Lieferung 70

Karl May

22. März 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1657 //

Bärenauge streckte alle beiden Hände von sich und sagte:

»Ein Bruder soll dem andern nur die Wahrheit sagen.«

»Ich sage sie!«

»Hast Du es selbst gesehen?«

»Nein, aber ich habe es gehört.«

»Man hat nicht die Wahrheit gesagt.«

»Der Mann, welcher es sagte, hat es mit eigenen Augen gesehen, oder es von Einem gehört, der es mit eigenem Auge gesehen hat.«

»Ich glaube es dennoch nicht!«

»Du wirst es glauben, wenn Du es gesehen hast!«

»Aber ich werde es nicht sehen!«

»Du wirst es sehen!«

»Wann?«

»Sehr bald; denn ich werde den Fürsten des Felsens bitten, mit in das Wigwam der Apachen zu reiten, um meiner Mutter die Sonne wieder zu geben.«

»Wird er es thun?«

»Er wird es thun.«

»So laß uns aufbrechen und sogleich zu ihm gehen.«

»Ja, komme. Die Mutter soll sich freuen, wenn Bärenherz zurückkehrt, denn er wird ihr den Medizinmann mitbringen, der ihr Auge gesund macht!«

Sein Gesicht glänzte vor Glück und Freude, seine Mutter Wiedersehen zu können. Fast wäre er aufgestiegen, ohne an das Nothwendigste zu denken:

»Halt!« sagte Bärenauge. »Wir haben uns gewaschen!«

»Uff!« rief Bärenherz.

Er griff unter seine Satteldecke und brachte die Farbennäpfchen hervor, welche jeder Indianer im Kriege bei sich führt. Sein Bruder holte die seinigen herbei, und da sie zu Zweien waren, konnten sie einander Hilfe leisten.

Es wäre für einen Genre-Maler ganz gewiß von größtem Interesse gewesen, dieser Scene beiwohnen zu können. Da standen die beiden berühmten Häuptlingsbrüder hinter dem Gesträuch am Flusse, beide sich so ähnlich an Gestalt, Gesicht und Charakter, bewaffnet bis an die Zähne, und malten sich gegenseitig die Gesichter an, immer einer dem Andern, und das zwar mit einem so hohen Ernste und mit einer Arbeitsliebe, als ob es sich um ein ganz bedeutendes Kunstwerk handle.

Als sie fertig waren, betrachteten sie sich gegenseitig mit kritischen Blicken, ob das große Werk auch gelungen sei. Und da beide aus brüderlicher Liebe das Vorzüglichste geleistet hatten, so steckten sie die Farbennäpfchen wieder in die Satteltaschen zurück und bestiegen die Pferde.

Als sie hinter den Büschen hervorkamen und in strenger Haltung so ernst und gemessen nach dem Kampfplatze zurückkehrten, hätten wohl die Wenigsten vermuthet, daß sich vorher eine so herzliche, tiefinnige Scene in den Fluthen des Puercosflusses abgespiegelt hatte.

Natürlich galt ihr erster Ritt dem Präsidenten Juarez, welcher soeben das Schlachtfeld beritt. Die Indianer hatten ihre Todten zusammengetragen, um heute am Abende die Todtenklage über sie anzustimmen. Die Franzosen waren bereits in den Fluß geworfen worden.


// 1658 //

Ist der Indianer mit seinen Familiengenossen zusammen, so nennt er sich »ich«; er spricht also in der ersten Person. Anderen gegenüber aber nennt er sich fast stets bei seinem Namen, so daß es für einen Uneingeweihten leicht ist, zu denken, er rede von einer dritten Person, welche gar nicht zugegen ist.

Die beiden Brüder hatten sich während ihrer Unterredung des Ausdruckes »ich« bedient. Von jetzt an aber hatten sie meist wieder in der dritten Person zu sprechen.

Als Juarez sie kommen sah, hielt er sein Pferd an, um sie zu erwarten. Sie kamen heran, er deutete auf die ringsum sichtbaren Blutlachen und sagte:

»Der Tomahawk der Apachen hat eine reiche Ernte gehalten.«

»Uff!« antwortete Bärenauge einfach.

»Meine rothen Brüder sind tapfere Krieger. Wem gehören die beiden Leichenhaufen, welche dort noch am Felsen liegen?«

Dort hatte man nämlich während der Abwesenheit der Häuptlinge zwei Haufen Franzosenleichen zusammengetragen. Bärenauge antwortete:

»Sie gehören Bärenherz und Bärenauge. Diese Feinde wurden von ihnen erlegt und mit ihrem Zeichen versehen. Der Apache nimmt nur die Scalpe der Feinde, welche er selbst getödtet hat.«

Der Blick des Präsidenten musterte Bärenherz.

»Ah!« sagte er. »Dieser Krieger ist Shosh-in-liett, der berühmte Häuptling der Apachen?«

»Ja,« antwortete sein Bruder.

»Ich hörte, er sei verschwunden.«

»Du hast recht gehört; heut aber ist der Häuptling wiedergekommen.«

Da nahm das Gesicht des Präsidenten den Ausdruck des Nachsinnens an.

»Ah,« sagte er, »jetzt weiß ich es; jetzt besinne ich mich. Kennt mein Bruder Bärenherz die Hazienda del Erina?«

»Er kennt sie,« antwortete der Gefragte.

»Der Besitzer war einst bei mir, als ich noch Oberrichter war, und erzählte mir von verschwundenen Leuten, unter denen auch Bärenherz war.« Und wieder abbrechend, fragte er: »Haben die Apachen heute viele Scalpe und Beute genommen?«

Er ging deshalb sogleich zu einem andern Gegenstande über, weil er aus Erfahrung wußte, daß Indianer, und zumal Häuptlinge, sich nicht gern ausfragen lassen.

»Bärenauge hat die Beute seinen Kriegern geschenkt, er weiß nicht, ob sie groß ist,« lautete die stolze Antwort.

»Es sind jedenfalls dreihundert Gewehre?«

Bärenauge nickte.

»Und ebenso viele Pferde?«

»Ja,«

»Nebst vieler Munition?«

Ein abermaliges Nicken.

»Will mein Bruder mir das verkaufen?«

Der Häuptling schüttelte mit dem Kopfe.


// 1559 //

»Die Krieger der Apachen brauchen Flinten, Blei und Patronen,« sagte er.

»Du hast recht. Aber die Pferde kann ich kaufen?«

»Sie gehören meinen Kriegern. Frage sie.«

»Ich muß nach Chihuahua. Wird mein Bruder Bärenauge mich begleiten?«

»Ja, denn er hat Dir sein Wort gegeben.«

»So werden wir die Franzosen dort vertreiben. Vorher aber wollen wir uns ausruhen. Ich höre, daß im Fort eine Venta ist?«

»Es ist eine da.«

»Wie heißt der Wirth?«

»Pirnero.«

»Ah! Dieser! Ich werde bei ihm wohnen. Wollen meine Brüder mich begleiten?«

Sie lenkten anstatt der Antwort ihre Pferde an seine Seite und ritten so, ihn in der Mitte, nach dem Fort. Seitwärts desselben, hart am Flusse, hatten die Apachen ihr Lager aufgeschlagen, wo sie beschäftigt waren, die Beute zu vertheilen.

Als die Reiter die Venta erreichten, herrschte vor und in derselben ein außerordentlich reges Leben. Die meisten Jäger saßen in der Gaststube und tranken und rauchten. Indianer gingen ab und zu, nicht um zu trinken, denn das war ihnen von Bärenauge untersagt worden, sondern um in dem Laden des Wirthes ihre Beute zu verwerthen.

Aus diesem Grunde hatte Pirnero ganz außerordentlich viel zu thun. Einige seiner Vaqueros halfen ihm, und zum Glücke hatte sich Resedilla von ihrer Ohnmacht wieder erholt, so daß sie im Stande war, ihn nach Kräften zu unterstützen.

Eben als Juarez abstieg, kam er aus dem Laden und wollte in die Gaststube hinüber. Als er die drei Reiter erblickte, trat er heraus vor die Thür. Juarez hatte ein scharfes Auge; er taxirte ihn sofort als Wirth.

»Seid Ihr Sennor Pirnero?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Alte.

»Kennt Ihr mich?«

»Nein.«

»Ich heiße Juarez.«

Da riß der Wirth den Mund und die Augen weit auf und fragte:

»Sennor Juarez, der Präsident?«

»Ja.«

»O, welch ein Heil widerfährt da meinem Hause! Tretet ein, tretet ein, Sennor!«

»Das Heil, welches Euerem Hause wiederfährt, rührt mich wenig,« lächelte Juarez. »Lieber wäre mir, wenn in Eurem Hause mir Heil widerfahren könnte. Habt Ihr ein Zimmer für mich?«

»O, einen Salon!«

»Kann ich essen und schlafen?«

»So gut, wie in der Hauptstadt selbst.«

»So führt mich in das Zimmer und sorgt dann für mein Pferd.«


// 1660 //

Er stieg ab, übergab sein Pferd einem der Vaqueros und folgte dann dem Wirthe nach oben, während die beiden Häuptlinge in die Gaststube traten.

Als Juarez die Treppe hinaufgestiegen war, bemerkte er die eingeschlagene Thür. Ihm fiel Alles leicht auf. Er trat hinein und - stand Pepi und Zilli gegenüber. Man konnte sehen, daß er betroffen war, und auf den Gesichtern der beiden Mädchen spiegelte sich auch eine Art von Ueberraschung ab, welche man sogar vielleicht Verlegenheit nennen konnte.

»Ah, sehe ich recht, oder täusche ich mich?«

»Sennor Juarez!« sagte Pepi. »Also Sie kennen mich, Sennorita? So täusche ich mich nicht? Haben wir uns nicht bereits gesehen?«

»Ja, Sennor.«

»Wo?«

»Im Kloster.«

»Della Barbara zu Santa Jaga?«

»Ja.«

»Sie waren als Zöglinge dort?«

»Ja.«

»Aber, um Gottes willen, wie kommen Sie nach Fort Guadeloupe?«

»Von Chihuahua.«

»Da waren Sie?«

»Kurze Zeit.«

»Bei den Franzosen?«

»Bei den Franzosen. Aber keineswegs als Ihre Feindinnen.«

»Das will ich hoffen,« lächelte er, »denn so schöne Feindinnen können selbst einem Präsidenten gefährlich werden. Aber weshalb gingen Sie nach dem Fort?«

»Wir schlossen uns einer Compagnie Soldaten an.«

»Ah, derjenigen, welche vernichtet wurde?«

»Ja.«

»Wie sind Sie denn entkommen, Sennoritas?«

»Der schwarze Gérard rettete uns.«

»Der schwarze Gérard! So ist Ihnen dieser brave Mann bekannt?«

»O, sehr gut!«

»Aber weshalb schlossen Sie sich diesen französischen Soldaten an, Sennoritas?«

»Sennor,« sagte Pepi verlegen und bittend.

»Ah! Geheimniß?«

»Allerdings,« antwortete sie munter.

»Vielleicht doch kein politisches?«

»Auf keinen Fall.«

»Oder ein Familiengeheimniß?«

»Ja.«

»Da will ich nicht eindringen. Wie lange gedenken Sie, hier zu verweilen?«

»Das ist noch unbestimmt.«

»Haben Sie Freunde und Bekannte hier?«

»Ja.«


// 1661 //

»Nun, ich werde jedenfalls bis morgen dableiben. Kann ich mit der Erfüllung eines Wunsches dienen, so kommen Sie nur immer getrost zu mir.«

Er ging. Draußen hatte der Wirth auf ihn gewartet. Dieser führte ihn jetzt in ein größeres Zimmer, welches er seinen »Salon« nannte. Es war dasselbe, welches er dem Grafen Ferdinando eingeräumt hatte.

Als sie eintraten, lag der Graf noch ohne Besinnung auf dem Bette. Daneben saß Mariano und vor demselben stand Sternau, um den Puls des Grafen zu fühlen.

»Dies, Sennor, wird Euer Zimmer sein,« sagte Pirnero.

Juarez blickte ihn erstaunt an.

»Es ist ja bereits bewohnt,« sagte er.

»Man wird diesem Kranken ein anderes Zimmer geben.«

»Wer ist er?«

Da trat Sternau näher und verbeugte sich.

»Mein Name ist Sternau, Sennor,« sagte er. »Ich bin der Arzt dieses Kranken. Darf ich fragen, wer der Herr ist, dem wir weichen sollen?«

»Ich heiße Juarez.«

Da leuchteten Sternaus Augen freudig auf.

»Ich danke, Sennor, und bin hoch erfreut, den Mann zu sehen, welcher das Unglück seines Vaterlandes so stark und muthig auf den Schultern trägt. Mein Patient ist der Graf Ferdinando de Rodriganda.«

Da trat der Präsident einen Schritt zurück. Er hatte ganz das Aussehen, als ob ihm etwas Unbegreifliches widerfahren

»Ferdinando de Rodriganda?« fragte er langsam.

»Ja, Sennor.«

»Aus Stadt Mexiko?«

»Ja.«

»Dem zum Beispiel die Hazienda del Erina einst gehörte?«

»Derselbe.«

»Sennor Sternau, das muß ein gewaltiger Irrthum sein.«

»Es ist die Wahrheit.«

»Aber der Graf ist ja gestorben und begraben! Er ist ja seit vielen Jahren todt.«

»Er wurde zwar begraben, aber er war nicht gestorben und nicht todt.«

»Ich verstehe diese Worte nicht!«

»Sie werden sie heute noch verstehen, Sennor. Ich danke dem Himmel, daß er uns mit Ihnen zusammengeführt hat, und bitte Sie, unserer Angelegenheit heute eine Stunde zu schenken. Es ist eine Angelegenheit von der allergrößten Wichtigkeit.«

»Ah, Sie überraschen mich immer mehr! Sagten Sie nicht, daß Ihr Name Sternau sei?«

»Allerdings.«

»Ich muß diesen Namen bereits einmal gehört haben,« meinte Juarez, der ein ungeheures Gedächtniß besaß. »Sie sind Arzt. Ah, ich habe es! Kennen Sie einen Herrn, welcher Petro Arbellez hieß?«


// 1662 //

»Den Haciendero auf del Erina?«

»Ja, den meine ich.«

»Ich kenne ihn, ich war bei ihm.«

»Er erzählte mir einst eine eigenthümliche Geschichte. Ich nahm von ihm alte, indianische Schmucksachen in Empfang, welche ich nach Deutschland senden mußte.«

»O, vielleicht nach Rheinswalden?«

»Ja, ich glaube, so hieß der Ort. An einen Knaben, dessen Vater Steuermann war.«

»Helmers?«

»Möglich! Der Knabe war bei einem Hauptmanne, der zugleich Oberförster war.«

»Das stimmt, das stimmt! Also hat der brave Arbellez diese Sachen hinübergesandt?«

»Ja, durch mich. Dabei hat er mir auch Ihren Namen genannt. Ich kann mich augenblicklich nicht so genau besinnen, aber ich glaube, daß es sich um die Heilung eines Wahnsinnigen handelte, welcher sein Schwiegersohn werden sollte.«

»Sie besinnen sich ganz richtig, Sennor!«

»Er hat mir noch mehr von Ihnen erzählt. Also Sie sind in Wahrheit jener Doctor Sternau?«

»Ja.«

»Nun, dann ist es um so auffallender, daß Sie sagen, der Graf sei noch nicht todt.«

»Er wurde lebendig begraben.«

»Teufel!«

»Und wieder ausgegraben.«

»Sennor, das ist ein Roman.«

»Es ist die Wahrheit! Er wurde ausgegraben und, lebendig geworden, als Sclave verkauft. Erst vor kurzer Zeit ist es ihm gelungen, seine Freiheit wieder zu erlangen.«

Juarez schüttelte den Kopf.

»Wissen Sie, Sennor, daß ich den Grafen sehr gut gekannt habe?«

»Um so besser! Wollen Sie ihn sehen?«

»Natürlich.«

»So bitte ich, näher zu treten.«

Der Präsident Juarez trat näher. Er betrachtete den Ohnmächtigen sehr scharf und fuhr dann zurück. Er war zwar bleich geworden, aber seine Augen funkelten.

»Nun, Sennor, was sagen Sie jetzt?« fragte Sternau.

»Er ist es, bei Gott, er ist es!«

»Es ist allerdings kein Roman.«

»Nein, es ist keiner. Es ist sein Gesicht, ganz unverkennbar sein Gesicht, nur um so viele Jahre älter. Aber wissen Sie, woran ich ihn ganz genau erkenne?«

»Jedenfalls an der nicht ganz geheilten Narbe auf seiner rechten Wange.«


// 1663 //

»Ja, richtig. Es ist eine Lanzennarbe. Aber, um Gotteswillen, mir ist da ganz, als ob ich träumte. So muß hier ja ein ganz fürchterliches Verbrechen vorliegen!«

»Nicht ein Verbrechen, sondern eine ganze, unendlich lange Reihe von Verbrechen.«

»Und deshalb wollten Sie mich sprechen?«

»Ja.«

»So stehe ich zu Diensten, heute Abend, so lange Sie mich brauchen.«

»Befehlen Sie, daß wir umziehen, Sennor?«

»Nein, nein! Ich nehme jedes andere Zimmer. Aber was ist mit dem Grafen? Warum liegt er ohne Besinnung?«

»Er erhielt von einem Franzosen einen Kolbenschlag auf den Kopf.«

»Hat denn der alte Herr gar mitgekämpft?«

»Nein. Ah, Sie wissen am Ende noch gar nicht, daß es elf Franzosen gelungen war, in das Fort zu dringen und dann hier in die Venta zu kommen?«

»Kein Wort weiß ich!« sagte Juarez erstaunt.

»Sie sind allein von der Flußseite hereingekommen. Ich stellte dort zwei Posten -«

»Sie? Sie stellten Posten auf?« unterbrach ihn der Präsident.

»Ja.«

»Commandirten denn Sie im Fort?«

»Ja.«

»Warum nicht Gérard, dem ich das Fort übergeben hatte?«

»Er trat das Commando an mich ab, obgleich ich nicht zustimmen wollte.«

»Wunderbar! Er ist doch ein Mann, welcher stets weiß, was er thut. Aber - Sie nehmen es mir nicht übel, Sennor - ein Arzt und ein Commando, das ist doch ein wenig sonderbar. Was hatte er denn für einen Grund?«

Sternau zuckte lächelnd die Achseln und antwortete:

»Er meinte vielleicht, kein so berühmter Jäger zu sein wie ich.«

»Wie Sie? Sind Sie ein Jäger?«

»Ja.«

»Ein Westmann?«

»Ein wenig.«

»Ein Arzt und ein Westmann? Ich erstaune immer mehr!«

»Haben Sie einmal den Namen Matava-se gehört?«

»Ja, der Fürst des Felsens, der größte Jäger und Pfadfinder weit und breit!«

»Hm, so wurde einst ich genannt.«

»Sie?« fragte Juarez lang gedehnt.

»Scheint Ihnen das so unmöglich?«

Juarez betrachtete die hohe, gigantische Gestalt seines Gegenübers mit bewundernden Blicken und antwortete:

»Wenn ich Sie so vor mir stehen sehe, so kann ich mir denken, wie gut Sie ein Trapperanzug kleiden müßte. Also deshalb übergab Gérard Ihnen das Commando? Er hat recht gehandelt. Und Sie gewinnen dadurch an hohem Interesse bei mir. Also weiter! Sie hatten zwei Posten aufgestellt?«


// 1664 //

»Der Eine ließ sich übertölpeln. Er wurde von den Franzosen überrumpelt und getödtet. Sie drangen durch eine Lücke in den Palissaden in das Fort ein und kamen nach der Venta. Hier banden sie im Gastzimmer zunächst den Wirth und einen Vaquero. Der Erstere mußte sie nach oben führen, wo sie zwei junge Damen überfielen, nachdem sie deren Thür zertrümmert hatten.«

»Ah, also deshalb war diese Thür zerbrochen. Wurden sie den Damen etwa unbequem?«

»Sogar so sehr, daß diese sich zur Wehre stellten. Sie hatten vergiftete Dolche und tödteten damit zwei Franzosen.«

»Diese beiden kleinen Sennoritas?« fragte Juarez.

»Ja, es sind zwei kleine Heldinnen. Die Franzosen stiegen eine Treppe höher, wo im Bodenraume der Graf hier beschäftigt war, dem Kampfe zuzusehen. Bei ihm befanden sich die Tochter des Wirthes, eine Indianerin und Sennorita Emma Arbellez.«

»Emma Arbellez?« rief der Präsident. »Welche Emma Arbellez meint Ihr?«

»Die Tochter von Petro Arbellez, von der Hazienda del Erina.«

»Aber, die ist ja - mein Gott, Sie schütteln ja ein Wunder nach dem anderen aus Ihren Aermeln! Was werden Sie noch bringen!«

»Also dorthin kamen die Franzosen. Sie banden den Grafen und die drei Damen. Sie forderten ein Lösegeld. Sie mißhandelten die Damen. Die Eine fiel in Ohnmacht, die Andere wurde mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen, und die Dritte sollte gar - Prügel bekommen.«

»Schändlich, schändlich!« knirschte Juarez. »Gab es denn keine Hilfe?«

»Sie kam zweimal, gerade zur rechten Zeit. Den beiden jungen Mexikanerinnen war es nämlich gelungen, zu entkommen. Sie gelangten außerhalb der Pallisaden, um Hilfe zu holen. Dort lag Gérard in seinem Blute, fast bereits im Sterben.«

»Ah, darum habe ich ihn noch nicht gesehen! Wo ist er? Etwa gar todt?«

»Nein, noch nicht -«

»Noch nicht? Aber es kann noch werden? Sagen Sie es aufrichtig. Er ist meine beste Unterstützung; ich verdanke ihm viel, sehr viel, Sennor!«

»Nun, er hat zwei schwere und vier leichte Wunden, und dazu einen ganz bedeutenden Blutverlust erlitten. Sein Lämpchen flackert nicht nur kaum, sondern es weht nur ganz langsam hin und her. Aber bei absoluter Ruhe und Stille kann er doch wieder hergestellt werden, wie ich überzeugt bin.«

»Gott sei Dank! Weiter, Sennor.«

»Also die Sennoritas fanden ihn im Blute liegen, und ganz schwach. Sie sagten ihm, daß die Franzosen in der Venta seien und eilten dann weiter, wo sie Büffelstirn trafen.«

»Büffelstirn, den berühmten Miztecas?«

»Ja.«

»Wieder ein Wunder!«

»Gehen wir jetzt über diese Wunder kurz hinweg, Sennor.«

»Ja, heute Abend sollen Sie Alles genauer und ausführlicher berichten müssen!«


// 1665 //

»Auch Büffelstirn sagten sie dasselbe. Er eilte nach der Venta. Vorher hatte sich aber Gérard bereits hingeschleppt. Er kam dazu, als man im Begriff stand, die Tochter des Wirthes zu schlagen. Ich glaube, er hat vier oder fünf Franzosen getödtet. Dann kam Büffelstirn, der die Uebrigen unschädlich machte. Der Graf erhielt auch einen Hieb über den Kopf. Er liegt noch wie erst im Bette. Ich darf ihn kaum verlassen, denn ich muß bei seinem Erwachen zugegen sein.«

»Welch' eine Gefahr für uns! So sind es nur diese Elf gewesen?«

»Ja.«

»Alle todt?«

»Alle, außer dem Anführer, einem Sergeanten.«

»Der lebt noch?«

»Ja.«

»Warum? Ich werde ihn erschießen lassen!«

»Er ist bestraft, Sennor. Er liegt scalpirt oben auf dem Boden.«

»Scalpirt? So ist er ja doch todt!«

»Nein. Büffelstirn hat ihn lebendig scalpirt und ihm auch noch Nase und Ohren abgeschnitten.«

»Warum?«

»Weil er seine Schwester mit dem Kolben niedergeschlagen hat.«

»Welche Rohheit! Aber auch welche Strafe!«

»Infolge dieses Kolbenschlages liegt die Indianerin auch schwer nieder.«

»Kann ich Gérard sehen?«

»Eigentlich sollte ich es nicht wagen.«

»Ich werde äußerst vorsichtig sein.«

»So folgen Sie mir. Ich glaube nicht, daß der Graf jetzt erwachen wird.«

Der Wirth mußte warten. Sternau ging mit dem Präsidenten weiter. Der Erstere öffnete ganz, ganz leise die Thür jenes schönen Zimmers, in welchem Gérard bereits einmal geschlafen hatte. Dort im Bette lag er. Vor demselben saß eine Frauengestalt. Als die beiden eintraten, drehte sie sich um.

»Emma Arbellez!« flüsterte der Präsident erstaunt.

»Sennor Juarez!« antwortete sie.

Sternau winkte, vorsichtig zu sein und fragte mit leiseste Stimme:

»Hat sich Etwas verändert?«

»Nein,« antwortete Emma.

»Er hat nicht die Augen geöffnet?«

»Nein.

»Ein Wort gesprochen oder geflüstert?«

Sie wurde verlegen.

»Bitte, sagen Sie die Wahrheit!«

»Ein Wort glaubte ich verstehen zu können, welches er flüsterte,« sagte sie.

»Welches?«

»Ich weiß nicht, ob eine Krankenwärterin indiscret sein darf!

»Dem Arzte gegenüber giebt es keine Indiscretion. Uebrigens glaube ich, das Wort errathen zu können.«


// 1666 //

»Das wäre ein Wunder, Sennor!« flüsterte sie lächelnd.

»O,« sagte Juarez ganz leise, »Sennor Sternau hat mir heute noch ganz andere Wunder erzählt. Wollen wir ihn auf die Probe stellen?«

»Ich darf es wagen,« sagte sie. »Es rathet es doch kein Mensch.«

»Kein Mensch weiter als ich!« meinte Sternau.

»Nun, so sagen sie?«

»Das Wort ist - Resedilla.«

Emma blickte ihn ganz erstaunt an.

»Sind Sie allwissend?« fragte sie.

»Nein, aber aufmerksam.«

»Wer ist Resedilla?« fragte Juarez.

»Des Wirthes Tochter.«

»Ach? Er liebt sie?«

»Wahr und aufrichtig,« antwortete Sternau. »Jetzt aber, Sennor, kommen Sie, ihn anzusehen!«

Gérard lag da wie eine Leiche.

Sie traten an das Bett. Gérard, der kräftige Jäger, der einstige Garotteur, lag da wie eine Leiche, nein, wie eine wächserne Puppe. Man dachte, es könne kein Tropfen Blut durch seine Adern fließen.

Juarez stand dabei und faltete die Hände. Seine Augen wurden feucht. Er reichte dann Sternau die Rechte und sagte flüsternd:

»Wenn Sie den retten, so sind Sie ein großer Mann und können auf meine Dankbarkeit rechnen. Jetzt gehe ich wieder, um nicht zu stören.«

Draußen wartete Pirnero, um ihm ein anderes Zimmer anzuweisen. Juarez erklärte, mit dem ersten besten zufrieden zu sein, und so war die Wahl bald getroffen.

Als die Beiden jetzt vor einander standen, sagte der Präsident zu dem alten Wirthe:

»Pirnero, habt Ihr Familie?«

»Eine Tochter.«

»Keine Frau?«

»Nein.«

»Keinen Sohn?«

»Nein.«

»Wie alt seid Ihr?«

»Hm! Das weiß ich nicht genau; das steht in alten Kalendern, und die habe ich nicht mehr. Etwas über Vierzig oder Fünfzig oder Sechzig; aber nicht viel!«

»Was soll denn einmal mit Eurem Geschäfte werden, wenn Ihr sterbt?«

»Das bekommt die Resedilla.«

»Und die versorgt es allein?«

Das war Wasser auf die Mühle des Alten. Er antwortete sehr rasch:

»Das ist ja eben mein Leiden!«

»Was?

»Die Geschichte mit dem Schwiegersohne.«

»Ah, giebt es denn da bereits eine Geschichte?«


// 1667 //

»Leider nicht! Aber ich wollte, es gäbe eine. Aber das Mädchen will einmal nicht.«

»Nicht heirathen?«

»Errathen!« nickte Pirnero.

»So zwingt man sie.«

»Die? Zwingen? Die sicher nicht! Was Die einmal will, das setzt sie durch. Sie ist da ganz und gar wie ihr Vater, und das kommt von der Abstammung auf die Tochter hinüber, Sennor, nämlich vom Vater aus, wohl verstanden!«

Der Präsident sah ihn pfiffig lachend an und sagte:

»Keine Faxen, Alter! Eure Tochter ist jedenfalls gescheidter als Ihr. Sagt einmal, habt Ihr nicht bemerkt, ob sie so eine kleine, heimliche Bekanntschaft hat?«

»Nein.«

»Also gar keine Ahnung?«

»Gar keine. Es müßte in neuer Zeit sein; aber Der paßte mir denn doch nicht, denn er spuckt zu viel. Der spuckt ja wie ein Wollteufel!«

»Wer?«

»Der Geierschnabel.«

»Geierschnabel? Der berühmte Führer? Kennt Ihr den?«

»Ja.«

»Woher?«

»Er ist ja da!«

»Da? Hier bei Euch? Jetzt?«

»Ja. Heut ist er da. Er hat sogar mitgekämpft.«

»Den muß ich mir einmal ansehen. Er soll ein ganz und gar närrischer Kauz sein.«

»Das ist er. Er spuckt nur Fenster und Bilder an. Zu sehen werdet Ihr ihn sehr bald bekommen, Sennor, denn er will zu Euch.«

»Zu mir?«

»Ja.«

»Wer sagte das?«

»Er selbst.«

»So! Wer weiß, was er hat! Also auf ihn hat Eure Tochter ein Auge?«

»Hm! Ich kann es eben nicht sagen. Mir gefällt er nicht. Aber ob ihr vielleicht so eine Spuckerei zusagt? Es ist Alles möglich, und die Weiber haben oft unbegreifliche Marotten. Ich werde ihr einmal auf die Zähne greifen!«

»Das laßt fein bleiben! Also, Ihr wärt nicht abgeneigt, einen Schwiegersohn zu haben?«

»Einen Schwiegersohn? Herrgott, Sennor, das wäre ein Gaudium. Ein Schwiegersohn ist ja grad meine Passion. In Pirna darf sich ein achtbarer Familienvater ohne Schwiegersohn gar nicht auf der Gasse sehen lassen!«

»Wo ist das?«

»In Pirna? Das liegt in Sachsen, wo die fünf Kreisdirectionen sind.«

»Dort scheint es sehr vernünftige Menschen zu geben, besonders was die Schwiegersöhne betrifft. Aber ich will einmal ein ernstes Wort mit Euch reden!«


// 1668 //

»Immer redet ernsthaft, Sennor; ich werde nicht lachen. Ein guter Diplomat weiß Scherz von Ernst von einander zu unterscheiden.«

»Nun gut. Also, wenn Ihr einen Schwiegersohn hättet - - -«

»So - - - -«

»Nun? So - - -?« fragte Pirnero ganz neugierig.

»So sagt es doch, Sennor!« bat er.

»So wäre das ein ganz anderes Ding. Ich könnte da - - hm! Ja!«

»Was könntet Ihr, Sennor! Bitte, sagt es immer heraus! Als guter Politikus bin ich ganz und gar verschwiegen.«

»Nein, sagen kann ich es Euch erst dann, wenn Ihr einen Schwiegersohn habt.«

»Alle Teufel! Wenn ich ihn doch nur schon hätte!«

»So schafft Euch schnell einen an!«

Es lag klar auf der Hand, daß der Präsident nur scherzte. Pirnero aber war ganz Feuer und Flamme geworden. Er antwortete:

»Wenn man nur vorher erfahren könnte, was Ihr mit dem Schwiegersohne anfangen wollt, den ich meiner Tochter zum Manne gebe.«

Juarez machte ein sehr geheimnißvolles Gesicht und sagte in wichtigem Tone:

»Nun, Ihr wißt, daß ich die Franzosen schlage - - -«

»Gewiß,«

»Dann muß auch dieser Schattenkaiser fort; er kann sich nicht halten.«

»Ganz sicher!«

»Dann herrsche ich über das ganze Land. In diesem Falle liegt mir nun sehr daran, einen guten Diplomaten hier in dieser Gegend zu haben, welcher einen Schwiegersohn besitzt, auf den - - - hm, nein, ich darf mich doch nicht verrathen!«

»Warum nicht?«

»Ich kann Euch nur so viel sagen, daß ich es sehr gut mit Euch meine.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Aber wo zum Teufel auch sofort einen Schwiegersohn hernehmen? Fatal! Höchst fatal!«

»Ja, das ist wahr; das ist sehr wahr.«

»Muß es denn gleich sein, Sennor?«

»Viel Zeit hat es allerdings ganz und gar nicht; das könnt Ihr Euch denken.«

»Aber - hm! Könntet Ihr mir denn nicht einen oder zwei vorschlagen?«

»Das ist eine schwierige Sache.«

»Nun, ich habe ja doch die Wahl!«

»Also Geierschnabel spuckt zu viel?«

»Fürchterlich! Nicht zum Aushalten! Den mag ich nicht!«

»Nun, wer verkehrt denn noch hier?«

»Hm! Da wäre der schwarze Gérard!«

»Spuckt der auch?«

»Ganz und gar nicht!«

»Hat er sonst einen Fehler?«

»Nein. Er ist ein tüchtiger Kerl.«


// 1669 //

»Nun?«

»Hm! Den Fehler habe ich!«

»In wiefern?«

»Ich habe ihn schlecht behandelt. Er wohnte hier bei mir, ohne daß ich wußte, wer er war. Da habe ich ihn dumm und lüderlich geheißen, habe ihn blamirt, habe darüber gezankt, daß er nur einen einzigen Julep trinkt. Und doch hatte er mich bewacht und den französischen Capitän fortgeschafft, der als Spion zu uns gekommen war.«

»Das beweißt eben, daß Ihr kein großer Politikus seid!«

»O, in der Politik und als Diplomatiste bin ich groß; da stelle ich meinen Mann; aber diese verfluchten Heirathsgeschichten machen Einem zu schaffen, obgleich man in Pirna geboren ist. Ich will doch lieber zehn Republiken und zwanzig Kaiserthümer verwalten, als ein einziges Mädchen verheirathen. Ein Kaiserthum oder eine Republik nimmt Einem Jeder ab; eine Tochter aber wird zum Ladenhüter, ehe man es sich versieht, und dann ist es nichts mit dem Schwiegersohne. Weshalb ist man von Pirna nach Mexiko gezogen, als um auch einmal Großvater zu werden!«

Juarez, der sonst so wortkarge, ernsthafte Mann, liebte doch zuweilen einen kleinen Scherz. Diese Unterredung gab ihm Spaß. Er fragte:

»Also denkt Ihr nicht, daß der schwarze Gérard Euch den Gefallen thun wird?«

»Der sicherlich nicht. Mit dem habe ich es leider verdorben. O, Sennor, wenn Ihr doch ein gutes Wort für mich einlegen wolltet.«

»Hm! Das ist eine heikle Sache. Was gebt Ihr denn Eurer Tochter mit?«

»Sie bekommt ja Alles, Alles!«

»Glaubt Ihr denn, daß er sie leiden kann?«

»Erst dachte ich es, sie standen einmal draußen im Flur, und er hatte ihre Hand in der seinigen. Es sah grad so aus, als ob sie miteinander geredet hätten.«

»Das ist doch kein sicheres Merkzeichen!«

»Ja. Aber dennoch fuhr ich in die Höhe und spectakelte sie an. Seit dieser Zeit ist es aus. Sie können einander nicht mehr ersehen.«

»Das merkt Ihr?«

»Ja. Sie gucken einander gar nicht mehr an. Heut hat er uns Alle errettet, obgleich er selbst den Tod schon auf den Lippen hatte. Ich habe ihm darum mein bestes Zimmer gegeben. Aber denkt Ihr, daß das Mädchen ein einziges Mal nach ihm gesehen hat?«

»Das ist allerdings sehr schlimm; doch will ich sehen, ob vielleicht etwas zu machen ist.«

»Ja, Sennor, thut mir den Gefallen!« bat Pirnero. »Ich bin sehr gern zu jedem Gegendienst bereit. Solltet Ihr einmal einen guten, zuverlässigen Diplomaten brauchen, so schickt zu mir. Ich werde Euch die schwierigsten Sachen auseinander fitzen.«

»Gut! Aber sagt einmal, alter Pirnero, warum habt Ihr Euch denn von diesen Franzosen so überrumpeln lassen? Habt Ihr denn gar nicht an Gegenwehr gedacht?«


// 1670 //

»Gegenwehr? Natürlich! Erst wollte ich hinüber in die Gewehrniederlage gehen, wo ich die Büchsen liegen habe, welche zum Verkaufe sind. Aber dann überlegte ich mir, daß es wegen ein so paar Mann doch schade ist, ein neues Gewehr anzuschießen. Dann wollte ich hinauf in meine Schlafkammer, wo ich meinen Stutzen hängen habe; aber an dem einen Laufe fehlt der Hahn, und an dem andern Hahne fehlt der Lauf. Ich dachte auch, ein Speisemesser zu holen; aber die meinigen sind vorn rund; da muß man ewig quetschen und drücken, ehe man sie Jemand in den Leib hinein bringt. Eine Lanze habe ich auch, spitz und scharf wie Gift, aber die wird als Wäschestange benutzt, und ehe ich alle die Hemden und Strümpfe heruntergebracht hätte, wären die Franzosen längst ausgekniffen gewesen; denn Angst hatten sie Alle; das sah man ihnen deutlich an.«

»Ja, Ihr seid ein Mordskerl!« lachte Juarez.

»Aber den eigentlichen Grund habe ich noch nicht gesagt, Sennor Juarez!«

»So sagt ihn mir jetzt.«

»Nun, ich überlegte mir in der Geschwindigkeit diplomatisch, daß schnelle Hilfe kommen werde. Darum brauchte ich mich mit diesen Kerls gar nicht abzuärgern. Ich habe das Andern überlassen. Einem guten Diplomaten fällt es gar nicht ein, sich auf dem Schlachtfelde tödten zu lassen. Er macht den Krieg, und das andere Volk führt den Krieg. Das ist so politisches Herkommen.«

Juarez war plötzlich ernst geworden.

»Ihr habt recht, Pirnero. Der »Neffe des Onkels« in Paris hat uns den Krieg gemacht; er ist der Diplomat. Und unser armes Volk muß sich in Folge desselben hinschlachten lassen. Ich hatte Mexiko den Frieden gegeben und ich hätte ihm den Frieden erhalten. Man gehorchte mir, weil man mich liebte, achtete und fürchtete. Da kamen diese Landfriedensbrecher mit großer Macht. Ein jedes Volk hat das Recht, sich selbst zu regieren. Dieses Recht stand auf meiner Fahne geschrieben, und ich habe mit dieser Fahne fliehen müssen bis nach Paso del Norte, dem äußersten Winkel des Landes. Ein anderer hätte abgedankt. Ich that es nicht, denn mein Recht ist stark genug, es mit dem französischen Usurpator aufzunehmen. Ich lasse schon jetzt meine Fahne wehen; ich werde wiederkommen, schneller noch, als ich gegangen bin, um sie in Mexiko, der Hauptstadt, aufzupflanzen, zum Zeichen, daß eine jede Nation sich ihre Geschichte selbst machen darf, und daß hier auf dem westlichen Continente es noch offene Augen giebt, welche durch ein französisches Flimmer- und Flitterwerk nicht geblendet werden können.«

Warum sprach der berühmte, characterfeste Mann solche Worte zu dem einfachen Manne, der doch eigentlich nur ein Ignorant genannt werden mußte?

Weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über, oft auch an einem nicht dazu geeigneten Orte. Juarez hatte ehrlich die Last des Unglücks getragen, des unverschuldeten Unglücks. Er muß, will man unparteiisch sein, der bedeutendste Mann genannt werden, welchen bisher die rothe Race hervorgebracht hat. Er hatte es treu und gut mit seinem Volke gemeint. War es ein Wunder, daß während seines unverschuldeten Exils sich Gedanken in ihm angesammelt hatten, welche nun das Bestreben zeigten, nach Außen hin zu explodiren?

Er reichte dem Wirthe die Hand und sagte mit einer scherzhaften Wendung:

»Ihr seht, Sennor Pirnero, daß nicht alle Diplomaten glücklich sind. Laßt


// 1672 //

Euch aber davon nicht abhalten, ein guter Politikus zu sein, denn wenn man es wirklich ehrlich meint, trägt man doch stets den Sieg davon.«

»Ja, wir werden siegen!« rief der Wirth. »Ihr in Mexiko und ich mit meiner Heirathsgeschichte! Wir werden siegen, denn Ihr nehmt Euch meiner und ich nehme mich Eurer an; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Gut so! Und nun geht. Sendet mir Essen und Trinken, und wenn meine Beamten nach mir fragen, so sagt ihnen, in welchem Zimmer ich mich befinde.«

Der Wirth eilte hinab, so leicht, als ob er Flügel hätte. Resedilla mußte in die Küche, um für den Präsidenten zu sorgen, während ihr Vater das Ressort des Aeußeren übernahm. Erst gegen Abend wurde diesen Beiden einige freie Zeit geboten, da Alles hinauseilte, um die Trauerfeierlichkeiten der Apachen mit anzusehen, welche in dieser Weise hier noch niemals beobachtet worden waren.

Da saß der Alte an seinem Fenster und trank einen Julep als Herzstärkung. Resedilla ging ab und zu, um das Trinkgeschirr in Ordnung zu bringen.

Eben stand sie wieder in seiner Nähe, um einige Gläser fortzunehmen; da sagte er:

»Resedilla!«

»Vater?« antwortete sie.

»Weißt Du vielleicht, was ein Gouverneur ist?«

»Ja.«

»Nun, was?«

»Der oberste Regent eines mexikanischen Staates.«

»Das hast Du gut gesagt, meine Tochter! Aber weißt Du auch, daß ein Gouverneur ein sehr feiner und gewiegter Diplomat und Politikus sein muß?«

»Das läßt sich denken!«

»Und daß nur solche Männer solche Aemter erhalten, welche also tüchtige Diplomaten sind?«

»Natürlich!«

»Nun also; sieh mich einmal an!«

Er machte eine sehr ernste, feierliche Miene. Sie blickte ihn sehr neugierig an.

»Nun?« fragte er.

»Was?«

»Wie sehe ich aus? Wie komme ich Dir in diesem wichtigen Augenblicke vor?«

Sie kannte seine Schwäche sehr genau; darum antwortete sie, das Richtige ahnend:

»Wie ein großer Diplomat, Vater.«

»Wirklich? Ja? Nun siehst Du, Resedilla, Du hast Dich selbst jetzt als eine Diplomatisterin erwiesen. Diesen diplomatischen Scharfblick hast Du von mir, in Folge der Abstammung des Vaters auf die Tochter hinüber. Aber höre weiter! Was würdest Du zum Beispiel zu dem Staate Chihuahua sagen?«

»Hm!« brummte sie mit einem möglichst wichtigen Gesichte, da sie doch unmöglich wissen konnte, auf welches Ziel im Monde er loszusteuern im Begriffe stand.


// 1672 //

»Oder zu dem Staate Cohahuila?«

»Hm!«

»Diese beiden Staaten liegen mir natürlich am Bequemsten, da ich meine Besitzungen hier im Norden des Landes habe. Einer von beiden ist mir gewiß.«

»Gewiß? Als was?«

»Als was? Nun, als unterthäniges Gebiet. Kannst Du noch Dein Französisch?«

»Ja.«

»Das ist gut. Du wirst mir von jetzt an täglich einige Stunden Unterricht geben.«

Jetzt ahnte sie beinahe, welche Ungeheuerlichkeit zum Vorschein kommen werde.

»Französischen Unterricht? Wozu?«

»Hast Du denn noch nicht gehört, daß die hohen Diplomaten in französischer Sprache mit einander verkehren?«

»Freilich!«

»Nun, der Gouverneur eines Staates gehört ja unter diese hohen Leute!«

»Willst Du damit sagen, daß Du Gouverneur werden wirst?«

»Ja,« antwortete er mit ungeheurer Würde.

Das war ihr denn doch zu viel. Sie sah ihm mit unbegrenztem Erstaunen in das Gesicht; er hielt dies für den Ausdruck der Bewunderung und sagte:

»Ja, ich bin aus Pirna. Man wird mir dort nach meinem Tode ein Denkmal setzen, ein Denkmal unten von Erz und obendrauf einen riesigen Adler von Sandstein. Und darunter wird stehen:

»Dieser Vogel ist Elias Pirnero,« weiter nichts.

Denn bei großen Männern ist kein großer Sermon nothwendig.«

»Wer sagte Dir denn, daß Du Gouverneur werden sollst?«

»Der Präsident Juarez.«

»Wann?«

»Vorhin, vor kurzer Zeit.«

Dies mußte natürlich auf einem riesigen Mißverständnisse ruhen; darum fragte sie:

»Hat er es deutlich und genau gesagt?«

»Wo denkst Du hin! Ein Diplomat sagt niemals Etwas deutlich.«

»Wie sagte er denn?«

»Er sagte immer »Hm! Wenn - - - Ja - - - Und ob!« Ja, das sagte er.«

»Und daraus hast Du Dir entnommen, daß Du Gouverneur wirst?«

»Natürlich. Ein Diplomat versteht den andern auf alle Fälle deutlich.«

»Das möchte ich doch bezweifeln.«

»Bezweifle es bei Andern, aber nur bei mir nicht; das bitte ich mir aus. Die Bedingung hat er mir sogar ganz von der Leber weg und gerade heraus gesagt.«

»Welche war es denn?«

»Eine sehr vortheilhafte: Ich soll mir schleunigst einen Schwiegersohn anschaffen.«


// 1673 //

Sie konnte kaum das Lachen unterdrücken; aber sie bezwang sich und fragte:

»So muß also ein Gouverneur unbedingt einen Schwiegersohn haben?«

»Natürlich.«

»Weshalb?«

»Dumme Frage: Als Stellvertreter natürlich. Wenn der Gouverneur nach Paris, Petersburg oder Rom reist, um sich einen Orden zu holen, muß ein Stellvertreter im Lande bleiben, welcher die Schreibstube besorgt. Und dazu hat ein Schwiegersohn jedenfalls stets das beste Talent.«

Jetzt konnte sie sich nicht mehr halten; sie mußte lachen und fragte dabei:

»Ich denke, er soll Dachsparren annageln?«

»O, in einem Staate wird zuweilen auch ein Sparren locker, oft auch mehrere. Uebrigens hat mir der Präsident die Sache ganz außerordentlich leicht gemacht, indem er mir ganz offen gesagt hat, wen er sich als Schwiegersohn wünscht, als meinen Schwiegersohn natürlich.«

Sie erröthete. Die Sache lag jedenfalls auch hier anders, als sie von ihrem Vater dargestellt wurde; doch war sie wirklich neugierig, den Namen des Glücklichen zu erfahren. Sie hütete sich jedoch sehr, eine darauf bezügliche Frage auszusprechen.

»Nun, willst Du es nicht wissen?« fragte er deshalb.

»Es würde doch nichts nützen,« antwortete sie.

»Nichts nützen? Ah, sieh einmal an! Du willst ihn wohl nicht nehmen?«

»Hm!«

»Was denn hm? Ich habe lange genug Geduld und Nachsicht mit Dir gehabt; jetzt aber geht meine Güte zu Ende. In Pirna nehmen alle Mädchen Schwiegersöhne, die dem Vater gefallen. Dies befördert die Forterbung auf die Tochter hinüber. Ich werde es als Gouverneur hier auch so einführen. Von heut an hast Du Deinen Bräutigam. Weigerst Du Dich ihn zu nehmen, so adoptire ich mir irgend ein anderes Mädchen als eheliches Kind und erkläre Dich für meine Stieftochter. Bin ich dann als Gouverneur Großvater, so bist Du die Stieftante meiner leiblichen Enkel. Das wird Deine Strafe sein!«

Sie schüttelte so zuversichtlich den Kopf, als glaube sie ganz und gar nicht an die Ausführung dieses seltsamen Planes und fragte in weiblicher Schlauheit:

»Ob ich ihn will, ist am Ende nicht die Hauptsache. Aber, will er mich denn?«

Der Alte fuhr sich langsam in die Haare, räusperte sich ein Wenig und sagte:

»Ja, das ist allerdings die Hauptsache. Wie denkst denn Du darüber?«

»O, mich hat noch Keiner gewollt, Vater!«

»Wirklich nicht?« fragte er forschend.

»Kein Einziger!«

»So! Hast Du denn schon den Einen oder den Andern gefragt?«

»Das nicht. Aber wenn mich Einer hätte haben wollen, so hätte er mir es gesagt.«

»Unsinn! Du hast Keinen nahe kommen lassen. Uebrigens habe ich eine Sorge bei dieser Geschichte, ein große, sehr große Sorge.«


// 1674 //

»Darf ich sie erfahren, Vater?«

»Natürlich. Du mußt sie sogar erfahren. Sage mir einmal, Resedilla, hast Du etwa ein Auge auf den Geierschnabel geworfen, he?«

»Auf den Geierschnabel?« fragte sie fast erschrocken.

»Ja, der die ganze Welt für einen großen Spucknapf hält und Einem nur immer gerade neben der Nase vorüber schießt.«

»Wie kommst Du denn auf diesen Gedanken?«

»Hm! Du weißt ja, daß ich ein Diplomat bin.«

Da lachte sie hell und fröhlich auf.

»Da mache Dir nur keine Sorge,« sagte sie. »Dieser Mensch ist mir unausstehlich.«

»Das erleichtert mir das Herz gewaltig. Ein Mensch, der ein Heirathsbureau in der Dämmerstunde für eine Zündhölzerfabrik in der Morgenstunde ansieht, hat nicht das geringste Talent zum Schwiegersohne eines Diplomaten. Der hingegen, den ich meine und den auch Juarez will, ist ein tüchtiger Kerl. Rathe, wer es ist!«

»Das läßt sich schwer errathen. Sage lieber gleich, wen Du meinst.«

»Hm! Wenn ich nur die vielen Dummheiten nicht gemacht hätte! Ich habe ihn ja ganz und gar nicht als Schwiegersohn behandelt. Denke Dir nur! Ist es denn eigentlich möglich, so einem Kerl vorzuwerfen, daß er Rehziegen für Andere trägt?«

Jetzt war es ihr mit einem Male klar, wen der Vater meinte. Sie erglühte bis in den Nacken herab und wendete sich ab, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

»Erräthst Du es nun?« fragte er. »Ich meine den schwarzen Gérard.«

Sie klirrte ganz verdächtig mit den Gläsern und zögerte zu antworten.

»Nun!« sagte er. »Kannst Du ihn etwa nicht leiden?«

Da nahm sie sich zusammen und antwortete:

»Ich habe Dir ja bereits gesagt, was in dieser Gelegenheit die Hauptsache ist.«

»Ob er Dich haben mag? Ja, das wohl! Aber es hat mir geschienen, daß Du nichts von ihm wissen magst. Du hast ihn in letzter Zeit ja gar nicht angesehen und heute, wo er uns so beigestanden hat, hast Du Dich noch nicht ein einziges Mal um ihn bekümmert.«

Sie stand an dem andern Tische und kehrte ihm den Rücken zu. Sie antwortete nicht.

"Nun, vertheidige Dich!"

»Nun, vertheidige Dich!« mahnte er.

Da erklang ein eigenthümlicher, tiefer Ton durch das Zimmer, ein Ton, als wenn Jemand etwas aus dem Herzen gewaltsam Emporsteigendes mit aller Anstrengung hinunter drücken wolle. Dieser Laut kam aus Resedillas Brust und dann brach sie plötzlich in ein heftiges, lautes Schluchzen aus, welches sie nun nicht mehr zu beherrschen vermochte. Sie hielt die Hände an die Augen und verließ unter lautem Weinen das Zimmer.

Pirnero blickte ihr erschrocken nach, bis sie hinter der Thür verschwunden war.

»Sapperlot, was war denn das!« sagte er sich. »Das war ja ein Jammer und ein Elend ohne Gleichen, wie es in Pirna gar nicht Mode ist. Sie will nichts von ihm wissen, das steht nun bombenfest. Das arme Kind! Soll ich


// 1675 //

sie denn wirklich an Einen hängen, dem sie nicht gut ist? Nein! Lieber mag die ganze Gouverneurgeschichte zum Teufel gehen! Kind bleibt Kind. Mein Mädchen steht mir näher als der Staat, und wegen eines Ordens aus Rom oder Constantinopel opfere ich mein Kind nicht auf. Der Teufel hole die Politik. Man ist zum Genie geboren und richtet doch lauter Unheil an. Ich werde es ihr sagen, daß sie den Kerl, den schwarzen Gérard, gar nicht anzusehen braucht.«

Er erhob sich wirklich, um nach der Küche zu gehen, kam aber nicht weit, so mußte er diesen Gang unterbrechen, denn es trat Einer ein, von dem vorhin die Rede war: Geierschnabel, der Yankeejäger! Sein Gewand war mit Blut befleckt, ein deutliches Zeichen, daß er sich wacker an dem Kampfe betheiligt habe. Er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, der die Gefahr nicht gescheut hatte, sondern sich tüchtig mit den Feinden herumgebalgt hatte. Pirnero blieb stehen und betrachtete ihn vom Kopfe bis zum Fuße.

»Herrgott, wie seht Ihr aus!« rief er.

Der Amerikaner warf ihm einen nicht sehr höflichen Blick zu und antwortete:

»Ich kalkulire, daß ich anders aussehe, als wie Einer, der in der Stube blieb, während um unsere Köpfe die Kugeln pfiffen. Ihr versteht mich wohl, Master?«

Da warf Pirnero sich in die Brust, stellte sich stolz vor ihn hin und sagte:

»Ah, Ihr meint mich? Habe ich etwa nicht auch gekämpft?«

»Man hat nichts gesehen.«

»Da irrt Ihr Euch bedeutend. Der blutigste Theil der Schlacht wurde in meinem Hause gekämpft. Da flogen die Kugeln wie die Mücken umher.«

»Habt etwa Ihr mit zugeschlagen?«

»Ich? Als Feldherr?« fragte Pirnero erstaunt.

»Alle Teufel! Ihr wart der Feldherr?« lachte der Jäger.

»Natürlich. Das versteht sich.«

»O, das ist allerdings etwas Anderes, Master. Verzeiht, daß ich dies nicht gewußt habe. Gebt einen Julep, damit ich meine Hochachtung für Euer Feldherrntalent gehörig bespülen und beträufeln kann.«

»Den Julep sollt Ihr haben, aber Eure Hochachtung brauche ich nicht. Ich bin als Diplomatist und kriegerischer Schlachtenkenner bekannt genug, als daß ich noch extra auf Eure Bewunderung angewiesen wäre. Das mögt Ihr Euch nur merken.«

Er schritt mit stolz erhobenem Haupte nach dem Schänktische, um den Schnaps zu holen. Als er denselben vor den Gast hingesetzt hatte, fragte er den Letzteren:

»Wie kommt es überhaupt, daß Ihr bei mir seid?«

Der Gefragte blickte ihn verwundert an und antwortete:

»Ich komme des Julep wegen, rechne ich.«

»Aber gerade jetzt.«

Der Amerikaner spitzte die Lippen, wendete sich ihm zu und spuckte ihm so nahe an der Nase vorüber, daß Pirnero erschrocken zurückwich. Dann fragte er:

»Warum gerade jetzt nicht?«

»Ich denke, jetzt befindet sich Alles draußen bei den Indianern.«

»Pah! Ich habe Indianer genug gesehen, so lange ich lebe.«


// 1676 //

»Aber diese Zeremonieen nicht wie heute.«

»Mit Zeremonie oder ohne Zeremonie; ich schätze, der Indianer bleibt auf alle Fälle ein Indianer. Warum geht Ihr nicht selbst hinaus, um Euch die Sache anzusehen?«

»Darf ein guter Feldherr den Mittelpunkt des Kampfplatzes verlassen?«

»Hm,« brummte der Amerikaner vergnügt. »Wen meint Ihr denn eigentlich mit dem »Feldherrn«? Euch oder den Präsidenten Juarez?«

»Uns alle Beide. Auch Präsident Juarez thut seine Pflicht, indem es ihm ganz und gar nicht eingefallen ist, hinaus zu den Indianern zu gehen.«

»So ist er da?«

»Ja.«

»Wo?«

»Droben in seinem Zimmer.«

»Ich habe mit ihm zu sprechen. Wollt Ihr mir sagen, wo das Zimmer ist?«

»Ich werde Euch führen. Folgt mir, Sennor Geierschnabel.«

Er war wirklich so höflich, den Jäger hinauf zu führen.

Droben klopfte er an die Thür, hinter welcher er den Präsidenten gelassen hatte; aber es ließ sich keine Antwort hören. Er öffnete vorsichtig und fand das Zimmer leer. Er schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte:

»Sollte er doch zu den Indianern gegangen sein? Dann wäre ich ja der Einzige, der seinen Posten nicht verlassen hat. Da drüben höre ich Stimmen. Ich glaube, diejenige des Präsidenten ist mit dabei.«

»Wer ist da drüben?«

»Da liegt der Graf Rodriganda, der fast erschlagen worden ist. Ich werde klopfen.«

»Dürft Ihr denn stören?«

»O gewiß. Ich stehe mit Juarez auf einem so vertrauten Fuße, daß wir Beide auf einander gar keine Rücksicht zu nehmen brauchen.«

Er trat wirklich an die betreffende Thür und klopfte an. Sie wurde von Mariano geöffnet, welcher nach dem Begehr der Beiden fragte.

Juarez war einmal aus seinem Zimmer getreten und hatte da Sternau getroffen, welcher für ganz kurze Zeit doch draußen bei den Apachen gewesen war und nun zurückkam, um nach seinem Patienten zu sehen. Einige kurze Bemerkungen, welche sie austauschten, führten den Präsidenten zu dem Wunsche, den Grafen noch einmal zu sehen. Beide traten also bei ihm ein.

An dem Bette saß Mariano, welcher den Grafen nicht verlassen wollte. Dieser Letztere war noch nicht erwacht, und so nahmen die Beiden bei Mariano Platz, um ein halblautes Gespräch zu beginnen, welches sich sehr bald um die vergangenen Erlebnisse und um die Verhältnisse der Familie Rodriganda drehte.

Sternau und Mariano erzählten abwechselnd Alles, was Juarez noch nicht wußte und dieser hörte mit der allergrößten Spannung zu. Da regte sich der Graf leise und sofort verstummte das Gespräch. Sie blickten auf den Kranken, dessen starre Züge sich zu beleben begannen. Aber noch kam es zu keinem vollständigen Bewußtsein. Die Falten seiner Stirn zogen sich leise und langsam empor und seine Lippen öffneten sich.


// 1677 //

»Amilla,« flüsterte er vernehmlich.

Dann fiel er in Bewußtlosigkeit zurück. Sternau befühlte ihm dann den Puls an Hand und Schläfen und sagte dann in beruhigendem Tone:

»Der Puls geht schwach, aber fast regelmäßig; ich hoffe, daß wir eine große Gefahr nicht zu befürchten brauchen.«

»Hast Du den Namen gehört, welchen er aussprach?« fragte Mariano.

»Ja. Es war Amilla?«

»Ja. Amilla. Was mag er meinen?«

»Kennst Du diesen Namen?«

»Nein; ich habe ihn noch nicht gehört.«

»Ich auch nicht, weder von ihm noch aus dem Munde irgend eines Andern.«

»Vielleicht träumt es ihm.«

»Man pflegt selbst im Traume nur die Namen solcher Personen auszusprechen, welche man kennt, welche wirklich vorhanden sind oder waren. Ueberdies glaube ich nicht, daß es sich hier um einen Traum handelt. Der Graf war vollständig bewußtlos. In einem solchen Zustande träumt man nicht; aber der zurückkehrende Geist pflegt gern bei irgend einer Vorstellung anzuknüpfen, welche ihn vor der Bewußtlosigkeit beschäftigte. Der Name Amilla und die Person, welcher er gehört, sind keine leeren Traumgebilde, sondern Wirklichkeiten.«

»Ob es sich um irgend ein Geheimniß handelt?«

»Wenigstens handelt es sich um eine uns noch unbekannte Person, welche der Graf gekannt hat; das ist meine feste Ueberzeugung.«

»Jetzt ist er wieder bewußtlos?«

»Ich möchte eher annehmen, daß seine Seele nicht ganz ohne Thätigkeit ist. Siehe her. Seine Züge bewegen sich leise und haben einen beinahe bestimmten Ausdruck angenommen. Das kommt bei voller Bewußtlosigkeit niemals vor.«

Die Wahrheit dieser Ansicht sollte sich sofort bestätigen, denn der Graf öffnete abermals die Lippen und flüsterte langsam und genügend vernehmlich:

»Frederico, o Frederico!«

Die drei Männer lauschten gespannt. Als sich jedoch nichts weiter hören ließ, sagte Mariano:

»Frederico? Wen mag er meinen?«

»Ich habe keine Ahnung davon. Er hat diesen Namen nie genannt, so lange ich ihn kenne. Warten wir also das Weitere ab.«

Es verging eine kleine Weile; dann breitete es sich wie ein Zug tiefer Betrübniß über das Gesicht des Grafen. Seine Lippen zuckten und lispelten dann:

»Ich verzeihe. Deine Mutter war schuld.«

Er legte sich jetzt auf die Seite und begann in tiefen, regelmäßigen Zügen zu athmen.

»Jetzt schläft er; er wird nicht wieder sprechen,« sagte Sternau.

»Was hältst Du von seinem Befinden?« fragte Mariano.

»Ich bin mit demselben zufrieden. Der Hieb, den er erhielt, hat ihn schwer betäubt, wird aber hoffentlich keine bleibende Wirkung zurücklassen.«

»Ich befürchtete schon ein Gehirnfieber oder gar eine geistige Störung.«

»Ein kleines Fieber oder noch wahrscheinlicher, eine momentane Geistesschwäche


// 1678 //

ist allerdings zu erwarten, wird aber bei aufmerksamer Pflege nicht schwer zu überwinden sein. Sein Schlaf ist jetzt tief; er wird ihn stärken. Er hört nicht, was wir sprechen; wir können also in unserer Unterredung fortfahren.«

Sie setzten das vorhin unterbrochene Gespräch fort, in dessen Verlaufe Juarez jedes, selbst das kleinste Ereigniß erfuhr, welches sich auf die Familie Rodriganda bezog.

»Man sollte das Alles, Alles für geradezu unmöglich halten,« sagte er. »Man fragt sich mit Abscheu, ob es denn wirklich so entsetzliche Menschen geben kann, wie diesen Landola und die beiden Cortejo's. Sennor Mariano, Sie sind also wirklich überzeugt, der Neffe des Grafen Ferdinando zu sein?«

»Ich kann nicht gut daran zweifeln,« antwortete der Gefragte.

»Ist Don Ferdinando auch dieser Ansicht?«

»Ganz und gar.«

»So gilt es, Licht in diejenigen Punkte zu bringen, welche jetzt noch im Dunkeln liegen. Was ich dazu beitragen kann, das wird gern und sicher geschehen.«

»Es ist uns vom allergrößten Vortheil, auf Ihren Beistand rechnen zu dürfen,« sagte Sternau.

»O,« sagte Juarez bescheiden, »mein Beistand ist jetzt noch gleich Null zu rechnen; aber ich hoffe, daß ich Ihnen recht bald besser beweisen kann, welche Theilnahme ich für Sie hege. Die Herrschaft der Franzosen kann nicht ewig dauern; allem Anscheine nach ist ihr nur noch eine kurze Frist bemessen. Mit ihr wird der schwanke Thron des Erzherzogs zusammenbrechen. Dann bin ich wieder Herr des Landes, und sobald ich in die Hauptstadt gelange, wird mein erster Befehl der sein, die Gruft der Rodriganda's zu öffnen. Hoffentlich fällt mir dann dieser Pablo Cortejo in die Hände, mit welchem auch ich eine bedeutende Rechnung abzuschließen habe.«

»Es kann nicht schwer fallen, ihn zu arretiren,« meinte Sternau.

»Es wird doch vielleicht seine Schwierigkeiten haben,« antwortete Juarez. »Man wird ihn vielleicht erst lange suchen müssen.«

»Ah, er ist versteckt?«

»Er ist bereits jetzt nicht mehr in der Hauptstadt.«

»Darf ich fragen, warum?«

»Ah, Sie wissen das noch nicht, Sennor Sternau?«

»Ich habe allerdings eine Bemerkung gehört, an deren Wahrheit ich aber fast nicht glauben konnte. Es wurde der Name Cortejo in Verbindung mit politischen Ereignissen genannt.«

»So haben Sie dennoch die Wahrheit gehört.«

»Sie erwecken mein größtes Erstaunen!«

»Ja, dieser Cortejo ist als Prätendent aufgetreten.«

»Wirklich? Das ist ja geradezu lächerlich; das ist eine Comödie!«

»Allerdings ist es ganz und gar ridicüle. Sie kennen seine Tochter?«

»Diese Sennorita Josefa Cortejo? Ja.«

»Eine Schönheit ersten Ranges natürlich!«

Sternau lachte.


// 1679 //

»Ich möchte den Mann sehen, dem diese Schönheit gefährlich werden könnte!« sagte er.

»Nun, sehen Sie einmal dieses Bild.«

Juarez zog aus seiner Tasche eine Photographie, welche er den Beiden vorhielt.

»Ah, Sie haben ihr Porträt!« sagte Sternau.

»Ja, das ist diese schöne Josefa,« bestätigte Mariano. »Sie scheint noch reizender geworden zu sein, als sie früher war.«

»Sie werden sich wundern, wie ich zu dieser Photographie komme?« fragte Juarez.

»Jedenfalls in Folge eines zarten Geheimnisses,« antwortete Sternau lächelnd.

Juarez schüttelte belustigt den Kopf und meinte:

»O, dann müßte diese Donna Josefa im Besitze von tausend zarten Geheimnissen sein. Sie schickt ihr Bild im ganzen Lande umher.«

»Zu welchem Zwecke denn?«

»Um Proselyten zu machen, um Anhänger anzulocken. Diese Dame geberdet sich bereits als Tochter des Präsidenten oder Königs von Mexiko.«

»Mein Gott, das ist ja ganz entsetzlich albern. Hat dieser Cortejo denn wirklich einigen Anhang gefunden?«

»Mehr als man denken sollte. Der Panther des Südens agitirt für ihn.«

»Das müßte einen besonderen Grund haben.«

»Gewiß, obgleich ich diesen Grund nicht finden kann. Außerdem läuft ihm allerlei Gesindel zu, welches sich bei ihm wohl sein läßt.«

»Er wird diese Menschen von dem Gelde bezahlen, welches ihm die mexikanischen Besitzungen der Familie Rodriganda einbringen.«

»Das ist allerdings eine unumstößliche Gewißheit. Dieser Mensch wird den Schaden, welchen er verursacht, niemals wieder gut machen können; aber ich gebe Ihnen die heilige Versicherung, daß, falls er in meine Hände fällt, die Strafe ihm im reichlichsten Maße zufallen wird.«

»Hat man keine Ahnung, wo er sich gegenwärtig befindet?«

»Er ist von der Hauptstadt aus nach den südlichen Districten gegangen, wo der Panther des Südens leider eine fast unbeschränkte Gewalt besitzt. Ob er sich noch dort befindet, ist nicht genau zu sagen; aber so viel ist gewiß, daß er in den mittleren und nördlichen Staaten des Landes bald verloren sein würde, gleichviel, ob er den Franzosen oder mir in die Hände fiele.«

In diesem Augenblicke wurde die Unterhaltung durch Pirnero unterbrochen, welcher die Thür öffnete. Wie bereits erwähnt, fragte Mariano nach seinem Begehr.

»Dieser Sennor Geierschnabel wünscht den Sennor Präsidenten zu sprechen,« antwortete der Wirth. Darauf zog er sich zurück.

Juarez that einige Schritte herbei und fragte den Jäger:

»Geierschnabel, der Wegweiser? Kommt Ihr in einer geheimen Angelegenheit?«

»O nein,« antwortete der Gefragte. »Diese Herren wissen ja bereits, was ich Ihnen zu sagen habe, Sir.«


// 1680 //

»So tretet gleich hier ein. Ich glaube nicht, daß wir den Kranken wecken.«

»Er schläft sehr fest,« meinte Sternau. »Wir können ohne Sorge sein.«

So durfte also der Amerikaner in das Zimmer treten. Juarez betrachtete ihn genau und sagte, dann auf einen Stuhl deutend:

»Setzt Euch, Sennor! Ich vermuthe, daß Ihr eine Botschaft an mich habt.«

Der Jäger betrachtete sich den Präsidenten ebenso genau, wie er von diesem betrachtet worden war und spitzte den Mund, um einen Strahl Tabaksbrühe von sich zu spritzen; da aber fiel ihm ein, daß es doch vielleicht nicht so ganz fein sei, in Gegenwart eines Präsidenten von Mexiko, sich des Ueberflusses auf diese ungenirte Weise zu entledigen. Er gab also seinem Munde die gewöhnliche Lage wieder und antwortete:

»Ich schätze, daß Sie richtig gerathen haben, Sir. Es ist wirklich eine Botschaft, welche ich an Sie auszurichten habe.«

»Von wem?« fragte Juarez.

»Von einem Englishman.«

»Ah, von einem Engländer?« fragte Juarez erstaunt. »Ich erwarte allerdings eine ganz und gar wichtige Botschaft, welche ich von einem Engländer empfangen soll.«

»Ich calculire, daß es diejenige ist, welche ich bringe.«

»Wie heißt dieser Engländer, Sennor?«

»Es ist Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell.«

Da machte Juarez ein außerordentlich überraschtes Gesicht und sagte:

»Sir Henry Lindsay? Ah, da habe ich mich geirrt. Das ist die Botschaft leider nicht, welche ich erwartet habe; das kann ich mir ganz genau denken.«

»Warum soll es diese nicht sein, Sir?«

»Es gelang mir vor einiger Zeit, Sir Henry einen Dienst zu erweisen. Wenn er mir jetzt eine Botschaft sendet, wird es eine private sein, aber nicht ein solche, wie ich sie erwarte.«

»Vielleicht irren Sie sich doch. Darf ich fragen, welcher Natur die Botschaft ist, welche Sie erwarten?«

»Sie ist diplomatischer Natur.

»Das lassen Sie um Gotteswillen den alten Pirnero nicht hören, sonst hält er Ihnen eine Rede von der diplomatischen Abstammung vom Vater auf die Tochter hinüber. Uebrigens muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen allerdings einen privaten Gruß von Sir Henry zu bringen habe. Ich soll Ihnen sagen, daß er Ihnen von ganzem Herzen ergeben und zu jedem Dienst bereit sei. Daß dies aber nicht eine leere Redensart sei, beweist er durch die That, indem er im Begriffe steht, Ihnen seinen Besuch abzustatten.«

»Seinen Besuch? Das wäre überraschend. Wo befindet er sich?«

»In El Refugio an der Mündung des Rio Grande del Norte.«

Da erhob sich der Präsident schnell von dem Stuhle, auf welchem er saß, und sagte:


Ende der siebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk