Lieferung 86

Karl May

24. Mai 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 2041 //

»Sind die beiden Männer noch vorhanden?«

»Ja. Wollt Ihr mit ihnen reden?«

»Ich muß mit ihnen sprechen und zwar sofort.«

»Ich selbst werde sie Euch holen.«

Er entfernte sich. Die Drei blickten einander besorgt an.

»Hier ist etwas Schlimmes vorgegangen,« sagte Mariano. »Nur unsere vier Freunde befinden sich auf der Verfolgung. Wie leicht kann ihnen etwas Schlimmes geschehen.«

»Mein Bruder ist dabei,« meinte der Steuermann. »Es ist meine Pflicht, ihm nachzufolgen. Ich kann ihn nicht verlassen.«

»Und ich bin Sternau so unendlichen Dank schuldig, daß ich mein Leben für ihn geben würde,« fügte Mariano hinzu. »Was sagt denn Ihr zu dieser Angelegenheit, Sennor André?«

Der kleine Mann zuckte die Achseln und antwortete:

»Jetzt noch gar nichts. Man muß erst die beiden Miztecas hören.«

Diese kamen bald herbei und thaten ihre Aussage. Nach ihrer Ansicht hatte Sternau die Richtung nach Santa Jaga eingeschlagen.

»Könnt Ihr den Ort wiederfinden, an welchem Ihr Euch von ihm getrennt habt?«

»Ja.«

»Gut, so soll uns einer von Euch dorthin führen, aber sofort. Er kann dann zurückkehren.«

So waren die Drei also entschlossen, ihren vier Freunden nachzureiten. Da ihre Pferde ermüdet waren, tauschten sie dieselben gegen frische um und brachen dann unverweilt auf.

Der Ritt zum Rendezvous

Ihr Führer brachte sie genau an den Ort, wo Sternau mit Sennorita Emilia zusammengetroffen war und deutete ihnen dann die Richtung an, in welcher Santa Jaga zu finden sei.

Sie kamen dort kurz vor der Abenddämmerung an und blieben vor dem Städtchen halten, um es sich zu betrachten und einen Plan zu bilden. Sie beschlossen, sich zu theilen, um in kürzester Zeit ihre Erkundigungen einzuziehen und sich dann am Klosterberge zu treffen.

Mariano ritt vor eine Venta, stieg vom Pferde und trat ein, um sich ein Glas Pulque geben zu lassen. Der Wirth schien ein sehr gesprächiger Mann zu sein. Außer ihm war nur noch ein Mensch vorhanden, welcher die Kleidung eines Arbeiters oder Dienstboten trug und faul auf einer der Bänke lag.

»Habt Ihr in letzter Zeit viel Gäste gehabt?« fragte Mariano.

»Sehr viele, Sennor,« antwortete der Wirth.

»Fremde?«

»Ja. Es waren ja Franzosen hier.«

»Ach so! Gab es außerdem noch fremde Gäste hier im Hause?«

»Einige.«

»Besinnt Euch einmal, ob Diejenigen, welche ich suche, dabei waren!«

»Beschreibt sie mir einmal, Sennor!«


// 2042 //

»Es waren zwei Indianerhäuptlinge und zwei Weiße. Der Eine der Letzteren war ein sehr großer und starker Mann.«

»Mit einem Barte, welcher bis über den Gürtel herabging?« fragte da der Mann, welcher auf der Bank lag.

»Ja,« antwortete Mariano rasch. »Habt Ihr diese Vier gesehen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Eine halbe Tagereise im Norden von hier.«

»Hört, ich gebe Euch einen Peso, einen ganzen Silberdollar, wenn Ihr mir das genau beschreiben könnt!«

Da fuhr der Mann wie der Blitz von der Bank empor und zu Mariano hin. Ein Silberdollar war ihm eine bedeutende Summe.

»Sennor, ist das wahr?« fragte er.

»Ja, ich halte mein Wort.«

»Nun, so werde ich es Euch erzählen, obgleich die Sennorita gesagt hat, daß wir nicht davon sprechen sollten.«

»Welche Sennorita?«

»Sie wurde Sennorita Emilia genannt und kam mit den Franzosen aus Chihuahua.«

Jetzt wurde Mariano Einiges, wenn auch nicht Alles klar.

»Was solltet Ihr nicht erzählen?« fragte er.

»Nun, sie kam zu meinem Herrn und verlangte ein Pferd und zwei Begleiter nach der Hazienda del Erina. Ich war einer von diesen Begleitern. Eine halbe Tagereise von hier trafen wir auf die vier Männer, welche Ihr sucht, Sennor. Es waren noch Indianer bei ihnen. Sie stiegen ab und der Große unter ihnen sprach lange Zeit mit der Sennorita. Sie gab ihm Papiere, mit welchen zwei Indianer davonritten. Dann kaufte sie uns ein Pferd ab und wurde von den andern Indianern begleitet.«

»Wohin?«

»Ich denke, nach Mexiko.«

»Was aber thaten denn die vier Männer?«

»Sie ritten nach Santa Jaga, welches sie vor uns erreichten.«

»Wie könnte man wohl erfahren, wo sie da abgestiegen sind?«

»Sie sind nicht in der Stadt gewesen.«

»Wißt Ihr das genau?«

»Ja. Die ganze Sache interessirte mich, so daß ich mich erkundigte. Die Sennores sind vor keiner Venta abgestiegen.«

»So sind sie vielleicht durch die Stadt und dann weiter geritten.«

»Das ist möglich. Aber sie können auch droben im Kloster gewesen sein, denn dort hat ja Sennorita Emilia gewohnt.«

»Ah! Bei wem?«

»Bei Pater Hilario.«

»Kann man mit ihm sprechen?«

»Ja. Ihr dürft nur droben nach dem Pater Hilario fragen.«


// 2043 //

»Ich danke Euch! Aber noch Eins! Sind vielleicht am Tage vorher Fremde hier angekommen?«

»Ja,« antwortete der Wirth. »Drüben in der andern Venta stiegen einige fremde Mexikaner ab. Bei ihnen war Einer, den man für einen amerikanischen Jäger halten kann.«

»Wie nennt er sich?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kann man mit diesen Leuten sprechen?«

»Sie sind selten anzutreffen, weil sie zu viel herumstreifen.«

»Das mag genügen, hier ist der Silberdollar!«

Der Knecht griff gierig zu und Mariano ritt, nachdem er seine Zeche bezahlt hatte, davon, aus der Stadt hinaus und dem Klosterberge zu, um seine Kameraden dort zu erwarten.

Helmers befand sich bereits dort, und als nachher André kam, erzählte er, was er gehört hatte. Infolge dessen beschlossen sie, nach dem Kloster zu reiten. Droben am Thore desselben angekommen, stieg nur Mariano vom Pferde; die beiden anderen sollten ihn erwarten.

Er klopfte nach herkömmlicher Sitte an, und obgleich es bereits dunkel geworden war, wurde ihm geöffnet. Er fragte nach dem Pater Hilarius, und man wies ihn nach der Wohnung desselben. Er fand die betreffende Thür und klopfte an.

»Herein!« rief die Stimme des Paters.

Mariano trat ein. Das Licht der Lampe fiel voll auf ihn. Der Pater erhob sich von dem Stuhle, auf welchem er gesessen hatte und drehte sich nach dem Eingetretenen um. Augenblicklich schlug er in höchster Verwunderung die Hände zusammen und rief:

»Don Ferdinando!«

»Ihr irrt, Sennor,« meinte Mariano. »Ich heiße nicht Ferdinando.«

Diese Worte brachten den Pater zu sich.

»Ach ja! Es ist ja auch unmöglich!« sagte er. »Ihr habt nämlich eine ungemeine Aehnlichkeit mit einem Manne, den ich früher kannte; aber das ist so lange Jahre her, daß Ihr dieser Mann unmöglich sein könnt.«

»Darf ich seinen Namen wissen?«

»Graf Ferdinando de Rodriganda.«

»Ah, dieser Name ist mir bekannt. Aber Graf Ferdinando ist so alt, daß ich unmöglich mit ihm verwechselt werden kann.«

»Kennt Ihr ihn vielleicht?«

Bei dieser Frage war das Auge des Paters stechend auf Mariano gerichtet.

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»So lebt er noch?«

»Er lebt noch.«

»Darf ich fragen, wo?«

»Gegenwärtig im Norden von Mexiko.«

»Ich danke! Vielleicht kann ich bei dieser Gelegenheit auch erfahren, wer Ihr seid?«


// 2044 //

»Ich bin ein spanischer Jäger und nenne mich Mariano.«

Bei der Nennung dieses Namens ging ein schnelles Zucken über das Gesicht des Paters. Cortejo hatte ja von diesem Mariano gesprochen und dabei gesagt, daß er der echte Graf Rodriganda sei. Hilario trug ein intensives Rachegefühl gegen die Familie Rodriganda im Herzen. Wie mußte es ihn freuen, den einzigen Sprossen derselben jetzt in seine Hand gegeben zu sehen. Doch war er vorsichtig genug, sich erst die volle Ueberzeugung zu verschaffen, ob er auch den richtigen Mariano vor sich habe. Die Verhältnisse desselben waren ihm aus seinem Gespräche mit Cortejo bekannt. Darum fragte er:

»Ein Jäger seid Ihr, Sennor? Was habt Ihr denn gejagt?«

»Alles, was mir in den Weg gekommen ist.«

»Und wo habt Ihr gejagt?«

»In der Heimath und hier, aber erst seit kurzer Zeit.«

»So seid Ihr wohl noch gar nicht lange in Mexiko?«

»Nein.«

»Darf man wissen, wo Ihr vorher gewesen seid? Wohl in Spanien?«

»Nein. Ich habe mich in Australien aufgehalten.«

Jetzt wußte der Pater, daß er wirklich den richtigen Mariano vor sich habe.

»Aber früher seid Ihr wohl bereits einmal in Mexiko gewesen?« fragte er.

»Allerdings. Aus welchem Grunde vermuthet Ihr dies?«

»Mir ist, als hätte ich Euch bereits einmal gesehen!«

»Wo?«

»In der Hauptstadt.«

»Da bin ich allerdings gewesen.«

»Ah, so scheine ich mich also doch nicht getäuscht zu haben.«

»Vielleicht irrt Ihr Euch. Es ist lange her seit damals.«

»O, Sennor, ich habe ein außerordentliches Personengedächtniß. Ein Gesicht, welches ich einmal gesehen habe, erkenne ich auch nach längerer Zeit sofort wieder. Wenn ich mich nicht irre, müssen es fast zwanzig Jahre sein, daß ich Euch damals sah.«

»Es ist beinahe so lange her, daß ich in Mexiko war.«

»Ja, und jetzt fällt mir auch ein, wo ich Euch gesehen habe, Sennor.«

»Ihr macht mich allerdings höchst neugierig.«

»Ich glaube, Euch im Hause eines Engländers gesehen zu haben, welcher - ja, jetzt fällt mir der Name ein - Lord Lindsay hieß.«

»Bei ihm habe ich allerdings verkehrt, doch kann ich mich durchaus nicht erinnern, Euch dort getroffen zu haben.«

»Ihr habt mich weder getroffen, noch gesehen. Ich war damals der Beichtvater eines Bediensteten des Hauses und sah Euch nur von Weitem kommen und gehen. Wenn ich mich recht erinnere, waret Ihr sogar der Verlobte der Tochter des Engländers. Nicht?«

»Miß Amy war und ist meine Braut. Von wem wußtet Ihr das?«

»Eben von diesem meinem Beichtsohne. Ich erfuhr von ihm ganz eigenthümliche Dinge, welche auch auf Euch mit Bezug hatten.«

»Ah! Darf ich fragen, was für Dinge das gewesen sind?«


// 2045 //

»Ihr müßt verzeihen, daß es mir verboten ist, Euch zu antworten.«

»Warum?«

»Weil mir jene Mittheilungen unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses gemacht wurden. Es kam ein gewisser Cortejo mit vor.«

»Pablo Cortejo?« fragte Mariano rasch.

»Ja, und auch seine Tochter Josefa.«

»Auch sie? O, wenn Ihr mir doch diese Sachen mittheilen könntet. Habt Ihr Cortejo gekannt?«

»Natürlich! Grad so, wie ich den Grafen Ferdinando de Rodriganda gekannt habe, mit dem ich Euch vorhin verwechselte.«

»Sehe ich ihm wirklich so ähnlich?«

»Außerordentlich. Es ist kaum ein Unterschied zu bemerken zwischen Euch und ihm, wie er nämlich aussah, als er in Euren Jahren stand. Fast könnte man glauben, daß Ihr ein naher Verwandter von ihm seid!«

»Vielleicht ist es auch so,« meinte Mariano, welcher unbefangen genug war, sich von den Reden des Paters gewinnen zu lassen.

»Wirklich?« fragte dieser mit gutgespieltem Erstaunen.

»Ich bin ein Verwandter von ihm, allerdings aber nicht anerkannt.«

»Heilige Madonna, so ist es wahr, was der Mann mir damals gebeichtet hat.«

»Gebeichtet! Das ist verteufelt unangenehm! Mir läge ungeheuer viel daran, Euch sprechen zu hören! Und nun dürft Ihr nicht!«

Der Pater nahm eine höchst nachdenkliche Miene an und sagte dann:

»Woher wußtet Ihr, daß ich den Grafen und Cortejo kenne, Sennor?«

»Ich wußte es nicht. Ich habe es erst jetzt von Euch erfahren.«

»Ah! Ich dachte, Ihr wüßtet es und kämt, mit mir über diese Angelegenheit zu sprechen. Es ist wahr, ich habe noch gar nicht gefragt, welche Ursache Euch zu mir führt, aber fragen werde ich doch: Wenn Ihr wirklich ein Verwandter des Grafen Rodriganda seid, welches ist denn da das verwandtschaftliche Verhältniß, in welchem Ihr zu ihm steht?«

Mariano fixirte den Pater eine Weile schweigend und sagte dann:

»Das ist ein Geheimniß, über welches sich sehr schwer sprechen läßt.«

Der Pater lächelte überlegen und meinte in gutmüthigem Tone:

»Ihr könnt mir Vertrauen schenken, Sennor. Uebrigens bin ich überzeugt, dieses Geheimniß wenigstens ebenso gut zu kennen, wie Ihr selbst.«

»Wirklich? Könnt Ihr mir das beweisen?« fragte Mariano rasch.

»Ja. Ihr seid der echte Sohn des Grafen Emanuel Rodriganda.«

»Mein Gott,« rief Mariano erstaunt, »wie kommt Ihr zu dieser gewagten Behauptung?«

»Für mich ist sie nicht gewagt. Ich könnte Euch noch mehr sagen.«

»Was denn? Schnell, schnell!«

»Nun, Ihr seid gegen einen Neffen von Pablo Cortejo umgetauscht worden, und dieser Neffe führt jetzt den Namen, der Euch gebührt.«

»Ihr meint Alfonzo, Graf de Rodriganda?«

»Ja.«

Mariano befand sich in einer ungeheuren, aber glücklichen Aufregung.


// 2046 //

»Könntet Ihr dies beweisen?« fragte er.

»Zu jeder Stunde,« antwortete der Pater.

»Mein Gott, wer hätte das gedacht! Seit langen, langen Jahren suche ich nach diesem Beweise, und nun wird er mir so unverhofft entgegengebracht!«

»Nicht so eilig, Sennor! Ich habe es gesagt, daß ich es beweisen könnte, ob ich es aber beweisen darf, also ob ich es beweisen werde, das ist eine andere Frage.«

»Wer oder was sollte Euch denn hindern?«

»Mein Priestereid, das Beichtgeheimniß.«

»Ah!« meinte Mariano enttäuscht. »Wieder dieses Geheimniß! Seid Ihr denn auch jetzt noch Priester?«

»Nein.«

»So ist doch dieser Eid nicht mehr giltig!«

»O doch. Für Alles, was sich auf die Zeit bezieht, in welcher ich Priester war, ist er jetzt noch giltig. Doch, es kommt bei allen Dingen darauf an, mit welchen Augen und von welchem Standpunkte aus man sie betrachtet. Ich darf allerdings nichts erzählen, nichts verrathen; aber es ist mir doch nicht verboten, Euch diejenigen Winke zu geben, welche Euch in den Stand setzen können, das zu erfahren und zu beweisen, was ich geheim halten muß, weil man es mir gebeichtet hat.«

»O, Sennor Hilario, wenn Ihr das thun wolltet!

»Vielleicht thue ich es, nur muß ich sicher sein, daß es mir nicht schadet.«

»Ich werde Alles vermeiden, was Euch in Schaden bringen könnte.«

»Das hoffe ich. Man hat Euch lange Jahre gefangen gehalten. Nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Wer?«

»Die beiden Cortejo's.«

»Mit Hilfe eines Capitän Landola?«

»Allerdings. Kennt Ihr auch diesen?« fragte Mariano rasch.

»Vielleicht. Ein deutscher Capitän hat Euch endlich befreit?«

»Mein Gott! Seid Ihr allwissend?«

Der Pater lächelte und antwortete selbstbewußt:

»Das nicht. Aber Ihr seht, daß ich eingeweiht bin. Ich könnte Euch leicht alle Räthsel lösen, welche Euch noch dunkel sind, aber - hm! Ich weiß nicht, ob ich auf Eure Verschwiegenheit rechnen darf.«

Da ergriff Mariano seine Hände und sagte bittend:

»Sennor, ich werde schweigen wie das Grab. Ich bitte Euch um Gottes willen, mir zu sagen, was Ihr wißt!«

»Ich habe Euch bereits gesagt, daß ich das nicht darf. Aber vielleicht bin ich bereit, Euch diejenigen Winke zu geben, von denen ich vorhin sprach.«

»Thut das, thut das, Sennor! Ich werde Euch reich belohnen, ich werde es Euch danken, so lange ich lebe!«

Da nahm der Pater eine ernste, fromme Miene an und sagte:

»Ich thue es nicht um des Lohnes willen. Es sind hier Verbrechen verübt worden. Zwar darf ich kein Beichtgeheimniß verrathen, aber ich halte es für


meine Pflicht, dahin zu wirken, daß die Schuldigen nicht Früchte genießen, welche Andern gehören.«

»Ah, Ihr seid ein frommer, gottesfürchtiger Mann! Ich darf hoffen, daß Ihr mir die Hand zur Hilfe reicht.«

»Ja, das könnt Ihr, Sennor! Aber wenn ich Euch die nöthigen Winke geben soll, muß ich vorher erfahren, wie weit Ihr selbst von der Sache unterrichtet seid. Ich muß Euer Leben und alle Ereignisse kennen lernen, welche sich auf Euch und Eure Freunde beziehen.«

»Ich bin bereit, Euch Alles zu erzählen, Sennor!«

»Ihr wollt also Vertrauen zu mir haben?«

»Vollständig!« betheuerte Mariano.

»So setzt Euch und erzählt!«

Mariano folgte dieser Aufforderung. Er gab eine vollständige Beschreibung seines Lebens und seiner Erfahrungen. Er war so ausführlich, daß dem Pater nicht das Geringste verborgen blieb. Er war so begeistert für den Gegenstand, daß er gar nicht an die Gefährten dachte, welche draußen auf ihn warteten.

Endlich war er fertig. Auch der Pater hatte auf einem Stuhle Platz genommen. Jetzt erhob er sich, ging einige Male im Zimmer auf und ab und sagte dann, vor ihm stehen bleibend:

»Ihr seid also überzeugt, der Sohn des Grafen Emanuel zu sein?«

»Ja,« antwortete Mariano.

»Graf Ferdinando weiß dies auch?«

»Ja.«

»Wer weiß das noch? Dieser Sternau natürlich?«

»Jawohl.«

»Die beiden Indianerhäuptlinge und die beiden Helmers?«

»Ja.«

»Ferner Emma Arbellez, Karja, Maria Hermoyes und jener Spanier, welcher mit dem Grafen in Härrär gefangen war?«

»Sie Alle.«

»So ist Euer Geheimniß bereits das Eigenthum sehr vieler Personen geworden und die Schuldigen dürfen überzeugt sein, daß es ganz unmöglich ist, es todt zu schweigen. Auch der Engländer und seine Tochter kennen es?«

»Auch sie.«

»Und welchen Personen in Deutschland ist es bekannt?«

»Meiner Schwester Rosa und jedenfalls ihren nahe stehenden Vertrauten. Doch weiß sie bei weitem nicht so viel, als wir Anderen.«

»Und welche Punkte sind Euch noch unklar? Das muß ich wissen.«

»Unklar ist uns eigentlich keiner der Hauptpunkte. Es handelt sich nur um die Erbringung des Beweises; aber das ist gerade das Schwierigste.«

»Ich halte es im Gegentheile für das Leichteste.«

»Ja, wenn wir Pablo Cortejo und Landola fest hätten!«

»Nun, das ist ja doch nichts Unmögliches!«

»Allerdings nicht. Sternau ist ihnen ja doch nachgejagt.«

»Ah! Wirklich?«


// 2048 //

»Ja. Ich habe Euch noch nicht gesagt, daß ich ihn suche. Er ist mit den beiden Indianerhäuptlingen und dem einen Helmers hinter Cortejo her und ihre Spuren zeigen gerade auf Santa Jaga. Es wurde mir sogar gesagt, daß sie bei Euch sein könnten.«

»Bei mir?« fragte der Pater lächelnd. »Wer sagte das?«

»Einer der Reitknechte, welche mit Sennorita Emilia nach der Hazienda del Erina aufgebrochen waren.«

Der Pater entfärbte sich.

»Sennorita Emilia?« stotterte er. Doch faßte er sich schnell und fragte: »Nach der Hazienda del Erina ist sie allerdings geritten?«

»Ja,« antwortete Mariano. »Das ist ihre Absicht gewesen.«

»Was hat sie dort gewollt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hm! Ihr seid doch wohl nicht allein nach Santa Jaga gekommen?«

»Nein. Ich habe noch zwei Gefährten mit.«

»Wer sind sie?«

»Der kleine André und der andere Helmers.«

»Wo sind sie?«

»Sie warten draußen vor dem Thore auf mich. Aber ich habe im Eifer unserer Unterredung gar nicht mehr an sie gedacht!«

Der Pater blickte einige Zeit nachdenklich vor sich nieder. Dann warf er rasch den Kopf empor und fragte:

»Man kann sich auf Euch verlassen, Sennor?«

»O, vollständig,« betheuerte Mariano.

»Wenn ich Euch helfe, so werdet Ihr mich nicht verrathen?«

»Niemals; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Nun gut. Wenn Ihr Cortejo fangt, so habe ich nicht nöthig, ein Beichtgeheimniß zu verrathen. Wie nun, wenn er noch heute Abend in Eure Hände fiele?«

Da sprang Mariano wie electrisirt empor.

»Herrgott, ist dies möglich?« rief er.

»Ja, es ist möglich. Aber bitte, redet nicht so laut. Ich will Euch gestehen, daß Sennor Sternau mit seinen Gefährten hier bei mir war.«

»Ah! Wirklich? Wo sind sie? Haben sie Cortejo gefangen?«

»Nein. Sie kamen zu mir, um nach Cortejo zu fragen. Ich wußte nichts von ihm und darum ritten sie weiter.«

»Wo sind sie jetzt? Wo sind sie hin?«

»Ich weiß es nicht. Sie haben mir nichts gesagt. Aber wo Cortejo ist, das weiß ich genau.«

»Welch' ein Glück wäre das! Aber sagtet Ihr nicht eben jetzt, daß Ihr nichts von ihm wüßtet?«

»Ich sagte das allerdings, und es war auch wahr. Aber kaum war Sennor Sternau verschwunden, so kam Cortejo hier an.«

»Alle Wetter! Was wollte er hier?«

»Er wollte ein Asyl suchen.«


// 2049 //

»Ihr gewährt es ihm?«

»Natürlich. Ich dachte nämlich, Sennor Sternau werde wiederkommen.«

»Ihr hattet die Absicht, ihm Cortejo auszuliefern?«

»Das versteht sich,« nickte der Pater.

»So befindet er sich noch hier?«

»Ja.«

»O, Sennor, wollt Ihr ihn mir überlassen?

»Gern. Ihn und seine Tochter.«

 »Auch sie ist hier?«

»Auch sie. Ich glaube, das wird Euch doppelt lieb sein?«

»Natürlich, natürlich! Wo befinden sie sich?«

»In einem unterirdischen Gefängniß.«

»Also gefangen?«

»Ja. Er bat um ein Asyl. Hätte ich ihn öffentlich aufgenommen, so wäre es mir unmöglich, ihn Euch auszuliefern. Darum sorgte ich dafür, daß kein Mensch ihn und seine Tochter zu sehen bekam, und darum kann ich ihn Euch übergeben, ohne Verrath befürchten zu müssen.«

»Ihr könnt Euch auf unsere größte Verschwiegenheit verlassen. Wollt Ihr mich zu ihm führen?«

»Ja. Ich ersuche Euch, mir zu folgen.«

Er brannte eine Laterne an und führte Mariano leise und heimlich nach dem unterirdischen Gange, in welchem sich die Gefängnisse befanden.

»Ueberliefern kann ich ihn Euch freilich jetzt noch nicht,« sagte er dann.

»Warum nicht?«

»Ich darf Euch nicht helfen; ich darf überhaupt von ihm nicht gesehen werden. Ihr aber allein seid zu wenig, die Beiden ohne Lärm fortzubringen. Ich will Euch jetzt nur beweisen, daß sie da sind. Dann holen wir Eure beiden Gefährten herbei, mit deren Hilfe Ihr es viel leichter und besser fertig bringen werdet. Kommt!«

Er führte ihn in den Gang hinein, blieb vor Josefa's und Cortejo's Gefängnißthür stehen und gab ihm da die Laterne in die Hand.

»Ich werde jetzt öffnen,« flüsterte er. »Sie dürfen mich nicht sehen. Leuchtet sie an. Ihr werdet sie erkennen und da sehen, daß ich es gut und ehrlich mit Euch meine. Nur bitte ich Euch, kein unnützes Gespräch mit ihnen anzuknüpfen.«

»Das wird mir gar nicht einfallen. Habt keine Sorge!«

Jetzt öffnete der Pater die Thüre und trat dann zur Seite. Mariano leuchtete hinein. Seine Gestalt befand sich im Dunkeln.

»Verfluchter Pfaffe!« tönte ihm Cortejo's Stimme entgegen. »Lasse mich los, oder ich werde mich fürchterlich rächen!«

»Teufel!« rief auch Josefa. »Sollen wir hier elend verhungern?«

»Nein,« antwortete Mariano. »Ich werde Euch von hier fortbringen.«

Sie hörte, daß es nicht der Pater war, darum fragte sie rasch:

»Sennor, wer seid Ihr?«

»Seht mich an, ob Ihr mich erkennt.«


// 2050 //

Er drehte die Laterne herum, so daß ihr Schein voll auf ihn selbst fiel. Sie starrte ihn einige Augenblicke lang an, dann rief sie erschrocken:

»O ihr Heiligen! Das ist Mariano.«

»Ja, ich bin es,« antwortete er. »Die Zeit, Gericht zu halten, ist gekommen. Ihr werdet Eure Strafe erhalten.«

»So war es nur Täuschung, daß der Pater Sennor Sternau und die beiden Andern - -«

Krach. Warf der Pater die Thür zu. Das Mädchen stand ja im Begriff, zu verrathen, daß auch Sternau gefangen sei.

»Warum macht Ihr so schnell zu?« fragte Mariano.

»Ich bat Euch kein Gespräch anzufangen. Ihr droht mit dem Gerichte, und nun werden sie Euch nur unter Anwendung von Gewalt folgen.«

»Wir werden mit ihnen fertig werden.«

»So kommt wieder mit hinauf, damit wir Eure Gefährten holen.«

Sie kehrten zur Wohnung des Paters zurück, wo dieser Mariano die Weisung gab zu warten.

»Ihr selbst wollt meine Freunde holen?« fragte der Letztere.

»Ja.«

»Warum nicht ich?«

»Ihr vergeßt, daß Alles in tiefster Stille abgemacht werden muß. Kein Unberufener darf Etwas merken. Ihr kennt die Schliche nicht.«

Damit ging er. Aber ehe er zum Thore ging, suchte er seinen Neffen in der Klosterzelle auf, welche er ihm zur Wohnung angewiesen hatte.

»Halte Dich bereit,« sagte er. »Es giebt heute wieder zu thun.«

»Was?« fragte Manfredo.

»Es sind drei gekommen, welche wir festnehmen müssen.«

Er gab ihm die nöthige Weisung und suchte dann André und Helmers auf. Diese hielten noch immer in der Nähe des Thores. Die Zeit war ihnen außerordentlich lang geworden. Da hörten sie nahende Schritte. Nicht das Thor war ihnen geöffnet worden, sondern die kleine Pforte, welche der Pater bei solchen Gelegenheiten zu benutzen pflegte. Er trat zu ihnen heran und fragte sie leise:

»Ihr seid Sennor André und Sennor Helmers?«

»Ja,« antwortete der Erstere. »Wo ist unser Freund?«

»Bei mir. Habt die Güte, mir zu folgen.«

Er wendete sich nicht dem Thore, sondern der Gegend zu, in welcher das Pförtchen lag. Der kleine Jäger war ein vorsichtiger Mann.

»Warum nicht durch das Thor?« fragte er.

»Eure Anwesenheit soll geheim bleiben.«

»Warum?«

»Weil ich Euch Cortejo überliefern werde, und das darf doch kein Mensch merken.«

»Donnerwetter, Cortejo ist da?«

»Ja.«

»Gut, wir folgen. Aber was thun wir mit den Pferden?«


// 2051 //

»Führt sie leise hier längs der Mauer hin, bis Ihr an einige Bäume kommt, wo Ihr sie anbinden könnt. Ich werde hier warten.«

Dies geschah, und dann brachte er sie mit solcher Vorsicht nach seinem Zimmer, daß kein einziger Bewohner des Klosters etwas davon merkte.

Der vorsichtige, kleine André erkundigte sich nun zunächst bei Mariano. Als er aber von diesem hörte, daß er Cortejo nebst dessen Tochter bereits gesehen und auch gesprochen habe, verschwand jedes Mißtrauen.

Nun brachen sie nach dem unterirdischen Gange auf. Vorher aber nahm der Pater aus einem Kästchen eine dünne Papierhülse, welche er zu sich steckte. Er that dies in einer Art und Weise, daß es gar nicht auffallen konnte.

Sie gelangten unten bis an die starke Thür, welche nach dem Gefängnißgange führte. Dort griff Hilario in die Tasche, um den Schlüssel hervorzuholen. Er fand ihn nicht.

»Ah, der Schlüssel ist nicht da,« sagte er. »Er liegt in der Nische, an welcher wir vor der letzten Thüre vorüberkamen. Entschuldigen die Sennores einen Augenblick!«

Sie befanden sich jetzt in einem quadratischen Raume, welcher nicht sehr groß war. Der Pater wendete sich zurück und öffnete die Laterne. Er zog die Hülse aus der Tasche, brannte das eine Ende derselben an und blies in das andere hinein. Sofort entstand ein Strahl, ähnlich demjenigen, wenn man Bärlappsaamen und Kolophonium durch eine Flamme bläst. Dann war er mit zwei schnellen Schritten zur Thüre hinaus, welche er hinter sich zuwarf und dann die Riegel vorschob.

»Gefangen!« lachte er höhnisch. »Ah, nun weiß ich Alles. Dieser Mariano war dumm genug, mir Alles bis in's Einzelnste zu beichten. Nun bin ich Meister der ganzen Angelegenheit. Ah, wie sie da drinnen fluchen und toben! Es wird nicht lange währen.«

Man hörte, wie die drei Männer sich Mühe gaben, die Thür aufzubrechen. Es gelang ihnen nicht und nach kaum zwei Minuten war es vollständig ruhig. Da hörte der Pater nahende Schritte.

»Manfredo!« rief er nach rückwärts.

»Ja, ich bin es,« ertönte die Antwort.

»Komm! Es ist Zeit!«

Der Neffe kam herbei; er war mit keinem Lichte versehen.

»Das läuft sich verdammt schlecht hier im Dunkeln,« klagte er. »Sind sie da drinnen?«

»Ja. Ich glaube, wir dürfen nicht zögern, sonst ersticken sie.«

Er schob die Riegel zurück und öffnete. Sofort strömte ihnen ein betäubender Geruch entgegen. Sie wichen zurück, bis er sich verzogen hatte, und traten dann ein. Die drei Männer lagen besinnungslos an der Erde. Der Pater untersuchte sie und sagte dann:

»Sie leben noch; aber schnell fort mit ihnen!«

»Wohin?«

»Neben die Anderen.«

»Warte, bis ich ihnen ihre Waffen genommen und sie ausgesucht habe.«


// 2052 //

Der saubere Neffe nahm ihnen Alles ab, was sie bei sich hatten. Als er das auch bei Mariano that, sagte er:

»Schau, Oheim, welch' ein Ring! Ist das ein Diamant?«

Er zog dem Bewußtlosen den Ring vom Finger und reichte ihn dem Pater hin. Dieser antwortete, nachdem er ihn genau betrachtet hatte:

»Ja, ein Diamant, und zwar mit der Grafenkrone der Rodriganda. Ich werde ihn einstweilen zu mir stecken.«

»Ich denke, daß das Alles mir gehört, was diese Kerls bei sich tragen!«

»Ja.«

»Nun, warum dieser Ring nicht?«

»Er gehört Dir. Ich nehme ihn nur einstweilen, weil ich denke, einen Plan auszuführen, bei welchem ich ihn brauchen kann.«

Sie faßten jetzt die drei ausgeplünderten Männer an und trugen sie nach dem Gange, wo ein Jeder von ihnen, noch bewußtlos, in eines der Gefängnisse gesteckt wurde. Als dies geschehen war, öffnete der Pater die Thür, hinter welcher Cortejo nebst seiner Tochter steckte.

»Kommt Ihr, um uns abzuholen, Sennor Mariano?« fragte die Letztere.

»Nein, es ist nicht Mariano,« antwortete er.

»Ah, der Pater, dieser Satan!« stöhnte sie.

»Ich, ein Satan?« lachte er. »Ihr seid viel eher eine Teufelin, als ich ein Teufel. Glaubt Ihr übrigens, mit Euren Schimpfreden Eure Lage zu verbessern? Da irrt Ihr Euch gewaltig.«

»Was haben wir Euch gethan, daß Ihr uns auf eine so schreckliche Weise umkommen lassen wollt?«

»O, ich habe eine kleine Rechnung mit Eurem Vater quitt zu machen. Wenn Ihr mit darunter leidet, so seid Ihr selber schuld. Hättet Ihr Euch einen besseren Kerl als Vater ausgesucht!«

»Schuft!« knirschte Cortejo.

»Schimpft nicht,« gebot der Pater. »Uebrigens steht es ganz bei Euch, ob ich Euch hier verschmachten lasse, oder ob Euch noch Hoffnung auf Rettung gelassen werden kann.«

»Rettung?« fragte Cortejo. »Was verlangt Ihr dafür?«

»Darüber wollen wir später sprechen. Jetzt handelt es sich einstweilen nur um Milderung Eurer augenblicklichen Lage. Ich bin bereit Euch eine bessere Zelle und auch Nahrung zu geben, wenn Ihr mir eine aufrichtige und wahre Auskunft ertheilt.«

»Worüber?«

»Ueber Henrico Landola, den Seeräuber.«

»Ah. Warum über ihn?«

»Das ist meine Sache. Ihr habt diesem amerikanischen Jäger Grandeprise versprochen, Landola in seine Hände zu geben?«

»Ja.«

»Ihr habt dies also für möglich gehalten?«

»Ja.«

»Ihr wart also überzeugt, Landola wieder zu treffen?«


// 2053 //

»Ja.«

»Wo?«

»Das ist unbestimmt. Ich weiß es nicht.«

»Ich aber will es wissen. Gebt Ihr mir darüber einen festen Anhaltepunkt, so werde ich Euch die gedachten Vergünstigungen gewähren.«

»Was wollt Ihr von Landola?«

»Ich habe auch mit ihm eine Rechnung quitt zu machen.«

»Ihr wollt ihn einstecken und quälen wie uns?«

»Ja, sogar noch ein wenig intensiver, wenn ich ihn nämlich bekomme.«

»Das würde mir ein Gaudium sein; aber trotzdem weiß ich nicht, wo er sich jetzt befindet.«

»Es giebt aber ein Mittel, es zu erfahren?«

Cortejo zögerte mit der Antwort. Darum meinte der Pater streng:

»Gut, behaltet es für Euch, wenn Ihr hier elend verschmachten wollt!«

Er stand bereits im Begriffe, die Thüre zuzumachen, da sagte Josefa:

»Um Gottes willen, sage es ihm, Vater! Ich will nicht sterben, ich muß leben bleiben. O, diese Schmerzen in meiner Brust!«

»Ja, ich glaube es,« lachte der Pater. »Ihr seid falsch kurirt worden. Ich könnte Euch die Schmerzen nehmen, ich könnte Euch heilen und herstellen, aber Ihr wollt es ja nicht.«

»Ich will, ich will! Vater, sage es ihm!« rief das Mädchen.

»Er betrügt und peinigt uns dennoch fort!« sagte Cortejo.

»Nein,« antwortete der Pater. »Wenn Ihr mir ehrlich antwortet, nehme ich Euch aus diesem Loche fort.«

»Gut! Erst fort; dann werde ich reden, eher aber nicht.«

»Ah, Ihr traut mir nicht? Na, ich will Euch das nicht übel nehmen und Euch daher Euren Wunsch erfüllen. Ich werde Euch aus den Eisenringen befreien, Euch aber vorher auf andere Weise fesseln, so daß Ihr mir keine Dummheiten machen könnt. Gebt Ihr dann aber keine Auskunft, so trifft Euch doppelte Strafe.«

Er fesselte sie mit Hilfe seines Neffen so, daß sie sich zwar erheben und auch langsam bewegen konnten, zu einem Widerstande aber unfähig waren; dann machte er die Eisenhalter von ihren Hälsen und Leibern los.

»Jetzt kommt und folgt mir,« sagte er dann. »Ich weise Euch nunmehr ein besseres Loch an, mit welchem Ihr zunächst zufrieden sein könnt.«

Er schritt voran, sie folgten und sein Neffe ging hinterher. Am Ende des Ganges befand sich eine Thür, welche in einen Raum führte, der eher einer kleinen Stube als einem Gefängnisse glich. Diese Thüre öffnete er.

»Hier herein,« sagte er.

Sie traten ein und athmeten auf, denn hier konnten sie wenigstens stehen oder sich in voller Länge auf dem Boden niederstrecken.

»Das wird Eure jetzige Wohnung sein,« fuhr der Pater fort. »Nun aber verlange ich auch Auskunft. Wie oder wo kann ich erfahren, wo Landola sich befindet?«

»Bei meinem Bruder,« antwortete Cortejo.


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»Also in Rodriganda in Spanien?«

»Ja.«

»Das ist mir zu weitläufig, das kann mir nichts nützen. Giebt es nicht eine andere und bessere Auskunft?«

Cortejo blickte ihn finster und grimmig an und sagte dann:

»Wir bleiben wirklich hier in diesem besseren Loche?«

»Ja.«

»Wir bekommen hinreichende Nahrung?«

»Ja, wenn Ihr redet.«

»Wenn Ihr mir noch zweierlei versprecht, werde ich Euch eine vollständige Auskunft ertheilen.«

»Sagt, was ich versprechen soll.«

»Erstens, daß wir hier nicht ermordet werden oder sterben sollen und zweitens, daß Ihr meine Tochter ärztlich behandelt und herstellt.«

»Ich verspreche Euch das, wenn nämlich Eure Auskunft gut ist.«

»Sie ist gut.«

»So redet.«

»Ich traue Euch nicht. Schwört mir erst zu, daß Ihr Wort halten werdet.«

»Was kann Euch das nützen? Bin ich wirklich so treulos, wie Ihr meint, so werde ich auch den Schwur nicht achten.«

»Ihr habt recht. Wir sind ganz und gar in Eure Hand gegeben. Und darum will ich Euch sagen, daß ich meinem Bruder wegen Landola geschrieben habe. Auch ich wollte wissen, wo derselbe sich befindet.«

»Und Ihr erwartet Antwort?«

»Ja.«

»Wann?«

»Sie muß bereits angekommen sein.«

»Wo?«

»In Vera Cruz bei meinem Agenten.«

»Warum nicht in Mexiko?«

»Ihr vergeßt, daß ich mich in der Hauptstadt nicht sehen lassen darf.«

»Das ist wahr. Wer ist Euer Agent?«

»Das werde ich Euch erst dann sagen, wenn wir Essen und Trinken erhalten haben und Ihr meine Tochter untersucht habt.«

»Sennor Cortejo, Ihr seid eigentlich gar nicht in der Lage, mir Bedingungen vorzuschreiben; aber ich befinde mich heute in guter Stimmung und darum will ich auf Euer Verlangen eingehen. Manfredo, hole etwas Wein, Brod und Käse, ich will unterdessen nach den Verletzungen der Sennorita sehen.«

Der Neffe entfernte sich. Als er nach längerer Zeit mit dem Verlangten zurückkehrte, war der Pater mit seiner Patientin bereits fertig. Er hatte ihr gesagt, daß er hoffe, sie herstellen zu können.

»Jetzt habe ich mein Wort erfüllt,« sagte er; »nun haltet auch das Eurige.«

»Mein Agent ist der Fischer Gonsalvo Verdillo,« antwortete Cortejo.

»Und Ihr denkt, daß bei ihm die Antwort liegt?«

»Sie ist ganz sicher da.«


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»Wie aber kann man sie von ihm erhalten?«

»Durch einen Boten.«

»Wird er sie ihm aushändigen?«

»Nur dann, wenn dieser Bote einen Brief von mir bringt, durch welchen er sich zu legitimiren vermag.«

»Dieser Agent kennt Eure Handschrift?«

»Genau.«

»Gut, so werdet Ihr diesen Brief schreiben.«

»Davon war keineswegs die Rede. Ich habe Euch nur versprochen, Euch Auskunft zu geben, und das habe ich gehalten.«

»Das heißt wohl, daß Ihr den Brief nicht schreiben wollt?«

»Wenigstens nicht umsonst.«

»Was verlangt Ihr dafür?«

»Eine wahre Auskunft über diesen Mariano, welcher sich vorhin bei uns sehen ließ. Was habt Ihr mit ihm vor?«

»Ich habe ihn gerade so gefangen genommen, wie Sternau und die Anderen. Er ist mein Gefangener und steckt in einer Zelle dieses Ganges.«

»Was werdet Ihr überhaupt mit all diesen Leuten thun?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich will an ihnen meine Rache kühlen. So, das ist meine Auskunft. Nun werdet Ihr wohl schreiben?«

»Unter einer Bedingung nur.«

»Abermals eine Bedingung? Hört, nehmt Euch in acht, daß meine Geduld nicht zu Ende geht! Welche Bedingung soll das dann sein?«

»Daß ich den Brief meines Bruders auch zu lesen bekomme.«

»Das will ich Euch zugestehen. Wie pflegt Ihr an den Agenten zu schreiben? Was braucht Ihr dazu?«

»Nichts als Tinte, Feder, Briefbogen und Couvert.«

»Ich werde gehen, es Euch zu holen.«

»Ah, ich soll hier in diesem Loche schreiben?«

»Ja. Uebrigens merkt es Euch, daß dies kein Loch ist! Oder wünscht Ihr vielleicht, daß ich Euch wegen dieses Briefes in ein Damenboudoir führen soll? Da irrt Ihr Euch. Ich werde Euch, damit Ihr schreiben könnt, die Handfesseln abnehmen; bei der geringsten verdächtigen Bewegung, welche Ihr macht, werde ich Euch eine Kugel durch den Kopf jagen. Jetzt bleibt Ihr, bis ich wiederkehre, unter Manfredo's Bewachung.«

Er ging. Als er zurückkehrte, hatte er außer den erwähnten Schreibrequisiten auch einen hölzernen Schemel mit, welchen Cortejo als Schreibepult benutzen sollte. In höchst unbequemer Lage und beim Scheine der Laterne faßte dieser den Brief ab. Der Pater las ihn dann durch.

»Er scheint unverdächtig zu sein,« meinte er. »Oder giebt es zwischen Euch und Eurem Agenten geheime Zeichen, welche man nicht bemerken kann, mittelst deren Ihr Euch aber mit ihm verständigt?«

»Nein.«

»Es würde Euch auch nur schaden, mich betrügen zu wollen. Jetzt seht,


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wie Ihr Euch in dem neuen Logis einrichtet; Guirlanden wurden beim Einzuge nicht verwendet. Wenn die Antwort kommt, dürft Ihr sie lesen.«

Nach diesen Worten schloß er den Kerker zu und entfernte sich mit seinem Neffen.

»Wer wird den Brief nach Vera Cruz schaffen?« fragte dieser.

»Der amerikanische Jäger.«

»Grandeprise?«

»Ja.«

»Aber, wenn dieser nun nach Cortejo gefragt wird?«

»Da laß mich nur machen! Jetzt vor allen Dingen hast Du die Pferde der neuen Gefangenen fortzubringen, damit man nichts bemerkt.«

Es war während des Geschehenen eine ziemliche Zeit vergangen, so daß es zu spät war, noch mit Grandeprise zu sprechen, am anderen Morgen aber ließ er ihn bereits früh zu sich rufen.

»Sennor Grandeprise, ich habe Euch einen Auftrag zu ertheilen,« sagte er. »Seid Ihr bereits einmal in Vera Cruz gewesen?«

»Ja,« lautete die Antwort.

»Aber von hier aus nicht?«

»Nein.«

»So würde es Euch wohl schwer werden, den kürzesten Weg zu finden?«

»Mir? Einem Jäger? Wo denkt Ihr hin! Aber was redet Ihr von Vera Cruz? Ich habe dort ja gar nichts zu schaffen!«

»Und doch! Ich möchte Euch bitten, mir einen Brief dahin zu besorgen.«

Der Jäger machte ein sehr bedenkliches Gesicht.

»Sennor, Ihr habt mich vom Tode errettet,« sagte er, »ich bin also sehr gern bereit, Euch jeden Gefallen zu thun; jetzt aber ist es mir nicht möglich.«

»Warum nicht?«

»Weil ich in Sennor Cortejo's Diensten stehe. Ich kann nicht von hier fort.«

»O doch, denn grad von Sennor Cortejo ist dieser Brief.«

»Er ist es, der mich nach Vera Cruz schickt?«

»Ja.«

Die Brauen des Jägers zogen sich zusammen.

»Donnerwetter, ich errathe etwas!« sagte er.

»Was?«

»Dieser Mann will mich gern von hier fort haben.«

»Warum?«

»Damit er mir ein Versprechen, welches er mir gegeben hat, nicht zu erfüllen brauche.«

»Ihr meint das Versprechen, Euch Landola zu verschaffen?«

»Ja. Aber woher wißt Ihr das?«

»Er selbst hat es mir gesagt. Uebrigens ist Eure Vermuthung eine sehr irrige. Sennor Cortejo will Euch nicht betrügen, sondern er will im Gegentheile sein Versprechen erfüllen, indem er Euch nach Vera Cruz schickt. Dort liegen nämlich bei seinem Agenten Nachrichten über Landola, welche Ihr ihm bringen sollt.«

»Das läßt sich eher hören. Aber warum schickt er Euch zu mir? Warum spricht er nicht selbst mit mir?«


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»Weil er nicht kann. Er ist nicht mehr da.«

»Nicht mehr da?« fragte der Jäger enttäuscht. »Seit wann?«

»Seit heute Nacht.«

»Das kommt mir verdächtig vor, Master Hilario!«

»Das sollte mich wundern. Bei der jetzigen Lage der Dinge kann Manches passiren, was ungewöhnlich ist. Hat Sennor Cortejo Euch denn versprochen, hier zu bleiben?«

»Nein, das allerdings nicht.«

»Oder schuldet er Euch ein größeres Vertrauen als anderen Leuten?«

»Hm, wie man es nimmt. Ich habe ihm das Leben und die Freiheit gerettet. Ohne mich wäre er entweder todt oder gefangen und blind. Einen solchen Retter in der Noth läßt man nicht sitzen, ohne ihn vorher gesprochen oder benachrichtigt zu haben.«

»Das war unmöglich. Es kam ein Bote, der ihn sofort abrief.«

»Wohin?«

»Zum Panther des Südens.«

»Hole den der Teufel!«

»Cortejo hatte kaum noch Zeit, diesen Brief zu schreiben, den ich Euch übergeben soll.«

»Hm! Der Brief handelt wirklich von Landola?«

»Ja, ich habe ihn gelesen.«

»An wen ist er? Zeigt einmal her!«

»An den Fischer Gonsalvo Verdillo, welcher der Agent Cortejo's ist. Dieser Letztere hat um Auskunft geschrieben, wo Landola sich befindet. Die Antwort liegt bei dem Fischer. Ihr sollt sie holen.«

»Wohin ist sie zu bringen? Etwa zum Panther des Südens?«

»Nein, sondern zu mir.«

»Aber Cortejo ist gar nicht bei Euch.«

»Er wird zur Zeit Eurer Rückkehr wieder hier sein.«

»Dann bin ich eher einverstanden. Gebt den Brief her. Ich werde jetzt auf der Stelle aufbrechen.«

»Darum wollte ich Euch bitten: Augenblicklich fort und so bald wie möglich wieder zurück. Aber seid vorsichtig! Es ist heut zu Tage nichts Kleines, einen Brief von Cortejo bei sich zu haben.« - -

Unterdessen hatte sich der Zustand des kranken Haziendero Petro Arbellez wesentlich gebessert. Die alte, treue Maria Hermoyes gab sich alle mögliche Mühe, seine Schmerzen zu lindern, und so begannen die Wunden nach und nach zu heilen, zumal einer der Miztecas, welche die jetzige Besetzung der Hazienda bildeten, ihm das berühmte Wundkraut gesucht hatte, welches jede Wunde zur schnellsten Verharrschung bringt.

Er war bereits so weit hergestellt, daß er heute das Bett versuchsweise verlassen hatte. Er saß, sorglich von Decken umhüllt in einem Stuhle an einem Fenster, welches nach Norden ging. Da hinaus schaute er, denn nach dieser Richtung lag Fort Guadeloupe, lag Chihuahua und auch Cohahuila. Neben ihm stand Maria Hermoyes.


// 2058 //

»Alles, Alles will ich gern gelitten haben, wenn ich sie nur wiedersehe,« sagte er, ein begonnenes Gespräch fortsetzend.

»O, Sennor. Ihr glaubt gar nicht, wie unendlich auch ich mich freue!«

»Ja, meine gute Maria, ich glaube es schon. Aber wie sagte Antonio, wie Emma ausgesehen hätte?«

»Gut, sehr gut, sagte er.«

»Gesund?«

»Gesund und munter.«

»Sie hatte gesagt, daß sie bald kommen werde?«

»Sehr bald, Sennor.«

»Aber sie kommt ja nicht. Ich warte vergebens!«

»Ihr dürft die Geduld nicht verlieren. Juarez wird sie bringen.«

»Warum kommt sie nicht eher?« klagte er.

»Wollt Ihr sie verlieren, zum zweiten Male verlieren, noch ehe Ihr sie überhaupt wiedergesehen habt?«

»Das wolle Gott verhüten. Aber, wird es nicht da draußen schwarz am Horizonte, Maria?«

Sie trat näher an das Fenster heran, blickte hinaus und strengte ihre alten Augen so viel wie möglich an.

»Ja, Sennor,« sagte sie dann, »es sieht grad so aus, als ob recht viele Reiter dort auftauchten.«

»Santa Maria! Wenn Juarez endlich käme!«

Die beiden Leute blickten mit größter Spannung hinaus.

»Ja, es sind Reiter,« sagte Maria.

»Es sind welche, viele, sehr viele,« fügte der Haziendero hinzu. »Sie kommen näher. Gott, vielleicht ist mein Kind bei ihnen!«

Er wurde ganz schwach vor freudiger Erregung. Er legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Aber sein Ohr blieb offen. Es hörte ein nahendes Brausen und dann den Hufschlag vieler Pferde, welcher wie ein dumpfer Donner heranrollte.

Es war ein ganzes Heer, welches herangaloppirt kam, Weiße und Apachen. Die Miztecas hatten sich auf ihre Pferde geworfen, um sie zu empfangen. Man hörte ein jubelndes Heulen und Brüllen, unterbrochen von durchdringendem Gewieher der muthigen Pferde, dann kam ein schneller Männerschritt von der Treppe her auf die Thür zu, welche geöffnet wurde. Arbellez richtete die Augen auf den Eintretenden.

»Juarez,« sagte er, ganz schwach werdend.

»Der Präsident,« rief auch Maria Hermoyes.

»Ja, ich bin es,« sagte der Zapoteke. »Gott grüße Euch, Sennor Arbellez. Wie ist es Euch ergangen?«

»Schlimm, sehr schlimm, Sennor,« antwortete Maria.

»Josefa Cortejo hat ihn bis auf die Knochen peitschen lassen und dann in den Keller geworfen. Unser guter Herr hat fürchterlich ausgestanden.«

Juarez zog die Brauen zusammen, er wollte fragen, wurde jedoch daran verhindert, denn von der Thüre her erscholl ein jauchzender Schrei.


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»Vater!«

Er hatte diese Stimme so lange, lange Jahre nicht gehört, der alte, kranke Haziendero, aber er erkannte sie doch sogleich.

»Emma, mein Kind.«

Er wollte diese Worte sprechen, aber sie erstarben ihm auf der Zunge. Er hielt die Augen noch geschlossen, aber er öffnete die Arme. Im nächsten Augenblicke hielten sich die Beiden wortlos umschlungen; desto reichlicher aber flossen die Thränen, und auch den zwei Dabeistehenden rannen sie über die Wangen herab.

Da nahm Juarez die Alte bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer.

»Lassen wir sie allein,« sagte er draußen zu ihr. »Dieser selige Augenblick ist ihr heiliges Eigenthum, welches wir ihnen nicht stehlen dürfen. Aber sagt mir doch, Sennora, wo ist Sennor Sternau?«

»Der ist fort,« antwortete sie.

»Und Büffelstirn, Bärenherz und die Anderen?«

»Sie sind auch fort.«

»Wohin?«

»Man weiß es nicht.«

»Sie müssen es aber ja gesagt haben, wenn sie die Hazienda auf einige Zeit verlassen haben.«

»Nein. Sie konnten es nicht sagen; sie wußten es ja selbst noch nicht. Sie sind der Josefa Cortejo nachgejagt.«

»Ist sie entkommen?«

»Ja. Doch hoffen wir, daß sie noch ergriffen wird.«

Sie erzählte in fliegender Eile so viel, als sie selbst wußte. Da kam auch Karja, die Indianerin. Sie ging mit Maria Hermoyes hinein zu Vater und Tochter, um den Ersteren zu begrüßen, während Juarez sich seinen Pflichten widmen mußte.

Auch Lindsay und Amy waren mitgekommen. Der Engländer stand eine halbe Stunde später mit Juarez in dem Zimmer, welches dieser für sich ausgesucht hatte, als der zweite Häuptling der Miztecas bei ihnen eintrat, mit Papieren in der Hand.

»Was bringt mein Bruder da?« fragte der Präsident.

»Briefe für Dich,« war die einsilbige Antwort.

»Von wem?«

»Von Sennor Sternau. Ein Mädchen hat sie ihm übergeben. Er ritt den Feinden nach und traf unterwegs dieses Mädchen. Ehe er weiter ritt, sandte er mir die Briefe für Dich.«

Es waren nicht eigentlich Briefe, sondern Emilia's Abschriften der geheimen Correspondenz des Paters. Der Miztecas entfernte sich wieder, Juarez aber unterwarf die Schreiben einer Durchsicht, welche zunächst eine schnelle und oberflächliche werden sollte. Aber bereits nach einigen Augenblicken bemerkte der Engländer die außerordentliche Spannung, welche sich auf dem eisernen Gesichte des Zapoteken ausdrückte. Er hütete sich daher, ihn zu stören.

Endlich steckte Juarez die Papiere ein.

»Verzeihung, Sennor,« bat er, »aber es war wirklich zu wichtig.«


// 2060 //

»Nachrichten von Sternau?«

»Nur durch ihn übersandt. Ich habe zu Ihnen bereits von jener Sennorita Emilia gesprochen; nicht?«

»Ihre Spionin?«

»Eigentlich möchte ich sie nicht so, sondern lieber meine Verbündete nennen. Ich habe ihr viel, sehr viel zu verdanken, und jetzt hat sie von Neuem einen Streich ausgeführt, wie nur sie ihn fertig bringt. Ich muß noch heut die Hazienda verlassen.«

»Ah! Wohin?«

»Ich gehe direct auf Durango los.«

»Das ist gewagt, außerordentlich gewagt.«

»Nein, nicht im mindesten. Ich habe hier Abschriften von Correspondenzen aus allen Heerlagern. Man wartet auf mich. Man wird mich glänzend empfangen. Man harrt blos auf mein Erscheinen, um loszuschlagen. Hier, lesen Sie, Sennor.«

Er gab ihm die Papiere hin, und der Engländer las sie durch.

»Können Sie sich auf die Wahrheit dieser Abschriften und der ihnen zu Grunde gelegenen Originale verlassen?« fragte er dann.

»Vollständig!«

»So sind diese Nachrichten allerdings außerordentlich wichtig und ebenso sehr erfreuend. Ja, Sie dürfen nicht zaudern; Sie dürfen keine Zeit verlieren, Sie müssen aufbrechen. Aber ich -«

»Sie ruhen sich aus und kommen mir nach, sobald Sennor Sternau wieder eingetroffen ist.«

»Sie glauben, daß er wieder zur Hazienda kommt?«

»Ganz gewiß. Er wird nicht ruhen, bis er Cortejo und dessen Tochter gefangen hat. Die Tragödie der Rodriganda's wird dann ausgespielt sein, und Sie können überzeugt sein, daß ich die Schuldigen einem zwar gerechten, aber möglichst strengen Umheile unterwerfen werde.«

Wie gesagt, so geschah es auch. Der Präsident verließ noch denselben Nachmittag die Hazienda wieder. Er nahm alle seine Truppen mit und ließ nur eine kleine Besatzung zurück, da hier Etappe sein sollte, um mit dem Nordosten des Landes in Verbindung bleiben zu können.

Es vergingen mehrere Tage, ohne daß Sternau zurückkehrte oder eine Nachricht von ihm und den Anderen eingetroffen wäre. Man begann, Sorge um sie zu tragen. Besonders waren es Amy Lindsay und Emma, welche ihren Befürchtungen gegenseitig Ausdruck gaben. Beide hatten ja die Geliebten unter Denen, welche so beharrlicher Weise nichts von sich hören ließen.

Mehrere Tage nach dem Abzuge des Präsidenten bewegte sich ein kleiner Reitertrupp von Norden her auf die Hazienda zu. Etwa zwanzig wohlbewaffnete Apachen begleiteten fünf Weiße, in welchen wir alte Bekannte wiederfinden. Es war nämlich Graf Ferdinando, die beiden Wiener Aerzte und Pepi und Zilli, die Mexikanerinnen.

»Dort liegt sie, die Hazienda,« sagte der Graf, mit der Hand nach dem Gebäude deutend. »Der Name del Erina ist mit dem der Rodriganda auf das In-


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nigste verwachsen. Ich schenkte die Besitzung meinem treuen Arbellez. Wie werde ich ihn wiederfinden.«

Der, von dem die Rede war, fühlte sich bereits stark genug, das Zimmer zu verlassen, doch hatte er dies noch nicht versucht. Er saß soeben mit seiner Tochter zusammen, um sich immer von Neuem ihre Erlebnisse erzählen zu lassen, da wurde die Thüre aufgerissen. Karja, die sonst so ruhige Indianerin kam förmlich herein geflogen.

»Er kommt,« rief sie.

»Wer?« fragten Beide zu gleicher Zeit.

»Don Ferdinando.«

»Wo?« fragte Arbellez, wie ein Knabe zum Fenster springend.

»Da, da sind sie schon,« antwortete sie.

Der Reiterzug hatte bereits die nächste Nähe der Hazienda erreicht.

»Don Ferdinando, mein Herr, mein lieber, guter Herr!« rief Arbellez.

Und noch waren die Worte nicht verklungen, so hatte er bereits das Zimmer verlassen und flog mit wahrhaft jugendlicher Schnelligkeit die Stufen der Treppe hinab. Als er den Hof erreichte, standen die Reiter im Begriff, abzusteigen. Der Graf stand bereits neben dem Pferde, von welchem man ihm geholfen hatte.

»Don Ferdinando,« rief der Haziendero.

»Petro, mein guter Petro Arbellez,« rief der Graf.

Allen Unterschied des Standes vergessend, flogen sie einander in die Arme. Bald aber glitt Arbellez auf seine Kniee nieder, küßte die Hände seines einstigen Gebieters und rief:

»Also wirklich. Sie sind nicht todt. Sie sind nicht gestorben gewesen. Sie leben und kehren zu uns zurück. O, mein Gott, welch ein Glück. Ich danke Dir, Du Vater im Himmel. Erst gabst Du mir mein Kind wieder und nun bringst Du mir auch noch den Herrn zurück. Nun habe ich lange genug gelebt, nun kann ich ruhig sterben.«

»O nein, nicht sterben,« sagte der Graf. »Wir wollen uns noch eine Spanne Zeit des Glückes erfreuen, nachdem wir eine halbe Ewigkeit so entsetzlich elend gewesen sind.«

Er zog ihn wieder zu sich empor und küßte ihn. Kein Auge blieb trocken. Diese beiden, weißhaarigen Greise bildeten eine Gruppe, welche zu ergreifend war, als daß ein Menschenkind hätte gleichgiltig bleiben können.

Natürlich wurde der Graf auch von den Anderen allen mit Jubel empfangen, und es dauerte lange, ehe das Gespräch sich in einem ruhigeren Gleise fortbewegte. Auch die beiden Aerzte und Mädchen wurden herzlich bewillkommnet, obgleich sie fremd waren und man augenblicklich über sie weiter nichts erfahren konnte, als daß der Graf für die Mädchen eine ganz besondere Aufmerksamkeit gezeigt habe.

Natürlich erkundigte man sich auch nach dem Fort Guadeloupe, und da hörte man denn, daß sich dort Alles wohl befinde. Resedilla hatte einen baldigen Besuch angekündigt, und der schwarze Gérard lag zwar noch immer fest, doch versicherten die beiden Aerzte mit aller Bestimmtheit, daß er seinen schweren Wunden nicht erliegen, sondern in Folge seiner kräftigen Natur und der vortrefflichen Pflege, welche er bei Resedilla fand, ohne allen Zweifel bald genesen werde.


// 2062 //

Das Vergangene war für den Augenblick vergessen und nur die Freude hatte Geltung. Niemand ahnte, daß ein neues und großes Unheil bereits im Anzuge sei.

Nämlich auf der Spur des Apachentruppes, bei welchem sich der Graf befunden hatte, ritten sechs Männer. Der Anführer war Manfredo, der Neffe des Paters Hilario, und seine Gefährten waren Diejenigen, welche mit Cortejo vom Berge el Reparo nach Santa Jaga geflohen waren. Der Pater hatte sie nun für sich geworben und nach Norden gesandt, um den Grafen aufzulauern, wenn er von Fort Guadeloupe nach der Hazienda reite.

»Verflucht!« sagte Manfredo. »Sie sind uns für jetzt entkommen! Wer hätte auch gedacht, daß zwanzig von diesen verdammten Rothhäuten dabei sein würden!«

»Hätten wir ihn ganz einfach aus der Ferne erschossen,« meinte Einer.

»Nein, das durften wir nicht. Mein Onkel will ihn lebendig haben.«

»Damit ist's nun aus. Sie werden die Hazienda bereits erreicht haben.«

»Ganz sicher. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich hole ihn aus der Hazienda.«

»Das ist unmöglich!«

»Meinst Du? Es ist sehr leicht. Ich werde Euch sagen, wie es anzufangen ist.«

Er gab ihnen die gehörige Instruction und dann ritten sie in das Land hinein, um sich irgendwo bis zum Abend zu verbergen. Aber bereits kurz vor der Dämmerzeit brach Manfredo auf, um die Hazienda aufzusuchen. Die Gefahr, dort von irgend Jemand erkannt zu werden, war nicht groß, da mit ihm ja Viele dagewesen waren und also das einzelne Gesicht unter so vielen keine große Beachtung gefunden hatte.

Auf del Erina angekommen, fragte er nach Sennor Arbellez.

»Er ist auf seiner Stube,« antwortete der Vaquero, welchen er gefragt hatte.

»Ich bin ja fremd hier. Wo ist diese Stube?«

Sie wurde ihm gezeigt. Als er eintrat, befand sich Don Ferdinando bei Arbellez.

»Was wollt Ihr?« fragte der Letztere.

»Ich bin der Sohn des Richters von Sombrerete,« antwortete er, »und habe Euch diesen Ring zu übergeben.«

Er gab den Ring hin. Der Graf sah ihn auch und sagte rasch:

»Das ist ja Mariano's Ring! Um Gottes willen, wo ist er her?«

»Ein Sennor Mariano hat ihn mir gegeben als Beglaubigungszeichen, wenn ich meine Botschaft ausrichte.«

»Ah, Gott sei Dank! Kein Unglück! Was habt Ihr für eine Botschaft?«

»Mehrere Sennores, unter denen zwei Rothe waren, gaben meinem Vater ein Weib als Gefangene in einstweilige Verwahrung. Sie mußten rasch wieder fort, aber Der, welcher Mariano genannt wurde, gab mir diesen Ring zur Beglaubigung und trug mir auf, zu sagen, Josefa sei ergriffen und bei meinem Vater gefangen, Pablo aber werde noch den nächsten Tag auch festgenommen werden.«


// 2063 //

Diese Kunde wurde geglaubt und verbreitete sich sehr rasch auf der Hazienda. Der Bote wurde verpflegt, genoß aber nicht viel, sondern begab sich sehr zeitig zur Ruhe.

Aber als alle Anderen schliefen, erhob er sich und schlich sich nach dem Zimmer des Grafen, welches er ausgekundschaftet hatte. Er war im Hause bekannt. Die Thüre war nicht von innen verriegelt. Er trat unhörbar ein. Der Graf schlief. Er versetzte ihm einen Hieb, der den Greis besinnungslos machte, band ihn dann, steckte ihm einen Knebel in den Mund und schlang ihm dann das Lasso unter den Armen hindurch. Dann öffnete er das Fenster und ließ den Gebundenen, wenn auch unter großer Anstrengung, am Lasso hinab. Da unten standen seine Gehilfen.

»Nun rasch fort!« flüsterte er hinunter. »Ihr wißt, wo ich Euch treffe.«

Er schloß das Fenster wieder und schlich sich auf sein Lager zurück. Hätte er gewußt, welche aus Härrär stammenden Reichthümer das Gepäck Don Ferdinando's enthielt, so hätte er wohl noch länger verweilt, um sich wenigstens einen Theil derselben anzueignen.

Mit Anbruch des Tages, als die Besatzung der Hazienda erwacht war, setzte er sich zu Pferde. Arbellez gab ihm eine Belohnung, da er den Grafen noch im tiefen Schlafe wähnte, dann jagte er davon.

»Gelungen, herrlich gelungen!« jauchzte er, als die Hazienda hinter ihm lag. »Sie werden diesen Grafen bis Mittag nicht belästigen, also früher gar nichts bemerken. Unser Vorsprung wird also groß genug sein. Ganz gewiß aber ist, daß sie mich nicht in Verdacht haben werden, denn sie sind dabei gewesen als ich fortritt. Der prachtvolle Diamant ist also nicht verloren, sondern wird nun sicher mir gehören.« -

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Viertes Kapitel.

In geheimer Mission.

Es war frischer Schnee gefallen, wie ihn der Jäger so sehr gern hat, weil sich da die Fährte des Wildes am Leichtesten erkennen und ablesen läßt. Nur noch einzelne Flocken wirbelten leise und träumerisch hernieder und setzten sich in glitzernden Sternchen an die Zweige der Tannen und Kiefern, welche die beiden Seiten der Straße besäumten, die von Mainz nach Rheinswalden führt.

Der Wintertag begann zu dämmern; aber trotz dieser frühen Morgenstunde gab es doch bereits ein menschliches Wesen, welches auf dieser Straße dahergeschritten kam.

Es war ein Mann, dessen äußere Erscheinung eine höchst eigenthümliche genannt werden mußte. Die heut herrschende Kälte schien auf ihn gar keinen Eindruck zu machen, obgleich seine Kleidung eine sommerlich ganz und gar leichte war. Er trug Schuhe oder vielmehr Halbstiefel von einer in dieser Gegend ganz und gar fremden Facon und Arbeit, kurze, blaue und sehr weite Leinwandhosen, welche hier und da zerrissen waren, eine eben solche Jacke, die ihm viel zu klein und zu eng zu sein schien, und auf dem Kopfe eine Mütze, welche früher jeden-


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falls einen Schirm gehabt hatte, jetzt aber an allen Nähten aufgeplatzt war. Die Jacke war offen, so daß man ein Hemde sehen konnte, welches ganz sicher Monate lang nicht gewaschen gewesen war, und, vorn nicht geschlossen, eine völlig nackte Brust sehen ließ, welche, dicht behaart, ein Aussehen hatte, als ob sie Jahre hindurch allen Winden und Wettern ausgesetzt gewesen sei. Um den langen hagern Hals schlang sich ein altes Taschentuch, von welchem sich nicht bestimmen ließ, welche Farbe es früher einmal gehabt haben mochte, und zwischen Hose und Jacke wand sich als Gürtel ein Shawl um den Leib, der seit einem Jahrhunderte zu allem Möglichen gedient zu haben schien. Auf dem Rücken trug dieser Mann einen ziemlich großen und wohlgefüllten Leinewandsack, und über die linke Schulter hing ihm ein alter, langer Lederschlauch, dessen Bestimmung ein Uneingeweihter wohl schwerlich errathen haben würde.

Das Sonderbarste an diesem Manne aber war sein Gesicht. Es war hager und von der Sonne und der Witterung hart und tief dunkel gegerbt. Sein breiter Mund hatte beinahe keine Lippen; die kleinen Augen blickten mit einer außerordentlichen Schärfe und Sicherheit unter den Lidern hervor, und die Nase, ja, diese Nase war fast ungeheuerlich zu nennen. Sie besaß eine Dimension, zufolge deren man sie eher einen Schnabel als eine Nase hätte nennen mögen.

Der Fremde folgte eben einer Krümmung der Straße, als er bemerkte, daß er nicht der einzige Wandersmann sei; denn eine kurze Strecke vor ihm schritt ein kleines, hageres Männchen desselben Weges dahin.

»Well, ein Menschenkind,« murmelte der Fremde. »Das ist mir lieb, denn ich calculire, daß er hier bekannt sein wird und mir also Auskunft geben kann. Ich werde ihn rasch einholen.«

Seine Schritte wurden nach diesen Worten rascher und länger. Man sah ganz und gar nicht, daß ihn dies eine Anstrengung gekostet hätte; aber ein Pferd hätte doch Trab laufen müssen, um in dieser Weise mit ihm fortkommen zu können. Dabei wurden seine Schritte durch den Schnee so gedämpft, daß der Vorangehende seine Anwesenheit nicht eher bemerkte, als bis er angerufen wurde.

»Good morning, Sir,« rief der Fremde und fuhr in einem ziemlich gebrochenen Deutsch fort: »Wohin geht diese Straße, Freund?«

Der Angerufene drehte sich rasch um, fuhr aber bei dem Anblicke des Sprechenden erschrocken zurück, denn dieser glich eher einem Vagabunden als einem ehrlichen Manne.

»Nun, warum antworten Sie nicht?« fragte der Fremde barsch.

Diese Frage brachte das Männchen zu sich. Er schien einzusehen, daß es sehr gerathen sei, mit einem solchen Strolche möglichst höflich zu sein.

»Guten Morgen,« antwortete er. »Diese Straße geht nach Rheinswalden.«

»Sind Sie dort bekannt?«

»Ja.«

»Wohnen Sie vielleicht dort?«

»Nein.«

»Was sind Sie denn eigentlich?« fragte der Fremde mit einem forschenden Blicke auf den anderen.

»Thierarzt,« antwortete dieser.


Ende der sechsundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk