Lieferung 78 | Karl May |
26. April 1884 |
Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.
Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft
von
Capitain Ramon Diaz de la Escosura.
// 1849 //
»Natürlich. Fragt den Mann, der da neben mir sitzt. Der hat ihn mit gepeitscht.«
Helmers schwieg. Er mußte sich alle Gewalt anthun, um seine Gefühle zu bezwingen. Der Mann aber, welchen der Anführer gemeint hatte, sagte:
»Ja, ich habe ihn mit geschlagen.«
»Auf wessen Befehl?« fragte Mariano, der sich Helmers Wuth denken konnte.
»Auf den Befehl der Sennorita Josefa.«
»Ah! Wer ist das?«
»Die Tochter Cortejos.«
»Sie befindet sich auf der Hazienda?«
»Ja.«
»Seit wann?«
»Nur erst seit einigen Tagen.«
»Und Cortejo auch?«
»Nein. Er hat die Hazienda für einige Zeit verlassen.«
»Wohin ist er gegangen?«
Da ertönte, scheinbar aus der Ferne, der Ruf der Eule. Die beiden Jäger wußten also ihre Gefährten in der Nähe.
»Ihr fragt mich da zu viel,« meinte der Capitano zurückhaltend. »Ihr seid Fremde. Tretet bei uns ein; dann könnt Ihr fragen.«
»Da müßte man doch vorher wissen, wohin Ihr jetzt reitet.«
»Das könnte ich Euch wohl noch sagen. Wir gehen an den Rio del Norte.«
»In welcher Absicht?«
»Um einen Engländer auszupeitschen, wenn er sein Geld nicht hergiebt.«
»Ihr scheint große Freunde des Auspeitschens zu sein, Sennores!«
»Warum nicht? Die Prügel sind die beste Medizin. Dieser Arbellez zum Beispiel ist jedenfalls vollständig kurirt. Er wurde so lange geschlagen, bis man die Knochen sah.«
Da biß Helmers die Zähne zusammen und murmelte, kaum vernehmbar:
»Und dann? Was geschah dann mit ihm?«
»Er wurde in den Keller geworfen. Da liegt er noch.«
»Und Ihr wart dabei?«
»Warum nicht?«
»Ah! So fahre zur Hölle und zum Teufel, Hallunke!«
Er konnte sich nicht mehr halten. Indem er diese Worte aussprach, riß er den Revolver hervor, hielt dem Capitano den Lauf grad an die Schläfe und drückte ab. Der Schuß krachte und der Mann brach todt zusammen.
Die Andern saßen einige Augenblicke ganz erstarrt da. Das gab Helmers Zeit, noch einige Kugeln zu versenden. Auch Mariano schoß, dem Beispiele des Gefährten folgend, mehrere Male ab. Dann aber rissen die Ueberraschten auch ihre Waffen hervor und sprangen auf, um diesen unerwarteten Angriff blutig zu rächen.
Sie kamen jedoch nicht dazu, denn in diesem Augenblicke ertönte Sternau's Stimme:
// 1350 //
»Gebt Feuer auf sie!«
Es krachten rundum so viele Schüsse, daß es schien, als sei eine Kanone entladen worden. Eine zweite Salve blitzte auf, und dann gab es kein Ziel mehr - die Leute lagen alle todt am Boden. Zweihundert Schüsse und noch mehr auf fünfzig Mann aus nächster Nähe gefeuert - es war kein Wunder.
Jetzt raschelte es in dem Unterholze, und die unsichtbaren Schützen traten herbei.
»Warum schossen Sie?« fragte Sternau Helmers.
»Haben Sie nicht gehört, was der Mensch erzählte?« sagte der Gefragte.
»Nein. Ich war bei den Pferden und kam grad wieder zurück, als Ihr erster Schuß fiel. Dann gab ich mein Commando.«
»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß diese Kerls den Tod zehnfach verdient haben.«
»Weshalb?«
»Sie haben die Hazienda del Erina überfallen und meinen Schwiegervater bis auf die Knochen gepeitscht. Dann ist er in den Keller geworfen worden.«
Der Sprecher zitterte förmlich vor Grimm. Sternau erschrak sichtlich.
»Ist denn dies wahr?« fragte er schaudernd.
»Ja. Der Schurke von Anführer hat es mir erzählt.«
»So war es eine Räuberbande? Ich dachte, sie gehörten zu Cortejo.«
»Das ist ja auch der Fall. Cortejo hat die Hazienda überfallen und plündern lassen, und seine Tochter Josefa hat den Befehl ertheilt, Arbellez zu schlagen.«
»So befindet sie sich auf der Hazienda?«
»Ja.«
»Mein Gott, welch eine Nachricht. Aber darüber nachher. Jetzt vor allen Dingen müssen wir sehen, ob diese Menschen wirklich todt sind.«
Juarez wurde jetzt, am Stamme eines Baumes lehnend, sichtbar. Er sah schweigend zu, wie man die Erlegten hin und her wendete, um zu sehen, ob noch eine Spur des Lebens zu entdecken sei. Sie waren alle todt. Viele von ihnen hatten mehr als eine Kugel erhalten. Ein Einziger stöhnte auf, als er berührt wurde. Er blickte mit gläsernen Augen Den an, der ihn gefaßt hielt, und röchelte:
»O, o, das ist das Gesicht, das Gesicht des Haziendero.«
»Was sagt dieser Mann?« fragte Juarez.
»Er spricht vom Gesichte des Haziendero,« antwortete der erwähnte Mexikaner.
»Es ist Derjenige, welcher meinen Schwiegervater gepeitscht hat,« fügte Helmers hinzu, indem er dem Verwundeten einen Fußtritt versetzte.
»Ah, davon sprach bereits Bärenherz,« meinte Sternau. »Es ist Einer dabei, welcher gesagt hat, daß ihm immer das Gesicht des gepeitschten Haziendero erscheine. Dieser Mann muß es sein.«
»Er ist es,« bestätigte der Apache.
»Sucht ihn am Leben zu erhalten. Vielleicht können wir von ihm Etwas erfahren. Wie ist er verwundet?«
»Eine Kugel durch die Brust.«
// 1851 //
»Zeigt her.«
Sternau bog sich zu dem Manne nieder und öffnete ihm Jacke und Hemde. Nach einer kurzen Untersuchung meinte er:
»Leider keine Rettung.«
»Nein, keine!« röchelte der Verwundete, halb bewußtlos. »O, dieses Gesicht!«
Seine Mienen drückten ein furchtbares Entsetzen aus. Nach einigen Augenblicken öffnete er die Augen. Sein Blick fiel auf den neben ihm liegenden Capitano.
»Todt! Auch todt!« gurgelte er. »O, der Brief! Wer besorgt den Brief!«
»Welchen Brief?« fragte Sternau.
»An Cortejo,« erklang es, grad wie aus dem Munde eines Ertrinkenden.
»Wo ist Cortejo?«
»Am - - am - - am San Juano.«
»Und der Brief?«
Das Feuer beleuchtete den Sterbenden. Seine Wangen wurden fahl und fahler. Er schwieg. Er war nicht im Stande eine Antwort zu geben. Da faßte Sternau ihn fest und rief laut, ihn derb rüttelnd:
»Der Brief. Wo ist er?«
Da öffnete der Mann langsam das Auge.
»Im Stiefel,« lispelte er.
»In wessen Stiefel?«
Der Gefragte schloß das Auge wieder. Der Tod reckte seine Hand nach ihm aus. Kein Rütteln und kein Fragen half. Ein Blutstrom quoll aus seinem Munde. Schon schien er sich strecken zu wollen, aber da war es, als sei plötzlich noch einmal die volle Lebenskraft in ihn zurückgekehrt. Er richtete sich halb empor und rief mit lauter, angstvoller Stimme:
»Gott - Gott - vergieb! Ich - - habe ihnen - - ja Wasser - -Wasser und - - und Brod gegeben!«
Dann warf es ihn nieder. Er war eine Leiche.
»Was muß er gemeint haben?« fragte Mariano nach einer Pause, in welcher Alle schweigend dagestanden hatten.
»Wer weiß es. Das Geheimniß geht mit ihm zu Grabe,« meinte Helmers.
»Vielleicht nicht,« sagte Sternau. »Sein Gewissen ließ ihm das Gesicht des Gepeitschten erscheinen und als Entlastung sagte er, daß er Wasser und Brod gegeben habe. Sennor Arbellez ist in den Keller geworfen worden. Dieser Todte hat ihn vielleicht mit Lebensmitteln versehen. Er hätte vielleicht verdient, daß wir sein Leben schonten. Jetzt ist's leider zu spät.«
»Was aber war es mit dem Briefe?« fragte Juarez.
»Ein Brief an Cortejo,« antwortete Sternau. »Cortejo befindet sich am San Juanoflusse, um Sir Lindsay abzufangen. Diese Leute haben die Aufgabe gehabt, zu ihm zu stoßen und ihm einen Brief zu überbringen.«
»Von wem?«
»Jedenfalls von seiner Tochter, welche sich auf der Hazienda befindet.«
»Also in einem Stiefel befindet er sich; aber in wessen Stiefel?«
// 1852 //
»Jedenfalls müssen wir beim Capitano suchen. Er war der Anführer und also wahrscheinlich Derjenige, welchem man vermuthlich das Schreiben anvertraut hat.«
Jetzt wurden der Leiche des Genannten die Stiefel ausgezogen und wirklich in dem Schafte des einen fand sich Josefas Schreiben vor.
»Hier, Sennor,« sagte Sternau zu Juarez. »Lesen Sie.«
Juarez öffnete das Schreiben und trat an das Feuer. Nachdem er es mit den Augen überflogen hatte, meinte er:
»Sennores, ich muß Ihnen diese Zeilen vorlesen. Hören Sie.«
Er las sie mit lauter Stimme vor und sagte dann:
»Dieser Brief muß aufgehoben werden. Er enthält das schriftliche Eingeständniß schwerer Verbrechen. Alles ist uns klar, Alles. Aber was jetzt thun?«
»Wir können nichts Eiligeres thun, als nach dem Sabinaflusse aufbrechen,« antwortete Sternau. »Wir müssen vor allen Dingen wissen, ob Sir Lindsay eingetroffen ist.«
»Aber Arbellez, mein gefangener Schwiegervater,« sagte Helmers.
»Nach der Hazienda kommen wir noch. Die Sendung des Lords ist zu retten und Cortejo gefangen zu nehmen; dann haben wir gewonnen. Bis an den Sabinafluß reiten wir höchstens noch zwei Stunden. Nehmt diesen Todten die Waffen und alles Brauchbare ab. Dann aber unverzüglich weiter.«
In Zeit von einer Viertelstunde braußte die Reitertruppe wieder über die Prairie dahin, um Sternaus Rath auszuführen. -
Wie wir bereits wissen, war Sir Henry Lindsay im Hafen von El Refugio gelandet, wo der gewaltige Rio Grande del Norte sich als Grenzstrom zwischen Mexiko und Texas in den Meerbusen ergießt.
Trotz der Größe des Rio Grande und der vielen Hilfsmittel, mit denen El Refugio von der Natur aus bedacht wurde, ist diese Stadt dem Verkehr noch fernliegend geblieben. Es hat dies seinen Grund theils in den ungeordneten Zuständen jener Gegenden und theils darin, daß die Binnenlande, welche der Strom durchfließt, sich dem Handel, das heißt dem Welthandel, bisher noch verschlossen haben.
So kam es, daß in dem Hafen, als der Engländer ankam, außer einer elenden brasilianischen Barke, keine größeren Schiffe lagen.
Wie wir bereits wissen, hatte Lindsay den Inhalt seines Fahrzeuges umladen lassen, doch hatte Geierschnabel sich darüber in Fort Guadeloupe einer Ungenauigkeit schuldig gemacht. Lindsay hatte nämlich zwei kleine Schraubendampfer an Bord, welche auf wenig Tiefgang berechnet waren und dazu eine Anzahl von Booten, welche zum Flußtransporte seiner Waaren bestimmt waren.
Jetzt lagen diese Fahrzeuge ein Stück von der Mündung des Stromes aufwärts vor Anker und warteten nur auf die Rückkehr Geierschnabel's, um stromauf zu gehen, indem die Lastboote von den zwei Dampfern bugsiert werden sollten.
Jeder dieser beiden Dampfer hatte eine kleine, bequem eingerichtete Cajüte. In der einen wohnte Sir Henry und in der andern Miß Amy.
Beide warteten mit Ungeduld auf ihren Boten und gaben sich bereits der Sorge hin, daß ihm ein Unglück widerfahren sei. Sie saßen in Lindsays Cajüte zusammen und sprachen darüber. Es war Abend und bereits dunkel geworden.
// 1853 //
»Nach der Berechnung, die er mir machte, müßte er bereits da sein,« meinte Lindsay. »Ich darf keine Zeit verlieren. Wenn er nicht kommt, so lasse ich nur noch den morgenden Tag verstreichen, dann fahre ich ohne ihn.«
»Ohne Führer?« fragte Amy.
»Es sind unter den Leuten Zwei, welche den Fluß eine ziemliche Strecke aufwärts genau kennen. Uebrigens hoffe ich, Geierschnabel unterwegs zu treffen.«
»Aber wenn ihm auf dem Rückwege ein Unfall zugestoßen ist?«
»So muß ich versuchen, ohne ihn fertig zu werden.«
»Oder wenn dies auf dem Hinwege geschah und er also gar nicht nach Fort Guadeloupe und zu Juarez gekommen ist?«
»Das wäre allerdings sehr bös, denn dann würde Juarez von meiner Anwesenheit gar nichts wissen und meiner Sendung droht Gefahr. Ich kann aber unmöglich hier liegen bleiben. Wenn die Franzosen Wind bekommen, steht zu erwarten, daß sie hierhereilen, um meine Ladung zu confisciren.«
»Das soll ihnen vergehen, calculire ich!«
Diese Worte wurden am halb offen stehenden Eingang der Cajüte gesprochen und als Vater und Tochter ihre Blicke dorthin richteten, erkannten sie den so sehnlichst Erwarteten.
»Geierschnabel,« sagte der Sir sichtlich erleichtert. »Gott sei Dank!«
»Ja, Gott sei Dank!« sagte der Jäger, indem er näher trat. »Das war eine Fahrt. Sir, es ist kein Spaß, eine solche Fahrt hinauf und wieder herunter zurückzulegen. Und nun ich ankomme, finde ich Sie ewig nicht. Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie hier an dieser Stelle liegen.«
»Jetzt aber haben Sie mich doch gefunden. Nun aber sagen Sie mir auch, wie es Ihnen ergangen ist.«
»Danke, Sir, ganz erträglich gut.«
»Und Ihr Auftrag?«
»Ist ausgerichtet. Sind Sie zur Fahrt gerüstet?«
»Ja. Zwanzig Mann. Ich denke, das wird genug sein.«
»Ich auch, wenn diese Leute nämlich zuverlässig sind.«
»Ich hoffe es. Sie haben also Juarez getroffen?«
»Ja.«
»So waren Sie wirklich bis El Paso del Norte?«
»Nein. Ich versäumte in Guadeloupe einige Tage, um den schwarzen Gérard zu treffen, wurde aber reichlich befriedigt, denn Juarez kam selbst.«
»Ah! So wußte er von Ihnen und kam Ihnen entgegen?«
»Nein, Sir. Er wußte gar nichts, schätze ich. Er kam, so zu sagen, zufällig, aus eigenem Antriebe. Da oben sind nämlich verdammt eigenthümliche Dinge vorgegangen, die ich Ihnen erzählen muß, Sir.«
Seine Augen schweiften dabei suchend in der Cajüte herum. Lindsay deutete, dies bemerkend, nach einem Feldsessel und sagte:
»Setzen Sie sich, und erzählen Sie.«
»Hm! Ich bin für so lange Erzählungen nicht eingerichtet, Sir. Meine Kehle trocknet beim Reden so leichte ein und so würde, wenn Sie - - -«
// 1854 //
»Gut!« unterbrach ihn Lindsay lachend. »Ich werde sogleich für einen Tropfen sorgen, dem es eigen ist, trockne Kehlen anzufeuchten.«
Er öffnete einen Wandschrank, nahm aus demselben eine Flasche nebst einem Glase, goß das Letztere voll und sagte:
»Hier trinken Sie, Master Geierschnabel. Sie werden übrigens wohl auch Hunger empfinden?«
»Ich leugne das nicht, Sir, doch mag der Hunger warten. Das Essen pflegt mich im Sprechen zu stören. Die Worte wollen heraus und die Schlucke hinab; sie treffen unterwegs zusammen, woraus natürlich nichts Gescheidtes entstehen kann, schätze ich. Einen Tropfen Rum aber darf man auf die Zunge nehmen, ohne daß er stört.«
Damit nippte er genügsam von seinem Glase. Ein ächter, rechter Westmann ist niemals ein Trinker, wie zum Beispiel ein Matrose.
»Ich bin höchst begierig, was Sie mir erzählen werden,« sagte Lindsay.
Der Yankee nickte mit schlauem Lächeln.
»Und ich bin höchst begierig, wie Sie es aufnehmen werden,« meinte er.
»Also wirklich wichtige Dinge?«
»Ja.«
»Wichtig für unser Unternehmen?«
»Ja, aber auch wichtig in anderer Beziehung.«
Er machte dabei ein höchst geheimnißvolles und dabei schelmisches Gesicht. Da er aber sich nicht sofort weiter erklärte, fragte Lindsay:
»Welche Beziehung meinen Sie, Master?«
»Nun, ich habe einmal gehört, daß es persönliche Beziehungen geben soll.«
»Sie wollen sagen, daß mich Das, was Sie mir zu berichten haben, auch persönlich interessiren wird, auch vom jetzigen Unternehmen abgerechnet?«
»Ja, Sir; grad dieses meine ich.«
»So erzählen Sie schnell.«
»Also ich kam nach Fort Guadeloupe, zum alten Pirnero - ein prachtvoller alter Kerl, aber dennoch ein ganz bedeutender Esel, Sir.«
Er drehte sich zur Seite, spitzte den Mund und spuckte, jedenfalls in Erinnerung an seine Scenen mit Pirnero, mit einer solchen Sicherheit aus, daß der Strahl hart an Lindsay vorüber und zu dem offenen Fensterchen der Cajüte hinausflog.
Lindsay fuhr mit dem Kopfe zurück.
»Bitte, Master,« sagte er. »War es mit diesem Schusse auf mich abgesehen?«
»Keine Sorge, Sir!« antwortete der Jäger ruhig. »Ich pflege dahin zu treffen, wohin ich will; es geht kein Tropfen verloren. Sie befanden sich nicht in der geringsten Gefahr! Also ich kam nach Guadeloupe und fand den schwarzen Gérard. Ich dachte, er solle mich nach Paso del Norte bringen, aber das war gar nicht nöthig, denn Juarez war so gefällig, mir zuvorzukommen. Das hatte seine guten Gründe. Wissen Sie, daß die Balgerei bereits losgegangen ist?«
»Kein Wort.«
»Nun, Juarez beginnt, sich zu regen. Er hat die Apachen zur Seite. Diese haben in der Teufelsschlucht eine ganze Compagnie vernichtet und dann hat Juarez
// 1855 //
im Fort Guadeloupe den Feind so auf das Haupt geschlagen, daß nur ein Einziger entkommen ist, der aber auch scalpirt wurde. Nun ist der Präsident nach Chihuahua, um es zu nehmen - -«
»Ah! Hat er dazu genug Mannschaften bei sich?«
»Keine Sorge, Sir! Von Chihuahua wird er nach Cohahuila gehen, um dieses zu nehmen, und dann kommt er, um mit Ihnen zusammenzutreffen.«
»Wo?«
»Am Zusammenflusse des Rio Sabina.«
»Wann?«
»Es ist so berechnet, daß wir am Rendezvous zu gleicher Zeit ankommen, wenn Sie morgen früh aufbrechen, Sir.«
»Ich werde noch heut Abend aufbrechen, wenn die Finsterniß kein Hinderniß ist.«
»Sie hindert uns nicht. Der Strom ist breit genug, und das Wasser glänzt auch im Dunkel so, daß man es vom Lande unterscheiden kann.«
»Wird Juarez selbst kommen, oder einen Vertreter senden?«
»Er kommt selbst, calculire ich.«
»Natürlich mit hinreichender Bedeckung?«
»Das versteht sich! Es wird kein Mangel an Leuten sein, denn sobald er in Chihuahua erscheint, wird ihm Alles zuströmen.«
»Sie wissen also wirklich genau, daß er die Franzosen vernichtet hat?«
»Sehr genau, denn ich war dabei und habe mitgeholfen.«
»Führte Juarez die Seinen persönlich an?«
»Eigentlich ja, obgleich er am Kampfe nicht persönlich theilgenommen hat. Die Hauptkerls waren, wenigstens zunächst, der schwarze Gérard, welcher das Fort zu vertheidigen hatte und dann Bärenauge, der Häuptling der Apachen.«
Er hatte diesem Worte eine kräftige Betonung gegeben. Amy hob schnell das Köpfchen höher und sagte:
»Bärenauge? Welch ein ähnlicher Name!«
»Mit Bärenherz, nicht wahr?« fragte der Jäger.
»Ja, allerdings,« antwortete sie. »Haben Sie diesen Letzteren gekannt?«
»Früher nicht, aber jetzt,« antwortete er in einem ziemlich gleichgiltigen Tone.
»Sie meinen vom Hörensagen?«
»O nein, ich meine persönlich.«
»Was Sie sagen! Sie kennen einen Häuptling, Namens Bärenherz?«
»Ja.«
»Wo haben Sie ihn getroffen?«
»Eben jetzt in Fort Guadeloupe.«
»So ist das nichts als ein Zufall. Die Indianer legen sich sehr oft Thiernamen bei. Irgend Einer hat diesen berühmten Namen angenommen.«
»O nein! Ein Indianer nimmt keinen Namen an, der einem Andern gehört.«
»Auch nicht, wenn er von einem andern Stamme ist?«
»Dann erst recht nicht.«
// 1856 //
»Zu welchem Stamme gehörte der Bärenherz, welchen Sie in Guadeloupe sahen?«
»Er ist ein Apache und Bärenauge ist sein Bruder.«
»Mein Gott, Papa, ist das nicht höchst eigenthümlich?«
»Allerdings,« antwortete der Lord, in dessen Gesicht sich ein außerordentliches Interesse abzuspiegeln begann. »Master Geierschnabel, ich muß Ihnen sagen, daß jener Bärenherz seit langen Jahren verschwunden ist.«
»Das stimmt, Sir. Sein Bruder Bärenauge hat deshalb in jeder Woche einen Weißen scalpirt. Er hat ihn lange vergebens gesucht und war zur Ueberzeugung gekommen, daß der Häuptling von Weißen getödtet worden sei.«
»Aber jetzt sagen Sie ja, daß Sie Bärenherz gesehen haben!«
»Ja, allerdings, Sir.«
»Den Verschwundenen?«
»Ja, ihn selbst, keinen Andern.«
Da sprangen Beide, Vater und Tochter auf und der Erstere rief:
»Welch eine Nachricht! Master Geierschnabel, Sie wissen gar nicht, was Sie uns dadurch bringen! Haben Sie mit Bärenherz gesprochen?«
»Nur einige kurze Worte. Solche Leute sprechen nur, wenn sie müssen.«
»Erzählen Sie, erzählen Sie rasch!«
»Nun, er kam in das Fort, ehe der Kampf begann und als dann der entscheidende Augenblick da war, da sprengte er hinaus und mitten unter die Feinde hinein. Dieser Coup hat eigentlich den Ausschlag gegeben; denn als die Apachen ihren verloren geglaubten Häuptling erkannten, wurden sie unwiderstehlich.«
»So wußten sie also nichts von seiner Anwesenheit?«
»Kein Wort!«
»Aber Bärenauge, sein Bruder jedenfalls?«
»Auch kein Wort. Diese Apachen kommen nach Fort Guadeloupe, um den Feind zu schlagen; dieser wehrt sich tapfer und formirt Quarrés, welche nicht zu sprengen sind. Schon steht der Kampf. Da plötzlich kommt ein mit den Kriegsfarben der Apachen bemalter Häuptling im Galopp heran, saußt mitten in die Quarrés hinein und treibt sie auseinander. Und dieser Reiter ist Bärenherz, welchen die Seinigen seit beinahe achtzehn Jahren für todt gehalten haben.«
»O, Papa, jetzt werden wir endlich, endlich Etwas erfahren!« rief Amy, die Hände zusammenschlagend.
»Wenn es der richtige Bärenherz ist, ja,« antwortete der Lord.
Der Jäger verbarg ein schlaues Zucken seiner Lippen und sagte:
»Es ist der richtige, Sir.«
»Aber, haben Sie nicht erfahren, wo er während dieser Zeit gewesen ist?«
»Nun, wo soll er gewesen sein? Er wird sich in der Savanne oder irgendwo umhergetrieben haben. Diese Rothhäute sind ja die reinen Vagabunden.«
»O, er war keiner! Sie meinen, daß er bei dem Präsidenten bleibt?«
»Ja.«
»Und vielleicht mit nach dem Sabinaflusse kommt?«
»Ich denke es, Sir.«
»Gott sei Dank! Wir werden ihn sehen und mit ihm sprechen. Wir werden
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erfahren, was er von seinen damaligen Gefährten weiß und wie es ihm selbst ergangen ist. Haben wir nur erst eine Spur gefunden, so verfolgen wir dieselbe, so weit es nur möglich ist. Hatte er denn nicht Jemand bei sich, Master Geierschnabel?«
Der Gefragte machte das unbefangendste Gesicht von der Welt.
»O doch,« antwortete er. »Es war dabei ein Mann, ein gewisser Bernardo Mendosa.«
»Haben Sie mit diesem gesprochen?«
»Ein wenig.«
»Der Name ist mir unbekannt.«
»Er war, glaube ich, ursprünglich ein Gärtner aus Manresa.«
»Manresa in Spanien?« frug Amy schnell.
»Ja.«
»Gott! Das giebt gewiß irgend einen Zusammenhang, Papa.«
»Jedenfalls,« antwortete der Lord. »Wenigstens ist es nicht wahrscheinlich, daß Bärenherz mit einem Manresaner nur zufälliger Weise zusammentrifft. Haben Sie darüber nichts erfahren, Master?«
»Ich habe nicht darnach gefragt, selbst die Indianerin nicht, welche noch dabei war.«
»Es war eine Indianerin dabei? Wer war sie?«
»Sie war eine Tochter der Miztecas und hieß Karja.«
Da sahen ihn Beide mit großen Augen an.
»Karja? Etwa die Schwester Büffelstirns?« fragte Amy.
»Ja, Büffelstirn war ja auch mit dabei.«
Der schlaue Jäger that gar nicht, als ob er die Aufregung der Beiden bemerke.
»Haben Sie mit ihm gesprochen? Schnell, schnell!« rief das Mädchen.
»Kein Wort! Und mit der andern Lady auch nicht. Hätte ich gewußt, daß Sie sich so für diese Leute interessiren, so hätte ich mich sehr genau erkundigt.«
»Sie sprachen da auch noch von einer anderen Lady,« fiel der Lord ein. »Wer war sie?«
»Sie wurde Sennorita Emma genannt.«
»Emma? Ihr anderer Name! Haben Sie ihn nicht gehört?«
»Hm, warten Sie einmal! Ich glaube, sie heißt Emma Arbellez.«
Da flog Amy auf ihren Vater zu, warf ihm die Arme um den Hals und rief:
»Hörst Du es, Papa! O, wir werden Nachrichten erhalten!«
»Diese Sennorita Emma schien verlobt zu sein,« fuhr Geierschnabel ruhig fort. »Wenigstens gab es da einen Sennor, mit dem sie außerordentlich zärtlich that.«
»Hörten Sie vielleicht seinen Namen?«
»Ja. Er hatte einen Bruder mit, der Capitän oder Steuermann gewesen war. Sie heißen Helmers. Der andere Bruder war übrigens ein berühmter Jäger und hatte sich als solcher den Namen Donnerpfeil erworben.«
// 1858 //
Da legte der Lord dem Jäger die Hand fest auf die Schulter. Aber diese Hand zitterte, und seine Stimme zitterte auch, als er fragte:
»Waren dies Alle, Alle, welche dort beisammen waren?«
»Ich muß nachsinnen, Mylord. Ja, da fällt mir noch Einer ein, ein Kerl von einer riesigen Figur, mit einem Barte, der ihm bis zum Gürtel reichte.«
»Wie hieß er? Schnell, schnell!«
»Hm! Er war eigentlich ein Arzt, aber auch ein berühmter Jäger gewesen. Sie hatten ihn sogar den Fürsten des Felsens genannt.«
»Sternau?« fragte oder vielmehr jauchzte Amy.
»Sternau,« nickte der Jäger. »Ja, so hieß er.«
»Weiter, weiter! Gab es nicht noch Einen, nicht noch einen Einzigen?«
»Noch einen sehr alten Mann, den sie Don Ferdinando nannten. Ich glaube, der alte Pirnero sagte, daß dieser Sennor ein Graf von Rodriganda sei.«
Da konnte sich der Lord nicht mehr halten.
»Wunderbar, höchst wunderbar!« rief er, seine Tochter fest in die Arme schließend. »Was werden wir Alles erfahren, Amy!«
Sie aber wandte sich mitten in der Umarmung mit dem Gesicht zudem Jäger und fragte:
»Giebt es sonst Keinen mehr zu nennen, Keinen?«
»Noch Einen, Miß, aber der ist nun auch der Letzte.«
»Wer ist es? Wer? Um Gottes willen, reden Sie.«
»Das war ein sehr schöner, junger Mann, welcher trotz der Verschiedenheit der Jahre dem alten Grafen sehr ähnlich sah, ganz außerordentlich ähnlich.«
Die Augen Amy's öffneten sich fast unnatürlich weit. Ihr Busen wogte, und die Bleichheit fast des Todes breitete sich über ihr schönes Angesicht. Sie wollte sprechen, aber sie brachte vor Erregung kein Wort hervor.
»Wie heiß dieser junge Mann?« fragte der Lord.
»Sternau nannte sich sogar mit ihm Du. Ich glaube, er sagte »Mariano« zu ihm.«
»Ma-ri-ano!« hauchte Amy.
Ihre Arme ließen aus der Umschlingung des Vaters los. Sie glitt an ihm nieder auf die Kniee, schlang die Arme um die seinigen und brach in ein herzbrechendens, aber erlösendes Schluchzen aus. Der Lord bog sich zu ihr herab, legte ihr die Hand auf das Haupt und sagte, während auch ihm die Thränen über die Wangen rollten:
»Mein Kind, mein liebes, liebes Kind. Das ist eine große Erschütterung. Gebe Gott, daß Du sie zu überwinden vermagst!«
Geierschnabel schlich sich durch die halb geöffnete Thür hinaus. Draußen spuckte er sein Primchen über die ganze Breite des Deckes hinweg in das Wasser des Stromes, zog aus der Tasche ein anderes Stückchen Kautabak, schob es langsam in den Mund und murmelte selbstgefällig:
»Das hast Du gut gemacht, Alter, ganz ausgezeichnet gut. Ich bin doch eigentlich ein verflucht kluger Kerl! Hätte ich die Nachricht mit einem Male gebracht, so wäre diese Miß Amy in alle möglichen Ohnmachten gefallen oder gar vor Aerger über die große Freude gestorben. Diese Frauen sind aus einem ganz
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anderen Holze gegerbt als wir; aber, hole mich der Teufel, dennoch steht mir auch das Wasser in den Augen. Ei, ei, Geierschnabel, Du bist trotz Deiner riesigen Klugheit doch auch nichts weiter als eine alte Frau.«
Er schritt auf dem Deck hin und her und spuckte rechts und links in das Wasser hinab, als könne er auf diese Weise seiner Rührung den geeignetsten Ausweg verschaffen; dann schlich er sich wieder zur Cajüte, vor deren Thür er stehen blieb, um zu warten, bis man ihn rufen werde.
Drinnen ertönten halblaute Stimmen wie im Gebete; dann aber hörte er Amy fragen:
»Wo aber ist Geierschnabel?«
»Hier bin ich Mylady,« sagte er, schnell eintretend.
»Wir müssen noch einige Fragen an Sie thun. Haben Sie über die genannten Personen weiter nichts erfahren, als was Sie uns bereits mittheilten?«
Er schob das Primchen von einer Seite auf die andere, fuhr sich kratzend mit der Hand in die Haare und antwortete:
»O, Mylady, ich kann keine Ohnmacht ersehen. Ich falle sonst gar selbst mit um!«
»Ah, Sie wollten mich schonen?«
»Ja, das wird vielleicht das Richtige sein, calculire ich.«
»Sie wissen also mehr?«
»Möglich!«
Da faßte sie ihn bei der rauhen Hand und bat im dringendsten Tone:
»Sprechen Sie, sprechen Sie! Jetzt können Sie Alles, Alles sagen, denn ich bin nun vorbereitet, Alles zu hören.«
»Auch von diesem Mariano?« fragte er mit schalkhaftem Lächeln.
»Auch von ihm,« antwortete sie erröthend. »Aber warum sprechen Sie da gleich diesen Namen aus?«
»Weil Sennor Mariano das reine Pulver war, als ich sagte, daß ich ein Bote von Sir Henry Lindsay sei.«
»Was sagte er?«
»Hm, als er erfuhr, daß Miß Amy sich bei ihrem Vater befinde, da wollte er mit mir in mein Canoe, um mit mir nach EI Refugio zu gehen.«
»Warum brachten Sie ihn nicht mit?«
»Weil mein Canoe nur für einen Mann gebaut ist, und weil die Andern ihm abredeten. So werden Sie ihn erst bei Juarez sehen, aber er hat mir so viele Grüße aufgetragen, daß ich glaube, ich habe unterwegs davon einige Millionen verloren. Es bleiben aber noch so viele übrig, daß man die ganze Erde damit tapezieren könnte.«
»War er gesund? Wie sah er aus? Wie war er gekleidet?«
»Er war gesund; er sah aus wie der Erbe eines gräflichen Hauses und war ganz so gekleidet, wie es hier in Mexiko Sitte ist.«
»Haben die genannten Personen sich auch mit an dem Kampfe betheiligt?« fragte der Lord.
»Ja. Ich glaube, ohne ihre Hilfe wäre es gar nicht gelungen, der Franzosen Meister zu werden. Das weiß Juarez auch anzuerkennen.«
// 1860 //
»Gott,« sagte Amy ängstlich. »Sie gehen mit nach Chihuahua. Sie werden jedenfalls dort auch zu kämpfen haben, und in Cohahuila abermals.«
»Tragen Sie keine Sorge um diese Leute, Mylady. Sie scheinen sich freiwillig unter das Commando Sternau's begeben zu haben, und der ist ein Kerl, welcher sehr genau weiß, was er thut. Er wird sich und die Seinen keiner unnöthigen Gefahr aussetzen, davon bin ich überzeugt.«
»Aber wo haben denn nur die Verschwundenen während dieser langen Zeit gesteckt?«
»Es ist am Besten, ich erzähle Ihnen gleich Alles, was ich darüber erfahren habe. Aber, Mylord, meine Gurgel ist wieder so sehr hart und spröde, daß - -«
»Hier steht ja die Flasche,« fiel Sir Lindsay ein. »Schenken Sie sich nur ein!«
Geierschnabel that dies, nippte leise und begann dann seinen Bericht.
Es ist unnöthig, zu sagen, daß die beiden Zuhörer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf jedes seiner Worte lauschten. Ihre ganzen Sinne waren so zu sagen jetzt im Gehör vereint. Als der Jäger geendet hatte, fügte er hinzu:
»So, das ist Alles, was ich weiß. Das Ausführliche werden Sie von den Herren selbst erfahren, wenn wir den Sabina erreicht haben.«
»Also Sennorita Emma und Karja kommen auch mit nach Cohahuila?« fragte Amy.
»Jedenfalls.«
»Und nach dem Sabinaflusse?«
»Das glaube ich nicht. Aber man reitet in einem Tage hin. Sie können also diese beiden Ladys sehr leicht zu sehen bekommen.«
»Ich habe Sie noch viel, viel zu fragen -«
»O, Mylady, ich weiß nichts mehr!« versicherte er.
»Nein, Sie wissen noch Vieles. Man muß nur darnach fragen.«
»Sie können mich aufschneiden, so weiß ich nichts mehr!«
»O doch! Ihr Männer denkt nur nicht gleich an Alles. Es giebt so viele Nebenumstände, welche Ihr für überflüssig haltet, welche aber für uns Damen von der größten Wichtigkeit sind. Ihr besinnt Euch nicht darauf; wenn man Euch aber daran erinnert, so erhält man dennoch eine Antwort.«
»Es giebt gewiß und wahrhaftig nichts Weiteres, worauf ich mich besinnen könnte,« betheuerte er. »Sie können mir das glauben, calculire ich.«
»Nun, ich will es Ihnen beweisen. Was für Augen hatte jene Sennorita Resedilla, von welcher Sie erzählten?«
»Blaue.«
»Und die beiden jungen Mexikanerinnen Pepi und Zilli?«
»Schwarz, sehr schwarz.«
»Wo hatte jener kleine André, den Sie einen Deutschen nannten, seine Heimath?«
»In Rheinbayern. Und ein Bruder von ihm ist Jäger bei einem alten Hauptmann und Oberförster in Mainz.«
»Vielleicht in Rheinswalden?« fragte sie schnell.
// 1861 //
»Ja, so heißt das Ding.«
»Der Hauptmann heißt Rodenstein?«
»Ich glaube fast, daß dies der richtige Name ist.«
»Welch ein Umstand. Man sieht so recht deutlich, daß Gott der Herr die Fäden in seiner allmächtigen Hand hält. Sie aber bemerken, daß es doch noch vieles giebt, was Sie mir beantworten können.«
»Hm, es scheint so. Wer denkt auch daran, bei einer Erzählung zu sagen, von welcher Farbe die Augen eines Menschen sind.«
»Nach solchen Dingen eben werde ich mich erkundigen; sie haben für mich einen hohen Werth. Könnten wir doch nur aufbrechen! Ist dies nicht möglich?«
»Mylord fragte bereits. Es ist nicht schwer.«
»Aber Sie werden ermüdet sein?«
»Pah, ein guter Jäger kennt da keine Müdigkeit. Wenn Sie aufbrechen wollen, Mylord, so stehe ich zur Verfügung. Sind Ihre Leute beisammen?«
»Alle. Auch die Kessel sind geheizt, wie Sie wohl bemerkt haben.«
»Sie vertheilen die Frachtboote an die beiden Dampfer?«
»Natürlich.«
»So giebt es also zwei Züge. Das ist eigentlich unangenehm, geht aber nicht anders. Ich werde als Pilot auf dem vordersten Dampfer sein. Und Sie?«
»Auf demselben Dampfboote.«
»Und Mylady?«
»Ihre Cajüte befindet sich auf dem andern Dampfer.«
»Das gefällt mir nicht. Könnte nicht Mylady auf unserem Dampfer sein?«
»Warum? Es würde das die Bequemlichkeit stören.«
»Aber Myladys Sicherheit erhöhen.«
»Sie trauen also nicht?«
»Ich bin glücklich auf und ab gekommen; aber in diesem Lande und bei diesen Zeiten darf man nicht unvorsichtig sein. Wir werden daher niemals, wie man es sonst thut, des Abends am Ufer vor Anker gehen, sondern stets in der Mitte des Stromes bleiben. Sind Ihre Leute gut bewaffnet?«
»Ja, alle. Uebrigens habe ich Geschütze auf den Booten stehen. Wir haben also gar nichts zu befürchten, Master Geierschnabel.«
»Das sollte man zwar denken, doch wollen wir trotzdem nichts versäumen. Treffen Sie Ihre Vorbereitungen zur Abfahrt, ich werde nach den Uebrigen sehen.«
Er begab sich von Boot zu Boot und traf unter den für die Fahrt angeworbenen Leuten mehrere Bekannte. Auch die Andern machten den Eindruck auf ihn, daß man sich auf sie verlassen könne. Er ertheilte dem Steuermann des zweiten Dampfbootes den Befehl, sich möglichst dicht hinter dem ersten Train zu halten, und kehrte dann zu dem Lord zurück.
Nun wurden die Schlepptaue ausgegeben und die Kähne an einander gehängt. Die Bootspfeife gab das Zeichen, die Anker zu heben, und bald setzten sich die beiden Züge, einer hinter dem andern, stromaufwärts in Bewegung.
Es war zwar dunkel, aber einige Sterne leuchteten, und der eigenthümliche Glanz des Wassers bot Anhalt genug, sich zu orientiren.
Vorn am Buge stand Geierschnabel, um fleißig auszuschauen, und neben ihm
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hatte Amy Platz genommen. Sie fragte ihn nach hundert und aber hundert Kleinigkeiten, und jetzt sah der Jäger wirklich ein, daß es noch außerordentlich viel zu berichten gab, was er gar nicht für der Rede werth gehalten hatte. -
Wenn man von Rio Grande City, welche Stadt am linken Ufer des Flusses steht, stromaufwärts fährt, so trifft man am rechten Ufer bald auf den Ort Mier. Von da an aber legt der Strom eine Strecke von wohl fünfzehn deutschen Meilen zurück, ehe man nach Revilla und Bellevilla gelangt, wo der Sabinafluß in den Rio Grande fällt.
Auf dieser langen Strecke sieht man fast nur Wald an beiden Ufern stehen. Dieser Wald ist mit dichtem Buschwerk eingesäumt, aber in nur geringer Entfernung vom Flusse hört dasselbe auf, und der Hochwald erhebt seine riesigen Stämme wie gigantische Säulen dem Himmel entgegen.
Unter diesem Säulendache ist das Fortkommen selbst zu Pferde leicht während das Ufergestrüpp die Schnelligkeit außerordentlich beeinträchtigt.
Im tiefen Schatten dieses Waldes ritt eine sehr ansehnliche Reiterschaar parallel mit dem Flußufer stromaufwärts. Sie waren alle sehr gut bewaffnet, aber ihre Pferde schienen ungewöhnlich angegriffen zu sein.
Zwei ritten an der Spitze. Der Eine von ihnen war Pablo Cortejo, der lächerliche Prätendent der Präsidentschaft von Mexiko. Seine Züge waren düster; er schien sich in sehr schlechter Stimmung zu befinden. Auch jedem Einzelnen seiner Leute sah man es an, daß sie die üble Laune ihres Anführers theilten. Dieser führte mit seinem Nachbar eine halblaute Unterhaltung, bei welcher sich mancher Fluch hören ließ.
»Verdammter Einfall, zwei Dampfer vorzuhängen!« sagte Cortejo.
»Das möchte noch sein, Sennor,« meinte der Andere. »Noch verdammter aber ist der Einfall, niemals an das Ufer zu legen. Wir hatten auf eine nächtliche Ueberrumpelung gerechnet. Damit aber ist es nichts!«
»Der Teufel hole diesen Engländer. Reiten wir von San Juano mit ihm um die Wette, treiben unsere Pferde fast in den Tod, und Alles ohne Erfolg.«
»Wir können ihn nur durch List fangen, Sennor.«
»Dein Vorschlag taugt auch nichts. Der Engländer legt doch nicht an.«
»Das soll er auch nicht. Er soll nur selbst an das Ufer kommen.«
»Er wird es nicht thun.«
»Das laßt nur meine Sorge sein, Sennor.«
»Also Du wolltest das wirklich wagen?«
»Ja; aber natürlich gegen die versprochene Belohnung.«
»Die sollst Du haben. Wann kommen wir an den Ort?«
»In einer halben Stunde. Er ist ganz geeignet zu unserm Vorhaben. Ich bin einmal vorüber gekommen und habe eine Nacht dort campirt.«
»Deine Ansicht scheint mir nicht ganz unrichtig zu sein. Fangen wir den Engländer, so ist das Andere auch unser. Aber ihn nur erst haben.«
»Wir bekommen ihn, Sennor, ich bin überzeugt davon.«
Der Mann hatte die Zeit ganz richtig bestimmt. Nach Verlauf einer halben Stunde erreichten sie eine Stelle, an welcher der Fluß eine sehr scharfe
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Krümmung machte. Die dadurch entstandene, in das Wasser hineinragende Halbinsel bestand, wie man sich denken kann, aus felsigem Boden und war nur mit einem niedrigen Pflanzenwuchs besetzt. Diese Stelle bot einen freien Ausblick über die ganze Breite des Flusses, konnte aber auch von diesem Letzteren aus deutlich überblickt werden. Erst etwa fünfzig Schritte von dem Ufer begann der Wald. Was innerhalb desselben vorging, konnte man vom Flusse aus nicht sehen.
Hier im Walde machte die Truppe halt.
Unterdessen war Lord Lindsay in die Nähe dieser Stelle gelangt, ohne zu ahnen, daß auf dem rechten Ufer ihm eine so bedeutende Schaar von Männern folge, welche im Sinne hatten, ihm seine Ladung fortzunehmen.
Die Sonne stand ziemlich tief, als der vorderste Dampfer die Krümmung erreichte. Der Lord stand mit Geierschnabel neben dem Steuermanne.
»Wie weit haben wir noch bis zur Mündung des Sabina?« fragte der Erstere den Jäger.
»Wir werden sie morgen Mittag erreichen und dann in den Sabina einbiegen. Wir fahren da allerdings einen Winkel. Wer den Weg kennt und ein gutes Pferd besitzt, kann den Ort, an welchem wir erwartet werden, in der kürzesten Zeit erreichen. Aber, sehen Sie, Mylord. Steht dort links an der kahlen, offenen Bank nicht ein Mann?«
»Allerdings,« antwortete der Gefragte. »Jetzt setzt er sich wieder nieder.«
»O nein,« meinte der Steuermann. »Der war nicht niedergesetzt, sondern niedergesunken. Der Mann scheint verletzt zu sein.«
»Jetzt erhebt er sich wieder, aber nur höchst mühsam,« sagte Geierschnabel. »Er winkt. Es scheint, wir sollen ihn mitnehmen.«
»Thun wir das,« bat Amy, welche herbeigetreten war. »Wollen wir nicht ein Boot aussetzen, Papa?«
»Ich denke allerdings, daß wir dies thun sollten,« antwortete er. »Wir dürfen einem Unglücklichen, der hilflos in der Wildniß liegt, den Beistand nicht verweigern.«
»Hören wir erst. Er ruft,« sagte Geierschnabel.
Sie sahen, daß der Mann die Hände an den Mund legte.
»Juarez!«
Nur dies eine Wort rief er herüber und es schien die beabsichtigte Wirkung hervorzubringen.
»Ein Bote des Präsidenten,« sagte der Lord. »Wir müssen ihn aufnehmen. Ich selbst werde mit an das Ufer gehen, um gleich mit ihm zu sprechen.«
»Das werden Sie nicht thun, Mylord. Wir befinden uns hier im Urwald und Sie dürfen sich nicht exponiren. Es genügt, ein Boot auszusetzen und den Mann herbeizuholen. Und das werden wir jetzt sogleich thun.«
Er gab den betreffenden Befehl und bald ruderten zwei Mann dem Ufer zu. Man sah von dem kleinen Dampfer aus, welcher unterdessen beigelegt hatte, was der zweite ebenso that, daß die beiden Ruderer an das Ufer stiegen, das Boot befestigten und sich zu dem Manne begaben, welcher liegen blieb. Sie sprachen einige Zeit mit ihm, kehrten dann ohne ihn in das Boot zurück und kamen
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wieder herbei gerudert. Während der Eine im Boote blieb, kam der Andere an Bord gestiegen.
»Nun, warum bringt ihr ihn nicht mit?« fragte der Lord.
»Er ist vom Pferde gestürzt, hat sich dabei schwer verletzt. Er leidet die fürchterlichsten Schmerzen, wenn man ihn anfaßt; darum bat er uns, ihn liegen zu lassen; er sei tödtlich verletzt und werde so wie so sterben müssen. Sein Pferd ist im Walde mit ihm durchgegangen und hat ihn an einen Baum geschleudert. Als er wieder zu sich gekommen, hat er sich bis an das Ufer geschleppt.«
»Der arme Mann. Man muß ihn dennoch holen,« sagte Amy.
»Warum aber winkte er uns, wenn er unsere Hilfe von sich weist?« fragte Geierschnabel.
»Er ist ein Bote von Juarez. Er hat den Auftrag erhalten, sich am Flusse aufzustellen und Lord Lindsay zu erwarten, um ihm eine höchst wichtige Nachricht mitzutheilen,« antwortete der Mann.
»Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Juarez weiß, wo er uns zu erwarten hat. Sendet er uns wirklich einen Boten entgegen, so kann es nur sein, weil er das Rendezvous verändert hat oder Grund findet, uns vor irgend einer Gefahr zu warnen. Uebrigens warum richtet der Mann da drüben seine Botschaft nicht an Dich aus?«
»Er verlangt, Sir Lindsay selbst zu sprechen, weil die Botschaft zu wichtig sei, als daß er sie einem Andern sagen könne.«
»Das kommt mir verdächtig vor. Hast Du sein Pferd gesehen?«
»Nein. Es war ja mit ihm durchgegangen.«
»Gab es keine Fußtapfen in der Nähe?«
»Man konnte nichts sehen. Der Boden ist felsig.«
»Den nahen Waldesrand hast Du nicht beobachtet?«
»Doch; aber es war nichts Verdächtiges zu bemerken.«
»Ich werde wohl hinüberfahren müssen,« meinte der Lord.
»Papa, bleibe da,« bat Amy. »Es ahnt mir, daß Du Dich dabei in Gefahr befindest.«
»Ich muß aber doch wissen, was Juarez mir sagen läßt.«
»Der Bote wird es auch einem Andern mittheilen.«
»Nein, das thut er nicht,« bemerkte der Bootsmann. »Er hat mir ausdrücklich aufgetragen, daß er es keinem Andern sagen darf.«
»So muß man noch einmal versuchen, ob er nicht mit herüber kommt.«
»Er kommt nicht. Er behauptet, am Sterben zu liegen. Jede Bewegung und jede Berührung verursacht ihm so ungeheure Schmerzen, daß ein Transport herüber ganz und gar unmöglich ist.«
»Nun so fahre ich hinüber,« erklärte der Lord. »Ich nehme eine bewaffnete Begleitung mit, so daß ich vollständig sicher bin.«
Geierschnabel spuckte höchst ungeduldig aus.
»Wissen Sie, Mylord, wie viele Leute dort hinter den Bäumen versteckt sein können?« fragte er.
»So gehe ich gar nicht an das Land. Ich kann ja vom Boote aus mit dem Manne sprechen.«
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»Aber man kann Sie vom Walde aus mit einer Kugel tödten.«
»Um Gottes willen, Papa, bleibe da,« bat Amy.
Da stieß Geierschnabel ein kurzes, lustiges Lachen aus, hustete einige Male, spuckte in den Fluß hinab und sagte dann:
»Ah, Mylord, da kommt mir ein allerliebster Gedanke.«
»Welcher?«
»Ich selbst werde gehen.«
»Aber er wird ja Ihnen nichts sagen, da ich es bin, den er verlangt.«
»Pah! Ich werde mich für Sir Henry Lindsay ausgeben.«
Der Lord machte erst ein verwundertes Gesicht und sagte dann lachend:
»Sie scherzen, Geierschnabel.«
»O nein. Es ist mein völliger Ernst. Der Kerl wird Sie doch nicht kennen?«
»Ich glaube nicht. Aber es wird ein Wagniß für Sie sein.«
»Ein Wagniß? O nein, es ist im Gegentheil ein Spaß, ein wahres Gaudium für mich. Ich glaube, daß ich den Lord nicht übel spielen werde, calculire ich.«
Er zog dabei eine äußerst spaßhafte Miene. Amy sah seine lange Nase, seine sehnige, ausgetrocknete Gestalt, seine bloße, behaarte Brust, seine zerrissene, weit um ihn herumschlotternde Kleidung und sagte heiter:
»Ja, ich glaube auch, daß Sie ein außerordentlicher Lord sein würden.«
»Nun, an der nöthigen Gravität sollte es nicht fehlen,« antwortete er. »Wir sind von ganz gleicher Länge, Mylord. Haben Sie nicht vielleicht einen Anzug, wie man ihn in London oder New-York trägt, bei sich?«
»O, mehrere.«
»Cylinderhut?«
»Ja.«
»Handschuhe?«
»Natürlich.«
»Cravatte und Augenglas?«
»Auch.«
»Vielleicht auch einen Regenschirm?«
»Das versteht sich.«
»Nun wollen Sie mir diese Kleinigkeiten nicht vielleicht einmal borgen?«
Diese Frage rief eine schnelle und heitere Verhandlung hervor, deren Resultat war, daß Geierschnabel als Lord Lindsay an das Land gehen solle.
Er begab sich mit dem Engländer nach dessen Cajüte und erschien in kurzer Zeit wieder auf dem Verdecke, mit den erwähnten Kleidungsstücken angethan.
Amy machte Miene in ein lautes Lachen auszubrechen, er aber gab ihr einen schnellen Wink und sagte im warnenden Tone:
»Still, Mylady! Das Lachen einer Dame dringt sehr weit. Man könnte es drüben am Ufer hören.«
»Aber man kann da doch nicht ernsthaft bleiben,« sagte sie, indem es ihr nur mit Mühe gelang, ihre Heiterkeit zu unterdrücken.
»Haben Sie keine Sorge. Die da drüben sollen sicherlich nicht über mich lachen.«
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»Aber Sie sind unbewaffnet,« warnte Lindsay.
»Ich werde mein Messer und zwei Revolver zu mir stecken; das genügt.«
Er begab sich mit langem, wuchtigen Schritten nach der Stelle, welche er für sich reservirt hatte und steckte die genannten Waffen in die Taschen.
Er bildete allerdings hier im Urwalde eine höchst seltsame Figur. Ein Anzug von grauem Tuche, Gamaschen, Lackschuhe, grauer Cylinderhut, gelbe Handschuhe, Regenschirm und ein Zwicker auf der langen, ungeheuren Habichtsnase gaben ihm ein Aussehen, welches selbst in einer großen, belebten Stadt, um wie viel mehr aber hier im höchsten Grade auffallen mußte.
Als er wieder zurückgekehrt war, meinte er:
»Es sind jetzt zwei Fälle möglich. Entweder der Kerl da drüben ist wirklich ein Bote von Juarez, oder die ganze Geschichte ist eine Falle, welche sich über Sie zuklappen soll.«
»Ich hoffe das Erstere,« meinte der Lord.
»Und ich vermuthe das Zweite,« behauptete der Jäger. »Haben Sie recht, so bin ich bald wieder hier. Bestätigt sich aber meine Ahnung, so weiß ich allerdings noch nicht genau, wie das Alles enden wird.«
»Was hätten wir in diesem Falle zu thun, Master Geierschnabel?«
»Sie hätten hier vor Anker liegen zu bleiben, bis ich wiederkomme.«
»Und wenn Sie nicht wiederkommen?«
»So warten Sie bis übermorgen früh und dampfen vorsichtig weiter. Sie werden Juarez auf alle Fälle finden. Aber ich bitte Sie, strenge Wache zu halten. Nimmt man mich da drüben fest, so hat man die Absicht, sich Ihrer Ladung zu bemächtigen; man wird Sie also während der Nacht zu überfallen versuchen.«
»Wir werden nicht schlafen, sondern wachen.«
»Laden Sie Ihre Geschütze mit Kartätschen, und zwar sofort, aber so, daß man es drüben nicht bemerkt. Die Geschütze sind übrigens mit Wachsleinewand zugedeckt. Man wird also gar nicht merken, was vorgeht.«
»Aber Sie? Ich befürchte sehr Schlimmes für Sie!«
»Haben Sie ja keine Sorge. Mich hält man nicht fest. Selbst wenn man mich gefangen nehmen will, werde ich entkommen. Ich eile dann zu Juarez.«
»Aber wie wollen Sie zu diesem gelangen?«
Der Gefragte schoß einen Strahl von Tabaksbrühe über Bord und antwortete:
»Zu Pferde natürlich.«
»Aber Sie haben ja kein Pferd.«
»Ich nicht, aber die da drüben. Uebrigens kenne ich die Ecke, welche zwischen hier und dem Sabinaflusse liegt, sehr genau. Es ist jetzt noch leidlich licht. Ehe es Nacht wird, erreiche ich die Prairie und bin, wenn das Pferd nur leidlich ist, mit Tagesanbruch bei Juarez. Dieser wird dann jedenfalls sofort aufbrechen, um diese Kerls beim Schopfe zu nehmen.«
»Aber wie soll ich wissen, ob man Sie feindlich behandelt und ob Sie entkommen sind?«
»Die feindliche Behandlung werden Sie mit den Augen sehen, das Entkommen aber mit den Ohren hören. Sitze ich einmal auf dem Pferde, so werde
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ich ganz sicher nicht eingeholt. Ist Ihnen der Schrei des mexikanischen Geiers bekannt?«
»Ja, sehr gut.«
»Nun, wenn ich einen solchen Schrei ausstoße, so bin ich frei; beim zweiten sitze ich zu Pferde, und beim dritten bin ich in der festen Ueberzeugung, daß ich entkommen werde. Hören Sie dann aus der Ferne noch einen vierten Schrei, so ist dies ein sicheres Zeichen, daß ich mich zu Juarez unterwegs befinde.«
»Wir werden scharf aufpassen, Master.«
»Gut. Also kann das Abenteuer beginnen.«
Er griff in die Tasche seiner funkelnagelneuen Stoffhosen, zog eine riesige Rolle Kautabak hervor und biß sich ein gehöriges Stück herunter.
»Aber, Sir, ein Lord kaut gewöhnlich nicht,« lachte Amy.
»Pah! Ein Lord kaut auch,« antwortete er. »Warum sollte sich grad ein Lord den feinsten Lebensgenuß versagen? Alle Lords kauen, aber sie lassen es vielleicht den Damen nicht merken.«
Er nahm den Regenschirm unter den Arm und sprang in das Boot.
»Viel Vorsicht!« warnte ihn der Lord noch.
»Sie ebenso, Mylord!« antwortete er; dann gab er den beiden Männern, welche noch wartend im Boote saßen, das Zeichen, die Ruder einzulegen.
Das kleine Fahrzeug glitt schnell durch die Fluth und erreichte in kurzer Zeit das Ufer.
Der scheinbar verunglückte Mexikaner hatte diesen Augenblick mit größter Ungeduld erwartet. Seine Augen funkelten mordlustig und er murmelte:
»Ah, endlich. Aber diese Engländer sind doch verflucht alberne Kerls. Sogar hier im Urwalde können sie ihre Mucken nicht lassen; der Spleen bringt sie noch Alle um den Verstand. Teufel! Hat der Kerl eine lange Nase!«
Geierschnabel stieg an das Ufer und kam, während seine beiden Ruderer im Boote zurückblieben, langsam auf den an der Erde Liegenden zugeschritten. Er hatte den Bootsleuten befohlen, sofort zu fliehen, wenn sich etwas Feindseliges zeigen sollte. Er verzichtete also in diesem Falle von vornherein darauf, sich auf das Boot und mit demselben zu retten.
Der Kranke that, als ob er sich nur mit Mühe auf den Ellbogen erheben könne.
»O, Sennor, welche Schmerzen habe ich zu leiden!« stöhnte er.
Geierschnabel ließ den Klemmer bis vor auf die Nasenspitze rutschen, betrachtete sich den Mann mit einem sehr schiefen Blicke, stieß ihn mit dem Ende seines Regenschirmes leise an und sagte im schnarrenden Tone:
»Schmerzen! Woe! Thut weh?«
»Natürlich!«
»Ah! Miserabel! Sehr miserabel! Wie heißt?«
»Ich?«
»Yes.«
»Frederico.«
»Was bist?«
»Vaquero.«
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»Bote von Juarez?«
»Ja.«
»Welche Botschaft?«
Der Mexikaner zog ein Gesicht und stöhnte, als ob er die fürchterlichsten Qualen zu ertragen habe. Dies gab Geierschnabel Zeit, die Umgebung zu mustern.
Es gab keine auffälligen Spuren in der Nähe, und auch am Rande des Waldes war nichts Verdächtiges zu bemerken. Endlich antwortete der Mann:
»Sind Sie denn auch Lord Lindsay?«
»Ich bin Lindsay.«
»Wirklich?«
»Wirklich! Was hast Du zu sagen?«
»Juarez ist bereits unterwegs. Er läßt Sie bitten, an dieser Stelle anzulegen und ihn hier zu erwarten.«
»Ah! Wonderful! Wo ist er?«
»Er kommt den Fluß herab.«
»Wo aufgebrochen?«
»In El Paso del Norte.«
»Wann?«
»Vor zwei Wochen. In kürzerer Zeit kann die Fahrt nicht gemacht werden.«
»Schön! Gut! Werde aber doch weiterfahren. Kommt Juarez auf dem Flusse herab, werde ich ihn treffen. Gute Nacht.«
Er drehte sich gravitätisch um und that, als wolle er sich wieder an das Ufer zurückbegeben. Da aber schnellte der Mann plötzlich empor und umschlang ihn von hinten.
»Bleiben Sie, Mylord, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!« rief er.
Geierschnabel hätte wohl Kraft und Gewandtheit genug besessen, sich dieses Menschen zu erwehren; aber er zog ein anderes Verhalten vor. Er blieb ganz steif stehen, als ob der Schreck ihn gelähmt hätte und rief:
»Zounds! Zum Henker, was ist das?«
»Sie sind mein Gefangener!« antwortete der Mann.
Der Engländer sperrte den Mund eine Weile auf und fragte dann:
»Ah! Täuschung! Nicht krank?«
»Nein,« lachte der Mexikaner.
»Nicht mit dem Pferde gestürzt?«
»Nein.«
»Spitzbube! Warum?«
»Um Sie zu fangen, Mylord!«
Er warf dabei einen höchst verächtlichen Blick auf den Engländer, der so verblüfft und feig war, gar nicht an Gegenwehr zu denken.
»Warum fangen?« fragte Geierschnabel.
»Ihrer schönen Ladung wegen, die sich dort in den Booten befindet.«
»Meine Leute werden mich befreien!«
»O, glauben Sie das nicht. Dort sehen Sie, daß Ihre beiden Ruderer bereits die Flucht ergreifen. Und da, blicken Sie sich um.«
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Die Bootsleute hatten sich, wie ihnen ja geheißen worden war, sofort zurückgezogen, als sie bemerkten, daß Geierschnabel sich freiwillig überrumpeln ließ. Und als dieser sich jetzt umdrehte, sah er eine große Schaar Reiter aus dem Walde hervorbrechen. In zwei Secunden war er von ihnen umzingelt.
Er machte ein höchst erstauntes Gesicht und nestelte in höchster Verlegenheit an seinem Regenschirme herum. Die Reiter sprangen alle von den Pferden. Cortejo näherte sich dem Gefangenen, machte aber, als er das Gesicht desselben erblickte, ein höchst enttäuschtes Gesicht.
»Wer sind Sie?« fragte er den Engländer barsch.
»O, wer sind Sie?« fragte dieser in einer sehr steifen Haltung.
»Ich frage, wer Sie sind!« gebot Cortejo streng.
»Und ich, wer sind Sie!« antwortete Geierschnabel. »Ich bin Englishman, hochfeine Bildung, exquisite Familie; antworte erst nach Ihnen.«
»Nun gut. Mein Name ist Cortejo.«
Der Engländer machte ein höchst verwundertes Gesicht, was aber bei ihm keine Verstellung war, und fragte:
»Cortejo? Ah, Pablo Cortejo?«
»So heiße ich,« sagte der Gefragte in stolzem Tone.
»Thunderstorm! Das ist einzig!«
Auch dieser Ausruf kam aus einem sehr aufrichtigen Herzen. Er war auf das Höchste überrascht, Cortejo hier zu sehen, und freute sich zu gleicher Zeit darüber. Denn er sagte sich, welche Genugthuung Juarez empfinden werde, diesen Mann in seine Hände zu bekommen.
»Einzig, nicht wahr?« lachte Cortejo. »Das habt Ihr nicht erwartet. Aber nun sagt mir auch, wer Ihr seid, Sennor.«
»Ich heiße Lindsay,« antwortete der Gefragte.
»Lindsay? Ah, das ist eine Lüge.«
»Wer wagt das zu sagen?«
»Ich. Ich kenne Lord Henry Lindsay sehr gut. Ihr seid es nicht.«
Geierschnabel erschrak, doch faßte er sich sehr schnell. Einen Mann wie ihn konnte so Etwas nicht aus der Fassung bringen. Er spitzte den Mund, spritzte einen langen, dünnen Strahl von Tabakssaft hart an der Nase Cortejos vorbei und antwortete kaltblütig:
»Nein; das bin ich nicht.«
Cortejo war mit dem Kopfe zurückgefahren. Er sagte in zornigem Tone:
»Nehmt Euch in Acht, wenn Ihr ausspuckt, Sennor!«
»Thue es auch. Treffe nur, wen ich will,« antwortete der Andere ruhig.
»Nun, so hoffe ich, daß nicht ich es bin, den Ihr treffen wollt.«
»Kann sich dennoch machen.«
»Das will ich mir sehr verbitten. Also Ihr seid Lord Henry Lindsay nicht?«
»Nein.«
»Aber warum gabt Ihr Euch für Lindsay aus?«
»Weil ich es bin.«
Er brachte mit seiner Ruhe Cortejo doch einigermaßen aus der Fassung. Er rief:
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»Zum Teufel, wie habe ich das zu verstehen? Ihr seid es nicht und seid es doch!«
Geierschnabel fragte, ohne eine Miene zu verziehen:
»Einmal in Altengland gewesen?«
»Nein.«
»Ah, dann kein Wunder, daß nicht wissen. Lord nur ältester Sohn; spätere Söhne nicht Lord.«
»So sind Sie der spätere Sohn eines Lindsay?«
»Yes!«
»Wie ist Ihr Vorname?«
»Sir David Lindsay.«
»Hm! Ist es so! Aber Sie sehen Ihrem Bruder ganz und gar nicht ähnlich.«
Geierschnabel spuckte hart am Gesichte des Sprechers vorüber und antwortete:
»Nonsense, Unsinn!«
»Wollen Sie dies leugnen?«
»Yes!« nickte er.
»Sie leugnen, Ihrem Bruder nicht ähnlich zu sehen?«
»Leugne dies allerdings sehr!«
»In wiefern? Warum?«
»Pah! Haben Unrecht! Nicht ich bin Bruder unähnlich, sondern er sieht nicht wie ich!«
Cortejo fand zunächst zu dieser Art von Auffassung gar keine Antwort. Er wäre am Allerliebsten mit einer Grobheit herausgeplatzt, aber die Sicherheit und Furchtlosigkeit des Engländers imponirte ihm. Er sagte daher nach einer kurzen Pause:
»Aber ich erwarte doch Ihren Bruder.«
»Lord Henry?«
»Ja.«
»Warum ihn erwarten?«
»Ich erfuhr, daß er es sei, welcher die Ladung begleiten werde.«
»Irrung. Ich bin es!«
»Miß Amy sollte bei ihm sein.«
»War bei ihm.«
»Wer ist die Dame, welche man von hier aus auf dem Verdecke sieht?«
»Eben Miß Amy.«
»Aber wo ist dann ihr Vater?«
»Bereits bei Juarez.«
»Ah! Also ist er bereits voran! Wo befindet sich Juarez?«
»Weiß nur, daß er in El Paso del Norte ist.«
»Und wie weit soll Ihre Ladung gehen?«
»Bis Fort Guadeloupe.«
Da ging ein höhnisches, siegesgewisses Lächeln über das Gesicht Cortejos.
»So weit wird sie allerdings wohl nicht kommen.«
»Wie weit sonst?«
// 1871 //
»Sie werden sie nur bis hierher bringen. Sie werden sie hier landen und mir Alles übergeben.«
Der Engländer warf einen Blick im Kreise herum. Dieser Blick schien außerordentlich gleichgiltig, fast geistesabwesend zu sein, und dennoch besaß er eine verborgene Schärfe, mit welcher der schlaue Jäger sämmtliche Pferde musterte. In diesem Augenblicke wußte er bereits, welches dieser Thiere er sich bemächtigen werde.
»Ihnen übergeben?« fragte er dann. »Warum Ihnen?«
»Weil ich Alles sehr nothwendig brauche, was Sie bei sich führen.«
»Ah, sehr nothwendig? Kann aber leider nichts verkaufen. Gar nichts!«
»O, Sennor, um das Verkaufen handelt es sich gar nicht. Ich werde vielmehr die ganze Ladung mit sammt den Dampfern und Booten geschenkt erhalten.«
»Geschenkt? Ich verschenke nichts.«
»O doch, denn ich werde Sie dazu zwingen!«
»Zwingen?« fragte der Engländer mit der gleichmüthigsten Miene.
Dabei zuckte er die Achseln, spitzte den Mund und spritzte einen gewaltigen Strahl von Tabaksbrühe so kunstgerecht aus, daß dieser Saft den oberen Theil von Cortejos Hut traf und dann von der breiten Krämpe desselben herabtropfte.
»Donnerwetter!« rief der Getroffene. »Was fällt Euch ein! Wißt Ihr, was das für eine Beleidigung ist?«
»Geht weg!« sagte Geierschnabel ruhig. »Bin Englishman. Gentleman kann spucken, wohin will. Wer nicht will getroffen sein, kann ausweichen.«
»Ah! Diese Mode werden wir Ihnen abgewöhnen! Ihr habt jetzt zu erklären, daß Ihr die Ladung mir übergeben wollt!«
»Thue es nicht!«
»Ich zwinge Euch! Ihr seid mein Gefangener!«
»Pchtsichchchchchch!« fuhr ihm ein neuer Strahl gerade an der Nase vorüber. Geierschnabel nestelte abermals an seinem Regenschirm herum und sagte:
»Gefangen? Weiß gar nichts davon!«
»So sage ich es Euch hiermit!«
»Ah! Interessant! Sehr interessant! Habe längst einmal gefangen sein wollen!«
»Nun, dann ist Ihr Wunsch ja in Erfüllung gegangen. Sie haben jetzt Ihren Leuten zu befehlen, daß sie nicht weiter fahren!«
»Gut! Werde es thun!«
Er sagte dies in einem Tone, als sei er ganz und gar mit dem Mexikaner einverstanden. Er nahm den Regenschirm unter den Arm, legte die beiden Hände an den Mund und rief so laut, daß man es sehr deutlich auf dem Dampfer verstehen konnte, über das Wasser hinüber:
»Hier halten bleiben! Pablo Cortejo ist es!«
Der Genannte faßte ihm am Arme und riß ihn zurück.
»Alle Teufel! Was fällt Ihnen ein! Wozu brauchen diese Leute denn zu wissen, wer ich bin?«
»Warum haben Sie es mir denn gesagt?« fragte der Engländer höchst gleichmüthig.
// 1872 //
»Doch nicht, damit Sie es weiterbrüllen! Uebrigens meinte ich nicht blos, daß die Boote hier halten sollen. Ich meine vielmehr, sie sollen hier anlegen.«
»Wozu?«
»Um ausgeladen zu werden.«
Der Engländer schüttelte langsam den Kopf und sagte im treuherzigsten Tone:
»Das werden sie nicht thun.«
»Warum nicht?«
»Ich verbiete es ihnen.«
»Das werden wir Ihnen zu wehren wissen! Wie viele Leute haben Sie bei sich?«
»Weiß nicht!«
»Das werden Sie doch wissen!«
»Vergesse zuweilen Etwas. Fällt mir später wieder ein!«
»Nun, wir werden es ja leicht erfahren. Jetzt befehlen Sie, daß die Dampfer anlegen.«
»Fällt mir nicht ein!«
Da legte Cortejo ihm die Hand auf die Schulter und sagte in drohendem Tone:
»Sennor Lindsay, die Boote müssen am Ufer liegen, noch bevor es dunkel wird. Wenn Sie den betreffenden Befehl nicht sofort ertheilen, werde ich Sie zu zwingen wissen!«
»Zwingen? Ah! Womit?«
Er hatte den Regenschirm noch immer unter dem Arme und steckte jetzt die beiden Hände gleichmüthig in die Hosentaschen. Es sah aus, als ob er ganz und gar keinen Begriff von der Gefährlichkeit seiner Lage habe, so unbefangen war seine Miene.
»Mit Hieben!« antwortete Cortejo.
»Hiebe? Was heißt das?«
»Ich lasse Ihnen fünfzig Hiebe aufzählen!«
»Fünfzig? Nur?«
»Sennor, Sie sind verrückt!«
»Well! Sie aber auch!«
»Wenn Ihnen fünfzig zu wenig sind, so lasse ich Sie, um Ihnen einen Gefallen zu thun, so lange prügeln, bis Sie den betreffenden Befehl geben.«
Geierschnabel zog beide Achseln empor und machte ein ganz und gar unbeschreiblich verächtliches Gesicht.
»Prügeln? Mich, einen Englishman?« fragte er.
»Ja. Sie mögen tausendmal ein Englishman und zehnmal der Sohn und Bruder eines Lord sein; ich werde Sie dennoch peitschen lassen, wenn Sie nicht sofort gehorchen!«
»Versuchen Sie es!«
»Absteigen!« commandirte der Mexikaner.
Er sah nicht, was für ein Blick jetzt aus dem Auge des vermeintlichen Engländers zu einer prachtvollen Rothschimmelstute hinüberglitt, deren Reiter eben aus
Ende der achtundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.