Lieferung 49

Karl May

27. Oktober 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»So sind wir fertig!«

Er drehte sich kalt um und wollte gehen. Doch Cortejo ergriff ihn am Arme und bat:

»Bleibt noch einen Augenblick, Sennor, und hört meine Erklärung an. Ich sagte, daß ich das Geld nicht baar habe, denn wer legt in der jetzigen Zeit eine Million leichtsinnig her. Aber ich habe Besitzungen, von denen jede einzelne mehr werth ist als so viel. Soll ich eine verkaufen, so erhaltet Ihr das Geld. Soll ich Euch eine schenken, so thun wir, als hättet Ihr sie gekauft. Was wählt Ihr?«

Der Indianer hatte ihm halb abgewendet zugehört; jetzt drehte er sich herum und fragte:

»Habt Ihr das Recht, eine Besitzung zu verkaufen oder zu verschenken?«

»Ja.«

»Seid Ihr der Besitzer?«

»Nein, aber ich bin vom Grafen Rodriganda autorisirt, zu thun, was mir beliebt. Ich darf in seinem Namen unterschreiben.«

»Das ist Eure Sache; ich aber glaube es nicht. Ich will keine Hazienda kaufen oder mir schenken lassen, welche ich früher oder später wieder hergeben muß. Lebt wohl!«

Er dreht sich wieder um; dieses Mal war es Josefa, welche ihn zurückhielt.

»Wartet, Sennor!« sagte sie. »Ich werde diese Angelegenheit ordnen.«

Er lächelte höhnisch wie vorher und sagte in ungeduldigem Tone:

»Wozu die unnöthigen Worte! Wie will ein Weib eine Sache ordnen, zu welcher der Mann, der es thun sollte, kein Geld hat! Und gerade Geld ist es, was ich brauche.«

»Ihr sollt es haben!«

»Wann?« fragte er kalt.

»Wann Ihr es wollt.«

»Eine Million?«

»Nein, sondern fünf Millionen!«

Jetzt trat er doch erstaunt einen Schritt zurück. Doch sagte er sofort:

»Diese Sennora ist nicht bei Sinnen!«

Auch ihr Vater blickte in höchster Verwunderung zu ihr hinüber. Sie aber ließ sich nicht irre machen, sondern fuhr fort:

»Ich will deutlicher sprechen. Mein Vater hat Euch eine Million versprochen, Sennor. Er wollte sie Euch auszahlen, hier auf diesen Tisch; Ihr konntet sie einstecken leicht und mühelos. Ich nun biete Euch vier Millionen mehr und mache nur die zwei Bedingungen, daß Ihr sie Euch selbst holt und meinem Vater dennoch Euer Versprechen haltet.«

»Wo sind sie zu finden?« fragte er rasch.

»Das werde ich Euch sagen, sobald Ihr mir Euer Wort gegeben habt und wir noch über einen anderen Punkt einig geworden sind.«

»So redet!«

Er stellte sich, wie vorher, mit über die Brust gekreuzten Armen vor die Beiden hin und richtete seine Augen mit einem wahrhaft durchbohrenden Blick auf das Mädchen, welches fortfuhr:


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»Es gibt zwei Personen, welche meiner Rache verfallen sind. Sie sollen sterben oder wenigstens in die fernen Berge verschwinden, in denen Ihr Gebieter seid. Es ist Vater und Tochter. Sie haben fünf Millionen baares Geld bei sich und wohnen hier in der Stadt. Ich kenne den Ort, wo diese Summe zu finden ist, und ich kenne auch die Art und Weise, wie man zu ihm gelangt. Ihr sollt Euch das Geld holen. Ihr sollt diese beiden Personen mitnehmen und verschwinden lassen. Ihr sollt endlich, wenn dies Euch gelingt, annehmen, daß mein Vater Euch seine Million bezahlt hat, und ihm ehrlich das Wort halten, welches Ihr ihm gegeben habt. Unter diesen Bedingungen sage ich Euch, weiche Personen und welchen Ort ich meine.«

»Alle Teufel, jetzt weiß ich, wen Du meinst!« rief Cortejo. »Und Du weißt genau, daß diese ungeheure Summe dort zu finden ist?«

»Ganz genau. Du kennst ja meine Spionin.«

Da legte ihr der Indianer die Hand auf den Arm und sagte mit tiefer Stimme:

»Sennora, der Panther des Südens läßt sich nicht betrügen, am allerwenigsten von einem Weibe. Wenn ihr lügt, so morde ich Euch!«

»Thut es!« antwortete sie, ihm furchtlos in die vor Geldgier funkelnden Augen blickend. »Ich bin meiner Sache gewiß.«

»Nun, so seid Ihr wirklich kein Weib, sondern ein Mann. Wem eine Rache mehr werth ist, als fünf Millionen, dem darf man Vertrauen schenken. Ich gehe auf den Handel ein und nehme Eure Bedingungen an.«

Jetzt endlich war es ihr geglückt. Ihre fahlen Wangen rötheten sich vor Freude. Doch ging sie sicher und fragte speziell:

»Ihr nehmt den Mann und die Tochter mit?«

»Ja,« antwortete er.

»Quittirt meinem Vater die Million?«

»Ja.«

»Und steht ihm bei, auf den Präsidentenstuhl zu gelangen?«

»Ja.«

»Gebt uns Eure Hand und schwört es uns!«

Er reichte den Beiden seine Hände hin und gelobte mit fester Stimme:

»Ich schwöre es Euch und werde mein Wort halten, wenn Ihr die Wahrheit gesprochen habt. Jetzt nun sagt mir den Ort, Sennorita!«

»Kennt Ihr Lord Lindsay, den Engländer?«

Er horchte auf; seine Lippen öffneten sich ein wenig und ein leise pfeifender Ton schnitt zwischen seinen Zähnen hervor.

»Ist's bei ihm?« fragte er.

»Ja. Ihr scheint überrascht. Wollt Ihr vielleicht zurücktreten, Sennor?«

»Nein. Redet weiter.«

»Der Keller seines Hauses hat drei Theile; vorn der Küchenkeller, dann der Weinkeller und endlich der Geldkeller. Er ist klein und mit einer eisernen Thüre verschlossen. Er enthält die eisernen Geldkisten. Der Schlüssel dazu und alle anderen befinden sich im geheimen Fach seines Toilettentisches im Schlafzimmer. Das ist Alles, was ich weiß und zu sagen habe.«


// 1155 //

»Es ist genug,« meinte der Indianer. »Bleibt morgen Abend zu Hause, Sennorita!«

»Warum? Kommt Ihr wieder?«

»Ja, denn morgen werde ich mir das Geld holen. Ihr werdet dabei sein.«

»Ich? Warum?« fragte sie erschrocken. »Was soll ich dabei thun?«

»Nichts. Man wird Euch nicht bemerken, denn ich werde Euch an einen Platz stellen lassen, wo Ihr sicher seid. Ist das Geld im Keller, so bringe ich Euch nach Hause und halte mein Wort. Habt Ihr mich aber belogen, so hängt Ihr am nächsten Morgen an der Kellerthür.«

»Dios! Wenn nun das Geld vorhanden ist und Ihr gelangt nicht dazu »«

»So seid Ihr schuldlos und ich halte Euch dennoch mein Wort. Ihr seht, daß ich ehrlich mit Euch handle. Komme ich morgen Abend, um Euch abzuholen, und Ihr stellt Euch nicht, so seid Ihr verloren und Euer Vater dazu!«

Er wartete keine weitere Entgegnung ab und ließ die Beiden in einer nicht sehr fröhlichen Stimmung zurück. Wie nun, wenn die Spionin sich geirrt hatte! Der Indianer hörte die Befürchtungen nicht, welche hinter ihm laut wurden. Er ging durch den finsteren Korridor mit einer Sicherheit, als ob es am hellen Tage sei, und mit dem unhörbaren Schritte einer Katze gelangte er in den Hof und schwang sich über die Mauer. Dann schritt er durch die Straßen und kam nach einer kleinen halben Stunde an das freie Wasser eines Kanales, dessen Ufer von Büschen umsäumt waren. Dort hockten mehrere dunkle Gestalten am Boden. Die eine derselben erhob sich bei seinem Kommen und fragte leise:

»Vater?«

»Ich bin es, Diego,« antwortete er. »Steigt auf. Wir gehen zurück.«

Da standen auch die Anderen vom Boden auf; es wurden Pferde herbei geholt, welche in der Nähe verborgen gewesen waren, und bald setzte sich der kleine Trupp in Bewegung.

Der Panther ritt mit seinem Sohne voran; die Anderen folgten respectvoll in einiger Entfernung. Die Pferde gingen sicher, obgleich es sehr dunkel war; sie und ihre Reiter schienen jeden Schritt breit des Weges zu kennen. Die ganze Umgegend, die ganze Natur war in tiefe Stille versunken, so auch der Panther. Doch endlich fragte er seinen Sohn:

»Weißt Du noch, als wir den Präsidenten Santa Anna aus Mexiko jagten?«

»Ich weiß es,« antwortete der Gefragte einfach.

»Es gab einen fürchterlichen Straßenkampf, in welchem unser Häuflein fast erlag.«

»Ja. Ich erhielt einen Stich in die Brust und einen Hieb über den Kopf und stürzte nieder. Als ich erwachte, lag ich im Bette, in einem schönen Zimmer.«

»Im Hause des Engländers Lord Lindsay. Ich hätte Dich damals verloren, denn jede Deiner beiden Wunden war tödtlich. Aber man pflegte Dich wie einen Sohn und gab Dich mir wieder. Wir schworen Beide, dankbar zu sein.«

»Wir sind es noch nicht gewesen.«

»Wir werden es morgen sein. Ich soll mir aus dem Hause des Engländers Geld holen und ihn und seine Tochter tödten. Aber er soll sehen, daß der Panther des Südens keine Wohlthat vergißt. Ich werde mir das Geld holen, ihn und seine


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Tochter aber nicht tödten, sondern Beide in die fernen Berge von Chiapa als Gefangene senden. Sie dürfen uns nicht sehen, sie dürfen nicht wissen, wer ihnen das Geld nahm. Darum werde ich sie einem Anderen anvertrauen, der sie festnimmt und an ihren Bestimmungsort bringt, wo sie nicht entfliehen können, sondern bewacht werden, so lange es mir gefällt.«

»Wie viel Geld ist es?«

»Fünf Millionen.«

Der Sohn antwortete nicht. Diese Summe war so groß, so unfaßbar für ihn, daß ihm mit der Sprache fast der Athem ausging. Aber eben so groß und unfaßbar dünkte ihm auch die außerordentliche Dankbarkeit seines Vaters, der ja nur aus Dankbarkeit die fünf Millionen nahm, ohne den Besitzer zu tödten. -

Am anderen Abende blieb Lindsay etwas länger als gewöhnlich wach mit seiner Tochter. Er hatte einen sehr ausführlichen Bericht nach der Heimath zu verfassen gehabt und unterhielt sich dann mit Amy noch über den Besuch des alten, ehrlichen Haziendero und über die verschollenen Freunde. Ueber Amy's Wesen lag ein Hauch tiefer Schwermuth ausgebreitet, welcher ihre angeborene Lieblichkeit zu verdoppeln schien, und auch der Lord war mißmuthiger als gewöhnlich gestimmt. Er war der ewigen mexikanischen Wirren herzlich müde und sehnte sich aus diesem Lande fort, welches nie zur Ruhe kommen konnte. Endlich nahmen sie einen herzlichen, innigen Abschied von einander; der Lord steckte, da die Dienerschaft bereits zur Ruhe gegangen war, sich sein Licht selbst an und begab sich nach seinem Schlafzimmer.

Dort öffnete er den Toilettentisch, drückte an der verborgenen Feder, worauf ein Kästchen aufsprang. In dieses legte er mehrere Schlüssel, welche er aus der Tasche zog, und verschloß es dann durch denselben Federdruck.

Er bemerkte nicht, daß unter dem Bette heraus vier Augen jeder seiner Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit folgten. Er entkleidete sich, verlöschte das Licht und begab sich zur Ruhe. Bald hörte man an seinen leisen, ruhigen Athemzügen, daß er eingeschlafen sei.

»Hast Du die Feder bemerkt?« raunte es, selbst für einen Wachen, der im Bette gelegen hätte, ganz unhörbar unter demselben.

»Ich würde sie im Dunkeln finden!« lautete die ebenso leise Antwort.

»So komm!«

Kein Hauch, nicht die leiseste Spur von Geräusch verrieth, daß jetzt zwei Gestalten unter dem Bette hervorkrochen und sich dann neben dem Vorhange desselben emporrichteten. Der eine der Männer zog ein Tuch und ein Fläschchen aus der Tasche, tröpfelte aus der Letzteren eine Flüssigkeit auf das Erstere, schlug den Vorhang zurück und trat zu dem Schlafenden. Er hielt ihm erst das Tuch sehr vorsichtig nahe an Mund und Nase, und als er das Geräusch des Athmens nicht mehr hörte, legte er es ihm ganz auf das Gesicht.

»Fertig!« sagte er jetzt halblaut. »Gieb die Maske her!«

»Soll ich das Licht anbrennen?«

»Ja; schließe aber die Vorhänge erst!«

In der Zeit von einer Minute brannte das Licht wieder. Dem narkotisirten Lord wurde eine schwarze Kopfbedeckung über den Kopf gezogen, welche unten am Kinn


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zugebunden werden konnte. Sie hatte nur drei Oeffnungen, für die Augen und den Mund. Dann zogen ihm die beiden Indianer, denn solche waren es, die sämmtlichen Kleider wieder an und steckten ihm, da er nun bald wieder erwachen konnte, durch das Loch der Maske einen Knebel in den Mund.

Unterdessen war Amy noch nicht sofort schlafen gegangen. Sie saß, mit dem Rücken nach der Thür gekehrt, am Tische und blätterte in einem Album, welches die Bildnisse bekannter Personen enthielt. Auch das des Geliebten war dabei. Sie betrachtete die theuren Züge. Sie dachte sich in die Zeit zurück, in welcher sie ihn in Rodriganda zum ersten Male gesehen und dann kennen und lieben gelernt hatte. Die Erinnerung drang so mächtig auf sie ein, daß die Gegenwart vor ihren Sinnen schwand. Sie hörte nicht ein leises, leises Geräusch, sie sah auch nicht, daß die Thür sich öffnete und daß die beiden Männer eintraten, welche soeben im Schlafzimmer ihres Vaters gewesen waren.

Beide winkten einander. Der Eine zog abermals das Tuch hervor und befeuchtete es mit der Flüssigkeit aus seinem Fläschchen. Dann rückten sie näher an die in so tiefes Sinnen Versunkene heran. Plötzlich faßte der Eine sie mit beiden Händen bei der Gurgel, so daß sie keinen Laut ausstoßen konnte, und der Andere legte ihr das Tuch auf Mund und Nase. In kurzer Zeit lag sie in ihrem Stuhle, wie eine Leiche.

»Wie schön!« flüsterte der Eine.

»Wir wollen ihr nicht wehe thun,« meinte der Andere. »Sie hat den Sohn des Panthers gerettet.«

Da fiel das Auge des Ersten auf das Album. Er blätterte einen Augenblick lang darinnen und flüsterte dann:

»Sie hat Diejenigen lieb, deren Bilder dies sind. Wollen wir ihr dieses Buch mitgeben?«

»Wird der Panther nicht zanken?«

»Muß er es denn wissen? Er darf sie ja gar nicht zu sehen bekommen.«

»So nimm es mit!«

Er schlich, während sein Gefährte das Album zu sich nahm, zur Thür hinaus und kam bald darauf mit einigen anderen Indianern zurück. Von diesen Leuten wurden die Lichter verlöscht und die beiden Gefangenen vorsichtig emporgenommen, um sie fortzutragen. Der Weg ging den Corridor entlang und die Treppe hinab. Hier wurde die hintere Thür entriegelt, so daß man in den Hof gelangen konnte. Dort trat eine dunkle Gestalt zu ihnen. Es war der Panther.

»Endlich!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ihr habt mich lange warten lassen. Leben die Beiden noch?«

»Ja,« antwortete Einer.

»Habt Ihr die Schlüssel?«

»Hier sind sie!«

»Wie erfuhrt Ihr, welches die Zimmer dieser Beiden seien?«

»Ich lernte am Tage die Duenna kennen. Ich ging als Bettler her und sang dem Gesinde einige Lieder vor. Das Mädchen vernarrte sich in mich und gab mir Antwort auf alle meine Fragen.«

»Gut. Wißt ihr, wo die Kellerthür ist?«


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»Hier, gleich neben der Treppe.«

»So schafft die Beiden zur Stadt hinaus zu den Pferden und schickt mir die Anderen her. Sie warten dort in der Ecke des Hofes. Aber wenn Ihr Euch unterwegs sehen oder gar ergreifen laßt, so ist es Euer Tod!«

Sie gingen davon, die Gefangenen auf ihren Armen, und nach wenigen Augenblicken schlichen sich andere Gestalten herbei, fast dreißig an der Zahl. Sie traten in das Haus und zogen die Thür des Hofes wieder hinter sich zu, deren Riegel sie vorschoben, um ja von Außen nicht zufälliger Weise gestört zu werden.

Der Panther tappte sich zur Stelle, die ihm bezeichnet worden war, und fand die Thür. Sie war mit Eisen beschlagen und hatte ein Loch für einen großen Hohlschlüssel. Deshalb wußte er sogleich, welches der richtige war, wählte ihn unter den anderen Schlüsseln aus, steckte ihn leise an und öffnete, ohne daß er ein Geräusch verursachte. Dann befahl er, noch immer mit leiser Stimme:

»Hier ist die offene Thür! Folgt mir die Stufen hinab! Die zwei Letzten ziehen den Schlüssel ab und die Thür hinter sich heran. Auf der obersten Treppenstufe bleiben sie als Wache stehen. Die Lichter werden erst unten angebrannt.«

So geschah es. Als sich Alle, außer den beiden Wachen, unten in dem Küchenkeller befanden, wurden einige kleine Laternen hervorgezogen und angebrannt. Nun konnte man das Terrain ganz leidlich überblicken.

Ein Stück weiter hinten in dem mit allerhand Speisewaaren besetzten Keller gab es eine zweite Thür. Der Panther untersuchte das Schloß derselben, zog einen Schlüssel hervor, welcher paßte, und öffnete.

Jetzt befand man sich im Weinkeller, welcher einen großen Vorrath von Faßwein und ein noch größeres Flaschenlager zeigte. Keiner der Indianer machte Miene, eine der Flaschen anzurühren. Ganz im Hintergrunde gab es nun eine dritte, kleinere Thür, welche aus dickem Eisen bestand. Auch hierzu fand sich der Schlüssel. Der Panther war das Schloß nicht gewöhnt, es schien sich sehr schwer zu öffnen. Er trat zur Seite, um mehr Kraft anwenden zu können. Da plötzlich sprang die Thür auf und zu gleicher Zeit krachte ein Doppelschuß. Das Pulver sprühte ihnen aus der Thüröffnung entgegen und zwei der Indianer stürzten nieder.

Die Indianer standen vor Schreck wortlos da, und nur der Panther blieb gefaßt. Er bückte sich kaltblütig zu den Gefallenen nieder, leuchtete sie an und befühlte sie, dann sagte er:

»Sie sind todt. An einen Selbstschuß habe ich nicht gedacht. Er war mit zwei Kugeln geladen. Schafft sie zur Seite!«

Dann leuchtete er empor, um das Gewölbe zu untersuchen, und sagte, um seine Leute zu beruhigen:

»Man kann die Schüsse da oben gar nicht hören. Sie waren ganz allein zur Vertheidigung angebracht, nicht aber, um die Bewohner des Hauses zu allarmiren. Uebrigens haben wir die beiden Wächter und im Nothfalle unsere Waffen. Treten wir also ein!«

Es rührte ihn nicht im Mindesten, daß er nur durch einen geringfügigen Zufall dem Tode entgangen war. Hätte er nicht zur Seite gestanden, so wäre er von einer der Kugeln oder von allen beiden getroffen worden.

Das kleine Gewölbe konnte gar nicht Alle fassen. Aber Diejenigen, welche


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eintreten konnten, sahen nichts als sechs schwarze, eiserne Kisten, welche am Boden standen. Keiner von ihnen wußte, um was es sich eigentlich handele; der Anführer hatte es nicht für gut befunden, ihnen mitzutheilen, daß es sich um den Raub von fünf Millionen handle.

»Faßt an!« gebot er.

Es gehörten vier starke Männer dazu, eine der Kisten in die Höhe zu heben.

»Nun fort damit, hinauf, und zunächst in den Hof!«

Der Panther leuchtete voran und seine Leute schleppten die überreiche Beute hinter ihm her. Als er zu den Schildwachen gelangte, fragte er:

»Habt Ihr den Schuß gehört?«

»Nur dumpf,« lautete die Antwort.

»Verspürtet Ihr oben etwas Verdächtiges?«

»Nein.«

»So kommt Alle! Löscht aber zuvor die Laternen aus und laßt sie zurück!«

Nur er allein ließ die seinige brennen, um den Flur und die nach der Etage führende Treppe zu beleuchten. Er fand Alles in Ruhe und Sicherheit und öffnete nun die Hofthür, nachdem er sein Licht auch verlöscht hatte. Seine Leute folgten ihm hinaus, keuchend vor Last.

Es ging bis hin zur Mauer, hinter welcher ein Weg vorüber führte. Zwei Männer standen hier, welche nicht unthätig gewacht, sondern einen Bock hingestellt hatten, über welchen einige starke Bretter vom Boden hinauf zur Kante der Mauer führten. Der Panther war umsichtig gewesen und hatte für Alles gesorgt.

»Ist der Wagen noch nicht da?« fragte er die Wachen.

»Er wartet bereits draußen,« antwortete der Eine.

»Hörte man ihn kommen?«

»Nein, denn die Hufe und die Räder sind ja umwickelt. Nur die Pferde schnaubten ein wenig.«

»So, nun schnell an das Werk, damit wir vollends zu Ende kommen.«

An der anderen Seite der Mauer hielt ein Wagen, welcher mit vier Pferden bespannt war. Die Kisten wurden mit Hilfe der Bretter zunächst auf die Mauer gebracht und dann auf den Wagen geladen. Dies ging nicht ganz geräuschlos ab, aber man befleißigte sich einer solchen Schnelligkeit, daß keine Gefahr zu befürchten war, selbst wenn Jemand Verdacht geschöpft hätte und herbeigekommen wäre. Das hätte ja immerhin eine gewisse Zeit erfordert.

Als die Kisten sich auf dem Wagen befanden, gab der Panther Befehl zum Aufbruche. Einer seiner Untergebenen wagte zu fragen:

»Sollen wir nicht unsere Todten mitnehmen, Sennor?«

»Nein,« antwortete er barsch. »Sie bleiben da, ebenso wie die Laternen und diese Bretter, damit Niemand denken möge, daß der Engländer selbst mit diesen Kisten geflohen sei. Also vorwärts! Es kommt nur noch darauf an, den Wagen glücklich aus der Stadt zu bringen. Wer Euch hindern will, den schießt Ihr einfach nieder!«

Der Wagen fuhr ab. Der Panther blieb noch eine Weile auf der Mauer stehen, dann zog er einen Zettel aus der Tasche, warf ihn in den Hof zurück und sprang jenseits hinab auf den Weg. Auf demselben schlich er sich fort, trat um


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zwei dunkle Ecken und stand nun vor zwei Männern, welche ein Frauenzimmer zwischen sich hatten.

»Ihr könnt gehen und mir mein Pferd bringen!« gebot er.

Sie entfernten sich eilig. Er wartete, bis er von ihren leisen Schritten nichts mehr hörte, dann sagte er:

»Nun, Sennora, ist Euch die Zeit lang geworden?«

»Unendlich!« antwortete sie mit grollender Stimme. »Meine Gegenwart war ganz und gar unnöthig!«

»Im Gegentheil, sehr!« höhnte er.

»Ist es gelungen?«

»Ja, bis jetzt,«

»Habt Ihr die Kisten alle?«

»Alle!«

»So werdet Ihr also Wort halten?«

»Ich werde mein Wort natürlich nicht brechen, vorausgesetzt, daß es wirklich fünf Millionen sind.«

Da dachte Josefa daran, daß ihre Spionin nicht von vollen fünf Millionen, sondern von »wohl an die fünf Millionen« gesprochen hatte. Darum sagte sie:

»Sollte eine Kleinigkeit fehlen, so kommt es wohl nicht darauf an.«

»Soll ich etwa auch eine Kleinigkeit an meinem Worte fehlen lassen, Sennora?« spottete er. »Ich kann mein Wort nicht in Theile zerlegen und werde mir also auch nicht die mir garantirte Summe theilen lassen. Ich bin meines Wortes entbunden, sobald ein einziges Goldstück, ein einziger Peso fehlt.«

»Das wäre schändlich!« rief sie, fast zu laut für die Vorsicht, welche anzuwenden hier so nothwendig war. »In diesem Falle würdet Ihr mich zwingen, zu verrathen, wer die Kisten geholt hat!«

Sie hatte diese Worte in einem drohenden Tone gesprochen. Er lachte in seiner höhnisch kalten Weise und antwortete:

»Und ich würde in diesem Falle verrathen, wer diese Kisten zunächst ausspionirt, mir angeboten und sodann hier Wache gestanden hat. Da bringt man mein Pferd. Lebt wohl, Sennora. Ich werde Euch die Summe, welche ich finde, ganz genau wissen lassen!«

Er stieg auf und ritt davon. Es blieb ihr nichts Anderes übrig, als im Dunkel der Nacht allein nach Hause zu gehen, und dabei ahnte ihr, daß sie diese Millionen auf das Spiel gesetzt habe, ohne das Geringste dabei zu gewinnen. -

Bereits am frühen Morgen versetzte die Nachricht von dem Verschwinden des Geldes die ganze Stadt Mexiko in die größte Aufregung. Ein solcher Raub*) war so unerhört, daß man gar nicht begreifen konnte, wie er hatte gelingen können, obgleich die Spuren deutlich genug waren, um daraus zu sehen, in welcher Weise er unternommen worden war. Man fand den abgeschossenen Selbstschuß, die beiden Todten, die Laternen, den Bock mit den Brettern und sogar auch den Zettel, welcher die Worte enthielt:

  
*) Dieser Raub ist eine geschichtliche Thatsache. Der Verfasser.


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»So muß es allen Fremden gehen, welche nach Mexiko kommen, um Humanität zu predigen und dabei doch Reichthümer zusammenzuscharren und die Hilfsquellen des Landes zu verstopfen!
       Einer, dem nie seine Rache mißlingt.«

Der Thäter konnte kein gewöhnlicher Mann gewesen sein. Er mußte ungewöhnliche Mittel in Bewegung zu setzen haben und eine Kühnheit besitzen, die ihresgleichen suchte. Aber alle Nachforschungen nach ihm blieben resultatlos.

Eine weitere Frage war die, wohin Lindsay mit seiner Tochter gekommen sei. Er war und blieb verschwunden für lange Jahre und man wußte nichts weiter von den beiden Unglücklichen, als daß sie zu gleicher Zeit mit dem Gelde verschwunden seien. Lindsay's Aufzeichnungen wiesen nach, daß die geraubte Summe vier und eine halbe Million in Gold und Staatspapieren betrage, und als dies Cortejo und seine Tochter hörten, vermochten sie ihre Wuth kaum zu zügeln. Sie hatten den Contract mit dem Panther des Südens umsonst gemacht und waren doch gezwungen, ihren Aerger und ihre Enttäuschung zu verbergen. Und als ob es auch noch dieser besonderen Mittheilung bedurft hätte, erhielten sie nach einigen Tagen die Zeitungsnummer zu geschickt, in welcher von dem Raube die Rede und die genaue Summe angegeben war. Und am Rande der betreffenden Stelle stand geschrieben:

»Meines Wortes quitt! Fragt Euch überhaupt, ob Ihr das Zeug zum Präsidenten habt und Sennora Josefa zur Tochter eines solchen!«

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Wie Lindsay mit Amy verschwunden waren, so war es auch in mit dem Briefe, den sie für den alten Petro Arbellez nach Deutschland geschrieben hatte. Der Brief gelangte ebenso wenig an seine Adresse, wie die kostbare Sendung, welcher er beigegeben war. Der Oberrichter hatte alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, aber da keine Reclamation einging, indem der Adressat nicht die mindeste Ahnung von der Sendung hatte, so hielt Juarez sich für überzeugt, daß sie richtig an den Mann gekommen sei.

Mittlerweile war bereits vor Monaten in Erfüllung gegangen, was Rosa ihrem geliebten Sternau mit so innigen, glückathmenden Worten geschrieben hatte: sie war von einem Töchterchen entbunden worden, bei dessen Geburt eine hohe, allgemeine Freude in Rheinswalden eingezogen war.

Die weiblichen Bewohner des Schlosses hatten vor und bei Eintritt dieses längst erwarteten Ereignisses Alles gethan, was im Bereiche der liebevollsten Hilfeleistung steht, und die männlichen waren schweigend umhergelaufen oder hatten die Köpfe geheimnißvoll zusammengesteckt um von einem »vielleicht ein Mädchen« oder gar einem »Donnerwetter, wenn's gar ein Junge wäre« zu munkeln. Der Hauptmann saß in seinem Arbeitszimmer, rechnete und rechnete, und als er nicht fertig werden konnte, da bemerkte er, daß er subtrahirt statt dividirt und addirt statt multiplicirt hatte. Und als er wieder von vorn anfing, um die Bestände seiner Waldungen zu berechnen, da mengte er Scheffeln, Erlen, Hasen, Morgen, Rehe, Tannen, Unterförster, Quadratruthen und Rebhühner so gründlich unter einander, daß er die Feder wegwarf und halb zornig, halb lachend ausrief:

»Kreuzbataillon, nun hört's aber doch auf! Was Einen das verrückt macht, wenn sich so ein Bube oder Mädel einstellen will! Ich danke doch meinem lieben


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Gott, daß ich ein alter Junggeselle geblieben bin. Wäre ich so ein zwölf- bis sechszehnfacher Familienvater geworden, so möchte ich nur meine Rechnungen, Gutachten und Monatsberichte sehen. Ich mengte Eichen, Ziehflaschen, Dachse, Wiegenpferde, Windeln, Holzklaftern, Alles, Alles untereinander. Aber neugierig bin ich doch, wer da Gevatter wird!«

Und indem er das sagte, ging die Thür auf und der ehrliche Ludewig Straubenberger trat ein, stellte sich in Achtung und wartete, bis er angeredet werde.

»Was willst Du?« fragte der Oberförster.

»Um Verlaub, Herr Hauptmann, ich möchte blos fragen, was?«

»Was?« wiederholte der Hauptmann, ganz erstaunt über diese geistreiche Ausdrucksweise. »Was?«

»Ja, was?«

»Nun, was denn, zum Teufel?«

»Ja, das ist es ja eben! Was denn, zum Teufel? Es fällt mir vor lauter Neugierde das Richtige gar nicht ein. Ob »Sah ein Knab' ein Röslein stehn« oder vielleicht »Ein Schäfermädchen weidete«. Man weiß ja noch gar nicht, ob's ein junge oder ein Mädchen wird dahier!«

Da konnte der Oberförster nicht länger an sich halten und donnerte, indem er sich drohend erhob:

»Kerl, bist Du denn ganz und gar perplex geworden!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann, allerdings ganz perplex,« nickte Ludewig.

»Aber was, zum Teufel, ist's denn eigentlich mit dem Knab' und dem Schäfermädchen, he?«

»Nun, die Burschen stehen mit den Waldhörnern unten. Wird's ein Junge, so denke ich, wir blasen »Sah ein Knab' ein Röslein stehn«, wird's aber ein Mädel, so blasen wir »Ein Schäfermädchen weidete«. Oder befehlen der Herr Hauptmann vielleicht »Ich bin vom Berg der Hirtenknab'« und »Bin i net a schöner Rußbuttenbub'~« oder »Das Mädchen hat ein hübsch Gesicht« und »Madle, ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite«? Das sind alles lauter wunderschöne Lieder, und wir blasen sie vierstimmig mit Gefühl und Dreivierteltakt dahier.«

Der Oberförster hatte diese Auslassung seines Lieblingsgehilfen vor lauter Erstaunen wortlos angehört, jetzt aber bekam er die Sprache wieder:

»Kerl, Mensch, Ludewig, soll ich Dich etwa hinauswerfen, Dich, die Anderen, den Rußbuttenbub', die grüne Seite und den ganzen Dreivierteltakt? Bläst man denn einer schwachen Wöchnerin die Ohren voll, he? Leg' Du Dich doch einmal hin und laß Dich anmusiciren, wenn der Storch in Deiner Feueresse klappert! Nein, so etwas ist doch unerhört!«

Der arme Ludewig stand da, als ob ihn der Schlag gerührt hätte. Er brachte vor lauter Verlegenheit nichts hervor als:

»Ich soll mich hinlegen, Herr Hauptmann! Ich habe mir doch noch gar keine Frau genommen und bin zweitens auch nicht verheirathet!«

»Das weiß ich! Aber das war nur so ein Beispiel. Ich sage Dir, Ludewig, diese Blaserei ist die größte Dummheit, die Du Dir in Deinem ganzen Leben ausgesonnen hast. Ich denke -«


// 1163 //

Er wurde unterbrochen, denn die Thür wurde aufgerissen und der kleine, dicke Alimpo keuchte herein, ganz roth vor Anstrengung.

»Ein Mädchen! Herr Hauptmann!« meldete er.

»Ein Mädchen?« fragte der Oberförster. »Ist's wahr?«

»Ja. Meine Elvira sagt's auch!«

»Hurrah! Und gesund, Alimpo?«

»Wie ein Fisch!«

»Victoria! Hurrah! Hussa! Lauf', Alimpo, lauf' zum Herzog von Olsunna und zu meinem Sohne und sag's, daß es ein Mädchen ist! Ludewig, laß satteln! Ich reite sofort nach Darmstadt zum Großherzog! Ein Mädchen! Ein Mädchen! Na, Ihr Kanaillen, was steht Ihr denn noch! Heute bekommt Alles Freibier. Fräulein Sternau soll gleich Napfkuchen backen und gebackene Zwetschken in die Mitte! Ich nehme den Braunen, Ludewig; der Fuchs läuft nicht mehr so rasch. Der Heinrich mag zum Pfarrer und zum Küster gehen. Bei solchen Anmeldungen muß man pünktlich sein!«

Der gute Hauptmann kannte sich vor Freude selbst nicht mehr. Während er auf seinem Braunen nach Darmstadt jagte, lag die junge Mutter auf dem blüthenweißen Lager und betrachtete ihr süßes, schlafendes Kind. Bei ihr saß Flora, die Herzogstochter, die jetzige Frau des einfachen Malers.

»Wie ist Dir jetzt, meine Rosa?« flüsterte sie besorgt.

»Ich bin matt, aber glücklich,« hauchte Rosa. »Gieb mir sein Bild!«

Sie winkte mit den schönen Augen nach der Wand, an welcher Sternau's Portrait hing. Flora holte es und legte es auf das Bett neben den kleinen Engel. Nun betrachtete Rosa Beide, das Bild und das Kind, um sie mit einander zu vergleichen.

»Sieht sie ihm ähnlich, Flora?« fragte sie leise.

»Sehr!« lächelte die Gefragte, obgleich sich die Aehnlichkeit eines Neugeborenen wohl kaum bestimmen läßt.

»O, wenn er es doch wüßte, der Liebe, Gute!«

Sie faltete die Hände und über ihre schönen, jetzt ermatteten Wangen flossen Thränen des Gebetes für den Fernen und für das theure Pfand von ihm, welches jetzt an ihrem Herzen lag. Ihre Augen irrten unter diesen Thränen immer wieder vom Bilde zum Kinde und vom Kinde zum Bilde, bis sie müde wurden und sich schlossen - sie entschlummerte. Und noch während dieses Schlummers stritten sich in ihren reinen, frommen Zügen das süße, holde Glück der Mutter mit dem Weh des treuen, liebenden Weibes, welches den Theuren in der Ferne weiß, mitten in Noth und Gefahr.

Nun folgten Tage des stillen, ruhigen Zuwartens, bis Rosa sich gekräftigt fühlte und Besuche anzunehmen vermochte. Jetzt nun zeigte es sich so recht, wie sehr die aus dem fernen Spanien Herbeigezogenen allerorts geliebt und geehrt wurden. Die allerhöchsten Herrschaften kamen und ebenso sämmtliche Chargen des großherzoglichen Hofes nebst den bedeutenden Bewohnern der Umgegend, um ihre Freude zu äußern und ihre Gratulationen entgegenzubringen.

Und einige Wochen später wurde die kleine Weltbürgerin getauft. Der Großherzog, die Herzogin von Olsunna und der Hauptmann von Rodenstein waren Pathe.


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Das Kind wurde wie ihre Mutter genannt, Rosa, und die Liebe verwandelte diesen Namen in das deutsche Röschen, obgleich die der spanischen Sprache Mächtigen gern auch Rosita sagten.

Dieses schöne Glück wurde leider schwer getrübt durch den Gedanken an die Fernen, welche noch immer nichts von sich hören ließen. Es verging ein Jahr und noch ein zweites, und nun schien es wirklich, daß sie spurlos verschollen und unwiederbringlich verloren seien. Auch von Amy Lindsay kam keine Nachricht, obgleich Rosa öfters an sie geschrieben hatte. Da diese Briefe nicht zurückkamen und auch nicht beantwortet wurden, so wußte man sich hierfür gar keine Erklärung zu geben.

Rosa betrachtete sich je länger, desto sicherer als Wittwe. Hätte sie Röschen nicht gehabt, so hätte sie den Gram nicht zu überwinden vermocht. Nun aber concentrirte sich ihre Sorge und die ganze Thätigkeit ihrer Seele auf ihr Kind und auf den alten, leider immer noch wahnsinnigen Vater.

Otto von Rodenstein hatte sich auch in Rheinswalden niedergelassen und genoß hier an der Seite seiner Flora, der Herzogstochter, ein Glück, welches ungetrübt hätte genannt werden müssen, wenn nicht die Theilnahme für Rosa und die Verschwundenen ihren Schatten auf dasselbe geworfen hätte.

Der Herzog von Olsunna konnte nicht vergessen, daß er durch die Kunst Sternau's, seines jedenfalls echten Sohnes, vom Rande des Grabes hinweggerissen und dem Leben wiedergegeben worden war. Er liebte seine Gemahlin jetzt fast mit dem Feuer einer Jugendliebe und bat Gott Tag und Nacht, zu verhüten, daß sein Sohn verloren gegangen sei.

Aber je längere Zeit verging, desto hinfälliger wurde die so krampfhaft fest gehaltene Hoffnung. Der Kreis dieser guten, wahrhaft edlen Menschen wurde immer stiller und stiller, und selbst wenn der alte Rodenstein einmal in seiner derben Art und Weise Leben und Bewegung schaffen wollte, so bekam er nur ein schwaches, verzagtes Lächeln zur Belohnung.

»Das kann nicht länger so fortgehen,« meinte er daher einmal zum Herzog von Olsunna, als Beide mit einander still und allein durch den Wald strichen. »Sie sind krank, Hoheit; Ihre Frau, meine gute Sternau, ist krank; Alles ist krank, Alles läßt die Flügel hängen und will nicht mehr ein leises Flattern versuchen. So wird der Mensch ganz und gar alle, so geht er zu Grabe! Man muß Hilfe suchen; nicht bei einem Doctor und bei einem Apotheker, sondern wo ganz anders. Zerstreuung ist da das Beste. Wie wäre es mit einer Reise?«

Der Herzog schüttelte den Kopf.

»Hier habe ich Ruhe gefunden, hier bleibe ich,« sagte er.

»Und die Anderen?«

»Die denken ebenso, ich bin es überzeugt.«

»Also da wäre es mit meinem Vorschlage nichts,« meinte Rodenstein nachdenklich. »Ließe sich denn nicht etwas Anderes finden? Hm! Vielleicht treffe ich es. Also Sie wollen am Liebsten hier bleiben?«

»Das ist mein Wunsch.«

»Und die Anderen?«

»Sie haben denselben Wunsch. Wir setzen natürlich voraus, daß wir Ihnen nicht beschwerlich fallen.«


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Da blieb der Hauptmann schnell stehen, blickte den Herzog verwundert an, machte sein allergrimmigstes Gesicht und antwortete:

»Das ist's aber ja eben, Sie fallen mir beschwerlich, ganz außerordentlich beschwerlich. Ich halte es nicht länger aus.«

»Ah, Sie scherzen!« meinte der Herzog lächelnd.

»Ich scherzen? Fällt mir gar nicht ein!« brauste da der Hauptmann auf. »Ich habe da diese viele Menschheit auf dem Halse, muß diese sauren Gesichter sehen! Das geht nicht länger! Ich brauche meinen Platz selbst; habe ihn erst schon gebraucht und brauche ihn jetzt noch viel nothwendiger.«

Der Herzog erschrak fast bei diesen Worten.

»Aber, mein bester Rodenstein,« bat er, »sagen Sie mir doch, ob dies wirklich Ihr Ernst ist!«

»Mein voller, richtiger, wirklicher Ernst. Ich mag diese trübselige Einquartierung nicht mehr bei mir leiden. Sie wollen hier bleiben, und ich leide es nicht; was bleibt da übrig, Hoheit? Haben Sie Geld?«

»Wenn es an diesem fehlt, so -«

»Pah, ich brauche keins! Ich frage nur, ob Sie Geld haben. Ja oder nein?«

»Ja.«

»Nun gut, so bauen Sie! Mein Nachbar, der Baron Hauwald, verkauft. Kaufen Sie ihm seinen Krimskrams ab; er verlangt nicht zu viel. Dann bauen Sie, bauen ein hübsches, nettes Schlößchen, an welchem die Damen etwas Neues sehen und ihre Freude haben. Bauen Sie da ein Maleratelier für meinen Sohn und Ihre Flora. Bauen Sie ein kleines Rodriganda für unsere arme, liebe Rosa und ihr Röschen. Das gibt Zerstreuung. Verstehen Sie mich?«

Da konnte sich der Herzog nicht länger halten. Er streckte dem Hauptmanne dankend beide Hände entgegen und rief:

»Ja, jetzt verstehe ich Sie, Sie lieber, grober Oberförster. Jetzt weiß ich, wie Sie es meinen. Ja, ich werde Ihren Rath befolgen; ich werde kaufen und bauen, und wir sollen sehen, ob es Segen bringt.«

»Es bringt Segen, darauf dürfen Sie sich verlassen! -

Drei Jahre waren seit Röschen's Geburt vergangen, da wurde der Grundstein zu dem neuen Schlosse gelegt. Der Plan hatte die Theilnahme Aller erhalten. Mitten im Parke sollte das Schloß von Rodriganda in Miniatur hinkommen.

Endlich wurde das Schloß fertiggestellt, und der Herzog lud zur Einweihung desselben den Adel der Umgegend ein. Es verstand sich von selbst, daß der Großherzog nebst Gemahlin erschien. Die Letztere fuhr mit einigen ihrer Hofdamen etwas vorher, um vorerst nach Klein-Rodriganda zu gehen und ihr liebes Pathenkind zu sehen. Da sahen sie etwas Helles durch die Büsche schimmern. Sie traten näher und erblickten Röschen, mit einem aus Tannenreisern und Hageröschen geflochtenen Strauß auf dem Kopfe und einer eben solchen Guirlande um den Leib. Kurt kniete vor ihr, um sie zu schmücken. Die beiden Kinder erschraken nicht, als sie die hohe Frau erblickten, sondern traten getrost näher.

»Was spielt Ihr da?« fragte die Großherzogin freundlich.

»Weil Röschen jetzt im Walde wohnt, möchte sie gern Waldröschen heißen, und so habe ich sie gerad wie ein Waldröschen geschmückt.«


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Da bog sich die Großherzogin, hingerissen von der kindlichen Schönheit des lieblichen Wesens, zu ihr nieder, küßte sie und sagte gerührt:

»Ja, Du sollst Waldröschen heißen, denn Du bist so zart und rein, so hold und so schön wie die Blüthen, welche Du trägst. Gott schütze Dich, mein Liebling!«

Seit jener Stunde wurde Röschen Waldröschen genannt. Kurt hatte ihr diesen Namen gegeben, und die Großherzogin hatte ihn bestätigt. -

Am anderen Tage ging Röschen wieder in den Park. Sie suchte Kurt und fand ihn nicht. Darum ging sie weiter. Da endlich sah sie ein kleines Häuschen vor sich. Sie sah die Pforte des Stacketenzäunchens offen und die Thür der Hütte angelehnt und trat ein.

Aber fast hätte sie vor Schreck laut aufgeschrieen, denn auf einem Schemel inmitten des engen, niederen Raumes saß zwar der Waldhüter, aber vor ihm auf dem Stuhle eine alte Frau, so häßlich, wie sie noch gar keine gesehen hatte. Sie wollte fliehen, aber Tombi hatte sie bereits bemerkt und winkte sie näher. Da drehte sich auch die Alte nach ihr um, blickte sie scharf an und sagte:

»Das ist sie! Diese Züge tragen fürstliches und gräfliches Gepräge. Wache über sie, mein Sohn! Ich aber will dem Unglücke gebieten, von ihrem reinen Haupte fern zu bleiben!«

Sie trat zu Röschen, legte ihr die Hände wie segnend auf das schöne Lockenköpfchen, und während sich ihre Augen emporrichteten, bewegten sich ihre Lippen wie im Gebete. Das Mädchen hob die Wimpern leise und blickte verstohlen zu der Alten empor. Und als sie dieselbe so warm und innig beten sah, war es ihr als ob sie jetzt nicht mehr häßlich aussehe, sondern lieb und gut, wenn auch ein Wenig recht sehr alt. Dann nahm die Frau die Hand wieder zurück, beugte sich freundlich herab und fragte:

»Fürchtest Du Dich vor mir?«

»Nein,« antwortete Röschen mit einem warmen Aufschlage ihres Auges.

»Das sollst Du auch nicht, mein Kind. Merk' auf, was ich Dir jetzt sage! Ich heiße Zarba und bin der Schutzgeist der Deinen, obgleich sie mich jetzt verkennen. Ich werde Euch erscheinen zu der Zeit, welche da ist für Euch die Stunde des Glücks, für Eure Widersacher aber die Stunde der Rache.«

Das waren für Röschen unverständliche Worte, aber sie gruben sich ihr tief in das kleine Herz hinein, und noch als sie die Hütte verließ, blieb sie am Gatterpförtchen stehen, um nachzudenken, was Zarba, der Schutzgeist, gemeint habe. Die Alte aber stand unter der Thür, beschattete mit der Hand ihre Augen und blickte dem Waldröschen mit dem Ausdrucke eines Wohlwollens nach, welches den Zügen ihres tief ausgewitterten Gesichtes einen Abendschein jener Glorie gab, mit welcher einst die Sonne des Südens ihren glücklichen, damals noch unentweihten Lebensmorgen bestrahlte.

Und was hatte die einst so schöne Gitana auf das Haupt des Kindes herabgefleht? Wir können es uns denken und werden baldigst erfahren, daß ihr Gebet beim allmächtigen Lenker des Geschicks Erhörung fand.

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Dritte Abtheilung.

Der Sieg der Rächer.
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Erstes Kapitel.

Ein Gardelieutenant.

Ich bin noch jung, doch fürcht' ich nicht
   Des Lebens mächt'ge Wogen.
Es glänzt ein goldig helles Licht
   An meines Himmels Bogen.

Das Leben gleicht dem Meere, dessen ruhelose Wogen sich ewig neu gebären. Millionen und Abermillionen wechselvolle Gestalten tauchen aus den Fluthen auf, um für die Dauer eines kurzen Lebensaugenblickes auf der Oberfläche zu erscheinen und dann wieder zu verschwinden - für immer? Wer weiß es! Am Gestade steht der Beobachter und richtet tausend Fragen an das Schicksal; aber kein Wort tönt an sein Ohr. Das Geschick spricht und antwortet nicht mit Worten, sondern in Thaten; die Entwickelung schreitet unaufhaltsam weiter und der Sterbliche sieht sich verurtheilt, in fast machtloser Geduld die Geburt der ersehnten Ereignisse abzuwarten. Keine Stunde, keine Minute, kein Augenblick läßt sich verfrühen und keine That bringt eher Früchte, als es von den ewigen Gesetzen vorgeschrieben wurde.

Oft steht der Mensch vor einer scheinbar folgenschweren Begebenheit, aber Tage und Jahre verrinnen, und es scheint, als ob die vorhandenen Ursachen ihre Triebkraft verloren hätten. Es ist, als ob das Vergangene wirkungslos sei, als ob die geheimen Federn des Lebensmechanismus ihre Spannung verloren hätten. Kein Laut ist zu hören, keine That, kein Erfolg zu sehen und der schwache Mensch möchte fast an der Gerechtigkeit der Vorsehung zweifeln. Aber die Gerechtigkeit geht rücksichtslos ihren gewaltigen und unerforschten Weg, und gerade dann, wenn man es am wenigsten denkt, greift sie mit zermalmender Faust in die Ereignisse ein und man erkennt mit staunender Bewunderung, daß tief am Grunde des Meeres sich Fäden gesponnen haben, die nun an die Oberfläche treten, um sich zum Knoten zu schürzen, welchen zu lösen nun in die Macht des Menschen gegeben ist.

So war es auch mit den Schicksalen, deren Fäden in Schloß Rheinswalden zusammenliefen. Es vergingen Monate und Jahre, ohne daß man von den theuren Personen, welche hinaus in die weite Welt gegangen waren, etwas hörte. Sie waren und blieben verschollen. Man mußte schließlich annehmen, daß sie zu Grunde gegangen seien, und dies brachte eine tiefe, aufrichtige Trauer über den Kreis der Bewohner von Rheinswalden.

Als alle, auch die eingehendsten Nachforschungen vergeblich blieben, sah man sich gezwungen, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Der Schmerz war groß und konnte nur durch die wie ein Balsam wirkende Zeit gemildert werden. Es breitete


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sich über die Gesichter der Zug einer stillen Entsagung; man klagte nicht mehr, aber man bewahrte den Verschollenen ein tief in der Seele lebendes Angedenken und hütete sich wohl, zu gestehen, daß die Hoffnung doch noch nicht ganz und gar verschwunden sei.

So vergingen sechszehn volle, lange Jahre, bevor die Reihe der Begebenheiten, welche jetzt abgeschlossen gewesen schien, endlich eine Fortsetzung nahm. -

In einem der feinsten Etablissements Berlins, welches nicht weit vom Thiergarten gelegen war und ausschließlich von Offizieren und außerdem höchstens nur von hochgestellten Civilbeamten frequentirt wurde, saßen eines Morgens eine Anzahl junger Leute beisammen, welche, nach ihren Uniformen zu schließen, den verschiedensten Truppengattungen angehörten. Sie hatten sich zu einem jener feinen Frühstücke zusammengefunden, bei denen das Couvert oft einige hundert Mark zu stehen kommt, und schienen von dem genossenen Weine bereits in eine sehr aufgeheiterte Stimmung versetzt zu sein.

Dieses Frühstück war die Folge einer Wette. Lieutenant von Ravenow, welcher bei den Gardehusaren stand, besaß ein ungeheures Vermögen, war als der hübscheste und flotteste Offizier bekannt und erfreute sich einer solchen Beliebtheit bei den Damen, daß er sich rühmte, niemals einen Korb bekommen zu haben. Nun hatte sich vor einiger Zeit ein russischer Knäs (Fürst) in Berlin niedergelassen, dessen Tochter eine seltene Schönheit war und deshalb von der jungen Herrenwelt vielfach umworben wurde. Sie schien diese Bewerbungen gar nicht zu bemerken und wies jede Annäherung so stolz und nachdrücklich zurück, daß sie allgemein für eine erklärte Männerfeindin gehalten wurde. Auch Lieutenant von Golzen, der bei den Kürassieren von der Garde stand, hatte sich eine öffentliche und darum höchst fatale Zurückweisung geholt und war in Folge dessen von seinen Kameraden ausgelacht worden. Der fleißigste Lacher war von Ravenow gewesen, und um sich zu rächen, hatte von Golzen ihm angeboten, um ein solennes Frühstück zu wetten, daß auch er sich einen Korb holen werde. Ravenow hatte die Wette sofort angenommen und - gewonnen, denn er ging seit einigen Tagen in Gesellschaft der Russin aus, und es war erwiesen, daß sie ihm ihre Zuneigung widmete.

Heute nun hatte Golzen die Wette zu bezahlen und die Kameraden sorgten in ausgelassener Weise dafür, daß zu dem Schaden auch der Spott nicht fehlte.

»Ja, Golzen, es geht Dir gerade wie mir!« schnarrte ein langer, spindeldürrer Hauptmann, der die Schützenuniform trug. »Uns Beiden bleibt Hymens Gunst versagt; aus welchem Grunde, das mag der Teufel wissen!«

»Pah!« lachte der Angeredete. »Bei Dir ist es sehr leicht erklärlich, daß Du kein Glück bei den Damen hast. Wer Dich heirathet, hätte drei Meilen Knochensammlung glücklich zu machen, und das ist eine Arbeit, welche man wohl einem Präparateur, nicht aber einer Dame zumuthen darf. Was aber mich betrifft, so fühle ich meinen Stolz nicht im mindesten verwundet. Ich habe zwar meine Wette verloren, doch nicht um eines Korbes willen, sondern weil Ravenow keinen erhalten hat. Ich bin überzeugt, daß er auch seine Meisterin finden wird, die ihn zur Retirade zwingt.«


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»Ich?« fragte Ravenow. »Wo denkst Du hin! Ich bin bereit, eine jede Wette einzugehen, daß ich überall siege.«

»Oho!« klang es im Kreise.

»Ja!« wiederholte er. »Eine jede Wette und ein jedes Mädchen. Auf Ehre!«

Er schlug sich mit der Hand an die Stelle, an welcher der Griff seines abgelegten Degens zu finden gewesen sein würde, und blickte sich auffordernd im Kreise um. Seine gerötheten Wangen bewiesen, daß er dem Weine nicht langsam zugesprochen hatte, und so mochte es kommen, daß er seine Erfahrungen höher anschlug, als er durfte. Golzen erhob warnend den Finger und sagte:

»Nimm Dich in Acht, Alter, sonst nehme ich Dich beim Worte.«

»Thue es!« rief Ravenow. »Nimmst Du mich nicht beim Worte, so erkläre ich, daß Du Dich scheust, ein zweites Frühstück zu bezahlen.«

In den Augen Golzen's blitzte es auf. Er fuhr empor und fragte:

»Jede Wette gehst Du mit ein?«

»Jede!« lautete die schnelle, übermüthige Antwort.

»Jedes Mädchen?«

»Jedes! Punktum!«

»Nun wohl! Ich setze meinen Fuchs gegen Deinen Araber

»Donnerwetter!« rief da Ravenow. »Das ist verteufelt ungleich, aber ich darf nicht zurück. Angenommen also! Welches Mädchen?«

Ein cynisches Lächeln breitete sich um die Lippen Golzen's; er antwortete:

»Ein Mädchen von der Straße; Diejenige, welche ich Dir unter den jetzt vorübergehenden bezeichne.«

Ein lautes Gelächter erscholl im Kreise und einer der Anwesenden meinte:

»Bravo! Golzen will seinen Fuchs opfern, damit Ravenow sich den großen Ruhm erwirbt, irgend eine Nähmamsell oder eine zweifelhafte Ladennymphe erobert zu haben. Das ist göttlich!«

»Halt, ich lege mein Veto ein!« meinte Ravenow. »Ich habe zwar gesagt, jedes Mädchen, aber man wird mir wenigstens die Beschränkung erlauben, daß es keine Dirne zu sein braucht; das ist man meiner Ehre schuldig. Muß es partout eine von den Passantinnen sein, so dinge ich mir aus, daß nur unter Denen gewählt werde, welche vorüber fahren, nicht aber gehen.«

»Angenommen!« stimmte Golzen bei. »Ich mache Dir sogar die Concession, daß ich nicht einmal die Inhaberin einer Droschke bezeichnen werde.«

»Ich danke Dir,« nickte Ravenow befriedigt. »Wie viel Zeit giebst Du mir zur Eroberung der Feste?«

»Fünf Tage von heute an.«

»Einverstanden! Mag also der Tanz beginnen; Zeit habe ich!«

Er erhob sich von seinem Platze und schnallte sich den Degen um. Man bemerkte es kaum, daß die Geister des Weines in ihm rumorten, und wer ihn so dastehen sah mit dem pfiffig selbstbewußten Ausdrucke seines hübschen Gesichtes, der zweifelte nicht, daß es ihm nicht allzu schwer sein werde, seine Vorzüge zur Geltung zu bringen. Die Herren Offiziere, und zumal von der Garde, sind leider von der Damenwelt zu sehr verwöhnt, als daß sie sich für überwindlich halten sollten.

Von diesem Augenblicke an herrschte eine allgemeine Spannung in dem Zimmer.


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Die Herren standen an den Fenstern und beobachteten die Insassen der vorüberfahrenden Wagen. Welche der Damen, die hier vorüberrollten, würde Golzen wählen? Eine solche Wette war noch nie dagewesen. »Interessant! Famos! Unglaublich! Außerordentlich! Verwegen! Grandios! Pyramidal!« Das waren die einzelnen Ausrufe, mit denen man der Spannung Luft zu machen suchte, bis ein kleiner Füsilierlieutenant ein anderes Wort ausstieß:

»Ah, herrlich! Eine wirkliche Schönheit!« rief er, indem er näher an das Fenster trat.

»Wer? Wo?« ertönte die Frage.

»Dort an der Ecke, die Equipage mit den beiden Trakehnern,« antwortete er.

»Ah, bei Gott, Du hast Recht!« rief ein Zweiter. »Wer mag das sein?«

Die bezeichnete Equipage kam im Schritte herangerollt. Im Fond des Wagens saß neben einer ernsten, ältlichen Dame ein junges Mädchen von einer soeben erst erblühten Schönheit, welche fast unbeschreiblich zu nennen war. Ihr himmlisches Gesichtchen war von der zarten Röthe der Jugend überhaucht, ihr dickes, federndes Haar fiel in zwei starken, langen Zöpfen auf den Sitz herab und wand sich von da wie eine weiche, liebkosende Schlange über den weichen Schooß hinüber und wieder herüber, ihre Züge waren so rein, so kindlich, so ahnungslos, und doch lag in ihren tiefen, dunklen Augen ein Licht, welches jedem annähernden Schritte versengend entgegendrohte. So viel man von der Gestalt sehen konnte, hatte sie den Schritt vom Kinde zur Jungfrau soeben erst gethan, aber diese trotz ihrer Zartheit so kräftigen Formen mußten zur Entfaltung einer königlichen Schönheit geeignet sein. Wenn diese Jungfrau sich vom Sitze erhob, so mußte sie sich ganz sicher in einer imponirenden Höhe präsentiren.

»Herrlich! Unvergleichlich! Wer ist sie! Unbekannt! Eine Venus! Nein, eine Diana! Vielmehr eine Minerva!«

So rief es rund im Kreise. Golzen, der Gardekürassier, drehte sich um, zeigte auf die Equipage und sagte:

»Ravenow, diese hier!«

»Ah, einverstanden, ganz und gar einverstanden!« rief dieser in einem beinahe jubelnden Tone.

Er zupfte sich die Uniform zurecht, warf einen Blick in den Spiegel und nahm den Degen unter den Arm. Dann eilte er hinaus.

»Ein Glückspilz, auf Ehre!« schnarrte der lange Hauptmann, indem er ihm neidisch nachblickte. »Ich bin doch begierig, wie er es anfangen wird!«

»Pah, er wird ihnen per Droschke nachfahren, um zunächst ihre Adresse zu erfahren,« meinte einer der Herren.

Golzen lachte kühl und antwortete:

»Und dabei einen Tag versäumen! Nein, er wird Sorge tragen, mit ihnen bereits heute in ein Gespräch zu kommen.«

»Wie wird er dies anfangen?«

»Das laßt seine Sorge sein! Er hat in diesem Punkte Erfahrung genug, und um einen Araber zu retten, strengt man schon seine Erfindungsgabe an.«

»Ah, er nimmt wirklich Droschke und fährt ihnen nach. Wer doch dabei sein könnte!«


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Ravenow hatte wirklich einen Fiaker genommen, welcher an der nahe liegenden Haltestation sehr leicht zu haben war. Er gebot dem Kutscher, die Equipage, welche von zwei Trakehnern gezogen wurde, zu verfolgen. Dies geschah. Die zwei Fuhrwerke bogen nach dem Thiergarten ein und es wurde ersichtlich, daß die Besitzerinnen der Equipage eine Spazierfahrt durch den Letzteren beabsichtigten.

Als man eine sehr wenig belebte Allee erreichte, befahl der Lieutenant dem Kutscher, die Equipage zu überholen, griff aber vorher in die Tasche, um ihn zu bezahlen. Als die Droschke an den Damen vorüberrollte, bog er sich seitwärts nach ihnen hin, machte ein sehr überraschtes Gesicht und grüßte in einer Weise, als ob er Bekannten begegne. Er winkte dem Kutscher der Equipage, zu halten, und sprang zu gleicher Zeit aus seinem Wagen, welcher sofort umlenkte und zurückkehrte. Die Equipage hielt.

»Weiter!« gebot er, und während sie sich wieder in Bewegung setzte, hatte er bereits den Schlag geöffnet und stieg ohne Umstände ein.

Er ließ sich mit einem vor Freude strahlenden Gesichte auf den Sitz nieder und that so, als ob er die erstaunten, ja indignirten Mienen der beiden Damen gar nicht bemerke. Dann streckte er dem Mädchen die beiden Hände entgegen und rief mit außerordentlich gut gespieltem Enthusiasmus:

»Paula, ist's möglich? Welch ein Zusammentreffen! Sie sind in Berlin? Warum haben Sie mir nicht vorher geschrieben?«

»Mein Herr, Sie scheinen uns zu verkennen!« sagte die ältere Dame mit einem sehr ernsten Gesichte.

Er markirte eine Miene, welche theils Ueberraschung ausdrückte, theils aber auch die Vermuthung aussprach, daß man mit ihm scherzen wolle, und antwortete:

»Ah, gnädige Frau, Verzeihung! Wie es scheint, habe ich allerdings noch nicht die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, Paula jedoch wird diesen Umstand gern beseitigen.« Und sich zu der jungen Dame wendend, bat er: »Bitte, Fräulein, haben Sie die Güte, mich dieser Dame vorzustellen!«

Aus den tiefen, ernsten Augen des Mädchens fiel ein sehr forschender, scharfer Blick auf ihn, und dann hörte er eine Stimme, goldig und wohlthuend, wie der sympathische Klang eines Glöckchens:

»Dies ist mir unmöglich, denn ich kenne Sie selbst noch nicht. Wer sind Sie?«

Da fuhr er mit dem Ausdrucke der höchsten Befremdung zurück und sagte:

»Wie, Sie verleugnen mich, Paula! Womit habe ich das verdient? Ah, ich vergesse, daß Sie immer gern ein wenig zu scherzen belieben!«

Wieder traf ihn ein forschender Blick, aber finsterer als vorher, und als sie antwortete, sprach sich eine so stolze, hoheitsvolle Zurückweisung in dem Tone aus, daß er sich vollständig erkältet fühlte:

»Ich scherze nie mit Personen, welche ich nicht kenne oder nicht zu kennen wünsche, mein Herr. Ich hoffe, daß es nichts Anderes ist, als eine mir allerdings fatale Aehnlichkeit, welche Sie veranlaßt, unseren Wagen so ohne alle weiteren Umstände zu überfallen, und bitte Sie, sich zu legitimiren!«

Es gelang ihm sehr gut, die höchste Bestürzung zu forciren, und mit ebenso gut simulirter Hastigkeit antwortete er:

»Ah, wirklich? Mein Gott, sollte ich mich wirklich täuschen! Aber dann


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wäre ja diese Aehnlichkeit eine so frappante, wie ich sie nie und nimmermehr für möglich gehalten hätte! Aber das Räthsel muß sich ja gleich lösen.« Und mit einer doppelten Verbeugung gegen die beiden Damen fügte er hinzu: »Mein Name ist Hugo von Ravenow, Graf Hugo von Ravenow, Lieutenant bei den Gardehusaren Seiner Majestät.«

»So bestätigt es sich, daß wir Sie nicht kennen,« sagte das Mädchen. »Mein Name ist Rosa Sternau und diese Dame ist meine Großmama.«

»Rosa Sternau?« fragte er, scheinbar ganz erschrocken. »Ist dies denn wirklich möglich? Sie sehen mich ganz und gar erschreckt, auf Ehre, meine Damen! Ich bin allerdings das Opfer einer ganz außerordentlichen, ganz unglaublichen Aehnlichkeit und ersuche Sie dringend, mir zu verzeihen!«

»Wenn es sich wirklich um eine solche Aehnlichkeit handelt, so müssen wir allerdings verzeihen,« sagte Rosa, aber in ihrem Tone sowohl, als auch in dem Blicke ihres prächtigen Auges sprach sich ein dunkler Unglaube aus. »Darf ich Sie um die Mittheilung ersuchen, wer meine Doppelgängerin ist?«

»Gewiß, gewiß, Fräulein Sternau! Es ist meine Cousine Marsfelden.«

»Marsfelden?« fragte Rosa, indem ein eigenthümlicher Blick von ihr hinüber zu ihrer Großmutter glitt. »Marsfelden, das ist ein adeliger Name. Wo befindet sich diese Cousine, welche also Paula von Marsfelden heißt?«

Das Gesicht des Lieutenants klärte sich auf. Er vermuthete aus der an ihn gerichteten Frage, daß die Dame bereit sei, auf ein Gespräch mit ihm einzugehen, und dies war es ja gerade, was er beabsichtigt hatte. Er glaubte überhaupt, leichtes Spiel zu haben. Die Damen hießen einfach Sternau, waren also bürgerlich, und welches Mädchen aus diesem gewöhnlichen Stande wäre nicht ganz glücklich, einen Gardelieutenant kennen zu lernen, der noch dazu ein Graf war. Er vermuthete nicht im Geringsten eine Verfänglichkeit in der Frage Rosa's und antwortete darum höchst unbefangen:

»Ja, Paula von Marsfelden. Sie ist am Hofe der Großherzogin von Hessen-Darmstadt. Da sie von der Großherzogin bevorzugt wird und immer in ihrer Nähe ist, wunderte ich mich außerordentlich, sie hier in Berlin zu sehen. Ich muß ihr wirklich heute gleich schreiben, daß es in unserer Residenz ein so schönes und bewundernswerthes Ebenbild von ihr gibt.«

Es lag ein höchst fatales, beleidigendes Lächeln um den kleinen Mund des Mädchens, als sie jetzt antwortete:

»Ich ersuche Sie, sich diese Mühe zu ersparen!«

»Warum, mein Fräulein?«

»Weil ich selbst Fräulein von Marsfelden davon benachrichtigen werde.«

»Sie selbst? Aus welchem Grunde?«

»Weil diese Dame meine Freundin ist. Ich theile Ihnen, allerdings fast überflüssiger Weise mit, daß auch ich die Ehre habe, von der Großherzogin - bevorzugt zu werden, wie Sie sich auszudrücken beliebten.«

»Ah!«

Diese Sylbe klang fast wie ein Ruf des Schreckes. Er sah ein, daß er, wenn auch nicht das ganze Spiel, so doch den Hauptzug verloren geben müsse. Dieses bürgerliche Mädchen hatte Zutritt am großherzoglichen Hofe? Dieses Mädchen


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kannte jene Dame, deren Namen er genannt hatte, nur weil ihm gerade kein anderer eingefallen war? Paula von Marsfelden war mit ihm nicht im Geringsten verwandt, er hatte sie nur seine Cousine genannt, um einen Grund für die unverfrorene Beschlagnahme der Equipage zu haben.

»Sie erschrecken?« sagte Rosa mit stolzer Kälte. »Ich habe mich also in Ihnen nicht getäuscht. Mein Herr, Sie sind zwar Graf und Offizier, aber nichts desto weniger ein Lügner, ja geradezu ein Bube, ein sehr frecher Bube!«

»Fräulein!« brauste er auf.

»Lieutenant!« entgegnete sie mit tiefster Verachtung.

»Wären Sie ein Mann, so müßten Sie mir sofort Satisfaction geben, bei Gott und meiner Ehre! Kann ich für eine Aehnlichkeit, welche der einzige Grund meines Irrthums ist?«

Jetzt wollte Frau Sternau in höchster Indignation das Wort ergreifen, doch Rosa bat sie durch eine Handbewegung, zu schweigen und übernahm die Antwort selbst. Man hätte einem jungen Mädchen, wie sie war, kaum die schlagfertige Schärfe zutrauen mögen, mit welcher sie entgegnete:

»Schweigen Sie! Wäre ich ein Mann, so würde ich mich nur mit satisfactionsfähigen Herren schlagen. Ob Sie bei Ihrer Ehre schwören dürfen, bezweifle ich, denn Ihr Benehmen documentirt einen vollständigen Mangel allen Ehrgefühles. Und was die Aehnlichkeit betrifft, auf welche Sie sich zu stützen suchen, so ist sie einfach eine ganz gemeine Unwahrheit. Fräulein von Marsfelden ist mir ebenso wenig ähnlich, wie Sie sich mit einem Ehrenmanne vergleichen lassen. Sie haben ganz einfach ein wohlfeiles Abenteuer gesucht; Sie haben es gefunden, wenn auch in anderer Weise, als Sie es dachten. Sie sehen jedenfalls ein, daß Ihre mehr als zweifelhafte Rolle ausgespielt ist, und darum ersuche ich Sie, uns zu verlassen!«

Das war eine Abfertigung, wie der Lieutenant noch keine erfahren hatte, aber er war ein Roue, der nicht gewillt war, sich auf diese Weise den Laufpaß geben zu lassen. Sollte er gleich am Anfange des Abenteuers seine Wette verloren geben? Nein, dazu war ihm sein Pferd zu kostbar. Und es gab ja selbst in dieser Verzweiflung Ressourcen, die ihm die Hoffnung gaben, das Spiel dennoch zu gewinnen. Daher nahm er eine möglichst zerknirschte Miene an und sagte:

»Nun wohl, gnädiges Fräulein, ich muß Ihnen wenigstens theilweise Recht geben. Ich befinde mich in einer Lage, welche mir keine Wahl läßt, ich sehe mich gezwungen, Ihnen die Wahrheit zu bekennen, selbst auf die Gefahr hin, den größten Fehler zu begehen und Ihren gegenwärtigen Zorn noch zu vergrößern.«

»Zorn?« lächelte Rosa überlegen. »Nein, von Zorn ist keine Rede. Erzürnen könnte mich nur ein ebenbürtiger Charakter. Sie haben sich nicht meinen Zorn, sondern nur meine Verachtung erworben. Ich begreife nicht, was Sie mir noch zu sagen haben könnten, ich verzichte auf jede weitere Mittheilung und ersuche Sie abermals, den Wagen zu verlassen!«

»Nein und abermals nein!« entgegnete er dringend. »Sie müssen meine Vertheidigung hören!«

»Müssen? Ah! Wir werden ja sehen, ob ich muß!«

Ihr Auge blickte suchend die Allee entlang, während der Lieutenant fortfuhr:


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»Die Wahrheit ist die, daß ich Ihnen wochenlang folge, seit ich Sie hier zum ersten Male gesehen habe. Ihr Anblick hat mein Herz mit Gefühlen -«

Er wurde von einem Lachen unterbrochen, welches sich so golden hell von ihren rosigen Lippen Bahn brach, daß er diese Lippen sofort und tausendmal hätte küssen mögen. Er fühlte, daß er hier in großer Gefahr sei, die Rollen zu verwechseln und selbst gefangen zu werden.

»Sie folgen mir bereits wochenlang?« frug sie.

»Ja, auf Ehre, meine Gnädige!« betheuerte er.

»Hier in Berlin?«

»Allerdings,« antwortete er, bereits etwas kleinlauter.

»Und Sie sagen, daß Sie mir die Wahrheit gestehen wollen?«,

»Die reine, aufrichtige Wahrheit, ich beschwöre es!«

Bei dieser Versicherung legte er die Hand auf das Herz; sie bemerkte es nicht, sie sah nur, daß da vorn in der Allee ein Schutzmann postirt war, und das hatte sie längst bereits gewünscht.

»Nun, so will ich Ihnen sagen,« entgegnete sie, »daß Sie abermals lügen. Ich war noch nie in Berlin und befinde mich erst seit gestern hier. Sie sind ein ganz und gar renitenter und unverbesserlicher Mensch. Ich bedaure die Armee, welche so unglücklich ist, Sie Kamerad nennen zu müssen, und befehle Ihnen nun wirklich zum letzten Male, unseren Wagen zu verlassen.«

»Ich werde nicht eher gehen, als bis ich mich gerechtfertigt habe,« behauptete er. »Und wollen Sie mich nicht hören, so werde ich doch sitzen bleiben, um Ihre Wohnung zu erfahren und dort Sie aufzusuchen, um mich zu vertheidigen.«

Da blitzte ihr Auge auf und mit der höchsten Geringschätzung in Miene und Ton sagte sie:

»Ah, Sie denken, daß zwei Damen zu schwach sind, sich zu vertheidigen? Ich werde Ihnen das Gegentheil beweisen. Johann, halte an!«

Der Kutscher gehorchte. Der Wagen hielt an der Stelle, an welcher sich der Schutzmann befand, doch konnte der Lieutenant, da er mit dem Rücken vorwärts saß, den Polizisten nicht sehen. Er lehnte sich nachlässig in den Sitz zurück und beschloß, va banque zu spielen. Wenn das Mädchen die Equipage zehnmal halten ließ, er wollte dennoch auf seinem Posten bleiben.

»Schutzmann, bitte, treten Sie einmal näher!« rief Rosa.

Da drehte sich der Lieutenant schnell um; er sah den Näherkommenden, erkannte die Absicht des Mädchens und konnte die Röthe der Verlegenheit nicht verbergen, welche sich über sein erschrockenes Gesicht ausbreitete. Er öffnete bereits den Mund, um durch irgend eine geistesgegenwärtige Bemerkung der Gefahr die Spitze zu nehmen, aber Rosa kam ihm zuvor.

»Schutzmann,« sagte sie, dieser Mensch hat uns im Wagen überfallen und ist nicht wieder hinwegzubringen. Helfen Sie uns!«

Der Polizist warf einen erstaunten Blick auf den Offizier. Dieser erkannte, daß er sich nur durch einen schleunigen Rückzug vor unangenehmen Weiterungen bewahren könne. Er stieg schnell aus und sagte nur:

»Die Dame scherzt nur, aber ich werde dafür sorgen, daß sie ernster wird.«

Er schritt mit einem drohenden Blick auf den Wagen davon.


// 1175 //

»So sind wir befreit. Ich danke Ihnen!«

Mit diesen an den Schutzmann gerichteten Worten winkte sie dem Kutscher, die unterbrochene Fahrt fortzusetzen, und der Polizist blieb allein zurück, ohne sich den Vorgang ganz erklären zu können.

Der Lieutenant fühlte sich gedemüthigt, wie noch nie in seinem Leben. Er knirschte vor Wuth. Dieser Backfisch sollte ihm diese Abfertigung entgelten! Da erblickte er eine leere Droschke, welche ihm entgegenkam. Er wandte sich sofort wieder retour, ließ sie herankommen, stieg ein und befahl dem Rosselenker, der Equipage zu folgen, welche in der Ferne noch zu erkennen war. Er wollte um jeden Preis erfahren, wo die Damen wohnten.

Die Fahrt ging durch einen großen Theil des Thiergartens und dann in die Stadt zurück. Die Equipage hielt in einer der belebtesten Straßen vor einem palastähnlichen Gebäude. Die Damen stiegen aus, empfangen von einem livrirten Lakaien, und die Equipage fuhr in den Thorweg ein. Ravenow hatte genug gesehen. Er bemerkte vis-a-vis des Hauses eine Restauration, wo er seine Erkundigung einzuziehen beschloß.

Er ließ sich nach seiner Wohnung fahren, legte da seine Uniform ab und einen einfachen Civilanzug an und suchte dann das Schanklocal auf, sicher, daß man ihn von dem gegenüber liegenden Hause aus nicht erkennen werde.

Der Weinrausch war ihm schnell genug vergangen, so daß er es recht gut wagen konnte, einige Glas Bier zu trinken, um zu erfahren, was er gern wissen wollte. Leider aber befand sich der Wirth ganz allein in dem Locale, und dieser schien ein mürrischer, verschlossener und wortkarger Mann zu sein, so daß Ravenow es vorzog, auf eine bessere Gelegenheit zu warten.

Seine Geduld sollte auf eine nicht zu lange Probe gestellt werden, denn er sah einen Mann drüben aus dem Hause treten, der über die Straße herüber und in das Schanklocal kam. Er bestellte sich ein Glas Bier, nahm ein Zeitungsblatt, legte es aber bald wieder weg und blickte sich im Zimmer um, als suche er eine bessere Unterhaltung als diejenige, welche ihm die Zeitung bieten könne.

Diese Gelegenheit ergriff der Lieutenant. Er vermuthete aus der ganzen Haltung des Mannes, daß derselbe Soldat gewesen sei, und beschloß, ihn als Kamerad zu behandeln. Er begann ein Gespräch mit ihm, und es dauerte nicht lange, so saßen die Beiden beisammen und sprachen von Krieg und Frieden und Allem, was auf der Bierbank Gesprächsthema zu sein pflegt.

»Hören Sie,« meinte der Lieutenant, »nach dem, wie Sie sich ausdrücken, scheinen Sie Militär gewesen zu sein.«

»Das will ich meinen; ich war Unteroffizier,« lautete die Antwort.

»Ah, ich bin auch Unteroffizier!«

»Sie?« fragte der Andere, indem er die zarten Hände und die ganze Gestalt seines Gegenübers erst jetzt sorgfältig musterte. »Hm! Warum tragen Sie keine Uniform?«

»Ich bin beurlaubt.«

»So! Hm! Und was sind Sie denn sonst?«

Man hörte dem Tone seiner Stimme an, daß er nicht so recht an den Unter-


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offizier glaubte. Ravenow trug zwar Civil, aber der Offizier war ihm dennoch auf tausend Schritte anzusehen.

»Kaufmann,« antwortete er. »Wie heißen Sie?«

»Mein Name ist Ludewig, nämlich Ludewig Straubenberger dahier.«

»Wohnen Sie in Berlin?«

»Das versteht sich! Ich wohne da drüben im Palais des Herzogs von Olsunna.«

»Ah, dieses Palais gehört einem Herzoge?«

»Ja, einem spanischen; er hat es erst vor kurzer Zeit gekauft.«

»Hat er viel Dienerschaft?«

»Hm, nicht sehr übermäßig.«

»Heißt vielleicht einer seiner Beamten Sternau?«

Ludewig, der alte Jägerbursche, wurde aufmerksam. Er war ein einfacher Naturmensch, aber mit dem Scharfsinne dieser Art von Leuten errieth er sofort, daß er ausgehorcht werden solle. Die vergangenen Ereignisse, welche mit dem Namen Sternau zusammenhingen, waren derart, daß man vorsichtig sein mußte. Dieser Mann da, der sich für einen Unteroffizier ausgab, schien mehr zu sein, und da Ludewig bereits von dem Kutscher erfahren hatte, was im Thiergarten geschehen war, so nahm er sich vor, sich nicht etwa überlisten zu lassen.

»Sternau?« sagte er. »Ja.«

»Was ist der Mann?«

»Kutscher.«

»Alle Teufel, Kutscher! Hat er eine Frau und eine Tochter?«

»Das versteht sich dahier.«

»Sind es die beiden Frauen, welche vorhin im Thiergarten spazieren fuhren?«

»Ja.«

»Aber die sahen doch wahrhaftig nicht wie die Frau und die Tochter eines Kutschers aus!«

»Warum nicht? Der Herzog bezahlt seine Leute so gut, daß ihre Weiber und Töchter schon Prassel machen können. Uebrigens sind sie nicht, was man so nennt, spazieren gefahren dahier. Der Sternau sollte die neuen Trakehner einfahren, und da es egal ist, ob der Wagen leer geht oder nicht, so hat er eben seine beiden Weibsen mitgenommen.«

»Donnerwetter! Ja, grob wie Fuhrmannsweiber waren sie!« entfuhr es dem Lieutenant.

»Ah, grob sind sie gewesen? Haben Sie das gehört dahier?«

Bei dieser Frage blickte er den Lieutenant mit einem unendlich pfiffigen Ausdrucke in das Gesicht. Dieser sah ein, daß er eine große Unvorsichtigkeit begangen habe und versuchte, einzulenken:

»Ja, etwas habe ich gehört. Ich war im großen Garten. Gerade vor mir hielt eine Kutsche, ein Offizier mußte aussteigen und wurde von den beiden Frauen auf das Malitiöseste beschämt.«

»So! Hm! Und woher wissen Sie, daß diese Frauen Sternau heißen, he?«

»Sie nannten dem Schutzmanne, der dabei stand, ihren Namen.«

»Und wie kommen Sie nun sogleich hierher und fragen mich nach ihnen?«


Ende der neunundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk