Lieferung 67

Karl May

1. März 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1585 //

»Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr hier?«

Der Fremde machte eine kurze Verbeugung und fragte dann mit dumpfer Stimme:

»Wohnt hier Sennor Cortejo?«

»Ja. Wollt Ihr zu ihm?«

»Nein, sondern zu Euch.«

»Ah, was wollt Ihr von mir? Wie seid Ihr hereingekommen?«

»Ueber die Hofmauer.«

Diese Antwort verursachte ihr Schreck. Ueber die Hofmauer konnte ja nur ein Dieb oder ein sonstwie Verdächtiger Zutritt nehmen.

»Warum seid Ihr nicht durch den ordentlichen Eingang gekommen?« fragte sie.

»Weil ich mich nicht sehen lassen wollte,« antwortete er. »Jetzt aber sehe ich ein, daß diese Vorsicht überflüssig war, denn man hätte mich doch nicht erkannt, da selbst Du mich für einen Fremden ansiehst.«

Er nahm Perrücke und den falschen Bart ab, und nun erkannte sie ihren Vater.

Sie flog auf ihn zu. Er nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuß, den sie erwiderte. Diese Zärtlichkeit war bei ihnen eine seltene und gewährte allerdings auch einen nicht gar so sehr entzückenden Anblick.

»Du, Du bist es?« fragte sie. »Wahrhaftig, ich habe Dich gar nicht erkannt!«

»Ja, meine Vermummung ist ausgezeichnet,« antwortete er.

»Aber es ist das auch sehr nothwendig, denn wenn man mich hier sieht, so ist mir das Brod auf alle Fälle gebacken.«

»Du kommst vom Panther?«

»Ja. Wie ist es Dir ergangen?«

»Gut, bis heute. Am Nachmittage aber kam der Alcalde aussuchen.«

»Aussuchen?« lachte Cortejo. »Halten sie mich denn wirklich für so dumm, daß ich zum Panther halte und Mexiko verlasse, ohne meine Angelegenheiten so in Ordnung zu bringen, daß mir nichts geschehen kann? Man hat doch nichts gefunden?«

»Gar nichts. Die Sachen sind ja zu gut vergraben.«

»Nun, so steht ja Alles gut, Josefa.«

»Doch nicht. Ich bin nämlich landesverwiesen.«

»Ah, wirklich?« fragte er, ohne einen Schreck zu zeigen.

»Ja. Der Alcalde that es mir zu wissen.«

»Wohl auf Befehl des Kaisers?«

»Ja.«

»Das ist eine Folge meiner heutigen Placate. Wann sollst Du die Stadt verlassen?«

»Binnen vierundzwanzig Stunden.«

»Und das Land?«

»Binnen einer Woche.«

»Lächerlich! Wie weit reicht denn eigentlich die Macht dieses Kaisers Max? Du brauchst nur so weit zu gehen, daß er Dich nicht mehr erreicht; dann bist Du vollständig sicher. Uebrigens wirst Du die Stadt noch heut verlassen.«


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»Noch heut? Warum?« fragte sie.

»Du wirst mich begleiten.«

»Wohin?«

»Nach der Hazienda del Erina.«

Er sagte dies im gleichgiltigsten Tone, doch mit einem leisen, neugierigen Lächeln. Sie sprang auf, als ob der Blitz vor ihr niedergefahren sei, und rief:

»Nach del Erina? Ist es wahr?«

»Ja,« nickte er.

»Zum alten Petro Arbellez?«

»Ja.«

»Aber, was willst Du dort? Arbellez ist ja unser grimmiger Feind!«

»Eben deshalb freue ich mich, ihn zu besuchen.«

»Ich begreife das nicht.«

»So werde ich es Dir erklären. Vorher aber hole mir zu Essen und zu Trinken, verrathe aber Niemand meine Anwesenheit!«

»Amaika weiß es.«

»Diese mag es immerhin wissen; sie ist sicher; die Andern aber nicht.«

Die Tochter ging, um dem Vater den Imbiß zu besorgen; dann saßen sie in ihrem Zimmer beisammen und setzten die Unterredung fort.

»Mein Bote ist glücklich bei Dir angekommen?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie. »Er sagte mir, daß Du heut kommen würdest.«

»Nun, so höre, was mich veranlaßt hat, nach Mexiko zu kommen, um Dich zu holen. Es sind nämlich Waffen für uns angekommen; der Panther ist bereit, loszuschlagen. Der Erfolg ist aber leider zweifelhaft, da der Franzosen zu viele sind. Man muß sie von zwei Seiten angreifen, von Norden und Süden. Deshalb lasse ich werben, und deshalb gehe ich nach Norden hinauf, um eine tüchtige Schaar zusammenzubringen.«

»Aber warum soll ich mit?«

»Weil ich Dich brauche, und weil Du die Stadt ja so verlassen mußt.«

»Und warum nach der Hazienda del Erina?«

»Weil sie mir außerordentlich passend liegt. Weißt Du, wo sich jetzt Juarez befindet?«

»Man sagt, er sei in Paso del Norte.«

»Gut. Ich muß zu ihm, um eine Vereinbarung zu Stande zu bringen. Ich muß ihn uns zum Freunde machen, weil wir vereint dann den Franzosen gewachsen sind.«

»Aber, Vater, ich denke, Du willst Präsident werden!«

»Natürlich!«

»Der wirst Du doch nicht, wenn Du Dich zu Juarez hältst!«

»Närrchen, das läßt sich Alles machen. Wenn ich mich seiner Hilfsquellen bemächtigt habe, dann - - hm!«

»Ah, ich verstehe; dann kann er abkommen.«

»Ja. Ferner habe ich erfahren, daß ein englischer Unterhändler auf dem Wege zu Juarez ist. Er bringt ihm Waffen, Munition und Geld. Ihn muß


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ich auflauern, um ihm Alles abzunehmen. Im Besitze solcher Mittel muß ich Juarez dann hoch willkommen sein.«

»Aber wenn er nun erfährt, daß Du nur besitzest, was eigentlich für ihn bestimmt war?«

»Wer soll es ihm sagen? Ich nicht. Und ich bin der Einzige, der es weiß.«

»Wo befindet sich der Unterhändler?«

»Er wird sich in El Refugio einschiffen, um im Rio grande hinaufzugehen. Da fasse ich ihn ab. Rathe, wie der Mann heißt.«

»Wie soll ich rathen! Sage es!«

»Sir Lindsay.«

Da sprang Josefa empor.

»Lindsay?« rief sie. »Derselbe? Derselbe?«

»Ja; derselbe, welchem wir die Millionen abnahmen.«

»Und den Juarez aus der Hand des Panthers des Südens befreite?«

»Ja,« nickte Cortejo mit vor Freude verklärtem Angesichte.

»Welch ein Glück, welch ein Zufall! O, ich wollte - ich wollte, daß -!«

Sie hielt inne. Das, was sie aussprechen wollte, schien ihr zu viel gehofft zu sein.

»Nun, was wolltest Du?« fragte er.

»Daß sie dabei wäre!«

»Sie? Wer?«

»Seine Tochter, diese Amy, welcher damals Sennor Mariano so nachlief.«

»Nun, so freue Dich, Josefa! Sie ist mit dabei.«

»Wirklich? Weißt Du es genau?«

»Sehr genau. Der Panther wird durch seine Spione außerordentlich gut bedient.«

»So kommt also Lindsay wieder in Deine Hand?«

»Jedenfalls.«

»Und seine Tochter in die meinige! Welch eine Wonne! O, sie soll mir Alles entgelten, Alles, sie, die sich für schöner, besser und vornehmer hielt, als ich es sei! Ich soll also mit nach dem Rio Grande gehen?«

»O nein, Josefa. Du bleibst in der Hazienda del Erina.«

»Wird mich Arbellez dort behalten?«

Cortejo stieß eine rauhe, höhnische Lache aus.

»Er wird müssen. Denkst Du, daß ich ihm die Hazienda lasse?«

»Sie ist ja sein Eigenthum!«

»Jetzt. Aber sie wird das meinige. Sie soll der Stützpunkt für alle meine Unternehmungen werden. Dort werde ich werben und meine Leute sammeln; von dort werde ich hervorbrechen und dort - weißt Du das Wichtigste?«

»Was?«

»Dort in der Nähe befindet sich die Höhle des Königsschatzes.«

»Ah, willst Du ihn heben?« fragte sie wie electrisirt.

»Ja, aber erst suchen.«

»So findest Du ihn nie.«

»Das werden wir sehen! So viel ich von Alfonzo erfahren habe, ist der


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Ort ein Geheimniß der Miztekas. Ich werde von diesem Indianerstamm so Viele zusammenfangen, als mir möglich ist; ich werde sie martern und peinigen, bis sie mir das Geheimniß verrathen haben. Dann bin ich reich, unendlich reich, reicher als hundert Könige, und dann wird es mir leicht sein, König von Mexiko zu werden.«

»Wirst Du Arbellez die Hazienda abkaufen?«

»Das fällt mir gar nicht ein. Ich werde sie ihm einfach wieder nehmen.«

»Er wird sich wehren!«

»Er mag es versuchen. Ich sage Dir nämlich, daß draußen vor der Stadt zweihundert feste, muthige Männer auf mich warten. Ich habe sie angeworben; sie sollen den Kern der Macht bilden, welche ich um mich versammeln werde. Mit ihnen nehme ich die Hazienda weg. Wehrt sich Arbellez, so wird er niedergestochen.«

»So ist es recht. Also mit diesen Leuten soll ich reiten?«

»Ja.«

»Noch heut Abend?«

»Ja. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Aber was wird mit dem Hause, den Meubles und allem Andern?«

»Das bleibt stehen und liegen wie es ist. Ich habe gesorgt, daß Alles in guter Ordnung gehalten wird.«

»Aber Amaika muß ich mitnehmen, Vater!«

»Das geht nicht. Die Alte würde uns im Wege sein.«

»Ich brauche sie als Zofe!«

»Du wirst Dich unterwegs selbst bedienen.«

»Aber das ist ja gar nicht möglich, Vater! Die Tochter eines - - Königs!«

»Pah! Du bist es jetzt noch nicht.«

»Aber wenn zweihundert Sennores mitreiten, muß ich doch möglichst interessant sein. Ich brauche wirklich eine Zofe zum Ankleiden und zur Toilette.«

»So mußt Du hierbleiben. Ich kann die Alte nicht gebrauchen. Packe jetzt zusammen, was Du mitnehmen willst; ich will bis dahin ausruhen. Punkt Mitternacht wird aufgebrochen.«

Er sprach dies in einem so bestimmten Tone, daß sie nicht zu widersprechen wagte. Sie gehorchte seinem Befehle und kurz nach Mitternacht galoppirte ein zweihundert Mann starker Reitertrupp, bei welchem sich eine einzige Dame befand, dem Norden zu. - -

Es ist zuweilen höchst eigenthümlich, zu beobachten, wie ein Ereigniß sich von ganz verschiedenen Punkten aus vorbereitet, und, concentrisch zulaufend, seinen Abschluß im Mittelpunkte sucht und findet.

So auch hier. Wir müssen abermals einen Sprung thun, um das Spätere ganz und vollständig verstehen zu können. Doch hoffen wir, daß dieser Sprung uns zu Personen führt, welche das volle Interesse des geneigten Lesers besitzen.

Wir wissen bereits, daß Sternau mit seinen Begleitern in Guaymas gelandet war und mit ihnen beschlossen hatte, sich zunächst nach der Hazienda del Erina zu begeben. Capitän Wagner, der biedere Deutsche, erhielt den Auftrag, den Dampfer


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um Kap Horn herumzuführen und dann in Vera Cruz zu landen, wo ihn neue Ordres erwarten sollten. Dann machten die Andern sich auf den Weg.

Sie hatten in Guaymas gehört, daß Mexiko von den Franzosen besetzt sei, daß der Bürgerkrieg wüthe und man jeden Augenblick Gefahr laufe, auf eine der Banden zu stoßen, welche raubend und mordend das Land durchzogen. Darum hatten sie vor allen Dingen für eine gute Bewaffnung Sorge getragen, und darum schlugen sie auf Sternaus Vorschlag nicht den geradesten Weg nach Osten über die Sierra de los Alamos ein, sondern sie wendeten sich längs des Yaquiflusses nach Nordosten, um zunächst Chihuahua zu erreichen. Dieser Punkt lag so weit im Norden und von der Hauptstadt entlegen, daß sich vermuthen ließ, er sei von der allgemeinen politischen und kriegerischen Verwirrung noch gar nicht ergriffen worden. Sie ahnten nicht, daß Chihuahua bereits von den Franzosen besetzt sei.

In La Yunta, wo der Fluß sich in zwei Arme theilt, wollten sie nach Osten biegen. Aber hier erfuhren sie, daß Chihuahua bereits mit in die Conflicte gezogen sei und daß der Präsident Juarez sich nach Paso del Norte zurückgezogen habe, um Kräfte zu einem neuen Schlage zu sammeln.

»Was nun thun?« fragte Don Ferdinando. »Wir haben bereits zu viel gelitten, um uns ernstlich in Gefahr zu begeben.«

»Ich bin überzeugt, daß wir von den Franzosen nichts zu befürchten haben,« antwortete Sternau.

»Aber von den Guerillas, welche die Franzosen umschwärmen werden.«

Da nahm Bärenherz das Wort:

»Meine Brüder sollen nicht sogleich nach Chihuahua gehen, sondern mit mir nach den Weidegründen der Apachen kommen. Dort wird große Freude sein über Bärenherz, welcher zurückkehrt, und er wird dann so viele Krieger der Apachen sammeln, daß meine weißen Brüder sicher nach der Hazienda gelangen können.«

»Sind die Weideplätze der Apachen weit von Chihuahua?« fragte Graf Ferdinando.

»Der Apache reitet an einem Tage nach der Stadt,« lautete die Antwort.

Sternau nickte zustimmend.

»Ich kenne jene Gegenden genau,« sagte er, »und halte es allerdings für das Beste, dem Rathe unseres rothen Freundes zu folgen. Wir sind ja ganz sicher, von den Apachen freundlich aufgenommen zu werden, und bei ihnen werden wir dann genau erfahren, in welcher Weise unser Weg fortzusetzen ist.«

»Ja, gehen wir zu den Apachen!« sagte auch Emma Arbellez. »Dort in der Nähe liegt Fort Guadeloupe, wo ich Verwandte habe, welche sich innig freuen werden, mich zu sehen. Bei ihnen war ich damals gewesen, als Bärenherz und Anton mich aus der Gefangenschaft der Comanchen erretteten.«

»Wer sind diese Verwandten?« fragte Sternau.

»Es ist die Familie Pirnero. Er ist ein Deutscher, und seine Frau war meine Tante, die Schwester meines Vaters.«

»Ich bin in der Nähe von Fort Guadeloupe gewesen, aber nicht hineingekommen; darum kenne ich den Namen Pirnero nicht. Es wird allerdings von großem Nutzen sein, wenn Sie dort Verwandte haben. Sind wir zu einem


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Aufenthalte gezwungen, so haben Sie nicht nöthig, bei den Apachen zu bleiben. Ich schlage also vor, unsere jetzige Richtung beizubehalten und zu den Apachen zu gehen.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man folgte dem linken Arm des Flusses und bog dann rechts nach der Sierra Carmen hinüber. Dieses Gebirge wurde glücklich überstiegen, und nun hielten die Reisenden gerade auf den Rio Conchos zu, jenem Flusse, an welchem die französische Compagnie nach Norden gezogen war, um Fort Guadeloupe zu überfallen.

Die kleine Karawane bot einen recht kriegerischen Anblick. Sie war mit sehr guten Pferden beritten und mit kräftigen, ausdauernden Packpferden versehen. Die Männer sowohl, als auch die beiden Damen waren sehr gut bewaffnet und da sich unter ihnen Leute befanden, welche zu den berühmtesten Jägern gehörten, so brauchten sie vor dem Kommenden eigentlich keine große Sorge zu haben.

So waren sie ganz in die Nähe des Rio Conchos gekommen und erreichten die Straße, welche von Chihuahua nach el Paso del Norte geht.

Unter dieser Straße darf man sich aber nicht etwa einen wohlchaussirten Verkehrsweg vorstellen. Es war ja nicht einmal die Spur eines Weges oder Pfades zu sehen; aber über dieses ebene Grasland mußte ein Jeder reiten, welcher von einer der beiden Städte nach der anderen wollte.

Eigentlich war es ihre Absicht, diese Straße quer zu durchschneiden, aber da man sich in der Nähe der indianischen Weideplätze befand, so war Vorsicht nothwendig. Daher war Sternau mit Bärenherz ein wenig vorangeritten, um sich keine Spur entgehen zu lassen. Es gab hier zwar offene Prairie, aber hier und da war doch ein Gebüsch zu sehen, welches geeignet war, die Aussicht zu verdecken.

Ein solches Buschwerk gab es auch jetzt zu umreiten. Sie bogen also um dasselbe herum und blieben augenblicklich halten, denn fast waren sie mit einem Reiter zusammengestoßen, welcher im Begriff gestanden hatte, von jenseits an den Sträuchern vorüber zu kommen. Auch er parirte sein Pferd, augenscheinlich ganz ebenso überrascht wie sie.

Es war ein kleiner Kerl, der in einem alten Trapperanzuge stak. Seine Waffen waren alt und der Lauf seiner Büchse schwarz gerostet, aber er machte ganz und gar nicht den Eindruck eines Mannes, der nicht in diese wilde Gegend gehöre, zumal er außerordentlich gut beritten war. Sein Pferd war ein feiner Mustang, welcher eine sehr gute, indianische Dressur besaß, was man deutlich bemerken konnte, als er ihn parirte und rasch zur Seite riß, um augenblicklich zum Kampfe gerüstet zu sein.

»Zounds, Donnerwetter!« rief er englisch. »Wer seid Ihr?«

Sternau hatte sich in Guaymas neu gekleidet und da dort nichts Anderes zu finden gewesen war, so trug er mit allen seinen Begleitern, auch Bärenherz und Büffelstirn, die in Mexiko gebräuchliche Tracht.

Deshalb mußte der Mann die Beiden für Mexikaner halten. Er hatte im Nu die Büchse erhoben und hielt sie zum Schusse bereit.

»Good day!« antwortete Sternau, ebenso in englischer Sprache. »Ihr fragt uns, wer wir sind. Wir aber sind ihrer Zwei und haben also wohl das Recht, diese Frage auszusprechen. Also, wer seid Ihr, Sennor?«


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Der Kleine mußte an der hohen Gestalt Sternaus emporblicken, aber es zeigte sich nicht die leiseste Spur von Furcht in seinem Gesichte. Er antwortete aber bereitwillig:

»Ihr habt recht, Sennor. In der Prairie haben Zwei gegen Einen die Vorhand, obgleich ich mir den Teufel daraus mache, ob ich Einen oder Fünf gegen mich habe. Uebrigens brauche ich mich meines Namens nicht zu schämen. Habt Ihr vielleicht einmal von einem Jäger gehört, den man den kleinen André nennt?«

»Nein.«

»Hm, so seid Ihr wohl nicht aus dieser schönen Gegend hier?«

»Allerdings nicht.«

»Dann läßt sich das Ding erklären. Dieser kleine André bin ich, heiße aber eigentlich Andreas Straubenberger.«

»Straubenberger?« fragte Sternau überrascht. »Das ist ja ein deutscher Name!«

»Ja, ich bin ein Deutscher.«

»Gut, so nehmen Sie in Gottes Namen Ihre Büchse herunter,« meinte Sternau in deutscher Sprache. »Auch ich bin ein Deutscher.«

Da machte der Kleine eine Bewegung des freudigsten Erstaunens. Er ließ das Gewehr sinken und rief:

»Sie auch ein Deutscher? Ah, welche Freude! Aus welcher Gegend?«

»Aus der Gegend von Mainz.«

»Von Mainz? Dort ist mein Bruder.«

Das fiel Sternau sofort auf.

»Wo ist er da?«

»In einem Neste, welches Rheinswalden heißt.«

»Ah, der brave Ludwig Straubenberger?«

Bei dieser schnellen Frage Sternaus sprang der Kleine beinahe im Sattel empor.

»Was? Wie? Sie kennen meinen Ludwig?« fragte er.

»Sehr gut!«

»Donnerwetter! Und ich wollte Sie erschießen!«

»Das wäre Ihnen denn doch ein Wenig schwer geworden,« meinte Sternau lachend.

»O, Sie sind lang und breit genug,« meinte der Kleine lustig. »Einen Fehlschuß hätte ich also gar nicht thun können. Aber, wo kommen Sie her und wo wollen Sie hin?«

»Wir kommen von der See herüber und wollen entweder nach Paso del Norte oder nach Fort Guadeloupe, ganz, wie wir es finden.«

»Zu wem, in Paso del Norte?«

»Zu Juarez.«

»Und zu wem in Fort Guadeloupe?«

»Zu Einem, der Pirnero heißt.«

»Ah, den kenne ich gut! Er ist ein Deutscher aus Pirna in Sachsen. Aber, Herr, den Juarez werden Sie in Paso del Norte nicht mehr finden.«


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»Nicht? Wo sonst?«

»Hier oder da im Walde oder in der Prairie.«

Sternau blickte ihn scharf an und sagte:

»Sie kennen den Ort und wollen mir ihn verschweigen!«

»Das ist richtig, denn ich kenne Sie noch nicht.«

»Mein Name ist Sternau.«

»Sternau?« fragte der Kleine nachdenklich. »Hm, ist mir doch, als ob ich diesen Namen bereits gehört hätte! Ah, ja! Sennorita Resedilla hat ihn genannt. Ein Sternau ist auf der Hazienda del Erina gewesen und dann verschwunden.«

»Der bin ich.«

Da machte der Kleine den Mund weit auf, starrte dem Sprecher in das Gesicht und sagte:

»Der? Der wären Sie?«

»Jawohl.«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Da wären Sie ja der berühmteste Kerl, den man in der Savanne kennt!«

»In wiefern?« fragte Sternau, leise lächelnd.

»In wiefern? Weil jener Sternau der famose Jäger war, der von allen Westmännern und Rothhäuten der Fürst des Felsens genannt wurde.«

»Sie meinen Matava-se? Der bin ich.«

Das war dem Kleinen denn doch zu viel.

»Aber, Sie sind ja verschwunden!« rief er, ganz perplex geworden.

»Richtig! Doch jetzt komme ich wieder.«

»Kaum glaublich! Wissen Sie, mit wem Sie verschwunden sind?«

»Natürlich! Ich muß dies ja am Besten wissen.«

»Nun, mit wem?«

»Ah, Sie wollen mich examiniren, um zu sehen, ob ich wirklich die Wahrheit rede?«

»Ja,« sagte André aufrichtig. »Es wäre ja ein wahres Wunder, wenn der Fürst des Felsens so unerwartet wieder erschiene und sogar hier bei uns. O, wir könnten ihn sehr gut gebrauchen. Ah, wer ist das? Wer sind die?«

Jetzt waren nämlich die andern nahe gekommen. Bisher von dem Buschwerke verdeckt, hatte er sie nicht sehen können.

»Das sind eben die, mit denen ich verschwunden bin. Der hier neben mir ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen.«

»Donnerwetter!« rief der Kleine, den Häuptling mit weit aufgerissenen Augen betrachtend.

»Der welcher dort voranreitet, ist Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas.«

»Kreuzmillion!«

»Hinter ihm reiten zwei Brüder. Der Eine ist der Schwiegersohn des Haziendero del Erina, wenn Sie von ihm gehört haben.«

»Donnerpfeil?

»Ja.«


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»Halten Sie auf! Sonst bleibt mir der Verstand stille stehen! Welch ein Zusammentreffen! Welch eine Begegnung! Das hätte ich mir nicht träumen lassen!«

»Glauben Sie nun, daß ich der richtige Sternau bin?«

»Ja, ganz gern und gewiß. Diese verteufelte mexikanische Tracht hat mich irre gemacht. Verzeihen Sie! Hier meine Hand! Lassen Sie uns absteigen, denn ich werde Ihnen Einiges zu sagen haben, was von Interesse für Sie ist.«

Er sprang vom Pferde und Sternau folgte ihm. Bärenherz hatte von der deutschen Unterredung kein Wort verstanden; als er aber sah, daß Sternau sein Pferd verließ, that er ganz dasselbe und zwar mit jenem Gleichmuthe, welcher ihm eigen war.

Jetzt waren auch die Andern herbei gekommen.

»Ah, eine Begegnung! Mit wem?« fragte Graf Ferdinando.

»Mit einem Deutschen, mit einem Landsmann von mir,« antwortete Sternau. »Er wird als Jäger der kleine André genannt und scheint mir Wichtiges mitzutheilen zu haben. Lassen Sie uns daher eine kleine Rast halten.«

Sie alle stiegen ab und lagerten sich in das Gras, während die Pferde frei weiden durften. André sah zu seinem Erstaunen, daß sich zwei Damen dabei befanden. Sein Auge wurde besonders von dem Aeußern des alten Grafen angezogen, dessen schneeweißes Haar herab auf die Schultern wallte, während sein Bart bis zum Gürtel ging.

»Reden Sie vielleicht spanisch?« fragte Sternau den kleinen Jäger.

»Ja, soweit es nöthig ist,« antwortete dieser.

»So bedienen Sie sich dieser Sprache; dann werden Sie von Allen verstanden. Also, welche Nachricht werden Sie uns bringen?«

»Zunächst die, daß Juarez sich nicht mehr in Paso del Norte befindet.«

»Das sagten Sie bereits.«

»Aber Sie wollten wissen, wo er ist.«

»Ja.«

»Er ist nicht weit von hier. Aber da muß ich Sie erst fragen: Mit wem halten Sie es, mit den Franzosen oder mit den Mexikanern?«

»Mit Jenen ebenso wenig wie mit Diesen. Wenn Sie von mir gehört haben, so wird es Ihnen bekannt sein, daß ich nie Parthei ergriffen habe.«

»Ja, es ist wahr, und das genügt. Sie müssen nämlich wissen, daß die Franzosen Chihuahua besetzt halten. Sie sendeten eine Compagnie aus, um Fort Guadeloupe zu erobern; aber diese Compagnie wurde von den Apachen vollständig aufgerieben.«

»Ugh!« rief Bärenherz, als er von den Apachen hörte.

»Der Anführer der Apachen war Bärenauge.«

»Bärenauge? Wer ist das?« fragte der Häuptling.

Der Indianer empfängt nämlich seinen eigentlichen Namen erst, wenn er Krieger wird. Als Bärenherz seinen Bruder zum letzten Male gesehen hatte, war dieser noch ein Knabe ohne Namen und Berühmtheit gewesen. Dies ahnte der kleine André; darum erklärte er in der Ausdrucksweise der Indianer:

»Als Bärenherz so schnell verschwunden war, hatte er einen jungen Bruder.


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Dieser wurde ein berühmter Krieger. Weil er seinen Bruder Bärenherz suchte, nannte er sich Bärenauge. Er fand ihn nicht; er glaubte, er sei von den Weißen getödtet worden; darum nahm er sich in jeder Woche den Scalp eines Bleichgesichtes. Jetzt ist er der tapferste und berühmteste Häuptling der Apachen.«

»Ugh!«

Nur dieses eine Wort sagte Bärenherz, aber es sprach sich in demselben die ganze Fülle seiner brüderlichen Liebe, Dankbarkeit und Befriedigung aus. Keiner versteht es so, wie der Indianer, eine ganze Welt von Gefühl in eine einzige Silbe zu legen.

»Bärenauge führte die Apachen an, welche die Franzosen vernichteten,« sagte André.

»Er ist mein Bruder!« antwortete Bärenherz einfach aber mit sichtlichem Stolze.

Der kleine Jäger fuhr in seinem Berichte fort:

»Dann zog er mit seinen Apachen nach Osten. Dort hatte General Hannert mehrere Millionen Dollars bei sich, welche er Juarez bringen sollte. Er wurde von sechshundert Comanchen eingeschlossen. Bärenauge befreite ihn, indem er die Comanchen tödtete, so daß nicht ein Einziger entkommen ist.«

»Ugh!« rief der Indianer. »War der kleine, weiße Mann selbst dabei?«

»Ja, ich war dabei. Ich habe Bärenauge als Führer gedient.«

»So bist Du der Freund meines Bruders?«

»Ja.«

»Uff! So sollst Du auch der meinige sein!«

Er streckte ihm die Hand entgegen, welche André ergriff und drückte, ganz stolz darauf, der Freund dieses berühmten Apachen zu sein.

»Wir brachten das Geld glücklich zu Juarez,« fuhr der Kleine fort. »Kaum angekommen, erhielten wir die Nachricht, daß die Franzosen den Verlust ihrer Compagnie erfahren hatten. Sie hatten schleunigst Verstärkung an sich gezogen und marschirten nun, dreihundert Mann stark, abermals auf Fort Guadeloupe zu, um dasselbe zu überrumpeln. Juarez brach mit allen seinen verfügbaren Leuten und den Apachen auf, um ihnen entgegen zu gehen. Er wird sie vernichten, wo er sie trifft, dann aber direct auf Chihuahua marschiren, um es zu nehmen. Diese Stadt ist, da die dreihundert Mann fort sind, verhältnißmäßig von Truppen entblößt und wird sich also ergeben müssen.«

»Warum sind aber Sie nicht bei Juarez?« fragte Sternau.

»Ich wurde von ihm abgeschickt, um in der Nähe von Chihuahua auszuforschen, wie dieser Platz am Besten genommen werden kann. Eigentlich war der schwarze Gérard dazu ausersehen. Dieser aber hat sich erbeten, nach Fort Guadeloupe gehen zu dürfen. Er hat Bekannte dort, welche er beschützen will.«

»Der schwarze Gérard? Wer ist das?« fragte Sternau.

»Ein berühmter Jäger.«

»Ich kenne ihn nicht.«

Da besann sich der kleine André. Er antwortete:

»O, Sie kennen ihn sehr gut.«


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»Ich habe diesen Namen niemals gehört. Wenigstens kann ich mich seiner nicht erinnern.«

»Er hat mir von Ihnen erzählt. Er weiß sehr viel von Ihren Erlebnissen.«

»Ah, woher?«

»Zunächst von früher her und dann hat er auch von Sennorita Resedilla viel über Sie gehört.«

»Resedilla?« fiel da Emma Arbellez ein. »Welche Resedilla meinen Sie?«

»Die Tochter des alten Pirnero in Fort Guadeloupe.«

»Ah, meine Cousine! Wie geht es ihr? Wie sieht sie aus? Hat sie von mir gesprochen?«

»Ja. Sennora, ich kann da gar nicht antworten, da ich nicht weiß, wer Sie sind.«

»Ich bin Emma Arbellez, die Tochter ihres Onkels.«

»Von der Hazienda del Erina?«

»Ja.«

»Alle tausend Teufel! Da ist ja eine ganze, regelrechte Christbescheerung beisammen! Müßte ich nicht nach Chihuahua, ich ritte sofort nach Fort Guadeloupe, um die frohe Botschaft zuerst zu überbringen. Sennorita Resedilla ist ein sehr schönes Mädchen geworden.«

»Ist sie verheirathet?«

»Nein, obgleich ihr Vater ihr partout einen Mann geben will.«

»So lebt er noch, der Onkel Pirnero?«

»Freilich! Der stirbt noch lange nicht. Ich war jüngst einige Tage bei ihm und habe mich viel mit ihm unterhalten. Er fängt stets vom Wetter an und hört beim Schwiegersohne auf. Ich wartete dort auf den schwarzen Gérard, welcher - ah, Sennor Sternau, da fällt mir ein, daß ich Ihre Fragen gar nicht beantwortet habe. Waren Sie nicht einmal in Paris?«

»Ja, öfters.«

»Haben Sie ein Mädchen aus der Seine gezogen?« 

Allerdings.«

»Kannten Sie den Bruder dieses Mädchens?«

»Ja.«

»Können Sie sich auf seinen Namen besinnen?«

»Er hieß, glaube ich, Gérard Mason und seine Schwester nannte sich Annette.«

»Richtig! Dies ist der schwarze Gérard.«

»Ah! So ist er nach Amerika gegangen und Jäger geworden?«

»Und was für ein Jäger! Er ist berühmt, so weit die Savanna reicht.«

Sternau erinnerte sich, daß Annette ihm ihre Familienverhältnisse mitgetheilt hatte. Er besann sich darauf, daß Mason Garotteur gewesen war, aber er verschwieg dies hier, um dem Rufe dieses Mannes nicht zu schaden.

»Und dieser Gérard ist jetzt in Fort Guadeloupe?«

»Ja,« antwortete André.

»Wie weit ist es von hier aus bis dahin? Einen Tagesritt?«

»Fast genau. Sie können recht gut morgen um dieselbe Zeit dort sein.«

»Und wo ist Juarez zu treffen?«


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»Irgendwo südlich vom Fort. Er ist den Franzosen entgegen.«

»So müßten wir ganz sicher auf seine Fährte treffen, wenn wir von hier aus in gerader Richtung auf Fort Guadeloupe reiten?«

»Unbedingt.«

»Gut, wir werden das thun. Wir werden Sie hoffentlich Wiedersehen, sobald wir bei Juarez sind?«

»Ich muß ihn ja wieder aufsuchen, um ihm Bericht zu erstatten. Aber ich rathe Ihnen, nach dem Fort zu gehen und dort erst die Damen zu placiren, ehe Sie dem Präsidenten folgen. Man weiß nicht, welchen Gefahren man entgegen geht.«

»Sie haben recht, und vielleicht folgen wir Ihrem Rathe. Aber sagen Sie mir, wie Sie nach Amerika gekommen sind. Ihr Bruder hat niemals von Ihnen gesprochen.«

»Das glaube ich. Wir sind zerfallen.«

»Ah! Wie schade! Weshalb?«

»Eines Mädchens wegen. Ich hatte es lieb und er auch; es zog mich vor und da ging er in die Fremde. Wir haben einander einige Male geschrieben, aber ganz kurz, das Allernöthigste; dabei ist es denn auch geblieben.«

»So waren Sie verheirathet?«

»Nein. Sie wurde mir untreu. Der Teufel hole die Liebe! Nun ging ich auch in die Fremde. Schließlich kam ich als Brauer nach Amerika; aber es klappte nicht. Da nahm ich den Schießprügel und wurde Jäger. Das ist mein ganzer Lebenslauf. Jetzt habe ich Ihnen Alles gesagt und ich muß fort, denn ich darf keine Zeit verlieren.«

Er stand auf und ging zu seinem Pferde. Auch die Andern erhoben sich, es wurde Abschied genommen. Das Zusammentreffen mit dem kleinen, einfachen Jäger hatte für Sternau verschiedenes Nützliches gebracht, darunter auch die Hoffnung, über gewisse Dunkelheiten bereits recht bald einige Aufklärung zu erhalten.

In der Prairie wird man schneller bekannt und vertraut, als in den Salons der Großstädte. Als André den andern die Hand reichte, war es allen, als ob ein alter Bekannter Abschied nehme und alle sahen ihm nach, bis er am Horizonte verschwunden war.

Jetzt stiegen die Reiter und Reiterinnen wieder zu Pferde.

»Es wird gut sein, unsere Thiere jetzt anzustrengen,« sagte Sternau. »Wenn wir die Fährte der Apachen finden wollen, so gilt es, sie noch bei Tageslicht zu erreichen; dann können wir ausruhen. Also Galopp! bitte ich!«

Da setzte sich Bärenherz an die Spitze. Obgleich er kein Wort sagte, wußten nun doch Alle, daß diese Gegend ihm bekannt sei und er die Führung daher übernehmen wolle.

So ging es im raschesten Tempo bis zur Mündung des Rio Conchos. Dort wurde über den Rio Grande del Norte gesetzt und dann ging es in unverminderter Eile weiter.

Eine Stunde nach Mittag wurde den Thieren einige Ruhe gegönnt. Sobald sie sich aber einigermaßen erholt hatten, nahm man den Weg mit gleicher Schnelligkeit wieder auf.

Die Pferde jener Gegenden leisten fast das Unglaubliche. So kam es, daß


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sie fast bis gegen Abend aushielten, wo man an die Sierra del Charrote angekommen war.

Da wo diese Sierra mit den Teufelsbergen zusammenstößt, liegt jener Paß, in welchem die französische Compagnie vernichtet worden war. Noch war dieser Paß nicht erreicht, sondern man sah nur die Oeffnung, welche er im Westen nach der Prairie bildet, da hielt Bärenherz sein Pferd an und beugte sich beobachtend zum Boden herab.

»Uff!« sagte er.

Sternau ritt heran und beobachtete ebenso das Gras. Es war niedergetreten. Es gab hier eine Fährte, so schmal, als ob nur ein einziger Reiter geritten sei; aber erfahrene Westmänner konnten sich dadurch nicht täuschen lassen.

»Der Weg der Apachen,« sagte Sternau.

»Hier sind meine Krieger geritten,« bestätigte Bärenherz, indem sein Auge aufleuchtete.

»Was wird mein Bruder thun?« fragte Sternau.

»Er wird der Stimme seines Herzens folgen,« antwortete der Apachenhäuptling.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog er sein Pferd herum und sprengte im Galopp davon, nach Süden zu, der Fährte nach, welche sich hart am Fuße der Sierra hinzog.

»Wo geht er hin?« fragte Graf Ferdinando besorgt.

»Er folgt seinen Apachen,« antwortete Sternau.

»Ah, sie sind hier geritten?«

»Ja.«

»Aber wir werden ihn verlieren!«

»Ihn? Bärenherz? Unmöglich!«

»Sie meinen, daß wir ihm nachreiten?«

»Nein. Wir werden uns nach dem Fort Guadeloupe begeben, zuvor aber an irgend einem Platz übernachten.«

»Und Bärenherz?«

»Lassen Sie ihn! Er ist ein Indianer und kennt unsere Lage. Er wird sich ganz sicher auf irgend einer Weise wieder zu uns finden.«

Dieses Wort beruhigte die Andern und so ritt man weiter.

Als sie sich der Oeffnung des Passes näherten, hielt Sternau an und sagte:

»Hier ist jedenfalls der Uebergang über die Sierra. Dies giebt jedenfalls einen Paß, welcher vielleicht länger ist als wir denken. In einem Passe aber soll man niemals das Nachtlager aufschlagen, da ein Ueberfall da stets doppelt gefährlich ist. Ich schlage vor, unsern Ruheplatz diesseits zu suchen und nicht jenseits.«

»Aber es ist noch nicht Nacht,« bemerkte der alte Graf.

»Die Nacht würde uns vielleicht im Passe überraschen.«

»Was schadet das? Wer wird uns überfallen?«

»Wir haben gehört, daß die Apachen den Mexikanern, die Comanchen aber den Franzosen helfen. Beide stehen sich also als Feinde gegenüber; ihre Gebiete stoßen hier in der Nähe zusammen und an den Grenzen hat man sich stets am Meisten vorzusehen. Ich bleibe bei dem Rathe, den ich gegeben habe. Was sagt Büffelstirn dazu?«


// 1598 //

»Mein weißer Bruder hat recht!« sagte der Gefragte einfach.

Bei diesen Worten wendete er sein Pferd zur Seite und sprengte davon.

»Wo reitet er hin?« fragte Emma ängstlich.

»Keine Sorge, Sennora,« antwortete Sternau. »Der Häuptling der Miztecas beweist mir seine Zustimmung durch die That. Er geht einfach fort, um einen Platz zu suchen, welcher sich zum Nachtlager eignet.«

»Aber konnte er das nicht vorher sagen?«

»Der Prairiemann ist gewohnt, viel zu thun und wenig zu sagen. Warten wir einfach, bis er wiederkommt.«

Sie hielten an und warteten. Bald kehrte Büffelstirn zurück und winkte den Uebrigen. Sie ritten auf ihn zu und nun geleitete er sie an eine Einbuchtung der Savanne, welche rings von Büschen so umgeben war, daß man recht gut ein helles Feuer brennen konnte, ohne daß es von Andern bemerkt wurde.

Hier stieg der Häuptling der Miztecas, ohne ein Wort zu sagen, vom Pferde, ließ sein Thier grasen und schickte sich an, dürre Aeste zur Feuerung zu suchen. Dieses wortlose, bestimmte Wesen ist einem jeden guten Jäger eigen. Es macht stets einen tiefen Eindruck auf den Neuling und Unerfahrenen und hat ein unwillkürliches rückhaltsloses Vertrauen zur sicheren Folge.

Als die Flamme zu lodern begann, machten es sich die Reisenden im Kreise bequem. Sternau patrouillirte zur Sicherheit halber die Umgebung ab und bestimmte dann die Reihenfolge der Wachen, von welcher die Damen natürlich ausgeschlossen waren.

Hier an diesem wohlverwahrten Orte wäre es den Apachen jedenfalls nicht so leicht geworden, die Franzosen zu überfallen und zu vernichten, wie drinn in der Schlucht des Passes.

Am andern Morgen gab es ein ausgezeichnetes, wunderschönes Wetter. Als die Sonne aufging, blitzten die Tautropfen an den Halmen und Blättern wie Abermillionen Karfunkel. Der Himmel war rein, und die Blumen der Erde dufteten ein herrliches Morgengebet zu ihrem Schöpfer empor.

Sennor Pirnero hatte sich vom Lager erhoben und wurde von dem schönen Wetter, was bei ihm selten geschah, hinaus vor seine Wohnung gelockt.

Er schritt langsam die kurze Straße hinab, trat durch das Palissadenthor und sah nun die Flutheu des Puercosflusses vor sich, an welchem Fort Guadeloupe liegt.

Er blickte erst abwärts und dann aufwärts des Wasserlaufes. Während er sich in dieser seiner Weise an der Herrlichkeit des Morgens erfreute, bemerkte er auf dem Wasser unterhalb des Forts einen Punkt, welcher sich langsam näherte. Dieser Punkt war dunkel; er warf auf beiden Seiten glitzernde Strahlen von sich.

»Ah, ein Boot!« brummte Pirnero verwundert. »Was rechts und links so glitzert und flimmert, das ist das Wasser, welches von den Rudern läuft.«

Erwartete, bis es näher kam. Da nahm sein Gesicht den Ausdruck doppelten Erstaunens an. Er räusperte sich, als ob er vor einem großen Ereignisse stehe und brummte weiter:

»Ein Rindenkanot, wie es die Indianer und Trappers haben! Das ist hier eine ganz ungeheure Seltenheit. Es sitzt nur ein Mann darin. Wer mag es sein!«


// 1599 //

Jetzt, als das Kanot in größere Nähe kam, bemerkte man erst, daß es eine außerordentliche Schnelligkeit entwickelte. Der Mann, welcher darin saß, mußte nicht nur eine außerordentliche Körperkraft, sondern auch eine noch viel größere Geschicklichkeit in der Führung eines solchen Fahrzeuges besitzen.

Jetzt war er ganz nahe. Er erblickte Pirnero und lenkte sein Kanot dem Ufer zu. Dort sprang er heraus und zog es mit einem gewandten Rucke aus dem Wasser an das Ufer hinauf. Er war fast ganz unbekleidet. Er trug jetzt nur eine alte, halb zerrissene Hose und eine Weste, an welcher sich keine Knöpfe befanden. Da er ohne Hemde war, so ließ er seine Brust und die braunen, sehnigen Arme vollständig sehen.

Nun aber nahm er einen ledernen Jagdrock aus dem Kanot und zog ihn an. Dieses Kleidungsstück war allerdings früher ein Rock gewesen, jetzt aber hatte es das Aussehen eines alten ledernen Schlauches, welcher Jahre lang in einem Teiche gelegen hat und jetzt halb faul geworden ist. Dazu langte er sich noch eine Mütze heraus, welche früher einmal ein Hut gewesen zu sein schien; jetzt aber glich sie einem alten, zerfetzten Tabaksbeutel, den man auf den Schädel stülpt.

Im Gürtel trug der Mann zwei Revolver, ein Messer und einen Tomahawk, den Tabakssack, den Kugelbeutel und mehrere andere Kleinigkeiten. Und aus dem Boote nahm er zuletzt noch eine Büchse, welche er so sorgsam, man müßte sagen, mit einer Art von Verehrung ergriff, daß man sah, er müsse das alte Schießinstrument außerordentlich lieb haben.

Als er sich jetzt umwendete, bot er einen eigenthümlichen Anblick dar. Das hagere Gesicht war von Wind, Sonne und Wetter hart wie Sohlenleder gegerbt; das kleine graue Auge hatte einen Blick, so scharf und stechend wie Gift; die lange, übergroße Nase glich genau einem Geierschnabel, und doch hatte diese ungewöhnliche Physiognomie Etwas an sich, was sofort Vertrauen einflößte.

»Good morning!« grüßte er.

»Guten Morgen,« antwortete Pirnero.

»Das ist Fort Guadeloupe, calculire ich?«

»Ja.«

»Ein kleines Nest?«

»Nicht groß.«

»Viel Militair da?«

»Gar keins.«

»Pfui Teufel! Giebt es ein Store- und Boardinghaus hier?«

»Ja.«

»Wo?«

»Zum Thore hinein das dritte Gebäude.«

»Danke, Sir!«

Er schritt an Pirnero, der ihn allerdings zu sich selbst gewiesen hatte, vorüber und zum Thore hinein. Seine Schritte waren zwar langsam, aber so weit und ausgiebig, wie sie bei guten Westläufern zu sein pflegen. Ein Ungeübter muß Trab laufen, um mit einem solchen Manne, wenn derselbe Schritt geht, vorwärts zu kommen. Darum halten solche Jäger leicht die weitesten Fußtouren aus.


// 1600 //

»Ein Yankee,« brummte Pirnero.

Er hatte recht. Hätte nicht bereits der Gruß und die Frage nach einem Store- und Boardinghaus vermuthen lassen, daß der Frager ein Yankee sei, so wäre doch der Ausdruck »calculire ich« der sicherste Beweis dafür gewesen.

Während wir sagen »ich meine«, »ich denke,« »ich vermuthe,« »mir scheint,« sagt der Nordamerikaner stets »ich calculire,« »ich rechne.« Dies ist ein Zeichen, daß er in seinen Ansichten und Meinungen sorgfältiger zu sein pflegt, als wir.

Als Pirnero später zurückkehrte, fand er den Fremden bereits bei einem Glase in der Stube sitzen. Er nahm an seinem Fenster Platz und blickte hinaus. Es herrschte eine tiefe Stille im Zimmer, welche nur durch das laute, ungenirte Ausspucken des Fremden unterbrochen wurde. Diese Art Leute pflegen stets zu den leidenschaftlichen Tabakskauern zu gehören, und ein Yankee macht sich den Teufel daraus, ob sein Räuspern und Spucken einem Andern unbequem wird oder nicht.

Pirnero war außerordentlich begierig, zu erfahren, wer der Fremde sei. Da dieser aber kein Wort von sich gab, so fing er endlich selbst an:

»Herrliches Wetter!«

Der Fremde gab einen grunzenden Ton von sich, dessen Bedeutung man unmöglich errathen konnte. Darum wiederholte Pirnero nach einer Weile:

»Unvergleichliches Wetter!«

»Hrrrrmmmrrruhm!« hustete der Fremde wieder.

Da drehte sich Pirnero um und fragte:

»Sagtet Ihr Etwas, Sennor?«

»Nein, aber Ihr!«

Diese Antwort nahm dem guten Pirnero die ganze Möglichkeit weg, in dieser Weise fortzufahren. Er trommelte sehr unbefriedigt an die Fensterscheibe, versuchte aber dann doch sein Heil in einer weiteren Bemerkung:

»Heut viel schöner als gestern!«

»Pchtichchchchchch!« spuckte der Fremde aus.

Da drehte sich Pirnero um und sagte:

»Ich habe Euch nicht verstanden, Sennor!«

Der Fremde wälzte sein Tabakspriemchen aus der rechten Backe in die linke, spitzte den Mund und spuckte mit einer solchen Sicherheit aus, daß die braune Tabaksbrühe wie aus einer Klystierspritze geschossen vom Tische her an Pirneros Nase vorüber und an die Fensterscheibe flog.

Der Wirth zog ganz erschrocken den Kopf zurück und sagte: »Sennor, dort am Schranke steht der Spucknapf!«

»Brauche keinen!« lautete die Antwort.

»Das glaube ich! Wer an die Fenster spuckt, der braucht keinen Napf. Aber diese Mode ist bei mir und in Pirna ganz und gar nicht Sitte!«

»So macht das Fenster auf!«

Das klang so kaltblütig, daß dem Wirthe vor Zorn das Blut zu wallen begann. Er beherrschte sich aber und fragte:

»Kommt Ihr weit her, Sennor?«

»Ja.«

»So müßt Ihr ein tüchtiger Ruderer sein.«


// 1601 //

»Warum?«

»Nun, stromauf!«

»Pah!«

»Wo seid Ihr abgefahren, Sennor?«

»Müßt Ihr das wissen?«

»Nun,« meinte Pirnero einigermaßen verlegen, »man will doch gern wissen, wer bei Einem einkehrt. Oder habe ich etwa nicht Recht?«

»Pchtsichchchchchch!« spuckte der Fremde abermals, daß der dünne, braune Strahl an Pirneros Gesicht vorüber an das Fenster flog.

»Alle Teufel, nehmt Euch in Acht!« rief der Wirth.

»Geht hübsch weg!«

Da öffnete Pirnero die beiden Flügel des Fensters und rückte seinen Stuhl weit davon hinweg an die Wand, an welcher ein alter Kupferstich hing. Nur auf diese Weise glaubte er sich vor dem Tabaksbrühenbombardement retten zu können.

Es verging abermals eine Weile. Der Fremde kaute und trank. Da er kontinuirlich schwieg, so begann Pirnero endlich:

»Ihr wolltet nach Fort Guadeloupe?«

»Vielleicht.«

»Bleibt Ihr hier?«

»Wohl schwerlich, calculire ich.«

»Ich meine für heute.«

»Ja.«

»Wollt Ihr Jemand besuchen?«

»Hm.«

»Oder habt Ihr ein besonderes Geschäft hier zu besorgen?«

»Pchtsichchchchchch!« spuckte der Gefragte wieder, und zwar so genau, daß der Strahl gerade über Pirnero's Kopf den Kupferstich traf.

Das war dem Wirthe zu viel. Er sprang auf und rief erbost:

»Was fällt Euch denn ein, Sennor? Ihr verderbt mir ja den schönen Kupferstich!«

»Nehmt ihn hinweg.«

»Spuckt Euch doch lieber in die Tasche!«

»Kommt her und macht sie auf.«

»Ist das eine verständige Antwort auf meine Fragen, he?«

»Ja. Wer zudringlich fragt, wird angespuckt. Merkt Euch das.«

»Wißt Ihr, daß Ihr ein Grobian seid?«

»Nein.«

»Nun, so will ich es Euch sagen.«

»Gebt Euch keine Mühe, es hilft Euch doch nichts. Ich komme nicht zu Euch, um mich aushorchen zu lassen. Wenn ich etwas wissen will, werde ich Euch schon selber fragen. Schenkt mir lieber noch Einen ein.«

Der Wirth gehorchte ihm. Als er das volle Glas auf den Tisch setzte, sagte er:

»Wollt Ihr diesen Tag und die Nacht bei mir bleiben? Das wenigstens werde ich wohl fragen dürfen?«


// 1602 //

»Will es mir überlegen! Ist man denn bei Euch hier sicher?«

»Vor wem?«

»Hm, vor den Indianern zum Beispiel?«

»Vollständig.«

»Vor den Mexikanern?«

»O, die thun uns gar nichts. Wir halten es ja doch mit ihnen.«

»Vor den Franzosen?«

»Vor denen erst recht. Sie wollten Fort Guadeloupe überrumpeln, sind aber höllisch abgewiesen worden.«

»Von wem? Von Euch etwa?«

Bei dieser Frage nahm das Gesicht des Fremden einen höchst lustigen Ausdruck an.

»Nein, sondern von den Apachen. Sie haben alle Franzosen umgebracht.«

»Alle Wetter! So halten die Apachen es wohl mit dem Präsidenten Juarez?«

»Ja.«

»Was sagen aber die Herren Comanchen dazu?«

»Diese halten es mit den Franzosen.«

»Der Teufel soll sie holen!«

»Ah, Sennor, so seid Ihr wohl auch ein Feind und Gegner der Franzosen?«

»Das geht Euch den Teufel an. Aber sagt, wo befindet sich der Juarez eigentlich?«

»In el Paso del Norte, glaube ich.«

»Glaubt Ihr? So wißt Ihr es nicht sicher?«

»Sicher allerdings nicht.«

»Wie weit rechnet Ihr von hier bis nach el Paso del Norte hinüber?«

»Fünfundzwanzig gute Reitstunden. Wollt Ihr etwa hinüberreiten?«

»Möglich.«

»Ah, Sennor, so habt Ihr wohl gar ein geheimes Geschäft mit dem Präsidenten?«

»Pchtsichchchchchch!«

Aus dem schnell zugespitzten Munde des Fremden schoß die braune Brühe gerade an Pirnero's Gesicht vorüber, und zwar so dicht, daß dieser erschrocken zurücksprang.

»Himmeldonnerwetter, nun habe ich es aber satt!« fluchte er. »Das bin ich nicht gewöhnt; dazu ist meine Abstammung viel zu gut! Wißt Ihr, woher ich bin?«

»Woher?« fragte der Fremde gleichmüthig.

»Aus Pirna.«

»Aus Pirna? Kenne das Ding nicht. Liegt wohl hinter dem Nordpol?«

»Nein, aber in Sachsen.«

»Geht mich gar nichts an, dieses Sachsen. Werde aber heute bei Euch bleiben.«

»Sennor, das geht nicht!«

Der Fremde sah den Wirth erstaunt an und fragte dann:


// 1603 //

»Warum nicht?«

»Ihr gefallt mir nicht.«

»Aber Ihr gefallt mir; das hebt sich auf.«

»So einen Spucker brauche ich nicht!«

»Wünscht Ihr Euch einen besseren? Ich kann dienen, calculire ich.«

»Nein, nein! Ich mag Euch nicht haben. Geht wo anders hin, wo Ihr spucken könnt! Seht mein Fenster an und mein Bild. Wißt Ihr, was es für ein Bild ist?«

»Nein.«

»Soll ich es Euch sagen?«

»Thut Euch immerhin den Gefallen.«

»Es ist ein Heirathsbureau um die Zeit der Dämmerstunde.«

Der Fremde warf einen scharfen Blick nach dem Kupferstiche und antwortete dann:

»So irrt man sich. Ich dachte, es ist eine Zündhölzerfabrik um die Morgenstunde.«

Das brachte Pirnero noch mehr in Harnisch. Er trat einen Schritt zurück und fragte:

»Ist das Euer Ernst, Sennor?«

»Natürlich.«

»So macht auf der Stelle, daß Ihr fortkommt! Ich will Euch lehren, ein Heirathsbureau um die Dämmerstunde für eine Streichhölzerfabrik um die Morgenstunde anzusehen. Das Bild ist ein altes Erbstück. Eine solche Ehrwürdigkeit lasse ich mir nicht anspucken und verzündhölzen! Versteht Ihr mich?«

»Nein.«

»Nun, so will ich es deutlicher sagen: Wenn Ihr nicht sofort dieses Zimmer verlaßt, so werfe ich Euch hinaus, daß Euch alle sechsundachtzig Rippen krachen.«

Er hatte sich in eine vollständige Wuth hineingesprochen. Er stand mit geballten Fäusten vor dem Fremden, so daß es aussah, als ob er ihn sogleich fassen wolle.

»Pstichchchchchch!« schoß ihm der Tabakssaft abermals entgegen, daß er in größter Eile zurücksprang.

»Was? Auch das noch!« rief er. »Nun trollt Euch aber auf der Stelle fort, sonst sollt Ihr erfahren, daß der Pastor den Bürgermeister erschossen hat!«

»Pah!« sagte der Fremde ganz ruhig. »Macht keinen solchen Lärm, sonst spucke ich Euch so an, daß Euch der Saft durch die Mauer hinaus auf die Gasse treibt. Ob ich dableiben will oder nicht, das ist nicht Eure, sondern meine Sache. Ich habe die ganze Nacht gerudert und bin nun müde. Ich werde eine Stunde schlafen.«

Er lehnte seine Büchse an die Wand und legte sich auf die Bank, welche sich lang an der Wand hinzog. Das aber wollte Pirnero nicht dulden.

»Halt, das geht nicht,« sagte er. »Schlaft, wo Ihr wollt, aber nicht bei mir. Ich werde mich allerdings nicht an Euch vergreifen, aber ich werde meine Leute holen, die sollen Euch zeigen, wer der Besitzer des Kaninchens ist.«

Da zog der Fremde seinen Revolver aus dem Gürtel und sagte:


// 1604 //

»Thut, was Ihr wollt, ich aber sage Euch, daß ich einen jeden, der mir näher kommt, als ich es wünsche, ein wenig todtschießen werde!«

Das imponirte dem Wirthe. Er stand eine Weile überlegend da und sagte dann:

»Hm! Ihr seid ein ganz und gar desparater Kerl. So schlaft denn meinetwegen eine Stunde; aber ich hoffe, daß Ihr nicht auch noch im Schlafe spuckt?«

»Nein, wenn mir nämlich nicht von neugierigen Fragen träumt.«

Er steckte den Revolver zu sich und legte sich auf die Seite. Bereits nach kurzer Zeit merkte man es seinem Athmen an, daß er eingeschlafen war. Dieser Mann mußte allerdings sehr ermüdet sein.

Pirnero hatte sich echauffirt. Er nahm ein Gläschen Julep zu sich und wollte sich eben wieder an sein Fenster setzen, als draußen das Getrappel eines Pferdes hörbar wurde. Ein Reiter sprang vom Pferde, band dasselbe an und kam dann herein.

Er war schon bei Jahren, aber noch kraftvoll und rüstig, und trug die schwere, kleidsame Tracht eines Vaquero (Rinderhirten).

Er setzte sich, ließ sich ein Glas Pulque geben und betrachtete den Wirth aufmerksam. Dieser bemerkte dies nicht, denn er saß bereits wieder an seinem Fenster und blickte hinaus. Er schien mit sich zu Rathe zu gehen, ob vielleicht der Vaquero auch ein Tabaksspucker sei. Bald aber faßte er sich ein Herz und bemerkte:

»Ausgezeichnetes Wetter!«

»Ja,« antwortete der Vaquero.

Das erfreute den Wirth ungemein. Seine Mienen erheiterten sich; er drehte sich herum, nickte dem Manne freundlich zu und fuhr fort:

»Besonders ausgezeichnet zum Reiten.«

»Ja, bin aber auch die ganze Nacht geritten.«

»Die ganze Nacht? Das klingt ja, als ob Ihr ein Courier wärt!«

»Es ist auch fast so.«

»Wo wollt Ihr denn hin?«

»Nach Fort Guadeloupe.«

»Da seid Ihr ja. Habt Ihr hier Geschäfte?«

»Nein; ich habe etwas abzugeben. Seid Ihr vielleicht Sennor Pirnero?«

»Ja freilich, der bin ich.«

»Lebt Sennorita Resedilla noch?«

»Natürlich! Kennt Ihr sie?«

»Nein; aber ihretwegen bin ich hier. Euch ist doch die Hazienda del Erina bekannt?«

»Das versteht sich, Petro Arbellez ist ja mein Schwager!«

»Nun, Sennor Arbellez sendet mich zu Euch. Ich stehe in seinem Dienste.«

»Zu mir? Ah, das freut mich, das freut mich ungeheuer. Ich werde Euch Essen und Trinken geben lassen und meine Tochter holen!«

»Ja, holt sie, damit ich gleich Beiden meine Botschaft ausrichten kann.«

Pirnero hatte seinen Aerger ganz vergessen; er eilte in die Küche und


// 1605 //

brachte Resedilla herbei. Er führte sie zu dem Tische, an welchem der Vaquero saß, und sagte:

»Hier, Resedilla, ist ein Vaquero des guten Oheim Petro. Er hat uns eine Botschaft auszurichten. Er ist die ganze Nacht geritten; sorge für ihn!«

Das Mädchen gab dem Gaste die Hand und fragte nach seiner Sendung.

»Nun,« antwortete er, »Ihr wißt, daß mein Herr alt ist -«

»Ja, älter als ich,« meinte Pirnero.

»Er hat keine Kinder -«

»Denkt Ihr nicht an Sennorita Emma?«

»O, die ist verschwunden; die ist jedenfalls längst todt und kehrt nicht wieder zurück. Das hat meinem Herrn am Leben genagt und ihn älter gemacht, als er ist. Nun wißt Ihr doch, daß die Hazienda nicht mehr dem Grafen Rodriganda gehört?«

»Ich weiß es; der Graf hat sie meinem Schwager geschenkt.«

»Mein Herr wird ohne Kinder sterben -«

Jetzt horchte Pirnero auf.

»Ich hoffe, daß er noch lange leben wird!« sagte er.

»Bei einem solchen Alter, und in solchen Zeiten, wie die gegenwärtigen sind, ist es gar kein Wunder, wenn man an den Tod denkt. Also Kinder hat Sennor Arbellez nicht, aber Erben, oder vielmehr eine Erbin -«

»Wen meint Ihr?«

»Sennorita Resedilla. Sie soll die Hazienda erben.«

Resedilla wendete sich halb ab. Sie liebte ihren Oheim wirklich, darum thaten ihr die Worte des Vaquero weh. Sie sagte:

»Geben wir die Hoffnung, daß Emma sich wieder finden läßt, doch noch nicht auf!«

»Mein Gebieter hat sie aufgegeben,« sagte der Vaquero. »Darum hat er Euch zur Erbin eingesetzt und läßt Euch sagen, daß er Euch vor seinem Ende gern noch einmal zu sehen wünscht.«

»Das ist der Auftrag, den Ihr auszurichten habt?« fragte der Wirth.

»Ja. Ich soll die Sennora bitten, meinen Herrn recht bald einmal zu besuchen. Uebrigens habe ich Euch diesen Brief abzugeben.«

Er griff in sein Wamms und zog ein viereckig zusammengelegtes Leder heraus, in welchem sich der Brief befand. Pirnero nahm ihn und wollte ihn öffnen.

»Nein, hier nicht, Vater!« bat Resedilla.

»Wo denn sonst?«

»Komm mit mir! Solche Briefe liest man allein.«

Sie zog ihn mit sich fort. Als sie nach einer Weile zurückkehrten, hatte das gefühlvolle Mädchen rothgeweinte Augen, und auch Pirnero schien tief ergriffen zu sein.

»Wir haben den Brief gelesen,« sagte er.

»Und wie entschließt Ihr Euch, Sennor?« fragte der Vaquero.

»Das läßt sich nicht augenblicklich sagen. Ihr kennt die Verhältnisse.«

»Ah, Ihr könnt Eure Tochter nicht gut auf einige Wochen vermissen?«


// 1606 //

»Das ließe sich wohl überwinden; aber der Krieg, der Krieg!«

»So meint Ihr, daß es für die Sennorita gefährlich sei, den Weg nach der Hazienda del Erina zu machen?«

»Ja.«

»Was das betrifft, so braucht Ihr Euch keine Sorge zu machen. Mein Herr wird sich ein Begleitschreiben auswirken, welches die Franzosen gewiß respectiren werden.«

»Aber die Andern, die Indianer?«

»Auch sie haben wir nicht zu fürchten, denn Sennor Arbellez will Euch eine genügende Anzahl erfahrener Vaqueros und Büffeljäger senden, welche die Sennorita sicher zu ihm bringen werden.«

»Hm, auf diese Weise könnte man es wagen, aber gefährlich bleibt es dennoch. Wie lange Zeit habt Ihr, hier zu bleiben?«

»Den heutigen Tag.«

»Nun, so werde ich es mir überlegen. Morgen sollt Ihr meine Antwort und auch einen Brief an den Schwager bekommen. Jetzt aber versorgt Euer Pferd und geht dann in die Küche, um Euch etwas vorsetzen zu lassen.«

Dies that der Vaquero. Resedilla ging auch wieder in die Küche, Pirnero aber setzte sich an sein Fenster, um über die soeben empfangene Botschaft nachzudenken. Ein so bedeutendes Erbe, wie die Hazienda del Erina, war gar nicht zu verachten; aber er hatte seinen Schwager wirklich lieb, und der Verlust Emma's hatte auch ihn ergriffen. Er besaß, trotz seines eigenthümlichen Characters, ein tiefes Gemüth, welches auch zarteren Gefühlen zugänglich war.

Er konnte sich seinem Sinnen nicht lange hingeben, überhaupt hatte es allen Anschein, als ob der heutige Tag ein sehr bewegter werden solle, denn es kam jetzt ein zweiter Reiter, welcher draußen vom Pferde sprang und dann eintrat. Der schwarze Gérard war es.

Als Pirnero ihn erblickte, begrüßte er ihn ganz anders als früher.

»Ah, Sennor Gérard!« rief er, sich erhebend und auf den Jäger zueilend. »Ihr seid es? Gott sei Dank! Wir haben rechte Angst gehabt!«

»Wir? Wen meint Ihr damit?«

»Nun mich und Resedilla.«

»Euch auch mit?« fragte Gérard lächelnd.

»Natürlich!«

»Wie kommt das? Ich trinke doch nur einen einzigen Julep und gebe mich dazu her, Rehziegen für andere Leute zu tragen.«

»Macht keine dummen Witze! Damals wußte ich doch nicht, wer Ihr seid. Jetzt aber seid Ihr mir willkommen, selbst wenn Ihr gar keinen Julep trinken würdet. Ich werde Resedilla gleich rufen.«

Aber das war gar nicht nöthig, denn sie hatte die Stimme Gérards erkannt. Sie trat herein mit freudeglänzendem Gesichte und reichte ihm die Hand.

»Willkommen!« sagte sie. »So ist der Kriegszug glücklich abgelaufen?«

»Sehr glücklich.«

»Ohne Verwundung?«

Ihr Blick streifte dabei mit Besorgniß seine Gestalt.


// 1607 //

»Es ist mir kein Haar gekrümmt worden,« antwortete er im Tone der Beruhigung.

»Gott sei Dank!«

»Ja, Gott sei Dank! Aber ich wünsche, daß wir auch morgen oder übermorgen so sagen können.«

»Warum?« fragte Pirnero.

»Ich komme, um Euch auf eine große Gefahr aufmerksam zu machen.«

»Auf eine Gefahr? Auf eine große?« fragte Pirnero. »Sprecht Ihr im Ernste, Sennor Gérard?«

»Leider im vollen Ernste. Die Franzosen haben erfahren, daß jene Compagnie vernichtet worden ist. Nun sind sie mit dreifacher Stärke aufgebrochen, um sich zu rächen. Sie sind bereits nach Fort Guadeloupe unterwegs.«

Resedilla erbleichte. Ihr Vater schlug die Hände zusammen und rief:

»Mein Gott, ist das wahr?«

»Ja. Wir wissen es ganz sicher.«

»Wann werden sie kommen?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»O, dann werde ich sogleich einpacken und Alles, was ich habe, auf die Pferde geben. Wir fliehen zu Juarez hinüber.«

Er wollte in furchtsamer Eile das Zimmer verlassen, doch Gérard hielt ihn zurück.

»Halt! wartet noch!« sagte er. »So weit ist es noch nicht. Selbst wenn die Franzosen das Fort nehmen, würden sie das Privateigenthum möglichst respectiren müssen, um auf diesem gefährlichen, so weit vorgeschobenen Posten nicht auch noch die Bevölkerung gegen sich zu erbittern. Aber die Hilfe ist schon bereits unterwegs.«

»Welche Hilfe?«

»Juarez selbst.«

»Juarez selbst? Hat er die Apachen bei sich?«

»Ja.«

»Ah, da sind wir gerettet!«

»Jubeln wir nicht zu früh! Juarez weiß nicht genau, welchen Weg der Feind eingeschlagen hat. Es ist leicht möglich, daß er ihn verfehlt. Er wird die Fährte der Franzosen ganz sicher finden, aber vielleicht nicht zur rechten Zeit, um ihn noch vor dem Ziele zu erreichen. Da gilt es nun, den Feind nicht in das Fort zu lassen, damit Juarez und die Apachen herankommen und ihn aufreiben können.«

»Ihr meint, daß das Fort vertheidigt werden soll?«

»Ja.«

»Aber wer, um Gottes Willen, soll dies thun? Wir haben kein Militär!«

»Wir werden es thun, wir Alle, und auch Ihr mit, Sennor Pirnero.«

Da wurde das Gesicht des braven Wirthes noch einmal so lang.

»Ich auch mit?« fragte er erschrocken.

»Natürlich!«

»Ich soll schießen?«


// 1608 //

»Freilich!«

»Und stechen?«

»Das versteht sich!«

»Ich soll Menschen todt machen?«

»So viele wie möglich!«

»O nein; das thue ich nicht! Das sind wir in Pirna nicht gewöhnt! Wer dort einen Franzosen erschießt, der wird umgebracht oder zu lebenslänglichem Zuchthause begnadigt. Es kommt sogar vor, daß ein solcher Mensch zum Tode verurtheilt wird nebst zehn Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust und Polizeiaufsicht!«

»Das kommt an anderen Orten auch vor,« lachte Gérard, »obgleich es mehr ist, als ein Mensch billiger Weise aushalten kann.«

»Nun also! Ich schieße nicht!«

»So werdet Ihr erschossen.«

Pirnero erbleichte.

»In wiefern?«

»Ich komme als Bote von Juarez. Ich war bereits auf dem Anunciamento. Ich soll die Vertheidigung leiten. Juarez befiehlt, daß ein jeder Einwohner sich bewaffne, um den Feind abzuweisen. Der Alkalde geht bereits von Haus zu Haus, um diesen Befehl zu überbringen; Euch aber wollte ich es selbst sagen.«

»Aber, Sennor, ich habe ja noch nicht einmal einen Hasen geschossen!«

»Ein Mann ist leichter zu treffen, Sennor!«

Dieses Argument aber diente keineswegs dazu, den Alten zu beruhigen.

»Aber ich bin dann doch ein Mörder!« sagte er. Dann aber klärte sich sein Gesicht plötzlich auf und er sagte: »Ah, da fällt mir ein Ausweg ein!«

»Es sollte mich freuen, wenn Ihr einen fändet!«

»Wollt Ihr mir einen Gefallen thun, Sennor Gérard?«

»Sehr gern, wenn ich kann!«

»Nun gut, Ihr könnt es. Es ist sehr leicht; Ihr nehmt nämlich zwei Flinten.«

»Ah! Wozu?«

»Ihr schießt einmal mit der Einen für Euch und dann mit der Andern für mich. Auf diese Weise steht Ihr für zwei Mann, und ich brauche nicht zu wüthen wie ein rasender Roland!«

»Solche Leute braucht man überhaupt gar nicht!« klang es aus der Ecke.

Gérard drehte sich um. Er hatte den Schlafenden noch gar nicht bemerkt. Dieser war während des Gespräches erwacht und hatte Alles vernommen. Jetzt saß er aufgerichtet auf seiner Bank und kaute gleichmüthig an seinen Fingernägeln herum. Gérard betrachtete ihn aufmerksam, trat auf ihn zu und sagte:

»Verzeiht, Sennor! Darf ich fragen, wer Ihr seid?«

»Ja!«

Der Gefragte sagte nur dieses eine Wort. Dann spuckte er sein Primchen, welches er auch im Schlafe im Munde behalten hatte, über den Tisch hinüber, griff in die Tasche, zog einen gewaltigen Ring Kautabak hervor und biß sich ein Stück ab.


Ende der siebenundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk