Lieferung 98

Karl May

5. Juli 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


// 2329 //

»Ja.«

»Trotz des stricten Befehles, den ich Euch überbringe?«

»Ich bin gezwungen dazu.«

»Kennt Ihr die Gesetze unserer Verbindung denn noch?«

»Ich kenne sie.«

»Was hat Einer zu erwarten, welcher sich weigert, einen Befehl zu erfüllen?«

»Allerdings eine Bestrafung.«

Der Dicke ahmte höhnisch den Ton des Paters nach, indem er auch dessen Worte wiederholte:

»Allerdings eine Bestrafung. Aber was denkt Ihr Euch denn wohl bei diesem Worte Bestrafung, welches Ihr mit einer so naiven Unbefangenheit aussprecht?«

»Es ist eine Bestrafung festgesetzt; aber worin diese zu bestehen hat, das ist nicht erwähnt.«

»So denkt Ihr wohl gar, daß die Bestrafung Eurer widersetzlichen Weigerung etwa in einer kleinen Geldbuße bestehen werde?«

»Ich weiß, daß geheime Verbindungen nicht so sehr leichte Strafen in Anwendung bringen. Ich bin also auf eine größere Geldsumme gefaßt, welche ich zu zahlen haben werde.«

Da brach der Dicke in ein lautes Gelächter aus.

»Geld! Geld! Geld!« meinte er. »Ich sage Euch, daß unsere Verbrüderung gar keine Geldstrafe kennt. Es giebt nur eine einzige Art der Bestrafung, und diese heißt - Tod.«

»Tod!« rief der Pater, tief erbleichend. »Wer hat das Recht, eine solche Strafe zu verhängen? Ich erkenne es nicht an.«

»Pah! Ihr habt es durch Euren Beitritt anerkannt!«

»Eine solche Härte wäre Grausamkeit, Unmenschlichkeit.«

Da blickte der Andere ihn fixirend von der Seite an und sagte:

»Grausamkeit? Unmenschlichkeit? Diese Worte gebraucht Ihr?«

»Ja, ich!«

»Das ist fast lustig; das ist sogar lächerlich. Kann es einen grausameren, rücksichtsloseren, schurkischeren Menschen geben, als Euch? Und Ihr, Ihr wollt Andere grausam und unmenschlich nennen?«

Der Pater trat einen Schritt zurück und antwortete:

»Was fällt Euch ein! Was wißt Ihr von mir?«

»Wenn nicht Alles, so doch Vieles. Oder glaubt Ihr, daß wir das Thun und Treiben unserer Mitglieder nicht beobachten und kennen? Wollten wir das unterlassen, so könnten wir gar nicht bestehen. Oft kennen wir unsere Leute besser, als sie sich selbst. Was also die Strafe betrifft, so wiederhole ich, daß es nur eine einzige giebt, und diese ist der Tod.«

»So trete ich aus!«

»Hahaha! Austreten! Der Teufel läßt keine Seele wieder aus den Krallen. Ein Austritt ist nicht gestattet, ist nicht möglich. Nur der Tod giebt Befreiung.«

»Beim Himmel! Das hätte ich früher wissen sollen.«


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»Ah, manches Eurer Opfer hätte Euch früher kennen sollen! Also ich wiederhole meine Frage, ob Ihr dem Befehle gehorchen wollt.«

»Laßt mir wenigstens Bedenkzeit.«

»Wozu Bedenkzeit, da Alles bereits fest bestimmt ist? Ihr habt ebenso blind und unweigerlich zu gehorchen, als jedes andere Mitglied. Euch besonders will ich noch die Mittheilung machen, daß die Todesstrafe zwar unsere einzige ist, daß wir aber doch auch noch gewisse Verschärfungen kennen. Euer Tod zum Beispiel würde ein sehr verschärfter und nicht etwa ein leichter sein.«

»Glaubt Ihr etwa, daß ich zu Euerem Scherz mich ängstigen lasse?«

»Ich scherze nicht. Ich spreche aus Kenntniß der Sache. Ihr seid nicht der Erste, dem ich sein Todesurtheil gebracht hätte. Das Eure würde darin bestehen, daß Ihr zerrissen oder geviertheilt würdet, und zwar bei lebendigem Leibe.«

Das war dem Pater so stark, daß er zu glauben anfing, es handle sich wirklich nur um einen grausamen Spaß.

»Ihr würdet dann das Geschäft des Viertheilens wohl in eigener Person vornehmen?« fragte er lachend.

Der Dicke aber behielt sein strenges Gesicht bei und antwortete:

»Das fiele mir nicht ein. Wir wissen es so einzurichten, daß wir unser Urtheil niemals selbst zu vollstrecken brauchen. Ihr zum Exempel würdet in der Hauptstadt von dem offiziellen Henker hingerichtet. Dafür würden wir sorgen.«

Es überlief den Pater ein kalter Schauder. Der Ton des Anderen überzeugte ihn, daß es sich doch nicht um einen Scherz handle.

»Auf welche Weise wolltet Ihr das besorgen?« fragte er.

»Hm! Das will ich Euch sagen, obgleich ich eigentlich zu einer solchen Aufrichtigkeit gar nicht verpflichtet bin. Aber, da fällt mir gleich eine Frage ein, welche ich nicht vergessen möchte. Giebt es wohl ein Gift, welches den Geist tödtet?«

Der Pater dachte wirklich, daß diese Frage nur eine ganz zufälliger Weise in den Sinn gekommene sei. Als Fachmann hatte er ein sofortiges Interesse daran, und so antwortete er ahnungslos:

»Ein jedes Gift wirkt eigentlich, indem es den Körper schädigt, auch indirect auf den Geist.«

»Das meine ich nicht. Ich frage nach einem Mittel, welches direct den Geist tödtet, ohne den Körper zu verletzen.«

»Ha, da könnte man das Curare nennen. Rein angewendet, tödtet es die Bewegungsnerven. Der Betreffende liegt regungslos da, scheinbar todt, weiß aber Alles, was mit ihm gethan wird. Er fühlt ein jedes Lüftchen und den geringsten Nadelstich. In einer Vermischung wirkt es augenblicklich und vollständig tödtend, und in einer anderen Vermischung wirkt es allerdings nur auf den Geist, den es wahnsinnig macht, ohne die geringste Wirkung auf den Körper.«

»Kennt Ihr diese Mischung?«

»Nein.«

»Giebt es noch ein weiteres Gift, welches nur wahnsinnig macht, ohne von irgend einer weiteren Wirkung zu sein?«

»Nein,« sagte der Pater zurückhaltend.

»Und doch hat man mir da kürzlich den Namen eines solchen genannt.«


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»Wie hieß es?«

»Ich glaube Toloachi, oder, wie es ausgesprochen wird, Toloadschi.«

»Toloadschi?« machte der Pater nachdenklich. »Hm!«

»Kennt Ihr es?«

»Nein, gar nicht.«

»Das ist doch höchst wunderbar.«

»Warum?«

»Weil Toloadschi hier bei uns eine so häufige Pflanze ist.«

»Möglich, aber ihre Wirkung kenne ich nicht.«

»Sie soll große Aehnlichkeit mit der Wolfsmilch haben. Ein paar Tropfen ihres Milchsaftes, welcher vollständig geschmack- und auch geruchlos ist, erzeugt einen unheilbaren Wahnsinn, während der Körper dabei ein sehr hohes Alter erreichen kann. Politische Gegner, Nebenbuhler, allerlei Feinde und Concurrenten pflegen sich damit unschädlich zu machen, ja, es soll sogar vorgekommen sein, daß - ah, solltet Ihr es nicht auch bereits gehört haben?«

»Was?«

»Daß man mit einigen Tropfen dieses Toloadschi sogar gekrönte Häupter wahnsinnig gemacht hat?«

»Weiß nichts davon,« antwortete der Pater möglichst unbefangen. Dem Anderen aber entging es nicht, daß seine Stimme plötzlich einen gepreßten Ton angenommen hatte.

Der Dicke fuhr in erzählendem Tone fort:

»So spricht man von einer Kaiserin, von welcher das Volk nichts wissen wollte, weil sie und der Kaiser dem Letzteren aufgedrungen worden waren. In einem Kloster wohnte ein früherer Pater, der sich sehr viel mit Medizin beschäftigt hatte und besonders ein ausgezeichneter Kenner des Toloadschi war.«

Der Pater konnte ein Husten nicht unterdrücken.

»Ihr hustet?« fragte der Andere höhnisch. »Seid Ihr krank?«

»Nein.«

»Oder langweilt Euch mein Geschwätz?«

»O nein.«

»So kann ich diesen hochinteressanten Fall weiter erzählen. Zu diesem Pater nämlich kamen zwei Männer und verlangten von diesem Wahnsinn erzeugende Gifte. Sie machten kein Hehl daraus, daß es für die Kaiserin bestimmt sei, erhielten es aber dennoch, natürlich gegen die Auszahlung einer angemessenen Summe, deren Höhe ich sogar kenne.«

»Ist das nicht ein Märchen oder Phantasiestück?« warf der Pater, dem der Schweiß auf die Stirn zu treten begann, ein.

»O nein. Die Kaiserin erhielt das Gift. Nach und nach stellten sich die Vorwirkungen, welche den völligen Wahnsinn vorbereiten, ein. Die hohe Dame war gezwungen, einen anderen Kaiser, von dem ihre Krone abhängig war, zu besuchen, um die Erfüllung eines Wunsches von ihm zu erlangen, was allerdings vergeblich war. Kurze Zeit darauf trat der Wahnsinn bei ihr ein.«

»Vielleicht hat sie sich über die Vergeblichkeit dieser Reise und die Nicht-


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erfüllung ihres Wunsches so sehr aufgeregt und gekränkt, daß dies der Grund ihrer Krankheit geworden ist.«

»So hieß es allerdings, und so heißt es noch überall; aber Eingeweihte wissen es besser. Wißt Ihr, wer diese Eingeweihten sind?«

»Nein.«

»Einige Obermeister unseres Geheimbundes; auch ich gehöre zu ihnen. Und wißt Ihr, welche Kaiserin ich meine?«

»Ich - ich ahne es,« stieß der Pater hervor.

»So brauche ich es nicht zu sagen. Aber ahnt Ihr denn vielleicht auch, wer der Giftmischer ist?«

»Nein.«

»Der frühere Pater eines Klosters?«

»Ich weiß es nicht.«

»Das Gift befand sich in einem Fläschchen von schwarzem Glase.«

Der Pater ächzte vor Angst.

»Am Montage wurde es bestellt und am Sonnabende brachte er es dem Sennor Ri - -«

»Um Gotteswillen!« rief der Pater, die Hände emporstreckend.

»Was habt Ihr denn?«

»Ich kann dergleichen Erzählungen nicht erhören!«

»Ihr als Arzt? Ihr müßtet doch eigentlich starke Nerven haben!«

»Es wird mir aber dennoch übel davon.«

»Das glaube ich!« lachte der Andere. »Wie übel aber müßte es da erst dem wirklichen Thäter werden, wenn er davon reden hörte! Glaubt Ihr wohl, daß er geviertheilt würde, wenn die Sache zur Anzeige käme?«

»Der Beweis wäre die Hauptsache.«

»Der ist da; da habt nur keine Sorge. Aber während dieser Mordgeschichte sind wir von unserem eigentlichen Thema abgekommen. Wovon sprachen wir denn eigentlich?«

Der Pater wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte:

»Wir sprachen zuletzt wohl von dem Befehle, welchen Ihr mir zu überbringen hattet.«

»Allerdings, ja, davon sprachen wir. Und, wie steht es; wird dieser Auftrag Euch angenehm sein?«

»Hm! Angenehm grad nicht.«

Er brachte diese Worte kaum zwischen den Zähnen hervor.

»Aber auch nicht unangenehm?«

»Nein,« stammelte er.

»Gut, so bin ich mit Euch zufrieden. Von dieser Toloadschigeschichte und der wahnsinnigen Kaiserin soll nicht wieder die Rede sein; denn ich hoffe nicht, daß Ihr mich zwingen werdet noch einmal darauf zurückzukommen. Die Euch gewordene Aufgabe kennt Ihr im Allgemeinen. Besondere Informationen und Instructionen werden Euch in der Hauptstadt zu Theil. Einige Bemerkungen will ich Euch im Voraus machen. Glaubt Ihr, daß Juarez persönlich dem Kaiser übel will?«


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»Ich glaube das Gegentheil.«

»Ich auch, ja, ich habe die Beweise dafür. Juarez wird den Kaiser schonen, so lange es nur immer möglich ist. Er ist sogar bereits in heimliche Unterhandlung mit ihm getreten, um ihn zu retten.«

»Hat er denn Agenten bei ihm?«

»Einen einzigen.«

»Einen Mexikaner?«

»Eine Dame.«

»Eine Dame? Das klingt sehr unwahrscheinlich!«

»Und ist doch wahr. Diese Dame ist ein höchst gefährliches Wesen. Entzückend schön, geistreich, gewandt, listig, wie nur ein Weib es sein kann, ist sie zu einer politischen Geheimagentin wie geschaffen. Wir haben sie durchschaut, ein Anderer aber noch nicht. Sie ist eine begeisterte Anhängerin von Juarez und verstand es doch, die Franzosen glauben zu machen, daß sie es mit ihnen halte.«

»Ein ähnliches Weib habe ich auch gekannt.«

»Sie sind aber selten. Die, welche ich meine, betrog zum Beispiel die Franzosen und überlieferte Juarez Chihuahua.«

Da fuhr der Pater empor.

»Alle Wetter! Heißt sie etwa Emilia?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Andere.

»Sennorita Emilia wird sie genannt. Ist das Die, welche auch Ihr kennt?«

»Ja. Wo steckt sie jetzt?«

»In Cuernavaca.«

»So hat sie wohl sogar beim Kaiser Zutritt?«

»Nein, aber sie verhandelt mit Personen, welche mit dem Kaiser verkehren.«

»Brächte die Aufgabe, welche ich zu lösen habe, mich auch mit ihr in Berührung?«

»Natürlich! Ihr stündet Euch als Feinde gegenüber. Sie soll ja für Juarez wirken und Ihr gegen ihn. Sie wird Alles thun, um den Kaiser zur schleunigen Abreise zu bewegen, und Ihr sollt Alles thun, um ihn festzuhalten.«

Die Haltung des Paters war jetzt plötzlich eine ganz andere geworden, die Gewißheit, mit Emilia zusammenzutreffen, söhnte ihn plötzlich und gänzlich mit seinem Auftrage aus, so daß er sogar den Schreck und die Angst vergaß, welche ihm die Erwähnung der wahnsinnigen Kaiserin bereitet hatte.

Von jetzt an verlief in Folge dessen das Gespräch zur beiderseitigen Zufriedenheit und als sie von einander schieden, geschah es in ganz anderer Weise, als es vorher zu erwarten gewesen war.

Der geheimnißvolle Dicke hatte im Hofe ein Pferd stehen, welches er bestieg, um den Klosterberg hinabzureiten. Fast unten angekommen, begegnete er zweien Reitern, welche aufwärts kamen. Ihre Thiere waren abgetrieben und sie selbst hatten das Aussehen von Leuten, welche die Anstrengung einer schnellen Reise hinter sich haben. Sie hielten vor ihm an und der Eine fragte:

»Nicht wahr, Sennor, dieses Städtchen dort ist Santa Jaga?«

»Ja, Sennor,« lautete der Bescheid.

»Und die Gebäude da oben gehören zu dem Kloster della Barbara?«


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»Ja.«

»Seid Ihr da oben vielleicht bekannt?«

»Ein klein wenig.«

»So könnt Ihr uns vielleicht Auskunft geben. Giebt es einen Bewohner des Klosters, welcher Pater Hilario genannt wird?«

»Freilich giebt es den,« antwortete der Dicke, heimlich diese beiden Leute musternd. »Wollt Ihr mit ihm sprechen?«

»Ja. Ist er daheim?«

»Er ist in seinem Zimmer. Reitet nur immer in den Klosterhof, dessen Thor offen steht, und fragt nach ihm. Man wird Euch zu ihm führen. Er ist bekannt als tüchtiger Arzt. Seid Ihr krank?«

»Nein. Warum haltet Ihr uns für Patienten?«

»Weil Euch Beiden die Gesichtshaut abblättert und das Fleisch aus den Falten fällt. Wer an solchen Flechten leidet, der darf sich so wenig wie möglich sehen lassen, sonst denken die Leute, es sei nicht Krankheit, sondern er habe sich mit Hilfe künstlicher Mittel ein falsches Gesicht gemacht. Und wenn dies nun Zweien zugleich passirt, so wird der Verdacht um so stärker. Merkt Euch das! A Dios!«

Er ritt den Berg hinab. Unterwegs murmelte er:

»Diese Kerls hatten sich die Gesichter gefälscht. Sie wollen zum Pater. Ich denke, der Kerl treibt allerhand Allotria, wovon wir Anderen noch gar nichts wissen. Man wird es ihm abgewöhnen.«

Und die beiden Reiter, Cortejo und Landola natürlich, blieben halten, um ihm nachzublicken.

»Der Mensch hat uns durchschaut,« sagte Landola.

»Ist es mir denn so leicht anzusehen?« fragte Cortejo.

»O nein. Es giebt einige ganz feine, winzige Risse in der Schminke und es gehört ein ungeheuer scharfes Auge dazu, es zu bemerken.«

»Bei Ihnen ist es ebenso. Man hat sich vorzusehen. Wer mag der Kerl sein? Er sah wie ein verkappter Geistlicher aus.«

»Vielleicht erfahren wir es von diesem Pater Hilario. Wollen machen, daß wir das Kloster erreichen.«

Sie thaten ganz so, wie der kleine Dicke gesagt hatte. Sie fanden das Thor offen, ritten in den Hof und fragten dort einen Bediensteten nach dem Pater. Zufälliger Weise war der Neffe des Letzteren, Manfredo, bei der Hand und dieser erbot sich, sie zu seinem Oheim zu führen.

Der Pater saß noch in seinem Zimmer, über den Auftrag nachdenkend, der ihm geworden war; da brachte sein Neffe die beiden Männer herein und entfernte sich sofort wieder.

Hilario betrachtete sie aufmerksam, da ihm ihre Namen nicht genannt worden waren und er sie auch nicht kannte und fragte dann:

»Wer seid Ihr, Sennores?«

Cortejo ergriff das Wort.

»Das werdet Ihr erfahren, Sennor,« meinte er, »wenn Ihr uns vorher gestattet habt, eine Erkundigung einzuziehen.«


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»So redet!«

»Ist Euch vielleicht der Name Cortejo bekannt?«

Der Pater wurde aufmerksam und erhob sich von seinem Stuhle.

»Warum?« fragte er.

»Weil wir im Interesse dieses Namens kommen.«

»Was versteht Ihr unter diesem Interesse?«

»Das können wir Euch nicht eher sagen, als bis wir gehört haben, ob er Euch überhaupt bekannt ist.«

Der vorsichtige Pater schüttelte langsam den Kopf und sagte:

»Er ist mir allerdings bekannt, aber -«

»Was, aber?«

»Ich habe sagen wollen, daß mir der Name allerdings bekannt ist, weiter aber nichts.«

»Nicht auch die Person?«

»Nein.«

Cortejo blickte ihn scharf und forschend an und meinte:

»Man pflegt meist auch die Person zu kennen, wenn Einem der Name bekannt ist.«

Da zog der Pater die Brauen finster zusammen und antwortete:

»Sennores, Ihr kommt mir zum Mindesten höchst eigenthümlich vor. Ihr tretet hier ein und inquirirt mich, als ob Ihr Richter seiet und einen Verbrecher vor Euch hättet. Vergeßt nicht, daß ich hier Herr bin und daß Ihr Euch bei mir befindet!«

Cortejo sah natürlich ein, daß Hilario recht hatte, und antwortete:

»Verzeiht, Sennor. Wir können nicht gut anders handeln, da die Angelegenheit, in welcher wir kommen, sehr heikler Natur ist. Ihr sagt, daß Euch der Name Cortejo bekannt sei?«

»Ja. Wer kennt nicht diesen Namen! Sein Besitzer hat sehr dafür gesorgt, daß er in ganz Mexiko und auch außerhalb dieses Landes bekannt geworden ist.«

»Nun, so werdet Ihr auch einsehen, daß Jemand, der sich mit den Angelegenheiten dieses Cortejo abzugeben hat, sehr vorsichtig sein muß.«

»Ich gebe das zu.«

»So ersuche ich Euch noch einmal, mir zu sagen, ob Ihr ihn kennt.«

»Persönlich nicht.«

»Wirklich? Ihr habt ihn nicht gesehen?«

»Nein.«

»Also auch nicht mit ihm gesprochen?«

»Niemals.«

»Und doch bin ich, und doch sind wir Beide, ja wir alle Drei ganz vom Gegentheile überzeugt.«

»Da dürftet Ihr Euch denn doch irren!«

»Wohl nicht. Um Euch zu beweisen, daß ich recht habe, bitte ich um die Erlaubniß, Euch noch einen zweiten Namen nennen zu dürfen.«

Dabei fixirte er den Pater scharf; dieser aber ließ sich durch diesen forschenden Blick nicht aus der Fassung bringen und antwortete ruhig:


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»Sprecht ihn in Gottes Namen aus!«

»Es ist der Name Grandeprise.«

»Was soll es mit diesem Namen?«

»Kennt Ihr ihn?«

» Ja.«

»Woher?«

»O, er ist doch berühmt oder vielmehr berüchtigt genug. Es gab vor einiger Zeit einen Piraten dieses Namens, von welchem ja alle Welt erzählte und redete. Ich habe damals von ihm gehört.«

»Diesen meinen wir nicht.«

»Wen sonst?«

»Einen Jäger, welcher ebenso hieß.«

Der Pater machte eine nachdenkliche Miene und antwortete:

»Einen Jäger? Hm. Ich müßte mich besinnen. Ah, jetzt, jetzt habe ich's!«

»Was?«

»Ich bin nämlich Arzt. Vor Jahren kam einmal ein kranker Jäger zu mir, den ich heilte. Wenn ich mich recht entsinne, hieß er Grandeprise.«

»Er war ein Amerikaner?«

»Ja, ein Yankee.«

»Und Ihr habt ihn nicht wieder gesehen?«

»Nein.«

»Denkt nach, Sennor! Ich bin überzeugt, daß Ihr ihn wiedergesehen habt.«

Der Pater fühlte sich doch einigermaßen verlegen, aber er beherrschte diese schwache Anwandlung und entgegnete:

»Ihr scheint Euch außerordentlich gut unterrichtet in dem zu finden, was ich kenne oder nicht kenne.«

»In diesem Falle bin ich es allerdings.«

»Und doch irrt Ihr Euch sehr.«

»Wohl nicht. Dieser Jäger Grandeprise ist erst kürzlich hier in Santa Jaga bei Euch gewesen.«

»Dann müßte ich es auch wissen.«

»Ihr wißt es ja auch.«

Der Pater machte ein noch finstereres Gesicht als vorher und sagte:

»Sennor, wollt Ihr mich etwa Lügen strafen?«

Cortejo hielt seinen Blick fest auf ihn gerichtet und antwortete:

»Beinahe, Sennor!«

»Mit welchem Rechte?«

»Diese Grandeprise hat es uns ja selbst gesagt!«

»So ist er der Lügner. Er hat Euch getäuscht.«

Diese Worte waren mit solcher Bestimmtheit gesprochen, daß man an der Wahrheit derselben nicht gut zu zweifeln vermochte. Cortejo blickte Landola betroffen an und fragte diesen:

»Ah! Was sagen Sie dazu?«

Auch Landola fühlte sich verlegen. Er antwortete stockend:

»Möglich ist es immerhin. Aber eine ganz verfluchte Geschichte wäre es!«


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»Wenn uns dieser Mensch am Ende gar betrogen hätte!«

»Das wäre ein Streich, wie er uns schlimmer gar nicht gespielt werden könnte. Wir hätten unsere kostbare Zeit verloren.«

»Und den weiten, beschwerlichen Weg hierher ganz umsonst gemacht!«

Sie befanden sich Beide wirklich in einer Art von Verlegenheit oder vielmehr Bestürzung. Pater Hilario bemühte sich, ein höchst gleichgiltiges Gesicht zu machen, obgleich die gehörten Worte ihn unmöglich theilnahmlos lassen konnten, sondern vielmehr sein höchstes Interesse erregten. Er hatte von Pablo Cortejo erfahren, daß Gonsalvo Verdillo in Vera Cruz sein Agent sei, bei welchem allein etwas über Landola zu erfahren sei. Diese Adresse hatte er dem Jäger Grandeprise mitgetheilt, einfach, um ihn los zu werden. Der Jäger war nach Vera Cruz gereist und nun kamen die beiden Menschen und behaupteten, mit demselben gesprochen zu haben. Hatte er sie hierher geschickt? Wer waren sie? Hatten sie ihn bei Gonsalvo Verdillo getroffen? In diesem Falle waren sie Freunde von Cortejo und Landola. War Einer von ihnen vielleicht gar dieser Letztere? Da fragte Cortejo:

»Sennor, sprecht aufrichtig! Ihr habt diesen amerikanischen Jäger Grandeprise wirklich nicht wiedergesehen?«

Er beschloß, einzulenken, damit sie ihm nicht gar unverrichteter Sache entwischen möchten und antwortete:

»Hm. Es ist lange Zeit her, daß ich ihn behandelte. Da ist es möglich, daß ich ihn nicht mehr kenne. Ich habe so sehr viele Kranke unter meinen Augen gehabt, daß es gar kein Wunder sein würde, wenn ich das Aeußere eines Einzelnen vergessen hätte.«

»Das ist allerdings möglich. Aber er würde Euch doch seinen Namen genannt haben!«

»Vielleicht auch nicht. Er kann ja Gründe gehabt haben, ihn mir zu verschweigen.«

»Welche Gründe sollten das sein?«

»Wer kann das wissen? Vielleicht persönliche, vielleicht auch politische.«

»Politische? Ein einfacher Jäger?«

»O doch! Wißt Ihr denn nicht, daß sich im Heere des Juarez viele Amerikaner befinden? Ihr habt diesen Jäger wohl in Durango gesprochen, wo Juarez sich befindet?«

»Nein, sondern in Vera Cruz.«

»Und er will vor kurzer Zeit hier bei mir gewesen sein?«

»Ja. Er will direkt von Euch nach Vera Cruz gegangen sein.«

»Nun, Sennores, da seht Ihr es ja gleich. Er hat die Provinzen berühren müssen, welche von den Franzosen und Kaiserlichen besetzt sind. Er konnte leicht als Spion ergriffen werden. Das ist ja doch wohl ein sehr triftiger Grund, seinen Namen zu verschweigen, falls er wirklich hier bei mir gewesen wäre.«

»Aber er will unter Umständen hier bei Euch gewesen sein, unter denen er nicht nothwendig gehabt hätte, sich einen falschen Namen beizulegen. Ja, er wäre sogar gezwungen gewesen, Euch den richtigen zu nennen.«

»In wiefern? Welches waren diese Umstände?«


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»Er hat Euch einen Kranken zur Heilung gebracht, weil Ihr ihn selbst einst so gut heiltet.«

»Den Kranken kenne ich nicht. Welche Krankheit war es?«

»Eine Verletzung der Augen.«

»Das ist nicht wahr. Ich habe seit langer, seit sehr, sehr langer Zeit kein krankes Auge behandelt.«

»Das ist wunderbar. Aber vielleicht erinnert Ihr Euch noch eines anderen Umstandes, welcher dabei stattgefunden hat. Ihr habt einen Verwandten, einen Neffen?«

»Ja. Es ist derselbe junge Mann, welcher Euch jetzt zu mir brachte.«

»Nun, dieser Neffe hat in Gemeinschaft mit jenem Jäger Grandeprise den Augenkranken zu Euch gebracht.«

»Das ist mir unbekannt. Aber, darf ich denn nicht erfahren, wer dieser Augenkranke gewesen sein soll?«

Cortejo blickte Landola fragend an und als dieser zustimmend nickte, antwortete er:

»Cortejo soll es gewesen sein.«

Der Pater stellte sich erschreckt und antwortete:

»Cortejo? Ist das wahr?«

»Ja.«

»Jener Pablo Cortejo, welcher sowohl gegen Juarez wie auch gegen den Kaiser conspirirt und den Aufrührer gemacht hat?«

»Derselbe. Grandeprise sagte es uns.«

»So hat er allerdings gelogen, fürchterlich gelogen!«

»Verdammt und abermals verdammt!« fluchte Cortejo. »Wißt Ihr vielleicht, daß Pablo Cortejo eine Tochter hat?«

»Das weiß hier Jedermann.«

»Nun, auch diese Tochter will Grandeprise mit zu Euch gebracht haben.«

»Abermals Lüge.«

»Alle tausend Donner! Hätte ich diesen Kerl hier, so sollte er sehen, welch' eine Geschichte er sich da angerührt hat! Wenn es wirklich so ist, wie Ihr sagt, so können wir weiter nichts thun, als Euch um Verzeihung bitten, daß wir Euch gestört haben.«

»O bitte, Sennor, das hat ganz und gar nichts zu bedeuten. Aber nun darf ich wohl auch fragen, wen ich bei mir empfangen habe?«

Cortejo fühlte sich in einer nichts weniger als angenehmen, ja sogar in einer sehr fatalen Lage. Er hatte gehofft, hier zum Ziele zu gelangen, und nun zeigte es sich, daß er getäuscht worden sei. Was sollte er nun thun? Er mußte seinen Bruder auf alle Fälle finden, wenn nicht dieser und auch er selbst verloren sein sollte. Aber wo ihn nun suchen? Nach Norden, wo Juarez bereits wieder Herr war? Um keinen Preis! Nach Süden, wo man ihn von der Hauptstadt aus bereits verfolgte? Unmöglich! Er befand sich jetzt in einer schauderhaften, in einer so rathlosen und gefährlichen Lage, daß ihm der Schweiß ausbrach. Leider aber konnte diese Feuchtigkeit nicht den natürlichen Abfluß finden, da das Gesicht ja durch künstliche Mittel geändert worden war. Cortejo aber fühlte diesen Schweiß,


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er dachte im Augenblicke nicht an die Gefahr, in welche er sich brachte, und zog sein Taschentuch hervor, um sich das Gesicht abzutrocknen.

»Wer wir sind, wollt Ihr wissen, Sennor?« fragte er dabei, sich vor Verlegenheit fest abreibend. »Hm. Das thut nun, da wir unseren Zweck nicht erreicht haben, wohl auch nichts zur Sache.«

»O doch,« meinte der Pater unter einem bedeutungsvollen Lächeln.

»Warum?

»Ich beginne, ein sehr großes Interesse für Euch zu hegen.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil Ihr die Maskenscherze ebenso zu lieben scheint wie ich.

»Maskenscherze? Ich verstehe Euch nicht!«

»Wirklich nicht? Das wundert mich sehr! Ihr seid nicht Derjenige, für welchen Ihr Euch auf Eurer Reise ausgegeben haben werdet.«

Cortejo blickte den Redner erstaunt an. Auch Landola war betroffen, aber er stand hinter Cortejo und konnte also nicht sehen, welche Veranlassung der Pater zu seinen Worten hatte.

»Ich soll nicht Derjenige sein, Sennor?« fragte Cortejo. »Wißt Ihr denn etwa, für wen ich mich ausgegeben habe?«

»Allerdings nicht.«

»Wie kommt Ihr also zu einer so sonderbaren Annahme?«

»Wer sein Gesicht entstellt, will nicht erkannt sein!«

»Sein Gesicht? Sennor, glaubt Ihr etwa, daß dieses Gesicht nicht das meinige ist?«

»O, das glaube ich gern. Aber Ihr habt Einiges daran, was nicht dazu gehört.«

»Alle Teufel! Wie kommt Ihr auf solche sonderbare Gedanken?«

»Hm. Sennor, es ist stets mit Gefahr verbunden, Schminke und Puder zu lange auf der Haut zu lassen. Solche Ingredienzien müssen öfters entfernt und dann wieder erneuert werden. Man schwitzt sehr leicht und der Bart wächst; dadurch wird die falsche Kruste abgestoßen. Das ist auf alle Fälle höchst unangenehm!«

»Aber wie kommt Ihr dazu, grad mir das zu sagen?«

Der Pater lachte.

»Ihr ahnt das nicht?« fragte er.

»Nicht im Mindesten.«

»Und fühlt es auch nicht?«

»Nein.«

»So bitte, seht Euch einmal Euer Taschentuch da an!«

Cortejo folgte dieser Weisung.

»Himmeldonnerwetter!« rief er in allerhöchster Verlegenheit. Sein Taschentuch hatte sich gefärbt.

»Und blickt einmal hier hinein,« sagte der Pater.

Er faßte ihn bei beiden Schultern und führte ihn zum Spiegel. Cortejo warf einen Blick hinein und fuhr dann erschrocken zurück. Was für ein fürchterliches Gesicht war es, welches ihm daraus entgegenblickte! Der Schweiß


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hatte den Ueberzug aufgelöst und dieser letztere war mit dem Taschentuche über das ganze Gesicht gerieben worden. Dieses Gesicht sah aus, wie ein schlecht oder mit Wasserfarben angestrichener Puppenkopf, an welchem das spielende Kind herumgeleckt hat.

Der Pater lachte aus vollem Halse.

»Sennor,« sagte er, »seid Ihr ein Comanche oder Apache?«

»Warum diese Frage?« stammelte Cortejo.

»Weil Ihr Euch mit den Kriegsfarben angemalt habt. Kommt her und wascht Euch!«

Er führte ihn zum Waschtische und öffnete denselben.

»Danke,« lautete die Antwort. »Ich muß augenblicklich fort!«

»Pah! So könnt Ihr unmöglich gehen!«

»Aber ich darf Euch doch unmöglich incommodiren!«

Cortejo wußte gar nicht, was er sagte. Er hatte vor Schreck fast die Besinnung verloren.

»Incommodiren?« antwortete Hilario. »Incommodiren würdet Ihr mich nur dann, wenn Ihr in diesem Zustande von mir fortgehen wolltet. Was würde man von mir denken, wenn man Euch draußen begegnete.«

Er drückte dem Verlegenen mit Gewalt den Schwamm in die Hand.

»Waschen Sie sich!« befahl auch Landola.

Seiner Stimme hörte man den Aerger an, der in ihm kochte. Er hätte seinen Collegen gradezu ermorden können.

Cortejo gehorchte nun. Als er fertig war, fixirte der Pater sein Gesicht; dann meinte er, indem er eine Ueberraschung zu verbergen suchte:

»Nun, hatte ich nicht recht, als ich annahm, daß Ihr nicht Derjenige seid, für den Ihr jedenfalls gelten wollt?«

Cortejo hatte endlich seine Fassung leidlich wieder erlangt.

»Ihr mögt recht haben,« antwortete er unter einem Lachen, welches allerdings ein erzwungenes war. »Ich hoffe jedoch, daß wir auf Eure Discretion rechnen dürfen!«

»Wir?« fragte Hilario. »Das klingt ja, als ob dieser andere Sennor sein Gesicht auch entstellt habe!«

Dabei fixirte er Landola mit scharfem Auge. Dieser versuchte, rasch in den Schatten zu treten, doch war es bereits zu spät. Er antwortete mit barscher Stimme:

»Da irrt Ihr Euch! Mein Kamerad hat einen Scherz geplant; er wollte einen Bekannten überraschen. Das ist aber doch bei mir keineswegs der Fall.«

»Und doch scheint auch Ihr Verwandte zu haben!« meinte der Pater.

»Wie?«

»Die Ihr überraschen wollt!«

»Wieso?«

»Auch Ihr habt Euch das Gesicht angemalt.«

»Fällt mir nicht ein!«

Landola versuchte, seine Verlegenheit hinter seinem barschen Tone zu verbergen. Es gelang ihm nur schlecht. Der Pater war nicht der Mann, sich täuschen oder gar einschüchtern zu lassen.

»Sennor,« sagte er in einem gut gelungenen freundlich eindringlichen Tone. »Seid doch so gut und gebt der Wahrheit die Ehre! Auch Ihr schwitzt. Aus welchem Grunde, das weiß ich allerdings nicht. Aber obgleich Ihr Euch in den Schatten zurückgezogen habt, ist dies doch langsam genug geschehen, um mich noch bemerken zu lassen, daß auch Ihr Euch waschen müßt!«

»Hole Euch der Teufel!«

»Nur jetzt nicht gleich! Also bitte, tretet auch Ihr näher.«

Er zeigte mit der Hand nach dem Waschtische.

»Ich sage Euch aber, daß Ihr Euch irrt,« rief Landola, vor Zorn mit dem Fuße aufstampfend.

Da griff der Pater in einen Kasten seines Schreibtisches und zog einen kleinen Gegenstand hervor. Dann trat er an die Thür, so daß er den Ausgang mit seiner Gestalt versperrte und sagte:

»Sennores, Ihr werdet einsehen, daß es mich frappiren muß, von zwei Männern besucht zu werden, welche falsche Gesichter tragen. Wascht Ihr Euch, so erfahre ich vielleicht, daß es sich wirklich nur um einen Scherz handelt; thut Ihr dies aber nicht, so muß ich natürlich annehmen, daß ich mich in einer Gefahr befinde, gegen welche ich meine Maßregeln ergreifen muß.«

»Gefahr?« fragte Landola. »Denkt kein Mensch daran!«

»O, ich denke dennoch daran!

»Welche Maßregel meint Ihr?«

»Diese hier.«

Er streckte den Arm mit dem kleinen Gegenstande aus. Es war ein Revolver. Und mit der anderen Hand ergriff er die Klingel.

»Weigert Ihr Euch, so rufe ich Hilfe herbei,« drohte er.

»Verdammt!« rief Landola. »Ihr habt ja ganz und gar nichts zu befürchten.«

»Das glaube ich Euch nicht eher, als bis Ihr mir es dadurch beweist, daß Ihr meiner Aufforderung nachkommt.«

»Ah! Ihr wollt mich zwingen?«

»Allerdings.«

»Gut. Auch wir haben Waffen.«

»Ehe Ihr dieselben zieht, drücke ich los!«

Landola fuhr mit der Hand nach seinem Gürtel.

»Halt!« drohte der Pater. »Oder ich schieße.«

Das erregte bei Cortejo Angst.

»Geben Sie nach!« bat er seinen Genossen.

»Fällt mir nicht ein,« zürnte dieser.

»Bedenkt, Sennor,« meinte der Pater, »daß Ihr Euch in einem von Mauern umgebenen Kloster befindet, welches einer Festung gleicht.«

»Ist mir gleich.«

»Glaubt Ihr, zu entkommen, selbst wenn es Euch gelingen sollte, mich zu überwältigen?«

»Er hat recht! Gebt nach!« wiederholte Cortejo.

Landola ballte die Fäuste.

»Soll ich mich von einem Pater zwingen lassen?« meinte er.


// 2342 //

»Wollt Ihr Euch von Eurem Starrsinn in's Verderben stürzen lassen?« fragte der Pater.

Landola sah doch ein, daß es unklug gehandelt sein würde, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen.

»So mag es denn in drei Teufels Namen sein!« murrte er.

Er trat zum Waschtische. Während er sich reinigte, entstand eine Pause, welche dem Pater Gelegenheit gab, Cortejo noch genauer zu betrachten, als es vorher geschehen war. Ein eigenthümliches, siegessicheres Lächeln verbreitete sich um seine Lippen.

Jetzt war Landola fertig und trat näher.

»So!« sagte er. »Seid Ihr nun zufrieden?«

Diese Worte waren in einem nicht sehr freundlichen Tone an den Pater gerichtet, welcher desto freundlicher antwortete:

»Ja, Sennor.«

»Ihr hattet Angst -«

»O nein, ich war nur vorsichtig,« unterbrach ihn Hilario.

»Das war ganz unnöthig. Oder sehe ich wie ein Räuber aus?«

»Beinahe,« meinte der Pater unter einem halben Lächeln.

»Was wollt Ihr damit sagen?« fuhr Landola auf.

»Nichts Anderes als was meine Worte bedeuten.«

»Also Ihr meint, daß ich beinahe wie ein Räuber aussehe?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Wißt Ihr, daß dies eine Beleidigung ist?«

»Wenn ich nicht das Richtige getroffen habe, so mag es allerdings so etwas Aehnliches sein. Aber, seid Ihr nicht fast wie ein Räuber hier bei mir aufgetreten?«

»Ich? Ist mir ganz und gar nicht eingefallen.«

»O, doch. Zunächst hattet Ihr Euch das Gesicht verändert.«

»Das galt nicht Euch!«

»Sodann kommt Ihr bewaffnet.«

»Jedermann hier trägt Waffen.«

»Ihr drohtet mir!«

»Weil Ihr vorher eine Drohung ausspracht.«

»Ich hatte Veranlassung dazu.«

»Nicht die mindeste. Wir kamen als friedliche Leute, um eine Erkundigung bei Euch einzuziehen -«

»Verweigert mir aber jede Auskunft über Eure Personen und Eure Namen.«

»Weil unsere Erkundigungen kein Resultat hatten, so konnte es Euch auch nichts nützen, unsere Namen zu erfahren.«

»Hätte ich Euch also eine befriedigende Antwort geben können, so hätte ich erfahren, wer Ihr seid?«

»Ja.«

»Vielleicht erfahre ich es ohnedies?«

»Wohl nicht!«

»O doch. Ihr müßt mir doch schon aus Höflichkeit Eure Namen nennen.«


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»Aus Höflichkeit? Wir haben gar keine Veranlassung zu derselben. Oder seid etwa Ihr höflich gegen uns gewesen?«

»Anfangs sogar sehr. Ich habe Euch alle Auskunft gegeben und eine jede Eurer Fragen beantwortet, obgleich ich auf die meinige keine Antwort erhielt. War das etwa unhöflich?«

»Selbst wenn wir Euch Namen nennen, könnt Ihr nicht darauf schwören, daß es die richtigen sind!«

»O, was das betrifft, so rühme ich mich eines gewissen Scharfblickes, welcher mich noch niemals im Stiche gelassen hat. Ich würde genau wissen, was ich von den Namen zu halten habe. Wollen wir wetten?«

»Pah! Ihr würdet die Wette verlieren.«

»Das gilt erst, zu beweisen. Darf ich um Euren Namen bitten?

»Ich heiße Bartholomeo Diaz und bin Haziendero.«

»Wo?«

»In der Gegend von Parsedillo.«

»Und hier Euer Kamerad?«

»Heißt Antonio Lifetta.«

»Und ist - -?«

»Advocat. Wir suchten eben diesen Pablo Cortejo, weil ich einen Prozeß mit ihm habe. Sennor Antonio begleitete mich, weil ich keine juridischen Kenntnisse besitze und also seiner Hilfe bedarf.«

»Und warum verändertet Ihr dabei Eure Gesichter?«

»Weil wir mit Cortejo als Fremde über den Prozeß sprechen wollten. Wir glaubten, wenn er uns nicht kenne, würde er sich zu irgend einer Aeußerung verleiten lassen, die uns eine Handhabe geben würde, ihn anzufassen und den Prozeß zu gewinnen.«

»Damit beweist Ihr Beide allerdings, daß Ihr sehr kluge Leute seid!«

»Also sagt, ob Ihr glaubt oder nicht, daß die angegebenen Namen die echten und richtigen sind! Der Pater trat jetzt von der Thür zurück und steckte seinen Revolver wieder in den Tischkasten.

»Ah! Ihr entwaffnet Euch!« lachte Landola. »Ihr seid also überzeugt, daß ich Euch die Wahrheit gesagt habe.«

Hilario lehnte sich an die Tischkante, kreuzte die Arme über die Brust und antwortete:

»Ich entwaffne mich, weil meine vorherige Besorgniß verschwunden ist, weil ich einsehe, daß ich von Euch nichts zu befürchten habe. Was aber die angegebenen Namen betrifft - hm! Habe ich Euch nicht vorhin sehr kluge Leute genannt?«

»Allerdings.«

»Das schließt aber doch nicht aus, daß Andere noch klüger sein können?«

»Möglich!«

»Nun, zu diesen Klügeren möchte ich vor allen Dingen mich selbst zählen. So geschickt Ihr Eure Vertheidigung geführt habt, bei mir verfängt sie doch nicht. Ihr habt Namen angegeben, die vollständig falsch sind.«

»Alle Teufel! Wollt Ihr so gut sein, dies zu beweisen?«


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»Wenn es Euch Vergnügen macht, ja. Zunächst was Euch betrifft, Sennor, so gabt Ihr Euch für einen Haziendero aus. Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil Ihr keineswegs das Aussehen eines solchen habt. Ein Haziendero ist ein ganz anderer Mensch als Ihr. Euer Auge ist nicht dasjenige eines Landmannes, eines Maisbauers und Viehzüchters.«

»Das Auge wessen ist es denn?« fragte Landola sichtlich belustigt von der Menschenkenntniß, welche der Pater zeigen wollte.

»Es ist so scharf, so offen, so - so - so in das Weite sehend, wie man es nur bei Prairiejägern und Seeleuten findet. Ich möchte darauf schwören, daß Ihr zu den Letzteren gehört.«

»Da irrt Ihr Euch gewaltig!«

»Werden sehen! Und sodann sagtet Ihr, daß Ihr aus der Gegend von Parsedillo seiet. Zufälliger Weise kenne ich diese Stadt und ihre meilenweite Umgegend sehr genau. Einen Haziendero, welcher Bartholomeo Diaz heißt, giebt es dort nicht. Welchen Namen führt denn Eure Hazienda?«

»Es ist die Hazienda Mercedes.«

»Ah, eine solche giebt es weder dort noch sonst irgendwo im ganzen Lande Mexiko!«

»Alle Teufel! Ich werde doch meine Besitzung kennen!«

»Sie wird anders heißen und anderswo liegen. Vielleicht ist es eine wüste Insel im stillen Ocean.«

Diese Worte waren mit einer so eigenthümlichen Betonung gesprochen, daß Landola aufmerksam wurde.

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»O, doch nur, daß ich Euch für einen Seemann halte, und Seeleute haben ihre Reichthümer und Besitzungen doch wohl im Meere liegen. Sagt, habt Ihr wohl jemals etwas von der Kunst gehört, aus der Hand eines Menschen zu lesen?«

»Pah, das ist Humbug!«

»O nein. Man liest daraus die Geburt, den Character, das Naturell und Temperamente, die Schicksale, den Tod, ja sogar den Namen eines Menschen.«

»Unsinn!«

»Ich meine besonders den Vornamen. Zeigt einmal her, Sennor!«

Ehe Landola es verhindern konnte, hatte der Pater seine Hand ergriffen. Er hielt sie fest, betrachtete sie lange und sagte dann:

»Ja, hier steht Euer Vorname deutlich geschrieben. Soll ich ihn Euch ablesen?«

»Haltet mich doch um Gotteswillen für keinen Dummkopf!«

»O, ich habe Euch bereits zwei Mal gesagt, daß ich Euch Beide für kluge Leute halte, daß es aber allerdings noch klügere giebt. Dieses Letztere beweise ich durch meine Kunst, Euren Vornamen ganz genau aus Eurer Hand zu lesen.«

»Nun, zum Teufel, wie lautet also dieser Vorname?«

»Henrico,«

Landola war so überrascht, daß er seine Hand schleunigst aus derjenigen des Paters zog und zurückwich.


// 2345 //

»Donnerwetter!« rief er aus.

»Nicht wahr, es ist richtig?« fragte Hilario.

»Ja.«

»Nun seht also! Später vielleicht werde ich Euch beweisen, daß ich auch Euren Zu- oder Familiennamen zu lesen vermag. Zunächst aber zu Eurem Kameraden. Ihr nanntet ihn Antonio Lifetta?«

»Ja.«

»Er ist Advocat?«

»Ja. Das glaubt Ihr wohl auch nicht?«

»O ja, das glaube ich. Er hat ganz das Aeußere eines solchen. Aber darf ich fragen, woher er ist?«

»Aus Parlesa.«

»Das glaube ich nun allerdings nicht. Ihr selbst sprecht nicht wie Einer aus Parsedillo. Ihr sprecht das Spanische wie ein geborener Amerikaner, welcher zugleich auch noch Englisch, Französisch und andere Sprachen versteht. Und Euer Kamerad spricht das Spanische ganz wie ein geborener Spanier, und zwar wie Einer, welcher in der nordöstlichen Gegend dieses Landes zu Hause ist.«

Dies Alles stimmte so genau, daß die Beiden sich einander aufs Höchste betroffen anblickten. Aber Hilario fuhr noch weiter fort:

»Jetzt gilt es, seinen Vornamen zu lesen. Zeigt her, Sennor!«

Er ergriff die Hand Cortejo's und betrachtete sie. Dann fragte er:

»Nicht wahr, Ihr nennt Euch Gasparino?«

»Das ist höchst sonderbar,« rief der Gefragte.

»Ich habe also recht gelesen? Also nun auch zu den Familiennamen. Zeigt her!«

Er hielt Cortejo's Hand fest und ergriff dazu auch diejenige Landola's. Zu dem Letzteren sagte er nach einer Weile:

»Bei Euch ist es schwerer als bei Eurem Kameraden. Habt Ihr Euch vielleicht zweier Namen bedient?«

»Ist mir niemals eingefallen,« antwortete Landola. »Aber lassen wir den Unsinn. Es ist ganz und gar nicht nöthig.«

Er versuchte, seine Hand frei zu machen, aber der Pater hielt sie fest und sagte nach einer abermaligen Pause, während welcher er die Hände genau betrachtet hatte:

»Ah! Jetzt habe ich es! Jetzt ist jeder einzelne Buchstabe genau zu lesen. Beide Namen bestehen je aus drei Sylben, und bei beiden Namen hat die erste Sylbe drei Laute, während die beiden anderen je nur zwei zeigen. Ihr, Sennor, heißt Landola, und Euer Name, Sennor, ist Cortejo.«

Es läßt sich gar nicht beschreiben, welchen Eindruck diese Worte auf die beiden Männer machten. Hatten sie es hier mit einem Wunder zu thun? Gab es wirklich eine Wissenschaft, welche es bis zu einem so außerordentlichen und erstaunlichen Resultat gebracht hatte? War dieser Pater ein Zauberer, oder war er ein Charlatan, welcher sie zufälliger Weise kannte und sie nun auf diese Weise zu dupiren versuchte?

In allen beiden Fällen war ihre Lage keineswegs eine angenehme. Leugnen


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war das Allerbeste, entschieden, ganz entschiedenes Leugnen; das erkannten alle Beide, ohne es sich vorher einander mittheilen zu müssen.

»Alle Wetter!« rief Landola ganz bestürzt.

»Alle Teufel und Heiligen!« folgte ihm Cortejo.

»Nicht wahr, es ist richtig?« triumphirte der Pater.

»Nein, es trifft nicht zu,« behauptete Cortejo.

»Es ist falsch, es stimmt nicht,« fügte Landola bei.

»O, meine Wissenschaft betrügt mich nie,« meinte Hilario.

»Und dennoch betrügt sie Euch,« entgegnete Cortejo.

»Könnt Ihr mir das beweisen?«

»Ja, sofort!«

»So thut es! Oder vielmehr, versucht es, denn gelingen wird es Euch auf keinen Fall.«

»Auf alle Fälle! Ihr behauptet also, daß ich Cortejo heiße?«

»Ja. Ich behaupte es nicht nur, sondern ich bin sogar ganz und gar überzeugt davon.«

»Und doch suche ich diesen Cortejo. Kann ich also er selbst sein?«

Der Pater warf einen unaussprechlich selbstbewußten Blick auf ihn und meinte dann lächelnd:

»Sucht Ihr nicht Pablo Cortejo?«

»Ja.«

»Und habe ich Euch nicht gesagt, daß Euer Name Gasparino sei?«

»Donnerwetter,« fluchte Cortejo.

An den Vornamen hatte er nicht gedacht. Nun war es mit seinem Gegenbeweise allerdings schlecht bestellt. Dennoch versuchte er, sich zu vertheidigen, indem er entgegnete:

»Das ist nur eine Vermuthung; das ist ein Irrthum. Ich heiße nicht Cortejo, sondern -«

Er hielt mitten in der Rede stockend inne und blickte, um Hilfe suchend, zu Landola hinüber. Aber der Pater fiel sofort ein:

»Ah, Ihr habt den Namen vergessen, den Euch Sennor Landola vorhin zulegte. Das beweist erst recht, daß meine Wissenschaft mich nicht getäuscht hat.«

»O, ich habe den Namen nicht vergessen; Ihr habt mich nur nicht aussprechen lassen; Ihr seid mir in das Wort gefallen.«

»Ja,« beeilte sich Landola, beizustimmen; »es ist ein Unsinn, an diese sogenannte Wissenschaft zu glauben. Der Beweis, daß es Schwindel ist, ist ja geliefert. Ich - ich soll Landola heißen!«

Er stieß ein höhnisches Lachen aus.

»Und meine Name soll Cortejo sein!« meinte Cortejo.

Der Pater aber schüttelte ernst den Kopf und sagte:

»Sennores, denkt ja nicht, daß Ihr mich in Irrthum bringt. Was ich sage, das sage ich. Ich bin sehr im Stande, Euch zu beweisen, daß ich nichts als Wahrheit spreche.«

»So beweist es!« forderte Cortejo ihn auf.

»Gut. Ihr wollt es haben.«


// 2347 //

Er zog ein kleines Fach seines Schreibtisches auf und entnahm demselben zwei Karten. Er hielt ihnen die eine hin und fragte:

»Kennt Ihr diese Dame?«

Beide sahen sich, als sie einen Blick auf die Karte geworfen hatten, mit bedeutungsvollen Augen an.

»Ich kenne sie nicht,« sagte Landola.

»Und ich auch nicht,« fügte Cortejo hinzu.

»Da sagt Ihr die Unwahrheit, Sennores. Wenn Ihr wirklich Mexikaner seid, so müßt Ihr dieses Mädchen kennen. Vorhin gabt Ihr Euch für Kinder dieses Landes aus und jetzt soll diese Photographie Euch unbekannt sein. Entweder habt Ihr vorher gelogen, oder Ihr lügt jetzt.«

»Sennor,« meinte Landola in drohendem Tone, »ich ersuche Euch, solche und ähnliche Worte zu vermeiden!«

»Wir sind nicht zu Euch gekommen, um uns Lügner nennen zu lassen!« fügte Cortejo in demselben Tone bei.

Der Pater behielt seine Ruhe bei und antwortete:

»Ihr seid wirklich unverbesserlich! Aber bitte, seht Euch nun auch dieses zweite Bild an.«

Er hielt ihnen dasselbe entgegen und abermals konnten sie ihr Erstaunen nicht verbergen.

»Kennt Ihr es?«

»Ich nicht,« meinte Landola.

»Ich auch nicht,« betheuerte Cortejo.

»Sonderbar, sehr sonderbar! Ihr kennt diese beiden Photographieen nicht, und doch sehe ich beim Anblicke derselben in Euren Angesichtern ganz deutlich die Zeichen des Erstaunens, ja des Schreckens. Diese Dame ist Sennorita Josefa Cortejo. Sie ließ sich photographiren, um ihre Bilder unter die Anhänger ihres Vaters vertheilen zu lassen. Der Herr ist eben dieser ihr Vater, Pablo Cortejo. Auch er ließ sich photographiren, aber nicht für eine solche Menge, sondern nur für nähere, intimere Bekannte.«

Da fragte Cortejo rasch:

»Ihr habt sein Bild. Also gehört Ihr auch zu diesen Bekannten?«

»Pah! Ich habe Euch ja vorhin gesagt, daß ich ihn niemals gesehen habe. Also Ihr gebt nicht zu, die Originale dieser beiden Photographieen zu kennen?«

»Nein,« antworteten alle Beide.

»Nun, kennt Ihr auch nicht Diesen da?«

Er griff abermals in das Fach und zog eine Photographie hervor, welche er ihnen zeigte. Eine Pause trat ein; weshalb, das verriethen die Beiden nicht, sie gaben sich im Gegentheile alle Mühe, ihre Gesichtszüge zu beherrschen.

»Nun, Sennores, wollt Ihr mir keine Antwort geben?« fragte der Pater. »Ist Euch dieser Mann vielleicht unbekannt?«

»Vollständig!« stieß Cortejo endlich hervor.

»Mir ebenso,« meinte auch Landola.

»Das bedaure ich sehr,« sagte der Pater mit einem ironischen Lächeln. »Das ist nämlich ein sehr interessanter Herr. Es ist der junge Graf Alfonzo de Rodri-


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ganda, welcher erst in Mexiko wohnte, später aber nach Spanien ging. Aber leider sagt man, daß er nicht der richtige Erbe, sondern ein fremdes, untergeschobenes Kind sei. Ich glaubte, Ihr würdet ihn kennen. Desto mehr aber bin ich überzeugt, daß Euch die vierte und letzte Photographie bekannt ist, welche ich Euch zeigen kann. Hier ist sie!«

Er griff zum dritten Male in das Fach und zog abermals ein Bild hervor, welches er ihnen entgegenhielt.

»Tod und Teufel!« rief dieses Mal Landola.

»Verdammt!« rief auch Cortejo.

»Nun?« fragte der Pater, sich mit übermüthigem Lächeln an dem bestürzten Ausdrucke ihrer Gesichter weidend.

»Ich kenne ihn doch nicht!« meinte Landola.

»Und ich ebenso wenig!« behauptete Cortejo.

»Wirklich nicht? Aber fällt Euch nicht vielleicht etwas an dieser Photographie auf?«

»Allerdings,« gestand Cortejo zu.

»Nun, was?«

»Sie sieht mir ein wenig ähnlich.«

»Ein wenig nur?«

»Nun -« stockte der Gefragte - »es mag meinetwegen etwas mehr als wenig sein.«

»Auch das nicht. Wenn Ihr Euch heute photographiren laßt, so könnt Ihr gar nicht besser getroffen werden, als es hier der Fall ist.«

»Aber ich bin es doch nicht!«

»Ihr behauptet das wirklich?«

»Ich muß es behaupten, denn es ist die Wahrheit.«

»Nun, dann sind wir allerdings fertig mit einander,« meinte der Pater, indem er ruhig und wie bedauernd die Achsel zuckte.

Er steckte die Photographieen gemächlich in das Fach zurück, schob dasselbe zu und fuhr dann fort:

»Wir haben uns alle Drei getäuscht. Ihr habt nicht geglaubt, daß man die Namen lesen könne, und ich habe nicht geglaubt, daß es ein so merkwürdiges Naturspiel, eine solche Aehnlichkeit geben könne. Das letzte Bild war dasjenige des Advocaten Gasparino Cortejo in Manresa oder Rodriganda. So aber ist es, wenn man sich einer vorgefaßten Meinung zu sehr anvertraut; die Enttäuschung kommt sicher nach. Scheiden wir also in Zufriedenheit von einander. A dios, Sennores!«

Er winkte unter einem höflichen Lächeln ihnen mit der Hand entlassend zu und drehte sich ab, wie um sich in das Nebengemach zurückzuziehen. Die Beiden blickten sich verlegen an und dann trat Cortejo vor und sagte:

»Halt, Sennor! Ehe wir gehen, werde ich Euch ersuchen, mir noch eine Frage zu gestatten.«

Der Pater drehte sich verwundert wieder um und antwortete:

»Eine Frage?«

»Ja.«


// 2349 //

»Wozu? Ich glaube, daß wir mit einander fertig sind und daß eine jede weitere Frage zwecklos zu nennen ist.«

»Doch vielleicht nicht.«

»Nun, so sprecht Eure Frage aus, Sennor.«

»Sind die Photographieen, welche Ihr uns zeigtet, Euer Eigenthum?«

»Was Anderes sollen sie sonst sein?«

»Ihr könnt sie ja gefunden haben.«

»Dann hätte ich sie abgegeben.«

»Oder sie können Euch zur einstweiligen Aufbewahrung anvertraut worden sein!«

»Dann hätte ich kein Recht, sie Euch zu zeigen.«

»Ihr habt sie also geschenkt erhalten?«

»Ja.«

»Eine jede Photographie von der Person, welche sie darstellt?«

Es war ein eigener, sarkastischer Zug, welcher über das Gesicht des Paters glitt. Er schüttelte den Kopf und antwortete nur:

»Nein, Sennor.«

»Von wem sonst?«

»Interessirt Euch das?«

»Sehr sogar.«

»Das ist mir nun allerdings unbegreiflich, höchst unbegreiflich!«

»Warum?«

»Ihr kennt ja alle diese Personen nicht. Ihr seid ein Advocat und Euer Gefährte ist ein Pflanzer. Ihr Beide steht ihnen allen sehr fern. Wie könnt Ihr Euch für sie interessiren?«

Cortejo blickte sich wie hilfesuchend um. Er wußte gar nicht, was er auf diesen wohlberechtigten Einwurf antworten solle. Da kam ihm Landola zu Hilfe:

»Wir wundern uns nur darüber, daß Ihr diese Bilder besitzt.«

»Wundern? Aus welchem Grunde denn, Sennor?«

»Weil auch Ihr diesen Pablo Cortejo und seine Tochter Josefa nicht kennt.«

»Das ist doch kein Grund zur Verwunderung! Ich habe Euch doch gesagt, daß diese Photographieen im ganzen Lande circuliren. Man kommt sehr billig zu ihnen, ja, man bekommt sie sogar geschenkt.«

»Aber wie kommt Ihr zu den anderen beiden?«

»Ihr meint die von Gasparino Cortejo und dem Grafen Alfonzo de Rodriganda? O, aus reinem Zufalle. Ich habe einen Patienten hier, welcher sie bei sich hatte und sie mir schenkte.«

»Darf man fragen, wer dieser Patient ist?«

»Ein gewisser Mariano.«

»Mariano?« fragte Landola rasch. »Woher ist er?«

»Er ist ein geborener Spanier und hat höchst seltene Schicksale hinter sich. Früher hat er sich einmal Alfred de Lautreville genannt.«

»Wie ist er zu Euch gekommen?«

»Ein College übergab ihn mir zur Weiterbehandlung.«

»Ein Arzt?«


// 2350 //

»Ja, ein deutscher Arzt.«

»Ah! Wie hieß er?«

»Doctor Sternau.«

»Doctor Sternau!« rief Cortejo. »Wißt Ihr, wo sich dieser Euer College jetzt befindet?«

»Ja.«

»Wo?«

»Interessirt Ihr Euch für ihn? Kennt Ihr ihn vielleicht?«

»Ich habe von ihm gehört. Man rühmt ihn als einen der besten -«

Er wurde unterbrochen. Landola nämlich faßte ihn am Arme, stampfte den Boden mit dem Fuße und rief, indem seine Augen förmliche Blitze auf den Pater schleuderten:

»Halt, reden Sie jetzt kein Wort weiter! Sehen Sie denn nicht endlich einmal ein, daß dieser Pater mit uns spielt, wie die Katze mit der Maus?«

Diese Ueberzeugung war Cortejo auch gekommen, doch hatte er vorziehen wollen, mit Behutsamkeit weiter zu gehen. Das aber paßte für Landola's heißes, jähes Temperament nicht. Der Pater blickte den Letzteren mit überlegenem Lächeln an und fragte:

»Wie, Sennor, Ihr meint, ich spiele mit Euch?«

»Ja,« antwortete Landola zornig.

»Ihr verwechselt die Rollen. Ihr seid es ja, die mit mir spielen!«

»Ah! Wieso?«

»Ihr kamt nicht mit offenem Visir!«

»Wir durften nicht.«

»Ist es nicht ein Spielen mit mir, wenn Ihr Euch hinter einer Maske versteckt?«

»Das war Vorsicht!«

»Mir falsche Namen nennt!«

»Lauter Vorsicht!«

»Und so thut, als ob Ihr keine einzige der Personen kennt, nach denen Ihr Euch bei mir erkundigen wolltet!«

»Das geschah ganz aus demselben Grunde. Warum sagtet aber Ihr uns die Unwahrheit?«

»Weil Ihr nicht aufrichtig wart. Ich hoffe aber, Ihr seht jetzt endlich ein, daß es besser ist, offen zu sein. Nicht wahr, Ihr seid Henrico Landola, der frühere Capitän Grandeprise?«

Der Gefragte zögerte noch immer.

»Donnerwetter!« sagte er. »Muß ich Euch denn nun wirklich eine Antwort geben?«

»Ja, und zwar eine sehr bestimmte.«

»Nun, bei allen Heiligen oder Teufeln, mir soll es einmal ganz und gar egal sein, ob ich in das Verderben fahre oder reite. Ja, ich bin dieser Kerl!«

»Schön. Und Ihr, Sennor, seid Gasparino Cortejo?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.


// 2351 //

»Na, endlich! Aber sagt mir doch einmal aufrichtig, was Ihr eigentlich hier in Mexiko wollt?«

»Ihr verdammter Kerl wißt dies ja bereits ganz genau,« antwortete Landola. »Wer hat es Euch verrathen? Wer?«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch und nahm eine sehr drohende Miene an. Der Pater wehrte mit der Hand ab und antwortete:

»Das verfängt bei mir nicht! Andonnern lasse ich mich nicht! Wer bei mir etwas erreichen will, der hat höflich zu kommen. Merkt Euch das! Wir haben bisher gestanden. Setzt Euch! Auf diese Weise läßt sich unser interessantes Thema viel leichter und friedlicher besprechen, als wenn wir uns einander mit Drohungen gegenüberstehen.«

Sie kamen seiner Aufforderung nach und dann fuhr der Pater fort:

»Ich befinde mich bei mir selbst und bin voraussichtlich Derjenige, von dem Ihr irgend eine Auskunft und Gefälligkeit erwartet. Darum ist es wohl nicht mehr als recht und billig, daß ich es bin, auf dessen Erkundigungen Ihr zunächst antworten werdet.«

Landola schlug unter einer finsteren Miene die Beine über einander und antwortete:

»Fragt, Sennor.«

»Ja, fragt. Wir werden nach Möglichkeit antworten,« fügte Cortejo zu.

»Wer hat Euch zu mir gesandt?«

»Der Jäger Grandeprise,« antwortete Landola.

»Wo habt Ihr diesen getroffen?«

»In Vera Cruz bei unserem Agenten Gonsalvo Verdillo.«

»Wohin ist er dann gegangen?«

»Nach der Hauptstadt, wo er sich noch jetzt befindet.«

»Was treibt er da?«

»Allerlei Allotria, die ihn um Kopf und Kragen bringen werden. Uebrigens war es ein sehr dummer Streich von Euch, diesen Menschen zu schicken.«

»Warum?«

»Weil er nicht ehrlich und zuverlässig ist.«

Der Pater lächelte leise.

»Haltet Ihr einen Piraten für ehrlicher als ihn?« fragte er.

»Ja, zum Donnerwetter!« brauste Landola auf. »Meint Ihr etwa, daß ein Pirat ein Schuft, ein Hallunke sein muß? Ein braver Pirat wird mit seinen Leuten stets ehrlich sein.«

»Und dieser Grandeprise ist es nicht?«

»Nein und abermals nein.«

»Ah! So ist er unehrlich gegen Euch gewesen?«

»Ja.«

»In welcher Weise?«

»Das zu beantworten, ist mir jetzt noch ganz und gar unmöglich.«

»Warum?«

»Ich kenne Euch nicht.«

»Man nennt mich Pater Hilario!«


// 2352 //

»Das genügt noch lange nicht. Wir wissen noch nicht im Mindesten, was wir von Euch zu denken haben.«

»Das könnt Ihr ja sehr leicht erfahren.«

»Das ist auch unsere Absicht. Wir müssen unbedingt wissen, ob wir einen Freund oder einen Feind in Euch zu suchen haben.«

»Natürlich einen Freund!«

»Könnt Ihr uns das beweisen?«

»Ja.«

»So thut es!«

»Habt Ihr nicht bemerkt, daß ich in Eure Geheimnisse eingeweiht bin?«

»Es scheint allerdings so, als ob Ihr Einiges wißt.«

»Einiges? Pah! Ich weiß Alles!«

Landola schüttelte ungläubig den Kopf.

»Das möchte ich denn doch nicht so wörtlich hinnehmen,« meinte er.

»Und doch ist es so!«

Landola's Gesicht verfinsterte sich. Wer hatte diesen Pater zum Mitwisser gemacht? Es war dies auf alle Fälle eine große Unvorsichtigkeit.

»Nun,« sagte er, »so zählt einmal Alles auf, was Ihr wißt.«

»Ihr sollt es hören,« antwortete der Pater lächelnd. »Ein Knabe wurde von einer gewissen Maria Hermoyes mit einem gewissen Petro Arbellez geholt. In Barcelona wurde dieser Knabe mit einem Sohne eines gewissen Gasparino Cortejo und einer gewissen Schwester Clarissa vertauscht -«

»Zum Henker, wer hat Euch das gesagt?« fragte Cortejo.

»Ihr werdet es erfahren. Dieser falsche Alfonzo wurde hier in Mexiko vom Graf Ferdinando erzogen. Doch, laßt es mich kurz machen. Ich weiß Alles. Der scheinbare Tod der beiden Grafen Emanuel und Ferdinando, der Aufenthalt des Letzteren in Härrär, das Eingreifen dieses Sternau, seine Verheirathung mit Rosa, die famose Reise nach der Insel im Meere, die Rettung durch einen deutschen Capitän, das Alles, Alles ist mir nur zu wohl bekannt.«

Die beiden Zuhörer vermochten nicht, ihren Aerger zu unterdrücken. Sie blickten einander an und dann fragte Landola:

»Aber, Sennor, so sagt mir doch, von wem Ihr das wißt!«

»Ihr gebt also zu, daß ich Alles weiß?«

»Leider, ja.«

»Leider? Ah, Ihr werdet bald hören, daß ich nur zu Eurem Nutzen mit in das Geheimniß gezogen worden bin. Sennor Pablo und Sennorita Josefa haben mir Alles erzählt.«

»Also diese Beiden! Wie ist das gekommen?«

»Nun, welche unvorsichtige, politische Rolle sie gespielt haben, das ist Euch ja bekannt. Sie wurden des Landes verwiesen. Ihr Kopf stand auf dem Spiele. Da sie das Land nicht verlassen wollten, so suchten sie nach einem sicheren Verstecke und -«

»Haben sie es gefunden?« fragte Cortejo rasch.

»Ja.«

»Bei wem?«


Ende der achtundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

Karl May – Forschung und Werk