Lieferung 62

Karl May

26. Januar 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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»Ja, zum Commandanten, denn ich glaube selbst, daß Du nichts aus mir machen kannst!« antwortete Gérard.

»Hund!«

Er holte mit dem Kolben aus; da aber trat Gérard einen Schritt auf ihn zu und rief:

»Wage es, zu schlagen oder zu stoßen, so soll Dich der Teufel holen!«

»Ah, Mann, Du scheinst mir kein gewöhnlicher Vaquero zu sein!«

»Möglich!«

»Gut, wir bringen Dich zur Hauptwache, da soll es sich zeigen. Vorwärts!«

Der Marsch begann. Es war dunkel und wenn es Gérard gelang, einen Arm frei zu bekommen, so war es möglich, zu entspringen, aber er hätte seine Waffen zurücklassen müssen und diese waren ihm ans Herz gewachsen. Seine alte Doppelbüchse hatte ihn lange Jahre begleitet; sie hatte ihn ernährt und beschützt. Sollte er sie aufgeben? Nein. Der Prairiemann hält auf seine Büchse ebenso viel wie auf sich selbst. Gérard ließ sich fortführen, ohne einen Fluchtversuch zu machen. Er hoffte, daß sich schon irgend ein Ausweg finden lassen werde.

Man erreichte die Stadt. Das Hauptquartier war in dem Hause aufgeschlagen, welches wir in Deutschland Rathhaus nennen würden, und dort wohnte auch der Commandant. Er hatte die erste Etage inne, deren Fenster hell erleuchtet waren, denn es wurde dort die Tertullia abgehalten, an welcher auch Emilia hatte Theil nehmen wollen.

Gérard wurde zunächst in das Wachtlocal geführt, welches im Parterre lag. Dort saßen mehrere Unteroffiziere bei der Flasche und bei ihnen eine französische Marketenderin.

Wäre Gérard nicht von der Mannschaft zur Thür hereingestoßen worden, so wäre er auf der Schwelle stehen geblieben, und zwar vor Erstaunen, denn diese Marketenderin war keine Andere als Mignon, seine einstige Geliebte.

Also so weit war es mit ihr gekommen! Sie hatte ihn verrathen und betrogen; sie hatte ihn um sein Geld gebracht und sich an einen Vornehmen gehängt; jetzt nun war sie mit nach Mexiko gegangen, als Soldatenliebe, die ein Jeder besitzen kann!

»Habt Ihr ihn?« fragte der Corporal der Wache.

»Ja, hier,« antwortete der Sergeant.

»Wer ist er?«

»Ein Vaquero aus Chirikote, wie er sagt: mir aber scheint, daß etwas ganz Anderes in dieser Blouse steckt.«

Da stand die Marketenderin von dem Schoße dessen, bei dem sie saß, auf, faßte den Gefangenen noch einmal scharf in die Augen und rief:

»Ein Vaquero? Ein Vaquero? Laßt Euch nicht betrügen! Das ist Gérard, der Schmied aus Paris.«

»Gérard? Der Schmied? Aus Paris?« fragte es rundum.

»Ja, er war Garotteur,« antwortete sie.

»Garotteur?« sagte der Sergeant. »Alle Teufel, das soll ihm gefährlich werden. Daß er ein Pariser ist, hat er eingestanden. Wie steht es, he? Ist es wahr, was diese Mademoiselle sagt?«


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Diese letztere Frage war an Gérard gerichtet. Er hatte, seit er das Mädchen erkannt hatte, keinen Blick wieder auf sie geworfen. Jetzt antwortete er:

»Hat das, was eine Metze sagt, bei Euch Gewicht?«

»Eine Metze?« rief die Marketenderin. »Mensch, ich kratze Dir die Augen aus! Sie wollte auf ihn eindringen, aber der Sergeant hielt sie davon ab.

»Halt!« sagte er. »Wer Dich beleidigt, der beleidigt auch uns. Er soll es büßen. Vor allen Dingen muß ich dem Commandanten Meldung machen.«

Er wollte eben gehen, da erschien ein Lieutenant unter der Thür. Gérard erkannte in ihm denjenigen, den er im Walde mit dem Capitän belauscht hatte.

Was ist das für ein Lärm? Was geht hier vor?« fragte er.

Die Soldaten salutirten und der Sergeant antwortete:

»Hier ist ein Gefangener, der sich in die Stadt und dann wieder herausgeschlichen hat.«

»Ah, der, welcher vor drei Stunden gemeldet wurde?«

»Zu Befehl!«

Der Lieutenant faßte den Gefangenen scharf in das Auge und fragte:

»Wer ist er?«

»Er giebt sich für einen Vaquero aus Chiricote aus, die Marketenderin aber sagt, daß er ein Schmied aus Paris sei. Er hat sich sehr renitent gezeigt.«

»Auch noch renitent? Das verschlimmert seine Lage. Wie heißt er?«

»Gérard.«

Der Offizier trat einen Schritt zurück und sagte:

»Gérard? Kerls, wißt Ihr, wen Ihr vielleicht gefangen habt?«

Und als Aller Augen fragend auf ihn gerichtet waren, fuhr er fort:

»Dieser Mann ist vielleicht der schwarze Gérard, der uns so viel zu schaffen macht.«

»Der schwarze Gérard!« rief es rundum im Kreise.

Der Offizier aber winkte Ruhe und fragte den Gefangenen:

»Habe ich recht vermuthet? Habe ich es richtig getroffen? Antworte!«

Da regte sich ein Gefühl des Stolzes in Gérard. Sollte er eine Lüge sagen und seinen berühmten Namen verleugnen? Nein. Aber sollte er es eingestehen und damit seine Lage verschlimmern? Auch nein. Er wollte erst sehen, wie ihn der Commandant empfangen werde; darum zuckte er die Achsel und antwortete:

»Untersuchen Sie es, Lieutenant!«

»Man sagt »Herr« Lieutenant. Verstanden?« fuhr ihn der Offizier an. »Es ist übrigens ganz egal, ob Du eingestehst oder nicht; denn ich werde sogleich wissen, woran ich bin. Man sagt, die berühmte Büchse des schwarzen Gérard habe einen Kolben, der mit Gold ausgegossen und mit Blei überzogen sei, mit ihr theilt er seine stets tödlichen Hiebe aus, da der Kolben sehr schwer ist. Habt Ihr ihm diese Waffe abgenommen?«

»Ja. Hier ist sie,« sagte der Sergeant.

»Nehmt ein Messer. Das Blei ist weich. Seht, ob Gold darunter steckt!«

Jetzt sah sich Gérard verrathen. Das, was man sich von seiner Büchse erzählte, war die Wahrheit. Dieser Kolben diente ihm nicht nur als Waffe, sondern


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zugleich als Börse. Er hatte sich das Gold von jener Ader geholt und brauchte, wenn er eine plötzliche Ausgabe hatte, nur einen Schnitt in den Kolben zu thun, um bezahlen zu können. Dadurch war er bekannt geworden.

»Ah Teufel, darum also war das Gewehr so schwer!« sagte der Sergeant.

Er zog sein Messer hervor und schnitt an einer Stelle das Blei herab; sofort kam das schimmernde Gold zum Vorschein.

»Hier ist Gold, reines Gold!« rief der Unteroffizier.

»So ist er es,« meinte der Lieutenant frohlockend. »Ich selbst werde zum Commandanten gehen, um ihm diese höchst wichtige Meldung zu machen.«

Er ging. Die Zurückbleibenden betrachteten den Gefangenen jetzt mit furchtsamer Scheu. Es herrschte vollständige Stille in dem Wachtlocale, diejenige Stille, welche ein bedeutender Character so leicht hervorzubringen pflegt.

Selbst die Marketenderin schwieg. Ihr einstiger Geliebter war ein berühmter und gefürchteter Waldläufer geworden, das beschäftigte ihre Gedanken so, daß sie das Reden vergaß, obgleich sie das Wort nicht vergaß, welches er ausgesprochen hatte.

Der Lieutenant war mit raschen Schritten hinaufgegangen. Droben im Saale war eine große Anzahl Herren und Damen versammelt. Die Damen waren lauter Mexikanerinnen, die Herren aber Mexikaner und französische Offiziere.

Unter den Eingeborenen mochte es manches Herz geben, welches Juarez treu ergeben war und die fremden Eindringlinge glühend haßte; aber diese Regungen mußten hier verborgen bleiben und durften sich durch keinen Blick verrathen.

Gerade wie der Lieutenant eintrat, war eine Pause in der allgemeinen Unterhaltung eingetreten; daher kam es, daß Aller Augen sich auf ihn richteten.

Man sah es ihm ganz deutlich an, daß er irgend eine wichtige Nachricht bringe. Auch der Commandant bemerkte dies und rief ihm fragend entgegen:

»So aufgeregt, Lieutenant! Was bringen Sie?«

»Eine höchst wichtige und erfreuliche Meldung,« antwortete der Gefragte.

»Also dienstlich?«

»Zu Befehl.«

»Ist es unter vier Augen erforderlich oder nicht?«

»Ah, ich glaube, daß sämmtliche Herrschaften sich freuen werden.«

»Nun, wenn es sich nicht um ein Geheimniß handelt, so reden Sie!«

Da stellte sich der Lieutenant in dienstliche Positur, salutirte und sagte dann:

»Gebe mir die Ehre, gehorsamst zu melden, daß wir den schwarzen Gérard gefangen haben!«

Da sprang der Commandant auf, mit ihm alle Andern ohne Ausnahme.

»Den schwarzen Gérard! Ists möglich?« rief er erfreut.

»Gewiß, er ists!«

Dieses Wort brachte eine allgemeine Aufregung hervor. Die Franzosen waren ganz entzückt, diesen gefährlichen Feind in ihre Hand bekommen zu haben, während diese Nachricht die Mexikaner ganz gegentheilig berührte. War dieser berühmte Parteigänger wirklich gefangen, so hatte die Sache des Vaterlandes und des Präsidenten Juarez einen großen Verlust erlitten. Alle aber waren sie einig in der Begierde, den gefürchteten Mann zu sehen und darum lauschten sie aufmerksam


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auf die Worte, welche jetzt zwischen dem Commandanten und dem Lieutenant gewechselt wurden.

»Wo ist er?« fragte der Erstere.

»Unten im Wachtlocale,« antwortete der Letztere.

»Wo hat man ihn ergriffen?«

»Draußen bei den Vorposten; er hatte sich in die Stadt geschlichen.«

»Alle Teufel! So war es wohl jener Kerl, der mir gemeldet wurde?«

»Zum Befehl, ganz derselbe.«

»Hat er eingestanden, wer er ist?«

»Nein. Er gab sich für einen Vaquero aus Chiricote aus.«

»Wer hat ihn erkannt?«

»Eigentlich ich. Die Marketenderin erkannte in ihm einen Schmied aus Paris, Namens Gérard; dies machte mich aufmerksam, da der Mann einen dichten, schwarzen Vollbart trägt. Ich fragte ihn und er antwortete ausweichend. Da ließ ich seine Büchse untersuchen und - -«

»Ah, ja! Sie soll ja einen Kolben von gediegenem Golde haben!«

»Welches mit Blei überzogen ist. Ich ließ das Blei entfernen, und richtig kam das gediegene Gold zum Vorscheine.«

»So ist er es! Lassen Sie ihn sofort in meine Privatwohnung bringen!«

Schon wollte sich der Lieutenant entfernen, da blickten sich die Versammelten unter einander an und eine Dame, welche sich der Gunst des Commandanten rühmen mochte, wendete sich an diesen mit der Bitte:

»Monsieur, das werden Sie uns doch nicht anthun! Wir Alle brennen vor Begierde, diesen Mann zu sehen. Werden Sie so unritterlich sein, den anwesenden Damen ihre Bitte abzuschlagen?«

Er überlegte einen Augenblick. Es schmeichelte ihn, der Gesellschaft seinen Gefangenen vorführen zu können und daher gebot er:

»Gut, bringen Sie ihn hierher, Lieutenant. Bringen Sie auch seine Waffen mit. Wir müssen uns diese berühmte Büchse einmal genau ansehen.«

Der Lieutenant entfernte sich, und nach einer Pause todesstiller Erwartung trat er mit dem Jäger ein, von einem Piket bewaffneter Soldaten begleitet. Er hatte geglaubt, diese Vorsicht nicht unterlassen zu dürfen.

Alle Blicke richteten sich nach dem Gefangenen. Er war nicht in die mexicanische, theatralische Tracht gekleidet; er trug nur einen alten, blutbefleckten Anzug, aber seine Gestalt machte doch einen bedeutenden Eindruck. Besonders imponirten die furchtlosen Augen, deren Blick ruhig die Gesellschaft musterte.

Gérard fühlte sich keineswegs beängstigt. Eben als er die Wachtstube verlassen hatte, waren Reiter angekommen, welche ihre Pferde draußen angehängt hatten und dann eingetreten waren; hier oben aber hatte man des lauen Abends wegen alle Fenster geöffnet. Der Lieutenant trug die Büchse, die Revolver und das Messer des Gefangenen in den Händen.

»Tritt hierher zu mir!« gebot der Commandant.

Gérard machte keine Miene, diesem Befehle Gehorsam zu leisten.

»Hierher, habe ich gesagt!«

Der Commandant zeigte mit dem Finger auf die Stelle, an welche sich der


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Gefangene zu verfügen habe. Als aber dieser auch jetzt nicht gehorchte, gab ihm der Lieutenant einen kräftigen Stoß. Da aber drehte sich Gérard blitzschnell ihm zu, erhob das Bein und trat ihn mit dem Fuße so kraftvoll auf die Magengegend, daß er weit fortflog und auf den Boden stürzte. Die Waffen, welche er getragen hatte, flogen noch weiter fort.

»Ich werde Euch lehren, den schwarzen Gérard mit Stößen zu tractiren!«

Dieser Vorfall und diese Worte des Gefangenen brachten eine ungeheure Bestürzung hervor. Die Franzosen sahen einen ihrer Kameraden beschimpft und die Mexikaner hatten nun die Ueberzeugung, daß der kühne Mann verloren sei. Die Damen aber waren hingerissen von Bewunderung über diese Verwegenheit eines Mannes, der in Fesseln und mitten unter seinen Feinden in dieser Weise aufzutreten wagte.

Die Offiziere ließen grimmige Worte um Vergeltung hören; der Lieutenant wollte sich auf Gérard werfen, aber der Commandant gebot Ruhe.

»Beschweigen wir diesen Act der Rohheit,« sagte er; »die Strafe wird nicht lange auf sich warten lassen; ich verspreche, daß er dafür blutig gepeitscht werden soll!« Und sich an Gérard wendend, fragte er: »Ich gebot Dir näher zu treten. Warum gehorchst Du nicht?«

Der Gefragte blickte ihn finster und furchtlos an und antwortete:

»Ich bin kein Söldling in Ihren Diensten, sondern ein Savannenmann, dem Achtung gebührt. Man pflegt mich »Sie« zu nennen und ich werde nicht eher eine Antwort geben, als bis Sie diese Höflichkeit befolgen.«

Der Commandant lächelte überlegen und antwortete höhnisch:

»Ich aber pflege Menschen, welche Fußtritte austheilen, nur »Du« zu nennen.«

»Das ist mir gleichgiltig, Monsieur. Man hat die Gepflogenheiten desjenigen Landes zu befolgen, in welchem man sich befindet. Die anwesenden Sennores und Sennoritas werden mir zugeben, daß die Nation der Mexikaner eine höfliche und ritterliche ist. Ein tüchtiger Prairiemann steht an Erfahrung, Fertigkeit und Gewandtheit jedenfalls nicht tiefer, als ein Offizier; ich habe das bewiesen. Man hat mich bereits vorher mit dem Kolben bedroht und jetzt geht man zu wirklichen Stößen über; es war meine Pflicht, Ihren Lieutenant zu belehren, daß man sich in Gegenwart mexikanischer Damen besser zu benehmen hat.«

Die Blicke dieser Damen richteten sich voll Bewunderung auf den kühnen Sprecher. Die Offiziere aber ließen ein zorniges Gemurmel hören. Der Commandant winkte ihnen Schweigen und sagte zu dem Gefangenen:

»Ich könnte mit meinem »Du« ruhig fortfahren und das Beschweigen meiner Fragen als Eingeständniß nehmen: aber unsere Damen werden neugierig sein, Sie weiter sprechen zu hören und darum werde ich Ihnen das »Sie« geben, nach welchem Sie so sehnliches Verlangen tragen. Sie sind der schwarze Gérard?«

»Ja.«

»Was hatten Sie in der Stadt zu machen?«

»Einen Besuch.«

»Bei wem?«

»Das ist mein Geheimniß.«

»Zu welchem Zwecke?«


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»Zum Zwecke der Verjagung unserer Feinde.«

»Ah! Wen verstehen Sie unter diesen Feinden?«

»Die Franzosen.«

»Man muß sagen, daß Sie sehr aufrichtig sind; fast möchte ich es frech nennen. Sie nennen die Franzosen Feinde und sind doch selbst ein Franzose.«

»Ich bin ein Franzose, aber doch kein Werkzeug des kaiserlichen Blutdurstes. Ich liebe Mexiko und seine Bewohner und wage gern mein Leben, um sie von der gegenwärtigen unrechtmäßigen Regierung zu befreien.«

Der Commandant war ganz starr über diese Todesverachtung. Er sagte:

»Ich theile Ihnen mit, daß ich Sie für verrückt halte. Sie werden zu dieser sogenannten Befreiung nichts mehr thun können, denn das, was Sie jetzt gesprochen haben, reicht vollständig hin, Ihr Urtheil zu fällen. Sie werden diesen Saal nur verlassen, um sofort erschossen, vorher aber für den Fußtritt so ausgepeitscht zu werden, daß das Fleisch von den Knochen fliegt. Haben Sie etwas in Betreff Ihres letzten Willens zu sagen?«

»Jetzt nicht. Ich bitte überhaupt, es ganz mir allein zu überlassen, welcher Wille mein letzter sein soll. Ein Prairiemann pflegt in dieser Beziehung etwas selbstständig zu sein.«

»Sie sind wirklich wahnsinnig! Wo stammen Sie her?«

»Aus Paris, woher ja so vieles Verrückte kommt.«

»Höhnen Sie nicht, sonst könnte das Urtheil noch schwerer ausfallen! Haben Sie wirklich Verbindung in dieser Stadt?«

»So viele, daß es Ihnen Angst würde, wenn Sie es wüßten.«

»Man sagt, daß Sie mit Juarez befreundet seien?«

»Sehr!«

»Kennen Sie seine Pläne?«

»Seine und die Ihrigen.«

»Schneiden Sie nicht auf! Was wollen Sie von unsern Plänen wissen!«

»Alles; die Folge wird es zeigen!«

»Ich bin es satt, Ihre Großsprechereien anzuhören. Darum zu etwas Anderem. Jene Waffen sind die Ihrigen?«

»Ja.«

»Zeigen Sie her, Lieutenant!«

Der Genannte legte das Verlangte vor dem Commandanten auf die Tafel. Dieser ergriff die Büchse und untersuchte den Kolben.

»Hier ist Gold. Woher haben Sie dasselbe?«

»Ich habe eine Ader im Gebirge entdeckt.«

»Ah! Wollen Sie die Kenntniß derselben verkaufen?«

»Wozu? Ich denke, Sie haben die Absicht, allerdings nur die Absicht, mich erschießen zu lassen?«

»Gewiß! Aber man könnte den Preis an Ihre etwaigen Verwandten zahlen.«

»Ich würde Ihnen den Ort nicht nennen, selbst wenn Sie mir den zehnfachen Werth der Ader böten. Kein braver Mexikaner würde dies thun.«


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»Sie sind ein fürchterlicher Kopf! Haben Sie mit diesem Gewehre Menschen getödtet?«

»Ja. Jeder Prairiemann muß dies thun, um sich seiner Feinde zu erwehren.«

»Sie nannten vorhin auch uns Ihre Feinde. Haben Sie auch Franzosen getödtet?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Ich zähle nur Hochwild, Franzosen niemals.«

»Sie antworten wirklich nicht wie ein Sterbender. Bedenken Sie, daß Sie am Rande des Todes stehen! Wann haben Sie den letzten Franzosen getödtet?«

»Gestern früh.«

»Ah! Alle Teufel!« brauste der Commandant auf. »Sie sind nicht ein- oder zweimal, sondern zehnmal wahnsinnig. Bewiese mir diese Büchse nicht, wer Sie sind, so glaubte ich wirklich, in Ihnen einen unzurechnungsfähigen Menschen zu sehen, welchem es eingefallen ist, mit uns ein Wenig Commödie zu spielen, ohne zu bedenken, daß er dabei auch mit dem Tode spielt. Wer war der Franzose?«

»Das werden Sie bald erfahren.«

»Wo tödteten Sie ihn?«

»Das ist ihm nun gleichgiltig, wie ich glaube.«

»Donnerwetter! Bedenken Sie, vor wem Sie stehen!«

»Vor einem Manne, den ich nicht fürchte!«

»Gut, ich sehe, Sie suchen aus irgend einem Grunde den Tod. Der soll Ihnen werden, aber anders als Sie denken und auch nicht so bald, wie ich vorhin sagte. Es scheint, man kann von Ihnen viel erfahren, aber da ich nach Ihrem gegenwärtigen Verhalten voraussetze, daß Sie nicht gutwillig antworten werden, so werde ich Sie einer kleinen Tortur unterwerfen.«

»Was wollen Sie wissen?«

»Zunächst, wer Ihre hiesigen Bekannten sind.«

»Das werden Sie allerdings nicht erfahren.«

»Wir werden ja sehen!« lachte der Offizier grimmig. »Sodann werden Sie die Güte haben, mich über die Pläne Ihres Freundes Juarez zu unterrichten.«

»Pah, das ist überflüssig!«

»Wieso?«

»Weil Sie diese Pläne ganz von selbst erfahren, sobald er sie ausgeführt hat.«

Es war unmöglich zu beschreiben, welchen Eindruck das Verhalten des Jägers machte. Die Mexikaner lauschten fast athemlos auf jedes seiner Worte. Die Franzosen knirrschten vor Grimm und schämten sich, daß ihr Commandant sich in ein so unerhörtes Gespräch einließ. Dieser selbst aber fühlte bei der letzten Antwort einen solchen Zorn, daß er aufsprang und ausrief:

»Jetzt ist meine Geduld zu Ende! Ich habe hier mit Ihnen gesprochen, um sie den anwesenden Herrschaften zu zeigen; nun aber werde ich auch zu zeigen haben, wie man einen solchen Burschen zähmt. Sie werden jetzt fünfzig Hiebe erhalten, fünfzig Hiebe bis auf die Knochen, und dann wieder vorgeführt werden!«

Gérard schüttelte verächtlich den Kopf. Seine Augen funkelten, als er antwortete:


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»Ich habe Ihnen bereits vorhin bewiesen, daß ich keine Hiebe oder Stöße dulde, weil ich dadurch entehrt würde!«

»Was geht mich Ihre Ehre an! Führt ihn ab!«

»Und was mich die Ihrige!« rief Gérard. »Ich werde Ihnen zeigen, wer Schläge bekommt und seine Ehre verliert!«

Im nächsten Augenblick fuhren seine Arme aus dem Gürtel. Er riß dem Commandanten die Epauletten von der Achsel und versetzte ihm einen Faustschlag, daß der Getroffene wie ein Klotz zu Boden stürzte. In demselben Moment hatte er auch, nach seinen Waffen greifend, bereits das Messer zwischen den Zähnen, die beiden Revolver in der Tasche und seine Büchse mit umgedrehtem Kolben in der Faust. Das Alles geschah, ehe man ihn ergreifen konnte.

»Hier, schmeckt einmal mein Gold!«

Mit diesem Rufe warf er sich auf das Piket, warf mit einem einzigen, fürchterlichen Kolbenschlage die Leute auseinander und sprang dann mitten zwischen ihnen hindurch nach dem nächsten der offen stehenden Fenster.

»Gute Nacht, Sennoritas!«

Mit diesem Rufe sprang er hinab.

Die Soldaten wälzten sich an der Erde; die Offiziere und alle andern Anwesenden standen noch eine Weile wie erstarrt; dann aber brach ein Getümmel los, welches jeder Beschreibung spottet.

»Hinaus! Hinunter! Ihm nach! Schnell!«

Mit diesen Rufen stürzten die Offiziere nach der Thür und die Soldaten folgten ihnen. Kein Einziger aber hatte gewagt, den Sprung durch das Fenster nachzumachen. Nur die Mexikaner blieben zurück. Einige von ihnen traten, während sich unten vor dem Hause ein wüstes Schreien und Rufen erhob, zu dem Commandanten und untersuchten ihn.

»Das war ein Hieb! Er ist todt!« sagte Einer.

»Nein, er ist nur betäubt,« meinte ein Zweiter. »Legen wir ihn auf das Sopha!«

Einige der Damen waren in Ohnmacht gefallen; Andere standen ihnen bei, sich leise ihre bewundernden Bemerkungen mittheilend, und noch Andere eilten an das Fenster, um zu sehen, ob der verwegene Mann zu ihrer Freude entkommen, oder zu ihrer Trauer wieder festgenommen werde.

Sie brauchten keine Sorge zu haben. Gérard war ein guter Springer; er hatte den Boden glücklich erreicht und den Zügel des ihm nächsten der unten stehenden Pferde losgerissen. Mit einem raschen Satze saß er auf und ritt davon, so schnell, daß er bereits die nächste Straße erreicht hatte, ehe der erste seiner Verfolger nur an der Treppe angelangt war.

Jetzt galt es, aus der Stadt und durch die Vorposten zu entkommen. Mit dem Pferde schien ihm dies nicht schwer zu sein.

Chihuahua ist eine offene Stadt; eine Mauer hemmte ihn also nicht. Er stürmte die Straße daher. Am Ausgange derselben stand ein Posten. Ehe dieser fragen und das Gewehr vorhalten konnte, war der Reiter bereits an ihm vorbei. Aber der Posten kannte seine Pflicht. Er schoß sein Gewehr ab, um das Alarmzeichen zu geben. Laute Zurufe ertönten draußen auf dem Felde.


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»Halt! Wer da!« rief es Gérard entgegen.

Er antwortete nicht, und mehrere Schüsse blitzten hart vor ihm auf. Er bemerkte sofort, daß sein Pferd getroffen sei. Er gab ihm die Fersen. Es stürmte weiter, wurde aber bei jedem Sprunge matter. Schreien, Rufen und Schüsse hinter sich, vor sich das freie Feld, ritt er noch eine Strecke weiter. Dann zügelte er das Pferd, um wenn es im Galoppe zusammen brach, nicht mit einen unglücklichen Sturz zu thun. Es blieb taumelnd stehen; er sprang ab und eilte zu Fuße weiter.

Er kannte die Gegend genau; er konnte den Ort, an welchem er bei seiner Ankunft sein Pferd versteckt hatte, nicht verfehlen. Die Hauptsache war nur, daß man es nicht durch irgend einen Zufall entdeckt hatte.

So eilte er weiter. Er erreichte den Wald; er drang in denselben ein und fand das Thier, welches ihn durch Schnauben begrüßte. Er band es los, führte es unter den Bäumen hervor und stieg auf. Erst jetzt fühlte er sich vollständig sicher, und erst jetzt holte er tief Athem. Er warf die Büchse über die Schulter, zog die Revolver aus der Tasche, um sie in den Gürtel zu stecken, und lachte:

»Ah, das war ein Hauptstreich! Sie werden an den schwarzen Gérard denken! Nun mögen sie kommen, um mich zu fangen. Ich möchte nur wissen, was Emilia denkt, wenn sie es hört! Ich, ein zehnmal Verrückter! Ha, ich wußte sehr wohl, was ich that, obgleich ich sehr viel wagte!«

Er wandte sein Pferd nach Norden und ritt davon, erst im Trab, dann im Galopp, links die Oerter San Carlos und Principe, rechts den Conchosfluß und vor sich die schmale Grasfläche, welche zwischen dem Flusse und dem im Westen davon aufsteigenden Höhenzuge liegt.

Sein Pferd hatte sich ausgeruht und trug ihn in unverminderter Eile davon. Man glaubt gar nicht, was ein solches Pferd, im Freien geboren und halb wild stets im Freien lebend, zu leisten vermag. Der Morgen war noch nicht lange hereingebrochen, so hatte er schon eine so große Strecke zurückgelegt, daß der Ort Aqua-nueva ihm zur Linken lag.

Von jetzt an, nun da es hell geworden war, konnte er dem Grasboden, auf welchem er ritt, seine Aufmerksamkeit schenken, und so fand er bald die Spur, welche die gestern früh von Chihuahua fortgerittene Compagnie hinterlassen hatte. Sie war ganz deutlich zu erkennen.

»Dumme Menschen!« sagte er. »Da reiten sie durch Indianerland und lassen eine wahrhaft straßenbreite Fährte zurück, die noch einen Tag später in dieser Deutlichkeit zu erkennen ist. Der Anführer verdient Ohrfeigen!«

Kurz nach Mittag erblickte er eine Pferdeheerde. Er band den Lasso los, machte Jagd auf sie und hatte in Zeit von zehn Minuten ein frisches Pferd unter sich, mit welchem er den Weg weiter fortsetzte.

Am späten Abende erblickte er da, wo der Fluß nach rechts umbiegt, eine Menge hell brennender Wachtfeuer, welche die ganze Gegend erleuchteten.

»Aecht französische Leichtfertigkeit!« murmelte er. »Und das will es mit uns und den Apachen aufnehmen. Bessere Feinde können wir uns gar nicht wünschen!«

Er ritt einen weiten Bogen, um nicht bemerkt zu werden, und als der Feuer-


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schein genugsam hinter ihm lag, bog er wieder nach Osten ein, so daß er ungefähr um Mitternacht den Einfluß des Conchos in den Rio Grande erreichte. Er setzte über und befand sich nun auf dem Gebiete der Mescaleros-Apachen.

Da setzte er sich in das Gras, um sein Pferd ein Wenig ruhen zu lassen.

Dabei dachte er an sein letztes Abenteuer und an sein Zusammensein mit Emilia. Er konnte nicht umhin, dieses Mädchen mit Resedilla zu vergleichen.

»Welche von Beiden ist wohl schöner?« fragte er sich. »Ah, Beide sind gleich schön; aber Emilia ist die Schönheit im offenen Kleide des Lasters und Resedilla die Schönheit im züchtigen Gewande der Tugend; ihr gebührt der Vorzug. Diese Raffinerie der Kleidung bei Emilia kann selbst einen ernsten Mann berücken, während ich Resedilla nur für ein hübsches, nicht aber für ein schönes Mädchen gehalten hätte, wenn ich nicht an jenem Abende bei ihr gewesen wäre. Das war am Montag. Am fünften Tage darauf sollten die Franzosen eintreffen, das ist Sonnabend.

Morgen Abend, also Freitag, werde ich Fort Guadeloupe erreichen. Es bleibt mir also eine volle Nacht, um mich nach diesem fürchterlichen Ritte auszuruhen. Wo werde ich das thun? Ah, wo anders als bei Vater Pirnero. Da erhält man ein Bett, und das ist doch etwas Anderes, als der harte Waldboden, nachdem man volle vier Tage und vier Nächte auf ungesattelten Pferden gesessen hat.« - -

Am Spätnachmittage des Freitags saß der alte Pirnero an seinem Fenster und blickte hinaus auf die Gasse. Ein dichter, strömender Regen ging herab, Grund genug, einen Menschen in üble Laune zu versetzen. Und diese hatte der Händler und Schänkwirth in hohem Grade; um ihr freien Lauf zu lassen, lauerte er nur auf seine Tochter, welche hinausgegangen war, um ihm einen Krug Maisbier, welches er selbst braute, zu holen.

Da kam sie herein, setzte ihm den Krug hin und begab sich dann an ihren gewohnten Platz, wo sie sich mit irgend einer Nadelarbeit zu beschäftigen pflegte.

Der Alte that einen tüchtigen Zug, setzte den Krug langsam fort und sagte:

»Miserabler Regen!«

Wie gewöhnlich antwortete die Tochter nicht. Darum fuhr er bald fort:

»Grad wie zum Ersaufen!«

Als auch jetzt keine Antwort erfolgte, wandte er sich ihr zu und fragte zornig:

»Wie? Sagtest Du Etwas? Habe ich etwa nicht recht?«

»O ja,« antwortete sie kurz.

»Grad wie zum Ersaufen! Nicht wahr?«

»Ja.«

»Wenn ich nun draußen wäre und ersaufen müßte, da würdest Du Dir wohl nicht viel daraus machen, he?«

»Aber, Vater!« rief sie.

»Was denn? Ist so Etwas etwa nicht möglich? Ich setze also den Fall, daß ich ertrinke, dann sitzest Du da. Was fängst Du an, he? Etwa die Wirthschaft fortführen? Ohne Mann? Das kann unmöglich gehen!«

Der Gedankengang des Vaters war ein zu komischer; sie mußte lachen und sagte:


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»Du wirst doch nicht hinausgehen und ertrinken, extra nur um mir zu zeigen, daß ich einen Mann brauche?«

»Warum nicht? Ich bin es ganz und gar im Stande! Ein guter Vater muß Alles thun, um sein Kind zu Verstand zu bringen.«

»Haben das Deine Eltern auch gethan?«

»Jawohl, freilich! Mein Vater sowohl, als auch mein Großvater.«

»Sie sind ertrunken?«

»Unsinn! Mädchen, ich glaube gar, Du willst mich foppen! Sie sind Beide in der Ausübung ihres Berufes gestorben.«

»O, davon hast Du noch gar nicht gesprochen.«

»Weil ich überhaupt nicht gern vom Tode rede, denn wenn ich sterbe, so bist Du ein armer, lediger Wurm, der mich noch im Grabe jammert. Was meinen Vater betrifft - hm, Du weißt doch noch, was er gewesen ist?«

»Freilich!«

»Was denn?«

»Schornsteinfeger.«

»Gut; so Etwas darf man nicht vergessen, denn ein Stammbaum ist nothwendig, um zu wissen, was es für eine Verwandtniß hat mit der Abstammung vom Vater auf die Tochter hinüber. Also mein Vater war Schornsteinfeger. Das ist ein durstiges Amt, besonders zur Zeit des Vogelschießens. Er geht also auf die Vogelwiese, denn er war Montags beim Exerzieren Schützenfeldwebel, das ist die Mutter der Compagnie. Dort hat er ein Wenig das getrunken, was wir hier Julep nennen und als er spät nach Hause kommt, legt er sich mit der Schützenuniform ins Bett. Hörst Du mich?«

»Ja, Vater.«

»Das will ich Dir auch gerathen haben! So eine Uniform ist eng und davon kommen schlechte Träume. Es träumt also meinem Vater, daß er geholt wird, eine Esse zu kehren. Er steht auf und geht hinaus in die Küche, halb im Traume und halb im Julep. Er steigt auf den Herd und kriecht in die Esse hinauf. Wir hatten vorher geschlachtet und die Würste hinaufgehängt; also er kommt nicht weit hinauf, denn er stößt an die Würste. Er merkt trotz des Traumes und trotz des Julep, daß es da oben eng wird, aber er weiß nicht genau, was ihm zu eng wird, die Uniform oder die Esse. Wer gehörig Julep trinkt, der kann sehr leicht eine Schützenuniform und eine Feueresse mit einander verwechseln und der Wirth hat auch etwas daran verdient. Hörst Du mich noch?«

»Freilich! Ich sitze ja hier!«

»Gut! Also die Esse wird zwar eng von wegen der Würste; aber in seinem Pflichtgefühl schiebt er sich immer höher hinauf. Jetzt kommt er mit dem Kopfe zwischen die Haken und Stäbe hindurch, aber die Schultern können nicht mit.

Er will zurück und spießt sich so einen Haken gerade in die Kehle. Er will nach der Gurgel greifen, um sich los zu machen und läßt also hüben und drüben los. Dadurch verliert er den Halt; der Körper zieht sich hinab und der Haken spießt sich immer tiefer ein. Am Morgen sehen wir, daß der Vater fehlt. Wir suchen ihn lange vergebens und finden ihn endlich in der Küchenesse. Er hing mitten unter den Würsten. Ist das nicht ehrlich in der Ausübung des Berufes gestorben?«


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Die Tochter antwortete nicht. Das, was sie gehört hatte, widerstrebte ihrem Gemüthe.

»Nun?« fragte er ärgerlich.

»Ja.«

»Na endlich! Du hast wohl erst darüber nachdenken müssen, ob ein Schornsteinfeger in der Esse sterben darf? Und was den Großvater betrifft, so ist auch dieser in der Ausübung seines Berufes gestorben. Du weiß doch noch, was er war?«

»Gewiß.«

»Was denn?«

»Er handelte.«

»Womit?

»Mit Meerrettig.«

»Gut, also Meerrettighändler. Das ist nicht etwa etwas Gewöhnliches! Bei uns in Pirna ist nämlich der Meerrettig der Anfang zu einem Besitzthume in Mexiko; das hat meine Familie bewiesen. Hörst Du mich?«

»Ja.«

»Das will ich wissen! Also mein Großvater baute Meerrettig selbst im Garten und dabei hatte er ein tiefes Wasserfaß in die Erde gegraben. Der Meerrettig schmeckt zu Fleisch und Wurst, gekocht und gerieben, auf alle mögliche Weise; darum giebt es Leute, welche ihn gern essen, auch wenn sie ihn nicht zu bezahlen brauchen. So war es auch bei uns. Oft stiegen des Nachts solche Kerls über den Zaun, um sich eine Portion zu holen; darum wachte mein Großvater zuweilen. Das Wachen aber strengt an und nichts stärkt dann so rasch den Körper wieder, als das, was man hier Julep nennt. Darum trank mein Großvater gern ein Glas oder zwanzig, besonders wenn es Kirchweih war. Ich war damals noch ein kleiner Junge und lag noch nicht zu Bett, sondern auf dem Canapee, denn die Eltern waren auf den Kirchweihball gegangen und der Großvater mit. Am späten Abend kam der Großvater nach Hause und will wegen dem Julep den Stiefelknecht anbrennen, anstatt die Lampe. Endlich aber bringt er doch Licht. Er schießt ein Wenig hin und her, denn er hatte das europäische Gleichgewicht verloren; aber plötzlich bleibt er stehen und horcht. Draußen im Garten hatte es einen Knax gethan.«

»Hast Du es gehört, Junge?« fragte er mich.

»Ja,« sage ich.

»Das sind meine Meerrettigspitzbuben. Komm mit; die fangen wir!«

»Er zieht mich vom Canapee herunter und ich muß also mit. Er hält den Brotschrank draußen für die Hinterthür und will partout hinein; ich bringe ihn aber doch noch auf den richtigen Weg. So kommen wir hinaus in den Garten. Da horcht er, aber es ist Niemand zu sehen.

»Warte nur, die kommen wieder!« sagte er. »Du bist klein, Dich sehen sie nicht; ich aber muß mich verstecken. Wohin denn aber? Oh, da hinein in das Wasserfaß. Paß gut auf, Junge, und wenn sie kommen, da rufst Du mich!«

»Ich setze mich also neben das Faß, welches ganz voll Wasser war, und er steigt hinein. Er hat kaum die Beine drin, so ist er ganz hinunter. Ich habe


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ganz gewaltige Freude darüber, daß er sich so gut versteckt hat, denn nicht einmal der Kopf war zu sehen und nun warte ich. Hörst Du mich?«

»Ja, leider!« antwortete Resedilla unter einem leichten Husten.

»Gut! Nach längerer Zeit höre ich Leute, welche am Zaune herkommen; ich rufe also den Großvater, so laut ich kann. Wer aber ists? Der Vater und die Mutter. Sie hören mich rufen und kommen zur Pforte herein.

»Was machst Du denn im Garten da?« fragte der Vater.

»Wir fangen Spitzbuben,« sagte ich.

»Wo ist denn der Großvater?«

»Er hat sich versteckt.«

»Wohin denn? »Hier ins Wasserfaß.«

»Ich konnte gar nicht begreifen, warum die Eltern so jammerten; als sie ihn aber herausbrachten, habe ich selber mit geweint, denn er war mitten in seinem Berufe gestorben, und das - - ah, wer kommt da? Draußen ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen; ein Reiter kam durch den Regen herangesprengt und hielt vor der Thür.

»Ah!« sagte der Alte. »Der Zerlumpte, der Spion! Heut gehe ich seinetwegen nicht hinaus und wenn er mir zehnmal meine Diplomatie anmerkt. Bei solchem Wetter bleibt man in der Stube.«

Der Neuangekommene war wirklich Gérard. Resedilla war erröthet, sobald sie seiner ansichtig geworden war. Er schaffte, da es regnete, das Pferd erst in den Stall und trat dann herein. Der alte Pirnero erwiederte kaum seinen Gruß, aber die Tochter nickte ihm freundlich zu. Er bestellte sich ein Glas Julep, welches Resedilla ihm holte, und setzte sich nieder.

Längere Zeit blieb es still in der Stube. Der Alte trommelte an der Fensterscheibe. Der Gast war ihm unangenehm, weil er ihn für einen Spion hielt. Endlich trieb ihn die gewohnte Lust zum Sprechen doch zu einem Anfange.

»Fürchterlicher Regen!« sagte er.

»Allerdings,« antwortete Gérard.

»Ganz zum Ersaufen!«

»So ganz schlimm doch nicht!«

»Was, nicht zum Ersaufen? Ihr seid anderer Meinung wie ich?« Er wendete sich zurück, um den Gast zornig anzusehen, denn er dachte heut schon nicht mehr an das diplomatische Lächeln. Da sah er, daß das Wasser aus den durchnäßten Kleidern des Jägers auf den Boden lief. »Nicht zum Ersaufen, sagt Ihr? Seht nur nieder! Wenn noch zwei solche Gäste kommen, so ertrinken wir Alle!«

Gérard bemerkte die Wasserlache und entschuldigte sich:

»Verzeiht, Sennor Pirnero! Ich konnte doch nicht draußen bleiben!«

»Wer verlangt das? Aber Ihr konntet in trockenen Kleidern kommen. Habt Ihr denn keine Frau, die Euch darauf aufmerksam macht?«

»Nein.«

»Nicht? Ja, das habt Ihr nun davon! Andern Leuten macht Ihr die Stube naß! Der Mensch muß heirathen! Habe ich Recht oder nicht?«

»Ich stimme Euch sehr gern bei.«


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»Sehr gern? Da sehe ich, daß Ihr Verstand habt, obgleich Ihr kein so berühmter Jäger seid, wie der schwarze Gérard. Möchte ihn nur einmal sehen!«

Der Jäger lächelte leise vor sich hin und sagte:

»Da hättet Ihr kürzlich in Chihuahua sein sollen.«

»Warum?«

»Dort ist er gewesen.«

»Das macht Ihr mir nicht weiß!«

»Ihr glaubt es nicht?«

»Nein, denn dort sind jetzt die Franzosen.«

»Grad wegen den Franzosen ist er dort gewesen; ich habe es genau gehört.«

»Was wollte er bei ihnen, he?«

»Ihre Pläne entdecken.«

»Also sie ausspioniren? Unsinn! Da glaube ich viel eher, daß die Franzosen zu uns kommen, um die Spione zu machen; das sieht ihnen ähnlich.«

Er warf dabei einen grimmigen Blick auf den Gast; dieser jedoch ließ sich nicht irre machen und fuhr weiter fort:

»Und dennoch war er dort, aber sie haben ihn gefangen genommen.«

»Donnerwetter! Ists wahr?«

»Ja,« antwortete Gérard mit einem leichten, zufriedenen Lächeln.

Es freute ihn herzlich, daß der Alte so gut auf den schwarzen Gérard zu sprechen war. Dieser aber hatte das Lächeln bemerkt und fragte mit finsterem Gesichte:

»Darüber freut Ihr Euch wohl?«

»Ja.«

»Hab mirs gedacht. Ihr seid doch wohl auch ein Franzose?«

»Allerdings, obgleich ich es nicht billige, daß der Kaiser sein Militair nach Mexiko schickt.«

»Wie? Was? Ihr billigt es nicht?«

»Nein.«

Bei dieser Antwort vergaß der Alte ganz und gar seine große politische Begabung. Er fuhr vom Stuhle empor, schritt nahe an den Gast heran und rief:

»Und Ihr denkt wirklich, ich soll das glauben?«

»Natürlich!«

»Ich glaube nur Eins, nämlich daß Ihr selbst so ein französischer Spion seid, der zu uns kommt, um uns auszuhorchen. Ihr thut, als ob Ihr auf Euern Kaiser nicht gut zu sprechen wärt; aber ich bin nicht so dumm, wie Ihr denkt; ich kenne den Finkenfang bei Maxen ganz genau; ich durchschaue Euch, denn Ihr habt Euch verrathen.«

Resedilla war erbleicht; es wurde ihr angst. Gérard aber fragte ruhig:

»Wodurch habe ich mich denn verrathen?«

»Dadurch, daß Ihr Euch darüber freut, daß die Franzosen den schwarzen Gérard gefangen genommen haben.«

»Aber er hat sich ja selbst darüber gefreut!«

»Er selbst? Seid Ihr toll!«

»Nein, aber ich versichere Euch, daß er sich wirklich gefreut hat.«


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»Warum denn?«

»Weil ihm dabei die Gelegenheit geboten wurde, den Franzosen eine Nase zu drehen.«

»Hat er es denn gethan?«

»Das versteht sich!«

»Aber wie denn?«

»Er ist ihnen sofort wieder entflohen.«

»Ah! Wirklich?«

»Wirklich!«

»Das ist mir zu abenteuerlich! Seid doch so gut und erzählt es mir einmal!«

»Herzlich gern, Sennor Pirnero.«

Gérard erzählte nun sein Abenteuer ganz so, wie er es erlebt hatte, doch ohne sich merken zu lassen, daß er selbst der Held desselben sei. Auch hütete er sich aus nahe liegenden Gründen sehr wohl, sein Beisammensein mit Emilia zu erwähnen. Pirnero hörte ihm mit vollem, ungetheilten Interesse zu.

»Ja,« rief er am Schlusse begeistert aus, »den schwarzen Gérard halten sie nicht fest; das ist ein Teufelskerl! Also er hat ihnen so die Wahrheit gesagt?«

»Ja.«

»Ganz so, wie Ihr es mir erzählt habt?«

»Ganz genau so.«

»Und darüber freut Ihr Euch selber?«

»Gewiß! Ich bin zwar ein geborener Franzose, aber ich liebe Mexiko und werde für immer in Mexiko bleiben. Darum hasse ich Napoleon, der dieses schöne Land mit Blut überschwemmt, und werde mein Möglichstes thun, um ihn mit hinauszujagen.«

»Ihr?« fragte der Alte mit eigenthümlicher Betonung.

»Ja, ich!«

»Das laßt bleiben! Ihr könnt gar nichts thun. Dazu gehören solche Kerls, wie der schwarze Gérard einer ist. Ich habe ihm viel zu verdanken, denn er hat die Wege von allerlei Volk gesäubert. Wißt Ihr vielleicht, ob er schon verheirathet ist?«

»So viel ich weiß, ist er noch ledig.«

»Hm, das ist ein guter Zug von ihm, der mir sehr gefällt. Aber das darf nicht länger so fortgehen. So ein Mann muß eine Frau haben, eine Frau, die ihm ein Besitzthum bringt. Dann hat er eine Heimath, und das ist sehr viel werth, wenn Einem der Wind auch einmal die Dachhölzer herunter wirft. Wißt Ihr vielleicht, in welcher Gegend er am liebsten jagt?«

»Ueberall da, wo ein Wild zu treffen ist; ich habe jedoch erfahren, daß er in nächster Zeit hier am Flusse zu thun haben wird.«

»Hier am Flusse? Donnerwetter! Vielleicht auch in Fort Guadeloupe selbst?«

»Jedenfalls.«

»Das freut mich unendlich. Trinkt er gern Julep?«

»Höchstens ein Gläschen.«

»Ob viel oder wenig, das ist egal. Wer in Fort Guadeloupe Julep trinken will, der muß bei mir einkehren, und so denke ich, daß ich ihn zu sehen bekomme.«


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»Ich bin überzeugt, daß er zu Euch kommen wird.«

»Wirklich? Hörst Du es, Resedilla?«

Sie antwortete nicht. Sie befand sich sehr in Verlegenheit. Die Manie ihres Vaters, vom Heirathen zu sprechen, war ihr in Gegenwart grad dieses Gastes höchst fatal.

»Nun, hast Du es nicht gehört?« fragte der Alte zornig.

»Ja,« antwortete sie.

»Gut! Und was das Beste ist, ich werde ihn sofort erkennen.«

»Woran?« fragte Gérard.

»An seiner Büchse.«

»Ah! Wieso?«

»Ihr Kolben ist von lauter gediegenem Golde, von dem er herunterschneidet, wenn er etwas zu bezahlen hat. Das muß eine Büchse sein! Ein ganz anderes Ding als der alte Schießprügel, den Ihr da neben Euch lehnen habt. Aber sagt, wo seid denn eigentlich Ihr zu Hause, he?«

»Ueberall und nirgends.«

»Das heißt, Ihr habt keinen festen Wohnort?«

»Ja, so meine ich es.«

»Aber Ihr müßt doch ein Haus oder wenigstens eine Hütte haben, in welcher Ihr wenigstens des Winters wohnen könnt!«

»Die baue ich mir.«

»Wo denn? »Da, wo ich mich gerade befinde, wenn ich eingeschneit werde. Man jagt im Sommer und Herbst; im Winter bereitet man die Felle zu und im Frühjahre bringt man sie in die Forts oder Städte zu Markte.«

»Das weiß ich wohl; aber ich danke für ein solches Leben! Nehmt Euch eine Frau, daß Ihr einen festen Platz bekommt! Ihr seid zwar ein Franzose, aber Ihr gebt auf diesen Napoleon nichts, da findet Ihr überall eine Frau, eine Indianerin oder sonst ein armes, fleißiges Mädchen. Nach einer reichen werdet Ihr Euch freilich die Finger vergeblich 1ecken, denn Ihr habt ja selbst nicht einmal eine ordentliche Jacke. Wo werdet Ihr denn heute bei diesem Regenwetter schlafen?«

»Hier!«

Der Alte zog ein langes Gesicht; er sah den Gast mißtrauisch an und sagte:

»Hier bei mir?«

»Ja.«

»Hm, hm! An Nachtgästen liegt mir gar nicht mehr viel!«

»Warum?«

»Da ist vor vier Tagen einer dageblieben, der sich für einen reichen Goldsucher ausgegeben hat. Dieser Kerl ist mir des Nachts durchs Fenster gesprungen und fortgeritten sammt der Bezahlung.«

»Und da denkt Ihr, daß ich es ebenso machen könnte, wie dieser Mann?«

»Das will ich nicht sagen; aber habt Ihr denn eigentlich Geld? Ihr trinkt stets nur ein einziges Glas Julep. Das ist kein Zeichen eines großen Reichthums!«

»Vater!« wagte die Tochter im bittenden Tone zu sagen.

»Was denn?« fragte dieser. »Ja, Du hast ein mitleidiges Herz; aber ich


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gehe lieber sicher. Wenn dieser Sennor das Lager vorher bezahlt, kann er bei mir bleiben.«

»Ich werde es vorher bezahlen. Was kostet es?« fragte Gérard lächelnd.

»Einen Quartillo.«

Ein Quartillo beträgt ungefähr sechzehn Pfennige deutsches Geld.

»Einen Quartillo nur?« fragte der Jäger erstaunt.

»Ja, denn Ihr werdet doch auf Stroh liegen.«

»Warum? Ich werde ja das Bett bezahlen.«

»Das geht nicht. Seht Euch nur einmal an!«

Resedilla erröthete bis hinter die Ohren, aber sie wagte keine Bemerkung.

»Gut,« sagte Gérard. »Hier ist der Quartillo für das Lager und hier auch der Tlaco für den Julep. Seid Ihr nun zufrieden, Sennor Pirnero?«

»Ja.«

Ein Tlaco ist ungefähr acht Pfennige, also die Hälfte eines Quartillo.

»Da das nun in Ordnung ist,« sagte Gérard, »möchte ich Euch bitten, schlafen gehen zu dürfen.«

»Schlafen gehen? Schon jetzt? Bei hellem Tage? Seid Ihr gescheidt oder nicht?«

»Ich halte mich weder für sehr gescheidt, noch sehr dumm, aber ich bin sehr müde. Ihr werdet jedenfalls einsehen, daß dies bei einem Jäger vorkommen kann.«

»Ja, wenigstens bei einem guten. Was aber habt denn Ihr heute geschossen?«

»Noch nichts.«

»Na, da habt Ihrs! Aber ich will Euch nicht halten; geht in Gottes Namen und schlaft, so lange Ihr wollt. Resedilla, führe den Sennor zu den Vaqueros!«

Zu den Vaqueros? Also im Nebengebäude sollte er schlafen. Das war übrigens dem Jäger sehr gleichgiltig, obgleich er sich gefreut hatte, nach langen Monaten einmal in einem wirklichen Bette gehörig auszuruhen.

Resedilla erhob sich und wartete an der Thür, daß er ihr folgen solle.

»Gute Nacht, Sennor Pirnero!« sagte er, seine Büchse ergreifend.

»Gute Nacht, Sennor!« antwortete der Alte und setzte sich dabei wieder an das Fenster, um seine langweilige Wetterbeobachtungen fortzusetzen.

Draußen an der Thür blieb Resedilla bei Gérard stehen.

»Verzeiht meinem Vater!« bat sie. »Er ist zuweilen eigenthümlich, aber doch sehr gut.«

»Ich habe nichts zu verzeihen, Sennorita,« antwortete er. »Er kann seine Gäste hinweisen, wohin es ihm beliebt. Ich werde auch auf dem Stroh gut schlafen, denn ich bin in vier Tagen eine Strecke von zweihundert Leguas geritten.«

Sie schlug erstaunt die Hände zusammen.

»Zweihundert Leguas!« sagte sie. »Wie ist das möglich?«

»Ich habe acht Pferde dazu gebraucht und bin nicht von ihrem Rücken gekommen.«

»So habt Ihr während dieser Zeit gar nicht geschlafen?«

»Nein.«

»O, da ist es ja ein Wunder, daß Ihr nicht umfallt. Kommt schnell!«


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»Bleibt hier, Sennorita! Es regnet draußen und Ihr werdet naß. Ich werde schon die Vaqueros zu finden wissen.«

»Ah, glaubt Ihr wirklich, daß ich Euch auf Stroh schlafen lasse? In diesen nassen Kleidern? Nein, kommt, geht nur mit mir! Sie stieg die Treppe empor und er folgte ihr. Daneben schloß sie eine Thür auf und ließ ihn eintreten. Er sah ein Zimmer mit einer beinahe vornehmen Einrichtung.

»Aber das ist ja kein Schlafzimmer für Fremde!« sagte er erstaunt.

»Eigentlich nicht,« lächelte sie vergnügt. »Hier wohnen nur die Verwandten von uns, wenn sie uns besuchen. Hier hat auch meine gute Cousine Emma Arbellez von der Hazienda del Erina gewohnt, als sie zum letzten Male bei uns war. Ich war damals noch ein Kind. Seitdem ist sie verschwunden. Setzt Euch einstweilen nieder. Habt Ihr Hunger?«

»Nein, aber ich bin sehr müde.«

Sie ging noch einmal fort und er setzte sich. Er in seinem Anzuge paßte in Wahrheit nicht in diesen hübschen Raum, doch er setzte sich in einen der Polstersessel. Es vergingen einige Minuten. Die Müdigkeit schloß ihm die Augen. Als Resedilla zurückkehrte, war er wirklich eingeschlafen. Sie setzte den Leuchter mit dem Lichte auf den Tisch, goß Wasser in das Becken und betrachtete ihn dann mitleidig.

»Der Arme!« lispelte sie. »Wie müde muß er sein; so schnell einzuschlafen. Aber da ist seine Büchse, ich muß mich überzeugen.«

Sie ergriff leise das Gewehr, um es emporzuheben. Es war sehr schwer. Sie sah sich den Kolben genau an und ihr Blick erreichte auch die Stelle, an welcher der Sergeant das Blei hinweggeschnitten hatte.

"Gold, wirkliches Gold!" flüsterte sie.

»Gold, wirkliches Gold!« flüsterte sie. »So ist er es also, meine Ahnung hat mich also nicht getäuscht! O, wie mich das freut, wie mich das freut! Aber da er selbst nicht davon spricht, werde auch ich schweigen und so thun, als ob ich es gar nicht ahne.«

Sie stellte das Gewehr wieder hin und berührte ihn leise, um ihn zu wecken.

»Resedilla,« lispelte er, ohne zu erwachen.

Sie erröthete, berührte ihn dann aber stärker, so daß er erwachen mußte.

»Ah, ich schlief ein! Verzeiht es mir, Sennora!« bat er.

»Ihr habt nicht um Verzeihung zu bitten. Ich wünsche Euch eine recht gute und lange Ruhe. Gute Nacht, Sennor Gérard.«

»Gute Nacht, Sennorita!«

Sie ging, ohne, wie er eigentlich erwartet hatte, ihn zu fragen, was er mit dem französischen Capitän gethan habe. Die Fürsorge, welche sie ihm gezeigt hatte, that ihm unendlich wohl. Obgleich er außerordentlich ermüdet war, lag er noch einige Zeit, zwar mit geschlossenen Augen, aber doch wachend auf dem Lager. Ihr liebes, freundliches Bild beschäftigte ihn. Er verglich es mit demjenigen der einstigen Geliebten in Paris, die er so unerwartet als Marketenderin in Chihuahua wiedergefunden hatte. Welch ein Unterschied! Die Eine tief in Sünde und Schande, die Andere so rein, so keusch und heilig. Die Eine entblößt von aller wohlthuenden Weiblichkeit, herabgesunken auf die tiefste Stufe, welche es geben kann und die


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Andere umgeben und umduftet von jenem Hauche der Unbeflecktheit, der frommen, unberührten Anmuth, ohne welche ein Glück eine wahre Unmöglichkeit ist.

Dieses reine, süße Bild stand vor seinem geschlossenen Auge; es nahm mit unwiderstehlicher Gewalt Platz in seinem Herzen; es dehnte sich aus, es gewann immer mehr an Dimension und es war ihm, als ob sein Leib und seine Seele ganz und gar erfüllt seien von diesem Wesen, so daß kein Plätzchen, nicht der kleinste Punkt übrig bleibe für einen anderen Gedanken oder für ein anderes Fühlen. Und als der Schlummer leise über ihn kam, ging dieses Denken und Fühlen mit in seinen Traum hinüber. Er träumte, daß eine tiefe, traurige Nacht ihn umfangen habe; aber im Osten wurde es licht; die Nebel wichen mit der Finsterniß und strahlend wie die Sonne, von welcher Licht, Wärme und Leben ausgeht, erhob sich das Bild der Geliebten über dem bisher dunklen Horizonte. Ein unendliches Entzücken erfaßte ihn, er breitete seine Arme aus; er sank anbetend nieder und die himmlische Erscheinung schwebte mit mildem Lächeln auf ihn zu und sank an seine Brust. Diese Berührung durchzuckte ihn mit himmlischer Wonne und Seligkeit; es war ihm, als sei er nun gereinigt von allen Sünden und Fehlern seines früheren Lebens, als sei er gefeit und geschützt gegen alle zukünftige Gefahr. Er fühlte sich im Himmel, mitten unter den Seligen; sein ganzes Wesen war ein Dank, ein Lob, ein einziges, großes Preisen und Jubiliren.

Während ihn dieser wonnevolle Traum umfing, saß Resedilla wieder unten bei ihrem Vater, welcher wie gewöhnlich das Wetter beobachtete.

Sie dachte an den Schläfer da oben, an seine Büchse und an die Entdeckung, welche sie mit Hilfe der Letzteren gemacht hatte. Ihr Athem ging tief und langsam; ihr Busen schwoll unter einem Gefühle, von welchem sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte; sie wußte nur, daß es ein unendlich süßes und verlangendes sei. In dieses Denken und Sinnen erscholl die Stimme ihres Vaters:

»Verdammtes Wetter! Sie schwieg; darum fuhr er nach einer kleinen Weile fort:

»Hast Du es gehört?«

»Ja,« antwortete sie.

»Was denn?«

»Schlechtes Wetter.«

»Gut! Habe ich etwa nicht recht?«

»Sehr, lieber Vater.«

»Na also! Draußen miserabel und hier in der Stube noch miserabler.«

»Wieso?«

»Wieso?« fragte er unmuthig. »Das willst Du noch extra wissen? Nun hört Alles auf! Was sieht man denn, wenn man da hinausblickt, he? Und was sieht man, wenn man im Zimmer umherschaut? Dich, Dich, immer wieder nur Dich, die Stühle und Bänke, die alten Gläser und Flaschen, sonst aber weiter nichts!«

»Ja, aber was willst Du denn sonst noch hier sehen?«

Diese Frage war jedenfalls eine sehr unvorsichtige; sie war sehr unbedachtsam ausgesprochen, denn der Alte lauerte nur, wie er von Neuem auf sein Lieblingsthema kommen könne; das sah sie zu spät ein, denn er antwortete sogleich:


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»Was ich hier noch sehen will? Donnerwetter, was denn anders als einen Schwiegersohn! Der fehlt mir, der allein. Siehst Du das denn nicht ein?«

»Ist er Dir denn gar so sehr nothwendig?« fragte sie lächelnd. »Mir nicht, aber Dir!«

»Mir?« fragte sie, jetzt laut lachend.

»Ja, Dir!« antwortete er zornig.

»Mir? Ein Schwiegersohn? Da müßte ich doch eine Tochter haben!«

»Dummes Zeug! Willst Du Dich etwa über mich lustig mache, he? Sage mir einmal, ob Du überhaupt weißt, wo ich geboren bin!«

»Ja.«

»Nun, wo denn?«

»In Sachsen.«

»Ich meine, in welcher Stadt!«

»In Pirna.«

»Gut! Nun gehe einmal hinüber nach Pirna und erkundige Dich! Da drüben giebt es keinen einzigen Mann, der in meinem Alter nicht bereits zwei oder drei Schwiegersöhne hätte. Ich habe noch nicht einmal einen. Muß ich mich da nicht geradezu schämen? Das sieht ja aus, als ob ich ganz und gar aus der Pirn'schen Art geschlagen wäre. Und ferner giebt es da drüben kein Mädchen Deines Alters, die noch keinen Mann hätte, wenigstens einen Bräutigam oder einen Liebsten. Du wirst einsehen, daß Du Dich da noch viel mehr zu schämen hast, als ich selber.«

»Aber, Vater!«

»Was aber Vater! Mache mich nicht bös! Da sitzt man, starrt hinaus in das armselige Wetter, oder herein auf die alten Bänke und Tische, und was hat man davon? Nichts, reine gar nichts! Wäre aber ein Schwiegersohn da, so könnte man sich mit ihm unterhalten, sich mit ihm Anecdoten erzählen oder seine Wuth an ihm auslassen, wenn man schlechte Laune hat!«

»Wenn er sich das gefallen läßt!«

»Warum nicht? Wozu ist ein Schwiegersohn da, als um Dachsparren fest zu machen und Einem bei schlechter Laune als Blitzableiter zu dienen? Wenn Du nicht bald einen Mann nimmst, so hole ich Dir selbst Einen, den Du nehmen mußt, Du magst wollen oder nicht. Und weißt Du, wer dies sein wird?«

»Nun, wer?« fragte sie neugierig.

»Rathe einmal!«

»Wer kann da rathen! Sage es lieber gleich.«

»Nun, wer anders als der schwarze Gérard!«

»Der - schwarze - - Gérard?« fragte sie langsam und mit eigenthümlicher Betonung.

»Ja, der! Oder ist der Dir etwa nicht recht?«

»Weiß ich es? Er ist ja noch gar nicht hier gewesen.«

»Das thut nichts. Er ist ein tüchtiger Kerl, grad wie mein Schwiegersohn sein soll.«

»Aber wenn er Dir nun nicht gefällt?«

»Der? O, der gefällt mir sicher. Denke nur an seine ächt goldene Büchse!«


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»Das ist Nebensache. Wenn er nun so sieht, wie - wie - - wie - -«

»Nun, wie --?«

»Wie zum Beispiel der Jäger, den ich soeben schlafen geführt habe?«

»Mädchen, mache mir keinen dummen Witz! Der schwarze Gérard sieht ganz anders aus. Hast Du einmal einen berühmten Krieger, einen Held gesehen?«

»Vielleicht.«

»Vielleicht? Pah, noch keinen einzigen! Oder hast Du etwa den Fürst der Felsen, diesen Sternau, den Bärenherz, Büffetstirn gesehen? Nein. So ein Held ist groß und stark, hat schwarze Augen, einen Schnurrbart, goldene Sporen, silberne Tressen an den Hosen und eine Stimme wie zehn Posaunen. Gehe mir also mit dem Jäger da droben! Wann hat er etwas geschossen? Was kann er trinken und bezahlen? Jetzt liegt er auf dem Heu und schläft, am hellen, lichten Tage! Es ist eine Affenschande! O nein, der schwarze Gérard sieht sicherlich ganz anders aus. Ich stelle mir ihn - ah, - da kommt wieder Jemand!«

Es kam in diesem Augenblicke ein Reiter vorüber, welcher an der Hausthür halten blieb, um abzusteigen. Der Wirth beobachtete ihn, ohne sich von seinem Sitze zu erheben. Er zog die Brauen zusammen und sagte zu seiner Tochter:

»Weißt Du, was Psychologie ist?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Die Lehre von der Seele.«

»Gut! Ich bin ein Psychologiste, ein Menschenkenner. Siehe einmal dieses Pferd an! Wie findest Du es?«

»Außerordentlich mager.«

»Und den Reiter?«

»Noch magerer und sehr klein.«

»Und seine Kleidung?«

»Ganz und gar zerfetzt.«

»Und seine Waffen?«

»Alt und nicht blank geputzt.«

»Nun sieh, das ist für einen Psychologisten genug. Dieser Kerl hat ein mageres Pferd; er ist also geizig; er hat zerrissene Kleider; er ist also lüderlich; er hat schlechte Waffen; er ist also ein Habenichts. Er wird wohl auch nur einen einzigen Julep trinken wie der Siebenschläfer. An solchen Gästen liegt mir nichts.«

»Er zieht sein Pferd in den Stall. Er wird also wohl hier bleiben wollen.«

»Das mag er sich vergehen lassen. Ich werde vor allen Dingen sehen, ob er auch bezahlen kann. Wir Leute aus Pirna sind helle; das soll er gleich sehen.«

Nach einigen Minuten trat der Fremde ein. Er hatte allerdings ein so ganz und gar unscheinbares Aussehen, daß Einer, der die Verhältnisse der Savanne nicht kannte, schon ein Wenig mißtrauisch werden konnte. Er grüßte sehr höflich im gebrochenen Spanisch, setzte ich auf einen Stuhl, legte die Büchse und das Messer ab und fragte:

»Nicht wahr, dieser Ort hier ist Fort Guadeloupe?«

»Ja,« antwortete der Wirth sehr kurz.

»Seid Ihr vielleicht Sennor Pirnero?«


// 1486 //

»Ja.«

»Kann man einen Julep bekommen?«

»Ja.«

»So gebt mir einen.«

»Gut, aber nur einen.«

»Warum nicht mehr?« fragte der Gast erstaunt.

»Das ist meine Sache!«

Bei diesen Worten warf der Wirth einen sehr sprechenden, deutlichen Blick auf das Aeußere des Gastes und erhob sich langsam, um den Schnaps einzuschenken. Der Fremde bemerkte diesen Blick gar wohl; er unterdrückte ein Lächeln, zuckte die Achseln, sagte aber nichts, sondern that schweigend einen tüchtigen Schluck, als er das Glas empfangen hatte.

Pirnero setzte sich wieder an das Fenster und blickte hinaus. Da der Gast schwieg und auch die Tochter kein Wort sagte, so wurde ihm diese Stille doch endlich unbehaglich; darum brummte er nach einer längeren Weile vor sich hin:

»Armseliges Wetter!«

Kein Mensch antwortete.

»Kaum auszuhalten!«

Als auch jetzt noch Niemand antwortete, drehte er sich langsam um, blickte den Gast herausfordernd an, als ob dieser einen Fehler begangen habe, und sagte:

»Nun?«

»Was?« fragte da der Fremde.

»Armseliges Wetter!«

»O, ganz hübsch!« lachte dieser.

Der Wirth fuhr auf. Er dachte, daß er gefoppt werden solle; darum meinte er in einem sehr zornigen Tone:

»Wie meint Ihr das?«

»So wie ich es sage,« lautete die Antwort. »Das Wetter ist ganz hübsch.«

»Ah, wollt Ihr mich etwa ärgern?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Und dennoch widersprecht Ihr mir!«

»Auch das nicht. Dem Einen kann Etwas ganz gut gefallen, was dem Andern höchst lästig ist, aber dennoch brauchen diese Beiden sich über diese Meinungsverschiedenheit nicht im Geringsten zu ärgern.«

»Sehr richtig! Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich mich über Euch ärgere?«

»Das wäre Eure Sache, aber nicht die meinige, Sennor.«

»Allerdings. Und Ihr wärt mir auch der Letzte, über den ich mich ärgern würde.«

»Warum?«

»Aus verschiedenen Gründen.«

»Hm! Darf man diese Gründe erfahren?«

»Warum nicht? Zunächst ist Euer Pferd ein Ziegenbock.«

»Gut. Weiter!«

»Sodann habt Ihr keinen gescheidten Fetzen auf dem Leibe.«

»Sehr richtig! Und noch weiter?«


// 1487 //

»Und drittens sind Eure Waffen keinen Heller werth.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Das sieht man ja bei dem ersten Blick. Man braucht da ganz und gar kein Psychologiste zu sein oder eine große politische oder diplomatische Begabung zu haben.«

Der Fremde nickte lächelnd mit dem Kopfe und sagte:

»Ich sehe ganz genau, daß ich bei Sennor Pirnero bin.«

»Wieso?« fragte der Wirth stutzend.

»Man hat mir von Euch erzählt, und ich finde, daß man mir die Wahrheit gesagt hat.«

»Welche Wahrheit?« fragte da der Wirth gespannt.

»Man hat Euch mir beschrieben, und ich bemerke, daß die Beschreibung genau stimmt.«

»Donnerwetter, was hat man von mir gesagt?«

»Daß Ihr ein guter Kerl seid.«

»Ja, ja, das bin ich allerdings! Weiter!«

»Daß Ihr stets an diesem Fenster sitzt.«

»Auch das stimmt. Weiter!«

»Und das Wetter beobachtet.«

»Richtig! Immer weiter!«

»Daß Ihr in Folge dessen jedes Gespräch mit dem Wetter anfangt.«

»Wirklich? Hm! Da habe ich selbst noch nicht aufgepaßt. Weiter!«

»Daß Ihr - - - ah, das habe ich aber noch nicht bemerkt.«

»Was?«

»Daß Ihr sehr gern vom Heirathen und von Schwiegersöhnen redet.«

Der Wirth sah den Sprecher forschend an. Er war sich im Unklaren, ob er sich über ihn freuen oder ärgern solle; darum fragte er:

»Wie meint Ihr das?«

»Ich meine gar nicht; man hat es mir so gesagt.«

»Wer?«

»Meine Kameraden. Aber, gebt mir nur noch ein Glas von Eurem Julep, Sennor.«

Er trank sein Glas leer und hielt es dann dem Wirthe hin. Dieser musterte seinen Gast von Neuem, schüttelte langsam den Kopf und sagte:

»Ich schenke nicht mehr ein.«

»Warum?« fragte der Fremde erstaunt.

»Hm! Bezahlt erst den ersten.«

»Ah, Ihr haltet mich für einen Lumpen, der nicht bezahlen kann?« lachte der Gast.

»Beweist zunächst das Gegentheil, dann werde ich wissen, wofür ich Euch zu halten habe!«

»Gut, Ihr sollt sehen!«

Er griff in seine Tasche, zog einen Lederbeutel hervor, öffnete ihn und griff hinein.

»Da habt Ihr Eure Bezahlung!«


// 1488 //

Bei diesen Worten nahm er einen Nugget von der Größe einer Haselnuß heraus und hielt es dem Wirthe hin. Dieser griff mit großer Begierde zu, betrachtete es von allen Seiten, wog es in der Hand und sagte dann erstaunt:

»Gold, wahrhaftig reines Gold!«

»Ja, vollständig rein,« nickte der Andere.

»Donnerwetter! Und das ist Euer?«

»Wem sonst?«

»Habt Ihr noch mehr?«

»Mehrere Beutel voll.«

»Woher?«

»Aus den Minen geholt.«

»Wo?«

»O, das ist meine Sache, Sennor Pirnero!« lachte der Gast.

»Welch ein Nugget! Es ist unter Brüdern zwanzig Dollars werth.«

»Dreißig!«

»Soll ich es wiegen und wechseln?«

»Versteht sich!«

Der Wirth erhob sich und holte die Wage. Die beiden wurden um den Preis von fünfundzwanzig Dollars einig, welche Pirnero auch sofort auszahlte.

»Also einen Julep wollt Ihr noch?« fragte er dienstfertig.

»Ja,« nickte der Gefragte.

»Den sollt Ihr sogleich bekommen.«

Der Gast war in Folge des Nuggets sehr schnell und sehr hoch in seiner Achtung gestiegen; darum bediente er ihn mit außerordentlicher Bereitwilligkeit. Er bereute jetzt sein früheres Verhalten und darum setzte er sich an das Fenster, um darüber nachzudenken, auf welche Weise er es wieder gut machen könne. Es fiel ihm nicht sogleich Etwas ein, darum begann er mit seiner gewohnten Geistesgegenwart: »Schlechtes Wetter!«

»Hm!« brummte der Gast.

»Hat aber auch seine gute Seite,« lenkte Pirnero ein.

»Allerdings. Besonders für mich.«

»Warum?«

»Ich komme aus der Llano estacado.«

Da fuhr der Wirth schnell herum, staunte den Mann an und fragte dann:

»Wirklich?«

»Ja. Und wenn man wochenlang ohne Wasser die Gluth dieser Wüste ausgehalten hat, so könnt Ihr Euch denken, daß so ein Regen eine wahre Erquickung ist.«

»Ja, allerdings!« stimmte der Wirth eifrig bei. »Aber sagt, Sennor, seid Ihr allein da herübergekommen?«

»Ja.«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Das könnte nur ein kühner Mann wagen.«


Ende der zweiundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk