Lieferung 74

Karl May

12. April 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 1753 //

»Das wird nicht schwer sein, Majestät. Zugegeben, daß der ächte, geborene Mexikaner der rechtmäßige Besitzer seines Bodens ist - - -«

»Ich gebe dies zu,« fiel der Kaiser ein.

»Muß er auch das Recht haben,« fuhr der General fort, »diesen Boden gegen jede fremde, unrechtmäßige Invasion zu vertheidigen.«

»Invasion? Unrechtmäßig? Das sind starke Ausdrücke, welche sich ganz sicher bedeutend mildern lassen.«

»Ich spreche jetzt, wie ein jeder Republikaner spricht. Denken Majestät sich an die Stelle dieser Leute. Sie sagen: Das Land ist unser. Was wollen die Franzosen? Unser Geld, unsere Früchte, unsere Weiber und Töchter. Sie sind Räuber. Was bringen sie uns dafür? Einen Kaiser. Pah, einen Kaiser! Wozu? Wir brauchen keinen; wir haben einen Präsidenten. Napoleon hat Angst vor seinem Volke; er muß die Unzufriedenen beschäftigen. Er kommt auf den Einfall, der Phantasie seiner Unterthanen durch ein großes Ausstattungsstück zu schmeicheln. Er bringt zur Aufführung eine kriegerische Zauberei durch den Kaiser Max von Mexiko. Das schmeichelt der Eigenliebe der Franzosen; das giebt dem Ruhme neuen Glanz. Und weil dies Napoleon einfällt, muß Mexiko bluten, muß Mexiko dulden, muß Mexiko verwüstet werden?«

»So arg ist's nicht!« fiel der Kaiser ein.

»O doch! Ich weiß es am Besten, wie die Herren Franzosen hausen. Der ächte Mexikaner ist Republikaner; er vertheidigt sein Land, sein Heim, seinen Heerd gegen fremde Eindringlinge. Ist er deshalb ein Bandit, welcher binnen vierundzwanzig Stunden erschossen werden muß?«

»Wir sind durch das Schwerdt Herren des Landes. Jeder Mexikaner hat sich den Umständen zu fügen.«

»Gut, Majestät! Ich spreche jetzt nicht zu meinem Kaiser sondern zu Dem, für den ich mein Leben tausendmal opfern würde. Angenommen, dieser Satz wäre der Richtige: Das Schwerdt entscheidet; wer siegt, ist Herr; der Ueberwundene hat zu gehorchen. Folgt aber daraus wirklich, daß man den Gegner als Bandit betrachten muß?«

»Nachdem die Andern die Waffen streckten? Ja.«

»Gut, so soll auch dies als richtig angenommen werden. Wer aber sagt, daß der Besiegte sich nicht erheben und zum Sieger werden kann?«

»Im Allgemeinen ist diese Möglichkeit vorhanden.«

»Nun, dann wird er den Spieß umdrehen und den früheren Sieger als Bandit betrachten und behandeln.«

»Das ist für Mexiko niemals zu befürchten.«

»Wollte Gott, daß Majestät nicht irren. Für kein Land ist dies eher zu befürchten als für Mexiko. Das Land ist ein Vulkan. Und Juarez - o Juarez.«

»Er ist unschädlich.«

»Er ist noch löwenstark selbst an der äußersten Grenze des Reiches.«

»Ich werde ihn amnestiren.«

»Er wird die Amnestie verschmähen; er wird sie für ein Unding erklären; er wird sagen, daß er als Präsident des Landes das Recht habe, einen gewissen Max von Habsburg zu amnestiren, nicht dieser aber ihn.«


// 1754 //

»Ich werde ihn zu mir rufen.«

»Er wird nicht kommen.«

»Auch nicht, wenn ich ihn als Präsident des obersten Gerichtshofes anstelle?«

»Das war er bereits. Er ist jetzt Präsident des ganzen Landes.«

»Sie machen mir wirklich heiß, General.«

»Besser, als wenn Majestät später kalt gemacht werden.«

»Sie reden wirklich in mehr als kühnen Bildern!«

»Ich bin überzeugt, nur die Wahrheit zu sagen. Wenn Majestät jetzt den Besiegten als Bandit behandelt, so darf Ew. Hoheit sich nie besiegen lassen, denn man würde Revanche nehmen und Sie auch als Bandit behandeln.«

»Man müßte selbst in diesem Falle bedenken, wer und was ich bin!«

»Kaiser? Ah, Sie würden als solcher von den Republikanern nicht anerkannt.«

»Erzherzog von Oesterreich!«

»Was fragt Juarez nach Oesterreich.«

»Ich dächte doch, daß Oesterreich eine Macht wäre, welche - - -«

»Welche selbst den Erzherzog Max aufgeben wird, wenn es so der Wille Napoleons, des Allmächtigen, ist.«

»General, Sie beleidigen jetzt wirklich!«

»So will ich nichts mehr sagen; nur die eine Frage gestatte ich mir noch: Wird das Decret unterzeichnet?«

»Ja, bereits morgen.«

Da zog Mejia seinen Dolch und sagte:

»Majestät, sagen Sie, daß dies nicht geschehen soll und ich stoße mir diesen Stahl mit Freuden in mein Herz. Ich will noch sterbend Ihre Großmuth segnen.«

»Es ist beschlossen; es ist nothwendig; es wird geschehen, General.«

Da beugte Mejia, noch immer den Dolch in der Hand haltend, sein Knie vor dem Kaiser. Er sagte:

»Majestät, von dem Augenblicke an, an welchem das Decret erscheint, steht das Grab Ihnen offen, das Grab an der Festungsmauer, hinter dem Sandhügel, auf dem man kniet mit der Binde um die Augen. Ich werde Sie nicht verlassen und werde daher von diesem Tage an ein Sterbender sein. Nicht für mich flehe ich, nicht für Andere, nicht für Mexiko, sondern ich flehe nur für Sie. Bereiten Sie der Welt nicht das Schauspiel: daß ein deutscher Kaisersohn standrechtlich von mexikanischen Bandilleros erschossen wird.«

»Stehen Sie auf, General!« sagte Max, jetzt bös werdend.

»Nein, ich bleibe liegen, bis - - -«

»Sie stehen auf; ich befehle es! Sie phantasiren ja!«

Seine Stimme klang kalt und frostig, fast ein wenig höhnisch. Dies Letztere konnte Mejia, der ehrliche Held und Kempe, am wenigsten vertragen. Er sprang auf, warf einen mitleidigen Blick auf den Kaiser und sagte:

»So muß ich alle Hoffnung aufgeben, Majestät?«

»Alle. Selbst die Kaiserin stimmt mir bei.«

Da wurde das Gesicht des Generals um einen Schatten bleicher.


// 1755 //

»Dann habe ich allerdings zu schweigen,« sagte er. »Aber damit diese Stunde nicht vergessen werde und die Worte, welche ich gesprochen habe, will ich sie festspießen mit dem Stahle, den ich mit Freuden in mein Herz gesenkt hätte.«

Er erhob den Arm und schleuderte den Dolch mit solcher Macht gegen die Wand, daß er bis an das Heft in das Tafelwerk fuhr, verbeugte sich vor dem Kaiser und schritt davon.

Max blickte ihm nach und dann nach der Stelle, an welcher der Dolch steckte.

»Sollte dies ein Omen sein?« sagte er. »Sollte ich mich geirrt haben?«

Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn ein anderer General trat ein, Miramon, der Unehrliche, der ihn in seinem Vorsatze bestärkte.

Das berüchtigte Decret erschien wirklich. Max hatte es mit eigener Hand geschrieben und damit sein Todesurtheil unterzeichnet.

Der Krieg war bisher bereits mörderisch geführt worden, wenigstens von Seiten der Franzosen, welche ihre republikanischen Gefangenen wirklich als Räuber behandelten, während es eine unbestreitbare Thatsache ist, daß Juarez und die meisten seiner Generäle ihre Gefangenen mit großer Milde und Freundlichkeit behandelten.

Von Bazaine weiß man nur, daß er die Ausführung des Decrets sehr energisch forderte. Zu Dutzenden, zu Hunderten wurden die Republikaner hingeschlachtet. Erbarmungslos wurden selbst hohe Generäle erschossen, wie Salazar und Arteaga, viel betrauerte Märtyrer für die Unabhängigkeit ihres Landes.

Aber der Gang der Nemesis, welcher gewöhnlich ein sehr langsamer und hinkender ist, war für dieses Mal sehr rasch und fest.

Auf der Ebene, welche zwischen San Jose de Barral und Chihuahua liegt, ritt ein Trupp Reiter. Es waren zwei Schwadronen französischer Chevauxlegers. Sie hatten jedenfalls einen weiten Ritt hinter sich, denn die Pferde waren ziemlich ermüdet und den Reitern war keine allzu sichere und elegante Haltung nachzurühmen.

Da tauchten in der Ferne die Umrisse von Chihuahua auf, und sofort war die Wirkung zu erkennen. Die Reiter richteten sich empor, die Pferde wieherten und warfen den Schwanz, die Degen klirrten lustiger.

Voran ritt ein narbenreicher, aber nicht sehr alter Offizier. Er trug die Abzeichen eines Obersten. An der ersten Straße der Stadt angekommen, ließ er halten, fragte nach dem Stadtquartiere, schickte einen Boten voraus und rückte dann, die Musik an der Spitze, mit klingendem Spiele ein. Hier und da ließ sich ein neugieriger Frauenkopf sehen, welcher aber bei der Entdeckung, daß es sich um Franzosen handele, sofort wieder verschwand.

Vor dem Hauptquartiere ritten die beiden Schwadronen auf. Es war noch dasselbe Gebäude, aus welchem damals der schwarze Gérard entsprungen war. Eben war die Aufstellung vollendet, so trat der Oberstkommandirende hervor. Auch er trug die Abzeichen eines Obersten, war aber älter als sein Kamerad. Es war derselbe, welcher vom schwarzen Gérard eine so nachdrückliche Lehre erhalten.

Man präsentirte ihm und dann trat ihm der Kamerad entgegen:

»Oberst Laramel, Herr Kamerad,« meldete er. »Auf dem Durchritte nach Villa del Fuerte. Bringe Depeschen vom Generalcommando.«


// 1756 //

»Willkommen! Sie werden doch einige Tage Quartier nehmen?«

»Gewiß. Zwei oder drei, wenn Sie erlauben. Nur weiß ich nicht, wo meine Leute unterzubringen wären.«

»Nichts leichter als das. Ich habe nur eine einzige Schwadron in der Stadt. Die andern Quartiere liegen leer. Sie stehen Ihnen zur Verfügung.«

»Das paßt vortrefflich. Darf ich Ihnen meine Offiziere vorstellen?«

»Ich bitte darum.«

Dies geschah; dann saßen die Mannschaften ab, um sich nach ihren Quartieren zu begeben, die ihnen sehr schnell angewiesen wurden.

Der Commandant war so höflich, die Offiziere zunächst zu einem Glase Wein einzuladen. Sie nahmen dies an und saßen bald in demselben Saale, in welchem damals Gérard gestanden hatte.

»Wie kommt es, Herr Kamerad,« fragte Oberst Laramel, »daß Sie die Stadt so von Truppen entblößen? Sie befinden sich auf einem der gefährlichsten Posten des Landes.«

»Sie haben recht, doch muß ich nach den Instructionen handeln, welche ich erhalte; das ist leider nicht immer angenehm.«

»Hatten Sie da böse Erfahrungen zu machen?«

»Nicht nur bös, sondern sogar schlimm.«

»Alle Teufel, wie wäre dies gekommen?«

»Ich hatte vier Compagnien und Schwadronen Besatzung. Ich habe in einer einzigen Nacht eine ganze Compagnie verloren bis auf den letzten Mann.«

»Ah! Fast unglaublich!«

»Aber doch wahr. Es liegt da im Norden von uns ein kleines Fort, Guadeloupe genannt; das sollte ich fortnehmen. Ich detachirte die betreffende Compagnie; sie wurde von den Apachen überfallen und niedergemacht.«

»Niemand entkommen? Gar Niemand?«

»Nur ein Mädchen, eine kleine Grisette, welche mit dem Junker gelaufen war, hat sich wiedergefunden.«

»War denn der Zug nicht geheim gehalten worden?«

»Auf das Allerstrengste, aber es giebt in dieser Gegend einen Menschen, welcher für Juarez und die Apachen den Spion macht. Er ist ein ganz unglaublich verwegener und listiger Mensch. Man hat sich alle Mühe gegeben, ihm beizukommen, aber es ist nicht gelungen. Er ist überall und nirgends; er weiß Alles; er scheint allwissend und allgegenwärtig zu sein.«

Oberst Laramel schüttelte den Kopf.

»Dies klingt sehr unglaublich, Herr Kamerad,« sagte er. »Ein Mensch ist und bleibt ein Mensch, selbst wenn er die größten, hervorragendsten Eigenschaften besitzen sollte. Ich halte es für kein großes Kunststück, noch viel weniger aber für unmöglich, einen Spion zu fangen.«

»Ich glaube Ihnen dies; aber Sie kennen den schwarzen Gérard nicht.«

»Der schwarze Gérard? Ah, dieser ist es, den Sie meinen?«

»Ja, dieser und kein Anderer.«

»Da haben Sie allerdings einen schlimmen Gegner. Ich habe viel von ihm


// 1757 //

gehört; sein Name wurde sogar im Hauptquartier sehr oft genannt. Also dieser Mensch ist jetzt in der Gegend von Chihuahua zu finden?«

»Bereits seit längerer Zeit. Wir wissen ganz genau, daß er sogar in der Stadt selbst verkehrt und Verbündete in derselben hat.«

»Ah, woher wissen Sie das?«

»Er hat es uns ja selbst gestanden.«

»Er selbst?« fragte der Oberst verwundert. »Sonderbar! Wie konnte dies zugehen?«

»Er war ja hier in Chihuahua, hier in diesem Zimmer.«

»Unmöglich. Er war hier, wirklich hier?«

»Ja. Wir hatten ihn gefangen.«

»Also doch. Ist nicht ein Preis auf seinen Kopf gesetzt?«

»Ja, ein sehr bedeutender.«

»Nun, den haben Sie sich also verdient?«

Der Commandant befand sich in einer ziemlichen Verlegenheit. Er war gezwungen, einzugestehen, daß er diesen Preis nicht erhalten hatte.

»Ja, beinahe hatten wir uns ihn verdient,« sagte er.

»Beinahe? Nun, ich denke, Sie hatten den Kerl festgenommen?«

»Ja, festgenommen und gebunden, in einer zahlreichen Versammlung von Offizieren und andern Herrschaften hier in diesem Zimmer. Ich verhörte ihn; der Mensch betrug sich sehr frech und renitent, und - wissen Sie, Herr Kamerad - plötzlich gelang es ihm, sich seiner Fesseln zu entledigen. Er schlug mich nieder, vor allen anwesenden Leuten, und sprang zum Fenster hinab.«

»Donnerwetter! Er entkam?«

»Leider!«

»Das wäre mir wohl nicht passirt!«

Da warf sich der Commandant in die Brust und sagte in stolzem Tone:

»Das sagen Sie; das glauben Sie; aber Sie irren sich. Haben Sie vielleicht schon einmal mit so einem ächten, rechten Prairiejäger zu thun gehabt?«

»Noch nicht.«

»Nun, dann dürfen Sie auch nicht sagen, daß Ihnen so Etwas nicht passiren könne. Diese Kerls haben tausend Teufel im Leibe. Sie haben Jahr aus, Jahr ein mit hundert Gefahren zu kämpfen; sie sehen den gewaltsamsten Tod stets vor ihren Augen; sie rechnen mit ganz anderen Ziffern als wir. Ich sage Ihnen, so ein Savannenmann nimmt es mit zwanzig unserer besten Unteroffiziers auf.«

»Herr Kamerad, nehmen Sie wirklich an, daß ich dies glauben soll?«

»Glauben Sie es oder nicht. Nun Sie nach dem Norden kommen, werden Sie es bald erfahren. Ich habe jetzt eine ganz bedeutende Mannschaft nach dem Fort Guadeloupe detachirt; dies ist der Grund, daß Sie hier so offene Quartiere fanden. Diese Leute sind wacker und stehen unter guter Anführung, aber doch muß ich gewärtig sein, daß sie das Nest nur unter großen Opfern nehmen können.«

»Ist Guadeloupe so fest?«

»Ganz und gar nicht. Aber dieser schwarze Gérard hat jedenfalls bereits ausspionirt, was wir wollen, und liegt mit irgend einem Trupp Apachen im


// 1758 //

Hinterhalte, wo man dies am Allerwenigsten erwartet. Hätten wir unsere Sennorita Emilia nicht, so hätten wir Chihuahua längst räumen müssen.«

»Sennorita Emilia? Wer ist das?«

»Ah, Sie kennen unsere beste und scharfsinnigste Spionin nicht?«

»Nein.«

»Nun, dann ist Ihnen zugleich die größte Schönheit Mexikos unbekannt.«

»Alle Teufel! Was Sie sagen!«

»Es ist die Wahrheit!«

»Die größte Schönheit Mexikos? Wird man sie sehen können, Herr Kamerad?«

Oberst Laramel war als einer der rücksichtslosesten und grausamsten Offiziere der französischen Armee bekannt. Er und sein Regiment gab nie Pardon. Er war der Mörder und Schlächter zahlreicher Mexikaner gewesen, welche in seine Hände gefallen waren. Tollkühn bis zum Exceß, galt bei ihm ein Menschenleben nichts; daher war er es, den man jetzt über Chihuahua nach Villa del Fuerte schickte, wo es galt, unter den Republikanern aufzuräumen und das blutige Decret in Ausführung zu bringen. Dazu war er ganz und gar der richtige Mann.

Und wie die allgemeine Erfahrung lehrt, daß grausame Leute zugleich Anhänger der wollüstigen Göttin sind, so hatte dieser Fall auch hier seine Anwendung. Oberst Laramel war ein leidenschaftlicher Bewunderer des schönen Geschlechtes. Darum electrisirte es ihn förmlich, hier von einem Mädchen zu hören, welche die schönste Dame Mexikos sein solle.

»Es kommt ganz auf Sie an,« antwortete der Commandant. »Wenn Sie wünschen, ihre Bekanntschaft zu machen, so ist nichts leichter als das.«

»Ah, sie ist also nicht schwer zugänglich?«

»Ganz und gar nicht. Ich hatte ja bereits die Absicht, Sie nebst den andern Herren Kameraden heut Abend bei mir zu sehen. Ich werde mehrere Herren und Damen der Stadt bitten lassen, und dabei soll Sennorita Emilia auch sein.«

»Ich danke Ihnen. Ich möchte nicht in die Heimath zurückkehren, ohne dort erzählen zu können, daß ich die Dame gesehen habe, welcher unter allen Mexikanerinnen der Preis der Schönheit gebührt. Also Sennorita Emilia wird sie genannt. Welches ist ihr weiterer Name? Es steht ja zu erwarten, daß sie nicht nur einen Vornamen trägt sondern auch einen Familiennamen hat.«

»Den kennt man nicht.«

»Ah, das wäre ja sonderbar.«

»Allerdings. Es herrscht über diese Dame ein tiefes Geheimniß, welches aufzuklären, sie sich keine Mühe giebt. Vielleicht hat sie die Ansicht, daß durch dieses Geheimniß das Interesse, welches man an ihr nimmt, noch bedeutend erhöht werde. Während die Einen sie für eine geborene Mexikanerin halten, sagen Andere, sie sei eine Italienerin, Spanierin oder gar eine Französin.«

»Welche Meinung haben denn Sie, Herr Kamerad?«

»Ich neige mich der letzteren Ansicht zu. Sie spricht das Französisch wie eine ächte Pariserin. Uebrigens werde ich in meiner Meinung durch den außerordentlichen Eifer gestärkt, welchen sie unseren Angelegenheiten widmet.«


// 1759 //

»Das wäre, falls sie eine Mexikanerin sein sollte, allerdings zu verwundern. Diese Damen sind im Herzen alle echt republikanisch gesinnt.«

»Sie ist das gerade Gegentheil davon, obgleich es stets mein Princip gewesen ist, der Frauenwelt nicht ein allzugroßes Vertrauen zu schenken. Sie hat uns zahlreiche Beweise gegeben, daß wir uns auf sie verlassen können.«

Der gute Mann ahnte nicht, daß diese »Beweise« nur scheinbar gewesen waren und nur dazu gedient hatten, die Franzosen in das Verderben zu locken. Von dem vollständigen Untergange der abermals nach Fort Guadeloupe gesandten Truppen hatte er noch gar nichts erfahren. Oberst Laramel sagte:

»Man muß zugeben, daß eine weibliche Spionin, wenn sie schön ist und den nöthigen Scharfsinn besitzt, ganz andere Erfolge erzielt, als ein männlicher Spion. Wir sogenannten Herren der Schöpfung lassen uns vor ein Paar schönen Augen alle mehr oder weniger schwach finden. Doch, um auf den Untergang Ihrer Compagnie zurückzukommen, haben Sie denn nicht Anstalten getroffen, Repressalien anzuwenden, oder diesen schauderhaften Mord in der gehörigen Weise zu rächen?«

»Ich habe mein Möglichstes gethan. Die jetzt von Neuem nach dem Fort detachirten Truppen haben den Befehl, jeden Apachen, den sie treffen, ohne Gnade und Barmherzigkeit niederzuschießen. Außerdem habe ich mich einer Anzahl von Einwohnern dieser Stadt bemächtigt, von denen ich sicher weiß, daß sie republikanisch gesinnt sind.«

»Diese Leute sind Ihre Gefangenen?«

»Ja, meine Maßregel hat hier viel Sturm erregt.«

»Das darf einen braven Soldaten nicht kümmern. Was werden Sie mit ihnen thun?«

»Was kann ich thun? Man sollte diese Verräther über die Klinge springen lassen, dann wäre man sie ein für alle Male los.«

»Warum thun Sie das nicht?«

»Aus zweierlei Gründen. Die Hinrichtung von beiläufig dreißig bis vierzig Personen würde hier geradezu einen Aufruhr hervorbringen, dem gegenüber ich mich jetzt zu schwach fühle. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich hier wenige Truppen besitze.«

»Ich stelle Ihnen die meinigen zur Verfügung.«

»Das würde nur eine augenblickliche Unterstützung sein. Sie marschiren ja weiter.«

»O, meine Vollmacht verbietet mir durchaus nicht, so lange hierzubleiben, bis die Ruhe wieder hergestellt oder Ihr Detachement zurückgekehrt wäre.«

»Das würde mir allerdings eine höchst willkommene Hilfe sein. Aber mein zweiter Grund bezieht sich auf die Ungewißheit, in welcher ich mich in diesem Falle befinde. Ich weiß nicht, ob ich über Leben und Tod so Vieler frei verfügen kann. Ich stehe da vor einer Verantwortung, welche ich vielleicht nicht zu tragen vermag.«

»Was das betrifft, so kann ich Sie von allen Sorgen befreien. Sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die strenge Verpflichtung, jeden Republikaner auf der Stelle füsiliren zu lassen.«


// 1760 //

»Ich weiß davon gar nichts.«

»Ich habe den Auftrag, es Ihnen mitzutheilen.«

»Ah! Erstreckt sich diese Mittheilung vielleicht auf die Ueberbringung einer schriftlichen Bevollmächtigung, Herr Kamerad?«

»Ja. Haben Sie denn nichts von dem Decret vom dritten October gehört?«

»Nein, kein Wort.«

»Nun, Kaiser Max hat in diesem Decret befohlen, jeden Republikaner, gleichviel, ob derselbe General oder Bettler sei, einfach als Banditen zu betrachten und als solchen zu behandeln, das heißt, ihn auf der Stelle stranguliren oder überhaupt tödten zu lassen.«

»Liegt da nicht vielleicht ein Irrthum vor, Herr Kamerad? Vom dritten October bis jetzt ist eine lange, lange Zeit. Das Decret müßte längst in meinen Händen sein.«

»Sie irren. Bedenken Sie die Entfernung zwischen der Hauptstadt und hier; bedenken Sie ferner die Unzulänglichkeit der Verbindungen in diesem Lande und die Unsicherheit der Wege. Ich bin beauftragt, Ihnen eine Abschrift des Decretes nebst einer vom Generalcommando ausgefertigten Ausführungsverordnung zu überbringen. Diese beiden Documente werden bezüglich der Pflichten, welche Sie zu erfüllen haben, jeden Zweifel beseitigen. Gestatten Sie, Ihnen dieselben zu überreichen!«

Er zog aus der Tasche seines Uniformrockes ein großes, mehrfach versiegeltes Couvert, welches er dem Commandanten überreichte. Dieser nahm es entgegen und sagte:

»Diese Angelegenheit ist mir so wichtig, daß ich um Entschuldigung bitte, wenn ich sofort und in Ihrer Gegenwart zur Lectüre schreite.«

»Lesen Sie immerhin, Herr Kamerad.«

Der Commandant öffnete und las es. Sein Gesicht nahm einen ernsten und entschlossenen Ausdruck an. Dann, als er die Documente zusammenfaltete, sagte er:

»Jetzt kann allerdings kein Zweifel mehr herrschen. Ich fühle mich sehr erleichtert.«

»Was werden Sie also thun?«

»Meine Pflicht,« antwortete der Gefragte kurz.

»Und diese lautet?«

»Ich werde die Gefangenen erschießen lassen.«

»Wann?«

»Hm! Bin ich Ihrer Hilfe wirklich sicher? Darf ich auf Sie bestimmt rechnen?«

»Vollständig. Ich bleibe hier, bis Sie unserer nicht mehr bedürfen.«

»Sie meinen also, daß das Urtheil so bald wie möglich zu vollstrecken sei?«

»Ja. Sie kennen mich vielleicht oder haben doch von mir gehört. Von mir hat noch kein Mexikaner Pardon erhalten. Ich hasse diese Nation zwar nicht, aber ich verachte sie. Sie ist nicht werth, zu existiren. Sie thun mir wirklich den größten Gefallen, wenn Sie mich Zeuge von der Hinrichtung dieser Menschen sein lassen.«


// 1761 //

»Diesen Genuß kann ich Ihnen gewähren.«

»Aber wann? Hoffentlich morgen bereits?«

»Das wird nicht gehen. Man muß doch vorher zu Gericht sitzen und ein Urtheil sprechen.«

»Nicht nöthig, Herr Kamerad. Diese Bande verdient eine solche Rücksicht ganz und gar nicht.«

»Sie mögen recht haben. Und überdies lautet meine Vollmacht ja so, daß ich ganz nach Belieben handeln kann. Banditen schießt man nieder, wie sie vor das Gewehr kommen.«

»Also morgen?«

»Doch nicht. Man muß ihnen Zeit gönnen, sich auf den Himmel vorzubereiten. Hier in diesem Lande ist man so bigott, so übermäßig schwarz und fromm, daß die Nachricht, die Leute seien in ihren Sünden gestorben, tausendmal schlimmer wirken würde, als die Kunde von der Hinrichtung selbst. Beichte und Absolution muß ihnen gewährt werden.«

»Nun gut. Dazu wird ein Tag genügen. Also übermorgen?«

»Ja, übermorgen, und zwar in aller Frühe, womöglich noch vor Anbruch des Tages.«

»Sie meinen des Publikums wegen?«

»Ja. Diese Angelegenheit soll in aller Stille vor sich gehen. Kein Mensch darf vorher wissen, was geschehen soll. Nur der Beichtvater und die sonst nöthigen Personen werden unterrichtet. Eine vollendete Thatsache, an der nichts mehr zu ändern ist, wird das Volk verblüffen. Man wird einsehen, daß jeder Widerstand zu spät kommt. Das ist es, was ich beabsichtige.« - - -

Während die Franzosen von der Südseite her in die Stadt eingeritten waren, hatte sich von Norden her ein einzelner Reiter derselben genähert. Er ritt ein keineswegs sehr schönes Pferd, hatte höchst unscheinbare Waffen an sich herumhängen und machte, Alles in Allem, nicht etwa den Eindruck eines gewaltigen Helden, obgleich man auf den ersten Blick erkennen mußte, daß er ein Jäger sei. Er war von sehr kleiner, hagerer Statur.

Er hatte nicht einen bestimmten Weg vor sich, sondern er ritt langsam parallel mit den Grenzen der Stadt, und die forschenden Blicke, welche er derselben zuwarf, ließen errathen, daß es ihm darum zu thun war, Chihuahua kennen zu lernen, ohne hineinzukommen.

Es war der kleine André, welcher von Juarez ausgesandt worden war, die Verhältnisse der Franzosen in der Stadt zu erkundschaften.

Er hielt sein Pferd an und richtete sein Auge auf die Thürme der Hauptkirche und andere Gotteshäuser. Langsam mit dem Kopfe schüttelnd, brummte er vor sich hin:

»Verdammte Geschichte! Treibe ich mich Tag für Tag in dieser Gegend umher, um zu erfahren, was der Präsident wissen will, und finde doch keinen Menschen, den ich ausfragen kann. Ich glaube, diese Franzosen haben sogar den Einwohnern verboten, aus der Stadt zu gehen. Das ist ja der reine Belagerungszustand.«


// 1762 //

Er rückte eine Zeit lang ungeduldig im Sattel hin und her und fuhr dann fort:

»Ich muß gewärtig sein, Juarez kommt bereits heute angerückt. Was soll ich ihm sagen? Ich weiß nichts und bin schauderhaft blamirt. Aber hinein reiten? Hm!«

Er schüttelte bedenklich den Kopf.

»Das ist gefährlich. Wie nun, wenn die Messieurs mich wirklich für einen Spion hielten? Das könnte dem guten Andreas Straubenberger sehr schlecht bekommen.«

Da schüttelte sein Pferd, natürlich ganz zufälliger Weise, den Kopf und wieherte.

»Nicht schlecht?« fragte der Jäger. »Du bist anderer Ansicht? Hin! Vielleicht hast Du recht. Wenn ich vor der Stadt bleibe, erfahre ich nichts, es bleibt mir also nichts übrig, als hineinzureiten. Uebrigens,« fügte er mit einem gewissen Stolze hinzu, »bin ich der kleine André und habe meine Waffen. Wir werden ja sehen.«

Er lenkte der Stadt entgegen.

Er untersuchte seine Waffen sehr sorgfältig und lenkte den Kopf des Pferdes der Stadt entgegen. Der kleine Mann wagte es wirklich, den Feind geradezu aufzusuchen.

Streng genommen, war dieses Wagniß allerdings nicht so groß, wie vorher bei dem schwarzen Gérard. Dieser war den Franzosen als Feind bekannt, Bazaine hatte auf seinen Kopf sogar einen Preis von fünftausend Franken gesetzt. Ferner hatte er sich bei Nacht und Nebel heimlich einschleichen müssen. Wurde er ergriffen, so stand also nicht nur sein Leben auf dem Spiele, sondern sein Tod war fast eine Gewißheit. Daß er dennoch entkommen war, hatte er nur seinen großen Eigenschaften zu verdanken.

Anders aber lag es bei André. Kein Franzose hatte ihn jemals als Feind gesehen, höchstens konnte man seinen Namen als denjenigen eines nördlichen Jägers kennen. Nahm man ihn ja in den Verdacht, ein Spion des Präsidenten Juarez zu sein, so konnte man ihm doch nicht das Mindeste beweisen. Sein Leben wenigstens stand vermuthlich nicht auf dem Spiele.

Das sagte er sich auch selbst, indem er jetzt der Stadt entgegenritt. Außer aller Gefahr befand er sich wohl keineswegs, aber er vertraute auf sich und sein gutes Glück.

Am Eingange zur ersten Straße, wo früher Posten gestanden hatten, befand sich heute keine Schildwache. Der Commandant hatte geglaubt, diese Sicherheitsmaßregel unterlassen zu können. Er hatte ein zahlreiches Detachement gegen seine Feinde ausgeschickt und nahm aus diesem Grunde an, daß die rückwärts liegende Stadt nichts zu befürchten habe. André konnte also unexaminirt und unbelästigt in die Stadt einreiten.

Er fand gleich in der zweiten Gasse, in welche er, um die Hauptadern des Verkehrs zu vermeiden, einbog, eine kleine Venta, deren breites Thor ihm gastlich entgegenblickte.

Er hielt es für klug, gleich hier abzusteigen und sein Pferd in den Hof zu


// 1763 //

führen. Ritt er weiter in die Stadt hinein, so mußte seine Erscheinung mehr auffallen, als wenn er dieselbe dann später vorsichtig zu Fuß durchwanderte.

Er ritt also vor das Thor und stieg ab. Indem er den Sattel verließ, bemerkte er ein hohes, breites Gebäude, welches der Venta gegenüber lag. Es hatte einen Balkon, auf welchem sich soeben eine Dame befand, deren Gesicht gegen den Einfluß der Luft und Sonne leicht verschleiert war. Wäre es ihm möglich gewesen, durch diese Verhüllung zu blicken, so hätte er bemerken können, daß ihr Auge mit einer gewissen Spannung auf ihm ruhte.

Sie betrachtete ihn mit aller Aufmerksamkeit, und als er mit seinem Pferde unter dem Thore verschwunden war, trat sie in das Zimmer zurück und griff zur Klingel. Auf das mit derselben gegebene Zeichen trat eine Zofe ein.

»Ich wünsche den Wirth aus der Venta zu sprechen, aber ohne Aufsehen.«

Auf diese Worte der Herrin entfernte sich die Zofe wieder, und bald sah man einen alten, grauköpfigen Mexikaner über die Straße hinüber nach der Venta gehen.

Dieser Mann war der Hausmeister des erwähnten großen Gebäudes. Er fand nach einigem Suchen den Wirth im Hofe stehen. Dieser bemerkte ihn und kam ihm entgegen.

»Ah, Sennor, wen sucht Ihr?« fragte er ihn.

»Euch,« antwortete der Alte.

»Mich? Womit kann ich Euch dienen?«

»Ich habe Euch zu bitten, zu unserer Sennorita zu kommen.«

»So wird sie vielleicht Gesellschaft bei sich sehen und das Mahl bei mir bestellen wollen.«

»Nein. Ich habe Euch zu sagen, daß sie Euch ohne Aufsehen sprechen will.«

»Das ist etwas Anderes.«

Er trat näher an den Alten heran und fragte, dieses Mal mit flüsternder Stimme:

»Sind etwa Nachrichten gekommen?«

»Von woher meint Ihr?« gegenfragte der Alte ebenso leise.

»Von Juarez?«

»Ich habe nichts gehört.«

»Nun, dann werde vielleicht ich es erfahren. Sagt der Sennorita, daß ich kommen werde; zuvor aber muß ich einen Gast bedienen, welcher soeben gekommen ist.«

»Ah, ein Fremder?«

»Ja. Viel gescheidtes ist es nicht. Er ist sehr zerrissen und reitet ein heruntergekommenes Pferd.«

Der Hausmeister machte eine sehr nachdenkliche Miene und sagte:

»Urtheilt nicht vorschnell, Sennor. Ein Mexikaner wird allerdings nur höchst ungern ein häßliches Pferd reiten. Ist er vielleicht Mexikaner?«

»Nein.«

»Für was haltet Ihr ihn denn?«

»Für einen nördlichen Jäger.«

»O, so dürft Ihr ihn nicht nach der Kleidung und dem Pferde beurtheilen.


// 1764 //

Diese Leute haben oft sehr große Strapatzen hinter sich. Uebrigens ist es eigenthümlich, daß ein Nordländer sich zu den Franzosen wagt. Nicht, Sennor?«

»Hm.«

»Ich an Eurer Stelle würde ihn ein Wenig aushorchen.«

»Er würde mich ganz einfach ablaufen lassen. Man kennt diese nordischen Trapper.«

»Ein Versuch wäre doch zu machen. Also ich darf der Sennorita sagen, daß Ihr bald kommen werdet?«

»Ja, sehr bald.«

Der Alte nickte und entfernte sich. Der Wirth aber trat in die Gaststube. Dort saß André ganz allein. Er hatte sich sofort hierher begeben, nachdem er sein Pferd draußen im Hofe angebunden und ihm ein Bündel dort vorgefundener, getrockneter Maisblätter vorgeworfen hatte. Diese werden dort allgemein als Pferdefutter benutzt.

»Willkommen, Sennor!« grüßte der Wirth.

André warf einen raschen, forschenden Blick auf ihn und antwortete in gebrochenem Spanisch:

»Danke, Sennor. Was habt Ihr zu trinken?«

»Alles, was Euer Herz begehrt.«

»Ah, das ist gut! Also Bier?«

»Nein.«

»Wein?«

»Nein.«

»Kaffee?«

»Nein.«

»Chocolade?«

»Nein. Heut Morgen gab es welche; sie ist aber alle geworden, Sennor.«

»So giebt es wenigstens eine Limonade?«

»Nein; der Zucker ist mir ausgegangen.«

»Oder einen Julep?«

»Leider auch nicht. Die Flasche ist mir zerbrochen; ich muß erst eine andere kaufen.«

»Aber, zum Donnerwetter, Ihr sagtet doch, daß ich Alles erhalten könnte, was mein Herz begehrt.«

»Ja, das sagte ich allerdings, Sennor.«

»Nun, jetzt da ich Euch sage, was ich will, ist gar nichts vorhanden.«

Der Wirth schüttelte den Kopf und sagte in vorwurfsvollem Tone:

»Daran seid Ihr selbst schuld, Ihr ganz allein, Sennor.«

»Ich? In wiefern denn?«

»Warum begehrt Euer Herz denn grad Das, was nicht da ist!«

André lachte.

»Ah, so ist das gemeint. Nun, so sagt denn einmal, was Ihr Alles habt.«

»Alles habe ich; nur ist mir grad jetzt Verschiedenes ausgegangen. Mit einem Glas Pulque aber könnte ich Euch recht gut dienen.«

»Nun, so bringt es, Sennor. Es ist immer besser als gar nichts.«


// 1765 //

Der Wirth nahm ein Glas und schenkte es aus einem großen Kruge voll. Als er es André gegeben hatte, setzte dieser es an die Lippen. Kaum aber hatte er einen Zug gethan, so verzog er sein Gesicht auf eine Weise, als ob er Feuer verschluckt hätte.

»Verteufeltes Zeug!« rief er.

»Ah, wollt Ihr etwa sagen, daß dieser Pulque nicht gut sei?« fragte der Wirth.

André war vorsichtig. Er antwortete:

»O, jedenfalls ist er sehr gut; ja sogar ganz vorzüglich für einen Mexikaner.«

»Aber für Euch nicht?«

»Nein. Man ist diesen Trank nicht gewöhnt.«

»So seid Ihr kein Mexikaner?«

»Nein. Habt Ihr das nicht bereits aus meiner Sprache gehört?«

»Allerdings; aber man kann sich täuschen. Darf ich Euch fragen, was Ihr seid?«

»Ein Jäger bin ich.«

»Das dachte ich. Aber was für ein Jäger?«

»Wie meint Ihr das?«

»Nun, ich meine, ob ein Büffeljäger, ein Tigerjäger, ein Schlangenjäger oder so.«

»Ja, ich hatte vergessen, daß in diesem schönen Lande die Jägerei auf mexikanische Weise betrieben wird. Bei uns hingegen schießt ein Jäger Alles, was ihm vorkommt.«

»So seid Ihr ein Nordländer?«

»Ja.«

»Ein Yankee?«

»Nein.«

»Also ein Kanadamann?«

»Auch nicht.«

»Was sonst, wenn Ihr aus dem Norden seid?«

»Laufen denn nur Yankees und Kanadamänner in den Felsenbergen umher? Es giebt da ehrliche Kerls und Lumpe von allen Nationalitäten. Was mich betrifft, so bin ich ein Deutscher.«

»Ein Deutscher? Ah! Also ein Anhänger unseres guten Kaisers Maximiliano?«

Der kleine Jäger warf einen scharfen Blick in das hagere Gesicht des Mexikaners.

»Spielt keine Komödie!« sagte er.

»Komödie? Wie kommt Ihr zu diesem Ausdrucke, Sennor?«

»Ich weiß ganz genau, daß Ihr, wenn Ihr unter Euch seid, diesem »guten Kaiser Maximiliano« einen ganz anderen Titel geben werdet.«

»O Dios! Glaubt dies nicht! Wir sind hier Alle gut kaiserlich gesinnt.«

»Das heißt, gut französisch?«


// 1766 //

»So ziemlich, denn wir verdanken den Franzosen ja unsern guten Emperador.«

»Das freut mich von Euch, Sennor; ganz ungeheuer freut es mich. Ich hoffe, daß Ihr Euch bestreben werdet, den Franzosen dankbar für diese Wohlthat zu sein.«

»Natürlich! Wir sind von ganzem Herzen dankbar.«

»Wißt Ihr, wie Ihr das am Besten beweisen könnt?«

»Wie?

»Fabrizirt so viel Pulque wie möglich, aber ganz von derselben Sorte wie dieser hier ist und gebt ihn den Franzosen fässerweise zu trinken. Verstanden?«

»Verstanden habe ich es, aber es wird nicht gehen.«

»Warum nicht?«

»Die Franzosen lieben den Pulque nicht, sie wollen nur Wein, immer wieder Wein.«

»Und sie bekommen ihn?«

»Ja. Was will man machen? Wenn sie ihn nicht erhalten, nehmen sie ihn sich selbst.«

»Das heißt, sie nehmen ihn mit Gewalt?«

»Hm, das wollte ich nicht sagen! Man muß in seinen Worten sehr vorsichtig sein.«

»Ah, ist es so? Der Emperador Maximilian ist so gut, so vorzüglich, daß Ihr Euch bereits gezwungen seht, in Euren Ausdrücken sehr vorsichtig zu sein?«

»Um Gotteswillen, leise, Sennor!« bat der Wirth.

»Und leise muß man bereits sprechen?«

Da nahm das Gesicht des Mexikaners einen vertraulichen Ausdruck an. Er bog sich zu dem Gaste nieder und sagte:

»Nicht wahr, Sennor, Ihr seid kein Deutscher, wie Ihr vorhin sagtet?«

»Warum sollte ich das nicht sein? Warum sollte ich Euch die Unwahrheit gesagt haben?«

»O, man hat jetzt gar viele Gründe dazu, anders zu sagen, als man denkt. Es ist jetzt allerdings am Vortheilhaftesten, entweder ein Franzose oder ein Deutscher zu sein.«

»Ich bin das Letztere wirklich.«

»Dann wundere ich mich allerdings über - über - - -«

»Ihr wundert Euch allerdings über meine Verwunderung, wollt Ihr sagen?«

»Ja.«

»Nun, da giebt es gar keine Verwunderung. Ihr habt nur nicht daran gedacht, daß ein Deutscher noch lange kein Oesterreicher zu sein braucht.«

»Ah, ist da ein Unterschied vorhanden?«

»Allerdings, und zwar ein sehr großer.«

»So seid Ihr kein Oesterreicher?«

»Nein. Ich bin ein Bayer.«

»Ein Bavariano?«


// 1767 //

»Ja.«

»O, dann seid Ihr wohl gar nicht französisch oder österreichisch gesinnt?«

»Fragt, wen Ihr wollt, aber mich nicht! Ich will Euch sagen, daß ich eines jeden braven Kerls Freund bin, er mag nun Franzose oder Hottentotte sein. Ist er aber nicht brav, so mag ihn der Teufel holen. Das ist meine Ansicht von der Sache.«

»Ganz so bin auch ich gesinnt, Sennor.«

»Nun, so haben wir ja ganz dieselben Ansichten. Nur fragt es sich, ob die Herren Franzosen und ihre Anhänger sich eben brav gegen Euch benehmen.«

»O, Sennor,« flüsterte der Wirth, »sie lassen da viel zu wünschen übrig!«

»Ah, wirklich?«

»Ja. Wenn man nur wüßte, daß man Euch Vertrauen schenken darf.«

»Hört einmal, Master, ich bin kein Hundsfott. Merkt Euch das! Ich pflege Das, was man mir anvertraut, nicht mit Kanonen in die Welt hinaus zu donnern.«

»Das ist es, was ich wünsche. Solche Leute kann man gebrauchen. Also, Ihr seid kein Freund der Franzosen?«

»Hört einmal, wir kommen da auf ein schlüpfriges Gebiet. Es giebt jedenfalls unter den Franzosen sehr anständige Kerls; denen wünsche ich alles Gute; was aber die Andern anbelangt, die kann, wie ich bereits gesagt habe, der Teufel holen. Es fragt sich, welche von ihnen sich in Mexiko befinden, die Anständigen oder die Andern.«

»Nun, das werdet Ihr gleich hören. Nennt Ihr es anständig, sich um anderer Leute Sachen, welche Einem gar nichts angehen, zu bekümmern?«

»Nein; das thun nur die Markt- und Fischweiber.«

»Nun, das thun die Franzosen. Die Angelegenheiten Mexikos gehen ihnen gar nichts an, und doch machen sie dieselben zu den ihrigen. Nennt Ihr es anständig, Unschuldige zu bestrafen, die Schuldigen aber laufen zu lassen?«

»Nein; das thut nur ein Hundsfott.«

»Die Franzosen thun dies. Die Miramon, Santa Anna und ähnliche Gelichter haben unser Land ausgesogen und ungeheure Schulden gemacht. Statt diese nun bei ihnen einzukassiren, bekleben sie Miramon und Andere mit ungeheuren Ehren und kommen in das Land, um das unschuldige Volk vollends auszubeuteln. Nennt Ihr es ferner anständig, wenn man für einem andern Gelder erhebt, den größten Theil derselben aber in seine eigene Tasche steckt?«

»Nein; das thut nur ein Lump, ein Gauner, ein Spitzbube.«

»Nun, das haben die Franzosen gethan.«

»Unmöglich! Sie marschiren doch an der Spitze der Civilisation, wie sie selber sagen.«

»Soll ich es Euch beweisen?«

»Thut das, wenn Ihr es könnt.«

»Nun, Miramon hat von einem Geldmanne sieben Millionen Franks geborgt und dafür, obgleich er nur drei Millionen baar erhielt, einen Schuldschein über fünfundsiebenzig Millionen erhalten. Jetzt wollen die Franzosen uns zwingen, diese achtundsechzig oder eigentlich zweiundsiebzig Schwindel- und Wuchermillionen zu bezahlen.«


// 1768 //

»Donnerwetter, das ist stark.«

»Ferner haben sie auf Mexiko zwei Anleihen contrahirt. Fünfhundert Millionen haben sie in ihre eigene Tasche gesteckt, während wir nur vierzig erhielten, von denen aber auch kein Mexikaner einen Pfennig gemerkt hat.«

»Da schlage doch der Teufel drein.«

»Ja, wir Alle wünschen, daß er recht bald komme und dreinschlage. Und denkt Euch, diese Franzosen kommen in das Land, rechtlos und gewaltthätig und verlangen, daß wir die Kosten dieses Massenspazierganges bezahlen, hunderte von Millionen stark. Dieser gute Emperador Maximiliano, welcher ein ganz braver Mann ist, hat sich verpflichtet, diese Summen zu bezahlen; wir aber, wir müssen sie aufbringen. Das Land geht dabei zu Grunde.«

»Hm, Sennor, ich bedaure Euch. Gewöhnlich pflegt man, wenn man einem armen Teufel auf die Beine helfen will, das Geld mitzubringen, nicht aber es von ihm zu verlangen. Wie kann er sonst auf die Beine kommen.«

»Ihr habt da ein ganz treffliches Beispiel gewählt, Sennor. Mexiko ist jetzt dieser arme Teufel, dem man, unter dem Vorwande, ihm zu helfen, den letzten Groschen aus der Tasche nimmt. Er will sich das nicht gefallen lassen; er wehrt sich dagegen.«

»Ganz natürlich. Das würde jeder vernünftige Mensch ganz ebenso thun.«

»Was aber ist die Folge? Man steckt ihn ein; man haut ihn, man mordet ihn.«

»Hört, Sennor, ich möchte nicht mit Euch tauschen.«

»Nicht wahr? Denkt an die Tausende, welche gefallen sind; denkt an die muthigen Männer, welche man in die Kerker steckt. Erst vor einigen Tagen hat der hiesige Commandant wieder gegen vierzig Familienväter hinter Schloß und Riegel gebracht.«

»Weshalb?«

»O, nur deshalb, weil sie zu einem unschuldigen Privatvereine gehören, von dem ein Mitglied leider unvorsichtiger Weise öffentlich gesagt hat, daß wir eigentlich ganz gut im Stande seien, uns selbst zu regieren, und daß es besser sei, für sich selbst zu arbeiten als für Andere.«

»Was wird man mit diesen Leuten thun?«

»Ich weiß es nicht, aber man ist sehr gespannt darauf. Man glaubt hier, daß es nicht länger so fortgehen könne. Man hofft ganz bestimmt auf - auf - -«

Er hielt vorsichtig inne.

»Nun, worauf oder auf wen hofft man denn?« fragte der kleine André.

»Auf Juarez.«

Diese Antwort gab der Wirth mit vor den Mund gehaltenen Händen und so leise, daß der Jäger sie kaum verstehen konnte.

»Auf Juarez?« fragte der Letztere, sich unwissend stellend. »Warum auf ihn?«

»Er ist ja unser rechtmäßiger Präsident. Wir haben ihn gewählt und uns unter seiner Regierung ganz wohl befunden.«

»Er ist aber ja ausgerissen.«

»Er mußte, wenn er nicht das ganze Land mit Blut überschwemmen wollte.«


// 1769 //

»Ah, deshalb. Aber wird es weniger Blut kosten, wenn er zurückkehrt?«

»Gewiß. Die Usurpatoren kennen das Land nicht. Das Land wird viel schneller wieder unser sein, als es in ihren Besitz gelangt ist. Als sie kamen, standen wir ohne Heer, ohne alle Hilfe da. Jetzt ist das anders. Jetzt helfen uns die Vereinigten Staaten, jetzt ertönen auch aus andern Ländern Stimmen, welche dieser Napoleon zu respectiren hat. Juarez hat uns schonen wollen, er wartet seine Zeit ab. Und bricht er einmal hervor, so ist es sicher, daß diese Zeit gekommen ist.«

»Wo befindet er sich denn?«

»In Paso del Norte, wie man sagt.«

»Sagt man nicht, daß er das Land ganz und gar verlassen hat?«

»Man sagt es, aber wir glauben nicht daran. Er verläßt uns auf keinen Fall. Ist er fort aus Paso del Norte, so befindet er sich gewiß irgendwo, wo seine Anwesenheit zu unserm Heile nothwendig ist. Kürzlich ist eine ganze Compagnie Soldaten aufgerieben worden. Ich glaube, daß da Juarez seine Hand im Spiele gehabt hat. Daß sein Vertrauter dabei gewesen ist, wissen wir genau.«

»Wer ist dieser Vertraute?«

»Ein Jäger, auf dessen Kopf ein Preis von fünftausend Franks gesetzt worden ist.«

»Ah, der schwarze Gérard.«

»Ihr kennt ihn?« fragte der Wirth erstaunt.

»Ja.«

»Genau? Habt Ihr mit ihm gesprochen? Habt Ihr ihn getroffen?«

»Ja.«

»Um Gottes willen, laßt das hier nicht wissen. Ihr wäret ohne Rettung verloren.«

»Pah, kann ein Jäger dafür, daß er hier oder da einen andern Jäger trifft?«

»Man würde glauben, daß Ihr im Einvernehmen mit ihm seid.«

»Man müßte mir dies beweisen.«

»Man würde fragen, was Ihr hier in Chihuahua zu thun habt.«

»Munition und Kleidung will ich mir kaufen. Auch ein Jäger braucht Patronen und einen Rock oder eine Hose. Seht mich an. Brauche ich das etwa nicht?«

»Ja, gar zu gut seht Ihr allerdings nicht aus. Uebrigens sind wir für einige Zeit von der größten Zahl der Franzosen befreit.«

»Wieso?«

»Es sind einige hundert Mann ausgerückt.«

»Wohin?«

»Man weiß es nicht genau. Es geschah in aller Stille, aber man vermuthet doch.«

»Wie viel sind noch hier?«

»Eine Compagnie.«

»Alle Teufel! Das sollte Juarez wissen!« rief der kleine Jäger erfreut.

»Leise, leise, Sennor! Wüßte ich, wo er sich befindet, ich liefe selbst hin, um es ihm zu sagen. Und so wie ich, giebt es hunderte von Männern hier.«


// 1770 //

»Nun, vielleicht erfährt er es auch ohne Euch.«

Diese Worte waren so nachdenklich gesprochen, daß der Wirth aufmerksam wurde. Er ergriff die Hand des Jägers, bog sich ganz zu ihm hinüber und sagte:

»Wißt Ihr, Sennor, was ich denke?«

»Was?«

»Ihr wißt genau, wo Juarez ist - -!«

»Ah!«

»Ihr seid von ihm abgeschickt.«

»Unsinn!«

»Ihr sollt in Chihuahua Erkundigungen einziehen.«

»Macht Euch keine zu horriblen Gedanken, Master; Ihr könntet daneben schießen.«

»O, ich glaube nicht, daß ich mich täusche.«

»Welche Veranlassung habt Ihr denn, dies zu denken?«

»Ihr seht mir ganz aus, wie der Mann, dem man so etwas anvertrauen kann.«

»Pah! Juarez wird ganz andere Leute haben. Ich bekümmere mich um solche Sachen nicht; ich bin vielmehr froh, wenn man mich ungeschoren läßt.«

»Und doch kennt Ihr den schwarzen Gérard.«

»Nur so, wie sich Jäger kennen lernen.«

»Es thut mir leid, daß Ihr kein Vertrauen zu mir habt. Aber fragen will ich Euch dennoch, wie lange Ihr hier in Chihuahua zu bleiben gedenkt.«

»Wahrscheinlich nur bis heute Abend.«

»Ihr bleibt nicht über Nacht bei mir?«

»Nein. Ich kaufe mir Munition und gehe dann wieder fort.«

»So scheine ich mich allerdings getäuscht zu haben. Ich hätte Euch nöthigenfalls ein verborgenes Quartier angeboten und dann dafür gesorgt, daß Ihr Alles erfahren hättet, was Ihr wissen wolltet.«

»Ich danke Euch, Master. Ich bin kein Spion. Wäre ich einer, so würde mir Euer Quartier natürlich sehr willkommen sein.«

»Hm, so kann der Mensch sich irren. Aber verzeiht, wollt Ihr nicht noch ein Glas Pulque trinken?«

»Nein. Ich bin ja noch gar nicht mit diesem ersten fertig.«

»Es war nur aus Vorsicht. Ich hätte Euch nicht bedienen können, da ich grad jetzt einmal fort zu gehen habe. Ich bin gern aufmerksam gegen meine Gäste.«

»Geht in Gottes Namen. Ich kann Euch die Versicherung geben, daß ich dieses Glas noch nicht ausgetrunken haben werde, wenn Ihr zurückkehrt, selbst wenn dies erst am jüngsten Tage geschehen sollte. Der Gebrannte scheut das Feuer.«

Der Wirth ging.

Er eilte, um so wenig wie möglich gesehen zu werden, mit raschen Schritten über die Gasse hinüber und trat in das Thor des großen Hauses. Dort erwartete ihn bereits der Hausmeister.


// 1771 //

»Geht hinauf, Sennor,« sagte dieser. »Die Zofe ist im Vorzimmer.«

Er folgte diesem Gebote und wurde von der Zofe nach einem Zimmer geführt, welches wir bereits kennen. Es war dasjenige, in welchem der schwarze Gérard seine Zusammenkunft mit der Jugendgefährtin gehabt hatte.

Die Dame war Sennorita Emilia, die schöne Verbündete von Juarez. .

»Verzeiht, daß ich Euch inkommodire, Sennor!« sagte sie zu dem Wirthe.

»O, Sennorita, Ihr wißt ja, daß ich stets zu Eurer Verfügung stehe,« antwortete er.

»Ihr habt jetzt eben einen fremden Gast erhalten?«

»Ja.«

»Ist er ein Mexikaner?«

»Nein, Sennorita. Er ist ein Jäger aus dem Norden.«

»Ah, ein Yankee?«

»Nein, sondern ein Deutscher, ein Bavario.«

»Hat er Euch seinen Namen genannt?«

»Nein. Ich habe, wie mir jetzt einfällt, ihn leider gar nicht darnach gefragt.«

»Aber gesprochen habt Ihr mit ihm?«

»Ja.«

»Was will er in Chihuahua?«

»Er will Munition kaufen, vielleicht auch Kleidungsstücke.«

»Wie lange Zeit bleibt er hier?«

»Nur bis zum Abende.«

»Dann habe ich mich jedenfalls getäuscht.«

Da zwinkerte der Wirth verständnißinnig mit den Augen und fragte:

»Sennorita, glaubtet Ihr etwa, daß er einer der Unserigen sei?«

»Ja, ich dachte es.«

»Da irrt Ihr Euch allerdings. Ich habe ihn scharf ausgeforscht, aber vergebens. Dieser Mann ist entweder sehr verschwiegen oder uns sehr gleichgiltig.«

»Dennoch will ich sicher gehen. Fragt ihn doch einmal, ob er der kleine André ist.«

»Der kleine André? Das läßt sich leicht merken. Wer ist dieser Mann?«

»Ein Bote von Juarez, den ich erwarte.«

»Ah, klein ist dieses Männchen.«

»Allerdings und auch die übrige Beschreibung, welche man mir gemacht hat, stimmt. Ich sah ihn zufälliger Weise kommen; darum schickte ich zu Euch.«

»Gut, ich werde ihn also fragen. Und dann?«

»Wenn er es ist, muß ich mit ihm sprechen.«

»Wann?«

»Baldigst. In diesem Falle schickt Ihr ihn zu mir herüber.«

»Das werde ich besorgen. Habt Ihr vielleicht noch einen Auftrag, Sennorita?«

»Jetzt nicht. Adios, Sennor!«

»Adios, Sennorita!«

Er ging. Als er unten die Gasse erreichte, bemerkte er eine bedeutende


// 1772 //

Anzahl französischer Soldaten, welche soeben im Begriff standen, sich in die einzelnen Häuser zu vertheilen. Auch auf das Seinige kam ein Unteroffizier zugeschritten. Derselbe hatte während seines Aufenthaltes in Mexiko gelernt, ein Wenig Spanisch zu radebrechen.

»Venta des Sennor Montarios?« fragte er.

»Richtig; der Wirth bin ich.«

»Einquartierung!«

»Auf wie lange?«

»Wer weiß es!«

»Wohl jetzt erst angekommen?«

»Ja.«

»Wie viel Mann?«

»Genug, um die ganze Provinz zu massacriren. Oberst Laramel kommandirt.«

Der Wirth zog die Brauen zusammen, hielt jedoch an sich.

»Den Oberst kenne ich; er soll ein sehr - tapferer Mann sein, habe ich gehört.«

»Tapfer? Ah, jeder Franzose ist sehr tapfer. Also, mein Quartier, Sennor!«

»Tretet in das Gastzimmer!«

»Habt Ihr kein separates Zimmer für mich?«

»Ihr werdet eins bekommen; bis dahin aber bitte ich, mit der großen Stube fürlieb zu nehmen.«

Der Franzose trat stolz und waffenklirrend ein. Er musterte den Raum und als er den kleinen Jäger bemerkte, warf er einen verächtlichen Blick auf ihn. Nachdem er in selbstbewußter Haltung auf einem Stuhl Platz genommen hatte, brachte der Wirth ihm ein Glas Pulque. Er kostete, spie das Gekostete sofort wieder aus und warf das Glas sammt dem noch übrigen Inhalte zu Boden, so daß es zerbrach.

»Fi donc!« rief er. »Welch ein elender Trank! Wirth, Wein!«

»Es ist keiner da, Sennor,« entschuldigte sich der Wirth.

»So holt welchen!« befahl der Franzose.

»Das kann ich thun; aber erlaubt mir vorher eine Frage, Sennor!«

»Welche? Rasch, ich habe Durst!«

»Wollt Ihr den Wein trinken als Einquartierung oder als Gast, welcher bezahlt?«

»Tausend Donner! Meint Ihr etwa, daß ich den Wein bezahlen soll?«

»Ja, das meine ich allerdings.«

»So wißt Ihr nicht, daß Ihr mich zu verpflegen habt?«

»Das weiß ich recht gut. Aber ebenso weiß ich, daß Wein nicht zu Eurer Verpflegung gehört. Ihr habt zu essen und zu trinken, was ich selbst esse und trinke.«

»Aber wenn ich Wein verlange!«

»So werdet Ihr ihn bekommen, sobald Ihr ihn bezahlt. Oder habt Ihr etwa eine Ahnung, wie theuer in Mexiko und zumal jetzt und hier in Chihuahua der Wein ist?«


// 1773 //

»Der Wein von Bordeaux oder von der Mosello ist billig.«

»Bordeaux bezahle ich hier für die Flasche fünfzehn Pesos oder fünfundsiebzig Franks. Wein von der Mosello ist gar nicht zu haben. Ihr wißt wohl gar nicht, daß selbst der Kaiser Maximiliano zuweilen vergebens nach einer Flasche Wein fragt?«

»Was geht mich Euer Maximiliano an! Ich bin ein Franzose und trinke Wein. Zeigt mir mein Zimmer und wenn ich keinen Wein bekomme, so werdet Ihr sehen!«

»Euer Zimmer ist eine Treppe hoch. Der Hausknecht ist jetzt oben. Geht hinauf und laßt es Euch zeigen. Wenn das Essen fertig ist, werde ich Euch rufen lassen. Wollt Ihr aber wirklich Wein von Bordeaux, so zahlt Ihr fünfundsiebzig Franken dafür.«

»Das wird sich finden.«

Mit diesen Worten schritt der weindurstige Vertreter der großen Nation zur Thür hinaus. Der Wirth machte eine Geste hinter ihm her und sagte:

»Der war abgeblitzt!«

»Noch nicht,« antwortete André. »Ich bin überzeugt, daß ein Nachspiel kommt.«

»Ich werde es ruhig abwarten.«

»Habt Ihr wirklich keinen Wein mehr?«

»Nur noch einige Flaschen.«

»In Eurem Keller?«

»Ja.«

»Er wird sie sich holen.«

»O, sie sind sehr gut versteckt. Ich hebe sie für das Freudenfest auf, welches wir feiern werden, wenn Juarez zurückkehrt. Aber sagt, Sennor, kennt Ihr Juarez?«

»Warum sollte ich ihn nicht kennen? Er lebt ja hier in aller Munde!«

»Ich meine, ob Ihr ihn gesehen habt.«

»Ja.«

»Alle Wetter! Wo?«

»Das weiß ich wirklich nicht mehr genau.«

»Und wann?«

»Auch das habe ich vergessen.«

»Ihr seid außerordentlich vorsichtig. Da darf ich Euch wohl auch nicht fragen, wie Euer Name lautet?«

»Warum nicht? Ich habe einen sehr ehrlichen deutschen Namen.«

»Nun, wie heißt Ihr denn?«

»Ich heiße Andreas Straubenberger.«

»An - dereas Str - rrr - - rau - - - der Teufel hole diese deutschen Namen! Kein Mensch kann sie aussprechen! Nun ich aber diesen Namen gehört habe, sehe ich, daß ich mich geirrt habe. Ist es wirklich Euer richtiger Name, Sennor?«

»Das versteht sich.«

»Ich dachte, Ihr würdet anders heißen.«


// 1774 //

»Anders? Wie denn?«

»André.«

»André? Hm, ja, so heißt man mich auch zuweilen. André und Andreas ist ganz dasselbe.«

»Sapperlot, so seid Ihr wohl gar der kleine André?«

Jetzt war die Reihe, zu erstaunen an dem kleinen Jäger.

»Donnerwetter, woher wißt Ihr, wie ich heiße?« fragte er überrascht.

»Ihr seid es also wirklich?«

»Ja.«

»So habt Ihr mir also vorhin doch die Unwahrheit gesagt!«

»Was?«

»Als ich meinte, daß Ihr ein Anhänger von Juarez seid.«

»Was fällt Euch ein! Was habe ich mit Juarez zu schaffen?«

»Leugnet es nicht! Ich weiß es ganz genau!«

»Ihr werdet mir wohl zugeben, Sennor, daß ich es am Allerbesten wissen muß!«

»Und Ihr werdet mir wohl erlauben, anzunehmen, daß Ihr die Wahrheit nur deshalb nicht eingesteht, weil Ihr glaubt, es könne Euch schaden.«

»Nun, ist dieser Grund nicht ein sehr ernster und stichhaltiger?«

»Unter gewöhnlichen Umständen, ja, hier bei mir aber nicht. Ich bin ein begeisterter Anhänger meines Vaterlandes und seines Präsidenten Juarez.«

»Das kann ein Jeder sagen!«

»Jawohl! Aber Ihr müßt dies bereits aus der Art und Weise sehen, wie ich vorhin den Franzosen behandelt habe, trotzdem derselbe mir gefährlich werden kann. Aber ich will Euch noch einen besseren Beweis geben. Habt Ihr einmal von einer Sennorita Emilia gehört?«

»Sennorita Emilia? Es giebt jedenfalls sehr viele Damen dieses Namens.«

»Aber nur eine Einzige mit solchen Eigenschaften!«

»Bezeichnet sie näher!«

»Das ist schnell geschehen. Sie ist eine Freundin des schwarzen Gérard.«

Da machte André eine Bewegung der Ueberraschung. Er hatte auf Fort Guadeloupe von dem Erlebnisse des schwarzen Jägers gehört; er war dann mit diesem bei Juarez zusammen gewesen und hatte, ehe er als Botschafter fortging, von ihm einen etwas ausführlicheren Bericht erhalten. Dabei war auch Sennorita Emilia erwähnt worden, und Juarez hatte ihm gerathen, sie zu erfragen und sich an sie zu wenden, falls er irgend einer Hilfe oder Unterstützung bedürfe.

»Was ist's mit dieser Emilia?« fragte er.

»Sagt erst, ob Ihr sie kennt!«

»Ich habe von ihr gehört.«

»Sie aber noch nicht gesehen?«

»Nein.«

»Nun gut, Ihr werdet sie sogleich zu sehen bekommen, Sennor André.«

»Ah, wo?«

»In ihrer Wohnung. Sie ließ mich vorhin zu sich rufen. Sie hat Euch kommen sehen und gab mir den Auftrag, Euch zu fragen, ob Ihr vielleicht


// 1775 //

der kleine André seid. In diesem Falle hat sie mit Euch zu sprechen. Ihr sollt zu ihr kommen.«

»Wohnt diese Dame vielleicht vis-à-vis in dem großen Hause?«

»Ja.«

»Sie stand auf dem Balkon, als ich ankam. Aber woher kennt sie mich?«

»Ich weiß es nicht. Thut mir den Gefallen und geht sogleich hinüber zu ihr.«

»Wie habe ich zu gehen?«

»Ihr werdet im Flur den Hausmeister finden, der Euch unterrichten wird.«

»Ist diese Dame fein?«

»Sehr.«

»Donnerwetter! Und ich in meiner alten Trapperuniform hier!«

»Das thut nichts, Sennor. Wenn Ihr ein Freund von Juarez seid, so werdet Ihr geehrt, selbst wenn Ihr in die allerschlimmsten Lumpen gekleidet seid.«

»Nun, so will ich gehen.«

»Wollt Ihr nicht Eure Büchse und andern Waffen hier lassen?«

»Fällt mir nicht ein. Ein Westmann trennt sich von seinen Waffen nie, grad wie der Chirurg auch nicht von seiner Clystierspritze.«

Er warf das Gewehr über die Achsel und ging.

Drüben traf er allerdings den Hausmeister, welcher ihn nach oben wies. Dort wurde er von der Zofe empfangen, welche ihn in dasselbe Zimmer brachte, in welchem vorher der Wirth gewesen war. Als er Emilia erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen. Die Schönheit macht selbst auf den rohesten Menschen einen nicht abzusprechenden Eindruck. Der gute André war ein einfacher Naturmensch. Der Eindruck Emilias war ein desto tieferer und größerer. Als sie sich erhob und nun in der ganzen Fülle ihrer Herrlichkeit vor ihm stand, rief er, sich ganz vergessend:

»Kreuzbataillon, Sennorita, Ihr seid wahrhaftig ganz verteufelt schön!«

»So? Wirklich?« fragte sie lächelnd.

Der Ausspruch dieses einfachen Menschen war ihr ein größeres Compliment als die geschnörkeltste Höflichkeit eines faden Salonhelden.

»Ja,« antwortete er. »So schön habe ich bei Gott noch kein Mädchen gesehen.«

»Das gilt mir mehr, als wenn es mir ein Graf oder General sagte. Nicht wahr, der Wirth von da drüben schickt Euch zu mir?«

»Ja.«

»So seid Ihr der kleine André?«

»Der bin ich. Aber Sennorita, woher kennt Ihr mich?«

»Das sollt Ihr sogleich hören. Habt nur zuvor die Güte, Euch niederzulassen.«

»Wenn Ihr dies befehlt, so muß ich gehorsam sein.«

Er traf Anstalt, sich auf einen an der Thür stehenden Stuhl zu setzen.

»Nein, dort nicht,« sagte sie. »Ihr sollt hier neben mir auf dem Divan sitzen.«

Er machte ein höchst verlegenes Gesicht.


// 1776 //

»Sennorita, ich?« fragte er.

»Ja.«

»Dort auf der Seide?«

»Natürlich.«

»Mit meinen alten Lederhosen?«

»Das versteht sich.«

»Nehmt es mir nicht übel; aber das paßt ja ganz und gar nicht zusammen.«

»Ihr werdet sehen, daß es ganz prächtig harmonirt.«

»Aber, von der Seide abgesehen - ich, neben Euch.«

»Was ist das weiter?«

»Da fragt Ihr noch? Ich, der Andreas Straubenberger neben Sennorita Emilia? Das wäre doch ganz dasselbe, als ob man einen Kibitz oder Wiedehopf neben einen Kolibri oder gar Paradiesvogel setzen wollte.«

»Versucht es nur einmal.«

»O, laßt mich lieber hier an der Thür. Denn dort neben Euch, da - da - da - - -«

»Nun, was da - -?«

»Da kann ich mich nicht halten, da kann ich mich nicht retten.«

»Wieso?«

»Ich glaube bei Gott, ich werde verliebt bis über die Ohren!« platzte er heraus.

Da stieß sie ihr prächtiges, metallenes Lachen aus und sagte:

»Das ist Euch ja ganz und gar nicht verboten. Es ist mir weit lieber und angenehmer, geliebt als gehaßt zu werden. Geht in Gottes Namen näher.«

»Nun, so will ich es wagen.«

Er trat langsam und zögernd näher, wischte mit den Händen über denjenigen Theil seiner alten Hosen, welcher mit der Seide in Berührung kommen sollte, und setzte sich dann so, daß er nur die Kante des Divans berührte.

»Nein, so nicht, sondern ordentlich!«

Sie faßte ihn an, zog ihn empor und drückte ihn dann tief in den weichen Sitz hinein.

»Donnerwetter!« rief er, halb emporspringend. »Hier geht man ja unter wie im Wasser. Ich glaube, auf diesem Sitze könnte man Schwimmen lernen.«

»Habt keine Angst, Sennor; ertrinken könnt Ihr nicht; was aber das Trinken anbelangt, so könnte gesorgt werden. Darf ich Euch Etwas anbieten?«

»Hm,« schmunzelte er, »etwa Pulque?«

»Wie kommt Ihr auf dieses Getränk?«

»Ich habe mein Glas voll noch drüben in der Venta stehen.«

»Es schmeckte Euch nicht?«

»O, es schmeckte, aber wie. Alaun, Süßholz, Aloe, Kupfervitriol, Salmiakgeist, Hollunderbeere und Seifenwasser würde wohl ganz ähnlich schmecken.«

Sie lachte herzlich über dieses Recept und fragte:

»Gab es denn nichts Anderes?«

»Gar nichts, als Wein; aber der war ja nicht zu bekommen.«

»Warum nicht?«


Ende der vierundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk