Lieferung 91 | Karl May |
14. Juni 1884 |
Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.
Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft
von
Capitain Ramon Diaz de la Escosura.
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Anderen. Meine Sachen bleiben also hier. Aber neugierig bin ich doch, was er für Augen machen wird, wenn ein so gekleideter Kerl Audienz bei ihm verlangt.«
Er schaffte seine Habseligkeiten in das Schlafzimmer. Dieses verschloß er und zog den Schlüssel ab, welchen er zu sich steckte.
»Dieses Volk braucht während meiner Abwesenheit nicht zu erfahren, was in meinem Sacke steckt,« brummte er. »Der Kellner hat bereits genug gesehen. Und haben sie hier einen Hauptschlüssel, so habe ich meine Schraube.«
Er zog aus der Tasche eine jener amerikanischen, patentirten Sicherheitsschrauben, mit denen man das Schlüsselloch verschließen kann, ohne daß es einem Zweiten gelingt, sie wieder zu entfernen. Er drehte die Schraube in das Loch, bis auf einen Druck die Feder vorsprang, dann verließ er das Zimmer und stieg die Treppe hinab.
Es war eigenthümlich zu nennen, daß er nicht bemerkt wurde; aber das ganze Personal war in der Küche versammelt, um das hochwichtige Ereigniß zu besprechen. Sie glaubten ihn sicher beim Frühstücke und hatten keine Ahnung von der Schnelligkeit, mit welcher ein Prairiejäger die größten Quantitäten eines Mahles verschwinden läßt.
So kam er ungesehen aus dem Hause und schlug nun den Weg ein, welchen ihm die Kellnerin beschrieben hatte. Es wurde zwar einige Male nothwendig, sich zu erkundigen, aber er erreichte doch glücklich und unbelästigt sein Ziel. Der Großstädter, selbst der großstädtische Schulbube hat keine Lust, dem ersten besten Menschen, der sich auffallend kleidet, nachzulaufen.
Er sah den Portier, welcher am Thore stand, trat vertraulich zu ihm heran und fragte:
»Nicht wahr, hier ist Bismarcks Wohnung?«
»Ja,« antwortete der Cerberus, indem er den Frager mit lustigem Lächeln musterte.
»Eine Treppe hoch?«
»Ja.«
»Ist der Master zu Hause?«
»Master? Wer?«
»Na, Bismarck!«
»Sie meinen Seine Gnaden, den Grafen von Bismarck Excellenz?«
»Ja; ich meine den Grafen, Seine Gnaden, die Excellenz und auch Bismarck selbst.«
»Ja, er ist zu Hause.«
»Na, da treffe ich es also gut.«
Er wollte an dem Portier vorüber, dieser aber faßte ihn am Arme und fragte:
»Halt! Wo soll es denn hingehen?«
»Na, zu ihm natürlich!«
»Zu Seiner Excellenz?«
»Natürlich!«
»Das geht nicht!«
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»So? Ach? Warum denn nicht?«
»Sind Sie bestellt worden?«
»Ich weiß nichts davon.«
»In welcher Angelegenheit kommen Sie?«
»Das wird er erfahren, sobald ich bei ihm bin.«
»Ah!« lachte der Portier. »Sie denken wohl, mit der Excellenz zu sprechen, das sei ganz dasselbe, als wenn man zu seinem Schneider geht?«
»Ja. Ich kenne Schneider, die auch ganz excellent sind.«
»Aber eine Excellenz ist darum noch kein Schneider.«
»Meinetwegen. Ich bitte Sie, mich Passiren zu lassen. Meine Angelegenheit ist sehr wichtig.«
»So müssen Sie den gewöhnlichen, vorgeschriebenen Dienstweg gehen.«
»Dienstweg, was ist das?«
»Da muß ich erst wissen, in welcher Angelegenheit Sie kommen. Ist es eine Privatsache, eine diplomatische oder sonstwie?«
»Es wird wohl eine »sonstwie« sein.«
»Na,« meinte der Portier jetzt ernster, »wenn Sie denken, daß ich nur vorhanden bin, damit Sie sich mit mir einen Scherz machen können, da irren Sie sich. Wenn Sie »sonstwie« kommen, da gehen Sie nur immerhin auch »sonstwo« hin. Wir sind fertig.«
Geierschnabel nickte ihm vertraulich zu.
»Das denke ich auch,« meinte er freundlich. »Ich hätte auch keine Zeit gehabt, Sie weiter zu belästigen. Adieu!«
Aber anstatt fortzugehen, wendete er sich dem Inneren des Gebäudes zu.
»Halt!« rief der Portier abermals. »So war das nicht gemeint!«
»Wie denn?«
»Sie dürfen nicht passiren.«
»Ich werde Ihnen das Gegentheil beweisen.«
Er faßte den Mann an und schob ihn zur Seite. Er hatte aber noch nicht fünf Schritte gethan, so hielt ihn der Portier abermals fest.
»Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie sich entfernen sollen!« rief er.
»Das thue ich ja auch,« meinte Geierschnabel.
»Ich meine aber auswärts.«
»Und ich meine einwärts.«
»Gehen Sie nicht gutwillig, so brauche ich mein Recht!«
»Und ich meine Hände.«
»Sie werden wegen Hausfriedensbruch arretirt!«
»Möchte Den sehen, der das fertig brächte! Machen Sie nun endlich Platz!«
Dabei faßte er den Portier, schob ihn zur Seite und erreichte die Treppe, ehe es dem Bediensteten gelang, ihn abermals festzuhalten. Es hätte sich jetzt ein viel heftigerer Wortwechsel entsponnen, wenn nicht ein Herr erschienen wäre, welcher zur Treppe herabkam und die kleine Balgerei bemerkte. Er trug einen einfachen Uniformrock und die Mütze auf dem grauen Haupte. Sein Gang war fest und sicher, seine Haltung militärisch stramm, aber in seinem Gesichte lag ein
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Zug herablassenden Wohlwollens und sein Auge blickte mit einer Art freundlicher Mißbilligung auf die beiden Männer, welche sich hin und her zogen und schoben.
Der Portier ließ beim Anblick des Mannes seinen Gegner sofort los und stellte sich in Achtung. Geierschnabel bemerkte das nicht; er benutzte diesen Augenblick der Freiheit zu zwei raschen Schritten, mit denen er gleich drei und drei Stufen auf einmal nahm, so daß er nun auf einer und derselben Stufe mit dem herabsteigenden Herrn zu stehen kam. Dann rückte er mit der Hand an dem Hute und sagte:
»Good morning, alter Herr! Können Sie mir wohl sagen, in welcher Stube ich die Excellenz von dem Minister Bismarck finde?«
Der »alte Herr« besah sich den Frager. Sein Schnurrbart zuckte ein wenig und dann fragte er:
»Sie wollen mit Excellenz sprechen?«
»Ja.«
»Wer sind Sie?«
»Hm. Das darf ich nur der Hoheit dieses Ministers sagen.«
»So. Sind Sie bestellt worden?«
»Nein, my old master!«
»Dann werden Sie sich wohl unverrichteter Sache entfernen müssen.«
»Das geht nicht. Meine Sache ist sehr wichtig.«
»So, so. Eine Privatsache?«
Der »old master« machte doch einen nicht gewöhnlichen Eindruck auf den Prairiemann. Einem Anderen hätte dieser keine Antwort gegeben, hier aber meinte er:
»Eigentlich brauche ich das Ihnen nicht zu sagen; aber Sie haben so ein Stück von einer Art von Gentleman an sich und da will ich nachsichtig sein. Nein, es ist keine Privatangelegenheit.«
»Was sonst für eine?«
»Ja, weiter kann ich wirklich nichts entdecken.«
»Ist es denn gar so ein großes Geheimniß?«
»Das versteht sich.«
»Haben Sie denn keinen Herrn, der Sie bei Seiner Excellenz einführen oder anmelden könnte?«
»Das schon. Aber er ist nicht hier. Er kommt erst später und ich wollte nicht länger warten.«
»Wer ist diese Person?«
»Eine Person ist es nicht, sondern ein Gardehusarenoberlieutenant.«
»Ah! Wie heißt er?«
»Curt Helmers.«
Ueber das milde Gesicht des »alten Herrn« ging ein rasches Zucken.
»Den kenne ich,« sagte er. »Er will nach Berlin kommen, um Sie dem Grafen von Bismarck zu melden?«
»Ja.«
»Aber ich denke, er befindet sich auf der Reise.«
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»Er wollte fort. Da traf ich ihn in Rheinswalden und er erfuhr dabei Einiges, was ihm werth erschien, daß es der Minister erfahre.«
»Ist das so, so werde ich an Stelle des Lieutenants treten und Sie einführen, wenn Sie mir sagen wollen, wer Sie sind.«
»Hier nicht. Hier hört es dieser Dummkopf von Portier.«
»So kommen Sie,« meinte der Mann lächelnd, indem er wieder umkehrte und voranschritt.
Sie erreichten ein Vorzimmer, in welchem sich ein Diener befand. Dieser wollte bei ihrem Erscheinen sich in eine demüthige Positur werfen, aber der Begleiter Geierschnabels verbot ihm dies durch einen heimlichen Wink.
»Nun, hier sind wir unter uns,« sagte er. »Jetzt können Sie sprechen.«
»Aber hier steht doch abermals so eine Salzsäule.«
Dabei deutete Geierschnabel auf den Diener. Der Herr gab demselben einen zweiten Wink, worauf er sich zurückzog.
»Also jetzt,« sagte der Führer in einem Tone, in welchem sich einige Ungeduld aussprach.
»Ich bin Prairiejäger und Dragonercapitän der Vereinigten-Staaten, mein alter Freund.«
»So, so. Ist das, was Sie da tragen, die Uniform der Vereinigten-Staaten-Armee?«
»Nein. Wenn Sie das für eine Uniform ansehen, so müssen Sie verteufelt wenig militärische Ansichten haben. Na, Alter, das ist ja auch gar nicht nothwendig. Ich bin nämlich ein etwas wunderlicher Heiliger; ich mache mir gern einen Spaß und da habe ich mir diesen Anzug über das Fell gehängt, um meine Lust an den Maulaffen zu haben, die mich anstaunen.«
»Das ist ein eigenthümlicher Sport! Wenn ich Sie hier einführen soll, so möchte ich aber doch vorher wissen, welcher Gegenstand es ist, den Sie mit Excellenz verhandeln wollen.«
»Das ist ja eben das Ding, welches ich nicht verrathen darf.«
»Dann werden Sie auch keinen Zutritt finden. Uebrigens können Sie mir getrost Alles sagen, was Sie dem Grafen mittheilen wollen. Er hat kein Geheimniß vor mir.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»So sind Sie wohl so etwas wie Ordonnanz oder vertrauter Adjutant bei ihm?«
»Man könnte es beinahe so nennen.«
»Na, so will ich es wagen. Ich komme aus Mexiko.«
Das Gesicht des alten Herrn nahm sofort den Ausdruck großer Spannung an.
»Aus Mexiko?« fragte er. »Haben Sie dort gejagt, oder sind Sie Combattant gewesen?«
»Beides, mein alter Freund. Zunächst war ich Führer eines Englishman, welcher Waffen und Geld zu Juarez brachte -«
»Lord Lindsay?«
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»Ja. Sie kennen ihn?«
»Ja. Sie sind mit ihm gereist?«
»Den Rio Grande del Norte hinauf, bis wir Juarez fanden.«
»So haben Sie Juarez gesehen?«
Man sah es dem Sprecher an, daß er dem Gespräche jetzt mit dem allergrößten Interesse folgte.
»O, täglich. Ich bin bis vor meiner Abreise nach Deutschland bei ihm gewesen. Wir trafen in Fort Guadeloupe mit ihm zusammen, nämlich der Graf von Rodriganda, Sternau, Helmers - aber da schwatze ich von Leuten, die Sie ja gar nicht kennen!«
»Rodriganda? Sternau? Helmers? Wer ist dieser Sternau?«
»Der Mann der Gräfin Rosa de Rodriganda.«
»Den? Den haben Sie getroffen?«
»Ja freilich. Kennen Sie ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. Aber warum kommen Sie nach Deutschland?«
»Juarez hat mich gesandt, um mit Sternau's Verwandten zu sprechen. Habe ich Ihnen so viel gesagt, so kann ich Ihnen auch meine Legitimationen zeigen. Hier sind sie.«
Er zog seine Papiere hervor und überreichte sie ihm. Der Herr überflog sie rasch, musterte den Mann dann noch einmal und sagte:
»Es muß wirklich eigenthümliche Leute da drüben geben - -«
»Hier auch,« unterbrach ihn der Jäger.
»Davon später. Ich werde Sie jetzt dem Grafen vorstellen, denn - -«
Er wurde abermals unterbrochen, denn die Thüre öffnete sich und unter derselben erschien Bismarck in eigner Person. Er hatte die lauten Stimmen der beiden Sprechenden vernommen, und da er sich durch dieselben gestört fühlen mochte, so hatte er selbst nachsehen wollen, wer sich da unterhalte. Als er die Beiden erblickte, zeigte sein Gesicht ein, allerdings rasch unterdrücktes Erstaunen.
»Wie, Majestät befinden sich wieder hier?« fragte er, indem er sich mit einer tiefen Verneigung an den alten Herrn wendete.
»Majestät?« rief da Geierschnabel schnell. »Kreuzdonnerwetter!«
Bismarck blickte ihn beinahe erschrocken an. Der »Majestät« Genannte aber nickte ihm freundlich zu und sagte:
»Sie brauchen nicht zu erschrecken.«
»Das fällt mir auch gar nicht ein,« antwortete Geierschnabel, »aber wenn dieser Master Sie Majestät nennt, so sind Sie wohl gar - -«
»Nun, wohl gar - -«
»Der König von Preußen?«
»Ja, der bin ich allerdings.«
»Alle Teufel. Was bin ich da für ein Esel gewesen. Aber wer hätte das auch denken können. Kommt dieser alte, brave Herr so still und schmauchend die Treppe herab, fragt mich nach hier und dort, und ist der König von Preußen in eigener Person. Na, Geierschnabel, für was für einen Dummkopf wird Dich da dieser König halten.«
»Geierschnabel? Wer ist das?« fragte da der König.
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»Das bin ich selbst. In der Prairie hat nämlich ein Jeder seinen Beinamen, durch welchen er am Besten kenntlich wird. Dem Kerl, der mir den meinigen gegeben hat, hat es eben meine Nase angethan. Aber, Majestät, wer ist denn dieser Herr hier?«
»Kennen Sie ihn nicht?«
»Nein. Habe nicht das Vergnügen.«
»Es existiren aber so viele Porträts von ihm.«
»Ich handle nicht mit alten Bildern. Kerl selbst ist Kerl selbst. Was thue ich mit einem Porträt.«
»Nun, es ist der Herr, zu dem Sie wollten.«
Da machte Geierschnabel den Mund auf, trat einen Schritt zurück und fragte:
»Was? Der ist Bismarck? Wirklich?«
»Ja.«
»Na, den habe ich mir ganz anders vorgestellt!«
»Wie denn?«
»Klein, dünn und dürftig, wie so einen echten, rechten pfiffigen Federfuchser. Aber eine größere Figur schadet auch nichts, im Gegentheile, sie macht Eindruck und Respect. Ich bitte Eure Majestät, dem Master Minister zu sagen, wer ich bin.«
Der König reichte dem Grafen lächelnd die Dokumente Geierschnabels entgegen. Bismarck überflog sie, ein durchdringender Blick fiel dann auf den Jäger, und dann sagte er:
»Kommen Sie, Capitän.«
Er trat unter Vorantritt des Königs in sein Cabinet zurück, und Geierschnabel folgte. Der Diener, welcher einige Augenblicke später in das Vorzimmer zurückkehrte, bemerkte an den lauten, oft wechselnden Stimmen, daß da drinnen ein sehr animirtes Gespräch geführt werde. Der Inhalt desselben aber war nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt. -
Als der Wirth des Gasthauses von der Polizei zurückkehrte, erkundigte er sich sofort nach seinem Gaste.
»Er ist doch noch oben?« fragte er.
»Ja,« antwortete der Oberkellner.
»Er ißt noch?«
»Jedenfalls.«
»Er darf das Haus nicht eher verlassen, als bis die Polizei erscheint.«
»So werde ich mich hinauf in den Corridor postiren.«
»Nein, das übernehme ich selbst,« meinte der Wirth. »In solchen wichtigen Dingen kann man nicht sorgfältig genug sein.«
Er stieg wirklich selbst die Treppe hinauf und ließ sich auf einen Stuhl nieder, welcher auf dem Corridore stand. Er ahnte nicht, daß der Misse- und Attentäter das Zimmer bereits verlassen habe.
Es war nicht viel über eine Viertelstunde vergangen, als die Polizei erschien. Dieses Mal wurden viel sorgsamere Sicherheitsmaßregeln getroffen, als damals bei der mißlungenen Arretur des sogenannten Capitän Parkert.
Hüben am Hause und gegenüber auf dem Trottoire postirten sich Detectives, welche scheinbar harmlos auf und ab spazierten, aber die Fenster und die Thür
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des Gasthauses keinen Augenblick aus dem Auge ließen. Der Flur des Hauses und der Hof wurden besetzt, und eine Droschke hielt an der nächsten Ecke, bereit, auf den ersten Wink herbeizukommen, um den Arrestanten aufzunehmen.
Einer der gewiegtesten Criminalbeamten ging in Begleitung noch zweier Collegen hinauf, um sich des Gesuchten zu bemächtigen.
»Ist er noch da?« fragte er leise den Wirth.
»Ja. Er hat sich nicht sehen lassen,« lautete die Antwort.
»Wo?«
»Nummer Eins, dort.«
»Hat er nicht nach Bedienung geklingelt?«
»Kein einziges Mal.«
»So soll er bedient werden, ohne geklingelt zu haben.«
Er schritt mit seinen Assistenten auf die bezeichnete Thür zu. Der Oberkellner wurde durch die Neugierde herbeigetrieben, aber sein Prinzipal warnte ihn:
»Wagen Sie sich nicht zu weit hinan.«
»So gefährlich wird es doch wohl nicht sein.«
»Was verstehen Sie von der Gefährlichkeit so einer Höllenmaschine, zumal in Posaunenform. So etwas ist ja noch gar nicht dagewesen.«
Da kehrte der Criminalbeamte noch einmal zum Wirthe zurück.
»Sie haben erzählt,« sagte er, »daß der Mann mit ihrem Mädchen gesprochen habe?«
»Ja.«
»Wo ist sie?«
»In der Küche.«
»Ich halte es für gerathener, daß sie zunächst einmal hineingeht.«
»Sapperlot. Wenn er sie erschießt.«
»Wird ihm nicht einfallen. Uns könnte es eher passiren, sofort eine Kugel zu bekommen. Das Mädchen aber hat Behelf genug, bei ihm einzutreten, ohne seinen Verdacht zu erwecken. Sie kann uns dann sagen, wie sie ihn getroffen hat.«
»Holen Sie sie herauf.«
Diese letzteren Worte des Wirthes wurden dem Kellner zugeflüstert. Dieser eilte hinab und brachte das Mädchen, welches instruirt wurde und sich darauf der Thür Nummer Eins näherte.
Als sie auf wiederholtes Klopfen keine Antwort erhielt, trat sie ein. Die Zurückbleibenden mußten eine ziemliche Zeit auf ihr Erscheinen warten. Als sie endlich zurückkam, drückten ihre Gesichtszüge eine gewisse Besorgniß aus.
»Nun?« flüsterte der Beamte. »Was thut er?«
»Ich weiß es nicht,« antwortete sie.
»Sie haben ihn doch gesehen?«
»Nein. Er war nicht im Zimmer und nicht im Vorzimmer.«
»Giebt es noch ein Schlafzimmer dazu?«
»Ja.«
»So war er dort?«
»Jedenfalls. Aber er hatte es verschlossen.«
»Vielleicht schläft er. Haben Sie nicht geklopft?«
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»Doch. Aber ich erhielt keine Antwort.«
»Er ist vielleicht sehr ermüdet gewesen und schläft in Folge dessen so fest, daß er nicht erwacht ist.«
»Ich habe so stark geklopft, daß ein Schlafender erwachen muß, wenn er nicht todt ist.«
»Wo hat er seine Sachen?«
»Er hat sie mit in das Schlafzimmer genommen.«
»Vielleicht arbeitet er an seinem Apparate und thut nur so, als ob er schlafe. Kommen Sie mit, Fräulein. Sie sollen ihm Antwort geben, wenn ich klopfe.«
Die Polizisten traten leise ein und das Mädchen mit ihnen in das Wohnzimmer. Auf dem Tische im Letzteren stand noch das Geschirr mit den Speiseresten.
»Klopfen Sie!« befahl der Criminalist leise.
Das Mädchen gehorchte, aber es ließ sich kein Geräusch vernehmen. Sie klopfte stärker, doch mit demselben Mißerfolge.
»Herr Capitän,« rief sie endlich.
Es ließ sich auch jetzt keine Antwort vernehmen.
»Ich werde es selbst versuchen,« meinte der Beamte.
Er trat zur Thür und donnerte mit beiden Fäusten an dieselbe. Keine Antwort. Jetzt überzeugte er sich zunächst durch einen Blick auf die Straße, daß das Haus scharf bewacht sei. Dann klopfte er abermals und rief mit lauter Stimme:
»Im Namen des Gesetzes. Oeffnen Sie!«
Abermals keine Antwort.
»So müssen wir selbst öffnen. Geben Sie den Dietrich her.«
Einer seiner Untergebenen zog das verlangte Werkzeug hervor. Der Criminalbeamte bog sich zum Schlüsselloch herab, um dasselbe zu untersuchen.
»Sakkerment,« rief er, »es ist verstopft.«
»Er hat den Schlüssel stecken?« fragte der Eine.
»Nein. Er hat von hier aus etwas hineingesteckt.«
»So wäre er ja gar nicht drin.«
»Wie es scheint nicht.«
Es untersuchte jetzt Einer nach dem Anderen das Schloß, und es fand sich da allerdings, daß ein stählerner Gegenstand im Schlosse steckte, welcher nicht entfernt werden konnte.
»Er ist fort,« meinte einer der Polizisten.
»Entwichen, entkommen,« der Andere.
»O nein, sondern noch schlimmer,« behauptete ihr Vorgesetzter. Und sich an das Mädchen wendend, fragte er: »Er hat zu Ihnen gesagt, daß er zu Bismarck wolle?«
»Ja.«
»Hat er nichts verlauten lassen über die Absicht dabei?«
»Kein Wort.«
»Ich hörte, daß er sich eines verdächtigen Ausdrucks bedient habe. Wie lautete derselbe?«
»Er meinte, daß er nicht viel Federlesens machen werde.«
»So ist er fort. Er hat sich fortgeschlichen, und es ist Gefahr im Verzuge.
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Folgen Sie mir, meine Herren. Wir müssen sofort zu Bismarck. Dieses Haus aber bleibt unter Bewachung.«
Der Wirth wollte es nicht glauben, daß der Fremde seine Appartements verlassen habe; aber es stellte sich sehr bald heraus, daß die bediensteten Geister sich während der Abwesenheit ihres Prinzipals in der Küche befunden hatten. So war es dem Amerikaner möglich gewesen, sich davon zu schleichen.
Die Polizisten winkten die Droschke herbei, stiegen ein und fuhren so schnell, wie das Pferd nur laufen konnte, davon.
Kaum waren sie fort, so hielt eine andere Droschke vor der Thür. Der junge Mann, welcher aus derselben stieg, war kein Anderer als Curt Helmers. Er hatte keine Ahnung davon, was geschehen war; er ahnte auch nicht, daß viele der Passanten, welche die Straße auf- und abschritten, verkleidete Polizisten seien, welche den Gasthof bewachten. Er trat in die Gaststube und ließ sich von dem jetzt da anwesenden Kellner, welcher ihn nicht kannte, ein Glas Bier geben.
Einige Minuten später trat die Kellnerin herein. Sie erblickte ihn und erkannte ihn sogleich. Er nickte ihr grüßend zu, und sie trat zu ihm an den Tisch. In ihren Zügen drückte sich theils Erstaunen und theils Besorgniß aus.
»Sie hier, Herr Lieutenant,« sagte sie. »So ist es also doch wahr.«
»Was?« fragte er. »Daß Sie hierher kommen wollten.«
»Allerdings. Aber woher wissen Sie das?«
»Ein Fremder sagte es, der jetzt arretirt werden soll.«
»Arretirt? Warum?«
»Er beabsichtigt ein Attentat.«
»Was Sie da sagen. Was für ein Attentat?«
»Mit einer Höllenmaschine.«
»Um Gotteswillen!« sagte Curt, der immer noch nicht ahnte, daß hier von Geierschnabel die Rede sei.
»Ja, das ganze Haus ist bewacht, und die Polizei ist bereits zu Bismarck geeilt.«
»Zu Bismarck? Warum zu diesem?«
»Weil das Attentat gegen ihn gerichtet sein soll.«
»Das wäre ja gräßlich! Wer ist der Kerl?«
»Der amerikanische Capitän, welcher Sie hier erwartet.«
Erst jetzt erschrak Curt.
»Was Sie sagen. Wie heißt er?«
»William Saunders.«
»Den kenne ich nicht.«
Das war allerdings wahr. Der Amerikaner hatte sich in Rodriganda doch nur als Geierschnabel eingeführt.
»Er sagte aber, daß er Sie kenne!« meinte das Mädchen.
»So hat er gelogen. Wie ging er gekleidet?«
Die Kellnerin beschrieb die Kleidung Geierschnabels.
»Ich kenne ihn wirklich nicht,« wiederholte Curt.
»Er behauptete aber doch, daß Sie hier mit ihm zusammentreffen wollten.«
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Das frappirte Curt. Darum fragte er:
»Hatte der Mann in seinem Aeußeren nicht etwas, woran er sehr leicht zu erkennen wäre?«
»Ja.«
»Was?«
»Eine fürchterliche Nase.«
Jetzt erbleichte er.
»Wäre es möglich!« sagte er. »Der Mann sprach einen fremden Dialect?«
»Ja.«
»Und die Polizei sucht ihn wirklich?«
»Ja. Mein Herr hat ihn angezeigt. Er will Bismarck ermorden. Er hat vielerlei Waffen und auch eine Höllenmaschine bei sich.«
»Unsinn! Der reine Unsinn.«
»Nein, es ist die Wahrheit, Herr Lieutenant.«
»Also er ist zu Bismarck?«
»Ja.«
»Und die Polizei ist auch hin? Hinter ihm her?«
»Ja.«
»So gilt es, keinen Augenblick zu verlieren. Ich muß ihm nach.«
Er sprang auf und eilte zur Thür hinaus. Seine Droschke war bereits fort; aber er fand sogleich eine zweite, welche in größter Geschwindigkeit mit ihm davonrasselte.
Mittlerweile war Geierschnabels Unterredung mit den beiden hohen Herren beendet. Er hatte den Befehl erhalten, nach Curts Eintreffen denselben sofort zu Bismarck zu schicken und dann zu warten, was ihm von Seiten des Ministers zugehen werde.
Jetzt schlenderte er, innerlich seelenvergnügt durch die Straßen dahin. Er hatte zwar einen anderen Weg eingeschlagen, als den Herweg, aber bei seinem ausgebildeten Ortssinne war ja ein Verirren eine Unmöglichkeit. So erreichte er die Straße, in welcher sein Gasthof lag, auf den er langsam zusteuerte.
»Will doch sehen,« murmelte er vor sich hin, »was dieser Lieutenant sagen wird, wenn ich ohne ihn bereits bei Bismarck gewesen bin. Ja, Geierschnabel ist ein Saukerl. Dem thut es so leicht kein Zweiter nach.«
Da trat ihm ein Herr entgegen, griff grüßend an die Hutkrämpe und fragte:
»Sie entschuldigen. Haben wir uns nicht bereits gesehen?«
Der Angeredete war ärgerlich darüber, in seinem wohlthuenden Gedankengange gestört worden zu sein. Darum antwortete er in einem ziemlich barschen Tone:
»Ich wüßte doch nicht, wo!«
»Drüben!«
»Wo, drüben?«
»In den Vereinigten Staaten.«
»Was gehen mich die Staaten an.«
»Aber Sie sind doch Vereinigter-Staaten-Offizier!«
»Das geht wieder Sie nichts an.«
»Logiren Sie nicht im Gasthofe zur Stadt Magdeburg?«
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»Pchtichchchchch!« spritzte ihm der Gefragte einen dicken Strahl Tabakssaftes entgegen.
»Donnerwetter! Nehmen Sie sich in Acht,« rief der Geheimpolizist. »Wenn Sie primen, so brauchen Sie meinen Ueberzieher doch nicht für das Trottoir anzusehen.«
»Gehen Sie fort! Ich brauche Sie nicht!«
Der Polizist trat wirklich von ihm zurück und ließ ihn unbehelligt weiter gehen. Aber Geierschnabel merkte nicht, daß fünf bis sechs ähnliche Herren jeden seiner Schritte scharf bewachten.
Er erreichte den Gasthof und trat zunächst in das allgemeine Gastzimmer. Hinter ihm traten seine Wächter ein, welche er für gewöhnliche Gäste hielt. Der, welcher ihn bereits auf der Straße angesprochen hatte, trat an seinen Tisch und sagte:
»Sie erlauben mir, das begonnene Gespräch fortzusetzen?«
»Scheeren Sie sich zum Teufel,« brummte Geierschnabel.
»Das werde ich bleiben lassen! Wenn Einer von uns zum Teufel gehen soll, so werde ich es nicht sein.«
Der Jäger blickte ihn erstaunt an.
»Heda, Bursche, willst Du Dich etwa an mir reiben?« fragte er.
»Vielleicht,« lachte der Andere überlegen.
»Na, so komm heran. Da kannst Du ganz gewaltige Prügel bekommen!«
»Das will ich bezweifeln. Kennen Sie dieses Ding?«
Er griff in die Tasche und zog eine Medaille heraus, welche er Geierschnabel vor die Augen hielt.
»Packe Dich mit Deinem Gelde!« rief der Jäger. »Bringst Du mir Deine Pranke noch einmal so nahe unter die Nase, so sorge ich dafür, daß es nicht zum zweiten Male geschieht!«
»Ah! Sie kennen also diese Medaille nicht?«
»Geht mich nichts an.«
»O, sie geht Sie allerdings sehr viel an. Diese Medaille ist meine Legitimation. Verstanden?«
»Mir egal. Ich pflege mich durch Ohrfeigen zu legitimiren, wenn mir Einer zu lange lästig wird.«
»Sie scheinen mich noch immer nicht zu verstehen. Ich bin nämlich Beamter der hiesigen Polizei.«
Erst jetzt wurde Geierschnabel aufmerksam. Er blickte sich im Zimmer um und ahnte nun sogleich, daß er es hier mit lauter Detectives zu thun habe.
»So. Polizist sind Sie?« meinte er. »Schön. Aber warum sagen Sie gerade mir das?«
»Weil ich mich außerordentlich für Sie interessire. Ich fordere Sie auf, mir auf die Fragen, welche ich Ihnen jetzt vorlegen werde, eine wahrheitsgetreue Antwort zu geben.«
Geierschnabel ließ seinen Blick abermals im Kreise umherschweifen, dann meinte er gleichmüthig:
»Ihr Deutschen seid doch ein verdammt sonderbares Volk!«
»Ah! Wieso?«
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»Niemand ist so auf's Arretiren erpicht, wie Ihr.«
»So? Finden Sie das?«
»Donnerwetter, ja, ich finde das sehr, und zwar zu meinem eigenen Schaden. Seit gestern früh ist dies nun bereits das dritte Mal, daß ich arretirt werden soll!«
»Sie ahnen, daß Sie arretirt werden sollen?«
»Das müßte ja ein jedes Kind sehen.«
»Und Sie waren also gestern bereits zweimal arretirt?«
»Ja.«
»Und sind wieder entkommen?«
»Mit heiler Haut.«
»Nun, so werden Sie doch uns nicht abermals entkommen.«
»Ich hoffe es dennoch.«
»Ich werde sorgen, Sie recht fest zu behalten. Haben Sie die Güte, mir einmal Ihre Hände zu reichen.«
Er griff in die Tasche und brachte eiserne Handschellen hervor. Das war dem Amerikaner denn doch zu bunt. Er erhob sich und fragte:
»Was? Fesseln wollen Sie mich?«
»Wie Sie sehen. Ja.«
»In Eisen?«
»Allerdings.«
»Hölle, Tod und Teufel! Ich will Den sehen, der es wagt, Hand an mich zu legen!« rief er, nunmehr wüthend. »Was habe ich Euch Kerls gethan, daß Ihr mich umstellt, wie die Hunde ein Wild?«
Die anderen Polizisten hatten sich ihm nämlich genähert und einen Kreis um ihn geschlossen. In sicherer Entfernung aber stand der Wirth mit seinem ganzen Gesinde, um dem interessanten Vorgange zuzuschauen.
»Was Sie uns gethan haben?« fragte der Polizist. »Uns speziell nichts. Aber Sie werden am besten wissen, was Sie sonst gethan und beabsichtigt haben.«
»Nichts weiß ich, gar nichts.«
»Nun, so werden wir Ihnen Beweise geben müssen. Sie heißen William Saunders?«
»Schon so lange ich lebe.«
»Sind Capitän der Vereinigten-Staaten?«
»Ja.«
»Tragen eine Büchse bei sich?«
»Ja.«
»Zwei Revolver?«
»Ja.«
»Ein Messer?«
»Auch das.«
»Was haben Sie sonst noch für Waffen?«
»Keine.«
»Wollen Sie leugnen?«
»Pah! Das wäre der Mühe werth!«
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»Wo waren Sie jetzt, während Ihres Ausganges?«
»Spazieren.«
»Wo?«
»Ich bin fremd, ich kenne die Straßen nicht.«
Haben Sie sich nicht vielleicht die Wohnung des Herrn von Bismarck angesehen?«
»Das ist möglich.«
»Sie sind ein hartgesottener Sünder! Ein Anderer wäre bei diesem Beweise, daß er entdeckt ist, erbleicht, die Kniee hätten ihm geschlottert. Sie aber bleiben ruhig.«
»Schlottern Sie gefälligst ein wenig für mich.«
»Spotten Sie immerhin! Ihr Spott wird baldigst aufhören. Sie leugneten, noch weitere Waffen zu haben. Und doch führen Sie eine Donnerbüchse, eine Höllenmaschine oder so etwas Aehnliches bei sich. Gestehen Sie es ein!«
Geierschnabel blickte dem Manne ganz erstaunt in das Gesicht.
»Donnerbüchse? Höllenmaschine?« fragte er.
»Ja, aus Messing oder Kanonenmetall!«
Da endlich wurde es in Geierschnabel klar. Er hätte am liebsten gerade hinaus lachen mögen, aber er bezwang sich gewaltsam, ernst zu bleiben.
»Ich weiß nichts davon,« sagte er.
»Wir werden Sie überführen, wir werden Ihnen Beweise bringen.«
»Thun Sie das.«
»Warum haben Sie Ihr Schlafzimmer verschlossen?«
»Wollen Sie mir dies vielleicht verbieten?«
»Nein, aber ich werde Sie ersuchen, es uns zu öffnen.«
»Zu welchem Zwecke?«
»Wir haben das Verlangen, eine kleine aber intime Bekanntschaft mit Ihrem Gepäcke anzuknüpfen.«
»Meinetwegen. Ich bin einmal in Ihrer Gewalt. Aber ich warne Sie. Mit meinen Waffen versteht nicht ein Jeder umzugehen!«
»Keine Sorge! Wir werden vorsichtig sein. Geben Sie her!«
Er hielt ihm die Fesseln entgegen.
»Was? Sie wollen meine Hände haben?« fragte Geierschnabel.
»Ja.«
»Ich habe ja gar nicht die Absicht, zu fliehen oder mich zu widersetzen!«
»Wenn Sie diese Absicht auch hätten, würden Sie es doch nicht eingestehen. Je gefährlicher ein Subject ist, desto vorsichtiger muß man es behandeln. Also, her mit den Händen!«
Diese Worte wurden in kategorischem Tone gesprochen. Geierschnabel gehorchte. Er ließ sich die Handschellen anlegen, sagte aber:
»Ich erhebe Widerspruch gegen diese Behandlung! Keiner von Ihnen hat das Recht, mich festzunehmen. Sie werden mir Genugthuung geben müssen.«
»Sie werden sie erhalten, wenn Sie sie verdienen. Jetzt aber marsch nach Ihrer Wohnung. Und merken Sie es sich, daß jede Bewegung, auch die kleinste, von uns beobachtet wird.«
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»O bitte, bewegen Sie sich ganz so, wie es Ihnen beliebt.«
Er wurde unter allgemeiner Begleitung nach Nummer Eins geführt. Er bemerkte dort sogleich, daß hier bereits nach ihm gesucht worden sei, doch ließ er sich das nicht merken. Vor der Thüre zum Schlafzimmer blieb man mit ihm halten.
»Haben Sie diese Thüre verschlossen?« fragte der Polizist. »Weshalb?«
»Weil ich nicht wünsche, daß man mir im Gepäcke herumstibitze. Finden Sie das nicht begreiflich?«
»Aber Sie haben nicht nur den Schlüssel abgezogen, sondern auch das Schlüsselloch verstopft. Sind die Geheimnisse, welche Sie zu verbergen haben, denn gar so groß oder so gefährlich?«
»Ueberzeugen Sie sich doch.«
»Da müssen Sie erst öffnen. Was steckt in dem Loche?«
»Eine Patentschraube.«
»Geht sie zu entfernen?«
»Ja.«
»Thun Sie es.«
Er griff, trotzdem er gefesselt war, in seine Westentasche und zog ein dünnes, feines Häckchen hervor, mit welchem er in das Schlüsselloch fuhr. Er zog damit die Patentfeder an und konnte nun die Schraube aus dem Schlüsselloche bringen.
»So,« sagte er. »Ziehen Sie den Schlüssel hier aus meiner Tasche und schließen Sie auf.«
Dies geschah. Die Thüre konnte jetzt geöffnet werden. Aber der Beamte, welcher jetzt das Wort geführt hatte, machte eine abwehrende Bewegung.
»Halt, nicht vorwärts drängen!« gebot er. »Es steht zu vermuthen, daß sich hier geheimnißvolle Maschinen und gefährliche Explosivstoffe befinden. Der Arrestant mag vorangehen. Er würde der Erste sein, welcher getroffen wird.«
Geierschnabel wurde von vier Händen gefaßt und vorsichtig in das Zimmer geschoben. Erst dann folgten die Anderen nach. Der Beamte ließ den Blick umherschweifen. Derselbe fiel zunächst auf die Büchse, welche Geierschnabel vor seinem Ausgange aus dem Futterale genommen hatte. Er nahm sie vorsichtig in die Hand und fragte:
»Was ist das für ein Gewehr?«
»Eine Kentuckybüchse,« antwortete der Delinquent.
»Geladen?«
»Nein.«
»Aber das ist doch keine Büchse, kein Schießgewehr.«
»Ah! Wieso nicht?«
»Das ist ja der reine Prügel! Wie kann man mit einem solchen Dinge schießen wollen!«
»Ja, ein deutscher Polizist würde allerdings nichts treffen!«
Der Beamte legte die Büchse weg und nahm das Messer.
»Was ist das für ein Dolch?«
»Dolch? Donnerwetter! Es wird wohl ein Bowiemesser von einem Dolche zu unterscheiden sein!«
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»Ah, ein Bowiemesser! Haben Sie damit bereits Menschen erstochen?«
»Ja.«
»Schrecklich! Hier diese Revolver. Sind sie von Hippolyt Mehles?«
»Der Teufel hole den Hippolyt mit sammt dem Mehles! Ich kenne ihn nicht. Diese Revolver sind gute Louvainer Waare. Uebrigens bin ich doch nicht etwa arretirt und gefesselt worden, um Ihnen hier Unterricht in der Waffenkunde zu geben!«
»Geduld! Jetzt kommt die Hauptsache. Sagen Sie, was dort so gelb unter dem Sacke hervorschimmert.«
»Die Höllenmaschine.«
»Donnerwetter!« rief der Polizist. »Sie gestehen das zu?«
»Ja.«
»Daß es wirklich eine Höllenmaschine ist?«
»Ja.«
»Ist sie geladen?«
»Zum Zerplatzen.«
»Zum Zerplatzen? Meine Herren, also die größte Vorsicht! Halten Sie den Mann ganz fest, damit er sich nicht bewegen kann. Arrestant, ich frage Sie, ob diese Maschine wirklich geladen ist?«
»Ja. Ich sagte es ja bereits.«
»Womit?«
»Mit Luft.«
»Ah, jedenfalls mit Knallgasen oder sonstigen, sofort tödtenden Luftarten. Darf man die Maschine berühren, ohne daß sie explodirt?«
»Ja,« antwortete Geierschnabel sehr ernsthaft.
Da stellte sich der Polizist feierlich vor ihn hin und sagte eindringlich:
»Ich mache Sie nochmals auf die fürchterliche Sünde aufmerksam, welche Sie begehen würden, falls Sie durch unwahre Angaben beabsichtigten, eine Explosion herbeizuführen. Also wir dürfen die Maschine anrühren, ohne für unser Leben befürchten zu müssen?«
»Es ist jetzt keine Gefahr vorhanden.«
»Wir können auch die Kleidungs- und Wäschestücke entfernen, unter denen diese Maschine verborgen ist?«
»Thun Sie es ohne Sorge.«
»Aber wie wird dieses Ungeheuer zur Explosion, zur Detonation gebracht?«
»Einfach dadurch, daß man hineinbläst.«
»Gut, so wollen wir es wagen. Meine Herren, ich könnte Ihnen befehlen, das Ungeheuer von seiner Umhüllung zu befreien; allein das hieße, den größten Theil der Gefahr auf Sie wälzen. Ich bin bereit, mit dem Muthe eines braven Beamten meine Pflicht zu thun. Ich selbst werde die Höllenmaschine zuerst berühren, denn ich bin bereit, die ersten Kugeln zu empfangen und mich für Sie aufzuopfern.«
Er ergriff ein Hemde, dann eine Hose, dann eine Blouse und einige Strümpfe, welche auf dem Instrumente lagen. Alle diese Gegenstände faßte er mit den
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Spitzen zweier Finger an und zog sie mit der denkbarsten Behutsamkeit fort. Endlich lag das Ungethüm bloß und unverhüllt vor ihm.
»Die frappanteste Aehnlichkeit mit einer Posaune,« sagte er. »Darin liegt ja eben die Raffinirtheit dieses Bösewichtes. Einer solchen Mordmaschine eine solche unscheinbare, unbefangene Gestalt zu geben. Ich werde jetzt versuchen, wie schwer sie ist.«
Mit derselben Vorsicht, mit welcher er vielleicht eine am Zünder qualmende Bombe angegriffen hätte, hob er die Posaune empor.
»Leicht, wie eine gewöhnliche Posaune,« sagte er. »Ja, Knallgase pflegen ja leichter zu sein, als andere Luftarten.«
Er hatte wohl in seinem Leben noch keine Posaune in der Hand gehabt. Er faßte sie nur bei dem einen Ende an und hielt sie hoch empor, um sie auf ihre geheimnißvolle Construction zu untersuchen; da plötzlich glitten die Züge auseinander, und der schwerere Theil mit der Stürze fiel zu Boden.
Der gute Mann glaubte nicht anders, als daß jetzt die Höllenmaschine losgehen werde. Er stieß einen Schrei aus und stand da, als ob er den Tod erwarte. Dem Falle der einen Posaunenhälfte folgte allerdings eine Explosion, aber eine ganz andere, als der Polizist erwartet hatte. Sobald er seinen Todesschrei ausstieß, konnte Geierschnabel nicht mehr an sich halten. Er platzte mit einem so fürchterlichen Lachen heraus, daß die Wände zu beben schienen. Und dieses Lachen war so ansteckend, daß alle Anderen mit einstimmten, da sie gar wohl sahen, daß es sich wirklich nur um eine alte Posaune handele.
Der Beamte war im ersten Augenblicke ganz perplex; dann aber warf er auch den zweiten Zug, den er in der Hand behalten hatte, zu Boden und donnerte Geierschnabel an:
»Mensch, ich glaube gar, Sie lachen über mich.«
»Ueber wen denn sonst?« fragte der Jäger, noch immer lachend.
»Ich verbiete es Ihnen aber, sich über mich lustig zu machen.«
»Bin ich etwa schuld?«
»Ja, nur Sie allein.«
»Oho!«
»Haben Sie nicht eingestanden, daß Sie Waffen bei sich führen?«
»Habe ich etwa keine?«
»Und eine Höllenmaschine?«
»Das ist sie auch. Lassen Sie sich nur Monate lang vorblasen.«
»Sie sollte geladen sein.«
»Mit Luft. Ist das nicht wahr?«
»Sie sollte explodiren und detoniren.«
»Wenn man hineinbläst. Wollen Sie das bestreiten?«
»Mensch, glauben Sie, daß ich Ihr Narre bin?«
»Für gewöhnlich nicht.«
»Dieser Witz wird Ihnen schlecht bekommen. Wenn auch von einer Höllenmaschine keine Rede mehr ist, so giebt es doch genugsamen Grund, sich Ihrer Person zu bemächtigen. Sie führen Waffen. Haben Sie einen Waffenpaß?«
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»Ja.«
»Wo?«
»Hier in der äußeren Tasche meines Frackes.«
»Ah! Geben Sie ihn her.«
»Nehmen Sie ihn doch selbst heraus! Sie sehen ja, daß ich gefesselt bin.«
Der Beamte langte in die bezeichnete Tasche und zog das Papier heraus, welches er entfaltete und las. Er reichte es seinen Gefährten zur Durchsicht und sagte dann:
»Dieses Dokument ist zwar giltig, doch kann dieser Umstand nichts ändern, wie wir sogleich sehen werden.«
Und zu Geierschnabel gewendet, fuhr er fort:
»Sie haben zu der Kellnerin gesagt, daß Sie zu Herrn von Bismarck gehen wollen?«
»Ja.«
»Und daß Sie mit ihm wenig Federlesens machen werden?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt.«
»Sie wollen leugnen?«
»Ganz entschieden!«
»Man hole die Kellnerin herbei.«
Sie wurde gebracht, und der Beamte fragte sie:
»Hat dieser Mann nicht gesagt, daß er wenig Federlesens machen werde?«
»Ja.«
»Nun, geben Sie es jetzt, der Zeugin gegenüber, zu?« fragte der Examinator den Gefangenen.
»Ja, das gebe ich zu,« antwortete dieser.
»Ah! Warum leugneten Sie vorher?«
»Weil ich es nicht gesagt hatte.«
»Sie widersprechen sich ja. Erst leugnen Sie, und dann gestehen Sie. Sie sehen ein, daß Ihnen daraus kein Vortheil erwachsen kann.«
»Ich widerspreche mir nicht. Sie selbst müssen nur aufpassen, was Sie sagen. Ich habe nicht gesagt, daß ich mit Herrn von Bismarck kein Federlesens machen werde, sondern ich habe nur gesagt, daß ich bei Herrn von Bismarck kein Federlesens machen werde, im Falle man mir nämlich Schwierigkeiten bereiten werde, vor den Minister zu kommen.«
»Das ist eine Ausrede!«
»Fragen Sie die Kellnerin.«
Der Beamte that dies, und sie gab zu, daß der Gefangene allerdings so gesagt habe, wie er jetzt angebe. Der Untersuchende sah sich abermals eine Waffe entrissen. Daher wehrte er sich:
»Es bleibt doch eine leere Ausrede. Wenn Sie sagen, falls man Sie nicht vorlassen werde, würden Sie wenig Federlesens machen, so thun Sie ja, als ob Sie Herrn von Bismarck zwingen könnten, Sie zu empfangen.«
»Das ist allerdings der Fall.«
»Ah, welche Frechheit.«
»Frechheit von Ihrer Seite,« donnerte Geierschnabel los. »Wie können Sie mich der Lüge oder der Prahlerei zeihen, wenn Sie es mir nicht beweisen können.«
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»Pah! Gehen Sie doch zum Minister. Versuchen Sie, ob Sie vorgelassen werden, nämlich Sie, wie Sie da vor mir stehen.«
»Pah! Jedenfalls werde ich eher vorgelassen als Einer, der eine alte Posaune für eine Höllenmaschine hält. Uebrigens will ich Ihnen sagen, daß ich bereits bei Herrn von Bismarck gewesen bin.«
»Wann denn?« frug der Mann höhnisch.
»Bevor ich vorhin zurückkam.«
»Sie wurden natürlich vorgelassen?«
»Ja. Seine Majestät der König hatte sogar selbst die Gnade, mich bei seinem Minister einzuführen.«
»Verrückter Kerl.«
Da ertönte es vom Eingange her:
»Kein verrückter Kerl. Er sagt die Wahrheit.«
Alle wendeten sich um. Da stand Curt Helmers, und hinter ihm erblickte man die Criminalbeamten, welche fortgeeilt waren, den Minister vor der ihm drohenden Gefahr zu warnen. Der Vorgesetzte von ihnen trat vor und befahl:
»Nehmen Sie diesem Herrn augenblicklich die Handschellen ab.«
Dieser Befehl wurde sofort ausgeführt. Dann fuhr der Criminalbeamte zu Geierschnabel fort:
»Mein Herr, es ist Ihnen ein schweres Unrecht geschehen. Die eigentliche Schuld liegt an Denen, welche Sie zur Anzeige brachten, nämlich an dem Wirthe und Oberkellner dieses Hauses. Es steht Ihnen natürlich frei, diese Leute zu belangen, wobei Sie unserer Hilfe sicher sein können. Aber auch ich habe hohen Befehl erhalten, Ihnen Abbitte zu leisten und Genugthuung zu geben. Ich bin dazu bereit und frage Sie, welche Genugthuung Sie fordern.«
Geiernase blickte sich im Kreise um. Es ging ein eigenthümliches Blinzeln über sein Gesicht. Dann sagte er:
»Gut. Eine Genugthuung will und muß ich haben. Dieser Herr hat meine alte Posaune für eine Höllenmaschine angesehen. Ich verlange, daß er sie als Geschenk von mir nimmt und sie als Andenken aufbewahrt an den wichtigen Tag, an welchem er Herrn von Bismarck beinahe das Leben gerettet hätte.«
Alle lachten. Auch der Betreffende stimmte mit ein.
»Weiter verlangen Sie wirklich nichts?« fragte der Criminalbeamte.
»Nein, ich bin zufriedengestellt, wünsche aber, nun wieder mein eigener Herr sein zu können.«
Dieser Wunsch wurde ihm sofort erfüllt, indem sich Alle entfernten. Nur Curt blieb zurück. Er betrachtete sich den Amerikaner jetzt erst genauer, brach dann in ein Lachen aus und rief:
»Aber Mann, wie können Sie so eine Maskerade treiben.«
»Das liegt so im Temperament,« lachte Geierschnabel mit.
»Unterwegs haben Sie auch bereits solche Dummheiten gemacht.«
»Wer sagte das?«
»Ich habe es gehört. In Mainz sind Sie arretirt worden.«
»Das stimmt.«
»Unterwegs dann aus dem Coupee geholt - -«
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»Aber mit Extrazug nachgeritten.«
»Ja. Und was das Beste ist, Sie haben sich ausgezeichnet revanchirt.«
»Wieso?«
»Indem Sie jenen Obersten und Lieutenant einsperren ließen.«
»Auch das wissen Sie?«
»Man erzählte sich Ihre Abenteuer im Coupee, und aus der Beschreibung Ihrer Physiognomie ersah ich, daß nur Sie der Held sein konnten. Uebrigens waren die beiden Offiziere meine persönlichen Feinde. Sie hatten es auf mich abgesehen. Ich rächte mich dadurch, daß ich ausstieg und sie recognoscirte, so daß sie auf freien Fuß gesetzt wurden. Sie wollten mich zum Zweikampf zwingen, ich aber sagte ihnen, wer von einem reisenden Musikanten Ohrfeigen erhalten habe, sei nie wieder satisfactionsfähig. Damit bin ich sie los.«
»Hm! Das verstehe ich nicht, ist mir aber auch gleich. Was aber thun wir nun?«
»Wir brechen noch heute auf.«
»Wohin?«
»Ueber L'Havre de Grace nach Mexiko. Ich habe Instructionen, welche große Eile nöthig machen.«
»Und meine Instructionen?« lachte Geierschnabel.
»Ich habe auch für Sie verschiedene Mittheilungen, doch ist dazu auch später Zeit. Jetzt wollen wir vor allen Dingen den Anforderungen des Augenblickes genügen. Das Spätere kommt ganz von selbst und wird nicht auf sich warten lassen.« -
_________
Fünftes Kapitel.
Der Anfang des Endes.
Endlich, nach so langer Zeit, wandert der freundliche Leser wieder einmal nach Spanien, und zwar nach jenem Orte, an welchem unsere vielbewegte Erzählung begonnen hat.
Dort, im Walde von Rodriganda lagerte eine Zigeunerbande, Alt und Jung bunt zusammen. Die Allerälteste aber lag unter einer Art von Zelt, damit sie am Tage von der Sonnengluth und des Nachts von der fühlbaren Kühle nicht so viel zu leiden habe, eine Zartheit, welche bei Zigeunern selten zu sein pflegt.
Diese Alte war Zarba, die Königin der Gitanos, die einstige, blühende Schönheit, die Rose Zingaritta, welche Cortejo vom Stamme gebrochen und dann fortgeworfen hatte.
Es war gegen Abend. Die Altmutter lag im tiefen Schlummer. Daher beobachtete man im Lager eine ungewöhnliche Ruhe. In Folge dieser Stille waren die Tritte eines Pferdes, welches den Weg durch den Wald suchte, leichter zu vernehmen.
Alle lauschten. Die Tritte näherten sich. Bald wurde ein Reiter sichtbar, welcher auf ungesatteltem Pferde saß, ohne Bügel und einen einfachen Strick als Zügel. Alle sprangen auf. Sie kannten ihn.
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»Jarko,« rief es rundum so laut, daß die Aeltermutter erwachte. Sie erhob sich vom Lager und steckte den Kopf zum Zelte heraus. Sofort wurde es im Kreise der Anderen ruhig.
Welch eigenthümliches Gesicht war es doch, dem solche Ehrerbietung erwiesen wurde. War das wirklich jene Zarba, deren berauschende Schönheit solches Aufsehen erregt hatte? Falte legte sich an Falte, tief und breit, lederfarben und auch lederhart. Die Nase bog sich weit nach unten, die Zähne waren verschwunden, daher war die Mundgegend tief eingefallen, und so schien es, als ob das Kinn eine sehr energische Anstrengung mache, mit der Nasenspitze zusammenzustoßen.
Aber die Augen waren nicht alt geworden. Sie besaßen noch die ganze Gluth und Schärfe der Jugend; in ihnen konnte es noch leuchtend aufflammen, in Liebe oder in Haß, ganz wie es kam.
»Jarko!« rief sie.
Der soeben Angekommene, welcher inzwischen vom Pferde gesprungen war, trat näher zu ihr heran.
»Setze Dich, mein Sohn,« sagte sie. »Du bist sehr lange fern gewesen. Jetzt endlich bringst Du mir Nachricht. Ich werde fragen, und Du sollst mir antworten. Oder bist Du müde? Hast Du Hunger oder Durst, mein Sohn?«
Der Zigeuner schüttelte verächtlich den Kopf.
»Müdigkeit? Hunger oder Durst?« fragte er. »Was ficht das den Gitano an. Frage, Mutter, damit ich Dir antworten kann.«
»So sage mir, ob Du Deutschland glücklich erreicht hast.«
»Ich war in diesem Lande.«
»Auch an dem Orte, nach welchem ich Dich sandte?«
»Auf dem Schlosse Rheinswalden? Ja, da war ich auch.«
»So ist mein Wunsch erfüllt. Lebt Tombi noch?«
»Er lebt noch, ist gesund und freut sich seines Lebens.«
»Hast Du nicht gesehen einen alten Mann, welcher krank in seinem Geiste ist?«
»Ich habe ihn gesehen. Er spricht stets, daß er der gute, treue Alimpo sei. Man sagt, dieser Mann sei der eigentliche Graf de Rodriganda.«
»Was er ist, das geht Dich nichts an. Welche Personen hast Du noch dort gefunden?«
»Den Herzog von Olsunna.«
»Ich kenne ihn.«
»Die Herzogin, seine Frau.«
»Sie war meine Freundin.«
»Frau Rosa Sternau, die Tochter der Rodriganda.«
»Sie war die Wonne ihres Gatten. Gott hat ihn sterben lassen.«
»Ihr Töchterlein Rosa, genannt Waldröschen.«
»Ich habe sie als Kind gesehen und ihr die Hände auf das Haupt gelegt. Ist sie schön geworden?«
»Schöner als die Röthe des Morgens.«
»Und gut?«
»Ihr Herz kennt nichts als Güte allein.«
»Gott wird sie segnen. Wen hast Du noch gesehen?«
// 2181 //
»Einen Offizier, welcher Curt genannt wird. Er ist jung, aber er wird schnell ein großer Mann werden.«
»Es ist der Sohn des Steuermannes. Ich habe in den Sternen gelesen, daß ihm keine seiner Leuchten untergehen wird.«
»Sodann habe ich gesehen den alten Rodenstein.«
»Der Rodensteiner ist wie der Stein, der aus dem Felde gerodet wird. Er hat keinen Glanz und keine Politur und verwittert langsam.«
»Sein Sohn, den Maler, und seines Sohnes Frau, die Herzogstochter.«
»Es sind zwei Herzen, welche fest zusammenwuchsen, sie werden sich niemals fremd werden.«
»Sodann bekam ich von Tombi, Deinem Sohne, einen Brief für Dich.«
»Einen Brief? Gieb ihn her! Der Gitano versteht nicht, einen Brief zu schreiben. Aber was er einmal schreibt, das wird von seinen Brüdern und Schwestern gelesen. Meine Augen sind noch scharf genug, die Worte zu sehen, welche mir mein Sohn sendet, der der Sohn meines größten Feindes ist.«
Der Zigeuner gab ihr ein Blatt Papier, auf welches mehrere Zeilen mit schlechter Feder und noch schlechterer Tinte geschrieben waren. Dieses Blatt war in einen Leinwandlappen gewickelt gewesen. Sie verstand dennoch das undeutlich Geschriebene und las folgende Apostrophen:
»Mutter.
Brief an Frau Sternau. Lebt noch. Auch Steuermann, Graf Ferdinando. Auch alle Anderen. Sind in Mexiko. Ferdinando von Cortejo Pablo Gift. Scheintodt. Schiff geschafft. Sclave geworden. Landola gethan. Die Anderen von Landola auf Schiff. Gefangen. Sollte sie tödten. Schaffte sie auf eine wüste Insel. Sechzehn Jahre. Gerettet. Kommen bald nach Hause. Große Freude in Rheinswalden und Rodriganda. Rache bald und groß.
Sohn Tombi.«
Man sieht, daß dieser Brief ein früheres Datum hatte. Er war vor Geierschnabels Ankunft geschrieben, also zu einer Zeit, in welcher man noch nicht wußte, daß die Geretteten wieder verschwunden seien.
Zarba saß lange Zeit in tiefe Gedanken versunken. Dann steckte sie den Brief in eine Tasche ihres alten Gewandes und kam aus dem Zelte hervorgekrochen. Sie steckte einen Dolch zu sich und entfernte sich aus dem Lager, ohne den Ihrigen ein Wort der Erklärung zu geben.
Ihre Schritte waren zwar langsam, aber fest und sicher. Sie schien, trotzdem es Winter war, nicht im Geringsten zu frieren. War es vielleicht eine seelische Potenz, welche ihr diese Wärme, diese Kraft ertheilte?
Sie schritt geraden Weges auf Schloß Rodriganda zu. Als sie das Portal erreichte, stand ein Diener unter demselben.
»Was willst Du, Hexe?« fragte er.
Sie antwortete nicht, sondern schritt an ihm vorüber. Da erfaßte er sie beim Arme und wiederholte:
»Was Du willst, Hexe, habe ich gefragt!«
Sie blickte ihn ruhig an und antwortete:
»Weißt Du nicht, daß ich hier stets Zutritt habe!«
// 2182 //
»Ich weiß es. Aber sage mir, zu wem Du willst.«
»Ist Graf Alfonzo da?«
»Nein.«
»Sennor Cortejo?«
»Ja.«
»Schwester Clarissa?«
»Ja.«
»Wo befinden sich diese Beiden?«
»Im Zimmer Cortejo's.«
Sie wußte hier sehr gut Bescheid im Schlosse. Sie stieg die beiden Treppen empor, horchte an die betreffende Thür, und als sie hinter derselben eine männliche und eine weibliche Stimme vernahm, klopfte sie an. Drin erscholl der Ruf und sie trat ein.
Cortejo saß mit Schwester Clarissa auf dem Sopha. Sie hatten auf dem Tische vor sich ein höchst splendides Abendmahl stehen. Beider Züge verfinsterten sich, als sie bemerkten, daß Zarba die Eintretende sei.
»Was willst Du?« fragte Cortejo barsch.
»Mich an Deinem Feuer wärmen,« antwortete sie.
Sie zog die Achseln zusammen, wie jemand, welchen sehr friert und huschelte sich an das prächtige Marmorkamin.
»Dich wärmen? Geh in den Wald zu den Deinen. Brenne Dir dort ein Feuer an.«
»Im Schlosse bei den Meinen ist es besser, als im Walde.«
Er blickte sie erstaunt an. Was hatte sie nur? Diese Zigeunerin besaß eine Macht, welcher er nicht gewachsen war. Sie wußte Einiges aus seinem Leben. Daß sie noch mehr, daß sie Alles wußte, ahnte er gar nicht. Wie oft hatte er ihren Tod gewünscht. Er hätte sich sicher kein Gewissen daraus gemacht, sie zu tödten, aber ein geheimnißvolles Etwas hatte ihn immer von der Ausführung dieses Gedankens abgehalten.
»Wen hättest Du im Schlosse, die Du »die Deinen« nennen könntest?« fragte Schwester Clarissa in stolzem, höhnischem Tone.
»Dich nicht,« antwortete die Gefragte.
Da brauste die Schwester auf.
»Weib!« rief sie. »Wagst Du, mich Du zu heißen! Mißbrauche unsere Geduld nicht auf solche Weise!«
»Was bist Du Anderes als ich?« fragte die Zigeunerin.
Clarissa antwortete ihr nicht, aber sie wendete sich an Cortejo:
»Schaffe diese Vagabundin fort! Auf der Stelle!«
Cortejo mußte ihr gehorchen; er gebot der Zigeunerin:
»Geh hinab und wärme Dich beim Gesinde. Bei uns ist kein Raum für Dich!«
Da war es, als ob der Körper Zarba's höher und breiter werde. Sie richtete sich empor, lehnte sich an den Kamin, verschlang die Arme über der Brust und sagte mit Nachdruck:
»Zarba wird sich da wärmen, wo es ihr beliebt. Dieses Weib war Deine
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Geliebte und hat Dir einen Sohn geboren, welcher noch lebt. Auch ich war Deine Geliebte und gab Dir einen Sohn, welcher lebt. Wer ist mehr, sie oder ich? Freilich ist mein Sohn ein armer Gitano, während der ihrige jetzt Graf von Rodriganda ist.«
Die Beiden erschraken so, daß ihnen das Blut in den Adern stockte. Erst nach einer längeren Pause sagte Cortejo:
»Zarba, um Gottes willen, was fällt Dir ein! Du phantasirst!«
Sie zuckte die Achsel und antwortete:
»Wohl wäre es kein Wunder, wenn mir die Sinne verloren gegangen wären, aber Gott hat sie mir erhalten, damit es eine Anklägerin gebe, wenn die Zeit des Gerichtes über Euch gekommen ist.«
Schwester Clarissa fuhr sich mit dem Riechfläschchen an die Nase.
»Dieses Weib ist wirklich wahnsinnig, oder es träumt ihr nur!« rief sie aus.
»Frevle nicht!« gebot Zarba. »Es wird für Euch die Stunde kommen, in welcher der Wahnsinn für Euch eine Wohlthat wäre. Ihr werdet heulen und mit den Zähnen klappern, daß die Teufel gezwungen sein werden, Mitleid mit Euch zu haben!«
Cortejo wußte nicht, was er denken und sagen sollte. Zarba, seine einstige Geliebte, seine Mitschuldige in so vielen Fällen, trat jetzt in dieser Weise gegen ihn auf? Was hatte das zu bedeuten? Er starrte sie lange an und fragte dann:
»Was willst Du denn eigentlich von uns?«
»Nur mich wärmen,« antwortete sie. »Wenn aber dieses Weib mich hinausweist, wenn sie denkt, mehr zu sein als ich, so zeige ich ihr, daß ich gleiche Rechte mit ihr habe. Ich verlange von Dir für meinen Sohn eine Grafschaft, ebenso wie der ihrige eine erhalten hat.«
»Was redest Du von meinen Söhnen?«
»Schweig!« sagte sie gebieterisch. »Ich war Deine Dirne und Diese da war Deine Dirne. Wir beleidigen uns nicht, wenn wir gegenseitig die Wahrheit gestehen. Zarba ist mächtiger als Du. Sie kann erretten und verderben.«
»Du irrst,« antwortete er. »Es kostet mich ein Wort, so bist Du verloren!«
Er hatte sich zusammengerafft. Er wollte nun diese Vagabundin loswerden. Vor Clarissa hatte er kein Geheimniß, er konnte mit der Zigeunerin ganz ohne Furcht abrechnen.
»Sprich dieses Wort!« gebot sie ihm.
»Ich will Dich nicht sehen, nicht hören; es soll sein, als ob Du gestorben seist. Gehst Du mit darauf ein, so werde ich schweigen. Fährst Du aber fort, Schloß Rodriganda zu besuchen, als ob Du herein gehörtest, so übergebe ich Dich der Gerechtigkeit.«
»Du?« fragte sie, indem sie leise in sich hinein kicherte. »Sage nur ein Wort von mir, so geht Dein Kopf verloren!«
»Oho!« meinte er. »Denkst Du der Nacht, als Graf Emanuel verschwand? Er lag krank. Da kamen Zigeuner durch die hintere Thüre. Sie würgten ihn, trugen ihn fort und am anderen Morgen fand man ihn in der Tiefe des Abgrundes. Kennst Du die Zigeuner, welche dies thaten? Kennst Du die Anführerin, die ihnen befohlen hatte, dies zu thun?«
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»Ich kenne sie,« sagte Zarba ruhig. »Aber kennst Du auch Den, der dies von ihr bestellte und sie dafür bezahlte? Kennst Du die fromme Schwester, mit welcher er diesen Streich berathen hatte?«
»Pah!« meinte Cortejo. »Wer kann mir etwas beweisen!«
»Und wer mir?« fragte sie.
»Ich,« antwortete er. »Ich beschwöre es. Du aber hättest gegen mich keinen Schwur; Du bist Zigeunerin.«
»Ich würde Deines Schwures lachen.«
»Prahlerin! Mörderin! Das Blut Don Emanuel's klebt an Deinen Händen!«
Sie lächelte wieder so heimlich in sich hinein und sagte:
»Um zu beweisen, wer sein Mörder ist, müßte man erst nachweisen, wer ihn erblinden lassen wollte und ihm dann und seiner Tochter Gift eingab, um ihn wahnsinnig zu machen. Aber das ist nicht nöthig. Ich lache Eurer doch. Erinnerst Du Dich noch jenes deutschen Doctor Sternau, welcher den Grafen operirte?«
»Er war ein Charlatan, der längst untergegangen ist.«
»Er war weder ein Charlatan, noch ist er untergegangen. Daß er kein Charlatan sei, bewies er, als die Leiche des Grafen aufgehoben wurde.«
»Wieso?«
»Er behauptete, es sei gar nicht die Leiche des Grafen.«
»Sie war es aber doch.«
»Nein, sie war es nicht. Sternau war ein gescheidter Arzt und ich war keine Mörderin. Ich sollte den Grafen tödten, aber ich holte ihn nur von Euch fort, um sein Leben sicher zu stellen, und ließ ihn nach einem Orte schaffen, an welchem er nicht zu finden war.«
Die beiden Zuhörer waren todtesbleich geworden. Cortejo war vor Schreck emporgefahren, Clarissa aber niedergesunken.
»Lüge, Lüge!« rief der Erstere. »Man fand ja die Leiche!«
»Das war der Körper eines am Tage vorher begrabenen Mannes. Ich ließ ihn ausgraben, zog ihm die Kleidung des Grafen an und stürzte ihn dann zum Felsen hinab; er wurde so zerschmettert, daß eine Täuschung sehr wahrscheinlich war.«
»Weib, Teufel, Du lügst!« rief Cortejo.
»Glaube das immerhin. Aber Graf Emanuel lebt noch.«
»Wo hättest Du ihn?«
»Da, wo Du nicht hinkommen kannst. Ferner nanntest Du jenen Sternau untergegangen. Auch darin irrst Du. Sternau lebt.«
Er blickte sie überlegen an und antwortete:
»Er ist todt. Das weiß ich sehr genau.«
»Meinst Du?« fragte sie, abermals in sich hineinlachend. »So ist wohl auch Graf Ferdinando todt?«
»Ja.«
»Und Mariano, der echte Rodriganda?«
Ende der einundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.