Lieferung 57

Karl May

22. Dezember 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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samer Ihr seid, desto besser ist es für Euch. Der Gehorsam bringt Euch die Freiheit.«

Er zog den Schraubenschlüssel hervor, welchen er mitgebracht hatte, und trat zu dem Einen, welcher zuletzt geantwortet hatte. Er löste ihn von der Kette, welche ihn an der Mauer hielt, nahm ihm aber die Hand- und Fußschellen nicht ab.

»Wo ist der Andere?« fragte er dann.

Der Betreffende meldete sich, und trotzdem der Graf bei der hier herrschenden Dunkelheit nur nach dem Gefühle arbeiten konnte, war der Gefangene in kurzer Zeit von der Mauer los.

»Nun kommt heraus!«

Vor der Thür angekommen, mußten die Beiden stehen bleiben, bis der Graf mit Hilfe seines Gefährten den überrumpelten Wächter in das Innere getragen und die Riegel wieder vorgeschoben hatte. Dann wurden sie ein Stück fortgeführt, damit die Gefangenen drin nichts von der Unterredung verstehen konnten, und nun erst fragte der Graf:

»Redet so leise, daß nur wir Beide Euch hören können! Weshalb seid Ihr gefangen?«

»Wir waren friedliche Leute,« antwortete Der, welcher der Aeltere zu sein schien, »aber der Sultan ließ uns aufgreifen, weil Einer unseres Stammes ihm ein Pferd gestohlen hatte.«

»Wie lange seid Ihr bereits gefangen?«

»Zwei Jahre.«

»Das ist grausam! Wollt Ihr wieder frei sein?«

»Wir sehnen uns zu den Unsrigen zurück. Wer bist Du, Herr, der Du so geheimnißvoll kommst und fragst?«

»Ihr seid freie Somali und darum vertraue ich Euch. Wir Beide waren bisher Gefangene wie Ihr; aber wir haben den Sultan überlistet und werden jetzt fliehen. Wir wollen auf dem schnellsten Wege nach dem Meere und brauchen einen Führer, welcher unser Abban sein will. An der Küste empfangen wir Silber und werden ihn bezahlen. Will Einer von Euch unser Führer und Beschützer sein, so werden wir ihn von seinen Fesseln befreien und mitnehmen. Antwortet schnell; ich habe keine Zeit!«

»Herr, nimm uns Beide mit!« baten sie.

»Gut! Wollt Ihr mir schwören, mich vor den Eurigen und allen Feinden zu beschützen, mich und die bei mir sind?«

»Wir schwören es!«

»Bei Allah und dem Propheten?«

»Bei Allah, dem Propheten und allen heiligen Khalifen! Aber hast Du Kameele?«

»Für Euch noch nicht; aber draußen vor der Stadt sollt Ihr welche haben.«

»Unsere Kleider sind zerrissen; auch haben wir keine Waffen.«

»Ich werde für Alles sorgen. Kommt jetzt; aber seid vorsichtig, daß uns das Klirren Eurer Ketten nicht in Gefahr bringt, gehört und bemerkt zu werden.«

Sie gingen leise nach dem Kameelsschuppen. Dort gab Don Ferdinando dem Gärtner den Schlüssel, um nun, da sie ihm ihren Schwur gegeben hatten, den kein


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Muhamedaner bricht, auch die übrigen Fesseln zu lösen. Er selbst kehrte zu Emma zurück.

Diese war sichtlich erfreut und beruhigt, als sie ihn kommen sah. Sie mußte jetzt Ihr Haar hoch knüpfen, und er band ihr einen feinen ostindischen Shawl als Turban um den Kopf, so daß sie nun für einen jungen, schönen Türken gehalten werden mußte.

Ferner suchte er zwei Flinten, Pulver und Blei, Kleider, Messer und Yatagans für die beiden Somali aus, band diese in zwei Teppiche, welche sie auf die Kameele brauchten, nahm diesen Pack auf, legte denselben aber sogleich wieder nieder, denn es fiel ihm ein, daß er ja den Thorschlüssel brauche. Er trat also hinaus in das Schlafkabinet des Sultans und langte die Schlüssel herab.

Der Graf bat Emma, ihm zu folgen.

Härrär hat fünf Thore. An jedem der Schlüssel befand sich ein Blech, welches eine Nummer trug. Der Graf konnte sich also nicht irren, welchen Schlüssel er zunehmen hatte. Nun erst konnte er sich entfernen. Er nahm den Pack zum zweiten Male auf und bat Emma, ihm zu folgen. Als sie in dem Schuppen anlangten, waren die beiden Somali von ihren Fesseln befreit.

»Hier habt Ihr Kleider, Waffen und Pulver und Blei,« sagte der Graf. »Zieht Euch schnell an; es wird gehen, obgleich es dunkel ist. Die beiden Teppiche sind für Eure Kameele, die wir uns draußen verschaffen werden. Aber eilt, wir müssen uns sputen!«

»Herr,« sagte der Vater. »Wir kennen Dich nicht, aber unser Leben ist wie das Deinige; es gehört Dir. Wir kennen alle Wege und werden Dich an das Meer bringen, ohne daß Du die Verfolger zu fürchten brauchst. Du sollst uns nicht bezahlen, denn Du giebst uns die Freiheit, welche mehr werth ist, als Silber und Gold.«

»Deine Rede ist die eines dankbaren Mannes. Ich werde Euch allerdings nicht bezahlen, aber ich werde Euch ein Geschenk geben, welches so groß ist, wie die Treue, welche Ihr uns erweisen werdet. Hier sind vier Kameele, drei, um uns zu tragen, und eins für das Gepäck. Mein junger Gefährte ist zwar kein Weib, aber da einmal die Sänfte vorhanden war, so mag er sich ihrer bedienen. Wir reiten zum Thore hinaus, welches nach Gafra führt. Ihr beiden geht uns zur Seite und thut, als ob Ihr unsere Diener seid. Ich werde mich am Thore für den Sultan ausgeben. Hier ist der Schlüssel. Du schließest das Thor auf und von draußen wieder zu; das ist Alles, was Ihr jetzt zu thun habt. Vorwärts!«

Die Kameele wurden bestiegen und der Ritt begann, indem die beiden Somali nebenher schritten. Als sie das Thor erreichten, schlief der Wächter. Der Somali schloß auf, und dieses Geräusch weckte den Schlafenden. Er kam eiligst mit seinem langen Stabe, dem Zeichen seiner Würde herbei; aber da er keine Zeit gehabt hatte, ein Licht anzubrennen, so konnte er die Reiter nicht erkennen.

»Wer seid Ihr?« fragte er. »Halt! Ohne Erlaubniß des Sultans darf Niemand durch das Thor. Ich verbiete Euch, es zu öffnen.«

»Was wagst Du, Hund!« rief ihm der Graf vom hohen Kameele herab zu, indem er die Stimme des Herrschers nachzuahmen versuchte. »Weißt Du nicht, daß ich zu dem Vater meines Weibes reiten will? Oder kennst Du Deinen Herrn nicht? Morgen sollst Du im Staube vor mir kriechen, Du Sohn eines Schakales!«


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Da warf sich der Mann voller Angst zur Erde nieder. Er getraute sich kein Wort zu sagen; die Flüchtlinge passirten das Thor, welches der Somali wieder verschloß.

Auf der anderen Seite der Stadt brannten die Wachtfeuer der Handelskarawane, welche ihre Geschäfte in Härrär noch nicht beendigt hatte. Der Graf ritt eine Weile vorwärts, ließ dann halten und stieg vom Kameele.

»Kommt!« sagte er. »Da drüben weiden die Thiere des Sultans, und daneben ist ein Schuppen, wo es Sättel und Schläuche giebt. Wir wollen versuchen, die Wächter zu überlisten und ihnen zwei gute Reitthiere abzunehmen.«

Die beiden Männer folgten ihm. Sie waren Nomaden, also geborene Räuber. Sie hatten Waffen und waren also ihres Erfolges sicher. Als die drei den Weideplatz erreichten, fand es sich, daß kein einziger Wächter zugegen war.

»Wo mögen sie sein?« fragte der eine der Somali.

»Ah, sie sind hinüber zur Karawane, wo es nicht so einsam ist wie hier,« antwortete der Graf. »Sie machen uns unser Werk leicht. Sucht Euch Kameele heraus, während ich dort nach dem Schuppen gehe und zwei Sättel wählen will.«

Es dauerte keine Viertelstunde, so waren die Somali mit zwei tüchtigen Eilkameelen beritten und nun setzte sich die flüchtige Karawane, sechs Thiere stark, in Bewegung. Als Emma gestern die Stadt erblickte, hätte sie wohl nicht gedacht, sie heute als verkleideter Beduine frei wieder verlassen zu können.

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Vielleicht eine Woche später segelte eine Brigg durch die Straße Bab-el-Mandeb. Das Fahrzeug war sehr schmuck gebaut, und vom Maste wehte die deutsche schwarz-weiß-rothe Handelsflagge. Auch ohne diese Flagge mußte man sehen, daß die Brigg ein Handels- nicht aber ein Kriegsfahrzeug sei, und doch standen auf dem Decke vier Kanonen, welche dem Schiffe ein etwas kriegerisches Ansehen gaben.

Die Anwesenheit der Geschütze ließ sich aus dem Umstande erklären, daß die Sicherheit in jenen Meerestheilen auch heute noch eine nicht sehr große ist. Besonders muß ein Kapitän, welcher sich mit Küstenhandel beschäftigt, darauf sehen, gut bewaffnet zu sein. Er kommt mit Menschen in Berührung, denen nie ganz zu trauen ist und welche im Stande sind, durch Verrath sich eines Fahrzeugs zu bemächtigen, um die Ladung desselben in die Hand zu bekommen.

Die Sonne brannte glühend heiß hernieder; zwar wehte eine leichte Prise, doch war die Wärme so drückend, daß die Bemannung der Brigg unter wie ein Zeltdach aufgespannten Segeln lag und sich fast sämmtlicher Kleidung entledigt hatte. Der Steuermann hatte das Steuer mittelst eines Taues angebunden und saß im Schatten eines Teppichs, den er über sich im Tauwerk befestigt hatte.

Auch dem Kapitän schien es in seiner Kajüte zu schwül zu werden. Er kam langsam heraufgestiegen, warf einen kurzen Blick über das Deck, einen zweiten an den Horizont und ging dann zum Steuermann.

Dieser schien sich, dem vorgeschriebenen Respect gemäß, erheben zu wollen, der Capitän aber winkte ihm, sitzen zu bleiben, und ließ sich neben ihm nieder.

»Verteufelte Hitze!« sagte er nach kurzer Seemannsart.

»Sehr!« nickte der Steuermann zustimmend.

»Ich lobe mir den Norden,« fuhr der Capitän nach einer kurzen Pause fort;


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»aber da muß es dem Rheder einfallen, uns nach dieser Küste zu senden. Ich bin begierig, zu erfahren, ob wir da wirklich die guten Geschäfte machen werden, die er sich einbildet.«

»Der Dolmetscher glaubt es ja!«

»Aber gerade das ärgert mich, daß man hier einen Dolmetscher braucht. Wer doch dieses verteufelte Arabisch gelernt hätte, der brauchte sich nicht in die Gefahr zu begeben, von diesem fremden Volke betrogen zu werden. Aber da schau, dort kommt einer gesegelt! Was mag es für ein Landsmann sein?«

Die Brigg hielt gerade nach Süd, und in dieser Richtung erblickten die Beiden einen Punkt, welcher ein Fahrzeug sein mußte. Der Steuermann griff zu dem Fernrohre, welches neben ihm lag, zog es aus, setzte es an das Auge und blickte lange und aufmerksam hindurch. Er schien nicht klar zu werden und meinte endlich:

»So ein Ding ist mir noch nicht unter die Augen gekommen. Sieh selbst hindurch!«

Jetzt bediente sich der Kapitän des Rohres. Er hatte sich eher eine Ansicht gebildet, denn er sagte mit einem verächtlichen Lächeln:

»Dies muß ein arabisches Fahrzeug sein. In einer Stunde haben wir es erreicht, dann wollen wir es einmal anreden.«

Auch die Matrosen hatten das fremde Segel erblickt und behielten es aufmerksam im Auge. Die beiden Fahrzeuge näherten sich immer mehr, bis man von der Brigg aus ohne Fernrohr erkennen konnte, daß der Fremde nur einen einzigen Mast hatte, welcher schief nach vorn befestigt war und zwei eigenthümlich geformte Segel trug. Auf seinem Deck standen beturbante Männer, welche ihrerseits die Brigg ebenso musterten, wie sie von dieser aus beobachtet wurden.

»Soll ich feuern lassen?« fragte der Steuermann.

»Ja. Schicke mir den Dolmetscher her.«

Der Steuermann trat an eine der Kanonen und winkte zu gleicher Zeit dem Manne, welcher, in arabische Tracht gekleidet, vorn am Spriete auf einer Matte saß und eine lange Pfeife rauchte.

Dieser erhob sich langsam und begab sich nach dem Steuer. Dort beschattete er seine Augen mit der Hand, warf einen langen Blick auf das andere Fahrzeug und fragte dann den Capitän:

»Du willst ihn anreden?«

»Ja,« lautete die Antwort.

»Was willst Du von ihm wissen?«

»Zunächst, was für ein Fahrzeug es ist.«

»Das kannst Du bereits von mir erfahren. Es ist ein Wachtschiff des Gouverneurs von Zeyla.«

»Also eine Art von Kriegsschiff?«

»Ja. Die Leute sind alle bewaffnet.«

»Wozu dienen diese Art Schiffe?«

»Gewöhnlich dienen sie dem Handel oder dem Transporte, ganz wie andere Fahrzeuge und nur auf ganz seltene Veranlassungen hin werden sie mit Kriegern bemannt. Es muß in Zeyla etwas Wichtiges passirt sein.«


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»Das müssen wir erfahren, da wir ja nach Zeyla wollen. Du wirst die Fragen, welche ich gebe, und die Antworten, die ich erhalte, genau übersetzen.«

Jetzt waren sich die Schiffe so nahe gekommen, daß man gegenseitig die Gesichtszüge erkennen konnte. Eben war der Steuermann im Begriff, durch einen Kanonenschuß das Zeichen zu geben, daß der Araber beidrehen solle, um angesprochen werden zu können, als vom Verdeck desselben eine Flintensalve erscholl. Er also selbst forderte die Brigg auf, die Segel fallen zu lassen.

Der Capitän lachte laut auf. Es gab ihm Spaß, daß dieses Fahrzeug ihm gegenüber das Ansehen eines Kriegsschiffes gab.

»Hörst Du es?« rief er dem Steuermanne zu. »Dieser Knirps giebt uns Befehle! Laß den Schuß stecken. Wir wollen ihm Gehorsam leisten und ich bin neugierig, was er von uns verlangen wird. Dreht bei, Jungens!«

Das anbefohlene Manöver wurde ausgeführt; die Brigg verlor den Wind und machte eine Schwenkung. Der Araber that dasselbe und lag nun fast Seite an Seite mit dem Deutschen. Er hatte vielleicht fünfzehn Bewaffnete am Bord. Der Capitän stand auf einer Erhöhung und fragte mit erhobener Stimme:

»Wie heißt dieses Schiff?«

»Seejungfer!« übersetzte der Dolmetscher die Antwort des Capitäns.

»Wo ist es her?«

»Aus Kiel.«

»Wo liegt diese Stadt?«

»In Deutschland.«

»Das muß ein kleines, armseliges Ländchen sein, denn ich kenne es nicht,« meinte der Araber stolz. »Was habt Ihr geladen?«

»Handelswaare,«

»Und Menschen?«

»Nein. Wir haben keine Passagiere.«

»Auch keine entlaufenen Sclaven?«

»Nein.«

»Ich werde auf Euer Schiff kommen, um zu sehen, ob Ihr die Wahrheit redet.«

Das war dem deutschen Capitän denn doch zu viel. Er ließ fragen:

»Wer bist Du denn?«

»Ich bin ein Capitän des Sultans von Zeyla.«

»In Zeyla giebt es einen Gouverneur aber keinen Sultan. Ich habe weder ihm noch einem seiner Diener zu gehorchen.«

»So weigerst Du Dich, Dein Schiff untersuchen zu lassen?«

»Ja; Du hast nicht das Recht dazu. Umgekehrt wäre es richtiger. Wenn ich Dein Fahrzeug betreten wollte, könntest Du es mir nicht verweigern.«

»Ich würde Dir es doch verbieten, denn ich bin ein Krieger,« antwortete der Araber in verächtlichem Tone. »Ich werde Dich zwingen, mich und meine Leute an Bord zu lassen, um Dein Schiff durchzusuchen.«

»Wie willst Du dies anfangen?«

»Zähle meine Leute,« antwortete der Andere stolz. »Ich werde ihnen befehlen, Löcher in Dein Schiff zu schießen, wenn Du mir nicht gehorchest!«


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Da konnte sich der Deutsche eines lauten Lachens, in welches alle seine Leute einstimmten, nicht enthalten. Er ließ durch den Dolmetscher antworten:

»Deine Kugeln gehen nicht durch das Holz meines Schiffes; sie thun uns keinen Schaden; ich jedoch habe Kanonen, mit denen ich Dich sofort in den Grund bohren würde!«

»Allah ist groß; er würde Dich daran zu hindern wissen und Deine Kugeln gegen Dich selbst richten. Du kommst mir verdächtig vor. Ich werde Dein Schiff arretiren und es nach Zeyla bringen.«

»Weshalb bin ich Dir verdächtig?«

»Wir suchen Sclaven, welche in Härrär entflohen sind; Du verweigerst es uns, Dein Schiff untersuchen zu lassen, folglich hast Du diese Sclaven an Bord.«

»Sie sind nicht bei mir. Sie können gar nicht bei mir sein, denn ich komme vom Norden und bin noch nicht an Eurer Küste gewesen.«

»Das sagst Du, aber ich glaube es nicht. Ich werde mit einem Taue Dein Schiff an das meinige befestigen und Dich nach Zeyla bringen. Dort mag der Gouverneur Dich untersuchen.«

Das war eine geradezu wahnsinnig lächerliche Drohung; darum antwortete der Capitän:

»Ich glaube, daß sich Dein Verstand nicht ganz in Ordnung befindet. Wie wolltest Du mich zwingen, Dein Tau an Bord zu nehmen. Deutschland ist ein großes Reich; was ist Dein Zeyla dagegen? Unsere Könige sind mächtig; die geringsten ihrer haben mehr gesehen und gelernt, wie Dein Gouverneur; wie soll es Dir gelingen, mich zu arretiren! Ich lache darüber.«

»Lache Du jetzt; aber Dein Lachen wird sich in Weinen verkehren. Ich befehle Dir, drei meiner Leute zu empfangen, welche Dir das Tau an Bord bringen werden!«

Der Capitän besann sich. Er war, wie fast ein jeder deutsche Seemann, Freund eines guten Juxs; hier nun gab es Gelegenheit zu einem solchen, und darum sagte er nach einer Weile, während welcher er seinen Leuten listig zugenickt hatte:

»Gut, ich will Dir den Willen thun; ich will das Tau an Bord nehmen, aber nicht, weil ich Dir zu gehorchen hätte, sondern um Dir zu beweisen, welch eine Dummheit Du begehst, indem Du es wagst, mir Befehle zu ertheilen und mein Schiff arretiren zu wollen. Sende Deine Leute, Du magst mich in das Schlepptau nehmen!«

Auf einen befehlenden Wink des Arabers stiegen drei seiner Männer in ein Boot und nahmen das Tau auf, welches sie an Bord der Brigg brachten und dort am Buge befestigten. Sie benahmen sich dabei ganz wie die Herren des Schiffes und gaben das Zeichen, daß die Fahrt nun beginnen könne.

»Verdammt schlaue Kerls!« lachte der Steuermann. »Ihr Tau ist ja viel zu schwach, um uns schleppen zu können; es muß zerreißen.«

»Aber es ist stark genug, um sie von uns schleppen zu lassen,« meinte der Capitän. »Warte nur, bis sie sich in Fahrt befinden!«

Der Araber zog seine Segel auf und wendete nach Süden. Der Wind legte sich in die Leinwand. Das Schiff setzte sich in Bewegung und zog das Tau


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scharf an. Es hätte zerreißen müssen, wenn es nicht Absicht des Deutschen gewesen wäre, dem Spaße noch eine andere Seite abzugewinnen.

»Hollah, die Segel auf!« kommandirte er. »Wir müssen ihnen behilflich sein.«

Einige Minuten später befand sich die Brigg in voller Fahrt. Sie segelte schneller als der Araber und mußte also mit ihm zusammenstoßen. Der Deutsche wendete sich durch seinen Dolmetscher an die drei Araber:

»Ruft Euren Leuten zu, schneller zu segeln, sonst fahre ich sie in die See!«

Sie schüttelten die Köpfe; sie wagten es nicht, ihrem Anführer einen Befehl zu geben; dieser bemerkte die Gefahr und rief zurück:

»Fahrt langsamer, Ihr Schurken! Seht Ihr denn nicht, daß wir zusammenstoßen!«

»Segle Du schneller, Du Narr!« antwortete der Capitän. »Nimm kein Fahrzeug ins Schlepptau, wenn es Dir überlegen ist!«

Noch einige Augenblicke, und der Zusammenstoß mußte erfolgen. Da griff der Capitän selbst in das Steuer, um die Richtung um ein Weniges zu ändern.

»Uebersegeln will ich sie nicht, aber eine Lehre will ich ihnen doch geben,« sagte er. »Holla, Jungens, aufgepaßt! Kappt alles fremde Zeug, was an unserm Bord erscheint!«

Jetzt hatte die Brigg den Araber erreicht, welcher ein viel niedrigeres Deck hatte. Sie stieß nicht auf die Mitte seines breiten Hintertheiles, sondern ihr Bugspriet ging hart an demselben vorüber, aber die Katastrophe war dennoch kräftig genug, um den Muhamedanern später als Lehre dienen zu können.

Das Steuerbord des Deutschen schliff nämlich fest und scharf an dem Backbord des Arabers weg und riß ihm alles Takelwerk weg. Die beiden Raaen des Letzteren verfitzten sich in dem festen Tauwerk des Ersteren und wurden von den Matrosen, welche schnell bei der Hand waren, gekappt. Im nächsten Augenblicke befand sich der Deutsche vor dem Araber, statt hinter demselben. Das Schlepptau zog wieder an und zog, da es am Hintertheile des Letzteren befestigt war, diesen herum, so daß er wendete und sein Vordertheil nach hinten kam.

Auf dem Deck des Deutschen erscholl ein vielstimmiges Gelächter; von demjenigen des Arabers aber hörte man das gerade Gegentheil. Seine Raaen waren zerhackt und seine Segel herabgerissen; sein laufendes Tauwerk hing in Fetzen und das Schiff drohte in seiner verkehrten Lage zu kentern und unterzugehen. Der Anführer fluchte und wetterte; seine Leute brüllten und heulten. Anstatt ihr Tau, mit welchem sie an den Deutschen befestigt waren, zu kappen und dadurch von ihm frei zu kommen, schossen sie ihre Flinten auf ihn ab; aber keine Kugel richtete irgend einen Schaden an.

Da trat einer der Drei, welche sich an Bord der Brigg befanden, zu dem Capitän und ließ ihm durch den Dolmetscher sagen:

»Ich befehle Dir, anzuhalten und unser Fahrzeug auszubessern!«

Das hieß denn doch, die Anmaßung und Lächerlichkeit auf die Spitze zu treiben.

»Du hast mir nichts zu befehlen!« antwortete der Capitän.

Da zog der Mann das Messer, welches er im Gürtel hatte, und drohte:


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»Wenn Du mir nicht sogleich gehorchst, so werde ich Dich züchtigen! Bist Du ein Moslem?«

»Nein, ich bin ein Christ.«

»So hast Du mir Gehorsam zu leisten, Hund!«

»Ah, Hund, sagst Du? Da hast Du die Antwort!«

Er holte aus und gab dem Araber eine Ohrfeige, die so stark war, daß dieser sofort niederstürzte und sich überkugelte. Die beiden anderen zogen rasch nun auch ihre Messer und wollten sich auf ihn werfen, kamen aber dabei ganz und gar an den Unrechten. Er besaß eine echte deutsche Seemannsfaust, das heißt eine Hand, hart wie Stahl und dreimal so breit wie die ihrige. Mit zwei raschen Hieben hatte er sie kampfunfähig gemacht; sie lagen ebenso auf dem Deck wie der Erste.

»Jungens, bindet mir einmal diese Kerls an die Masten!« gebot der Capitän. »Wir wollen ihnen einmal lehren, was es heißt, einen Deutschen einen Hund zu nennen!«

Diesem Befehle wurde sehr gern und schleunigst Folge geleistet. Die Matrosen nahmen den Arabern die Waffen und banden sie so fest, daß sie sich nicht zu rühren vermochten.

Unterdessen war die Lage des arabischen Fahrzeuges gefährlicher geworden. Es wurde von der Brigg am Hintertheile gezogen und begann, da es einen niedrigen Bord hatte, bereits Wasser zu schöpfen.

»Haltet an, Ihr Schurken!« brüllte der Anführer. »Seht Ihr denn nicht, daß wir ertrinken müssen, wenn Ihr nicht gehorcht?«

»Mir ist's gleich, ob Ihr ersauft oder nicht,« antwortete der Deutsche. »Kappt Euer Tau, wenn Ihr Euch retten wollt!«

»Ich darf es nicht zerhacken; es gehört nicht mir, sondern dem Gouverneur!«

»Nun, so schluckt für den Gouverneur Seewasser, bis Ihr platzt!«

»Wir selbst können ja das Tau kappen,« meinte der Steuermann.

»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Capitän. »Ich gebe ihnen eine Lehre und rühre keine Hand für sie. Ich bin noch nie in diesen Breiten gewesen, aber ich habe sehr viel von der Arroganz dieser Menschen gehört. Diese Sclaven und Diener, diese Speichellecker kleiner, obscurer Potentaten und Beamten denken Wunder, wer sie sind. Jeder Andersgläubige gilt für einen Hund, dessen Berührung sie verunreinigt. Ich verstehe ihre Sprache nicht und kenne auch ihre Gebräuche nicht; meine Gebräuche sollen sie kennen lernen. Wir sind es unserer deutschen Flagge schuldig, uns bei ihnen in Respect zu setzen.«

»Aber wir fahren ja nach Zeyla!«

»Allerdings!«

»Und werden also mit dem Gouverneur in Berührung kommen!«

»Nun, was weiter?«

»Er wird sich rächen!«

»Er mag es versuchen!«

In diesem Augenblick ertönte ein vielstimmiger Schrei. Das arabische Fahrzeug hatte sich soweit zur Seite geneigt, daß es zu sinken drohte. Es schluckte Wasser, und zwar soviel, daß es sich nicht wieder aufrichten konnte.


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»Seid Ihr denn wirklich so erbärmlich dumm? Kappt doch endlich das Tau!« ließ ihnen der Capitän durch den Dolmetscher zurufen.

Sie aber waren so verwirrt, daß sie ihm nicht folgten, sondern in das Wasser sprangen und auf die Brigg zuschwammen.

»Werft ihnen Taue zu, daß sie heraufkönnen!« gebot der Capitän. »Sie haben die Komödie begonnen und mögen sie nun auch zu Ende spielen. Aber laßt sie auf dem Vorderdeck zusammentreten und richtet die Geschütze auf sie!«

Es gelang, die Araber alle an Bord zu bringen. Der Dolmetscher gab ihnen die Weisung, sich nach dem Vorderdeck zu begeben; sie gehorchten; nur der Anführer weigerte sich. Er trat auf den Capitän zu und fragte ihn:

»Bist Du der Befehlshaber dieses Schiffes?«

»Ja.«

»So bist Du mein Gefangener! Ich werde Dich streng bestrafen lassen!«

Der Deutsche blickte ihm lächelnd in das braune, hagere Angesicht und antwortete:

»Mache Dich nicht lächerlich! Ich habe in Deine erste Albernheit gewilligt, und nun siehst Du, was Du davon hast; so wird es Dir auch weiter gehen, wenn Du es nicht aufgiebst, Dich als Herrn zu geberden. Kennst Du die Völkergesetze?«

»Ich brauche sie nicht zu kennen. Ich kenne den Koran und die Gesetze des Propheten!«

»Ich habe mich weder nach dem Koran, noch nach Deinem Propheten zu richten. Ich gehe nach dem Völkerrechte und das wird von allen Seefahrern anerkannt. Dieses Schiff ist deutscher Grund und Boden; wer sich bei mir am Bord befindet, hat mir zu gehorchen. Ich bin Herr über Leben und Tod; verstehst Du wohl! Ich werde jede Anmaßung und jeden Widerstand sehr streng bestrafen.«

»Das wirst Du nicht wagen!« sagte der Araber stolz.

»Warum nicht?«

»Weil ich ein Vetter des Gouverneurs bin!«

»Das gilt nichts! Auf meinem Schiffe bin ich König und Kaiser, Sultan und Großmogul, Dein Gouverneur ist mir vollständig gleichgiltig. Ich segle zwar nach Zeyla, aber ich stehe unter dem Schutze meiner Flagge und werde nicht dulden, daß er mir feindselig begegnet.«

»Ah, Du fährst nach Zeyla?«

»Ja.«

»So wirst Du uns Rechenschaft geben, vorher aber unser Fahrzeug retten!«

»Ich sehe, daß Du unverbesserlich bist und darum werde ich Dir zeigen, daß ich nur das thue, was mir gefällt. Vielleicht wäre Dein Schiff zu retten; ich aber erkläre, daß sich das meinige in Gefahr befindet, so lange es mit dem Deinigen zusammenhängt. Ich muß vor allen Dingen mich selbst vor Schaden bewahren.«

Er griff zum Beile und durchhieb das Schlepptau, so daß das arabische Fahrzeug nun sich selbst überlassen blieb. Da trat der Andere zornig auf ihn zu und rief:

»Was wagst Du, Hund! Du opferst mein Schiff und jetzt erst sehe ich auch,


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daß Du meine drei Krieger gefesselt hast! Hätte ich mein Gewehr mitgenommen, so würde ich Dich erschießen wie einen Schakal; aber mein Messer wird Dir zeigen, wer hier Herr ist!«

Er zog wirklich das Messer aus dem Gürtel; in demselben Augenblick aber traf ihn die gewaltige Faust des Deutschen so, daß er zusammenbrach. Das sahen die Araber; sie machten Miene, ihren Anführer zu befreien, aber der Dolmetscher rief ihnen zu:

»Um des Propheten willen, bleibt ruhig, sonst werdet Ihr erschossen; die Kanonen sind auf Euch gerichtet. Dieser Mann ist Herr des Schiffes; was er befiehlt, das geschieht. Euer Leben ist in seine Hand gegeben!«

Jetzt erst begriffen sie ihre Lage und bequemten sich dazu, auf allen Widerstand zu verzichten. Ihr Anführer wurde gefesselt und unter Deck gebracht. Ihnen nahm man alles Waffenähnliche ab und steckte sie dann in den Kielraum, wohin auch ihre drei Gefährten geschafft wurden, welche bis jetzt am Maste befestigt gewesen waren.

»Du wagst viel!« sagte der Dolmetscher zum Capitän. »Der Gouverneur wird wirklich Rechenschaft von Dir verlangen!«

»Du irrst,« antwortete der Deutsche lächelnd. »Ich werde Rechenschaft von ihm verlangen, denn seine Diener haben gegen die Gesetze gehandelt und mich persönlich beleidigt.«

»Aber selbst wenn er Dich nicht bestrafen kann, wirst Du doch großen Schaden haben. Der Gouverneur wird Dir verbieten, zu handeln und Deine Waaren zu verkaufen.«

»Das werde ich abwarten. Verbietet er es mir wirklich, so weiß ich bereits jetzt genau, was ich thun muß, um diesen Schaden ersetzt zu bekommen.«

Um der Gefangenen sicher zu sein, stellte er einen der Matrosen als Wachtposten vor den Kielraum und sah nun dem Kommenden ohne Sorge entgegen.

Da Zeyla keinen Hafen besitzt und die Schiffe auf der dortigen Rhede ankern müssen, zu welcher die Einfahrt wegen der vorliegenden Felsen ein schwieriger ist, so mußte die Brigg, welche die Nähe der Stadt erreicht hatte, während der Nacht laviren und konnte erst am folgenden Morgen den Eingang gewinnen. Sie begrüßte die Stadt mit den üblichen Kanonenschüssen und ließ dann die Anker fallen.

Zeyla, welches ungefähr viertausend Einwohner zählt, besteht aus vielleicht einem Dutzend großer, steinerner Häuser, welche weiß übertüncht sind, und einigen hundert Hütten, welche man aus dem einfachsten Material errichtet hat. Die Stadtmauern sind aus Korallenstücken und Schlamm gebaut, haben weder Schießscharten noch Kanonen und sind an vielen Stellen eingefallen. Es macht von der See aus, besonders da es auf einer niedrigen Sandbank liegt, keineswegs einen sehr imponirenden Eindruck.

Dennoch beherrscht es die Hafenplätze der Umgegend nebst der ganzen Küste und ist der Sammel- oder Zielpunkt zahlreicher Karawanen, welche aus dem Innern kommen oder von hier aus in das Binnenland gehen, um ihre Waaren dort abzusetzen.

Vom Verdecke der Brigg aus bemerkte man zahlreiche Menschen, Kameele und Pferde, welche in der Nähe der Stadt lagerten. Es waren also jedenfalls Handels-


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karawanen angekommen und so gab sich der Capitän sogleich der angenehmen Hoffnung hin, hier ein gutes Geschäft zu machen.

Kurz, nachdem die Anker gefallen waren, kam ein Boot, aus welchem ein Araber an Bord stieg, der sich einer sehr würdevollen Haltung befleißigte. Es war der Hafenmeister. Er verlangte die Schiffspapiere zu sehen, um sie dem Gouverneur vorzulegen, da von diesem die Erlaubniß, hier zu ankern, abhängig war. Er frug, woher das Schiff komme, was es geladen habe und ob ihm vielleicht ein Fahrzeug mit entflohenen Sclaven begegnet sei. Der Capitän gab ihm die gewünschte Auskunft und überreichte ihm die begehrten Papiere, vermied aber, ihm zu sagen, daß er Gefangene an Bord habe. Der Hafenmeister schien befriedigt und entfernte sich.

Erst nach einigen Stunden kehrte er zurück und meldete, daß der Gouverneur seine Erlaubniß, zu verweilen und Handel zu treiben, gegeben habe, dagegen aber die Entrichtung der hier gebräuchlichen Abgabe und eines guten Geschenkes für ihn erwarte.

»Der Gouverneur,« fuhr er fort, »wird Euch einige Soldaten senden, um Euch vor allen Gefahren zu schützen. Diese Soldaten habt Ihr zu bezahlen und zu beköstigen.«

»Wir bedürfen dieser Soldaten nicht,« sagte der Capitän. »Wenn wir uns wirklich in Gefahr befänden, wären sie doch nicht im Stande, uns zu schützen.«

»O, sie sind sehr tapfer,« meinte der Hafenmeister.

»Das glaube ich nicht, denn ich habe das Gegentheil gesehen. Sie sind anmaßend und leichtsinnig und würden uns mehr Schaden als Nutzen bringen.«

»Wie willst Du sie kennen? Du hast mir ja gesagt, daß Du noch nie hier gewesen bist!«

»Du wirst bald erfahren, woher ich sie kenne. Ich werde den Gouverneur selbst benachrichtigen und ihm beweisen, daß ich mich selbst zu schützen verstehe.«

Der Hafenmeister wurde bewirthet, erhielt ein Geschenk, welches seine ganze Zufriedenheit zu erregen schien und kehrte dann nach der Stadt zurück.

Jetzt ließ der Capitän einen der Gefangenen zu sich bringen.

»Wir sind vor Zeyla angekommen,« ließ er ihm mit Hilfe des Dolmetschers sagen; »ich gebe Dir Deine Freiheit zurück, doch nur unter der Bedingung, daß Du zum Gouverneur gehst und ihm meldest, was geschehen ist. Er mag selbst an Bord kommen und mit mir über das Schicksal Deiner Gefährten verhandeln. Sage ihm, daß ich ein friedlicher Mann sei und bereit, mich in Güte mit ihm zu verständigen; er muß aber selbst kommen, denn mit Unterhändlern werde ich nicht sprechen. Mein Rang ist wenigstens ebenso hoch wie der seinige. Einigen wir uns nicht, so werde ich die Gefangenen mitnehmen und auf das Strengste bestrafen lassen!«

Der Mann gab kein Wort zur Antwort, aber an seinem Gesichte und seinen Blicken war deutlich zu erkennen, daß sein Bericht sehr feindselig lauten werde. Er stieg über Bord und glitt an einem Taue in das noch dahängende Boot hinab, auf welchem gestern die drei Araber das Schlepptau an Deck gebracht hatten. Als er dann langsam nach der Stadt ruderte, sagte der Dolmetscher zu dem Capitän:

»Dein Spiel ist ein gefährliches. Der Gouverneur ist mächtig; er wird Dich in Folge Deiner Botschaft sicherlich als Feind betrachten und behandeln.«


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»Er mag es versuchen!«

Diese kurzen Worte zeigten, daß der Deutsche seiner Sache sicher sei, und er traf auch sofort die Maßregeln, welche er für geeignet hielt, seinen Willen durchzusetzen. Er gebot seinen Leuten, sich zu bewaffnen und ließ die Enternetze rings um das Deck befestigen. Es sind dies Drahtnetze, welche es sehr schwer, wo nicht unmöglich machen, daß der Feind an Bord gelangt.

Die Brigg war noch nicht mit einem Wall- sondern nur erst mit einem Seeanker befestigt, den man im Nothfalle sofort aufnehmen konnte. Alle Boote befanden sich an Bord und die Mannschaft hielt sich bereit, die Segel zu ziehen, um gegebenen Falls das Schiff schnell manövrirfähig zu machen. Das Haus, in welchem der Gouverneur wohnte, war deutlich zu sehen; der Capitän ließ es sich von dem Dolmetscher, welcher bereits einmal in Zeyla gewesen war, zeigen und beschloß, es bei einer ja ausbrechenden Feindseligkeit als erstes Ziel zu benutzen.

Ob sich in Zeyla mehrere Kanonen befanden, wußte er nicht; eine aber war jedenfalls vorhanden; sie stand am Strande und man hatte mit ihr die Begrüßungsschüsse der Brigg beantwortet. Fremde Schiffe gab es nicht; es waren kaum zehn Fahrzeuge vorhanden, welche nicht zu fürchten waren, denn sie waren klein und ganz ähnlich gebaut wie das Wachtschiff, welches gestern so wenig Effect gemacht hatte.

Es verging unter aufmerksamem Warten eine längere Zeit, bis man endlich aus dem Nordthore der Stadt, welches zum Meere führt, eine Schaar Bewaffneter kommen sah. Sie vertheilten sich auf einzelne Boote und kamen nach der Rhede gerudert. Es konnte kein Zweifel sein, daß dieser Besuch der Brigg galt.

Die Schaar mochte ungefähr dreißig Mann stark sein. Sie war mit Luntenflinten, Spießen und Yatagans bewaffnet. Im vordersten Boote schien der Anführer zu sitzen, denn die Anderen hielten sich in respectvoller Entfernung hinter ihm.

Als dieses erste Boot in solche Nähe gekommen war, daß man sich verstehen konnte, erhob sich der Anführer und rief:

»Bist Du der Mann, der unsere Gefährten gefangen hält?«

»Ja,« antwortete der Kapitän mit Hilfe des Dolmetschers.

»Gieb sie heraus!«

»Wer bist Du?« lautete die rasche Gegenfrage.

»Ich bin der General der hiesigen Truppen.«

»So habe ich mit Dir nicht zu unterhandeln. Ich werde mit dem Gouverneur sprechen; ich habe das bereits sagen lassen.«

»So steige in unser Boot; ich werde Dich zu ihm bringen.«

»Er mag zu mir kommen, wenn er seine Leute wieder haben will.«

»Wenn Du nicht mit uns kommst oder sie herausgiebst, werden wir Dein Schiff besteigen und sie uns holen; dann bist Du unser Gefangener und Dein Fahrzeug ist unser Eigenthum; so hat es der Gouverneur befohlen.«

»Ich habe Dir bereits gesagt, daß ich nur mit ihm verhandle. Gegen einen Angriff werde ich mich zu vertheidigen wissen.«

Der Mann ließ noch mehrere Fragen und Drohungen hören; als er aber keine Antwort erhielt, winkte er die anderen Boote zu sich heran und besprach sich längere Zeit mit den Insassen derselben. Er hatte jedenfalls Furcht vor der


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Brigg; ebenso bange war es ihm vor dem Gouverneur, dessen Befehle er erfüllen sollte.

Endlich gab er ein Zeichen und kam mit seinen Booten näher heran gerudert.

»Giebst Du die Gefangenen heraus?« rief er.

Es erfolgte keine Antwort.

»Nun, so holen wir sie uns! Schießt sie todt, die Ungläubigen!«

Sie richteten ihre Gewehre auf das Deck und die Salve erfolgte. Die Kugeln schlugen in das Takelwerk und in die Masten, trafen aber Niemanden. Auch einige Wurfspeere kamen geflogen, blieben aber in den Enternetzen hängen, ohne Jemand zu verletzen. Die Feindseligkeit hatte also begonnen.

»Sollen wir antworten?« fragte der Steuermann.

»Ja,« nickte der Captitän. »Aber schießt noch nicht auf die Kerls; sie wären ja verloren. Gieb dem Gebäude des Gouverneurs einige Kugeln; er hat das Ding angestiftet und mag nun auch die ersten Folgen tragen.«

Der Steuermann trat zu einem der Geschütze, richtete es sorgfältig, zielte lange Zeit, um sicher zu sein, und gab dann Feuer. Fast in demselben Augenblicke, als der Schuß erkrachte, flogen die Steinsplitter von der Mauer des Hauses, auf welches er gezielt hatte. Der Schuß war ein Kernschuß gewesen.

Die Araber in den Kähnen erhoben ein Wuthgeschrei und schossen abermals nach dem Schiffe.

»So war es gut!« rief der Kapitän dem Steuermanne zu. »Mach so fort!«

Der Angeredete gab noch mehrere Schüsse ab, von denen kein einziger fehl ging. Das Mauerwerk gab den Kugeln nach; es flog in Stücke und beim vierten Schusse war ein großes Loch zu bemerken. In der Stadt erhob sich ein lautes Wehegeschrei und die Karawanenleute, welche vor dem Orte gehalten hatten, zogen sich mit ihren Thieren ängstlich in eine sichere Entfernung zurück.

Da öffnete sich das Thor; ein Mann trat heraus und winkte. Auf dieses Zeichen ruderten die Kähne schleunigst nach der Stadt zurück.

»Soll ich eine Kugel unter sie schicken?« fragte der Steuermann.

Er war stolz auf seine artilleristischen Erfolge; die Aufregung des Kampfes hatte ihn ergriffen und er wollte noch weitere Proben seiner Geschicklichkeit geben.

»Nein, wir wollen sie noch schonen,« antwortete der Capitän. »Aber siehst Du dort rechts das Gebäude? Es ist sicher eine Moschee. Wenn wir uns an das Heiligthum dieser Muselmänner machen, werden sie doppelt erschrecken und schneller einlenken. Siehe, ob Du sie treffen kannst!«

»Soll schon geschehen; sie steht ja groß und breit genug da!«

Indem der Steuermann unter einem selbstgefälligen Schmunzeln diese Worte sprach, lud er sehr sorgfältig. Er machte seine Worte wahr: der erste Schuß traf, die zweite Kugel noch besser, und bei der dritten brach das Dach des Gebäudes ein. Ein lautes Wehegeschrei drang hinter den Stadtmauern heraus, und in Kurzem öffnete sich das Thor abermals. Zunächst war ein Mann zu sehen, der als Friedenszeichen einen weißen Burnus schwenkte, und dann erschien eine Sänfte, welche nach dem Ufer getragen wurde. Aus ihr stieg ein Mann, der in den Kahn des Anführers, welcher sich dorthin zurückgezogen hatte, trat, eine kleine


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Weile mit ihm sprach und sich dann, begleitet von den anderen Kähnen, herbeirudern ließ.

Er ließ in Sprechweite von dem Schiffe, welches jetzt das Feuern eingestellt hatte, halten, erhob sich, so daß seine ganze Gestalt zu sehen war, und rief:

»Warum schießt Ihr auf Allahs Haus und auf das meinige?«

»Warum schießt Ihr auf mein Schiff?« gegenfragte der Capitän.

»Weil Ihr ungläubige Empörer und Verräther seid und mir nicht gehorchen wollt.«

»Wer bist Du, daß Du es wagst, Gehorsam von uns zu fordern?«

»Ich bin der Beherrscher dieser Stadt, dem Alle gehorchen müssen, welche sich hier befinden.«

»Bist Du der Gouverneur, so komm herauf zu mir, damit ich mit Dir sprechen kann!«

»Komm herab zu mir; ich bin mehr als Du!«

»Wenn Du nicht kommst, so werden Dir meine Kugeln zeigen, wer von uns Beiden der Höhere ist, ich oder Du!«

Der Gouverneur berieth sich mit den Seinigen und antwortete dann:

»Du handelst als unser Feind, ich darf mich Dir nicht anvertrauen!«

»Ich gebe Dir mein Wort, daß Dir nichts Böses geschehen soll!«

»Und daß ich Dein Schiff wieder verlassen kann, sobald es mir gefällt?«

»Ja.«

»Schwöre es mir!«

»Ich beschwöre es!«

»So werde ich überlegen, ob ich kommen werde.«

»Ueberlege es Dir! Ich gebe Dir zwei Minuten Zeit; ist diese Frist verflossen, so beginnt bei mir das Schießen wieder.«

Der Gouverneur berieth von Neuem; der Steuermann aber hielt den Lauf eines der Geschütze nach dem Hause dieses Mannes gerichtet. Die zwei Minuten verstrichen und noch immer zeigte sich der Araber unschlüssig.

»Feuer!« befahl der Capitän.

Der Schuß krachte und abermals flog das von der Kugel zerrissene Mauerwerk nach allen Seiten auseinander. Das entschied; der Gouverneur merkte, daß mit diesen Fremden nicht zu scherzen sei, und rief eiligst:

»Halt, ich komme! Aber ich bringe meine Leute mit, um mich zu schützen.«

»Mein Schwur ist Dein Schutz,« antwortete der Capitän. »Du nur allein darfst das Schiff besteigen; auf jeden Anderen werde ich schießen lassen!«

Er hatte sich vorgenommen, seinen Willen ohne alle Nachsicht durchzusetzen. Hatten andere Nationalitäten aus Handelsrücksichten es vorgezogen, sich von diesen Muhamedanern Alles gefallen zu lassen, so wollte er dem deutschen Namen Ehre machen und den Letzteren zeigen, daß sie nicht die Kerls seien, vor denen man sich zu fürchten habe.

Der Gouverneur sah sich gezwungen, nachzugeben. Er kam an Bord, indem man ein Feld des Enternetzes entfernte und die Falltreppe niederließ.

Er musterte mit finsterem Blicke die anwesende Bemannung und als er Alles in Allem nur vierzehn Männer zählte, fragte er, ohne vorher zu grüßen:


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»Sind dies alle Deine Leute?«

»Ja.«

»Und mit diesen Wenigen wagst Du es, mir zu widerstehen?«

»Du hast gesehen und erfahren, daß ich es wagen kann. Wir sind Deutsche und ein einziger Deutscher nimmt es mit zwanzig Deiner Leute auf.«

Diese stolzen Worte waren zwar in Superlativ gesprochen, aber sie verfehlten dennoch ihre Wirkung nicht. Der Gouverneur ließ sich nach dem Hinterdeck bringen, wo er auf einem Teppich Platz nahm. Ihm gegenüber setzte sich der Capitän; rechts stand der Steuermann und links der Dolmetscher. Die Hälfte der Mannschaft stand beobachtend in der Nähe, während die Andern die feindlichen Boote zu beobachten hatten.

Der Capitän hatte es unterlassen, den bei jeder Besprechung in diesen Ländern sonst üblichen Kaffee nebst obligaten Tabakspfeifen reichen zu lassen. Man stand sich ja noch als Feind gegenüber, so daß die geringste gastfreundliche Erweisung ein Fehler gewesen wäre.

Die beiden Unterhandelnden betrachteten zunächst einander forschend. Das wettergebräunte Gesicht des Capitäns stach mit seinen ehrlichen, biederen Zügen höchst vortheilhaft gegen die schlaue Miene des Gouverneurs ab. Dieser war bereits bei Jahren, aber trotz des Anfluges von Ehrwürdigkeit, der ihm nicht abzuleugnen war, that ihm doch der Zug jener bigotten Pfiffigkeit Eintrag, welcher den Arabern der Küste eigenthümlich zu sein pflegt. Erst nach einer Weile begann er das Gespräch:

»Ich bin gekommen, Dich zur Rechenschaft zu ziehen. Du sitzest als Sünder und Verbrecher vor mir und wirst Deine Strafe erleiden.«

»Du irrst,« antwortete der Deutsche. »Ich bin es, der Dich hat kommen lassen, um Dich zur Rechenschaft zu ziehen. Du hast meinen Willen befolgt und bist gekommen; dies ist der beste Beweis, daß nicht ich der Sünder und Verbrecher bin. Von einer Strafe könnte übrigens nie die Rede sein, denn Du bist der Mann nicht, den ich als Richter über mich anerkennen würde. Um Dir aber zu zeigen, daß ich gerecht bin, werde ich geneigt sein, anzuhören, welche Ursache zu Beschwerden Du zu haben meinst.«

»Du sollst sie hören; es sind ihrer Viele. Du hast Dich geweigert, Dein Schiff durchsuchen zu lassen; Du hast meine Leute gefangen genommen; Du bist schuld, daß mir ein Fahrzeug verloren gegangen ist. Und anstatt Abbitte und Ersatz zu leisten, hast Du die Moschee und mein Haus eingeschossen. Deine Strafe wird eine sehr große sein!«

Das war eine ganz Reihe von Anschuldigungen, von deren Berechtigung der Gouverneur vielleicht selbst überzeugt war. Er besaß keine Kenntniß des herkömmlichen und verbrieften Völkerrechts. Er glaubte, den Deutschen mit seiner Anklage niedergeschmettert zu haben; dieser aber antwortete ruhig und überlegen:

»Du irrst abermals. Das Recht, ein anderes Schiff zu untersuchen, hat nur das Kriegsschiff einer anerkannten Nation. Wer hat Dein Fahrzeug anerkannt? Welcher gute Seemann wäre so dumm, es für ein Kriegsschiff zu halten? Es hat ja nicht einmal eine Flagge geführt und Du wirst wenigstens so viel wissen, daß man ein Schiff nur dann respektirt, wenn es seine Flagge zeigt.«


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»Der Anführer hat Dir aber gesagt, daß das Fahrzeug mir gehört, und daß er in meinem Namen handelte!

»Das geht mich nichts an, da ich nicht Dein Unterthan bin. Sodann habe ich drei Deiner Leute fest genommen, weil sie mich einen Hund nannten. Ich würde auch Dich niedergeschlagen haben, wenn Du dies gewagt hättest. Ich habe Euch gezeigt, daß ich Euer Meister bin und werde keine Beschimpfung dulden. Ich habe trotzdem Deinem Befehlshaber gestattet, mein Schiff in Schlepptau zu nehmen, obgleich ich wußte, daß dies die größte Albernheit war. Er selbst ist schuld, daß es niedergefahren worden ist. Ich hätte ihn ertrinken lassen sollen mit allen seinen Leuten, und doch habe ich ihn und sie gerettet. Anstatt mir dafür zu danken, hat er mich beleidigt, indem er mich einen Schurken nannte. Darum habe ich ihn festgenommen, um ihn Dir zur Bestrafung zu übergeben. Ich hielt Dich für weise und gerecht; ich hielt Dich auch für klug genug, nicht mit einem Manne anzubinden, der Dir überlegen ist. Du aber hast auf mein Schiff schießen lassen. Nun hatte ich das Recht, mich zu vertheidigen. Noch ist kein Menschenblut geflossen; aber ich sage Dir, daß ich nicht eher von hier gehen werde, als bis ich Genugthuung erlangen werde.«

Der Gouverneur sah die Sache jetzt ganz anders dargestellt, als vorhin. Er wollte das Wort ergreifen, aber der kluge Deutsche, welcher einsah, daß eine lange Verhandlung nicht zum Ziele führen werde, fiel schnell ein:

»Ich habe weder Lust noch Zeit, meine Worte zu verschwenden. Höre, was ich Dir sage: Du bestrafst Deine Leute, welche mich beleidigt haben. Du erlaubst den Einwohnern von Zeyla und Allen, die sich in und bei der Stadt befinden, mein Schiff zu besuchen und Handel mit mir zu treiben und Du giebst mir eine schriftliche Abbitte der Beleidigungen, welche mir durch die Zungen und Waffen Deiner Leute geschehen sind. Ich ziehe mich jetzt zurück und lasse Dir meinen Steuermann zurück, mit welchem Du verhandeln kannst. Ich gehe von meinen Bedingungen nicht um ein Wort zurück. Hast Du sie in Zeit einer Stunde noch nicht zugestanden, so setze ich das Bombardement von Zeyla fort und schieße Alles in Grund und Boden. Du hast gesehen, daß keine unserer Kugeln fehlt geht. Außerdem richte ich meine Geschütze auf Deine Schiffe und demolire sie. Und endlich nehme ich meine Gefangenen mit fort und lasse sie bestrafen, oder ich hänge sie an die Raae auf und einen Jeden dazu, der mir und meinem Schiffe mit der Waffe in der Hand auf Schußweite nahe kommt. Du dünkst Dich ein großer Herr zu sein; in meinem Vaterlande ist der geringste Schreiber unterrichteter, als Du. Bei uns wird jeder Fremde mit Ehrerbietung behandelt, selbst wenn er tiefer steht als wir; denn wir wollen haben, daß man uns als höfliche und gastfreundliche Leute kennen lernt. Ihr aber empfangt uns, die Euch nichts zu Leide gethan haben, mit Grobheit und Impertinenz, mit Waffen in der Hand und mit Schimpfworten. Es muß einmal Einen geben, der sich nicht einen Hund von Euch schimpfen läßt, und dieser Mann bin ich! Du weißt jetzt, was ich verlange und ich hoffe, daß Du thust, was ich von Dir fordere. Ich scherze nicht mit Euch!«

Als er ausgesprochen hatte, erhob er sich und ging nach seiner Cajüte. Vorher jedoch gab er den leisen Befehl, dem Gouverneur durch Herbeischaffung von Kugeln, aller Art von Munition und Waffen einzuschüchtern.


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Bereits nach kurzer Zeit sandte der Gouverneur einen der Matrosen zu ihm, um ihn zu milderen Forderungen zu bewegen; er gab jedoch die Antwort, daß er vor der angegebenen Zeit von einer Stunde nicht zu sprechen sei; dann aber nur durch seine Geschütze sprechen werde.

Die Stunde verging und als er auf das Schiff trat, erfuhr er von dem Steuermanne, daß der Gouverneur zu Allem bereit sei, nur nicht zur schriftlichen Abbitte.

»Gieb seinem Hause sofort noch eine Kugel!« befahl er.

Während der Steuermann sich erhob, um diesem Befehle Folge zu leisten, nahm der Capitän wie früher Platz. Der Araber ließ ihn durch seinen Dolmetscher seine Meinung zu erkennen geben, hatte aber noch nicht ausgesprochen, so fiel er ihm in bestimmtem Tone in die Rede:

»Ich habe Dir meine Forderungen gesagt; die Frist, welche ich Dir gegeben habe, ist verflossen. Deiner Person soll jetzt nichts Böses geschehen; Du darfst unangefochten das Schiff verlassen, aber da, blicke hin!«

Der Gouverneur sah sich um, und zwar gerade noch zur rechten Zeit, um den Schuß des Steuermannes aufblitzen zu sehen. Beim Krachen desselben sprang er erschrocken auf; er bemerkte die Verwüstung, welche die Kugel anrichtete, und rief:

»Halt ein! Ich werde thun, was Du verlangst!«

»Gut!« sagte der Capitän. »Hast Du die Papiere bei Dir, welche Dir der Hafenmeister von mir gebracht hat?«

»Ja.«

»Gieb sie heraus!«

Das geschah und nun fuhr der Capitän fort:

»Den Hafenzoll werde ich bezahlen, aber weiter nichts. Geschenke erhältst Du nicht, denn Du hast sie verscherzt. Ich werde Dir sofort Papier holen lassen, damit Du die Entschuldigung schreiben kannst.«

»Ich werde sie in meiner Wohnung schreiben,« warf der Mann listig ein.

»Nein, Du wirst sie hier schreiben und sogar dazufügen, daß Du mir nichts Hinderliches oder gar Schädliches in den Weg legen willst. Erweist Du Dich ehrlich, so soll keiner Deiner Vorgesetzten diese Schrift sehen; finde ich Dich aber untreu, so wird ein Jeder erfahren, was mit Dir geschehen ist. Meine Gefangenen aber liefere ich Dir erst kurz vor meiner Abreise aus; sie bleiben als Geißeln bei mir und ich werde dann bei ihrer Bestrafung zugegen sein.«

Der Gouverneur sah, daß der Steuermann wartend bei der bereits wieder geladenen Kanone stand. Er mußte einwilligen und sagte:

»Ich werde thun, was Du verlangst, aber hättest Du Dein Schiff durchsuchen lassen, obgleich ich nicht Dein Herr bin, so wäre dies Alles nicht geschehen.«

»Ich hätte Dich dadurch als meinen Herrn anerkannt. Weißt Du nicht, daß es für eine Schande gilt, sein Schiff von einem Fremden durchsuchen lassen zu müssen?«

»Man hat nur sehen wollen, ob Du die entflohenen Sclaven bei Dir hast.«

»Waren Deine Sclaven so werthvoll, daß Du Dich ihretwegen einer solchen Gefahr aussetzen konntest?«


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»Sie gehörten nicht mir.«

»Ah! Wem sonst? Der Mann, dem sie gehörten, muß Dir sehr werth sein!«

»Sie gehörten dem Sultan von Härrär!«

»Pah! So sind es doch nur werthlose Kerls gewesen!« meinte der Capitän wegwerfend.

»Nein. Es waren zwei weiße Christen und eine junge, schöne Christin, welche herrlich gewesen ist, wie die Bergesspitze in der Morgenröthe.«

Der Mann beging eine große Unvorsichtigkeit, indem er dieses ausplauderte. Der Capitän wurde aufmerksam. Weiße Christen, also Europäer! sagte er sich. Vielleicht galt es hier, ein Bubenstück zu hintertreiben, darum fragte er:

»Weißt Du, aus welchem Lande diese Leute waren?«

»Ja. Man nennt es Espania.«

Espania, also Spanien! Der Capitän fand also seine Vermuthung bestätigt.

»Und woher war die Sclavin?« fragte er weiter.

»Das weiß der Sultan nicht.«

»Welche Sprache redete sie?«

»Diejenige, welche der eine Gefangene redete. Sie haben den Sultan gebunden und seine ganze Schatzkammer ausgeraubt. Sie haben ferner seine Kameele genommen und sind mit zwei Somali entflohen, welche jedenfalls ihre Führer und Beschützer gemacht haben. Am andern Morgen haben die Diener den Sultan gefunden und von seinen Banden befreit.«

»Was hat er dann gethan?«

»Er hat sogleich eine große Menge Krieger zur Verfolgung ausgesandt.«

»Wohin?«

»Nach der Küste, denn die Flüchtlinge hatten keinen Weg, zu entkommen, als nur durch ein Schiff, welches sie zufällig an der Küste treffen konnten. Der ganze Meeresstrand ist besetzt. Der Sultan hat seinen Vezier nach Berbera geschickt, er selbst aber ist zu mir nach Zeyla gekommen. Er ist sehr mächtig; man muß thun was er will, sonst würde er sich an uns rächen.«

»Sind die mitgenommenen Schätze groß?«

»Viel Gold, schöne Kleider und Sachen und dann Edelsteine, welche viele Millionen kosten. Man kann ein ganzes Land dafür kaufen.«

»So sind sie wohl entkommen?«

»Nein. Sie haben sich zwar die besten und schnellsten Kameele geraubt und in Folge dessen die Küste eher erreicht als ihre Verfolger, doch wissen wir ganz genau, daß sich in der letzten Zeit kein einziges Schiff hat sehen lassen. Es gab einen starken Südwind, der für unsere See so gefährlich ist, daß jedes Schiff sie meiden muß, und um ganz sicher zu gehen, habe ich die meisten meiner Schiffe ausgesandt, um zu kreuzen. Sie werden die Flüchtlinge treffen, wenn diese ein Fahrzeug gefunden haben oder noch finden sollten.«

Der Capitän blickte nachdenklich vor sich nieder. Es ging ihm ein Gedanke durch den Kopf. Die beiden Männer waren Spanier gewesen, das Mädchen jedenfalls auch. Wie waren sie in die Hände des als so grausam verrufenen Sultans von Härrär gekommen? Klug, muthig, ja verwegene und umsichtige Männer waren sie jedenfalls, also wohl nicht von gewöhnlichem Stande. Sie


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befanden sich jedenfalls in einer höchst schlimmen Lage, und vielleicht war es möglich, sie aus derselben zu befreien. Als Christ und als wackerer, gutmüthiger Deutscher fühlte der Capitän die Verpflichtung, zu versuchen, ob er nicht etwas für sie thun könne. Darum fragte er in ziemlich gleichgiltigem Tone:

»Und Ihr habt gar nichts über sie erforschen können? Ihr habt gar keine Spur von ihnen gefunden?«

Das Gesicht des Gouverneurs nahm einen boshaften Ausdruck an, seine Augen blitzten heimtückisch, und im Tone wilder Befriedigung antwortete er:

»Eine Spur haben wir nicht gefunden, sondern etwas viel Besseres.«

»Was?«

»Sage erst, daß Du sie nicht bei Dir hast!«

»Nein. Ich habe gar nichts von ihnen gewußt.«

»Ist dies wahr?«

»Vollständig wahr.«

»Kannst Du es mir beschwören?«

»Ich schwöre es Dir.«

»Gut, ich will Dir Glauben schenken und Dir also sagen, daß wir einen der beiden Somali gefangen haben, welche die Flüchtlinge begleiteten.«

»Ah!«

»Ja. Ich sandte meine Krieger aus, die ganze Küstengegend zu durchforschen. In der Nähe des Elmasberges, da wo er sich zur See absenkt, fanden sie einen jungen Somali. Sie überraschten ihn, als er an einer Quelle ausruhte. Er fand keine Zeit, zu entfliehen, obgleich er ein ausgezeichnetes Kameel ritt, und er wurde gefangen, obgleich er sich wie ein Teufel vertheidigte und sogar mehrere meiner Krieger verwundete. Sie fragten ihn aus; er aber antwortete nicht. Sie brachten ihn zu mir nach Zeyla, und auch hier hat er mir noch kein Wort geantwortet.«

»So weiß er nichts von den Flüchtlingen!«

»Und doch! Der Sultan von Härrär hat ihn sogleich erkannt; er ist der jüngere der beiden Somali, welche Vater und Sohn waren. Und auch in dem Kameele hat der Sultan eins seiner Thiere erkannt. Es ist demselben das Zeichen in die Ohren geschnitten.«

»Ah! So muß man ihn so lange fragen, bis er antwortet.«

»Er spricht kein Wort. Aber morgen soll er gemartert werden, bis er redet!«

»Und wenn er lieber stirbt, als daß er spricht?«

»So wird er in die Hölle fahren, und wir wissen nicht, was wir thun sollen!«

»Ihr werdet Euch vergebens Mühe geben, denn Eure Krieger taugen nichts und Eure Schiffe noch weniger.«

»Willst Du mich beleidigen?«

»Nein. Aber Du hast gesehen, daß ich Dir und ganz Zeyla überlegen bin, obgleich wir nur vierzehn Männer sind. Wie wollt Ihr die Flüchtlinge fangen, wenn sie ein Fahrzeug gefunden haben? Habt Ihr solche Waffen und Kanonen wie ich? Habt Ihr ein solches Schiff wie ich, das so schnell segelt, daß ihm kein Flüchtling entkommen kann? Ich wiederhole es: Ihr werdet sie nicht fangen!«

Der Gouverneur blickte nachdenklich zu Boden. Die Gründe des Capitäns


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schienen ihm einzuleuchten. Er hatte ja selbst erfahren, wie klug, thatkräftig und umsichtig derselbe aufgetreten war. Darum sagte er zustimmend:

»Ja, wenn wir nur ein solches Schiff hätten, wie das Deinige!«

»Ihr habt es aber nicht!« meinte der schlaue Deutsche, ihn heimlich beobachtend.

»Oder so kluge Leute wie Du hast!«

»Ja, auf meine Männer kann man sich verlassen. Ich wollte wetten, daß ich diese Flüchtlinge fangen würde, wenn ich mich damit befassen wollte.«

»Der Sultan hat einen großen Preis auf sie gesetzt.«

»Wieviel?«

»Zwanzig starke Kameele mit Kaffee beladen.«

»Himmel! Das ist ja ein Reichthum!«

Ueber das Gesicht des Arabers lagerte sich ein Zug häßlicher Habgier, und diese nahm seine Klugheit und Vorsicht so sehr gefangen, daß er ausrief:

»Wieviel von diesem Preise verlangst Du, wenn es Dir gelingt, sie zu fangen?«

»Wer sagt Dir denn, daß ich Lust habe, mich mit ihnen abzugeben?«

»Du wirst ja den Preis mit gewinnen!«

»O, er würde ganz mein sein!«

»Aber Du würdest mir einen Theil davon geben, da ich es Dir ja erst erzählt habe!«

Da stimmte der Deutsche ein sehr gut imitirtes Lachen an und sagte:

»Bah, ich bin reicher als Du; ich brauche Deinen Kaffee gar nicht!«

»Auch nicht die Kameele?«

»Nein. Ich bin Seemann. Was sollen sie mir nützen!«

»Du kannst sie ja verkaufen!«

»Ich habe Dir bereits gesagt, daß ich reich genug bin! Aber ich würde es mir zum Spaße machen, die Entflohenen aufzusuchen.«

»Thue es, thue es!« rief der Araber, dem es gewaltig in die Augen stach, daß er den ganzen Preis bekommen sollte, ohne dabei Etwas thun zu müssen.

»Es geht nicht,« sagte der Deutsche im Tone des Bedauerns.

»Warum?«

»Ich muß hierbleiben, um meine Ladung zu verkaufen.«

»O, die hast Du in einigen Stunden verkauft, wenn ich es will.

»Ah! Das ist unmöglich!«

Der Capitän konnte so etwas nicht glauben, aber wenn es dennoch möglich war, so erwuchs ihm neben dem Erfolge in Beziehung auf die flüchtigen Spanier noch ein zweiter ungeheurer Vortheil. Darum fragte er im Tone des Zweifels:

»Wie willst Du dies anfangen?«

»Es sind vier große Karawanen da aus Abyssinien, Dankali, Efat und Gurague. Ich selbst brauche viel, die Bewohner von Zeyla auch und der Sultan von Härrär würde sehr viel kaufen, nur daß Du fahren könntest.«

»Ich denke, er ist jetzt arm geworden, weil ihm der Schatz geraubt worden ist?«

»Er hat viel Silber bei sich, welches die Spanier nicht mitgenommen haben.


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Auch hat er den Bewohnern von Härrär alles Geld genommen. Was ihnen gehört, ist sein Eigenthum, und er brauchte ja viel Gold und Silber, um die Verfolgung bezahlen zu können.«

»Und womit bezahlen die Karawanen?«

»Mit Elfenbein und Butter. In Zeyla zahlen wir jetzt mit Perlen, welche an der Küste gefischt werden. Wenn ich befehle, daß nur heute von Dir gekauft werden kann, so hast Du bereits heute Abend keine Ladung mehr.«

Das stach dem Capitän bedeutend in die Augen. Zunächst war es ja ein ganz und gar außerordentlicher Vortheil für ihn, an einem einzigen Nachmittage verkaufen zu können, anstatt Wochen oder Monate lang hier liegen oder von einem Hafen zum andern fahren zu müssen, und sodann waren ihm auch die angebotenen Tauschartikel höchst willkommen. Elfenbein und Perlen, hier so billig, hatten in Deutschland einen hohen Werth, und die Butter, welche er hier erhielt, konnte er zu guten Preisen in Ostindien losschlagen, er brauchte nur nach Calcutta zu segeln. Darum sagte er:

»Wird der Sultan zustimmen?«

»Sogleich! Du mußt nur selbst mit ihm sprechen. Ich werde Dich ihm empfehlen.«

Aber jetzt erst schien ihm der Gedanke zu kommen, den er längst schon hätte haben sollen. Er fragte nämlich mit besorgtem Tone:

»Aber Du bist ja auch ein Christ wie die Spanier! Wohnt Ihr in einem Lande?«

»Nein. Es ist ein sehr großes Reich dazwischen.«

»Aber Ihr habt eine Religion?«

»Nein, wir glauben anders als sie. Sie sind Katholiken, wir aber Protestanten.«

»Was heißt das?«

Da fiel dem Kapitän ein trefflicher Vergleich ein. Er antwortete:

»Das ist wie bei Euch die Sunniten und Schiiten.«

»Ah, da darf ich keine Sorge haben!« sagte der Gouverneur beruhigt. »Wir Sunniten hassen die Schiiten mehr als die Ungläubigen; Ihr haßt Euch auch, und so sind wir Deiner sicher. Ich werde mich sogleich aufmachen, um mit dem Sultan zu sprechen und den Befehl des Verkaufs zu geben.«

»Ja; aber vorher wirst Du die Abbitte unterschreiben.«

Das war dem Araber außerordentlich unlieb. Er sah sich gezwungen, sich selbst zu blamiren; dies behagte ihm nicht; daher fragte er:

»Willst Du mir dies nicht erlassen?«

»Jetzt nicht. Aber das will ich Dir versprechen: Wenn ich mit Dir zufrieden bin, so gebe ich Dir die Schrift zurück und will auch nicht auf die Bestrafung Deiner Diener dringen. Du siehst, daß ich es gut mit Dir meine; ich hoffe, daß ich mich nicht in Dir täusche!«

Diese Zugeständnisse erregten die Freude des Arabers in so hohem Maße, und die Hoffnung, zwanzig Ladungen Kaffee nebst den Kameelen zu erhalten, nahm ihn so sehr ein, daß er ausrief:

»Ich bin Dein Freund! Wie ist Dein Name?«


// 1366 //

»Ich heiße Wagner,« antwortete der Gefragte.

»Dieser Name ist sehr schwer auszusprechen; fast geht dabei die Zunge auseinander; aber dies soll nichts an unserer Freundschaft ändern. Willst Du nicht mit mir nach Zeyla fahren?«

»Warum?«

»Du sollst selbst mit dem Sultan von Härrär sprechen!«

Dies war eigentlich ein sehr acceptabler Vorschlag; er konnte sich dabei den Somali ansehen und ihm ein Zeichen geben. Aber wie stand es mit der persönlichen Sicherheit?

»Werde ich unbeschädigt zurückkehren können?« fragte er darum.

»Ich schwöre Dir bei Allah, bei dem Barte des Propheten und bei allen heiligen Khalifen, daß Du als freier Mann gehen und kommen darfst, und daß ich Jeden tödten lassen werde, der Dich beleidigt. Du darfst Deine Waaren ohne Furcht nach der Stadt schaffen lassen und dort verkaufen.«

»Nein, das thue ich nicht, denn es könnten nicht alle Käufer so ehrlich sein wie Du. Ich lasse die Kisten und Packete auf das Deck schaffen und öffnen, und nur immer zehn Männer dürfen das Schiff besteigen und sich die Waaren ansehen, die ich nicht im Einzelnen, sondern im Ganzen verkaufen werde. Ich werde Dir Papier senden und mich vorbereiten, mit Dir an das Land zu gehen, während Du schreibst.«

Er gab dem Steuermann die nöthigen Befehle und trat dann in seine Kajüte. Er hatte da Zweierlei zu thun. Erstens kleidete er sich um und behing sich mit einer ganzen Menge von Waffen, denn er wollte den Eindruck eines vornehmen Mannes machen. Und sodann besaß er ein arabisches Wörterbuch. Er hatte es sich angeschafft, um den Dolmetscher einigermaßen kontroliren zu können. In diesem blätterte er jetzt, indem er halblaut vor sich hinmurmelte:

»Wer doch diese Sprache verstände! Jetzt muß ich die Wörter mühsam zusammensuchen. Was heißt denn eigentlich »ich«? Ah, da steht es! Ich heißt ana. Was heißt nun »bin«? Das finde ich nicht; aber hier steht eida, das heißt »auch«. Und »Christ«, das heißt nassrani. Wenn ich also sage: »Ana eich nassrani«, so heißt das: »Ich auch ein Christ« und der Somali wird sofort denken, daß ich ihn und die Anderen retten will. Er wird dann Hoffnung haben - ah, was heißt »Hoffnung«? Hier steht es: amel. Wenn es mir möglich ist, befreie ich ihn; das kann nur des Nachts geschehen. Hm! Hier steht nossf el leel ist Mitternacht. Gut, das schreibe ich nieder, obgleich es mir schwer fallen wird, diese arabischen Buchstaben nachzumalen.«

Er nahm einen kleinen Zettel und schrieb darauf von rechts nach links: »Ana eida nassrani - amel - nossf el leel.«

»So,« brummte er dann vergnügt. »Das heißt zu Deutsch und frei übersetzt: »Ich bin auch ein Christ; habe Hoffnung; ich komme um Mitternacht!« Wenn es mir gelingt, dies dem Kerl zuzustecken, so wird er mich verstehen. Wagner, Wagner, wenn das Deine Alte daheim wußte, daß Du Dich in einen so gefährlichen Roman verstrickst, um so eine wunderschöne Sclavin zu befreien! Na, man hat ein gutes Herz, man hat einen passablen Kopf, und man hat ein paar tüchtige Fäuste; das ist die Hauptsache!«


// 1367 //

Er rollte den Zettel ganz klein zusammen, steckte ihn ein und kehrte dann auf das Deck zurück, wo der Gouverneur bereits seiner wartete.

Er ließ sich das angefertigte Schriftstück vorlesen und übersetzen; es erhielt seinen Beifall und so gab er es dem Steuermann zur einstweiligen Aufbewahrung. Dieser, welcher ihm mehr Freund als Untergebener war und sich darum auch Du mit ihm nannte, sagte im besorgten Tone zu ihm:

»Du begiebst Dich in die größte Gefahr. Wie nun, wenn man Dich gefangen nimmt!«

»Das thut man sicher nicht. Der Gouverneur hat geschworen und ein Muhamedaner bricht seinen Schwur niemals.«

»Wann kommst Du wieder?«

»Das weiß ich nicht.«

»Nun, ich denke, daß der Besuch in anderthalber Stunde gemacht sein kann.«

»Ich auch.«

»Nun wohl! Bist Du in zwei Stunden nicht zurück, so bombardire ich die Stadt.«

»Dasselbe wollte ich Dir sagen. Und bin ich heut Abend noch nicht retour, so hängst Du unsere Gefangenen auf, Einen neben den Andern.«

»Willst Du keine Begleitung mitnehmen?«

»Nein. Es heißt zwar im Orient: Je größer die Begleitung, desto vornehmer der Herr; aber die Kerls könnten wahrhaftig denken, daß ich mich fürchte. Und übrigens brauchst Du die Leute hier nöthiger als ich. Verkaufen kannst Du allerdings erst nach meiner Rückkehr, denn ich muß den Dolmetscher mitnehmen.«

Nachdem er noch einiges Andere angeordnet hatte, stieg er mit dem Gouverneur und dem Dolmetscher in das Boot.

Die Krieger des Ersteren, welche in ihren Kähnen noch immer in der Nähe hielten, wunderten sich nicht wenig, als sie den Feind, den sie hatten vernichten wollen, so ganz ohne Furcht und ohne alle schützende Begleitung mitten unter sich erblickten. Sie sagten aber nichts und folgten in ihren Fahrzeugen nach der Stadt.

Dort stand vor dem Nordthore noch der Tragsessel, in welchem der Gouverneur herbei gekommen war; er verschmähte jedoch einzusteigen, um seinen Gast nicht zu beleidigen und ging darum zu Fuße mit ihm durch die schlechten, unansehnlichen Gassen der Stadt.

Ueberall standen Leute, welche den Fremden mit finsteren Blicken betrachteten. Sie sahen an seiner reichen Kleidung, daß er der Befehlshaber des Fahrzeuges sei, welches eine ihrer sechs Moscheen zertrümmert hatte und wünschten ihn dafür zur Hölle.

Als sie das Gebäude erreichten, in welchem der Gouverneur wohnte, sah der Capitän erst deutlich, welche Wirkung seine Kugeln gehabt hatten. Nur das Erdgeschoß war gut erhalten. Sie traten in dasselbe ein und der Araber führte den Deutschen nach einem Zimmer, in welchem sich neben einigen Teppichen auch ein Ding befand, welches einem Stuhle ähnlich sah. Hier darauf mußte sich Wagner setzen.

Auf Befehl des Herrn wurden Pfeifen und Kaffee gebracht. Der Gouverneur


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schien sich zunächst dem gemächlichen Genusse dieser Dinge hingeben zu wollen, doch der Capitän warnte ihn, indem er fragte:

»Wann werde ich den Sultan sprechen können?«

Der Dolmetscher, welcher diese Frage übersetzte, saß auf einer Bastmatte und hatte auch eine Pfeife nebst Kaffee erhalten.

»Nachdem wir uns ausgeruht haben, wenn es ihm beliebt.«

»Ah, also wenn es ihm beliebt? So wünsche ich, daß es ihm recht bald beliebt, sonst könntest Du es bereuen.«

»Warum?«

»Weil meine Leute wieder auf die Stadt schießen und unsere Gefangenen aufhängen werden, wenn ich nicht bald zurückkehre.«

Das wirkte auf der Stelle. Der Gouverneur sprang erschrocken von seinem Teppich auf, blickte nach oben, ob da vielleicht bereits die Kugeln hereinplatzten und sagte:

»In Deinem Lande muß es sehr entschlossene und vorsichtige Männer geben! Gedulde Dich ein Weniges. Ich werde zum Sultan gehen und ihm von Dir erzählen.«

Er entfernte sich. Der Dolmetscher setzte seine Tasse an die Lippen, leerte sie, blickte den Deutschen mit bewunderndem Kopfschütteln an und sagte:

»So ein Mann ist mir noch nicht vorgekommen!«

»Wie dieser Gouverneur?«

»Nein, sondern wie Du.«

»Warum?«

»Weißt Du nicht, daß Du Dich in der Höhle des Löwen befindest und daß die ganze Bevölkerung von Zeyla über Deinen Tod erfreut sein würde, weil Du eines ihrer Heiligthümer geschändet hast!«

»Dieser Löwe sieht mir nicht sehr gefährlich aus!«

»Du hast es verstanden, ihn zu zähmen; aber seine Wildheit kann an jedem Augenblick erwachen. Und der Sultan von Härrär ist ein Tiger.«

»So werde ich mich in einigen Minuten in einer bedeutenden Menagerie befinden: Der Gouverneur ein Löwe, der Sultan ein Tiger und Du ein Hase!«

»Ich darf nicht über Deinen Spott zürnen, denn Du bist jetzt mein Gebieter, weil Du mich bezahlst; aber auch mein Leben befindet sich in Gefahr. Das Schicksal, welches Dich betrifft, habe ich als Dein Dolmetscher zu theilen.«

»Nun, so sei froh! Du schwebst in keinerlei Gefahr.«

Sie wurden von einem Schwarzen bedient, der ihre Tassen füllte und ihnen neue Pfeifen reichte, bis der Gouverneur zurückkehrte.

»Komm,« sagte dieser; »der Sultan erwartet Dich.«

»Was hat er beschlossen?«

»Er will Dich erst sehen.«

Der Capitän sagte sich, daß der Sultan ein sehr vorsichtiger Mann sein müsse und ebenso erkannte er, daß es jetzt darauf ankam, den vortheilhaftesten Eindruck auf ihn zu machen. Er fühlte zwar keine Furcht, aber es war doch eine Art von Beklemmung, mit welcher er jetzt dem Gouverneur folgte.

Sie traten in ein größeres Zimmer. Der hintere Theil der Diele desselben


Ende der siebenundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk