Lieferung 13

Deutscher Wanderer

15. Dezember 1883

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Königsau schritt langsam weiter, rückwärts, ohne sich umzudrehen, und behielt die Gestalt fest im Auge, von der er deutlich bemerkte, daß sie ihm mit unhörbaren Schritten folge.

Margot war, sobald der Geliebte gegangen war, in die Loge des Portiers getreten und hatte dort schnell den Paletot angezogen, und den Hut aufgesetzt.

»Aber, Mademoiselle, wohin wollen Sie noch so spät?« fragte dieser verwundert.

»Nicht weit, nur um die Ecke,« antwortete sie.

»Aber allein und in den jetzigen Kriegszeiten! Erlauben Sie, daß ich Sie begleite.«

»Ich danke Ihnen! Ich muß allein gehen, ich will etwas beobachten.«

»Ah, ich verstehe!« meinte der Portier pfiffig. »Sie wollen sehen, wohin der Herr gehen wird, welcher Sie soeben verlassen hat.«

»Sie irren,« sagte sie in verweisendem Tone. »Es wird wohl keine anständige Dame einem Herrn nachlaufen, um zu spioniren. Lassen Sie mich so hinaus, daß die Thür kein Geräusch macht. Man darf weder hören noch sehen, daß ich auf die Straße trete.«

Er gehorchte ihr. Als sie sich draußen befand, blieb sie zunächst stehen, um zu lauschen. Königsau war erst kaum zwanzig Schritte entfernt, auch er war ja einige Augenblicke stehen geblieben, um seinen Mantel festzuziehen und die Pistole hervorzunehmen.

Ihr Auge durchforschte die Straße. Es war, als ob die Sorge ihrem Blicke doppelte Schärfe verleihe. Gerade gegenüber löste sich eine dunkle Gestalt vom Thorwege ab, huschte mit völlig unhörbaren Schritten über die Straße herüber und schlich dem Geliebten nach.

Das war kein Anderer als der Capitän, ihr Bruder. Das Herz zog sich ihr zusammen; ob vor Angst um Königsau oder vor Scham darüber, den Bruder als Meuchelmörder erkennen zu müssen, sie konnte es sich wohl selbst nicht sagen.

Sie hatte aus Vorsorge keine Stiefel angezogen, sie trug dieselben Hausschuhe, welche sie in der Wohnung zu tragen pflegte. Diese waren weich, und darum konnten auch ihre Schritte nicht gehört werden. So folgte sie den Beiden durch die Straße und in die Nebenstraße hinein. Dort hörte sie, daß der Geliebte, den sie wohl hören aber nicht sehen konnte, stehen blieb, denn seine Schritte waren verhallt.

»Hat er etwas bemerkt?« fragte sie sich. »Jetzt wird er vorsichtig sein!«

Einige Secunden später vernahm sie die Schritte wieder; sie hatten einen sehr eigenthümlichen Klang, den sie sich im ersten Augenblicke nicht enträthseln konnte. Bald aber dachte sie:

»Ah, er ist listig! Er tritt erst mit der Sohle und dann mit den Absätzen auf: er geht rückwärts, um seinen Mann im Auge zu behalten. Jetzt bin ich fast beruhigt.«

Sie huschte weiter und erblickte bald den heimlichen Verfolger wieder, der alle seine Aufmerksamkeit so ausschließlich auf den Lieutenant richtete, daß er gar nicht bemerkte, daß er eine Person hinter sich habe, die ihn ebenso scharf beobachtete wie er jenen.

Margot hatte sich nicht getäuscht; es war ihr Bruder. Dieser hatte das Café bereits vor Mitternacht verlassen und sich dann an das Thor des gegenüberliegenden Hauses auf die Lauer gestellt. Er sah die Schatten der Personen, welche sich droben in der Wohnung seiner Mutter bewegten, sich an den Gardinen abzeichneten und dachte mit Grimm daran, daß sein Todfeind jetzt die Liebkosungen der Schwester


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empfange, deren Verheirathung mit dem Baron de Reillac ihn, den tief Verschuldeten, von allen seinen quälenden und drückenden Sorgen erlösen konnte.

»Es ist das letzte Mal, daß Du bei ihr bist!« murmelte er. »Dieser Dolch soll dafür sorgen, daß Du verschwindest und uns die Bahn wieder freigeben mußt.«

Er zog den Dolch aus der Tasche und setzte die Spitze desselben prüfend an den Finger.

»Er ist spitz wie eine Nadel. In der Wunde umgedreht und dann abgebrochen, bringt er den unvermeidlichen Tod. Hätte ich den Schurken doch bereits vor mir stehen!«

Aber er mußte sich gedulden, bis ihm die Schatten sagten, daß Königsau jetzt aufbrechen werde. Nach einiger Zeit sah er ihn drüben aus dem Thore treten, welches sich hinter ihm schloß.

»Es wird sich Dir nicht wieder öffnen! Aber die Pforte der Hölle möge Dir offen stehen!«

Er hätte diese Worte am Liebsten laut ausgerufen, um seinem ergrimmten Herzen Luft zu machen; aber er mußte schweigen, um sich nicht zu verrathen. Wäre es Tag gewesen, so hätte man seine Augen blutgierig funkeln und seine Lippen sich zu jenem häßlichen Fletschen öffnen sehen, welches ihm im Falle des Zornes so eigenthümlich war.

Er legte die Hand fester um den Griff des Dolches und wollte bereits seinem Opfer folgen, aber bereits nach dem ersten Schritte blieb er überlegend wieder halten.

»Alle Teufel,« brummte er; »meine Stiefelsohlen knirschen! Dies würde mich unfehlbar verrathen. Daß ich auch nicht daran gedacht habe! Ich muß die Stiefel ausziehen. Aber sie mit mir tragen? Sie würden mich hindern. Soll ich sie hier im Thorwege stehen lassen? Es ist ja finster hier. Aber nein. Es könnte Jemand aus- oder eingehen wollen und sie finden, und dies könnte mich verrathen. Bei solchen Gelegenheiten muß man vorsichtig sein. Ich werde sie doch mit mir nehmen. Trage ich sie in der linken Hand, so hat die Rechte genug Kraft und Spielraum, einen guten Stoß auszuführen.«

Er zog die Stiefel rasch aus, nahm sie in die Linke und huschte über die Straße hinüber, um dem Lieutenant zu folgen, von welchem er sich in solcher Entfernung hielt, daß er die Gestalt desselben trotz der Dunkelheit gerade noch zu erblicken vermochte.

In der Straße, welche er selbst bewohnte, wollte er den Ueberfall nicht ausführen, um allen Möglichkeiten im Voraus vorzubeugen.

»Ich werde ihn gerade in das Herz treffen,« sagte er sich. »Er wird niederstürzen, ohne einen Laut auszustoßen. Dann beraube ich ihn. Wenn ihm, sobald er gefunden wird, die Börse fehlt sammt der Uhr und den Ringen, so wird man einen Raubmord annehmen und nicht denken, daß ein Act der Rache vorliegt.«

So hatte er die Hälfte der nächsten Straße passirt, als er bemerkte, daß Königsau stehen blieb. Sofort hielt auch er seine Schritte ein. Die Gier, mit welcher er an seine dunkle That dachte, ließ es gar nicht zu, den veränderten Ton von des Lieutenants Schritten zu bemerken, der doch Margot sogleich aufgefallen war. Er folgte ihm weiter und konnte dies scheinbar sicher, da zur damaligen Zeit die Straßenbeleuchtung in Paris sehr im Argen lag. Es brannte keine einzige Laterne.

Da, als die Straße bereits zu Ende war, schien es ihm an der Zeit zu sein. Er eilte rascher vorwärts, bis er den Lieutenant so weit erreicht hatte, daß die Entfernung zwischen ihnen höchstens noch vier Schritte betrug. Jetzt erhob er scharf den Blick, um den Stoß mit Sicherheit von hinten führen zu können, wäre aber fast erschrocken zurückgeprallt, denn er bemerkte, daß Königsau rückwärts gegangen war und nun, das Gesicht ihm zugewendet, stehen blieb, um ihn zu empfangen.

»Wer da! Was wollen Sie?« fragte der Lieutenant mit lauter Stimme.

Die Bestürzung des Capitäns hatte nur einen Augenblick gedauert. Jetzt galt es, trotzdem der Feind vorbereitet war, das Werk zu vollbringen. Er hielt den Letztern für unbewaffnet und im Nachtheile bei einem etwaigen Ringen, und ebenso glaubte er, nicht erkannt zu werden, da es ja dunkel war. Uebrigens was lag daran? Wenn er ihn auch erkannte, ein Todter kann keinen Namen ausplaudern.

»Dich, Du Hund!«

Indem er diese Worte mit verstellter Stimme als Antwort rief, warf er sich mit erhobenem Dolche auf Königsau. Der Stoß fuhr hernieder; aber zum Schrecken des Angreifers gab er einen lauten, metallenen Ton und fand einen festen Widerstand. Der Dolch glitt ab und fuhr in den Arm des Lieutenants. Dieser hielt mit der Linken den Angreifer beim Arme und rief:

»Tödten will ich Dich nicht, aber sehen will ich, wer Du bist.«

Er drückte hart vor dem Gesichte des Meuchlers seine Pistole ab. Der Schuß blitzte auf und erleuchtete für einen Augenblick das Gesicht desselben hell.

»Ah, Capitän, ich dachte, daß Sie es seien. Fliehen Sie, sonst erhalten Sie meine zweite Kugel!«

Mit diesen Worten schleuderte er den von der Pistolenflamme halb Geblendeten weit von sich und schickte sich an, seinen Weg weiter fortzusetzen, als er sich von zwei Armen fest umschlossen fühlte. Bereits glaubte er, sich eines neuen Feindes erwehren zu müssen; da aber hörte er in ängstlichem Tone die Worte:

»Hugo, um Gotteswillen, hat er Dich getroffen?«

»Ah, Margot!« antwortete er überrascht. »Wie kommst Du hierher? Was thust Du da auf der Straße?«

Sie schmiegte sich fest und innig an ihn und antwortete:

»Ich sah, daß er Dir nachschlich, und hatte so große Angst; ich mußte Euch folgen.«

»Du sahst es? So bist Du aus dem Hause getreten als ich fortging?«

»Ja. Er stand unter dem Thore gegenüber.«

»Du liebes, liebes, Du heldenhaftes Mädchen!« rief er, sie noch fester an sich drückend. »Was für ein herrliches Weib wirst Du mir sein! Aber weißt Du, wer es war?«

»Ja,« hauchte sie.

»Nun?«

»Der Capitän.«

Sie sagte nicht »der Bruder«; sie schämte sich, dieses Wort auszusprechen. Die Sorge um den Geliebten aber war noch nicht beruhigt, sie fragte zum zweiten Male dringend:

»Hat er Dich getroffen?«

»Nein, wie ich glaube. Aber hier stoße ich an Etwas. Was ist es?«


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Er bückte sich nieder und fand die Stiefel, welche dem Capitän entfallen waren, als er von dem Lieutenant fortgeschleudert worden war.

»Ah, seine Stiefel!« lachte dieser. »Das ist spaßhaft; man wird sie ihm wiederschicken müssen. Aber komm, Kind! Die Leute sind durch meinen Schuß aufmerksam gemacht worden; man öffnet bereits die Fenster und die Thüren. Wir wollen gehen.«

Er nahm ihren Arm in den seinen, um sie zu führen; da aber fragte sie:

»Du willst wieder zu mir umkehren, Hugo?«

»Ja. Ich darf Dich doch unmöglich allein nach Hause gehen lassen!«

»O doch! Du darfst nicht mitkommen, denn er wird Dich erwarten und abermals anfallen.«

»Glaube das nicht,« antwortete er im Tone der Ueberzeugung; »er ist davongelaufen wie ein Hase. Und wenn er es ja wagte, mich abermals anzugreifen, so würde ich ihn niederschießen, obgleich er Dein Bruder ist. Komm, Geliebte, damit wir von den Leuten nicht gar noch belästigt werden. Ich müßte den Vorfall erzählen und mag doch nicht als Ankläger auftreten, da es sich um einen Menschen handelt, der Dein Verwandter ist, obgleich er es nicht werth ist, es zu sein.«

»Du Guter! Du willst ihm vergeben?« fragte sie, indem sie zurückkehrten.

»Ja; aber ich werde ein Wort mit ihm sprechen.«

»Thue es nicht; vermeide ihn! Er könnte Dir abermals gefährlich werden!«

»Ich werde dafür sorgen, daß dies nicht geschehen kann.«

Da auf den Schuß kein weiterer Lärm erfolgte, so machten die Bewohner der Straße ihre Fenster wieder zu. Es kam ja jetzt sehr häufig vor, daß geschossen wurde, und sie dachten, daß sich irgend ein müssiger Mensch den Spaß gemacht habe, die Ruhe der Schlafenden zu stören, indem er sich die Mühe gab, ein wenig Pulver zu verblitzen.

Königsau hatte den rechten Arm um die Schultern der Geliebten gelegt und ihren linken Arm um seine Taille gezogen. So schritten sie neben einander wortlos hin. Beide nur sich den Gefühlen hingebend, welche die überwundene Gefahr in ihnen hervorgebracht hatte. Da fühlte Margot etwas Warmes und Nasses an ihrem Halse. Sie blieb erschrocken stehen.

»Mein Gott, was ist das?« fragte sie. »Zeige Deinen Arm her, mein Hugo!«

Er that ihr den Willen. Sie untersuchte den Arm und sagte dann erschrocken:

»Gott, Du bist verwundet! Hier im Oberarme quillt aus einer Wunde Blut!«

Er hatte den Stich, welchen er erhalten hatte, bisher gar nicht gefühlt, jetzt aber kam ihm die Empfindung, daß er verletzt worden sei.

»Ist's möglich?« fragte er. »Ich habe es gar nicht bemerkt.«

»So komm, komm schnell nach Hause, damit wir die Wunde untersuchen,« sagte sie voller Angst. »Gütiger Himmel, es wird doch nicht gefährlich sein!«

»Auf keinen Fall,« beruhigte er sie. »Die Klinge des Dolches ist von dem Panzer abgeglitten und hat mir den Arm ein Wenig gestreift; weiter ist es nichts.«

»Wie gut, daß Du den Panzer trugst; er hätte Dich sonst getödtet!«

Sie zog ihn mit sich fort, erfüllt von jener Angst, welche durch die Besorgniß der Liebe verdoppelt wird. Diese Besorgniß verdoppelte ihre Schritte so, daß er ihr kaum zu folgen vermochte. So erreichten sie sehr bald das Haus, in welchem sie wohnte. Dort gab sie dem Portier das Zeichen, zu öffnen.

Anstatt in seinem Zimmer an der Schnur zu ziehen, kam er persönlich. Dies benutzte sie, ihn zu fragen:

»Ist, seit ich fort bin, Jemand eingetreten?«

»Ja,« antwortete er zögernd.

»Wer war es?«

»O, Mademoiselle, ich soll es nicht sagen.«

»Wer hat es Ihnen verboten?«

»Er selbst.«

»Mein Bruder?«

»Ah! Sie wissen es also bereits! Nun, so bin ich also nicht indiscret, wenn ich es zugebe, daß er es gewesen ist.«

»Also doch! So ist er jetzt zu Hause?«

»Nein. Der Herr Capitän schien sehr große Eile zu haben.«

»So ist er wieder fort?«

»Ja. Als er kam, dachte ich, Sie wären es. Sie wissen, daß ich Sie gern persönlich bediene; darum ging ich heraus aus meiner Loge. Ich erkannte den Herrn Capitän.«

»Was sagte er?«

»Er gab mir fünf Francs und gebot mir, keinem Menschen zu sagen, daß er hier gewesen sei. Es mußte ihm ein kleines, eigenthümliches Abenteuer passirt sein.«

»In wiefern?«

»Nun, ich bemerkte zu meinem größten Erstaunen, daß er - daß - daß -«

»Nun, was? Bitte, sprechen Sie doch!«

»Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf, Mademoiselle. Er hat es mir streng verboten.«

»Ich glaube doch, daß Sie mit mir, die ich seine Schwester bin, eine Ausnahme machen dürfen.«

»Ich glaube das allerdings selbst auch. Ich sah nämlich beim Scheine meines Lichtes, daß er keine Stiefel anhatte. Er kam in Strümpfen. Ich traute meinen Augen nicht, aber als er dann den Flur passirte und die Treppe emporstieg, bemerkte ich, daß ich mich doch nicht geirrt hatte. Der Herr Capitän muß also ein kleines Abenteuer erlebt haben.«

»Möglich. Hat er sich lange in seiner Wohnung aufgehalten?«

»Nein, sondern nur eine Minute, gerade so lange, als man bedarf, um Stiefel anzuziehen.«

»Und dann?«

»Nun, dann kam er herab. Er trug jetzt Fußbekleidung, nickte mir zu, denn ich war noch nicht in meine Loge getreten, und verließ das Haus in größter Eile.«

»In welcher Richtung?«

»Rechts. Ich habe sehr genau darauf aufgemerkt, denn die Sache kam mir doch ein Wenig ungewöhnlich vor, so daß ich unwillkürlich horchte, wohin er ging. Ich hörte, daß er sich nach rechts wendete, obgleich er sich Mühe gab, leise aufzutreten.«

»Ich danke und bitte Sie allerdings, das kleine Vorkommniß nicht zu erwähnen.«

»O, Mademoiselle, Sie kennen ja meine Ergebenheit,«


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versicherte der brave Mann. »Wenn Sie es nicht gewesen wären, seine Schwester, so hätte ich gar nichts erwähnt. Ein Portier muß verschwiegen sein können. Sie dürfen sich gewiß auf mich verlassen!«

»Das hoffen wir,« sagte jetzt Königsau. »Hier haben Sie noch eine Kleinigkeit!«

Er griff in die Tasche und gab dem Portier ein Goldstück. Als dieser das schimmernde Metall funkeln sah, machte er eine tiefe Verbeugung und sagte:

»Sie sind außerordentlich gütig, Monsieur. Eine solche Noblesse ist hier in diesem Hause selten. Sie können ganz und gar auf mich rechnen, meine Herrschaften!«

Er becomplimentirte sie mit ausgesuchtester Höflichkeit nach der Treppe. Er war im Stillen sehr überzeugt, daß diese beiden jungen Leute auch ein kleines Abenteuer erlebt hatten. Der deutsche Officier hatte ja erst vor Kurzem das Haus verlassen, und Mademoiselle Margot war ihm heimlich gefolgt. Als diese Beiden jetzt eben verschwunden waren, kehrte er in seine Loge zurück und betrachtete sich jetzt das Goldstück genau.

»Sapperlot!« murmelte er. »Ich glaubte, es seien zwanzig Franken, und nun sehe ich, daß ich gar ein Vierzigfrankstück erhalten habe. Das ist allerdings sehr nobel, außerordentlich nobel. Ein solches Geschenk macht man nicht des Portiers, sondern der Dame wegen, welche sich mit dabei befindet. Ich glaube, dieser deutsche Officier setzt bei Mademoiselle Margot die Eroberungen fort, welche seine Landsleute in Frankreich gemacht haben! Na, er ist ein feiner Mann, wie ich sehe, und sie ist eine ausgezeichnete Dame, sie passen zusammen, obgleich ich sie lieber einem Franzosen gegönnt hätte.«

Er steckte das Goldstück in ein heimliches Kästchen, beliebäugelte es einige Augenblicke lang und fuhr dann in seinem Monologe fort:

»Er ging fort, und sie folgte ihm heimlich. Es ist da etwas Ungewöhnliches passirt, und ich halte es für sehr möglich, daß ihr Abenteuer mit demjenigen, welches der Capitän erlebt hat, zusammenhängt. Na, mich geht dies ja nichts weiter an!«

Er hatte glücklicher Weise nicht bemerkt, daß Königsau verwundet war, sonst wäre der Gang seiner Gedanken ein noch viel kühnerer gewesen.

Unterdessen standen die beiden Liebenden droben vor der Mutter, welcher Margot in fliehender Eile das entsetzliche Erlebniß erzählte.

»O mein Gott, ist dies möglich!« klagte die erschrockene Frau. »Mein Sohn ein Mörder, ein feiger Bravo, der Andere aus dem Hinterhalte überfällt. Es ist mir fast unmöglich, daran zu glauben. Aber, Kind, in welche Gefahr hast Du Dich dabei begeben!«

Margot war beschäftigt, Wasser herbeizuschaffen und Leinewandstücke zum Verbande zu suchen, doch hinderte sie diese eilige Beschäftigung nicht, an der Unterhaltung den lebhaftesten Antheil zu nehmen. Sie überhörte mit Absicht den liebevollen Vorwurf der Mutter und antwortete:

»Wie? Es wird Dir schwer, zu glauben, daß Albin es gewesen ist?«

Frau Richemonte antwortete mit Thränen des Schmerzes im Auge:

»Leider muß ich zugestehen, daß ich ihm eine solche Schändlichkeit zutraue. Wer an den Gliedern seiner eigenen Familie so handelt wie er, der ist auch im Stande, einen Fremden, welcher seinen Plänen im Wege steht, hinweg zu räumen. Aber dennoch fällt es mir unendlich schwer, an die vorliegende Thatsache zu glauben.«

»So siehe seine Stiefel an; sie liegen hier.«

»Kind, können es nicht die Stiefel eines anderen Mannes sein?«


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»Nein. Der Portier hat bemerkt, daß er in Strümpfen gekommen ist.«

»Vielleicht nur ein eigenthümlicher Zufall, obgleich ich mir nicht denken kann, auf welche Weise ein Capitän der Garde dazu kommen kann, in Strümpfen nach Hause gehen zu müssen.«

»So werde ich das Mädchen rufen. Sie hat seine Aufwartung übernommen und wird also seine Stiefel ganz genau kennen.«

»Nein, nein! Das Mädchen darf in diese Angelegenheit unmöglich eingeweiht werden. Aber beeile Dich! Siehst Du nicht, daß Herr von Königsau mehr Blut verliert!«

»Mein Gott, ja! Ich mußte doch erst Wasser und Verbandzeug besorgen. Komm her, mein Guter! Mir ist so angst, daß Deine Wunde gefährlich ist. Wir legen jetzt nur den Nothverband an und werden dann gleich zum Arzte senden.«

Königsau antwortete mit beruhigendem Lächeln:

»Fürchte nichts, liebe Margot. Es handelt sich hier jedenfalls nur um einen kleinen Ritz oder Stich, welcher vollständig ungefährlich sein wird.«

»So lege schnell ab. Mama wird es gerne erlauben.«

Frau Richemonte zog sich zurück, da Königsau gezwungen war, sich theilweise seiner Kleidung zu entledigen. Er legte den Panzer und den Rock ab, dessen Aermel ebenso blutig war wie der Aermel des Hemdes. An dem glatt polirten Panzer war die Stelle zu erkennen, welche von der Spitze des Dolches getroffen worden war. Ohne den ehernen Schutz wäre die Waffe vielleicht in das Herz gedrungen.

Margot streifte ihm den Aermel des Hemdes auf. Sie war todesbleich vor Besorgniß, aber ihre Hände zitterten nicht. Als ihr Auge die Wunde erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus.

»Herr Gott! Wie groß und tief, das ist ja gefährlich!« rief sie.

»O nein, liebe Margot,« meinte Königsau. »Das sieht jetzt nur so schlimm aus, da Alles blutig ist. Nimm den Schwamm und reinige die Wunde, dann wirst Du sogleich sehen, daß Du Dich getäuscht hast.«

Sie folgte dieser Aufforderung. Wie schön war sie in ihrer Angst um den Geliebten! Wie leise und sanft war ihre Berührung. Er bekam hier eine Vorahnung des Glückes, welches er haben werde, wenn dieses schöne, liebevolle Mädchen als geliebtes Weib einst ganz ihm gehören werde. Er blickte nicht auf seine Wunde, sondern nur auf sie, auf ihre erregungsblassen Wangen, ihren vor angstvoller Spannung leise geöffneten Mund, zwischen dessen Lippen ein köstlicher Schatz herrlicher Zähne hervorleuchtete, auf ihre dunklen Augen, aus denen bald ein Blick voll unendlicher Zärtlichkeit auf ihn leuchtete und bald das innigste Mitleid auf seinen blutüberströmten Arm niederschaute.

Endlich war die Wunde gereinigt und konnte genauer betrachtet werden.

»Sie ist nicht so groß wie ich dachte. Gott sei Dank!« hauchte Margot. »Aber tief. Nicht?«

»Nein,« antwortete er. »Die Spitze des Dolches ist am Panzer abgebrochen, und da der Stoß dadurch geschwächt wurde, so konnte die stumpfe Klinge nicht weit eindringen.«

»Aber warum blutest Du so sehr? Es ist doch nicht etwa eine Pulsader getroffen?«

»O, dann würde die Blutung noch eine ganz andere sein, liebes Kind. Das stumpfe Instrument hat natürlich eine weitere Wunde hervorgebracht, als wenn die Spitze sich noch daran befunden hätte. Es sind einige kleinere Aederchen zerrissen worden; das sieht schlimmer aus als es ist.«

»Aber durch diesen stumpfen Stich wird die Wunde viel schmerzhafter sein!«

»Ich bin Soldat!« sagte er einfach.

»Hugo, lieber Hugo, ich wollte, ich könnte den Schmerz auf mich nehmen!«

Er schlang den gesunden Arm um sie, zog sie an sich, blickte ihr tief, tief in die nassen Augen und fragte mit vibrirender Stimme:

»So lieb, so sehr lieb hast Du mich?«

»Unendlich!« hauchte sie, sich an ihn schmiegend.

»Wirklich?«

»Gewiß. Glaube es mir!«

Sie küßte ihn innig auf den Mund und machte sich dann mit allem Eifer daran, den Verband anzulegen. Zehnmal, hundertmal fragte sie nach seinen Schmerzen, und er hatte alle Mühe, die Sorge zu bekämpfen, welche sie um ihn fühlte. -

Unterdessen war der Capitän, nachdem er sich mit neuen Stiefeln versehen hatte, nach dem Kaffeehause geeilt, in welchem ihn der Baron de Reillac erwartete, um das Ergebniß des Ueberfalls zu vernehmen. Reillac hatte sich aus Vorsorge ein besonderes Zimmerchen geben lassen, um ungestört mit ihm reden zu können. Dort traf er ihn.

»Nun?«

In dieser einen Silbe, welche der Baron aussprach, lagen alle Fragen, die er hätte thun können. Seine Augen glühten wie die Lichter einer Löwin, welche von dem zurückkehrenden Löwen erfahren will, ob er eine reiche Beute für sie gemacht habe.

»Wein!«

Dies war das eine Wort, welches Richemonte antwortete. Seine Züge waren in diesem Augenblicke eisig zu nennen. Man konnte nichts aus ihnen lesen.

»Ah,« sagte der Baron lauernd. »Diese Antwort gefällt mir. Wer so dringend nach Wein verlangt, der muß eine tüchtige Arbeit, eine dankbare Anstrengung hinter sich haben. Habe ich Recht oder nicht, lieber Capitän?«

»Ja, eine verfluchte Arbeit war es,« antwortete der Gefragte zweideutig.

Der Baron verstand ihn nicht; er glaubte, daß der Anschlag gelungen sei, und sagte:

»Nun, da sollen Sie Wein haben, vom allerbesten und so viel Sie trinken wollen.«

Er läutete und gab dem Kellner seine Bestellung. Bis dieser zurückkehrte, verhielten sich die Beiden sehr schweigend, aber als die Flaschen entkorkt waren und der dienstbare Geist sich entfernt hatte, griff Reillac zum Glase und sagte:

»Nun leeren Sie Ihr Glas, Capitän, und erzählen Sie!«

Der Angeredete stürzte sein Glas hinter, stampfte es grimmig auf den Tisch und begann:

»Sie sind ganz glücklich darüber, daß meine Arbeit eine dankbare gewesen ist?«

»Natürlich!«

»Wenn Sie sich nun aber doch irrten?«

»Wie meinen Sie das?«


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»So wie Sie es hörten.«

»Ich sollte mich geirrt haben?«

»Ja.«

»Pah! Sie wollen mich ein Wenig auf die Folter spannen und dann mit der guten Nachricht überraschen. Aber mich täuschen Sie nicht. Ich schmeichle mir, Menschenkenner zu sein. So wie Sie hereintraten und so wie Sie hier sitzen, sieht nur ein Mann aus, der von gerade einer solchen Arbeit kommt, wie wir sie besprochen hatten.«

»Da mögen Sie Recht haben, obgleich es vielleicht größere Menschenkenner giebt, als Sie es sind. Ich komme allerdings direct von einer solchen Arbeit; ob sie aber gelungen ist, das muß man erst wissen.«

»Na, ich hoffe doch, daß Sie einen guten Stoß zu führen verstehen.«

»Ich denke es auch!« sagte der Capitän zornig.

»Na, also!« meinte sein Verbündeter im Tone der Befriedigung.

»Aber selbst der beste Stoß kann einmal daneben gehen!«

»Dann war es eben nicht der beste Stoß, sondern ein sehr schlechter.«

»So will ich mich anders ausdrücken: Selbst der beste Stoß kann parirt werden oder auf einen unverhofften Widerstand stoßen.«

»Ich denke, Menschenfleisch ist kein bedeutender Widerstand.«

»Nein, aber ein Panzer pflegt verdammt hart zu sein.«

Der Baron machte eine Miene unangenehmer Ueberraschung und sagte sehr schnell:

»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß der Kerl einen Panzer getragen hat?«

»Gerade das und nichts Anderes will ich sagen.«

»Donnerwetter! Königsau ist doch, wie ich denke, Husarenofficier, und nur Kürassiere pflegen sich mit Stahl zu umgürten!«

»Er trug dennoch Panzer.«

Der Baron sah dem Capitän eine Minute lang forschend in das Gesicht, machte dann eine wegwerfende Geberde und sagte in beinahe beleidigendem Tone:

»Ah, Sie haben einen Mißerfolg gehabt?«

»Leider!«

»Und wollen denselben beschönigen?«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»O, doch fällt es Ihnen ein! Sie haben gar nicht gestoßen, oder vielleicht haben Sie ganz und gar auf das Unternehmen verzichtet. Sie sind zu feig gewesen, und um sich bei mir zu entschuldigen, sagen Sie, daß der Mann einen Panzer getragen habe!«

Die Augen des Capitäns blitzten zornig auf, und seine Lippen öffneten sich, um seine Zähne zu zeigen. Es war abermals jenes gefährliche, raubthierartige Fletschen, welches ihm bis in das späteste Alter eigen blieb. Er erhob sich langsam und drohend.

»Baron!«

Er sagte nur dies eine Wort, aber es lag in ihm ein Grimm, vor welchem selbst Reillac zurückschreckte. Er drückte sich fest an die Lehne seines Stuhles und fragte:

»Was beliebt?«

»Wenn Sie noch einmal von Feigheit sprechen, so beweise ich es an Ihrem eigenen »Menschenfleische«, daß wirklich nur ein Panzer im Stande ist, meinen Stoß aufzuhalten!«

»Donnerwetter, Sie drohen mir?«

»Ja,« sagte der Capitän einfach, indem er sich wieder niedersetzte.

»Das verbitte ich mir!«

»Pah! Dieses Verbitten hilft Ihnen nicht das Mindeste, wenn Sie fortfahren, mich in dieser impertinenten Weise zu beleidigen.«

»Aber Sie wollen mir doch nicht glauben machen, daß Königsau wirklich einen Panzer getragen habe?«

»Glauben Sie es oder nicht! Ich mache mir den Teufel daraus,« sagte der Capitän.

»Aber wie sollte er denn auf diesen Gedanken gekommen sein! Das ist mir unbegreiflich.«

»Mir ebenso.«

»Sollte er geahnt oder gar vermuthet haben, daß er etwas zu befürchten hat?«

»Vielleicht. Fragen Sie ihn.«

»Oder tragen diese deutschen Officiere während der Feldzüge einen Panzer unter ihrem Waffenrocke, um während des Gefechtes gegen Hieb und Stich gesichert zu sein?«

»Dummheit! Diesen Gedanken kann nur Einer haben, der nicht Militär ist.«

»In wiefern?«

»Der Soldat darf nur die vorgeschriebenen Sachen und Waffen tragen.«

»Ah, wirklich?«

»Ja. Uebrigens würde man einen Beweis großer Feigheit darin sehen, wenn ein Husar den Stahl eines Kürassiers anlegen wollte. Es wäre ganz um seine Ehre geschehen.«

»In der That? Das habe ich wirklich nicht gewußt.«

»Und sodann giebt es einen sehr naheliegenden Gedanken, auf welchen Sie aber allerdings nicht gekommen sind, ein Beweis, daß es mit Ihrer Menschenkenntniß nicht weit her ist.«

»Sie werden spitz, Capitän! Das verbitte ich mir! Welchen Gedanken meinen Sie?«

»Selbst wenn es einem Husaren erlaubt wäre, die Eisenweste zu tragen, so ist der Krieg jetzt doch beendet, wie Sie wissen. Wie kommt dieser verdammte Kerl darauf, mitten im Frieden, und zwar gerade heute, einen solchen Schutz anzulegen?«

»Allerdings unbegreiflich. Sollte er so scharfsinnig sein? Er ist doch ein Deutscher!«

»Sie sprechen den Deutschen also die Fähigkeit, scharfsinnig zu sein, ab?«

»Vollständig!«

»Da bedaure ich Sie!«

»Ah, wie kann ein Barbar Scharfsinn besitzen?«

»Gehen Sie zu den Indianern und zu anderen uncivilisirten Leuten. Diese werden Ihnen Beweise eines Scharfsinnes geben, der Ihr größtes Erstaunen erregt.«

»Hm, das ist wahr.«

»Und zudem sind die Deutschen vielleicht gar nicht so große Barbaren, wie wir denken.«

»Verlaufen wir uns nicht in allgemeine Betrachtungen; das kann uns hier ganz und gar keinen Nutzen bringen; bleiben wir vielmehr bei unserem Gegenstande! Also Sie


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sagen wirklich, daß Sie Fiasco gemacht haben, und daß Königsau Ihnen entkommen ist?«

»Ja.«

»Alle Teufel! Und nur des Panzers wegen, den er getragen hat?«

»Nur aus diesem Grunde,« nickte der Capitän ergrimmt.

»Erzählen Sie!«

»Er war, ganz wie wir vermuthet hatten, bei meiner Schwester und ging sehr spät fort.«

»Sie lauerten ihn ab?«

»Ja.«

»Welche Waffe hatten Sie?«

»Meinen gläsernen, venetianischen Dolch.«

»So ein Stilet ist ein fürchterliches Ding. Wann ging er?«

»Es war bereits Mitternacht. Ich folgte ihm auf dem Fuße.«

»Trafen Sie noch in der Rue d'Ange auf ihn?«

»Nein, ich wollte dies vermeiden. Erst am Ende der nächsten Straße ereilte ich ihn. Aber denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bemerkte, daß er rückwärts ging.«

»Rückwärts? Auf Sie zu?«

»Nein. Er ging seinen Weg fort, aber mit dem Gesicht nach rückwärts gewendet.«

»Alle Wetter! Höchst eigenthümlich! Höchst sonderbar!«

»Ja; er hatte mich erwartet.«

»So hat er Sie kommen gehört und sich zur Vertheidigung vorbereitet.«

»Er konnte mich nicht kommen hören, denn ich hatte mich meiner Stiefel entledigt.«

»Sie gingen in Strümpfen?«

»Ja.«

»So ist der Anschlag verrathen gewesen!«

»Fast möchte ich dies glauben. Aber wer soll ihn verrathen haben? Ich natürlich nicht!«

»Und ich noch weniger. Ich habe gegen keinen Menschen eine Aeußerung gethan, welche nur im Geringsten auf unser Vorhaben Bezug gehabt hätte.«

»Ich auch nicht.«

»So ist es unbegreiflich, ja geradezu ein Wunder, daß er unsere Absicht errathen hat. Sie müßten, als Sie ihn mit dem Marschall bei Ihrer Mutter sahen, eine Drohung ausgestoßen haben, in Folge deren er auf unsere Fährte gekommen ist?«

»Ist mir nicht eingefallen! Uebrigens wissen Sie ja selbst, daß, als ich ihn sah und sprach, von dem Anschlage gegen ihn noch gar keine Rede war. Wir haben uns ja erst besprochen, als ich von ihm nach meiner Wohnung zurückgekehrt war, in welcher Sie mich erwarteten.«

»Dann ist die Sache nur um so undurchdringlicher. Aber erzählen Sie weiter. Also er stand bereit, Sie zu empfangen. Sie bemerkten, daß er einen Panzer trug, und verzichteten in Folge dessen jedenfalls sofort auf den geplanten Angriff?«

»Das fiel mir nicht ein! Es wäre jedenfalls gut gewesen, wenn ich verzichtet hätte, denn dann wäre er jedenfalls über meine Absicht im Unklaren geblieben. Uebrigens habe ich den Panzer nicht bemerkt, da es ja dunkel war. Er rief mich an, und ich warf mich trotzdem auf ihn. Ich stieß mit aller Kraft nach seinem Herzen. Ich hätte es sicherlich getroffen; aber der Dolch glitt ab, und die Spitze brach. Erst daran merkte ich, daß er den Panzer trug.«

»Der Teufel soll ihn holen! Aber gab es denn keine andere Stelle seines Körpers, an welcher ihm ein tödtlicher Stoß beizubringen war, zum Beispiel der Hals?«

»Pah! Dazu kam ich nicht. Wir geriethen mit einander in einen Ringkampf. Er hielt meinen Arm fest, und zudem kam eine Person hinzu, deren Gegenwart ich am allerwenigsten vermuthet hätte.«

»Wer?«

»Rathen Sie!«

»Ich bin nicht allwissend. Wer war es?«

»Hören Sie, und staunen Sie: Es war - meine Schwester.«

Der Baron fuhr überrascht empor.

»Unmöglich!« rief er.

»Haben Sie doch die Güte, zu ihr zu gehen, um sich bei ihr zu erkundigen, ob es wahr ist!«

»Aber wie kommt die dazu, ihm nachzulaufen?«

»Das weiß der Teufel!«

»Es ist kein Zweifel. Sie haben Beide geahnt, daß er sich in Gefahr befindet. Margot ist ihm heimlich gefolgt, weil sie Besorgniß um ihn gefühlt hat.«

»Nur auf diese Weise läßt es sich erklären.«

»Also diesem deutschen Laffen läuft sie nach!« meinte der Baron zornig. »Ich aber werde mit Verachtung abgewiesen. Ah, ich werde ihnen einen Sallat einschneiden, den sie schlecht verdauen sollen! Wie ging es weiter?«

»Ich mußte natürlich fliehen, um nicht erkannt zu werden. Hätte ich den Kampf fortgesetzt, so wäre ich vielleicht gar ergriffen worden, da man bereits Thüren und Fenster öffnete.«

»Sie meinen also, daß Sie nicht erkannt worden sind?«

»Dort noch nicht.«

»Ah, das ist noch gut!«

»Aber später jedenfalls.«

»Ah, warum?«

»Ich hatte die Stiefel ausgezogen und trug sie bei mir. Während des Kampfes entfielen sie mir. Sie haben sie gefunden, und Margot wird sofort sehen, das es die meinigen sind.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit! Konnten Sie Ihre Drecktreter denn nicht irgendwo verstecken?«

»Daß man sie unterdessen fand! Nein. Wäre der Panzer nicht, so hätte Alles die gewünschte Wendung genommen; so aber hat sich Alles nur auf das Schlimmste zugespitzt.«

»Aber ich sehe doch, daß Sie Stiefel anhaben!«

»Glauben Sie etwa, daß ich in Strümpfen oder gar barfuß hierher kommen konnte?«

»Woher haben Sie die Stiefel erhalten?«

»Es sind die Meinigen. Ich rannte sofort nach Hause, um ein anderes Paar anzuziehen.«

»Unbemerkt?«

»Hm! Dieser verdammte Portier öffnete persönlich. Ich glaube, er hat bemerkt, daß ich in Strümpfen war. Aber ich habe ihm befohlen, nichts zu erzählen.«

Der Baron lachte höhnisch auf.

»Das war klug von Ihnen,« sagte er, »ganz außerordentlich klug, denn nun wird er es erst recht erzählen.«


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»Das Trinkgeld, welches ich ihm gab, wird ihm den Mund verschließen.«

»Ah! Wie viel gaben Sie?«

»Volle fünf Franken.«

»Volle fünf Franken!« rief der Baron mit travestirtem Erstaunen. »Donnerwetter, ist das eine Summe! Na, Capitän, lassen Sie sich entweder auslachen oder bedauern! Aber der Fehler ist einmal gemacht; er läßt sich nicht ändern. Hat der Portier gesehen, daß Sie das Haus wieder verlassen haben?«

»Ja.«

»So wird er Ihrer Schwester, sobald sie zurückkehrte, Alles erzählt haben. Was gedenken Sie zu thun, wenn Sie morgen gefragt werden?«

»Von wem?«

»Von Mutter und Schwester, von Königsau selbst, von irgendwem, vielleicht sogar von der Criminalpolizei, vom Richter.«

»Ich werde ihnen geradezu ins Gesicht lachen.«

»Gut! Man wird Ihnen nichts anhaben können, denn ich werde Ihr Alibi beweisen, Sie sind während der betreffenden Zeit bei mir gewesen.«

»Aber, wenn Sie schwören müssen, Baron?«

»So werde ich natürlich schwören. Wir sind Verbündete und müssen uns einander unterstützen. Ich werde Sie auf keinen Fall sitzen lassen; das ist aber auch Alles, worauf Sie nun von meiner Seite aus rechnen können.«

Der Capitän verstand ihn gar wohl, ließ sich dies jedoch nicht merken. Er füllte sich sein Glas, trank es bis zur Neige aus und fragte dann scheinbar gelassen:

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß wir zu Ende sind.«

»Ah, inwiefern?«

»Sie haben Ihre Aufgabe nicht gelöst und sich in eine fatale Lage gebracht. Ich werde Ihnen behilflich sein, aus dieser Lage zu kommen; weiter aber kann ich nichts für Sie thun. Ich bin gezwungen, Ihnen morgen Ihre Accepte zu präsentiren.«

»Unsinn!«

»Warum Unsinn? Es giebt nur ein Mittel, diesen Deutschen los zu werden; das ist sein Tod. Sie haben das nicht fertig gebracht und werden es auch nicht fertig bringen.«

»Wer sagt das?«

»Ich, denn ich kenne Sie. Uebrigens ist er jetzt gewarnt. Ja, wenn noch heute Etwas geschehen könnte! Aber er wird sich nun zu Hause befinden.«

»Das bezweifle ich sehr.«

»Wieso?«

»Sie wollen Menschenkenner sein? Gestatten Sie, daß ich nicht daran glaube! Mein Dolch ist zwar von der Brust abgeglitten, ihm aber tief in den Arm gefahren; ich habe das ganz genau gefühlt. Glauben Sie, daß meine Schwester ihn gehen lassen wird? Sie hat ihn ganz sicher mit zu sich zurückgenommen, um ihn zu verbinden.«

»Hm, das ist nicht schwer zu glauben! Wenn man nur erfahren könnte, ob er sich dort befindet!«

»Wie ich Margot kenne, so garantire ich, daß er sich dort befindet. Ich behaupte es.«

»Und wann wird er gehen?«

»Jedenfalls nicht sogleich.«

»Hm!« brummte der Baron nachdenklich, indem er vor sich hinblickte.

»Was meinen Sie?«

»Ich habe da einen Gedanken.«

»Welchen?«

»Ist diese Thür wirklich gut geschlossen, so daß uns Niemand hören kann?«

»Gewiß.«

Da legte sich der Baron über den Tisch hinüber und fragte mit lauerndem Blicke:

»Wollen Sie den Kerl so entkommen lassen?«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Capitän finster. »Nun muß er erst recht daran glauben. Es ist mir jetzt ganz unmöglich, meine Rechnung zu zerreißen.«

»Aber er wird sich von jetzt an doppelt vorsehen.«

»Ist mir gleich.«

»Er wird Sie morgen vielleicht anzeigen!«

»Er mag es thun.«

»Er wird vielleicht Paris verlassen und uns entkommen!«

»Das geht nicht so schnell.«

»O, man spricht von dem baldigen Abzug der Deutschen!«

»So muß ich um so schneller handeln.«

»Gut! Aber wann?«

»Uebermorgen, morgen, wenn es paßt. Ich werde es mir überlegen.«

»Uebermorgen? Morgen? Ueberlegen? Sind Sie klug oder nicht, Capitän?«

»Was wollen Sie?«

»Morgen und übermorgen ist es bereits zu spät. Wissen Sie, wann gehandelt werden muß?«

»Nun?«

»Bereits heute.«

»Alle Teufel, Sie haben es nothwendig!«

»Weil dies das Klügste und Beste ist.«

»Aber wissen Sie, was dazu gehört?«

»Nichts als ein klein wenig Entschlossenheit.«

»Die ist da. Aber wer schafft mir die passenden Umstände, ohne welche es nicht geht?«

»Ich.«

»Sie?« fragte der Capitän erstaunt.

»Ja, ich,« antwortete dieser.

»Erklären Sie sich deutlicher!«

»Nun, die Sache ist sehr einfach. Stirbt der Kerl noch heute, so kann er nicht gegen Sie auftreten; ich zerreiße Ihre Wechsel und bekomme Margot zur Frau.«

»Aber der Panzer!«

»Wir geben ihm eine Kugel.«

»Es fragt sich, ob sie den Panzer durchbricht.«

»Ich meine, in den Kopf.«

»Das macht Lärm.«

»Wir stellen uns natürlich nicht hin!«

»Sie sagen »wir«. Sie meinen also sich selbst mit?«

»Ja. Ich muß Margot partout haben. Ich weiß nicht wie das kommt, aber ich bin bei Gott in dieses Mädchen so vernarrt, daß ich Alles hingeben würde, es zu besitzen. Ich sehe ein, daß es für Sie allein schwierig ist, diesem Deutschen entgegenzutreten, und werde Sie unterstützen.«

»Das heißt, Sie wollen mich begleiten?«

»Ja.«

Der Capitän sah Ihn erstaunt an. Endlich glaubte er zu


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errathen, welchen Grund der Baron habe, sich persönlich an dieser gefährlichen Affaire zu betheiligen. Er sagte daher:

»Ah, Sie gehen so als eine Art Aufseher mit?«

»Ha!« brummte der Gefragte, ohne eine weitere Antwort zu geben.

»Um sich zu überzeugen, ob ich ein Feigling bin oder nicht?«

Richemonte hatte das Richtige errathen. Aber Reillac wollte ihn nicht auf's Neue erzürnen; daher antwortete er:

»Unsinn! Jemandem eine Kugel durch den Kopf zu treiben ist leichter, als mit dem Dolche in der Faust mit ihm kämpfen, wie Sie es ja bereits gethan haben.«

»Das meine ich auch,« sagte der Capitain befriedigt.

»Ich bin überzeugt, daß Sie keinen Fehlschuß thun werden. Wenn ich erkläre, mich persönlich zu betheiligen, so ist das nicht Mißtrauen, sondern es hat andere Gründe.«

»Welche?«

»Es kann Einer dem Anderen beistehen, wenn irgend ein unvorhergesehener Fall eintreten sollte. Sodann ist es diese Nacht sehr finster. Man muß sich vor dem Schusse überzeugen, ob man auch auf den Richtigen zielt.«

»Sie meinen, man muß ihn ansehen?«

»Ja.«

Der Capitän lachte.

»Das ist allerdings eine sehr ungewöhnliche Ansicht,« sagte er. »Wir ersuchen jeden Vorübergehenden, stehen zu bleiben, um sich ansehen zu lassen, und machen also alle Leute auf uns aufmerksam. Und wenn der Richtige kommt, blicken wir auch ihm an die Nase, so daß er Zeit behält, unsere Absicht zu errathen, sich zur Wehr zu stellen und zu entkommen.«

»Sie nehmen die Sache allerdings zu hölzern, Capitain!«

»Wie soll ich es sonst nehmen, daß Sie sich den Mann erst genau ansehen wollen?«

»Ansehen? Hm!« lächelte Reillac überlegen. »Ich meine sogar, daß wir ihn vorher erst anleuchten werden.«

»Sind Sie toll?«

»Wenigstens nicht ganz. Ich habe zu Hause ein allerliebstes, kleines Blendlaternchen.«

»Das wollen wir holen?«

»Ja. Ferner habe ich ein Paar ausgezeichnete Doppelpistolen. Wir brauchen sie nicht alle zwei. Eine wird genügen,« meinte Reillac voll Zuversicht.


Ende der dreizehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk