähnte und den Zettel hervorzog, um seinen Inhalt vorzulesen, erbleichte Verdoja; Pardero ging es ebenso. Beide schwiegen, als sie jetzt Aller Augen auf sich gerichtet sahen. Sternau fuhr fort:

»Ich muß nämlich bemerken, daß ich die heimlichen Zusammenkünfte des Angeklagten belauschte. Ich hörte, was gesprochen wurde und habe danach gehandelt. Es stehen mir Zeugen zur Verfügung, deren Aussage über Alles weitere die beste Auskunft geben wird.«

Auf seinen Wink wurden die drei gefangenen Mexikaner herbeigebracht. Bei ihrem Anblicke erschrak Verdoja so, daß er sichtlich zurückprallte. Das hatte er nicht gedacht. Nun mußte ja Alles an den Tag kommen!

Und es kam an den Tag. Die Gefangenen legten ihre Aussagen zwar unter allen Zeichen der Verlegenheit, aber doch so wahrheitsgetreu und ausführlich ab, daß gar kein Zweifel übrig blieb. Die beiden Zettel wurden als von der Hand Ver-


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doja's kommend recognoscirt, und so war es diesem vollständig unmöglich, zu leugnen. Die beiden Angeklagten versteckten sich hinter einen wortlosen Trotz und verweigerten jedes Eingeständniß.

»Die Schuld der Angeklagten ist auf das Glänzendste erwiesen,« erklärte der Vorsitzende. »Nach den Gesetzen des Landes hat Verdoja den Tod verdient. In wie weit Pardero mitschuldig ist, wollen wir nicht untersuchen. Wir haben uns blos als ein Ehrengericht constituirt; wir haben also nicht zu bestrafen, sondern nur zu entscheiden, ob wir mit diesen beiden Männern fort dienen wollen. Was nun mich betrifft, so erklärte ich mit aller Entschiedenheit, daß ich austrete und zwar von dem jetzigen Augenblicke an.«

»Ich verweigere Ihnen den Abschied!« rief Verdoja, indem ihm sein Grimm den Muth gab, sich zusammen zu raffen.

»Danach wird nicht gefragt,« antwortete der Lieutenant. »Sie haben sich als ehrlos erwiesen, und kein Ehrenmann wird sich durch Ihre Weigerung zwingen lassen, Sie von jetzt an als Vorgesetzten anzuerkennen. Uebrigens, und das betone ich mit allem Nachdrucke, haben Sie selbst sich der Insubordination, des Ungehorsams, der Nachlässigkeit und Eigenmächtigkeit schuldig gemacht. Sie erhielten den Befehl, sofort nach Monclova aufzubrechen, und thaten es nicht, sondern ließen sich von Ihren meuchelmörderischen Absichten hier festhalten. Ich sehe mich verpflichtet, ein Protokoll abzufassen und dasselbe mit einem Eilboten an Juarez zu senden. Hiernach werden Sie zugeben, daß ich Alles, was ich zu thun beschließe, recht wohl verantworten kann. Von dem Augenblicke an, da Sie den Befehl Juarez' mißachteten, sind Sie Rebeller, und Ihre Untergebenen haben nicht nur das Recht, sondern sie sind sogar verpflichtet. Ihnen den Gehorsam zu verweigern.«

»Gut, so treten Sie aus; ich halte Sie nicht!« knirrschte der Kapitän.

»Sie werden weder mich noch Andere halten können, denn ich bin überzeugt, daß das Beispiel, welches ich gebe, nicht unfruchtbar sein wird.«

»Man soll es wagen!« lachte er.

»Pah! Sehen Sie!«

Der alte Wachtmeister hatte sich erhoben.

»Auch ich erkläre, nicht länger unter Schurken dienen zu wollen,« sagte er, »und ich hoffe, daß sämmtliche Kameraden dasselbe thun wie ich!«

Verdoja erhob seine Stimme zu einem energischen Widerspruch, aber er wurde überboten durch den bunten, vielstimmigen Zuruf, mit welchem die Unteroffiziere und sämmtliche Mannschaften erklärten, von Verdoja und Pardero nichts mehr wissen, den Lieutenant aber als Kapitän haben zu wollen. Er wollte sich unter die Leute stürzen, wurde aber von den Vaqueros festgehalten. Als die Ruhe wieder hergestellt war, sagte der Lieutenant:

»Ich nehme die Führung der Schwadron an und werde die Offiziere nach der Reihenfolge ergänzen. Juarez wird meinen Bericht erhalten und bestimmen, ob dieses Interim Geltung behalten soll. Hiermit hat unser Ehrengericht seine Schuldigkeit gethan; die Mordanstifter nebst ihren Komplicen aber übergeben wir zur Bestrafung Denen, gegen welche ihre Anschläge gerichtet waren. Sie bleiben nebst Allem, was ihr persönliches Eigenthum ist, hier zurück, wir aber brechen innerhalb einer Viertelstunde nach Monclova auf.«


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Dieser Befehl wurde unter allgemeinem Jubel entgegen genommen. Man schaffte die Gefangenen nach ihrem Gewahrsam zurück, und der Lieutenant begab sich nach seinem Zimmer, um seinen Bericht an Juarez schleunigst abzufassen und abzusenden. Dann nahm er herzlichen Abschied von den Bewohnern der Hazienda und sprengte mit seiner Schwadron davon.

Als Verdoja sich mit Pardero wieder im Zimmer eingeschlossen sah, war sein Seelenzustand ein unbeschreiblicher. Sein Blut kochte förmlich in den Adern; er fühlte sich auf eine Weise gedemüthigt, welche die grimmigste Rache herausforderte; doch hatte er Selbstbeherrschung genug, sich gegen Pardero nichts merken zu lassen. Dieser stand am Fenster und blickte hinaus.

»Zwei Vaqueros stehen draußen,« sagte er, »bis an die Zähne bewaffnet. Man glaubt, wir möchten ausreißen. Aber, Verdoja, erklären Sie mir Ihr Verhalten!«

»Wie?« fragte dieser, scheinbar ruhig.

»Wir sind auf eine geradezu unerhörte Weise gedemüthigt worden, und Sie haben sich dem Beschlüsse gefügt. Ich beginne, an der Wahrheit dessen, was Sie mir sagten, zu zweifeln. Sie sprachen von großer Protektion, von nachhaltiger Belohnung - -?«

»Pardero, soll ich Sie einen Schwachkopf nennen? Sehen Sie nicht ein, daß die ganze Sache nur eine vorübergehende Episode, ein allerdings unangenehmes Intermezzo ist, welches uns aber gleichgiltig sein muß? Dieser neugebackene Kapitän hat allerdings das Recht, so zu handeln, wie er gehandelt hat, aber was wir heute verlieren, werden wir hundertfach wieder gewinnen. Ich habe den Befehl, gewisse Personen unter allen Umständen unschädlich zu machen, und dies wird geschehen, obgleich ich die gegenwärtige Unannehmlichkeit zu tragen habe. Der Lohn wird dann um so größer sein.«

»Sind Sie dessen gewiß?«

»Vollständig!«

»Aber wie wollen wir Personen unschädlich machen, in deren Gewalt wir uns befinden! Sie können uns ja tödten!«

Verdoja hegte zwar dieselbe Befürchtung, aber er durfte es sich nicht merken lassen. Er gab sich Mühe, Pardero darüber zu beruhigen, was ihm schließlich auch gelang. Er wußte ganz genau, daß er bei Juarez nichts mehr zu hoffen habe; er wußte ebenso genau, daß er bei der Gegenpartei doch nur Mißtrauen und in Folge dessen heimliche Beaufsichtigung finden werde, und so nahm er sich im Stillen vor, vom Militärdienst ganz abzusehen und nur zweien Aufgaben zu leben. Die eine Aufgabe war, sich die Ländereien zu verdienen, welche Cortejo ihm versprochen hatte, und die andere richtete sich auf Emma, durch deren Besitz er sich schadlos halten wollte für die Verachtung, die ihm geworden war. Dabei brauchte er der Hilfe; er mußte einen Gefährten haben, auf dessen Treue und Anhänglichkeit er rechnen konnte, und das sollte Pardero sein. Darum suchte er ihn zu umstricken; darum log er ihm vor, daß er auf einen höheren Befehl handele, und darum sagte er auch jetzt:

»Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem, was geschehen ist. Der Dienst war mir ein Hinderniß, meine schwierige Aufgabe zu erfüllen; nun ist dieses


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Hinderniß beseitigt und ich kann ohne Störung handeln. Wissen Sie, wie hoch Sie in meiner Schuld stehen, Pardero?«

»Hm, es werden einige Tausend Silberpiaster sein.«

»Die Sie mir niemals wiedergeben könnten, wenn Sie bleiben, was Sie sind. Helfen Sie mir, meine Aufgabe zu lösen, so zerreiße ich Ihre Schuldscheine und Sie haben noch extra auf Beförderung und Belohnung zu rechnen. Außerdem giebt es einen noch süßeren und angenehmeren Preis: Karja, die schöne Indianerin!«

»Donnerwetter! Wenn Sie diese Versprechungen halten, so bin ich ganz der Ihrige!«

»Sie können sicher darauf rechnen. Was die Befürchtung betrifft, daß man uns tödten werde, so ist dieselbe vollständig absurd. Wir werden entlassen werden und dann handeln.«

»Beabsichtigen Sie, die drei Sennores Sternau, Mariano und Helmers zu tödten?«

»Ich soll sie unschädlich machen, also tödten, denn nur der Todte ist unschädlich. Bis jetzt lag auch nur ihr Tod in meiner Absicht, aber nach Dem, was uns heute angethan wurde, wäre der Tod eine viel zu gelinde Strafe für sie.«

Es legte sich ein Zug wahrhaft diabolischer Freude um seinen Mund; er schwebte bereits im Vorgefühle seiner Rache und auch Pardero sagte:

»Da haben Sie allerdings recht. Die Schande, welche man uns heute bereitete, bedarf einer geradezu raffinirten Bestrafung. Was werden Sie thun?«

»Ganz dasselbe, was sie jetzt mit uns gethan haben; ich werde sie gefangen nehmen und sie an einen Ort bringen, an welchem sie alle Freuden dieser Gefangenschaft bis zur Neige auskosten können. Nicht weit von meiner Hazienda giebt es nämlich eine altmexikanische Opferstätte; es ist das eine Pyramide, welche in ihrem Inneren von Gängen und Höhlen durchzogen wird, welche ich nur kenne; es ist das ein Geheimniß, welches sich nur in meiner Familie fortgeerbt hat. In diesen Höhlen werden die Gefangenen wohnen und verschmachten. In diese Höhlen werden wir auch die beiden Sennoritas Emma und Karja bringen, und dort werden wir sie ja zwingen können, uns im reichlichsten Maße und in schönster Weise das zu gewähren, was sie uns hier verweigerten.«

Dem leidenschaftlichen Pardero war diese letztere Verheißung die liebste.

»Sie sind ein Teufel, Verdoja,« lachte er cynisch, »aber ein sehr angenehmer Teufel!«

»Ja, wir werden die beiden Teufels sein, welche die zwei Engel überwinden. Doch werde ich hierbei nicht nur durch das Gefühl der Rache und Liebe geleitet, sondern es ist auch eine Berechnung, welcher ich folge. Man hat mir Großes versprochen, sobald ich die drei Männer unschädlich mache. Wird man das Versprechen halten? Ich bin überzeugt davon; aber in so unruhigen Zeiten, wie die jetzigen sind, muß man vorsichtig sein. Wenn ich die Drei tödte und man verweigert mir den Lohn, so kann ich nichts machen, ich bin einfach der Betrogene, leben sie aber noch, befinden sie sich in meinem Gewahrsam, so kann ich kräftig auftreten und meine Bezahlung fordern. Sie sehen, daß ich sehr sorgfältig in meinem und Ihrem Interesse handele.«


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»Ja, Sie sind scharfsinnig, vorsichtig und schlau; das giebt mir Vertrauen zu Ihnen und läßt mich überzeugt sein, daß unsere Pläne gelingen werden. Sie können von jetzt an vollständig auf mich rechnen. Aber wir zwei sind doch nicht genug, drei starke Männer und zwei Mädchen zu entführen.«

»Das macht mir keine Sorge. In unserem gesegneten Mexiko giebt es Männer genug, welche für eine Hand voll Silberdollars bereit sein werden, sich unter unser Kommando zu stellen.«

»Und die Verfolgung? Denn verfolgen wird man uns!«

»Pah, davor ist mir nicht im Geringsten bange. Wir reiten durch die Wüste Mapimi, und dahin folgt uns Keiner; darauf können Sie sich verlassen.«

»Durch die Mapimi!« sagte Pardero schaudernd. »Da gehen wir ja zu Grunde!«

»Keine Sorge. Ich kenne diese Wüste wie meine Tasche. Sie besteht nicht aus nur Sand und Felsen, wie man erzählt, sondern man stößt auch auf bedeutende Wälder, in denen man genug Wasser und Früchte findet, um nicht zu verschmachten.«

Während diese beiden Männer ihren Anschlag besprachen, waren sie der Gegenstand einer Berathung, welche im Speisesaale stattfand. Man besprach sich darüber, was zu geschehen sei. Mariano rieth, sie einfach zu erschießen, aber die Anderen waren dagegen. Die beiden Gefangenen hatten zwar auf Mord gesonnen, aber denselben nicht ausgeführt. Uebrigens wußte man noch nicht, was der berühmte Juarez zu der ganzen Angelegenheit sagen werde. Es war besser, sie ohne Blutvergießen loszuwerden, da sie ja durch den Verlust ihrer Hände genug bestraft seien, und so wurde beschlossen, ihnen nur die Waffen zurück zu behalten, sie aber nach zwei Tagen zu entlassen. Dies Letztere geschah, damit sie nicht Gelegenheit fänden, vor dem heute abgegangenen Eilboten bei Juarez einzutreffen.

Was ihre drei gefangenen Mitschuldigen betraf, so wollte Sternau das ihnen gegebene Versprechen erfüllen. Sie erhielten ihre Pferde, Messer und Lasso's; die Büchsen und Pistolen wurden ihnen abgenommen. Dann ließ man sie reiten, aber unter der strengen Androhung, daß ein Jeder sofort erschossen werde, wenn er sich noch einmal in der Nähe der Hazienda erblicken lasse.

Am dritten Tage wurden Verdoja und Pardero aus ihrem Gewahrsame geholt und vor die versammelten Bewohner der Hazienda gestellt. Sternau machte ihnen den Beschluß bekannt, welcher über sie gefaßt worden war, und dann wurden sie entlassen. Sie ritten davon, ohne ein einziges Wort gesagt oder geantwortet zu haben, und setzten sich das Städtchen Nombre de Dios zum ersten Ziele. Dort trugen sie Sorge, ihre Uniform mit einer gewöhnlichen Kleidung zu verwechseln, und dann waren sie verschwunden.

Nach dieser Zeit der Aufregung folgten auf der Hazienda del Erina einige Wochen ruhigen Stilllebens. Sternau wollte nicht eher fortgehen, als bis der Patient hergestellt sei; der geringfügigste unvorhergesehenste Umstand konnte ja dessen Genesung, sogar sein Leben in Frage stellen. Nach vierzehn Tagen war der Kranke bereits so weit, daß er sein Bett verlassen konnte; nach weiteren acht Tagen durfte er sich im Garten ergehen und als noch eine Woche vergangen war, versuchte er sich bereits in weiteren Fußtouren.

Geistig war er vollständig wieder hergestellt, aber seit dem Augenblicke, an


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welchem sein Gedächtniß von Neuem erwacht war, lebte in ihm der Gedanke, sich an Alfonzo de Rodriganda zu rächen. Darum ließ er die Freunde nicht fort; er wollte sich ihnen auf ihrem Rachezuge anschließen, und da er dies nicht konnte, bevor er sich an das Reiten gewöhnt hatte, so mußten sie nothgedrungener Weise warten, bis dies geschehen war. Jetzt war ihm die Erschütterung, welche der Gang des Pferdes auf sein Gehirn hervorbrachte, noch zu unerträglich; er konnte sich an dieselbe nur durch langsam fortschreitende Uebung gewöhnen.

So vergingen noch einige Wochen.

Während dieser Zeit stand Mariano mit seiner Geliebten in brieflichem Verkehre. Er hatte ihr bereits einige Male geschrieben und auch ihre Antworten erhalten. Sie ermunterte ihn, sich der Führung Sternau's auch fernerhin anzuvertrauen und versicherte ihn ihrer innigsten Liebe und ewigen Treue.

Sternau hatte in Vera Cruz, ehe er den Ritt nach Mexiko antrat, seinem jungen Weibe geschrieben und sie gebeten, ihren nächsten Brief nach Mexiko an ihre Freundin Amy Lindsay zu richten, durch deren Hand er denselben auf alle Fälle erhalten werde, er möge sein, wo er wolle. Heute nun erhielt Mariano abermals ein Schreiben von der Geliebten; das Couvert hatte einen ziemlichen Umfang, und als er es öffnete, enthielt es auch einen an - - Sternau adressirten Brief.

Dieser Brief war aus der Heimath, aus Rheinswalden gekommen und Sternau öffnete ihn, als er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, mit vor Freude zitternden Händen. Der Inhalt strömte über von Glück und Liebe; er füllte mehrere eng geschriebene Bogen und enthielt auch ein Blatt an Kapitän Helmers, dessen eine Seite von seiner Frau und die andere von dem kleinen Kurt beschrieben war.

Rosa erzählte Alles, was sich während Sternau's Abwesenheit zugetragen hatte, kam dann auf ihre eigene Angelegenheit zu sprechen und erwähnte dabei, daß der Staatsanwalt sich alle Mühe gebe, aber bisher noch keinen weiteren Erfolg zu verzeichnen habe. Das größte Glück aber gewährte dem Leser der Schluß des Schreibens, welcher in Worten, bei denen die Wangen der schönen Schreiberin sicherlich vor Glück, Freude und wonniger Scham erglüht waren, ihm eine Kunde brachten, bei deren Lesen er einen lauten Jubelruf ausstieß und das Papier zehnmal und zehnmal küßte. Die Worte lauteten:

»Und nun noch Eins, mein Carlos, was ich Dir mit entzücktem, wonneschauerndem Herzen mittheile, obgleich eine mädchenhafte Regung mir gebieten will, es Dir zu verschweigen. Sollte Deine Reise länger dauern, als ich hoffe und erwarte, so findest Du Deine Rosa nicht mehr allein, sondern sie eilt Dir entgegen, auf dem Arme einen kleinen Carlico oder eine allerliebste Rosilla, denn anders als Carlos oder Rosa werden wir das geliebte Wesen, welches mich für die Zukunft begeistert, doch nicht nennen. Freue Dich mit mir, und nimm die Millionen Küsse, welche Dir über das weite Meer hinübersendet
      Deine unendlich glückselige
                                            Rosa.«

Und wie selten eine Dame schreiben kann, ohne ein Postscriptum anzufügen, so folgte auch hier ein solches. Es lautete:

»P. S. - Du wirst nicht zürnen, daß ich dieselbe Botschaft auch meiner Amy


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mitgetheilt habe. Sie ist meine einzige Freundin gewesen und wird ganz glücklich sein, zu erfahren, welchen Wonnen ich entgegensehe.
Rosa.«

Sternau faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die Brusttasche, damit er auf seinem Herzen ruhe, und ging hinunter. Er fing sich das wildeste Pferd ein, sprang auf und jagte in die weite Savanne hinein. Die Hazienda war zu klein für sein Glück. Und dennoch, als er zurückkehrte, war das Erste, was er that, er zog sich wieder in sein Zimmer zurück, um den Brief aber- und abermals zu lesen und zu küssen. Es giebt einen Himmel bereits hier auf Erden, und dieser Himmel ist nur zu finden in einem Herzen, welches liebt und weiß, daß diese Liebe beglückt, weil sie erwidert wird.

Anton Helmers, der Patient, trug bis jetzt auf dem Loche, welches in seine Schädeldecke gebohrt worden war, ein Stück gekochtes Leder, welches später mit einer Goldplatte vertauscht werden sollte. Er machte täglich vorsichtige Reitausflüge mit Sternau und erstarkte dabei so weit, daß er bald bedeutendere Strecken zurücklegen konnte, vorausgesetzt, daß er ein gutes Pferd hatte, welches einen sanften Gang besaß. Sternau setzte den Tag der Abreise fest; man wollte nur noch eine Woche in der Hazienda del Erina bleiben.

Diese Wochen waren für Emma und den Geliebten eine Zeit des Glückes gewesen und Beide hegten eine unendliche Dankbarkeit gegen Sternau, dem sie dieses Glück ja ganz allein zu verdanken hatten.

Petro Arbellez war von Juarez, dem später so berühmten Präsidenten, zum Verwalter der Hazienda Vandaqua ernannt worden und daher oft drüben in der Nachbarbesitzung abwesend. Eines Tages war seine Anwesenheit wieder dort nothwendig geworden; er wollte aber seinen künftigen Schwiegersohn vor dessen Abreise noch möglichst genießen und so bat er ihn, ihn zu begleiten. Da bereits die Dämmerung nahe war, so sagte er, daß sie erst am nächsten Tage zurückkehren würden. Beide ritten ab.

Kurze Zeit, nachdem sie die Hazienda verlassen hatten, sah Sternau von seinem Fenster aus einen Reiter am Horizonte auftauchen, welcher sich der Besitzung sehr schnell näherte. Als er näher kam, erkannte der Deutsche, daß es ein Lanzenreiter und zwar ein Offizier sei. Sternau ging rasch zu den Uebrigen, welche sich bereits im Speisesaale versammelt hatten, und meldete ihnen die Ankunft des Fremden.

Dieser ritt bereits nach kurzer Zeit in den Hof ein und wurde von Emma, als der Dame des Hauses, mit Höflichkeit empfangen.

Er wurde von Emma empfangen.

»Hier ist die Hazienda del Erina?« fragte er nach dem ersten Gruße.

»Ja,« antwortete ihm Emma.

»Deren Besitzer Petro Arbellez heißt?«

»So heißt er; ich bin seine Tochter.«

»Dann erlauben Sie mir die Mittheilung, Sennorita, daß ich ein Courier bin, der mit Depeschen von Juarez nach Monclova geschickt wurde. Juarez sagte mir, daß Sennor Arbellez mir gern Gastfreundschaft erzeigen würde, wenn ich mein Ziel vor der Nacht nicht erreichen könnte.«

»Das versteht sich ja ganz von selbst, Sennor. Zwar ist Vater nicht anwesend;


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er kehrt erst morgen zurück, aber Sie werden Alles finden, was Sie zu Ihrer Bequemlichkeit bedürfen. Bitte, lassen Sie Ihr Pferd dem Vaquero über, und folgen Sie mir nach dem Saale!«

Er folgte ihr mit dem Anstande und in der Haltung eines Edelmannes nach oben, wo sie ihn den dort anwesenden Herren vorstellte. Er mußte sich setzen und sofort an dem Mahle theilnehmen. An der Unterhaltung betheiligte er sich wenig und als Sternau ihn nach dem gegenwärtigen Aufenthalte von Juarez fragte, sagte er ausweichend:

»Diplomatische und kriegerische Gründe verbieten zuweilen die Beantwortung einer solchen Frage, Sennor. Juarez will nicht wissen lassen, wo er sich befindet.«

Das klang befremdlich. Sternau warf einen forschenden Blick auf den Sprecher und sah dann von einer Unterhaltung mit ihm gänzlich ab.

Der Fremde erklärte nach einiger Zeit, zur Ruhe gehen zu wollen, da er in der Frühe wieder aufbrechen müsse, und so wurde ihm von der alten Maria Hermoyes sein Zimmer angewiesen. Dort angekommen aber entkleidete er sich nicht, um schlafen zu gehen, sondern er streckte sich auf seine Hängematte und brannte eine Cigarrette an. Als diese zu Ende, nahm er eine zweite, dritte und vierte; er rauchte fort und horchte dabei in den Corridor hinaus. So kam die Mitternacht heran. Er nahm jetzt das Licht und trat zum Fenster, vor welchem er mit demselben einen Kreis beschrieb. Dies that er noch zweimal, dann löschte er es aus. Einige Minuten später wurden einige Sandkörnchen gegen das Fenster geworfen, und er öffnete.

Als der Offizier den Speisesaal verlassen hatte, kam das Gespräch erst in ordentlichen Fluß. Seine Anwesenheit hatte nicht wohlthuend gewirkt. Sein Auge hatte etwas Stechendes, seine Stimme etwas Scharfes, Zurückweisendes gehabt. Am Nachdenklichsten war Sternau gestimmt. Es sprach ein Etwas in ihm gegen diesen fremden Offizier, aber er konnte sich nicht klar werden, was es war. Die Uniform hatte ihm nicht gepaßt, es war gewesen, als ob sie eigentlich für einen Anderen gemacht worden sei; weiter aber ließ sich nichts sagen.

Als man sich getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehen, und Sternau sich in seinem Zimmer befand, schritt er nachdenklich in demselben auf und nieder. Er fühlte eine Unruhe in sich, die er nicht begreifen konnte; nur das wußte er, daß sie mit der Anwesenheit dieses Offiziers zusammenhing.

War der Mann wirklich Offizier? Verdoja und Pardero waren mit Rachegedanken fortgegangen, und seit Arbellez die Hazienda Vandaqua zu verwalten hatte, war die Hazienda del Erina von Vaqueros entblößt. Sternau beschloß, wachsam zu sein. Er schlich sich hinaus auf den Corridor und horchte an der Thür des Fremden. Dieser mußte schlafen, denn es ließ sich nicht das mindeste Geräusch vernehmen. Er schlich sich also wieder zurück und begab sich hinunter in den Hof, um da einen Rundgang zu machen und zu sehen, ob Alles in Ordnung sei. Er ahnte nicht, was ihm bevorstand.

Von dem Städtchen Nombre de Dios her kam nämlich, als die Sonne im Untergehen war, eine bewaffnete Reiterschaar. Sie zählte fünfzehn Mann und an ihrer Spitze ritten - Verdoja und Pardero. Die Männer ritten der Hazienda del Erina entgegen und hielten, nachdem es längst dunkel geworden war, bei dem Walde


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an, an dessen äußerster Ecke sich der Stein befand, welcher dem Kapitän als Postoffice gedient hatte. Dort stiegen sie ab, führten die Thiere zwischen die Bäume und banden sie an. Drei Mann blieben als Wache zurück, und die anderen Zehn folgten ihren beiden Anführern nun zu Fuße nach der Hazienda.

Verdoja und Pardero flüsterten leise.

»Es war doch gut, daß sich unsere Uniformen noch in der Stadt befanden,« meinte der Erstere; »so konnte sich Enrico als Spion einschleichen, und wir sind von Allem unterrichtet, ehe wir beginnen.«

»Wenn man ihn nur nicht durchschaut!« sagte Pardero.

»Ich habe keine Sorge. Er ist ein gewandter Hallunke, der sich durch keinen Blick, keine Miene verrathen wird. Ich habe die Ahnung, daß Alles glücklich gelingen wird.«

Es war Neumond und also dunkel. Die Männer umschlichen die Hazienda und kamen an deren hintere Seite als Mitternacht in der Nähe war.

»Da droben sind die Fremdenzimmer; da droben wohnt er,« sagte Pardero leise. »Er wird uns bald das Zeichen geben. Wollen wir einstweilen übersteigen?«

»Ja. Wir verstecken uns in einer dunklen Ecke.«

Die Mannschaften mußten draußen halten bleiben und sich hinter den Palissaden niederducken; die Beiden aber stiegen über dieselben hinweg und schlichen sich in die nahe Ecke. Kaum hatten sie dort Posto gefaßt, so hörten sie den Sand des Hofes leise knirschen. Sternau war es, welcher daherkam.

»Nieder, ganz nieder! Es kommt Jemand!« flüsterte Verdoja.

Sternau kam langsam und leise herbei, blieb an der Ecke des Hauses stehen, horchte eine Weile nach der anderen Seite hin und schritt dann weiter.

»Er war es!« sagte Pardero leise. »Was thun wir?«

»Drauf! Ich schlage ihn mit dem Kolben nieder. Droben macht er uns mehr Arbeit als hier, wo wir ihn überraschen.«

»Aber wenn man ihn dann vermißt?«

»Man wird ihn nicht vermissen. Es sind Alle zu Bette, und er ist auf eigenen Antrieb recognosciren gegangen. Aufgepaßt!«

Verdoja nahm sein Doppelgewehr bei den Läufen und schlich sich an den Palissaden hin, Sternau nach. Dort an den Palissaden war so reichlich Gras aus dem Sande hervorgewachsen, daß man seine Schritte nicht hörte. Hart bei Sternau angekommen, duckte er sich einen Augenblick nieder, um die Figur des Letzteren und deren Entfernung von ihm gegen das Sternenlicht genau abzumessen, dann sprang er vorwärts.

Sternau's Ohren waren scharf; er hörte hinter sich ein leises Geräusch und drehte sich um; aber gerade in diesem Augenblicke krachte ein fürchterlicher Kolbenschlag auf seinen Kopf hernieder; er stürzte sofort zusammen, ohne einen Laut auszustoßen.

»Pardero!« sagte der Ex-Kapitän halblaut.

»Hier!«

»Kommen Sie!«

»Haben Sie ihn?«


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»Ja; ich binde ihn bereits. Lassen Sie sich einen Knebel herüberwerfen!«

Nach einigen Augenblicken brachte Pardero den Knebel.

»Hier!« sagte er. »Das ist günstig abgelaufen. Dieser Kerl war der Einzige, den man zu fürchten hatte; nun wir ihn haben, werden uns die Anderen keine große Arbeit machen. Ah, dort giebt Enrico das Zeichen!«

Man sah eben jetzt den dreimaligen Lichtkreis, welchen der angebliche Offizier an seinem Fenster beschrieb; dann verlöschte das Licht desselben.

»Wo bringen wir Sternau unter?« fragte Pardero.

»Wir legen ihn ganz einfach in die Ecke, in welcher wir uns befanden, dort ist er sicher. Er ist fest gebunden; vielleicht habe ich ihn gar erschlagen; entkommen aber kann er uns auf keinen Fall.«

Das wurde bewerkstelligt, und dann warf Verdoja einige Sandkörner gegen das Fenster, hinter welchem vorher das Lichtzeichen erschienen war.

»Enrico!«

»Ja,« antwortete es leise von oben.

»Alles in Ordnung?«

»Alles!«

»Den Faden herab!«

Während Enrico eine Schnur aus dem Fenster herabließ, ließ Pardero sich von einem der draußen harrenden Männer eine Strickleiter geben, welche zu diesem Behufe mitgebracht worden war. Sie wurde an die Schnur gebunden, an derselben emporgezogen und dann oben befestigt.

»Sie wird halten!« flüsterte Enrico von oben herab.

Verdoja stieg empor und als er an das Fenster gelangte, sagte er:

»Wir sind glücklich gewesen. Wir haben Sternau schon.«

»Ah! Wie denn?«

»Er schlich um das Haus und da habe ich ihn niedergeschlagen und gefesselt.«

»Das ist gut. Er ist ein starker Mensch und wegen ihm war es mir bange. Er muß durch die vordere Thür gegangen sein und diese steht auf. Da bedürfen Sie der Strickleiter nun eigentlich gar nicht.«

»O doch. Wenn wir hier bei Dir einsteigen, sind wir sofort oben, während wir hier im Flur und auf der Treppe Geräusch erregen könnten. Aber ich will zwei Mann an das Portal beordern, damit Niemand entkommen kann.«

Verdoja stieg wieder die Leiter hinab und befahl seinen Leuten, sich leise über die Palissaden herüber zu schwingen. Als dies geschehen war, gebot er ihnen, Einer nach dem Anderen an der Leiter empor in das Zimmer Enrico's zu steigen. Zwei aber nahm er mit sich und führte sie geräuschlos um die Ecke nach der Vorderfronte des Gebäudes, wo er die Thür wirklich nur angelehnt fand. Hinter ihr mußten diese Beiden sich aufstellen, und sie erhielten den Befehl, darauf zu sehen, daß kein Bewohner des Hauses dasselbe verlasse.

Nun kehrte Verdoja wieder zur Strickleiter zurück, stieg empor, und dann wurde sie wieder empor genommen, worauf man das Fenster schloß.

Bis jetzt war Alles gut abgelaufen. Man war in die Hazienda gekommen, ohne von den in ihrer Umgebung lagernden Vaqueros bemerkt worden zu sein; man


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hatte sich bereits des gefürchtetsten Gegners bemächtigt, und nun galt es, das Uebrige möglichst geräuschlos zu vollenden.

»Der Haziendero ist nicht daheim,« flüsterte Enrico.

»Wo ist er?« fragte Verdoja.

»Auf Vandaqua.«

»Allein?«

»Sein Schwiegersohn ist mit.«

»Alle Teufel! Hat er einen Schwiegersohn?« fragte der Exkapitän hastig.

»Ich wollte sagen der Verlobte seiner Tochter.«

»Verlobt ist sie? Mit wem?«

»Sie nannte ihn Sennor Antonio; er muß, wie ich hörte, sehr krank gewesen sein.«

»Ah, dieser? Pah! Und er ist auf Vandaqua?«

»Ja.«

»Immerhin! Ihn brauchen wir nicht. Aber Mariano ist da?«

»Ja.«

»Und Sennor Helmers?«

»Ja.«

»Auch Sennorita Emma und die Indianerin?«

»Ich habe Beide gesehen.«

»Gut. Ich kenne die Zimmer, in denen sie Alle schlafen. Hast Du das Blendlaternchen?«

»Ja. Soll ich anbrennen?«

»Gewiß. Folgt mir!«

Sie öffneten leise die Thür des Zimmers und traten hinter einander hinaus auf den Corridor, über welchen Enrico einen Strahl seiner Laterne fallen ließ, damit sie sich orientiren konnten; dann steckte er sie wieder in die Tasche zurück.

Verdoja führte die Leute zunächst vor die Thür Mariano's, die sie ganz geräuschlos erreichten. Er klopfte einige Male leise an, bis von drinnen eine Stimme fragte:

»Wer ist es?«

»Ich, Sternau!« antwortete er flüsternd, aber so, daß es drinnen gehört werden konnte.

»Ah, Du! Was giebt es?«

»Mach schnell einmal auf! Ich habe Dir etwas sehr Nothwendiges zu sagen.«

»Gleich!«

Man hörte drin das Lager rascheln.

»Du brauchst kein Licht anzubrennen!« flüsterte der vorsichtige Verdoja.

Mariano zog die nöthigsten Kleidungsstücke an und öffnete.

»Komm herein,« sagte er leise.

Er war neugierig, zu erfahren, was Sternau von ihm wolle; er hörte einen Mann eintreten, aber nicht, daß ihm Mehrere folgten.

»Es muß etwas sehr Wichtiges sein,« meinte er. »Willst Du nicht die Thür schließen?«


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In demselben Augenblicke wurde er bei der Gurgel gepackt; zwei Hände schlangen sich um seinen Hals und drückten ihm die Kehle so zusammen, daß ihm der Athem verging. Er konnte keinen Laut ausstoßen. Er wollte sich wehren, aber er wurde jetzt von vielen kräftigen Armen ergriffen; feste Riemen wanden sich ihm um Leib, Arme und Beine, und ein Knebel schloß ihm den Mund; dann erst ließen die beiden Hände von seinem Halse ab - er war gefangen.

»Den haben wir. Nun zu Helmers!« sagte Verdoja.

Bei Helmers wurde ganz in derselben Weise und mit demselben Erfolge verfahren. Sternau, Mariano und Helmers waren gefangen, ohne daß Jemand im Hause erwacht wäre.

»Jetzt nun zu der Sennorita,« sagte Verdoja.

Auch an Emma's Thür wurde leise geklopft.

»Mein Gott, wer ist draußen?« fragte sie.

Verdoja gab seiner Stimme den weichsten Flüsterklang, als er antwortete:

»Ich bin es, Karja!«

»Was willst Du?«

»Ich muß mit Dir sprechen. Oeffne, Emma!«

»Warum?«

»Nicht so laut! Es ist wegen dem fremden Offizier. Ich weiß nicht, ob ich Sennor Sternau wecken soll.«

Emma ging in die Falle.

»Ah, es giebt eine Gefahr!« sagte sie. »Warte, ich öffne sogleich!«

Man hörte, daß sie sich vom Lager erhob; sie kam an die Thür, schob den Riegel zurück und sagte mit leiser, aber vor Besorgniß zitternder Stimme:

»Komm herein! Was ist es denn?«

Verdoja huschte hinein und hatte sie im nächsten Augenblicke bei der Kehle. Sie brach ohne allen Versuch der Gegenwehr zusammen; der fürchterliche Schreck hatte sie ohnmächtig gemacht; sie lag am Boden, ohne sich zu regen. Verdoja fesselte und knebelte sie selbst; dann ging man nach dem Schlafzimmer der Indianerin.

Auch hier hatte die List denselben Erfolg, nur daß Karja nicht in Ohnmacht fiel. Sie war die Tochter eines Indianerhäuptlings und besaß nicht die zarten Nerven einer verweichlichten Mexikanerin.

Jetzt waren alle Personen, die man haben wollte, in den Händen der Räuber. Die ganze erste Etage befand sich im Besitze derselben. Verdoja und Pardero wußten, daß unten im Parterre einige Räumlichkeiten lagen, in denen Vaquero's schliefen. Sie wollten sich ihren Raub nicht gern streitig machen lassen und verboten daher jede Plünderung. Je vier ihrer Begleiter wurden zu Mariano und Helmers beordert, um ihnen ihre Kleider anzuziehen; Verdoja aber begab sich zu Emma, während Pardero die Indianerin aufsuchte.

Als Verdoja das Zimmer der Sennorita betrat, war dasselbe noch dunkel. Er machte Licht und brannte die Kerze an. Emma lag noch ohnmächtig am Boden. Sie war nur mit einem leichten, feinen Hemde bekleidet, und die Augen des Wüstlings verschlangen die offenen Reize mit gierigen Blicken. Aber nicht jetzt wollte er sie genießen; jetzt war keine Muse dazu. Er befreite das Mädchen von ihren


Ende der zweiundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk