Lieferung 46

Karl May

6. Oktober 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Da trat Sternau herzu und betrachtete den Gefangenen.

»Ja,« sagte er, »es ist ein Comanche; er ist uns gefolgt.«

»Tödtet den Hund!« sagte einer der Apachen.

Da wandte sich Sternau zu dem Sprecher und sagte in scharfem Tone:

»Seit wann sprechen bei den Apachen die Männer, ehe die Häuptlinge gesprochen haben? Wer seine Rede nicht zügeln kann, ist ein Knabe, oder ein Weib.«

Da trat der Mann beschämt zurück.

Bärenherz stand auch dabei und fragte den Gefangenen:

»Wo hast Du Deine Gefährten?«

Der Gefragte antwortete nicht. Da versetzte ihm Grizzlytödter einen Hieb in das Gesicht und sagte:

»Wirst Du antworten, wenn Dich ein Häuptling der Apachen fragt!«

Aber der Mann schwieg. Es versuchten Einige, ihn zum Reden zu bringen, aber vergeblich. Da änderte Sternau die Sache, indem er fragte:

»Du bist ein Krieger der Comanchen und antwortest nur dem, der Dich als tapferer Krieger behandelt. Wirst Du fliehen, wenn ich Deine Fesseln löse?«

»Ich bleibe,« antwortete der Mann.

»Wirst Du mir antworten?«

»Dem Fürsten des Felsens antworte ich; er ist gerecht und gut; er schlägt keinen Gefangenen, der sich nicht wehren kann.«

Das ging auf Grizzlytödter, der sich durch seinen Schlag in dem Comanchen einen Todtfeind erworben hatte.

»Wie, Du kennst mich?« fragte Sternau.

»Ich kenne Dich und bin Dein Gefangener.«

»Du gehörst Dem, der Dich besiegt hat. Stehe auf!«

Er band das Lasso los; der Gefangene erhob sich vom Boden und machte nicht die geringste Miene, zu entfliehen.

»Bist Du allein hier?« fragte jetzt Sternau.

»Nein,« lautete die Antwort.

»Sind Viele bei Dir?«

»Nur Einer.«

»So seid Ihr als Kundschafter gekommen?«

»Ja.«

»Und es kommen sehr viele Krieger hinter Euch?«

»Weiter darf ich nichts sagen.«

»Gut, ich werde Dich nicht weiter fragen. Also Du wirst nicht entfliehen?«

»Ich werde fliehen.«

»Sprechen die Söhne der Comanchen in zwei Zungen? Du versprachst mir doch, zu bleiben.«

»Wenn ich Dein Gefangener sein kann. Der Gefangene eines Knaben, der mich schlägt, mag ich nicht bleiben.«

»So müssen wir Dich wieder binden.«

»Versucht es!«

Er holte aus und hätte Grizzlytödter mit einem Schlage seiner Faust niedergeworfen, wenn Sternau nicht schneller gewesen wäre. Er faßte den erhobenen


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Arm des Comanchen mit der Linken und versetzte ihm mit der Rechten einen Hieb an die Schläfe, daß er zusammenbrach; in demselben Augenblicke aber erhob auch Grizzlytödter sein Messer und stieß es dem Niederstürzenden in das Herz.

»Sein Scalp ist mein!« rief er.

»Ein schlechter Scalp!« sagte Sternau, indem er sich unwillig abwandte.

Grizzlytödter sah ihn betroffen an und fragte:

»Warum soll der Apache nicht den Comanchen tödten?«

»Weil er ihn nicht in einem ehrlichen Kampfe erlegt hat, soll er den Scalp nicht tragen,« sagte Bärenherz. »Der Comanche war bereits betäubt. Warum hast Du ihn geschlagen? Ein tapferer Krieger trägt nicht den Scalp dessen, den er entehrt hat.«

Das war eine harte aber wohlverdiente Zurechtweisung. Der junge Apache wendete sich ab und warf keinen Blick wieder auf die Leiche. Er getraute sich nicht, wieder in die Nähe der Häuptlinge zu treten, die sich jetzt mit halblauter Stimme beriethen.

»Wenn heute zwei Kundschafter hier sind, so steht es fest, daß die Comanchen bald nachkommen,« sagte Sternau. »Wir müssen vorsichtig sein. Die Zwei haben uns gesehen und sich dann jedenfalls getheilt. Der Eine ist uns nachgefolgt, und der Andere ist nach der Hazienda geeilt, um deren Bewohner zu warnen. Wollen wir sie überfallen, so ist es nöthig, vorher zu recognosciren. Und das werde ich selbst thun. Die Zurückbleibenden mögen absitzen, um ihre Pferde weiden zu lassen. Sie mögen ein Lager ohne Feuer bilden und Wachen aufstellen. Sie mögen ferner dafür sorgen, daß die Spuren Verdoja's nicht zerstört werden.«

Nach dieser Anordnung und nachdem er sich bei dem mexikanischen Führer nach der Lage der Hazienda erkundigt hatte, schritt er davon. Die schwere, ihn hindernde Büchse ließ er beim Pferde zurück, aber den Henrystutzen warf er über die Schulter.

Es war ganz dunkel geworden, aber als er ungefähr fünf Minuten gegangen war, sah er die Heerdenfeuer leuchten. Sie dienten ihm als untrügliche Wegweiser.

Eines dieser Feuer brannte an der Seite eines großen Felsblockes, der mitten in der Ebene lag. Die Flamme war hier gegen den Luftzug geschützt, und fünf bärtige Vaqueros bildeten einen Halbkreis um dieselbe.

Sternau's scharfes Auge erkannte die günstige Gelegenheit, etwas zu erlauschen, sofort. Er schlich sich herbei, und dies wurde ihm nicht schwer. Der nur von der einen Seite erleuchtete Felsen warf nach der entgegengesetzten Richtung einen tiefen Schlagschatten, in dessen Dunkel Sternau vollständig sicher herbeischleichen konnte. Er nahm an dieser Seite des Felsens Posto und konnte nun jedes Wort des Gespräches belauschen.

»Verdammt gefährlich ist's für uns,« sagte jetzt einer der Vaqueros.

»Nicht im Mindesten,« antwortete ein Anderer.

»So? Wenn die Apachen kommen, über wen fallen sie zuerst her? Ueber uns.«

»Ich wette mein Leben, daß sie erst gegen Morgen kommen, und dann sind wir nicht mehr da. Wir sollen uns ja bereits um Mitternacht in die Hazienda zurückziehen.«

»Wo mögen sie stecken?«

»Das werden wir erfahren, sobald der andere Comanche kommt; er ist ihnen nach-


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gegangen. Dieser Rittmeister, der Dragoner, scheint ein tüchtiger Kerl zu sein. Er hat die Hazienda verbarrikadirt, daß sicherlich kein Apache über die Pallissaden kommt. Und wenn über hundert Dragonertruppen krachen, dann werden nicht viele Rothhäute übrig bleiben.«

Ah, war das so! Sternau hörte, daß ein Rittmeister mit einer Schwadron Dragoner hier lag. Das gab der Sache eine ganz andere Wendung. Er trat schnell entschlossen hinter dem Felsen hervor und grüßte. Die Vaqueros sprangen entsetzt auf und griffen nach ihren Gewehren, als sie aber sahen, daß sie einen Weißen vor sich hatten, beruhigten sie sich.

»Es liegen Dragoner in der Hazienda?« fragte er.

»Ja,« antwortete Einer.

»Wie viele?«

»Ueber hundert.«

»Regierungstruppen?«

»Ja.«

»Wird man den Rittmeister sprechen können?«

»Sicher!«

»Gute Nacht!«

Er wandte sich ab und schritt der Hazienda zu.

»Santa Madonna,« sagte der Vaquero, »ich dachte zunächst, es sei der Teufel!«

»Ja,« meinte ein Zweiter, »dann dachte ich, es sei der Geist des Riesen Goliath. So einen Kerl habe ich noch gar nicht gesehen!«

»Wie er Einen anguckte! Man war ganz verblüfft. Man hätte ihn doch eigentlich sehr examiniren sollen! Wer mag er sein?«

»Er war keine Rothhaut, und das ist genug. Er sah aus wie ein Jäger aus dem Norden; wir werden ihn noch kennen lernen, denn jedenfalls sucht er sich ein Nachtlager in der Hazienda.«

Während hier am Feuer diese Vermuthungen ausgesprochen wurden, schritt Sternau dem Hause entgegen. Er sah die vor demselben weidenden Pferde und lächelte. Durch diese Pferde wäre kein einziger Apache zu dem Glauben verleitet worden, daß die Bewohner der Hazienda noch ungewarnt seien.

Er schritt den Palissaden entlang und hörte dahinter flüstern. Diese Dragoner waren nicht die Kerls, einen Savannenmann zu täuschen. Am Thore klopfte er an.

»Wer ist draußen?« fragte eine Stimme.

»Ein Fremder,« antwortete er.

»Was will er?«

»Mit dem Rittmeister sprechen.«

»Ah, ist's ein Rother oder ein Weißer?«

»Ein Weißer.«

»Allein?«

»Ganz allein!«

»Hm, wer darf trauen! Das Thor öffne ich nicht. Könnt Ihr klettern?«

»Ja.«

»So steigt über die Palissaden; wir wollen's erlauben, wenn es nur Einer ist; sind es aber Mehrere, so schießen wir sie über den Haufen!«


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»So tretet hinten weg!«

Er schritt eine kurze Strecke zurück und nahm einen Anlauf; im nächsten Augenblicke flog er über die Planken hinüber und mitten unter die Dragoner hinein, welche nicht geahnt hatten, daß sie es mit einem solchen Voltigeur zu thun hatten. Er riß einige davon zu Boden, während die Anderen zusammenprallten, daß die Köpfe krachten.

»Donnerwetter!« rief die Stimme, welche bereits vorhin gesprochen hatte. »Was ist denn das? Ihr fliegt ja aus den Wolken herab! Ich denke, Ihr wollt über die Palissaden steigen!«

»Das that ich auch, aber nur in meiner Weise,« lachte Sternau.

»Aber das ist eine ganz verdammte Art und Weise! Ihr könnt dabei Hals und Beine brechen und anderen ehrbaren Leuten die Knochen zerschlagen. Wer seid Ihr denn?«

Es war ein Unteroffizier, der das sagte. Er rieb sich den Rücken, denn er gehörte zu Denen, welche niedergerissen worden waren.

»Ein Jäger bin ich.«

»Ein Jäger? Hm, ich denke, Ihr hättet es auch zum Seiltänzer bringen können! Und mit dem Rittmeister wollt Ihr reden?«

»Ja,«

»Was denn?«

»Was Euch nichts angeht! Wenn ich es Euch sagen wollte, brauchte ich es nicht dem Rittmeister zu erzählen. Verstanden!«

»Heilige Madonna, seid Ihr ein Grobian! Woher wißt Ihr denn, daß ein Rittmeister hier ist?«

»Es hat mir geträumt. Vorwärts, ich habe nicht viel Zeit.«

»Hopp, hopp! Wenn ein mexikanischer Unteroffizier der Dragoner Auskunft verlangt, so hat man ihm zu antworten!«

»Das thue ich ja auch. Oder bin ich Euch vielleicht zu einsilbig?«

»Bei Leibe nein! Ihr redet eher zu viel. Seid Ihr bewaffnet?«

»Ja.«

»So gebt die Waffen ab!«

»Weshalb?«

»Es sind Kriegszeiten, und da muß man vorsichtig sein. Wie nun, wenn Ihr nur kämt, um den Rittmeister zu ermorden!«

»Glaubt Ihr, daß es so einen Wahnsinnigen geben kann? Ich wäre ja sofort des Todes. Oder sind die mexikanischen Dragoner Memmen, die man nicht zu fürchten braucht, weil sie selbst sich fürchten vor einem einzelnen Manne, der eine Flinte hat?«

»Hört, Mann, zu reden versteht Ihr wie sonst Einer! Aber ich will einmal von der Regel absehen und Euch auch bewaffnet zum Rittmeister lassen. Kommt!«

Er führte Sternau ganz in dasselbe Zimmer, in welchem nicht lange Zeit vorher der Comanche gewesen war. Dieser befand sich natürlich nicht mehr darin, aber die Offiziere saßen noch immer beim Spiele. Als sie Sternau erblickten, erhoben sie sich unwillkürlich. Der Eindruck seines Aeußern gab sich sofort zu erkennen.

Sie erhoben sich unwillkürlich


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»Wer sind Sie, Sennor?« fragte der Rittmeister, als er den höflichen Gruß des Eintretenden erwidert hatte.

Sternau warf einen Blick im Zimmer umher und dann auf die Offiziere. Sie trugen ihre Degen, waren aber sonst unbewaffnet. Er antwortete:

»Mein Name ist Sternau, Sennor; ich bin Arzt und reise theils in Familienangelegenheiten und theils, um meine Erfahrungen zu erweitern. Ich komme nach dieser Hazienda, um mit Sennor Verdoja in Ihrer Gegenwart ein Wort zu sprechen.«

»Das ist unmöglich, denn Verdoja ist nicht hier!«

»Ah! Wo befindet er sich?«

»Ich weiß es nicht; ich vermuthe, daß er sich vor uns aus dem Staube gemacht hat.«

»Das ist mir höchst unangenehm. Seit wann befinden Sie sich hier?«

»Seit heute Vormittag.«

»War da Verdoja bereits fort?«

»Nein. Ich sprach mit ihm. Er sagte, daß er seine Vaqueros zu inspiziren hätte, und ritt davon. Er kam nicht zurück, und ich habe erfahren, daß er bei keinem einzigen Vaquero gesehen wurde. Er war ein Anhänger von Juarez und floh deshalb. Sein Lieblingsdiener ist mit ihm verschwunden.«

»So befindet sich wenigstens Sennor Pardero hier?«

»Pardero? Ah, der Lieutenant Verdoja's? Nein; er ist nicht hier.«

Das gab Sternau zu denken. Waren diese beiden Männer mit ihren Gefangenen entflohen? Möglich war es. Oder hatten sie sich vor den Regierungstruppen in die Pyramide geflüchtet?

Welch ein Loos erwartete da die beiden Mädchen! Es lag auf der Hand, daß keiner der Offiziere von dem verbrecherischen Thun Verdoja's etwas ahnte. Sollte Sternau es ihnen erzählen? Vielleicht war es gut, vielleicht auch nicht.

»Sie sind mit Verdoja und Pardero Freund?« fragte der Rittmeister.

»Nein,« antwortete Sternau. »Diese beiden Männer sind die größten Schurken, welche ich jemals kennen lernte. Ich kam, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Ach, ich theile Ihre Meinung vollständig; um so mehr thut es mir leid, daß Sie diese Leute nicht finden.«

»Sie haben wirklich keine Ahnung, wo sie zu suchen sind?«

»Nicht die geringste.«

»So habe ich Sie umsonst incommodirt und bitte, mich zu entschuldigen.«

Man hatte während der kurzen Unterhaltung noch nicht daran gedacht, ihm einen Sessel anzubieten; jetzt, als er sich mit einer Verbeugung verabschieden wollte, sagte der Rittmeister:

»Nehmen Sie doch Platz, Sennor! Sie bleiben diese Nacht doch hier?«

»Nein.«

»Ach, nicht? Sie wollen weiter? Die beiden Männer suchen?«

»Ja, allerdings.«

»Hören Sie, das ist gefährlich! Sie sind fremd und es ist gewissermaßen Revolution im Lande. Es streifen wilde Indianer grad in dieser Gegend herum, und ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß wir sogar diese Nacht einen Ueberfall der


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Apachen hier erwarten. Wenn Sie diesen Schuften in die Hände fallen, so sind Sie verloren!«

»O, ich fürchte sie nicht, Sennor!«

»Nicht? Hm, Sie sind ein Neuling im Lande!«

»Nicht so ganz! Uebrigens weiß ich, daß die Indianer im Grunde genommen bessere Menschen sind, als man zu meinen gewohnt ist.«

»Sie irren, Sie irren sehr. Da liegt neben der hiesigen Besitzung eine weite Länderei, welche dem Grafen Rodriganda gehört. Er hat eine Anzahl Pueblos-Indianer angestellt, und vorige Woche haben sie den Majordomo mit fast sämmtlichen Weißen abgeschlachtet.«

»Das ist mir leid, hat seinen Grund aber jedenfalls in der nicht menschenfreundlichen Administration des Sennor Cortejo.«

»Ah, Sie kennen diesen Cortejo, der die Güter des Grafen verwaltet?«

»Ja, er wohnt in Mexiko.«

»Das ist richtig. Dieser Graf Rodriganda ist einer der reichsten Grundbesitzer dieses Landes. Ich möchte wünschen sein Sohn, oder Erbe zu sein.«

Sternau lächelte und verbeugte sich verbindlich.

»Dann wären wir Verwandte,« sagte er.

»Verwandte?« fragte der Offizier.

»Ja. Meine Frau ist eine Contezza de Rodriganda y Sevilla, die einstige Erbin der Güter, von denen Sie sprachen.«

Der Rittmeister fuhr empor.

»Nicht möglich!« rief er. »Eine Gräfin de Rodriganda, die Frau eines Arztes!«

»Es ist dennoch so!«

»Dann sind Sie von Adel?«

»Nein.«

»Aber ich bitte Sie! Das wäre ja kaum zu verstehen!«

Sternau griff in die Tasche und zog den letzten Brief hervor, den er von Rosa erhalten hatte. Er zeigte dem Rittmeister die Ueber- und die Unterschrift, den Stempel des Bogens und das Siegel des Couverts.

»Bitte überzeugen Sie sich,« sagte er.

»Wahrhaftig, das ist das Siegel der Rodriganda; ich kenne es sehr genau. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mit Alfonzo de Rodriganda, der sich jetzt in Spanien befindet, sehr befreundet war. Ich habe von ihm erfahren, daß er eine Schwester besitzt, welche Rosa heißt, und sehe also, daß Sie die volle Wahrheit sagen. Nun müssen Sie bei uns Platz nehmen, denn es versteht sich ganz von selbst, daß ich Sie nicht fort lasse!«

Sternau lächelte abermals und sagte:

»Ihre Freundlichkeit verpflichtet mich zum größten Dank, aber ich darf nicht bleiben.«

»Warum?«

»Ich werde erwartet.«

»Wo? Außerhalb der Hazienda Verdoja?«

»Ja.«

»Teufel, wo könnte das sein? Bis zur nächsten Besitzung hat man fast einen


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Tag zu reiten. Und daß Ihre Gesellschaft im Freien campirt, nehme ich doch nicht an.«

»Und doch ist es so. Ich werde von den Apachen erwartet.«

Sternau sprach diese Worte mit einem unendlichen Gleichmuthe aus, und doch war die Wirkung ganz dieselbe, als ob eine Bombe geplatzt wäre. Die Herren Offiziere fuhren von ihren Sitzen auf und dann weit auseinander.

»Von den Apachen?« fragte der Rittmeister mit offenem Munde.

»Ja.«

»Alle Wetter, das ist ein Spaß! Erklären Sie mir das!«

»Die Erklärung ist sehr einfach, ich bin der Anführer der Apachen.«

»Die Bestürzung der Herren verdoppelte sich; sie waren das, was man perplex nennt. -

»Ihr Anführer? Aber das ist ja unmöglich!«

»Es ist im Gegentheil nicht nur möglich, sondern wirklich. Soll ich es Ihnen beweisen?«

»Ja, ich bitte Sie darum, ich bitte Sie recht sehr darum!«

»Nun, Sie haben einen Comanchen hier?«

»Das stimmt. Aber was hat das mit Ihrem Beweise zu thun?«

»Und den anderen Comanchen haben wir,« fuhr Sternau unbeirrt fort.

»Sie haben ihn?« fuhr der Offizier auf.

»Ja. Diese beiden Comanchen beobachteten uns und dann trennten sie sich. Der Eine ging nach dieser Hazienda, und der Andere folgte unserer Fährte. Er war dabei sehr unvorsichtig, wurde ertappt und von einem der Apachen erstochen.«

Da griff der Rittmeister an seinen Degen und donnerte:

»Sennor, ist das wahr?«

»Ja.«

»Und das sagen Sie uns, die wir mit den Comanchen verbündet sind! Sie wagen es, in dieses Haus zu kommen!«

»Ah, pah, ich wage nichts! Ich kam in dieses Haus, um mit Verdoja eine Abrechnung zu halten, und nun ich ihn nicht finde, halte ich es für meine Pflicht, Ihren Leuten zu sagen, daß sie schlafen gehen können. Die Apachen werden keinen Angriff auf die Hazienda unternehmen.«

»Aber, zum Teufel, träume ich denn?« fragte der Offizier, indem er sich an den Kopf griff.

»Nein, Sie wachen. Mein Erscheinen hier mag ein Wenig ungewöhnlich erscheinen, ist aber sehr leicht zu erklären. Die Apachen kommen nicht, um mit den Weißen Krieg zu führen; sie beabsichtigen weiter nichts, als sich von den Comanchen einige Scalpe zu holen; sie sind meine Freunde, aber darum bin ich noch nicht Ihr Feind, Sennor. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Apachen weder Ihnen noch der Hazienda einen Schaden zufügen werden, und daher erwarte ich, daß auch Sie meine Freunde nicht belästigen.«

»Den Teufel können Sie erwarten!« rief der Rittmeister. »Die Apachen sind Feinde unserer Verbündeten, also auch die unserigen, ich werde sie niedersäbeln, wo ich sie finde!«

»Ich habe keine Veranlassung, Sie zu bekehren; aber betrachten Sie mich


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wenigstens als einen Abgesandten, der Sie um einen dreitägigen Waffenstillstand bitten will!«

»Fällt mir nicht ein! Die Rothhäute mögen heute Nacht kommen und sich blutige Köpfe holen. Und kommen sie nicht, so werde ich sie morgen aufsuchen; darauf können Sie sich verlassen!«

»Dies ist Ihr Ernst?«

»Mein vollständiger!«

»Dann habe ich hier nichts mehr zu suchen. Gute Nacht!«

Da trat ihm der Rittmeister in den Weg.

»Halt! Wohin?« fragte er.

»Fort, zu meinen Apachen,« antwortete Sternau gleichmüthig.

»Sie? Fort? Daß ich ein Narr wäre! Sie bleiben da, Sie sind mein Gefangener!«

»Sie scherzen!« lachte Sternau.

»Donnerwetter, in solchen Sachen scherzt man nicht. Es ist mein vollständiger Ernst!«

»Sie erklären einen Abgesandten, einen Parlamentair, für gefangen?«

»Von den Rothen erkenne ich keinen Parlamentair an. Uebrigens sind Sie ganz ohne meine Erlaubniß gekommen; ich habe keinerlei Verpflichtung gegen Sie. Sie sind gekommen, um sich unsere Vorbereitungsmaßregeln anzusehen, ich erkläre Sie für einen Spion!«

»Halt, Sennor! Der Gemahl einer Rodriganda ein Spion?«

»Pah, ich glaube jetzt nicht mehr an das, was ich vorhin für wahr hielt!«

»Thun Sie, was Ihnen beliebt! Ich aber bemerke Ihnen, daß ein Spion sich wohl nicht in der Weise in die Hazienda wagen würde, wie ich es gethan habe.«

»Nun gut, Spion oder nicht! Sie sind in der Hazienda, Sie haben unsere Vorbereitungen gesehen, und Sie dürfen also nicht fort!«

»Wer will mich halten?«

»Ich, Sennor!« sagte der Rittmeister drohend.

»Pah, Sie und alle Ihre Dragoner können mich nicht halten. Ich werde gehen, wie mir es beliebt, grad so, wie ich gekommen bin, als es mir beliebte.«

Da zog der Offizier den Degen.

»Sie bleiben!« gebot er. »Sie riskiren sonst Ihr Leben

»Haben Sie keine Sorge um mich,« lächelte Sternau. »In solcher Gesellschaft riskirt der Fürst des Felsens ganz und gar nichts.«

Da erbleichte der Rittmeister und mit ihm die anderen Offiziere. Er trat zurück und sagte:

»Der Fürst des Felsens? Dios, ja, er soll dabei gewesen sein!«

»Allerdings war er bei den Apachen. Ich selbst bin es. Und nun versuchen Sie einmal, mich zu halten!«

Der Rittmeister war doch muthig genug, ihm wieder nahe zu treten. Er gebot:

»Und wenn Sie es zehnmal sind, Sie bleiben mein Gefangener. Legen Sie die Waffen ab!«

»Das dürfte mir wohl schwerlich einfallen! Uebrigens haben Sie nur ihre Degen, Sennores, ich dürfte nur den Revolver ziehen, so wären Sie verloren; aber


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ich thue es anders. Ich habe gesagt, daß ich Ihr Feind nicht bin, und bitte nochmals, mich zu entlassen.«

»Sie bleiben!« gebot der Rittmeister.

»Nun denn, Sie wollen es nicht anders!«

Er erhob blitzesschnell die Faust, und in ganz derselben Sekunde krachte der Rittmeister besinnungslos zu Boden. Ehe die beiden Lieutenants nur einen Gedanken haben konnten, stand er auch bereits schon vor ihnen - zwei Faustschläge, und auch sie lagen an der Erde; er hatte sich die Bahn frei gemacht.

Er ging. Als er in den Hof kam, empfing ihn derselbe Unteroffizier.

»Fertig?« fragte dieser.

»Ja. Laßt mich hinaus!«

»Durch die Thür?«

»Versteht sich, denn nun werdet Ihr ja glauben, daß ich allein bin!«

»Na, so kommt!«

Er trat an das Thor, um es zu öffnen. In diesem Augenblicke kam eine dunkle Gestalt herangeschlichen; es war der Comanche, welcher einen Rundgang gemacht hatte. Die hohe Gestalt Sternau's fiel ihm auf; er trat heran und warf einen forschenden Blick auf ihn.

»Der Fürst des Felsens!« rief er.

»Der Fürst des Felsens!« erscholl es von Mund zu Mund.

»Haltet ihn fest!« rief der Comanche.

Zugleich faßte er Sternau, um ihn fest zu halten.

»Sei nicht dumm, Comanche!« gebot Sternau. »Wie kannst Du den Fürsten des Felsens halten! Ich weiß, Du willst meinen Tod nicht, ich den Deinen auch nicht. Packe Dich!«

Er ergriff den Rothen und gab ihm einen Stoß, daß er weit fort flog. Da aber wurde ein Fenster aufgerissen, und man sah den von der Lampe beschienenen Kopf des Rittmeisters erscheinen.

»Ist er noch da?« rief er in den Hof heraus. »Nehmt ihn gefangen!«

»Hier ist er! Haltet ihn, haltet ihn fest!« rief es aus mehr als einem Dutzend Kehlen.

Doppelt so viele Hände streckten sich nach ihm aus. Er riß den Stutzen von der Schulter und schlug ein gewaltiges Rad mit demselben; das war ein zwölffacher Hieb, den er austheilte, er bekam freie Bahn, nahm einen Anlauf und flog ebenso schnell über die Palissaden hinaus, wie er über dieselben hereingekommen war.

Jetzt griff Alles zu den Gewehren; man kletterte an den Planken empor und schoß nach ihm. Er hatte dies vorausgesehen und war im eiligsten Laufe um die nächste Ecke gebogen; daher flogen die Kugeln in eine vollständig falsche Richtung.

»Zu den Vaqueros, zu den Vaqueros!« rief der Rittmeister. »Sie mögen ihn fangen!«

Das Thor wurde geöffnet und mehrere der flinksten Dragoner rannten zu den Heerdenfeuern, um die Vaqueros zu unterrichten; da aber bog Sternau wieder um die Ecke herum und schlich sich zu den Pferden. Vier von ihnen weideten auf einem separaten Platz; das waren jedenfalls die Offizierspferde, die Besten von Allen.


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Er sprang hinzu, löste die Fessel des einen, schwang sich auf und galoppirte davon, ehe noch einer der Vaqueros erfuhr, um was es sich handele.

Die Herren Dragoner hatten heute Abend den Fürsten des Felsens kennen gelernt.

Sternau ritt natürlich nicht direkt nach der Pyramide. Er wußte, daß man auf den Hufschlag seines Pferdes hören werde, und wandte sich daher der entgegengesetzten Richtung zu, machte nachher einen weiten Bogen und kam, da er sich so fern wie möglich von der Estanzia halten mußte, erst spät zu der Pyramide.

Als man dort das Pferdegetrappel hörte, sah er sich plötzlich von den Wachen der Apachen umringt. Die Wilden rufen keinen Menschen an. Wäre dieser Reiter nicht Sternau gewesen, so hätte er sterben müssen, ohne daß eine Silbe gesprochen worden wäre.

»Wo sind die Häuptlinge?« fragte er.

Er wurde zu ihnen geführt. Unmittelbar am westlichen Fuße des Bauwerkes entsprang eine Quelle; man hatte sie entdeckt und nun wurden die Pferde dort getränkt, und die Häuptlinge hatten sich dort niedergelassen. Das war dieselbe Quelle, welche in früheren Zeiten den im Innern der Pyramide befindlichen Brunnen gespeist hatte. Dort war das Wasser versiecht und hatte aus irgend einem geognostischen Grunde einen direkten Ausgang nach Außen suchen müssen.

Sternau theilte mit, was er gesehen und gehört hatte. Es war sicher, daß diese Nacht nicht die mindeste Störung vorkommen würde, aber eben so sicher war es, daß man morgen die Apachen aufsuchen würde, und so fragte es sich, was für einen solchen Fall zu thun sei. Sich zurückziehen wollte Keiner; Alle wollten den Platz behaupten, die Einen, weil sie nicht gehen wollten, ohne ihre Lieben zu erlösen, und die Anderen in Folge des regen Ehrgefühles, welches die Apachen auszeichnet.

Die Dragoner brauchte, oder wollte man nicht fürchten. Vielleicht hatten die Rothen doch anders gedacht, wenn nicht der Fürst des Felsens und Donnerpfeil bei ihnen gewesen wären. Und die Comanchen, welche eintreffen wollten, bekamen es jedenfalls sehr bald mit den Apachen zu thun, welche das fliegende Roß nachsenden wollte.

»Wir bleiben hier!« entschied auch Sternau, und das entschied. »Wir können unmöglich gehen,« fuhr er fort, »ohne zu wissen, ob die Unserigen zu retten sind, oder nicht. Dieser alte Opferplatz bietet uns eine Position, wie sie bequemer, fester und sicherer gar nicht gedacht werden kann. Wir haben Wasser für uns und die Pferde; die Büsche geben uns Deckung, es fehlt uns nur der Proviant. Und dieser ist sehr leicht beschafft, wir dürfen ja nur eine Anzahl Rinder herbeitreiben. Von Mitternacht an sind die Vaqueros nicht mehr auf der Weide; sie werden uns nicht stören.«

Das wurde gethan. In sehr kurzer Zeit hatte man eine genügende Anzahl Rinder da, um die Apachen auf zwei Wochen lang mit Fleisch zu versehen, und das Areal, auf dessen Mittelpunkte die Pyramide stand, war groß genug, diesen Rindern mit sämmtlichen Pferden Futter zu gewähren.

Jetzt nun legte sich ein Jeder, der nicht zu wachen hatte, in seine Decke gewickelt zur Erde, um sich für die Anstrengungen des kommenden Tages zu stärken. Donnerpfeil, Bärenherz und Büffelstirn schliefen nicht. Sie dachten an die Gefangenen,


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welche jedenfalls im Innern der Pyramide steckten, und die Sorge um diese ließ sie nicht schlafen.

Schon mit Tagesanbruch weckten sie Sternau, ohne den sie nichts unternehmen mochten. Dieser war ihnen auch sofort zu Willen.

Diese vier Männer stellten sich an den Punkt, den der Mexikaner ihnen gestern Abend gezeigt hatte, und als sie die Erde untersuchten, fanden sie Spuren, welche deutlich nach der südöstlichen Ecke der Pyramide führten. Sie folgten diesen Spuren durch das Gebüsch, dann aber gab es grasigen Boden, auf welchem sie vollständig verschwanden. Es war zu lange Zeit vergangen, und so hatte sich das Gras wieder aufgerichtet.

Das war schlimm. Die vier scharfsichtigen Männer, denen es wohl selten Einer gleich that, standen völlig rathlos da; es wurde Alles versucht und probirt, aber vergeblich. Nun mußten die Apachen herbei. Das ganze Gebüsch, die Umfassung der Pyramide, die vier Seiten und die stumpf gewordene Spitze des alten Bauwerkes, Alles wurde auf das Genaueste untersucht, doch man fand nichts.

Es war fast ein Gefühl der Verzweiflung, welches sich der vier Männer bemächtigte, aber man beschloß, die Untersuchung von Neuem zu beginnen. Man war bereits wieder im vollen Zuge, als plötzlich von der Höhe der Pyramide ein lauter Ruf erscholl. Man blickte empor. Grizzlytödter stand oben, winkte, daß man sich verstecken solle, und kam auch selbst mit größter Schnelligkeit herunter.

»Was giebt es?« fragte Sternau.

»Reiter,« lautete die Antwort.

»Wo?«

»Von der Hazienda her. Es sind ihrer viele und sie kommen im Galopp.«

Ja, die Dragoner waren im Anzuge. Der Comanche hatte bereits gestern Abend von dem Rittmeister erfahren, daß sein Genosse von den Apachen getödtet worden sei, und dies hatte ihn zur Rache getrieben. Er war noch während der Nacht nach dem Walde gegangen, in welchem er auf der Weihmutskiefer gesessen hatte, und hatte dann mit Tagesanbruch sein Werk begonnen; er war den Spuren der Apachen gefolgt. Als er in die Nähe der Pyramide kam, gebot ihm die Klugheit, Halt zu machen. Er ahnte, daß sie sich dort bei der Pyramide befänden. Er schlug einen weiten Kreis um dieselbe und erfuhr da, daß die Spuren nur bis zu dem Bauwerke, aber nicht weiter führten.

Jetzt kehrte er in die Hazienda zurück und machte dem Rittmeister seine Meldung. Dieser war noch voller Wuth über die Schlappe, welche er gestern Abend erhalten hatte, und beschloß, sich sofort zu rächen. Er ließ satteln und aufsitzen und ritt mit allen seinen Leuten nach der Pyramide; auch die meisten Vaqueros schlossen sich an, um Zeugen des Kampfes zu werden.

Als Sternau den Reitertrupp herankommen sah, nickte er nachdenklich mit dem Kopfe. Ueber sein schönes, männliches Gesicht glitt ein Zug lustiger Ironie.

»Das sind über hundert Mann,« sagte er. »Wie viele Apachen sind nöthig, sie abzuhalten?«

»Fünfzig,« antwortete Bärenherz.

»Sagen wir hundert,« meinte Sternau. »Die anderen hundert will ich mit mir nehmen.«


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»Wohin?«

»Das ist noch mein Geheimniß. Grizzlytödter mag hundert Mann aufsitzen lassen und mit mir kommen.«

Noch war kaum eine Minute vergangen, so saß diese Mannschaft im Sattel und wartete auf Sternau, um sich von ihm anführen zu lassen.

»Was beabsichtigen Sie denn eigentlich?« fragte Donnerpfeil.

»Das werden Sie später sehen.«

»Sie kommen doch wieder?«

»Versteht sich. Halten Sie sich gut gegen die Dragoner!«

Er setzte sich an die Spitze seiner Reiter und verließ die Pyramide. Gerade von Süden her kamen die Dragoner und gerade nach Norden ritten die Apachen davon; die Ersteren konnten die Letzteren nicht sehen, da das breite, hohe Bauwerk dazwischen lag.

Sternau ritt im schnellsten Galopp. Als er bemerkte, daß er von der Pyramide aus nicht mehr gesehen werden konnte, schwenkte er nach Westen und dann nach Süden um und schwenkte nach einer Weile nach Osten ein. Auf diese Weise hatten sie einen Halbkreis geschlagen und kamen von Westen her auf die Hazienda zu. Als sie die Besitzung endlich sahen, bemerkten sie, daß kein einziger Vaquero sich auf der Weide befand, darum erreichten sie das Haus ganz unbemerkt. Es war nur die alte Wirthschafterin mit dem weiblichen Dienstpersonale vorhanden.

Sie erhoben ein fürchterliches Angstgeheul, als sie die Apachen erblickten, wurden aber bald zur Ruhe gebracht. Jetzt nun wurde das ganze Haus durchsucht. Man fand Proviant in Menge, auch Waffen und Munition, von der Letzteren den ganzen Vorrath der Dragonerschwadron. Alles, was bei einem Bivouak der Pyramide gebraucht werden konnte, wurde auf die Pferde geladen; die Frauen waren eingesperrt worden, und als die Apachen nun fertig waren, warteten sie auf die Rückkehr der Dragoner.

Als diese vorhin in die Nähe der Pyramide gekommen waren, hielten sie zunächst an, um zu recognosciren. Ein Unteroffizier wußte mit seiner Section absteigen und zu Fuß vorrücken. Sie näherten sich den Büschen immer mehr, ohne daß man dort ein Lebenszeichen bemerkt hätte. Schon glaubte der Rittmeister, daß der Comanche sich geirrt habe und daß hier von Apachen gar keine Rede sei, da erdonnerte plötzlich eine Salve und der Unteroffizier stürzte mit seiner ganzen Section todt zu Boden nieder, kein Einziger lebte.

»Heilige Madonna, sie sind wirklich da!« rief der Rittmeister. »Das Plänkeln hilft nichts. Diese verdammten Rothhäute fürchten den offenen Angriff, sie werden sofort ausreißen. Drauf auf sie!«

In donnerndem Galopp brauste die Schwadron gegen das Gebüsch. Der Kommandeur war ein muthiger Mann, aber er besaß keine Klugheit. Als Büffelstirn und die anderen Anführer erkannten, daß der Angriff nur von dieser Seite geschehen werde, riefen sie alle ihre Leute zusammen. Am Rande des Gebüsches lagen sie versteckt, Mann an Mann, und als die Reiter in genügender Nähe herangekommen waren, krachten ihre Büchsen und schwirrten ihre Pfeile.

Es entstand ein gewaltiger Wirrwarr unter den Dragonern. Todte und ver-


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wundete Menschen und Thiere lagen unter einander, und die Anderen waren gezwungen, anzuhalten. Auch den Rittmeister hatte ein Pfeil verwundet.

»Das ist dieser Fürst des Felsens!« zürnte er. »Ohne diesen Menschen würden die Rothen nicht Stand halten. Holt die Verwundeten zurück, und dann wollen wir versuchen, die Mäuse aus ihren Löchern zu locken.«

Es wurde versucht, aber ohne Erfolg. Die Apachen waren zu klug, um ihre schöne, sichere Deckung aufzugeben. Der Rittmeister saß rathlos auf dem Pferde.

»Was thun?« fragte er zornig.

»Ich habe einen Plan, der vielleicht gut ist,« meinte der Oberlieutenant.

»Nun?«

»Der Platz ist nur im Sturme zu nehmen.«

»Ja,« lachte der Rittmeister höhnisch, »wir haben es gesehen und erfahren!«

»Es fragt sich nur, wie man den Plan ausführt.«

»Haben Sie eine neue Methode erfunden?«

»Nein. Es ist klar, daß der Feind seine Leute hier, uns gegenüber concentrirt. Die anderen Seiten sind also von Vertheidigern entblößt. Wir thun also, als wollen wir diese eine Seite angreifen, schwenken aber kurz vor der Linie nach rechts ab, fassen das Terrain von der anderen Seite und rollen den Feind einfach auf; dadurch jagen wir ihn hinaus in das Freie, wo er seine Pferde nicht hat, und reiten ihn dann nieder.«

»Die Idee ist gut, Lieutenant. Sie wird sofort ausgeführt!«

Die Dragoner formirten sich abermals zum Chor und drangen im Galopp vor, aber sie hatten sich verrechnet, denn während sie sich beriethen, wurde an der Pyramide auch eine Berathung gehalten.

»Was werden sie jetzt thun?« fragte Büffelstirn nachdenklich.

Auch die Anderen überlegten.

»Der zweite Häuptling macht dem ersten einen Vorschlag,« meinte Bärenherz, der den Feind scharf beobachtete.

»Dieser Vorschlag scheint nicht viel zu tauchen,« lachte Donnerpfeil; »ich glaube sehr, daß ich ihn errathe.«

»Unser Bruder sage uns seine Gedanken,« bat Bärenherz.

»Die Dragoner werden bemerkt haben, daß die Krieger der Apachen sich meist auf dieser Seite befinden; sie werden ihren Angriff nun auf eine andere richten.«

»Auf welche?«

»Das muß man sehen.«

»Dann ist keine Zeit mehr,« meinte Büffelstirn.

»Mehr als genug!« versicherte Donnerpfeil. »Sie werden thun müssen, als ob ihr Angriff abermals dieser Seite gälte; wenn sie dann abschwenken, gerathen sie auf einige Zeit in Unordnung, und das giebt uns die nöthige Frist. Wir stellen uns hier in der Mitte der Seite auf, so daß wir beliebig nach rechts oder links schwenken, oder auch vorgehen können. Haben wir sie dann zwischen den Büschen, so können sie zu Pferde gar nichts thun, während wir zu Fuß ganz andere, freiere Bewegung haben.«

Die Anderen sahen die Wahrheit dieser Worte ein und trafen die Aufstellung ihrer Leute darnach. Sie sahen die Schwadron herangebraust kommen, dann um-


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schwenken und sich nach der Ostseite wenden. Da nahmen auch die Apachen Stellung gegen Osten, und als die Dragoner herankamen, stutzten sie fast, daß kein einziger Schuß fiel; als sie aber sammt und sonders in die Büsche eingedrungen waren, da krachte es von allen Seiten auf sie ein.

Es entstand ein schauderhaftes Gemetzel. Die Dragoner, hoch zu Roß, konnten sich fast gar nicht vertheidigen, weil ihnen das Strauchwerk hinderlich war; die Apachen aber hatten Raum genug zur Bewegung. Dieser Kampf dauerte nicht zehn Minuten, aber er war ein mörderischer. Als der Rittmeister seine Leute sammelte, hatte er von seinen hundert Mann nur noch einige Zwanzig. Er hatte eine Dummheit begangen, die ihm von seinen Vorgesetzten sicherlich nicht vergeben wurde.

Er hielt noch lange unentschlossen draußen auf der Ebene; fast war es, als ob er noch einmal angreifen wolle, um sich den Tod zu holen, dann aber ritt er doch nach der Hazienda zurück.

Seine Todten und Verwundeten ließ er liegen; er wußte sicher, daß er sie nicht erhalten hätte; ein Indianer verschenkt keinen Scalp.

Die beiden Lieutenants waren auch gefallen. Er war der einzige Offizier, und als er die Hazienda erblickte, welche er mit so stolzem Muthe verlassen hatte, da hätte er sich vor Grimm und Scham erschießen können.

Sie ritten in den vorderen Hof; der Kommandeur ging sofort nach seinem Zimmer. Sternau war so vorsichtig gewesen, die Apachen mit ihren Pferden nach dem hinteren Hofe zu schicken. Als der Rittmeister in seine Stube trat, riß er den Degen aus der Scheide, warf ihn zu Boden und rief grimmig:

»Eine verdammte Heldenthat! Diese Rothhäute haben wohl nicht fünf Mann verloren, ich aber über achtzig!«

»Das ist traurig!«

Der Rittmeister schrak zusammen, als er diese Worte hörte. Er hatte geglaubt, allein zu sein, und drehte sich um - da saß Sternau auf dem Stuhle.

»Tausend Teufel! Sie hier!« rief der Offizier.

»Wie Sie sehen,« meinte Sternau, ruhig sitzen bleibend. »Ich habe mir erlaubt, mir eine Ihrer Cigarretten anzubrennen.«

»Ich denke, Sie haben bei der Pyramide mit gekämpft?«

»Fällt mir nicht ein! Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich nicht Ihr Feind bin. Ja, ich habe Ihnen sogar einen großen Gefallen gethan.«

»Welchen?«

»Haben Sie noch nichts bemerkt?«

»Daß ich nicht wüßte,« sagte der Rittmeister, der gar nicht wußte, wie er sich zu benehmen habe.

»So wissen Sie doch vielleicht, wie stark die Apachen sind?«

»Zweihundert und sechs Mann.«

»Und gegen wie viele haben Sie heute gekämpft?«

»Gegen diese alle, jedenfalls.«

»Sie irren; es hat nur die Hälfte Ihnen gegenübergestanden.«

»Nur hundert?«

»Hundertundsechs.«


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»Unmöglich! Dann wären wir an Zahl ja gleich gewesen! Und hätten siegen müssen!«

»Sehr falsch, wie sich erwiesen hat. Ich habe Ihnen den Gefallen gethan und den Häuptlingen hundert ihrer Krieger entführt.«

»Ah! Ist das wahr!«

»Vollständig.«

»Aber weshalb thaten Sie es?«

»Um Ihnen den Sieg leichter zu machen,« antwortete Sternau mit ironischem Lächeln.

»Wollen Sie mich verspotten?« brauste der Rittmeister auf,

»Gar nicht. Ich spreche sehr im Ernste. Hätte ich diese hundert Mann nicht entführt, so wäre keiner der Ihrigen entkommen. Als Sie im Süden anrückten, ritt ich nach Norden ab. Sie konnten das nicht sehen; die Pyramide verdeckte mich.«

»Wie kommt es da, daß ich Sie hier finde?«

»Ebenso könnte ich Sie fragen: Wie kommt es, daß ich Sie an der Pyramide sah? Sie kamen, um uns anzugreifen, und ich komme, um Sie anzugreifen. Sie wollten mich gestern festhalten, heute dreht sich das Ding um: Sie sind mein Gefangener!«

Bei diesen Worten erhob er sich und trat auf den Rittmeister zu.

»Sind Sie bei Sinnen?« rief dieser.

Bei diesen Worten griff er nach seinem Revolver, den er vom Kampfe her noch im Gürtel hatte. Sternau blitzte ihn mit seinen leuchtenden Augen an und drohte:

»Hand von der Waffe! Oder wünschen Sie einen ähnlichen Hieb, wie gestern?«

Der Rittmeister nahm doch die Hand weg, aber er sagte:

»Sie werden mir unbegreiflich! Ich werde meine Leute rufen!«

»Und ich die meinigen.«

Er trat an den Tisch und ergriff eine darauf stehende Chocoladentasse. Er warf sie durch dasjenige Fenster des Zimmers, welches nach dem hinteren Hofe ging. Er hatte mit seinen Indianern ausgemacht, sobald er das Fenster zerbreche, sollten sie nach dem vorderen Hofe gehen und alle Dragoner gefangen nehmen. Daß sie dieser Verabredung Folge leisteten, bewies ein wirres Geschrei, welches sich jetzt unten erhob.

»Kommen und sehen Sie!« gebot Sternau.

Der Rittmeister sprang zum Fenster und kam gerade recht, um zu sehen, daß der Letzte seiner Leute niedergerissen und gefesselt wurde.

"Die Apachen hier!" rief er.

»Die Apachen hier!« rief er erschrocken.

»Natürlich!« antwortete Sternau. »Und zwar wiederum Ihnen zu Liebe. Wir wollen Sie nicht nach Chihuahua gehen lassen, wo Ihrer eine fürchterliche Nase wartet für den Streich, den Sie heute spielten. Sie sind mein Gefangener und bleiben mit Ihren Leuten bei uns!«

»Was soll ich bei den Apachen?« fragte der Rittmeister entsetzt.

»Es geschieht Ihnen nicht das Mindeste. Sie sind eine Geisel, sind mein Gefangener; es wird Sie Niemand anrühren.«


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»Eine Geisel? Wozu?«

»Das werden Sie später erfahren. Packen Sie Ihr Nothwendigstes zusammen, Sie hören, meine Apachen sind bereits vor der Thür.«

Da endlich sah der Offizier ein, daß es Ernst war.

»Sennor, Sie sind ein Verräther!« rief er. »Sie als Weißer überantworten mich den Rothhäuten!«

»Ob ich ein Verräther bin, müssen meine Freunde wissen. Ich habe Ihnen gestern gesagt, daß die Apachen nicht mit Ihnen kämpfen wollen; ich habe Sie um einen dreitägigen Waffenstillstand gebeten; Sie wollten nicht. Sie haben den Kampf herbei gezwungen und mögen nun auch die Folgen tragen.«

Er öffnete die Thür und ließ einige Apachen herein, welche den Rittmeister ohne Umstände banden und fortführten.

Jetzt nun begab er sich in den Raum, wo man die Frauen eingeschlossen hatte. Als er unter die Thür trat, erhoben sie en großes Geschrei.

»Still!« gebot er.

Aber solchen Weibern ist schwer Schweigen zu gebieten. Die alte Haushälterin warf sich vor ihm nieder, hob die Hände auf und flehte:

»Sennor, habt Erbarmen! Wir haben Euch doch nichts gethan! Oder ist mein Cousin Euer Feind gewesen?«

Bei diesen Worten kam Sternau ein Gedanke.

»Verdoja war Euer Cousin?« fragte er.

»Ja, Sennor. Ich bin die Dame dieses Hauses.«

»Hatte er Vertrauen zu Euch?«

»Hätte er mich sonst zur Dame des Hauses gemacht, Sennor?«

»Ich meine es anders. Hat er Euch zuweilen Dinge mitgetheilt, die er Anderen nicht sagen würde?«

»Einiges.«

»Wißt Ihr, wo er sich befindet?«

»Nein.«

»Hat Verdoja die Nacht hier in der Hazienda geschlafen?«

»Ja.«

»Kennt Ihr die Pyramide, welche hier in der Nähe liegt?«

»Ich kenne sie.«

»Wißt Ihr nicht, ob sie hohl ist?«

»Sie ist hohl, denn Sennor Verdoja war sehr oft darin.«

»Ah,« fragte Sternau erfreut, »wie ist er hineingekommen?«

»Das weiß ich nicht, das war ein Geheimniß schon zu Zeiten seines Vaters; aber droben im Schreibtische, da liegt eine Zeichnung, auf welcher es steht, wie es in dem Inneren der Pyramide aussieht.«

»Führen Sie mich zu dem Schreibtisch.«

Die Alte führte ihn nach dem Wohnzimmer Verdoja's. Dort stand ein sehr alter Schreibtisch, welchen mit dem Messer zu öffnen, Sternau Mühe hatte. Endlich sprang der Kasten auf, und nun fand Sternau wirklich einen Plan, der sich auf das Innere der Pyramide beziehen mußte.


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»Aber was wird Sennor Verdoja sagen, wenn er sieht, daß der Tisch aufgesprengt worden ist!« sagte die Alte ängstlich.

»Habt keine Sorge,« antwortete Sternau. »Er wird nichts merken, denn er kehrt gar nicht zurück; die Apachen werden ihn tödten. Und übrigens werde ich die Hazienda jetzt anbrennen.«

»Anbrennen? - O heilige Madonna! Was habe ich Euch denn gethan, daß Ihr mich Aermste unglücklich machen wollt?«

»Verdoja hat es verdient.«

»Aber ich nicht! Wenn er wirklich todt ist, so bin ja ich die Erbin!«

Das machte Sternau zur Milde gestimmt. Die Alte bat und flehte; ihr Geschrei rief die anderen Frauenzimmer herbei, und als sie hörten, um was es sich handele, so fielen sie ihm zu Füßen und baten mit Thränen, daß er barmherzig sein möge. Er willigte endlich ein.

Er steckte den Plan als einen jetzt köstlichen Schatz in die Tasche und gebot dann seinen Apachen, aufzubrechen. Sie waren unterdessen nicht müßig gewesen und hatten den Pferden der Dragoner auch noch Verschiedenes aufgeladen. Die Thiere brachen fast unter ihrer Last zusammen.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Alle Männer gingen zu Fuße, und ein Jeder führte sein beladenes Pferd. Die Dragoner waren so gefesselt, daß sie zwar ihre Pferde führen, aber nicht entfliehen konnten. Von den Vaqueros ließ sich keiner sehen. Erst waren sie Zeugen des unglücklichen Kampfes gewesen, dann waren sie zu ihren Heerden zurückgekehrt, und jetzt, als sie die Apachen erblickten, versteckten sie sich, so gut es gehen wollte.

Als die lange Karavane die Pyramide erreichte, war die Ueberraschung eine ganz bedeutende. Sternau hatte alle verschont gebliebenen Dragoner zu Gefangenen gemacht und eine Beute gebracht, welche ihnen das Lagerleben erleichterte und sie an Proviant und Munition so bereichert, daß sie eine förmliche Belagerung hätten aushalten können. Sein Lob erklang aus Aller Munde; das Beste aber, was er mitgebracht hatte, waren Hacken und Brechstangen, welche er vielleicht zu gebrauchen glaubte.

Die Vorräthe wurden aufgespeichert, die Gefangenen unter gute Bewachung gestellt und dann Kundschafter ausgesendet, um etwa anrückende Feinde sofort zu melden.

Nun erst nahm Sternau sich Zeit, die Karte zu studiren.

Sie war sehr deutlich gezeichnet. Das Innere der Pyramide bestand aus drei Stockwerken, deren Mitte der tiefe, viereckige Brunnen bildete. Conzentrisch zu diesem Brunnen liefen Gänge, welche durch Quergänge verbunden waren, und nach den Ecken zu waren Zellen angebracht. Die Pyramide hatte unten an ihrem Fuße vier Eingänge gehabt, an der Mitte einer jeden Seite einen.

Jetzt handelte es sich darum, einen dieser Eingänge, die jetzt jedenfalls vermauert waren, zu finden. Sternau theilte den Andern den Plan des Bauwerkes mit, und dann begab man sich auf die Suche. Es fand sich nichts, bis Sternau auf den Gedanken kam, die genaue Mitte der Seite abzumessen.

Als diese gefunden war, kam man an einen Felsen, der eigenthümlich zerrissen war. Sternau untersuchte ihn und verzweifelte bereits, als er sich einmal nieder-


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kniete und an dem Steine zu schieben versuchte - er bewegte sich. Da sprang er auf, leichenblaß vor Freude.

»Ich hab's!« rief er.

»Ist's möglich?« fragte Donnerpfeil.

»Ja. Hier ist der Eingang; ich habe es gefühlt.«

»Wo? Wo? Rasch! Rasch!«

»Man muß diesen Mittelstein nach innen schieben.«

Sofort kniete Donnerpfeil nieder und schob aus Leibeskräften. Der Stein wich nach innen, und es waren die steinernen Rollen zu sehen, auf denen er lief.

»O mein Gott, Dir sei Dank!« rief Donnerpfeil, indem er auf den Knieen liegen blieb, halb betend und halb von der Freude überwältigt.

Sternau blickte in die Oeffnung.

»Hier steht eine Laterne; es müssen mehrere hier gestanden haben,« sagte er. »Auch eine Flasche voll Oel ist da.«

»Schnell anbrennen, und dann hinein!«

Bei diesen Worten sprang Donnerpfeil auf und steckte die Laterne in Brand. Dann schritt er eiligst vorwärts, ohne in seinem Eifer darauf zu achten, ob ihm Jemand folge oder nicht. Sie waren aber alle Drei hinter ihm her, Sternau, Büffelstirn und Bärenherz; ganz zuletzt kam auch der Vaquero Franzesko.

Es ging den langen Gang hinter, aber dann stand man vor der Thür. Sternau hielt den Plan an die Laterne und betrachtete ihn.

»Thüren sind hier nicht verzeichnet,« sagte er. »Ist ein Schloß daran?«

»Nein,« antwortete Donnerpfeil. »Doch ist sie fest zu.«

»So befindet sich entweder auf der inneren Seite ein Riegel, oder es giebt irgend eine geheime Mechanik daran. Wir können uns nicht damit auf halten, diese Mechanik zu entdecken. Wir haben Pulver genug; wir wollen die Thür aufsprengen. Macht mit den Messern einige Sprenglöcher zwischen die Mauer und das Thürgewände. Die Mauer ist aus Backsteinen und weich. Ich gehe und hole das Pulver.«

Die Andern machten sich sofort an die Arbeit, und als er zurückkehrte, waren sie bereits fertig. Die Löcher wurden gefüllt, mit einer Lunte versehen, die man aus einigen Faden zusammendrehte und mit Pulver einrieb, dann gut gepropft. Jetzt brannte man die Lunten an und eilte zum Ausgange zurück.

Es dauerte eine kleine Weile, dann aber hörte man es schnell hintereinander viermal krachen. Schon wollten sich die Fünf wieder nach dem Innern begeben, als Grizzlytödter herbeikam. Man sah es seinem eiligen Laufe an, daß er etwas Wichtiges zu verkünden habe.

»Was bringt uns mein Bruder?« fragte Bärenherz.

»Die Hunde der Comanchen kommen durch den Wald, an welchem wir gestern vorüberritten.«

»Wer hat diese Kunde gebracht?«

»Der rothe Hirsch.«

»So wollen wir ihn zunächst hören. Hole ihn!«

Der Apache, welcher den Namen »rother Hirsch« trug, kam herbei. Er war einer von denen, welche auf Kundschaft ausgesendet worden waren.

»Mein Bruder sage uns, was er gesehen hat!« gebot Bärenherz.


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»Ich ging den Weg zurück, den wir gestern gekommen sind,« sagte der Kundschafter. »Die beiden Comanchen, deren Einen wir tödteten, hatten uns gesehen, und das konnte nur im Walde geschehen sein. Ich ging also dem Rande desselben entlang und fand eine sehr neue Fährte, welche hineinführte; ich untersuchte sie und erkannte die Fährte eines Indianers, welche von der Hazienda kam.«

»Es war jedenfalls der Comanche, der auf der Hazienda übernachtete; er wird seine Gefährten geholt und ihnen auch gesagt haben, daß wir hier sind,« sagte Sternau. »Der rothe Hirsch mag fortfahren!«

»Ich verfolgte die Fährte,« fuhr dieser fort. »Sie führte grad' in den Wald hinein. Ich kam nur langsam vorwärts, da ich meine eigene Spur immer verwischen mußte. Da hörte ich das Krächzen mehrerer Raben. Sie waren von Jemand, der im Walde ging, aufgescheucht worden; darum verbarg ich mich schnell in ein Dickicht und wartete. Es dauerte gar nicht lange, so kamen die Hunde der Comanchen an mir vorüber. Es war ein großer Stamm, denn ich zählte über vier mal zehn mal zehn Krieger, und es waren drei Häuptlinge dabei.«

»Kanntest Du diese?« fragte Bärenherz.

»Nein.«

»Wohin gingen sie?«

»Als der letzte vorüber war, folgte ich ihnen. Sie gingen bis an den Rand des Waldes. Dort erzählte ihnen der Spion, daß wir hier sind, und Alles, was geschehen ist. Darauf hielten sie eine kurze Berathung, und dann gingen sie zur Hazienda.«

»So werden wir sie bald zu sehen bekommen.«

»Vielleicht erst heut' Nacht,« sagte Donnerpfeil.

»Nein. Sie werden uns einschließen, damit uns jede Verbindung abgeschnitten wird,« meinte Sternau. »Dann aber greifen uns des Nachts an. Haltet gut Wache, und wenn etwas Wichtiges passirt, so kommt uns in diese Höhle nach und sagt es uns.«

Damit war der Kundschafter entlassen; die Anderen aber drangen wieder in den Gang hinein.

Als sie die Stelle erreichten, wo sich die Thür befunden hatte, lag diese am Boden. Sie war sammt dem Gewände aus der Mauer gerissen worden. Sie wurde aus dem Mauerbruch hervorgezogen und untersucht. Es war nichts zu sehen, als oben und unten ein viereckiges Loch. Nun untersuchte man den Boden an der Stelle, wo sie befestigt gewesen war, und ebenso die Decke; da fand man oben und unten einen eisernen Zahn, der in das Loch eingegriffen hatte; aber dieser Zahn war so fest und unbeweglich, und man konnte die Mechanik nicht entdecken, mittelst welcher er vor- und zurückgeschoben wurde.

»Es wird uns nichts Anderes übrig bleiben, als alle Thüren aufzusprengen,« sagte Sternau. »Ich werde wieder Pulver holen.

Zunächst aber wollen wir weiter sehen.«

Sie hatten eine bedeutende Strecke zu gehen, ehe sie wieder an eine Thür kamen. Diese war an der rechten Mauer, der Gang aber führte weiter. Da nahm Sternau den Plan abermals vor und sah nach.

»Was sucht mein Bruder?« fragte Bärenherz.


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»Ich suche den Ort, an dem sich die Gefangenen befinden. Jedenfalls sind sie in der Mitte der Pyramide, in der Nähe des Brunnens, denn dort sind sie am sichersten. Bis zum Brunnen haben wir noch fünf Thüren. Diese hier muß aufgesprengt werden, denn dem Gange folgen wir nicht weiter.«

Wieder machten sich die Anderen daran, Sprenglöcher zu bohren, und als Sternau mit Pulver zurückkehrte, wurden die selben geladen. Man kehrte in genügende Entfernung zurück, und als die Knalle erfolgt waren, fand man ganz dasselbe Ergebniß, wie vorhin. Auch hier sahen oben und unten die eisernen Zähne aus dem Gestein hervor, ohne daß man ihre Mechanik entdecken konnte. Der Mann, der diese Vorrichtung erfunden hatte, war ein kluger Mann gewesen.

Man drang nun nach Sternau's Anweisung weiter vor. Dieser hatte außer dem Pulver jetzt auch eine Hacke und einen eisernen Hebebaum mitgebracht. Bei der nächsten Thür wurden diese beiden Instrumente versucht, aber sie erwiesen sich als nicht zulänglich. Es mußte wieder zur Hilfe des Pulvers geschritten werden. Diese Thür hatte von zwei Seiten schwere Riegel; man mußte mehr Pulver als bisher verwenden. Das gab einen fürchterlichen Knall, so daß der ganze Bau zu beben schien. Als man zu der gesprengten Thür kam, war so viel Mauer und Decke mit fortgerissen, daß man nicht weiter vorwärts konnte. Man mußte zunächst den Schutt forträumen. Dies gab eine bedeutende Arbeit, worüber mehrere Stunden vergingen. Die Decke mußte gestützt werden, und es fehlte an geeignetem Material dazu.

Noch während man damit beschäftigt war, kam ein Bote und rief die Häuptlinge nach außen. Sie sagten sich, daß das Wohl und Wehe, ja das Leben der Eingesperrten an einem einzigen Augenblick hange, aber da draußen standen zweihundert Apachen, deren Schicksal ihnen anvertraut war. Sie mußten dem Rufe folgen.

Als sie vor der Pyramide anlangten, sahen sie, daß die Comanchen einen weiten Ring um dieselbe gezogen hatten. Sie waren eingeschlossen. Als sie die Feinde zählten, waren es nicht viel über hundert, aber alle hatten Pferde.

»Sie haben sich mit den Pferden, welche zur Hazienda Verdoja gehören, beritten gemacht,« sagte Sternau. »Die Anderen greifen noch weiter, um Pferde zu finden. Sie werden den Kampf nicht eher beginnen, als bis sie Alle Thiere besitzen. Wir sind also jetzt noch sicher und können an unser Werk zurückehren.«

Es darf nicht Wunder nehmen, daß sich hundert Indianer auf er einzigen Hazienda beritten machen; es giebt Hazienderos, welche viele tausend Stück halbwilder Pferde auf den freien Weiden haben. Giebt es doch auch in den ungarischen Pusten und in den Steppen Rußlands Pferdeheerden von mehreren Tausend Stück.

Während die Gefahr des Kampfes sich der Pyramide immer weiter näherte, saßen die vier Gefangenen im Innern derselben und erwogen die Möglichkeit der Rettung untereinander. Sie hatten auf Sternau gerechnet, aber es waren nun bereits zwei Nächte vorüber, und das ist in solchen Verhältnissen eine Ewigkeit. Das Wasser war fast alle, der Proviant reichte nur noch kurze Zeit, die Leichen Pardero's und des Wärters verbreiteten bereits einen fast unerträglichen Gestank, und aus dem Brunnen klang in regelmäßigen Zwischenräumen ein wahnsinniges Schmerzgebrüll oder ein markerschütternder Jammerschrei Verdoja's. Es war, als ob ein wildes Thier am Spieße lebendig gebraten werde.


// 1101 //

Karja, die Indianerin, war wortkarg, aber Emma konnte ihrer Angst nicht gebieten. Sie glaubte nicht mehr an die Möglichkeit einer Rettung. Sie hatten die Messer an der Thür versucht, sie aber als unzulänglich befunden. Rettung konnte nur von außen kommen, und wer sollte da der Retter sein? Das Innere der Pyramide war Geheimniß, und Diejenigen, welche allein es kannten, lagen todt oder gelähmt in der Zelle und in der Tiefe des Brunnens.

Emma faltete die Hände und flehte:

»O, heilige Mutter Gottes, bitte für uns in dieser entsetzlichen Noth! Laß uns nicht verschmachten und verderben in dieser Finsterniß! Laß uns das Licht des Tages wiedersehen, und ich will Deine Güte preisen, so lange ich lebe!«

Der Steuermann war still geworden, aber Mariano ergriff die Hand der Sennorita und bat mit trostvoller Stimme:

»Verzagen Sie noch nicht! Ich kenne Gott, der allmächtig ist, und ich kenne Sternau, den man fast auch allmächtig nennen mag. Er bringt fertig, was kein Anderer vermag. Er weiß, was für ein Schicksal unser bei Verdoja und Pardero erwartet, und wird Alles wagen und thun, um uns zu finden und zu retten.«

»Aber wer soll ihm sagen, daß wir uns hier befinden?«

»Dafür lassen Sie Gott und ihn sorgen. Er findet uns, ich bin es überzeugt!«

»Aber wenn ihm selbst ein Unfall wiederfährt?«

»Ihm geschieht nichts Böses. Er weiß, was für uns davon abhängt, daß er in keine Fährlichkeit geräth, und wird vorsichtig sein. Vielleicht ist grad' diese Vorsicht schuld, daß wir warten müssen. Es sind ja erst zwei Tage verflossen; es ist ja sehr leicht möglich, daß er jetzt erst in dieser Gegend eintrifft. Nun wird er nach Spuren suchen; er wird sie finden. Er wird auch ein Mittel entdecken, zu uns zu gelangen. Es ist mir, als - - horch!«

Sie lauschten, hörten aber nichts.

»Was war es?« fragte Emma.

»Es war mir, als ob ich ein leises Rollen hörte, fast wie fernen Donner.«

»Das war eine Täuschung, Sennor. In diese Tiefe dringt kein lebendiger Ton!«

Es trat wieder eine Stille ein, bis der Steuermann aus seinem Grübeln auffuhr:

»Hol's der Teufel, ich finde nichts!«

»Was suchen Sie?« fragte Mariano.

»Nach einem Mittel, diese verteufelte Pyramide in die Luft zu sprengen, aber natürlich so, daß wir unbeschädigt sitzen bleiben.«

»Geben Sie sich keine Mühe, es ist Alles vergeblich. Wir können nur von außen Hilfe erwarten.«

»Nun, dann mag sie bald kommen, nicht um meinetwillen, denn ich halte Etwas aus, sondern um dieser Sennoritas willen, die so Etwas nicht verdient haben. Es muß ein miserabler Tod sein, hier unten so langsam - horch!«

Jetzt horchten sie Alle auf, denn Alle hatten einen Donner vernommen.

»Das war ganz wie vorhin, aber stärker,« sagte Mariano. »Es giebt doch jetzt kein Gewitter! Und wie sollte man hier unten den Donner hören können?«

»Das war kein Donner,« erklärte der Steuermann; »das war ein Schuß.«


// 1102 //

»Es ist ganz unmöglich, es hier unten zu hören, wenn ein Schuß fällt,« sagte Emma.

»Aber wenn der Schuß nun hier unten gefallen wäre?« fragte Helmers.

»Wer sollte da schießen?«

»Weiß ich es? Ich weiß nur so viel, daß ich als Seemann den Donner von einem Schusse sehr genau unterscheiden kann. Es ein Schuß. Wäre er aber gefallen, so müßte es ein Kanonenschuß gewesen sein, und ich bezweifle, ob man selbst einen solchen hier hören würde. Wir haben ihn aber gehört, folglich ist er unten abgefeuert worden.«

»Aber es hat kein Pistol und keine Büchse einen solchen Klang. Und wozu sollte man hier unten schießen? Etwa, um uns Zeichen zu geben? Sternau weiß ja, daß wir nicht antworten können.«

Auf diese Worte Emma's schüttelte der Steuermann den Kopf.

»Ja, eine Büchse hat keinen solchen Klang,« sagte er, »aber wissen Sie, was genau so klingen würde?«

»Was?«

»Ein Sprengschuß.«

»Allmächtiger! Sie glauben -?«

Er nickte und antwortete:

»Ich glaube, daß Sternau da ist; es war ein Sprengschuß. Ich kenne meinen Herrn Sternau genau. Ihm ist nichts zu schwer. Vielleicht ist er gar auf die Idee gekommen, die Thüren aufzusprengen, weil er sie nicht öffnen kann.«

Diese Worte waren in einem so zuversichtlichen Töne gesprochen, daß Emma mit vor Hoffnung leuchtenden Augen sagte:

»Sie geben mir Trost, Sennor Helmers. Es ist mir, als ob ich jetzt an eine Errettung glauben dürfte. O mein Vater, mein armer, guter Vater! Werde ich Dich einmal wiedersehen dürfen?«

Sie weinte, aber es waren doch Thränen des Schmerzes und nicht der Hoffnung, die sie vergoß. Da ertönte mitten in ihr Schluchzen hinein ein gewaltiger Knall. Sie fühlten, wie der Boden und die Wände des Ganges zitterten. Und als auf diesen Knall ein dumpfes Prasseln erscholl, da sprang der Steuermann in die Höhe.

»Hurrah! Hurrah! Sternau ist da, ist wirklich da!« rief er. »Das war ein Sprengschuß, wie er leibt und lebt, und dahinter prasselte die Mauer ein. Die Rettung ist da, juchhe, sie ist da!«

Auch Emma wollte sich erheben, aber sie wankte und sank wieder in die Kniee.

»Wär's möglich,« hauchte sie.

»Ich glaube selbst, daß Sennor Helmers Recht hat,« sagte Mariano. »Was glauben Sie, Sennorita Karja?«

Die Indianerin schlug langsam die geschlossen gewesenen Augen auf und sagte:

»Es ist Sternau, ich wußte, daß er kommen würde.«

Da fiel Emma der Sprecherin um den Hals und küßte sie.

»Herrgott, ich danke Dir! Nie will ich Deine Liebe vergessen, so wie Du jetzt auch unserer nicht vergessen hast!« jubelte sie.


// 1103 //

Jetzt verging eine längere Zeit, während welcher sie lauschten. Sie saßen in dem Gange, in dessen Zellen Mariano und Helmers gesteckt hatten.

»Wollen wir nicht an die vordere Thüre gehen?« fragte der Steuermann.

»Ja, vielleicht hören wir da besser, was geschieht,« antwortete Mariano.

Emma stützte sich auf den Letzteren, so begaben sie sich nach der Thür, an der sie ihre Messer vergebens versucht hatten. Dort ließen sie sich auf den feuchten Boden nieder und lauschten. Sie hörten ein dumpfes Stoßen und Schieben, welches kein Ende nehmen wollte.

»Wissen Sie, was das ist, Sennorita?« fragte Helmers.

»Nein.«

»Sie räumen den Schutt weg. Der letzte Schuß war stark und hat den Gang höchst wahrscheinlich sehr beschädigt.«

»Ach, wenn es doch so wäre.«

»Es ist so, Sennorita. Ich bin still gewesen da hinten in dem Gange, denn ich dachte an mein Weib und an meine Lieben, die mir Gott erhalten möge, aber den Muth habe ich doch nicht verloren gehabt. Der Tod ist ein eigenthümlicher Kauz; er wagt sich nicht an jedes Menschenkind heran.«

»Aber horch, man hört jetzt nichts mehr.«

»Sie ruhen wohl aus,« tröstete der brave Steuermann.

Es war jetzt die Zeit, in welcher die Häuptlinge nach oben gerufen wurden, um die Umzingelung der Comanchen zu beobachten.

Nun herrschte eine erwartungsvolle Stille unter den Eingeschlossenen, bis sich das Stoßen und Schieben wieder vernehmen ließ. Dann hörte man laute Schläge wie mit einem Beile oder einer Hacke gegen Holz, und dabei war es, als ob ferne Menschenstimmen erklängen. Da - da nahten Schritte, die laut und deutlich zu vernehmen waren.

»Nun diese Thür,« sagte eine sonore Stimme. »Sie führt ganz sicher nach dem Brunnen. Wir haben noch Pulver genug.«

Den Eingeschlossenen war es, als ob sie einen elektrischen Schlag erhielten; sie konnten vor Wonne nicht sprechen und hielten einander nur mit der Hand gefaßt.

»Sternau!« flüsterte endlich der Steuermann. »Ich wußte es! Und er weiß sogar, daß diese Thür nach dem Brunnen führt.«

Sie lauschten. Ein suchendes Tasten ließ sich an der Thür vernehmen, dann sagte eine andere Stimme:

»Das kostet wieder viel Pulver; es ist eine Thür mit Doppelriegel.«

Da schnellte Emma empor und stieß einen Schrei des Entzückens aus:

»Gott, mein Gott! Antonio, Antonio!«

Einen Augenblick lang war es drüben still; der freudige Schreck lähmte die Zungen; dann aber rief Donnerpfeil herüber:

»Emma, meine Emma, bist Du es?«

»Ja,« antwortete sie; »ich bin es, Geliebter!«

»Gott sei tausend Dank! Bist Du allein?«

»Nein, wir sind da, alle Vier.«

Da rief eine Stimme, die man bisher noch nicht gehört hatte:


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»Alle Vier, Karja, Du auch?«

Der Ton dieser Stimme rief die Röthe des Entzückens auf die bleichen Wangen der Indianerin.

»Ja,« rief sie; »Karja Deine Schwester ist da!«

»Uff! Uff!« ließ sich darauf eine neue Stimme vernehmen..

Die Wangen Karja's wurden bei dem Klange dieser Stimme wieder blaß. War dies vor Schreck oder vor Freude?

»Wer sprach da?« fragte der Steuermann leise.

»Diese Stimme kenne ich,« antwortete Emma. »Es ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Die Helden sind alle beisammen: Bärenherz, Büffelstirn, Donnerpfeil, aber wo ist Sternau? Ich höre ihn nicht mehr. Habe ich mich vorhin in jener Stimme getäuscht?«

Diese Wechselreden und Ausrufungen folgten natürlich viel schneller aufeinander, als sie geschrieben oder gelesen werden können. Sie flogen herüber und hinüber, und es gab zwischen ihnen keine Pause, welche auch nur den zehnten Theil einer Sekunde lang gewesen wäre. Jetzt wieder fragte Donnerpfeil:

»Wie befindet Ihr Euch, Emma?«

»Gut! O, nun ist ja Alles vergessen!«

Da klopfte es und endlich erklang Sternau's Stimme zum zweiten Male:

»Wie geht es denn meinem braven Steuermann? Er wird ja ganz vergessen über die Andern, sogar von seinem Bruder!«

»Danke sehr, Herr Doctor!« rief Helmers hinüber. »Ich bin noch fest auf dem Kiel. Machen Sie nur das Fahrwasser frei, daß wir bald heraussegeln können.«

»Soll gleich geschehen! Fragen und antworten können wir ja später; jetzt aber nur das Eine: Ist Verdoja drüben? Und Pardero?«

»Ja.«

»Was thun sie? Sie scheinen doch nicht bei Euch zu sein.«

»Sie sind in der Nähe und haben genug. Pardero ist todt und auch der Gefängnißwärter. Verdoja ist in den Brunnen gefallen und hat das Rückgrat und die beiden Arme gebrochen; er lebt aber noch.«

»Ach, welch eine Schickung!« hörte man Sternau drüben sagen: »Sie scheinen sich wacker gewehrt zu haben. Nun schnell, wir hinüber kommen!« Und dann fragte er noch durch die Thür:

»Ist's finster drüben?«

»Nein. Wir haben sogar zwei Laternen,« antwortete Helmers.

»Das ist gut. Zieht Euch soweit wie möglich zurück. Wir sprengen die Thür. Oder könnt Ihr nicht?«

»O, sehr weit!«

»So geht jetzt! Dann kommen wir gleich.«

Sie kehrten bis in den nächsten Gang zurück und theilten sich Glück in glühenden Worten mit. Dann lauschten sie dem knirschenden Bohren der Messer.

»Sagte ich es nicht, daß Sternau kommen würde,« meinte Helmers. »Das ist ein Mann, wie es keinen zweiten giebt.«

»Ich wußte es sicher!« bestätigte Mariano in dem Tone der vollsten Ueber-


Ende der sechsundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk