Lieferung 93

Karl May

21. Juni 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 2209 //

»Alles?«

»Alles!«

»Dieser Betrüger, Schurke und Verräther! Warum hat er es denn gethan?«

»Um seines eigenen Vortheils willen. Er wollte gegen mich eine Macht in den Händen haben. Uebrigens hatte mein Bruder ihn gut dafür bezahlt, daß er Don Ferdinando fortschaffte.«

»Also hat Pablo doch auch schlecht an Dir gehandelt.«

»Ja. Ich werde ihn zur Rede stellen. Es soll ihm nicht den mindesten Nutzen bringen, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Was gedenkst Du zu thun?«

Er blickte sinnend vor sich hin und zögerte mit der Antwort. Darum fragte sie:

»Jedenfalls wirst Du zunächst die Zigeunerin aufsuchen?«

»Fällt mir nicht ein.«

»Wie? Nicht? Wirklich nicht?« fragte sie erstaunt.

»Nein.«

»Du sagtest das aber noch gestern, ehe Du fortfuhrst!«

»Das ist richtig, aber die Umstände haben sich geändert. Ich muß die Zigeunerin für jetzt noch laufen lassen.«

»Aber sie ist uns ja so gefährlich!«

»Es giebt Personen, welche uns noch gefährlicher sind.«

»Wen meinst Du?«

»Sternau und Consorten.«

»Die müssen drüben bekämpft werden. Persönlich kannst Du gegen sie nicht vorgehen.«

»Ah? Warum nicht?«

»Na einfach deshalb, weil Du nicht in Mexiko bist.«

»Dem kann und wird abgeholfen werden, meine Liebe.«

Clarissa erschrak.

»Wie? Höre ich recht?« rief sie, von ihrem Sitze aufspringend.

»Freilich, liebes Kind,« antwortete er.

»Du willst doch nicht etwa gar hinüber nach Mexiko?«

»Gerade das will ich.«

»Heilige Madonna. Gasparino, was fällt Dir ein!«

»Beruhige Dich! Die Umstände machen es nöthig!«

»Du kannst hier nicht entbehrt werden.«

»Drüben noch weniger!«

»Deine Canzlei - Deine Verwaltungsarbeiten - -«

»Liegen in guten Händen.«

»Die Beaufsichtigung - -«

»Wird Alfonzo übernehmen.«

»Er ist ja nicht hier.«

»Er wird kommen. Ich werde ihm noch jetzt schreiben, und sobald er eintrifft, theilst Du ihm Alles mündlich mit.«

»So willst Du so rasch fort?«

»Mit Landola, morgen in der Nacht.«


// 2210 //

»Mit diesem Manne! Kannst Du Dich ihm anvertrauen?«

»Pah! Frage doch lieber, ob er sich mir anvertrauen kann.«

Sie setzte sich langsam wieder nieder, blickte ihm fragend in das Gesicht und sagte dann:

»Haben diese Worte etwas zu bedeuten?«

Er lächelte sehr selbstbewußt und antwortete:

»Habe ich jemals etwas gesagt, was nichts zu bedeuten hatte?«

»Hm! Ich kenne Dich. Ich lese aus Deinen Mienen, daß Du etwas vor hast. Ich habe mich da noch nie getäuscht.«

»Ja,« lachte er, »Du bist eine große Menschenkennerin. Was liesest Du denn für Buchstaben aus meinem Gesichte?«

»Keine guten.«

»Ah! So?«

»Wenigstens keine freundlichen. Habe ich recht?«

»Möglich!«

»Hast Du Neues von Landola gehört, was ich noch nicht weiß?«

»Eigentlich nicht. Aber Landola hat durch Wort und Verhalten Streiflichter auf das geworfen, was wir bereits wußten.«

»War er nicht bereit, seine Fehler auszubessern?«

»O doch.«

»Verlangte er etwas dafür?«

»Zweimalhunderttausend Dollars.«

»Der Unverschämte!« brauste sie auf.

»Im Grunde genommen, fand ich es nicht unverschämt,« meinte er ruhig.

»Nicht? Da begreife ich Dich doch einmal nicht.«

»Es sind ungefähr ein Dutzend Menschen umzubringen.«

»Was ist das weiter.«

»Aber was für Menschen! Denke an jenen Sternau!«

»Einer Kugel ist er doch nicht gewachsen.«

»Ja, aber denke an den Ueberfall hier im Parke. Hat er da nicht alle die Kerls in die Luft geschlagen?«

»Es waren Feiglinge. Auch hatten sie schlecht gezielt.«

»Das kann da drüben ebenso passiren. Und dazu mußt Du bedenken, daß alle diese Personen, auf welche wir es abgesehen haben, sich in dem Hauptquartiere des Juarez befinden.«

»Aendert das etwas?«

»Natürlich. Es macht das Unternehmen zehnfach schwierig, wohl gar ganz unmöglich.«

»Warum? Man geht eben in's Hauptquartier.«

»Das soll Landola thun?«

»Natürlich!«

»Den mehrere Personen genau kennen? Das wäre geradezu in den Tod gelaufen.«

»Er mag sich unkenntlich machen.«

»Das wäre der einzige Weg, welcher einigermaßen Sicherheit zu bieten ver-


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spricht. Aber welche unzählige Hindernisse und Schwierigkeiten, von denen man vorher gar keine Ahnung haben kann, können da eintreten und Alles verderben.«

»Du hast ja falsche Perrücken!«

»Das wohl!«

»Falsche Bärte!«

»Ich habe sie ihm bereits angetragen.«

»Französisches colle de face und falsche Pässe.«

»Er wird das Alles benutzen.«

»Nun, so sehe ich keine Schwierigkeit!«

»O doch! Wie leicht kann entdeckt werden, daß ein Bart falsch ist.«

»So befestige man ihn sorgfältig genug.«

»Das kleinste Stückchen colle de face, welches aus der Falte des Gesichtes bricht, kann Alles verrathen!«

»So gebe man genau Acht.«

»Dazu gehören Zwei, welche einander stets im Auge behalten. Ein Einzelner müßte fortwährend vor dem Spiegel stehen.«

»So hast Du ihm wohl die zweimalhunderttausend Dollars versprochen, da Du die Sache so gar gefährlich schilderst?«

»Nein.«

»Wieviel denn?«

»Er erinnerte mich an die Summe, welche ich damals für den Tod der Betreffenden gegeben hatte.«

»Wie viel war das?«

»Einmalhunderttausend Dollars.«

»Und jetzt will er das Doppelte. Das ist unverschämt, zumal er uns damals betrogen hat. Was ist das Leben jener Personen werth. Ich hätte ihm fünfzigtausend Dollars geboten.«

»Das habe ich auch gethan.«

»Hat er sie acceptirt?«

»Wir schweiften wieder ab.«

»So mußt Du wieder darauf zurückkommen. Mit einem solchen Manne kann man nicht vorsichtig genug sein. Aber weshalb mußt Du denn selbst mit? Etwa um aufzupassen, ob er den Bart oder ein Stückchen Gesichtsfalte verliert?«

»Dieses Letztere werden wir allerdings gegenseitig thun. Wir werden uns stets und aufmerksam zu beobachten haben.«

»Wie?« fragte sie unter neuem Erstaunen. »Auch Du willst Dich verkleiden und unkenntlich machen?«

»Ja, meine Liebe,« antwortete er lächelnd.

»Aber, den Grund dazu sehe ich denn doch nicht ein.«

»Ich werde Dich von der Nothwendigkeit, es zu thun, überzeugen. Erstens werden wir doch keinem Menschen merken lassen wollen, daß ich nach Mexiko bin.«

»Ah! Warum nicht?«

»Denke an Rheinswalden. Sind wir von dort aus nicht stets beobachtet worden?«

»Das ist wahr. Vielleicht beobachten sie uns noch heute.«

»Ich bin dessen vollständig überzeugt. Sie glauben nicht an die Aechtheit


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unseres Alfonzo. Sie haben jetzt erfahren, daß die längst Verschollenen wieder da sind. Wer weiß, was diese geschrieben haben. Ich werde ganz sicherlich beobachtet. Erfährt man in Rheinswalden, daß ich nach Mexiko gehe, so wird man den Grund davon vermuthen und die Kerls drüben warnen.«

»Das läßt sich allerdings begreifen.«

»Ferner wissen wir nicht, wie es drüben steht. Mein Bruder hat meinen Namen in Mißcredit gebracht. Ich darf nicht als ein Cortejo auftreten.«

»Auch das sehe ich ein. Die Verkleidung ist nothwendig; ich brauche gar nicht weitere Beweise zu hören. Aber was ich noch nicht einsehe, das ist die Nothwendigkeit, daß Du selbst mit über den Ocean gehen sollst.«

»Was meinst Du, was Don Ferdinando thun wird, wenn er in die Hauptstadt zurückgekehrt sein wird?«

»Er wird alle seine Besitzungen reclamiren.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Zwar würde das nun meist meinen Bruder schädigen. Aber das Grab, das Grab!«

»Ah! Es wurde geöffnet.«

»Auch das ist noch nicht das Schlimmste!«

»Aber noch schlimmer kann doch nichts sein!«

»Er ist damals scheintodt gewesen; das heißt, er hat den Starrkrampf gehabt. Hast Du vielleicht einmal von dem Starrkrampf sprechen hören?«

»Ja. Er soll fürchterlich sein. Man soll Alles hören und sehen, was um Einem vorgeht.«

»Nun also. Don Ferdinando ist scheintodt gewesen. Unser Alfonzo war drüben. Er hat mit meinem Bruder und Josefa bei der Leiche gesprochen, der Graf hat Alles gehört. Er ist vielleicht im Besitze unseres ganzen Geheimnisses.«

»Madonna! Das wäre schlimm! Er muß sterben!«

»Sein Tod ist eine Nothwendigkeit, eine beschlossene Sache. Er würde nicht nur seine Güter zurückverlangen, sondern uns auch wegen des Anderen anzeigen und bestrafen lassen. Aber das ist noch nicht Alles. Dieser Sternau ist uns ebenso gefährlich.«

»Er schien bereits damals, als er Graf Emanuel operirte, etwas zu ahnen.«

»Ja. Ich habe ihn beobachtet. Er hielt Alfonzo keineswegs für den echten Nachfolger von Don Emanuel.«

»Auch er muß sterben!«

»Auch sein Tod ist beschlossen. Und ebenso steht es mit jeder anderen Person, welche zu dieser Gesellschaft gehört.«

»Du meinst, daß sie Alle uns gleich gefährlich sind?«

»Ja.«

»O, es genügt wohl, nur die Hauptpersonen zu tödten.«

»Nein, keineswegs. Was diese wissen, haben die Anderen alle auch erfahren. Sie sind in Folge dessen ebenso gefährlich.«

»Mein Gott, wie viele Personen willst Du da zum Tode verurtheilen, lieber Gasparino?«

Er streckte sich behaglich auf dem Sopha aus und zählte:


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»Don Ferdinando, Petro Arbellez, dessen Tochter, Karja, Maria Hermoyes, Sternau, Mariano, zwei Helmers, Büffelstirn, Bärenherz, Juarez -«

»Juarez!« unterbrach sie ihn, erschreckend.

»Ja,« antwortete er ruhig.

»Warum dieser?«

»Bei ihm laufen jedenfalls die Fäden zusammen. Er weiß Alles genauer wie jeder Andere. Das sind also wie viele?«

»Zwölf. Aber Juarez - unmöglich!«

»Pah! Er ist eine Rothhaut wie jeder andere Indianer! Dazu können aber noch mehrere Opfer nöthig werden. Es gilt, zu erfahren, wer wohl außerdem Mitwisser des Geheimnisses geworden ist. Das ist schwierig. Dazu gehört Kenntniß, Schlauheit, Energie und eine unendliche Aufopferung. Um so Viele zu tödten, ist ein eisenfester Charakter und ein todtes Gewissen nöthig. Glaubst Du, daß, wenn ich Landola jetzt hinüberschicke, er eines schönen Tages wiederkommen und mir melden wird, daß er Alles ausgeführt habe und daß wir ruhig sein können?«

»Nein, das glaube ich nicht.«

»Er hat mich betrogen.«

»Er würde Dich wieder betrügen.«

»Oder soll ich mich auf meinen Bruder verlassen?«

»Auch er hat Dich betrogen.«

»Das ist das Eine. Und sodann ist er selbst geächtet und verfolgt. Er ist wohl schwerlich im Stande, unserer Sache zu nützen.«

»Du hast recht, lieber Freund. Du überzeugst mich immer mehr, daß Du selbst hinüber mußt.«

»Nicht wahr? Ich scheide ungern, liebe Clarissa.«

»Und ich lasse Dich ungern fort. Aber um unseres Sohnes willen wollen wir die Trennung ertragen. Siegen wir, so ist das Wiedersehen ein umso fröhlicheres. Aber, wenn Du Dich verkleidest, als was willst Du da reisen?«

»Als Advocat und Beauftragter des Grafen Rodriganda.«

»Und Landola?«

»Als mein Secretär.«

»Dieser Gedanke ist gut. Aber ich bitte Dich sehr, Dich vor diesem Landola in acht zu nehmen. Es ist ihm nicht zu trauen.«

»Habe keine Angst.«

»Wann wirst Du ihm sein Geld bezahlen? Pränumerando?«

Es war ein dämonisches Lächeln, welches sich jetzt auf Cortejo's Gesicht sehen ließ.

»Das Geld?« sagte er. »Er wird es niemals erhalten.«

Sie blickte ihn zweifelhaft an.

»Du willst es ihm vorenthalten?« fragte sie.

»Ja.«

»Ihn also darum betrügen?«

»Betrügen? Hm. Kann man einen Todten betrügen?«

Da fuhr sie rasch empor.


// 2214 //

»Einen Todten? Er soll sterben?«

»Ja.«

»Von Deiner Hand?«

»Von keiner anderen.«

»Und wann?«

»Wenn er seine Schuldigkeit gethan hat und ich ihn nicht mehr brauche.«

Schwester Clarissa machte ein hochbeglücktes Gesicht.

»Cortejo,« rief sie, »daran erkenne ich Dich! Du bist ein großer Mann. Du verfolgest Deinen Gedanken mitten durch Himmel und Hölle hindurch.«

»Es wird seine Strafe sein, daß er uns betrogen hat,« sagte er. »Uebrigens war dies nicht das erste und zweite Mal.«

»Auch sonst noch?« fragte sie.

»Ja. Er gestand mir heute, daß er mir nur den zehnten Theil unseres Piratengewinnes gegeben hat.«

»Und wie viel hattest Du zu verlangen?«

»Die Hälfte - fünfzig Procent.«

Da schlug sie die Hände über dem Kopfe zusammen.

»So hat er Dich um vierzig Procent betrogen?«

»Ja.«

»Und das hat er Dir gestanden?«

»Ja.«

»Doch gezwungener Weise?«

»O nein, sondern mit lachendem Munde.«

»Welche Frechheit! Welche Schändlichkeit! Welch ein Betrug! Du hast recht. Er hat den Tod verdient. Er verdient keine Schonung.«

»Er wird seine Strafe finden. Wer mich zu täuschen und zu übervortheilen wagt, der erhält seinen Lohn, selbst wenn er mein Bruder wäre.«

Sie blickte ihm abermals forschend in die Augen.

»Soll das etwa heißen -« fragte sie gedehnt.

»Was?«

»Dein Bruder hat Dich ja auch getäuscht.«

»O, noch mehr. Er ist an Allem, Allem schuld!«

Dabei ballte Cortejo die Faust und schlug sie auf den Tisch.

»Wieso an Allem?« fragte Clarissa.

»Er hat den Landola verführt, Don Ferdinando leben zu lassen. Da dies dem Capitän geglückt ist, hat er es später auch gewagt, den Anderen das Leben zu schenken, was sicherlich nicht geschehen wäre, wenn er das Erstere nicht hätte thun dürfen.«

»Du hast recht; aber er ist Dein Bruder,« sagte sie, indem ihr Blick lauernd auf ihm ruhte.

Er bemerkte das, stieß ein zufriedenes Lachen aus und sagte: »Also auch hierin stimmen wir zusammen!«

»Worinnen?«

»Hm. Denkst Du, ich sehe es Dir nicht an, was Du wünschest?«

Sie erröthete ein wenig und fragte dabei:


// 2215 //

»Nun, was ist es, was Du mir ansiehst?«

»Du möchtest, daß ich meinen Bruder auch ein wenig bestrafe. Habe ich recht?«

»Würdest Du mir diesen Wunsch übel nehmen?«

»Ganz und gar nicht.«

»Ich will Dir gar nicht vorgreifen, aber wie kommt Pablo dazu, das Eigenthum unseres Sohnes an sich zu reißen!«

»Es zu vergeuden!« fügte Cortejo hinzu.

»Unsere Reichthümer in den Rachen der Revolution und des schwarzen Panthers zu werfen!«

»Uns seine Tochter als Gräfin Rodriganda anzubieten!«

»Das war lächerlich.«

»Er steht am Ziele seiner Lächerlichkeiten.«

»Du willst ihm steuern?«

»Ja, sehr ernst. Er soll mir helfen, die Feinde zu überwinden. Ist das geschehen, dann -«

Er stockte.

»Was, dann?« fragte sie gespannt.

»Er war mein Bruder, aber er ist es nicht mehr; er hat mich betrogen. Er wird das Schicksal Henrico Landola's theilen.«

Es zuckte electrisch durch alle Glieder der Schwester Clarissa.

»Und seine Tochter Josefa?« fragte sie fast athemlos.

»Sie wird mit ihm untergehen.«

»Wirklich?«

»Ja. Es ist beschlossen; ich habe es mir geschworen, folglich wird es auch geschehen.«

Sie fiel ihm um den Hals.

Da warf sie ihm vor Entzücken die Arme um den Hals, zog ihn an sich und bedeckte seinen Mund, seine Wangen und Augen mit glühenden Küssen.

»Ich danke, danke Dir!« rief sie. »Nun endlich wird Alfonzo der richtige Graf Rodriganda sein. Er wird die ganze Herrschaft ungetheilt besitzen, und wir, seine Eltern, sind die eigentlichen wahren Herren. Gasparino, könnte ich Dich doch so belohnen, wie Du es verdienst!«

Sie blickte ihm geil und verlangend in die Augen. Sie legte seine beiden Hände auf ihren alten Busen; er aber schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich bedarf keiner Belohnung.«

»Nicht?« meinte sie enttäuscht.

»Nein. Was ich thue, ist meine Pflicht, oder wenigstens Ausfluß meines Characters.«

»Aber früher batest Du mich sogar um Lohn bei ganz geringen, einfachen Dingen, welche ganz ebenso und noch mehr Deine Pflicht waren. Jetzt bist Du leider ganz anders.«

Er zog die Brauen in die Höhe, warf von seitwärts einen Blick auf sie und sagte:

»Ich glaube gar, Du schmollst!«

»Ja. Warum bist Du so anders?«


// 2216 //

»Damals waren wir jung, meine Alte.«

»Alte!« rief sie. »Cortejo, habe ich das verdient?«

»Unsinn! Du wirst zugeben müssen, daß wir Beide bereits recht alt geworden sind.«

»O, früher war ich Dir nicht genug. Da brauchtest Du neben mir noch Andere, Zigeunerinnen und so weiter, Mädchen wie diese Zarba! Ich mußte das erdulden. Jetzt bin ich allein Dir schon zu viel. Auch das muß ich dulden.«

»Dulde in Gottes Namen. Auch ich muß dulden. Obgleich wir alt sind, bleiben wir doch in unserem Sohne jung. Und dieser soll Graf von Rodriganda sein und bleiben, so lange meine Brust noch einen Rest von Athem hat!« -

Einige Zeit darauf lag auf der Rhede von Rio de Janeiro, der Hauptstadt Brasiliens, ein schmucker Dampfer vor Anker. Er war nicht groß. Man sah es ihm an, daß er wohl nur zum Privatgebrauche bestimmt sei.

Gewiß wollte er in kurzer Zeit die Rhede verlassen, denn ein ganz leichter Rauch, welcher wie ein Gedanke dem Schornstein entquoll, zeigte an, daß man eben daran sei, den Kessel zu feuern.

Es war am späten Nachmittage. Die Sonne war gesunken und die kurze Dämmerung brach herein.

Da kam von der Stadt her ein Boot, von vier kräftigen Jungens gerudert, so daß es wie ein Pfeil über das Wasser flog und fast nicht in den Wellen, sondern in der Luft zu gehen schien.

Der Mann, welcher auf der Mittelbank saß, war jedenfalls ein Seemann. Sein volles, frisches, sonnengebräuntes Gesicht ließ dem Kenner vermuthen, daß er ein Deutscher und zwar speciell ein Friese sei. Sein blaues, helles Auge ruhte mit wohlgefälligem Blicke auf dem Dampfer und als das Boot längsseite anlegte, stand er mit einem schnellen Sprunge auf dem Fallreep und stieg die Stufen hinan mit der Miene eines Mannes, welcher von einem anstrengenden Ausfluge müde nach Hause kommt.

Als er das Deck erreichte, trat der Steuermann auf ihn zu und meldete:

»Capitän, da sind zwei Herren, welche mit Ihnen zu sprechen verlangen.«

»Was wollen sie denn?« fragte der Capitän, indem er die beiden Männer überflog, welche, am Regeling lehnend, auf seine Rückkehr gewartet zu haben schienen.

»Sie haben gehört, daß wir nach Vera Cruz gehen - -«

»Und wollen etwa mit?«

»Ja.«

»Ah! Hm. Was sprechen sie für eine Sprache?«

»Spanisch.«

»Gut. Wollen sehen.«

Er schritt auf die beiden Männer zu.

»Mein Name ist Wagner,« sagte er, »Capitän dieses Schiffes.«

»Ich heiße Antonio Veridante, Advocat aus Barcelona. Dieser Sennor ist mein Secretär,« sagte der Eine der beiden Männer.

»Sie wünschen?«

»Wir hörten, daß Sie nach Vera Cruz gehen.«

»Das ist allerdings wahr.«


// 2217 //

»So wollten wir Sie fragen, ob Sie nicht die Güte haben wollten, uns mitzunehmen.«

»Sennores, das wird wohl nicht möglich sein.«

Der ältere der beiden Männer, der Advocat, zog die Stirn kraus und sagte:

»Warum nicht? Wir sind bereit, sehr gut zu zahlen.«

»Das ändert nichts. Dieser Dampfer ist weder Fracht- noch Passagierschiff, er dient zu ganz bestimmten privaten Zwecken.«

»Die wir nicht erfahren dürfen?«

»Es würde Sie nicht interessiren.«

»So schlagen Sie uns unsere Bitte wirklich ab?«

»Ich bin leider gezwungen.«

»Wir müssen das umso mehr beklagen, als wir im Vertrauen auf Ihre Güte bereits unser Gepäck mitgebracht haben.«

»Sapperlot! So haben Sie wohl gar das Boot zurückgeschickt, welches Sie an Bord brachte?«

»Nein. Das gab Ihr Steuermann nicht zu. Es liegt seewärts am anderen Bord.«

»Ich hoffe, daß Sie eine baldige Gelegenheit finden.«

»Wir wünschen es auch; doch wird dieser Wunsch wohl nicht so bald in Erfüllung gehen. Ich habe bedeutende Verluste zu befürchten, welche ich erleide, wenn ich nicht schleunigst eintreffe.«

»So.«

Sein Auge überflog noch einmal die beiden Männer. Sie hatten Beide etwas an sich, was ihm nicht gefiel; aber sonst zeigten sie ein ehrbares, achtungforderndes Aeußere. Es war übrigens bereits so dämmerig, daß man Einzelnheiten nicht gut mehr sehen konnte.

»Große Verluste?« fragte er. »Sind sie bedeutend?«

»Sehr.«

»Wohl für eine Bank, deren Vertreter Sie sind?«

»Nein, sondern für einen Privatmann.«

»Darf ich fragen, wer das ist?«

»Ja. Ich meine den Grafen de Rodriganda.«

Kaum war dieses Wort ausgesprochen, so trat der Capitän einen Schritt näher.

»Was?« fragte er. »Habe ich recht gehört? Rodriganda?«

»Ja.«

»Meinen Sie den Grafen, dessen Stammschloß gleichen Namens bei Manresa in Spanien liegt?«

»Ja.«

»Er hat große Besitzungen in Mexiko?«

»Ja.«

»Sie sollen mitfahren. Sie haben doch Ihre Legitimationen bei sich?«

»Das versteht sich. Wünschen Sie, sie zu sehen?«

»Jetzt nicht. Das hat für später Zeit. Das Schiff sticht bald in See und ich habe noch Anderes zu thun. Ihr Boot kann zurückgehen. Peters!«


// 2218 //

Auf diesen Ruf kam ein Matrose herbei.

»Führe die beiden Sennores nach der vorderen Cajüte. Du magst sie bedienen und bist deshalb vom Uebrigen frei.«

»Danke, Kapitain!« meinte der Mann. Dann drehte er sich zu den beiden Pflegebefohlenen und sagte in gebrochenem Spanisch: »Folgen Sie mir!«

Er führte sie in einen zwar kleinen, aber allerliebsten Raum, in welchem über einander zwei Betten sich befanden.

»So, das ist Ihre Koje,« sagte er. »Machen Sie es sich bequem. Ich hole Wasser und dergleichen herbei.«

Kaum war er fort, so meinte Cortejo:

»Was war das, Sennor Landola?

»Er kannte die Familie Rodriganda!«

»Ja. Wir müssen da außerordentlich vorsichtig sein!«

»Hätten wir den Namen Rodriganda nicht erwähnt, so wären wir wahrhaftig nicht mitgenommen worden!«

»Und doch wünsche ich, ich hätte lieber nichts gesagt.«

»Na, wir müssen warten, was wir erfahren. Bis dahin können wir ja vorsichtig laviren, bis wir das richtige Fahrwasser finden.«

»Ja, aber da bitte ich um Eins!«

»Was?«

»Daß ich die Erkundigungen einziehe. Ihr geltet für meinen Untergebenen, also bin ich Derjenige, welcher reden muß.«

»Meinetwegen,« meinte Landola mürrisch.

Peters kam bald zurück, um Wasser und Waschrequisiten zu bringen.

»Lagt Ihr lange in Rio?« fragte Cortejo.

»Nur drei Tage,« lautete die Antwort.

»Woher kommt Ihr?«

»Um Cap Horn.«

»Ah! Um Südamerika herum?«

»Ja.«

»Wohl von Australien?«

»Eigentlich ja; aber zunächst von Mexiko.«

»Von einem der Westhäfen?«

»Guaymas.

»Ladung dort genommen?«

»Nein. Passagiere dort gelandet.«

»Viele? Der Capitän sagte doch, dies sei kein Passagierschiff.«

»Ist's auch nicht.«

»Was sonst?«

»Privateigenthum.«

»Wem gehört es denn?«

»Dem Grafen de Rodriganda.«

Die beiden Fremden blickten einander erschrocken an, was jedoch der Matrose gar nicht bemerkte.


// 2219 //

»Rodriganda?« fragte Cortejo, indem er sich zusammennahm. »Wie ist denn der Vorname dieses Herrn?«

»Don Ferdinando.«

»Wo wohnt er?«

»In Mexiko.«

»Kennst Du ihn?«

»Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«

»Ich denke, nach Deinen Reden zu schließen, habt Ihr ihn in Guaymas ausgeschifft!«

»Das ist richtig, aber ich war nicht dabei.« 

»Wieso?«

»Ich hatte einen schlechten Capitän und ging daher in Valparaiso von Schiff. Da kam Capitän Wagner mit diesem Dampfer. Er mußte einen schwerkranken Mann an's Land geben und nahm an seiner Stelle mich auf.«

»So bist Du also erst seit Valparaiso hier an Bord?«

»Ja.«

»Und weißt nichts von dem früheren Schicksale dieses Schiffes?«

»Ich weiß Einiges, was ich von den Anderen erfahren habe.«

»Nun?«

»Es gehörte einem Engländer und wurde in Ostindien von dem Grafen Rodriganda gekauft.«

»Wie kam der Graf nach Indien?«

»Mit Kapitän Wagner, Schiff Seejungfer aus Kiel.«

»Kiel ist wohl ein deutscher Hafen? Nicht?«

»Ja.«

»Sonderbar, daß der Graf dorther gekommen ist.«

»O, nicht von dort kam er.«

»Von woher sonst?«

»Er wurde an der Ostküste Afrika's aufgenommen.«

»Wo da?«

»Er war im Härrärlande gewesen und da entflohen. Er traf die Seejungfer an der Küste und wurde aufgenommen. Der Kapitän brachte ihn nach Indien und dann nach Australien, um die Anderen abzuholen.«

»Die Anderen? Wer ist das?«

»Wer? Hm!«

Der Mann zögerte zu antworten. Er betrachtete sich die beiden Männer einige Sekunden lang, ohne seine Auskunft fortzusetzen.

»Warum antwortest Du nicht?« fragte Cortejo.

»Weil ich weiter nichts weiß.«

»So! Und das Andere wußtest Du so rasch.«

»O, Sennor, es kommt sehr viel auf den Frager an, ob man etwas schnell vergißt oder nicht.«

Bei diesen Worten drehte er sich um und schritt zur Thür hinaus.

Cortejo blickte Landola an.

»Was war das?«


// 2220 //

Landola zuckte anstatt der Antwort mit den Achseln.

»Ich wette meinen Kopf, daß er es wußte und sagte es doch nicht!«

»Ihr seid selbst schuld.«

»Ich? Inwiefern?«

»So eine weitbefahrene Theerjacke pflegt kein Dummhut zu sein.«

»Was hat dies mit meiner Frage zu schaffen?«

»Sehr viel. Ihr wart zu unvorsichtig.«

»Nicht, daß ich wüßte!«

»Und doch. Ihr wart ja förmlich erpicht, etwas über Rodriganda zu hören. Ihr habt den Kerl mit den Augen fast verschlungen.«

»Unsinn!«

»Ich habe Euch beobachtet. Es ist so!«

»Ich weiß nichts davon.«

»Wenn Ihr Euch nicht anders beherrschen könnt, so ist es besser, Ihr überlaßt das Fragen mir. Sonst verrathet Ihr Euch.«

»Das geht nicht. Aber wenn es wirklich so ist, wie Ihr sagt, so werde ich mich auch in Acht nehmen.«

»Das rathe ich Euch sehr an. Ihr habt ja gehört, wie die Sachen stehen. Oder nicht?«

»Hm! Dieser Kapitän hat den Grafen befreit.«

»Und nach Indien gebracht. Hier ist mir nun Eins unklar.«

»Was?«

»Hier hat der Graf diesen Dampfer gekauft. Der kostet Geld.«

»Allerdings,« meinte Cortejo. »Woher hat er das Geld?«

»In der Sclaverei erarbeitet jedenfalls nicht.«

»Vielleicht dem Sultan gestohlen.«

»Dem Sultan gestohlen und doch entkommen? Das klingt sehr unwahrscheinlich.«

»Wir werden es erfahren.«

»Mit diesem Dampfer sind sie dann nach Australien gefahren, um die Anderen zu holen. Wen habe ich unter diesen Anderen denn eigentlich zu verstehen?«

»Doch Sternau und die Seinen.«

»Das denke ich auch.«

»Aber wie kann der Graf in diesem abgeschlossenen Härrär etwas von Sternau erfahren?«

»Zumal ich Sternau auf eine Insel gesetzt habe, welche kein Mensch kannte. Das ist wahrlich unbegreiflich.«

»Wir werden auch das erfahren.«

»Aber ich muß bitten, sehr vorsichtig zu sein. Ihr habt dem Kapitän bereits gesagt, daß Ihr Sachwalter des Grafen Rodriganda seid. Wie wollt Ihr Euch aus dem Loche helfen, in welches Ihr da aus eigener Schuld gefallen seid?«

»Das wird nicht schwer sein.«

»Wieso?«

»Ich kann doch das Vertrauen des Grafen Alfonzo besitzen, ohne gerade ein Feind der Anderen zu sein!«


// 2221 //

»Es wird sich empfehlen lassen, wenn wir den alten Grafen Emanuel gekannt haben.«

»Gut, dieser Gedanke reicht hin. Ich hoffe, daß wir von den Plänen Sternau's so viel erfahren, als für uns nöthig ist, sehr rasch zum Ziele zu kommen.«

Als der Kessel die nöthigen Dämpfe besaß, nahm der Dampfer die Anker auf und wendete sich der See zu. Der Kapitän stand auf der Kommandobrücke, bis man offenes Meer hatte und die Fahrt frei war; dann stieg er herab, um die Führung dem Steuermanne zu überlassen.

Da trat der Matrose Peters zu ihm, legte die Hand an den Hut und sagte:

»Capt'n!«

»Was willst Du, mein Junge?« fragte Wagner, welcher gewohnt war, mit seinem Seevolke in der leutseligsten Weise zu verkehren.

»Die Passagiere!«

»Na, was ist mit ihnen?«

»Hm! Fürchterlich neugierig!«

»So, so! Was wollten sie wissen?«

»Alles vom Schiff.«

»Thut ja nichts.«

»Und vom Grafen Rodriganda.«

»Auch das thut nichts, mein Sohn.«

»War mir aber doch auffällig. Der Eine fragte, und der Andere sperrte das Maul wie ein Wallfisch auf.«

»Das ist leicht erklärlich. Sie kennen Beide den Grafen Rodriganda.«

»Ach so!«

»Hast Du sonst noch etwas?«

»Nein.«

»So schicke sie einmal zu mir, und sage dem Koch, daß sie in meiner Cajüte mit mir essen werden.«

Peters ging. Sobald ihn aber der Capitän nicht mehr zu sehen vermochte, brummte er zwischen die Zähne:

»Also sie kennen den Grafen? Gefallen mir aber doch nicht. Sie sehen Beide grad so aus, als wenn ein Seeräuberschiff die Kanonenluken maskirt, um für einen Kauffahrer angesehen zu werden. Kann auf keinen Fall schaden, wenn ich ein wachsames Auge auf sie habe.«

Der gute Peters gehörte zu jenen Leuten, welche sich unmöglich verstellen können, dafür aber auch ein instinctives Gefühl für jede Falschheit besitzen. Als er in die Cajüte trat, meinte er in einem Tone, welcher zwar höflich sein sollte, aber fast wie ein Befehl klang:

»Zum Capt'n, Sennores! Aber schnell!«

»Wo ist er?« fragte Landola.

»In seiner Cajüte.«

»Gut! Werden gehen!«

»Wird gut sein, die Legitimationen mitzunehmen!«

Mit diesem Winke stieg Peters wieder davon. Dann aber stellte er sich etwas abseits, um die Beiden zu beobachten. Ein anderer Matrose kam herbei und fragte:


// 2222 //

»Was giebt's hier, Peters? Stehst doch da wie die Katze vor dem Rattenloche.«

»Ist's auch!« lautete die kurze Antwort.

»Lauerst wirklich auf eine Ratte?«

»Ja, auf zwei.«

»Ah! Die Landratten?«

»Hast's errathen. Paß auf!«

»Was denn?«

»Wirst's sehen und hören.«

Die beiden Männer waren beim Scheine der Decklaternen deutlich zu erkennen. Landola schritt voran, und Cortejo folgte ihm.

»Siehst Du es?« fragte Peters seinen Kameraden.

»Was?«

»Daß der Eine ein Seemann ist?«

»Ah! Weshalb?«

»Habe es ihm am Auge angesehen. Ein Seemann hat ein anderes Auge als eine Landratte. War bei ihnen, um sie zum Capt'n zu bestellen. Zwei Landratten hätten gefragt, wo die Cajüte ist.«

»Vielleicht sind sie bereits viel gefahren.«

»Thut nichts. Auf unserem Deck waren sie noch nicht. Nur ein erfahrener Seewolf findet auf einem fremden Privatdampfer und im Dunkel des Abends die Capitänscajüte.«

»Warum aber beobachtest Du das?«

»Weiß es selbst nicht. Kann die Kerls nicht leiden.«

Landola hatte nicht geahnt, daß der gute Peters einen solchen instinctiven Scharfsinn besitzen könne, sonst hätte er sich anders benommen.

Als sie in die Cajüte traten, saß Wagner bei einem Glase Wein. Er empfing sie mit freundlicher Miene und sagte:

»Noch einmal Willkommen an Bord, Sennores! Lassen Sie uns zunächst die unlieben Formalitäten beseitigen. Ich habe es Ihnen nicht extra sagen lassen, aber ich denke, daß Sie Ihre Papiere bei sich haben.«

»Wir haben daran gedacht, Sennor Capitano,« meinte Cortejo, indem er die beiden Pässe hervorzog.

Wagner nahm sie in Empfang, ging sie durch und gab sie ihm wieder retour.

»Eigentlich bin ich angehalten, die Legitimationen unter meinen Verschluß zu nehmen,« sagte er. »Aber ich glaube, heute nicht so penibel sein zu brauchen. Hier nehmen Sie, und setzen Sie sich nieder!«

Die beiden Männer nahmen mit einer Verbeugung Platz. Es entspann sich ein Gespräch, welches, wie es zwischen Leuten, die sich zum ersten Male sehen, herzugehen pflegt, zunächst einen langsamen Schritt hatte, dann aber, als der Koch das Abendmahl schickte und der Wein seine erheiternde Wirkung ausübte, animirter wurde.

Sowohl Cortejo als auch Landola sehnten den Augenblick herbei, an welchem der Capitän das Gespräch auf Rodriganda bringen werde. Er kam lange nicht, aber endlich doch.


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»Sie sagten, als ich Sie empfing, Don Antonio, daß Sie der Sachwalter des Grafen Rodriganda seien,« begann Wagner. »Habe ich so recht verstanden?«

»Sie haben richtig verstanden, Sennor,« antwortete der Gefragte.

»Sie kennen also die Familie der Grafen Rodriganda?«

»Sehr gut.«

»Ich habe Veranlassung, einiges Interesse an dieser Familie zu nehmen. Können Sie mir sagen, aus welchen Gliedern dieselbe jetzt besteht?«

»Ich gebe Ihnen mit großem Vergnügen Auskunft. Es sind heute leider nur noch zwei Glieder zu nennen.«

»Ah! Nicht mehr?«

»Nein, wie ich mit »leider« bemerkte.«

»Wer sind diese Glieder?«

»Graf Alfonzo, welcher sich jetzt in Madrid aufhält, und Comtesse Rosa, welche in Deutschland lebt.«

»In Deutschland? Wo da?«

»Auf Schloß Rheinswalden bei Mainz.«

»Wie kommt es, daß sie nach Deutschland gegangen ist?«

»Sie ist einer Liebe dorthin gefolgt.«

»Ah! Sie ist dort verheirathet?«

»Ja.«

»Mit wem?«

»Mit einem Arzte Namens Sternau.«

»Eine Meßalliance also.«

Cortejo zuckte die Achsel.

»Hm, es fragt sich, was man unter Meßalliance versteht. Die Kenntnisse und der Ruf dieses Arztes wiegen einen Fürstentitel auf.«

»So kennen Sie diesen Sternau?« fragte Wagner erfreut.

»Ja.«

»Ich habe von ihm gehört. Können Sie ihn mir beschreiben?«

»Gewiß. Er ist ein langer, breiter, athletisch gebauter, aber schöner Mann, ein wahres Riesenkind. Aber er besitzt das Herz und das Gemüth eines Kindes.«

»Das stimmt. Wo lernten Sie ihn kennen?«

»In Rodriganda.«

»Er war dort?«

»Ja. Er operirte den Grafen Emanuel von einem ebenso schweren wie schmerzhaften Leiden.«

»So lernte er wohl damals die Comtesse kennen?«

»Ja.«

»Und auch Sie kannten den Grafen Emanuel?«

»Schon seit längerer Zeit.«

»Ich denke, sein Sachwalter war damals ein gewisser Cortejo?«

Cortejo zog eine Miene, als ob er einen sehr verhaßten oder verachteten Namen gehört habe und antwortete:

»Ja, Cortejo hatte die laufenden Geschäfte zu besorgen, die Kleinigkeiten, so


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zu sagen. Bei wichtigeren Veranlassungen aber hatte ich die Ehre, den Grafen bei mir in Barcelona zu empfangen.«

»Ach so also! Sie kannten Cortejo genau?«

»Sehr genau, genauer als mir lieb war und ist.«

»Das klingt ja recht unsympathisch!«

»Soll es auch sein.«

»Sie hatten ihn nicht lieb?«

»Ganz und gar nicht. Ich will nicht sagen, daß ich ihn haßte, aber ich verachtete ihn.«

»Warum?«

»Warum? Lassen sich Gefühle erklären?«

»Wohl schwerlich; aber Veranlassungen giebt es doch.«

»Das war hier allerdings der Fall. Ich hielt und halte diesen Cortejo für jeder Schandthat fähig.«

Der Capitän nickte.

»Das habe ich auch gehört,« sagte er.

»Wirklich? Wo?«

»Das erzähle ich Ihnen später. Erlauben Sie mir vorher erst noch einige Fragen.«

»Mit dem größten Vergnügen!«

»Hat nicht dieser Cortejo einen Bruder?«

»Ja.«

»In Mexiko?«

»Allerdings. Der Eine heißt Gasparino und der Andere Pablo.«

»Was für ein Kerl ist dieser Pablo Cortejo?«

»Ein abenteuernder Schurke.«

»Wirklich?«

»Ganz gewiß. Ich reise ja gerade seinetwegen nach Mexiko.«

»Ah! Das ist mir hochinteressant!«

»Wirklich? Ich komme nämlich, ihm ein klein wenig auf die schmutzigen Finger zu sehen.«

»Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu! Waren Sie in Rodriganda, als Graf Emanuel starb?«

»Ja. Ich habe ihn mit beigesetzt.«

»Er soll keines natürlichen Todes gestorben sein?«

»Nein. Er litt an einer Art unerklärlichen Wahnsinns. In einem Anfalle desselben entwich er und stürzte sich in einen Abgrund. Natürlich war er sofort todt.«

»Zerschmettert sogar.«

»Ja.«

»Man scheint damals so Allerlei gemunkelt zu haben.«

Cortejo schüttelte höchst unbefangen den Kopf und antwortete:

»Gemunkelt? O nein. Laut gesprochen hat man sogar!«

»Wer?«


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»Doctor Sternau zum Beispiel. Das war der Grund, weshalb ich diesen Mann so lieb gewann.«

»Ah, gesprochen hat er? Darf ich fragen, was?«

»Natürlich! Er erklärte öffentlich, daß die aufgefundene Leiche nicht diejenige des Grafen sei.«

»Was sagen Sie dazu?«

»Ich gebe ihm recht.«

»Aus welchem Grunde?«

»Ich habe nur den einen Grund, daß Sternau ein großer Arzt und ein außerordentlicher Mann war. Die Aussage seiner Collegen hat für mich kein Gewicht. Sie waren sämmtlich obscure Mediciner, auf deren Ansichten ich nichts gebe.«

»Hatte diese Aussage Sternau's Erfolg?«

»Leider keinen. Die aufgefundene Leiche wurde als Graf Emanuel de Rodriganda beerdigt.«

»Er ist es doch wohl auch gewesen!«

»Es giebt viele Leute, welche dies bezweifeln.«

»So sollte der eigentliche Graf noch leben?«

»Ja.«

»Aber wo?«

»Das ist ja eben das Geheimniß. Ich habe von meinem Leben nicht sehr viele Jahre mehr zu erwarten; aber die Hälfte würde ich hingeben, wenn ich dieses Räthsel lösen könnte!«

Der Capitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann nickte er langsam mit dem Kopfe und sagte in seiner bedächtigen Weise:

»Es ist doch eigenthümlich, daß Contezza Rosa ebenso wahnsinnig wurde wie ihr Vater.«

»Vielleicht liegt das Uebel in der Familie,« meinte Landola, jetzt zum ersten Male das Wort ergreifend.

»O nein,« entgegnete Cortejo. »Ich kannte die Grafen und meine Vorfahren kannten die Ahnen derselben. Es ist nie ein Fall von Wahnsinn vorgekommen. Man sprach von Gift.«

»Ah! Wirklich?« fragte der Capitän.

»Ja.«

»Wer sollte wohl - hm!«

»Ich traue diesem Cortejo nicht.«

»Ist er denn ein gar so großer Bösewicht?«

»Ich sagte bereits, daß ich ihn zu Allem für fähig halte.«

»Sodann starb der mexikanische Graf so plötzlich.«

»Ja,« meinte Cortejo; »man sagte wohl, der Schlag habe ihn getroffen. Ich habe keine Lust, es zu glauben.«

»Warum nicht?«

»Es läßt sich das schwer sagen, Sennor. Man macht zwar seine Combinationen, behält sie aber für sich.«

»Sie sind ein sehr vorsichtiger Mann. Aber wie verträgt es sich mit dieser


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Vorsicht, gewisse Verdachte auszusprechen und doch der Sachwalter des Grafen Alfonzo zu sein?«

Cortejo lächelte verständnißinnig und antwortete:

»Sie meinen, daß Graf Alfonzo mit diesem Verdachte in Beziehung zu bringen sei?«

»Vielleicht.«

»Sie mögen richtig vermuthen. Aber ich will Ihnen Ihre Frage beantworten. Ich habe mir die Aufgabe gemacht, die Geheimnisse des Schlosses Rodriganda zu ergründen. Diese Aufgabe kann ich nur lösen, wenn ich mit diesem Schlosse in Beziehung bleibe, und darum bin ich willig gewesen, der Sachwalter des jungen Grafen zu sein, grad so, wie ich derjenige des guten Grafen Emanuel war.«

Der Capitän rückte unruhig auf seinem Sessel hin und her. Dem guten, aufrichtigen Mann drückte das, was er wußte, fast das Herz ab. Aber er beherrschte sich noch und fragte nur:

»Giebt es dieser Geheimnisse so viele?«

»Gewiß. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe nennen.«

»Wirklich?«

»Ja. Da ist zum Beispiel die Zigeunerin Zarba.«

»Kennen Sie auch diese?«

»O, sehr gut. Ich kannte sie bereits als Mädchen.«

»Sie soll sehr schön gewesen sein.«

»Man sagt sogar, daß sie Cortejo's Geliebte gewesen sei.«

»Davon weiß ich nichts,« meinte der Capitän.

»Ein ferneres Geheimniß ist der Husarenlieutenant Alfred de Lautreville,« fuhr Cortejo fort.

»Hatte er nicht noch einen anderen Namen?«

»Ja. Er nannte sich auch Mariano.«

»In wiefern ist dieser ein Räthsel?«

»In Folge seiner Aehnlichkeit mit Graf Emanuel.«

»Ah! Während Graf Alfonzo Cortejo auffallend ähnlich sieht?«

»Ja.«

»Wie wäre dieses Räthsel zu lösen?« fragte der Capitän.

»Hm. Ich glaube, der Lösung auf der Spur zu sein.«

»Wirklich?«

»Ja. Meiner Ansicht nach liegt sie in Mexiko.«

»In wiefern?«

»Weil da die meisten der Betheiligten verschwunden sind.«

»Das ist wahr. Aber es lebt vielleicht Keiner mehr von ihnen.«

»Das ist möglich. Aber sollte nicht diese oder jene Person eine mündliche oder schriftliche Ueberlieferung überkommen haben?«

Da, jetzt konnte sich der Capitän denn doch nicht mehr halten.

»Sie glauben, daß es solche Ueberlieferungen giebt?« fragte er.

»Ja.«

»Und Personen, welche sie besitzen?«

»Ja.«


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»Sie suchen solche Personen?«

»Ja doch! Ich würde viel dafür bieten, nur eine einzige zu treffen.«

»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß Sie heute am Ziele sind.«

Cortejo machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Verstehe ich recht?« fragte er.

»Ja, Sie sind am Ziele. Sie haben eine solche Person gefunden.«

»Heut? In wem?«

»In mir.«

»In Ihnen?« fragte der Heuchler mit gut gespielter Freude. »Wäre es möglich? Ich bewunderte allerdings bereits Ihre außerordentliche Kenntniß der Verhältnisse von Rodriganda.«

»Sagen Sie mir aufrichtig,« meinte der Capitän, »Sie sind ein Freund des Grafen Emanuel gewesen?«

»Ja. Ich glaube, er lebt noch; ich glaube, sein Bruder, Don Ferdinando, ist ermordet worden. Sternau, Mariano und Andere sind verschwunden; vielleicht sind sie ermordet. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, Licht in diese Sache zu bringen. Ich will wissen, ob Alfonzo der richtige Graf ist oder nicht. Ich muß das erfahren, und wenn ich Zeit meines Lebens suchen sollte. Und wehe den Schuldigen, wenn ich endlich Klarheit erlange! Ich zerschmettere und zermalme sie mit dem unnachsichtigsten Paragraphen des Gesetzes!«

Er hatte sich erhoben und mit so vortrefflich imitirter Begeisterung gesprochen, daß der Capitän sich vollständig hingerissen fühlte. Auch er sprang auf, streckte Cortejo beide Hände entgegen und rief:

»Wohlan, so will ich aufrichtig mit Ihnen sein! Wissen Sie, wer der Eigenthümer dieses Dampfers ist?«

»Nein.«

»Ich werde es Ihnen sagen.«

»So bitte.«

»Graf Ferdinando de Rodriganda.«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Der Graf ist ja todt!«

»Nein, er lebt!«

»Was sagen Sie? Er lebt? Graf Ferdinando lebt?«

»Ja.«

»Ist's wahr? Können Sie es beschwören?«

»Ja, mit allen Eiden der Welt.«

»Um Gottes willen, sagen Sie, wo er ist! Schnell, schnell!«

Frage und Antwort zwischen diesen beiden Männern war Schlag auf Schlag gekommen. Wagner war wirklich begeistert und Cortejo spielte seine Rolle vortrefflich.

»Nur Geduld!« sagte der Capitän, obgleich er selbst vor Ungeduld verging. »Ich habe Ihnen noch ganz andere Dinge zu sagen. Wissen Sie, wer außer dem Grafen noch lebt?«

»Nein. Reden Sie.«

»Sternau.«


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»Gott! Wäre dies wahr?«

»Ja. Und Mariano auch.«

»Sie scherzen, Sennor Capitano!«

»Nein. Ich würde mir in so ernster Angelegenheit niemals einen Scherz erlauben.«

»So dürfte ich also hoffen, Die zu finden, welche ich suche?«

»Ja, sie leben. Ich habe mit ihnen gesprochen, ich habe mit ihnen zusammen gelebt, Monate lang.«

»Wo?«

»Auf den Planken dieses Dampfer.«

»Wäre es die Möglichkeit?«

»Es ist die Wirklichkeit.«

»So erzählen Sie, Sennor. Erzählen Sie! Oder vielmehr, erlauben Sie mir, zu fragen, und haben Sie die Güte, mir zu antworten.«

»Herzlich gern. Fragen Sie.«

»Ich kenne die Schicksale Sternau's bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland. Warum ging er nach Mexiko?«

»Um einen gewissen Landola zu suchen. Der Name wird Ihnen unbekannt sein. Nicht wahr?«

»Allerdings. Wer war dieser Mann?«

»Er hieß Henrico Landola, Seecapitän. Eigentlich aber war er der berüchtigte Grandeprise, Capitän des Seeräuberschiffes »Le Lion«, von welchem Sie vielleicht gehört haben werden.«

»O, viel, sehr viel!« rief Cortejo.

Der Capitän hatte keine Ahnung, daß der Corsar an seinem Tische neben ihm saß und mit Cortejo einen Blick des Einverständnisses wechselte. Er fuhr fort:

»Die eigentlichen Macher sind die beiden Cortejo's -«

»Ganz so, wie ich dachte.«

»Ihr Complice und vornehmster Helfershelfer aber ist dieser verdammte Landola, den ich zu Brei zermalmen würde, wenn ich einmal das große Glück hätte, ihn in meine Hände zu bekommen.«

»Es gehörte ihm auch nichts Besseres,« fiel Landola ein.

Der Capitän fuhr fort:

»Kennen Sie vielleicht eine gewisse Schwester Clarissa, welche sich zuweilen in Rodriganda aufhält?«

»Ja,« antwortete Cortejo.

»Nun, sie war die Geliebte von Gasparino Cortejo.«

»Was Sie sagen!«

»Ja. Sie gebar ihm einen Sohn.«

»Sollte man das denken!«

»O, man sollte noch vieles Andere nicht denken! Die Eltern wollten diesen Wechselbalg zum Grafen von Rodriganda machen, darum verwechselten sie ihn mit dem echten Sohn Don Emanuel's.«

»Es ist kaum zu glauben!«

»Aber doch wahr.«


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»Wie ging die Verwechselung vor sich?«

»Der kleine Rodriganda sollte zu seinem Oheim nach Mexiko geschafft werden. Er wurde im Gasthofe del hombre cortés gegen den Wechselbalg umgetauscht und einem Briganten übergeben, der ihn tödten sollte. Der Räuber aber war mitleidiger als Cortejo. Er ließ das Kind leben und gut erziehen. Es wurde Mariano genannt und kam später als Husarenlieutenant Alfred de Lautreville nach Rodriganda.«

Das war Alles so wahr und klar, daß Cortejo am liebsten einen fürchterlichen Fluch ausgestoßen hätte; er beherrschte sich aber und rief:

»Santa Madonna! So ist also dieser Mariano wirklich der echte Rodriganda?«

»Ja.«

»Und Alfonzo der falsche?«

»Ja.«

»Das kann bewiesen werden?«

»Zur völligsten Evidenz!«

»Welch ein Glück! Was geschah mit dem Wechselbalge?«

»Er wurde von Don Ferdinando erzogen, ohne daß dieser es ahnte, daß er eine Schlange an seinem Busen trage.«

»Welch ein Verhältniß!«

»Als der falsche Alfonzo groß genug war, rief man ihn nach Rodriganda und machte seinen Vater verrückt, ebenso wie seine Schwester Rosa. Sternau heilte die Letztere; sie wurde seine Frau. Graf Emanuel starb scheinbar; aber die Zigeunerin Zarba wird ihn wohl versteckt haben, so daß er sich wiederfindet.«

»Das gebe Gott!« sagte Cortejo. Im Innern aber dachte er: »Hole der Teufel diese Zarba mit sammt dem Grafen!«

Der Capitän fuhr fort:

»Mariano sollte auf die Seite geräumt werden, wurde aber gerettet und kam mit Sternau nach Mexiko. Vorher aber war bereits ein zweites Verbrechen begangen worden; nämlich Graf Ferdinando starb.«

»Ah! jetzt kommt es!«

»Er hatte nämlich Gift bekommen und war nicht todt, sondern nur starrkrämpfig. Er hörte und sah Alles. Er wurde begraben, aber wieder aus dem Sarge genommen und in einem Korbe nach der Küste geschafft, wo ihn Landola an Bord nahm und nach Härrär als Sclave verkaufte.«

»Welch eine Teufelei! Wie erging es ihm dort?«

»Sehr schlimm, bis er einen Menschen traf, der ihn kannte.«

Da wurde Cortejo doppelt aufmerksam. Er fragte schnell:

»Er hat in Härrär einen Bekannten getroffen? In diesem Lande, welches sonst keines Europäers Fuß betritt?«

»Ja.«

»Wer war dieser Mann?«

»Ein gewisser Bernardo Mendosa, Gärtner aus Manresa, welcher sehr oft in Rodriganda gewesen war.«

Die beiden Männer erbleichten unter der Schminke, doch ließ Cortejo sich nichts merken; er fragte:


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»Wie kam denn dieser Mann nach Härrär?«

»Ganz wie der Graf. Er hatte einige Geheimnisse Cortejo's erlauscht und wurde von diesem dem Landola übergeben, welcher ihn in Ostafrika verkaufte.«

»Wie wunderbar sind die Wege der Vorsehung,« sagte Cortejo, indem er die Hände faltete.

»O, es kommt noch wunderbarer!«

»Das ist fast unmöglich!«

»Sie werden es sogleich hören. Nämlich eines schönen Tages brachte ein Händler eine schöne, weiße Sclavin. Sie gefiel dem Sultan von Härrär und er wollte sie kaufen. Da sie aber die Sprache des Landes nicht verstand und sichtlich einer weißen Nation angehörte, so wurde der Graf geholt. Man wollte sehen, ob er ihre Sprache verstehe, damit er den Dolmetscher machen könne.«

»Verstand er sie?« fragte Cortejo, vor Neugierde fast zitternd.

Auch Landola konnte eine Bewegung der Ungeduld nicht verbergen.

»Ja; er verstand sie nur zu gut,« antwortete der Capitän. »Er fragte, sie antwortete und nannte ihn sogar beim Namen.«

»Welch ein Wunder!« rief Cortejo.

»Ja, ein Wunder möchte man es nennen, denn diese Sclavin war - ach, rathen Sie doch einmal, Sennores!«

»Dies zu errathen, ist vollständig unmöglich!«

»Nun, da Sie die Verhältnisse der Rodriganda so gut kennen, ist Ihnen wohl auch eine Hazienda bekannt, welche den Namen del Erina führt?«

»Ja,« antwortete Cortejo.

»Kennen Sie den Namen des jetzigen Besitzers?«

»Er heißt, glaube ich, Petro Arbellez.«

»Ja. Dieser Arbellez hat eine Tochter -«

»Sennorita Emma?«

»Ja. Auch diese kennen Sie? Nun, sie und keine Andere war jene Sclavin.«

Da fuhr Cortejo empor und starrte den Sprecher an.

»Emma Arbellez?« fragte er.

»Ja.«

»Das ist ja die reinste Unmöglichkeit, denn dieses Mädchen wurde ja -«

Fast hätte er sich verrathen. Nur ein rascher, vom Capitän unbemerkter Fußtritt brachte ihn wieder zu sich. Glücklicher Weise fiel ebenso rasch Wagner ein:

»Sie glauben es nicht?«

»Nein.«

»Nun, das kann ich Ihnen allerdings nicht übel nehmen, denn Sie wissen noch nicht, wie die Sennorita dorthin gekommen ist.«

»Ich bin außerordentlich begierig, es zu erfahren.«

»Nun, daß Sternau und Mariano in Mexiko waren, das wissen Sie ja bereits.«

»Ja.«

»Beide hatten Veranlassung, nach der Hazienda del Erina zu gehen. Sternau hatte seinen Steuermann, einen gewissen Helmers bei sich, welcher auf der Hazienda seinen Bruder traf, welcher Prairiejäger und Bräutigam von Emma Arbellez war. Sie fanden da auch Büffelstirn und Bärenherz, zwei Indianerhäuptlinge. Pablo


// 2231 //

Cortejo wußte, was sie wollten und trachtete ihnen nach dem Leben. Er griff sie selbst an und sandte ganze Banden gegen sie, konnte aber nichts erreichen. Endlich ließ er Emma Arbellez und ihre Freundin Karja entführen. Sternau und seine Freunde jagten nach, durch die Bolson mapimi. Sie geriethen in Gefangenschaft, retteten sich aber mit sammt den Damen und gelangten glücklich nach Guaymas, wo sie sich einschifften, um weiter südlich zu landen und nach der Hauptstadt zu kommen. Aber der Capitän, bei dem sie sich einschifften, war kein Anderer als - Landola.«

»Donnerwetter!« rief Cortejo. »War er denn keinem von ihnen bekannt?«

»O, nur zu wohl, aber der Kerl hielt sich ja verborgen. Natürlich gelang es ihm, sie zu überwältigen. Er brachte sie nach Australien nach einer wüsten Insel.«

»Entsetzlicher Mensch,« sagte Cortejo.

Er meinte das natürlich aus dem Grunde, daß Landola die Gefangenen nicht sofort getödtet hatte. Der Capitän aber nahm diesen Ausruf für baare Münze und antwortete:

»Ja, ein entsetzlicher Mensch!«

»Was thaten die Armen?« erkundigte sich jetzt Landola, und zwar im Tone tiefsten Mitleides.

»Sie bauten sich armselige Hütten, nährten sich viele Jahre lang vom Fleische der Kaninchen, Vögel und Fische und kleideten sich in die Felle der Ersteren.«

»Ah! Konnten sie sich kein Floß bauen?«

»Das war eine lange Zeit unmöglich. Es gab nur kleines Strauchwerk da, aus welchem sie sich endlich mit Mühe Bäumchen zogen. Dann wurde endlich ein Floß gebaut.«

»Ah, sie entkamen nun?«

»Nein. Morgen sollte es fortgehen. Da brach während der Nacht ein fürchterlicher Sturm aus. Früh war das Floß fort.«

»Die Allerärmsten!«

»Ja, die Verzweiflung war groß, zumal Emma Arbellez auch fehlte.«

»Auch sie?«

»Ja. Man dachte, sie sei im Sturme verunglückt und von Wind und Wellen fortgerissen worden. Später aber klärte es sich auf. Sie war vom Tosen des Sturmes erwacht und nach dem Flosse gesprungen, um dasselbe zu befestigen. Grad, als sie auf demselben stand, wurde es von den Wogen erfaßt und hinaus auf die See getrieben.«

»Schrecklich!« riefen die beiden Zuhörer, indem sie im Innern der armen Emma den Tod wünschten.

Der Capitän fuhr fort:

»Das Mädchen trieb so lange auf den Fluthen herum, bis sie aufgefischt wurde. Sie fiel in die Hände eines Chinesen, der sie an einen Sclavenhändler verkaufte. Dieser Letztere brachte sie nach Härrär, wo sie den Grafen fand.«

»So also hängt das zusammen.«

»Ja. Der Graf beschloß, Emma zu befreien und mit ihr und Bernardo Mendosa zu fliehen. Er gewann einige gefangene Somali, welche er aus dem


// 2232 //

Kerker befreite, zu diesem Unternehmen. Um aber so lange Jahre nicht umsonst gelitten und als Sclave gearbeitet zu haben, nahm er die Schätze des Sultans mit.«

»Donnerwetter,« rief Cortejo.

»War es viel?« fragte Landola.

»Viele Millionen,« antwortete Wagner.

»Wo sind diese Schätze?«

»Das werden Sie später hören. Die Somali kannten alle Schleichwege nach der Küste, und so entkamen die Flüchtigen auf meinem Schiff, nach einigen Abenteuern, bei denen auch ich eine kleine Rolle spielte. Emma Arbellez erzählte mir von ihren Leidensgefährten. Aus ihren Angaben konnte ich mir die Lage der Insel ungefähr berechnen - -«

»Alle Teufel! Da sind Sie ein ganzer Seemann,« vergaß Landola sich, voller Bewunderung zu rufen.

»Warum?«

»Aus den Angaben eines Frauenzimmers, welche auf einem elenden Flosse umhergetrieben wurde, die Lage eines kleinen Inselchens im großen Weltmeere zu bestimmen, das ist viel, das ist sogar stark!«

»Nein, das ist sogar unmöglich,« antwortete Wagner. »Die Ehre gebührt vielmehr Sternau, welcher ohne Instrumente die Höhe und Breite der Insel bestimmt hatte. Emma hatte sich die Grade zufälliger Weise gemerkt.«

»Ach so!« meinte Landola. »Aber doch immerhin ein Meisterstück von diesem Sternau.«

»Das ist wahr. Wir kamen nach Ostindien, wo wir von einem kleinen Theile des Schatzes diesen Dampfer kauften. Einen anderen Theil des Schatzes verwendete der Graf in englische Staatspapiere, und nur die werthvolleren Steine behielt er für sich. Wir dampften ab, fanden die Insel, nahmen die Unglücklichen auf und gingen nach Mexiko.«

»Warum dahin?«

»Weil die Mehrzahl der Betreffenden dort ihre Interessen zunächst zu verfolgen hatten, und weil sich da Diejenigen befanden, die von unserer Rache getroffen werden sollten.«

»Wo landeten Sie?«

»In Guaymas. Hier erhielt ich Ordre, um Cap Horn zu gehen und in Vera Cruz einzutreffen, um Sternau und die Anderen nach der Heimath zu bringen.«

»Wann werden sie in Vera Cruz erscheinen?«

»Es ist kein Zeitpunkt festgestellt.«

»So müssen Sie warten?«

»Ich werde einen Boten nach Mexiko schicken. Im Palais des Grafen Rodriganda wird Don Ferdinando schon zu finden sein.«

»Ah! Wirklich?«

»Ja. Wo nicht, so sende ich nach der Hazienda del Erina. Dort erfahre ich vollkommen Sicheres. Nun, Sennores, bin ich fertig. Ich habe mich möglichst kurz gefaßt und könnte Ihnen weit mehr erzählen. Für jetzt ist meine Zeit zu Ende.«

Er blickte auf die Uhr und erhob sich.

»Wir danken Ihnen von ganzem Herzen!« meinte Cortejo. »Das Gehörte


Ende der dreiundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk