Lieferung 16

Deutscher Wanderer

5. Januar 1884

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Während Königsau mit diesem in allerlei wichtige und geheimnißvolle Schreibereien vertieft war, hatten Mutter und Tochter genug zu thun, um ihre wirthschaftlichen Fragen und Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, damit morgen ihrer Abreise nichts im Wege stehe. Die Mutter war in letzter Zeit immer leidend gewesen; der Kummer und Gram über ihren Stiefsohn hatten zu tief auf sie eingewirkt, und als nun der Abend kam, da fühlte sie sich so angestrengt und ermüdet, daß sie sich legen mußte, um sich für die Reise auszuruhen.

»Du denkst, der Marschall wird kommen?« fragte sie dabei Margot.

»Entweder das, oder er ladet uns zu sich ein, Mama. Er hat ganz bestimmt gesagt, daß heute Abend noch alles Nöthige besprochen werden soll.«

»Wenn er kommt, so werde ich aufstehen müssen, schickt er aber eine Einladung, so wirst Du mich entschuldigen müssen, ich bin heute wirklich zu schwach, ihr zu folgen. Vielleicht finde ich morgen noch Zeit, mich von ihm zu verabschieden und ihm zu danken für Alles, was er an uns so Liebes und Ungewöhnliches gethan hat.«

Es war draußen dunkel geworden und Margot hatte seit einer Viertelstunde Licht angebrannt, als sie auf der Straße das Rasseln eines Wagens vernahm, welcher unten an der Thür zu halten schien. Nach wenigen Augenblicken läutete es an der Glocke. Sie ging selbst, zu öffnen und erblickte einen jungen Officier in deutscher Uniform mit der Adjutantenschärpe.

»Verzeihung, Mademoiselle,« sagte er unter einer eleganten Verneigung, »komme ich hier recht zu Frau Richemonte?«

»Gewiß; bitte treten Sie ein, Herr Lieutenant!«

Sie führte ihn in den Salon und nöthigte ihn zum Sitzen; er lehnte dies jedoch mit den höflichen Worten ab:

»Entschuldigung, daß ich, ehe ich Ihrem Befehle gehorche, mich zuvor meines Auftrages entledige! Ist Frau Richemonte zu sprechen?«

»Leider nein. Sie befindet sich nicht wohl.«

Ueber das Gesicht des Officieres ging ein schnelles Lächeln der Befriedigung, welches Margot aber nicht beachtete. Er sagte im Tone des Bedauerns:

»So gestatten Sie, daß ich condolire, gnädiges Fräulein! Ich habe doch die Ehre, Fräulein Richemonte vor mir zu sehen?«

Sie antwortete durch eine bejahende Verneigung.

»Nun, dann theile ich Ihnen mit, daß ich als Ordonnanz seiner Excellenz, des Herrn Feldmarschall's von Blücher komme. Excellenz lassen die beiden Damen höflichst ersuchen, bei ihm das Souper einzunehmen; da sie jedoch wußten, daß Ihre gnädige Frau Mama in letzter Zeit immer leidend gewesen ist, so bin ich beauftragt, die Dame von der Befolgung der Einladung zu dispensiren.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr! Wir haben diese Einladung fast erwartet und uns bereits besprochen, daß Mama ablehnen muß. Ich aber werde sogleich mit Ihnen kommen und bitte nur um einen Augenblick Geduld, um Mama zu benachrichtigen. Ist Lieutenant von Königsau bei Excellenz?«

»Allerdings.«

»Er wird mich dort erwarten. Da ich schon vorbereitet bin, so nimmt meine Toilette keine Zeit in Anspruch. Ich stehe gleich zu Diensten!«

Als sie in das Nebenzimmer getreten war, sah sich der angebliche Officier erstaunt um und murmelte:

»Bei Gott, ich bin ganz versteinert! Ich glaubte hier auf Schwierigkeiten zu stoßen, welche man nur mit der größten diplomatischen Finesse beseitigen kann, und nun geht Alles


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wie genudelt. Man ist vorbereitet; man hat bereits Toilette gemacht; man nimmt die Mama nicht mit. Wenn das kein Wunder ist, so giebt es überhaupt keins. Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt; dann habe ich gewonnen.«

Nach kaum zwei Minuten trat Margot wieder herein und erklärte sich zum Mitgehen bereit. Da sie die Anspruchslosigkeit des Marschalls kannte, so hatte sie es unterlassen, große Toilette zu machen. Sie war sehr einfach aber doch geschmackvoll gekleidet; aber grad diese Einfachheit hob ihre Schönheit so hervor, daß die angebliche Ordonnanz den Blick mit hoher Bewunderung auf ihr ruhen ließ. Sie sah so vornehm, so distinguirt aus und dabei doch so mädchenhaft, so kindlich lieb und gut, daß dem Schwindler doch ein Gefühl des Bedauerns und des Mitleides ankam.

»Wie schön sie ist,« dachte er. »Wie rein und züchtig sie aussieht! Und dieses gute, herrliche Wesen soll diesem alten, trockenen Baron zum Opfer fallen! Ah, wenn mein Vater nicht sein Diener wäre, so würde ich mich sehr hüten, ihm behilflich zu sein. Wenn er noch jung und hübsch wäre! So aber kann sie mich dauern!«

Er gab ihr durch eine Verbeugung das Zeichen, daß er bereit sei, mit ihr zu gehen, und so trat sie den Weg an, von dem sie nicht ahnte, wie verhängnißvoll er ihr werden sollte.

Unten wartete die Equipage. Der Kammerdiener saß als Kutscher verkleidet auf dem Bocke. Der Officier öffnete den Wagenschlag, und Margot stieg ein. Er folgte ihr, und dann setzte sich der Wagen in Bewegung.

Es war bereits finster auf der Straße. Hier und da brannte eine Laterne, doch war das dadurch verbreitete Licht nicht hinreichend, eine genügende Helle zu geben. Uebrigens begann der Officier eine lebhafte Unterhaltung, welche den Zweck hatte zu verhindern, daß Margot ihre Aufmerksamkeit hinaus auf die Straße richte; sie hätte ja sonst bemerken müssen, daß der Wagen zwar in die Straße einbog, in welcher Blücher's Wohnung lag, aber nicht vor derselben hielt.

Dennoch wurde sie aufmerksam. Das einem jeden Menschen innewohnende Vermögen, ganz unwillkürlich die Zeitdauer abzumessen, sagte ihr, daß sie das Ziel bereits erreicht haben mußten. Darum unterbrach sie die Unterhaltung mit der Frage:

»Aber, Monsieur, mußten wir nicht bereits angekommen sein?«

»Allerdings, Mademoiselle,« antwortete der Gefragte; »aber ich bemerke, daß der Kutscher einen kleinen Umweg eingeschlagen zu haben scheint. Lassen Sie einmal sehen, ob ich richtig rathe oder mich irre.«

Er blickte durch die Fensterscheibe seiner Wagenseite und that so, als ob er da nichts erkennen könne. Dann neigte er sich zur anderen Seite herüber und sagte:

»Gestatten Sie! Hier kann man deutlicher sehen.«

Sie bog sich ein Wenig zurück, um ihm Raum zu lassen, aber in demselben Augenblicke fühlte sie sich von ihm ergriffen und mit aller Gewalt in die Ecke gedrückt.

»Herrgott, was ist das! Was wollen - - -!«

Sie konnte nicht weiter sprechen. Ein Tuch verschloß ihr den Mund, und diesem Tuche entströmte ein scharfer, unangenehmer Geruch, welcher ihr in die Respirationsorgane drang und ihr fast augenblicklich die Kraft, zu widerstehen, benahm. Sie versuchte zwar noch, den Angreifer von sich zu schieben, doch geschah dies so schwach, daß sie damit kein Kind fortzustoßen vermocht hätte. Einige Secunden später lag sie vollständig bewußtlos in der Ecke.

»Ah, das ist mir leicht geworden,« flüsterte der Schauspieler. »Ich hatte es mir bedeutend schwerer vorgestellt. Nun aber werde ich mir einen Lohn nehmen, der allerdings nicht vereinbart worden ist. Ich werde sie küssen, bis der Wagen hält!«

Er setzte sich auf das Sitzkissen neben sie nieder, zog ihren Kopf herbei und legte seine Lippen auf ihren Mund. Da aber spürte er den scharfen Geruch des Parfüms, welcher ihm beinahe den Athem versetzte.

»Donnerwetter, es geht nicht,« sagte er; »ich muß gewärtig sein, daß ich die Besinnung grad so verliere wie sie. Wie schade! Ach der Genuß wäre ja auch ein nur kurzer gewesen, denn wir sind bereits am Ziele. Der Wagen hält.«

Die Equipage hatte das Gäßchen erreicht, war in dasselbe eingebogen und hielt nun vor dem Gartenpförtchen. Dieses öffnete sich auf der Stelle, und zwei Männer traten hervor. Es war Baron Reillac und Capitän Richemonte.

»Nun? Gelungen?« fragte der Erstere den Kutscher.

»Weiß nicht genau!« antwortete dieser.

»Nicht genau? Alle Teufel! Du mußt doch wissen, ob Ihr sie habt!«

»Wir haben sie, aber - - -«

»Was, aber - - -?«

»Ob die Narkotisirung gelungen ist - - -!«

»Das werden wir gleich sehen!«

Er öffnete den Schlag, aus welchem ihm jener Geruch sogleich entgegendrang.

»Gelungen?« fragte er nun in den Wagen hinein.

»Vollständig,« antwortete der verkleidete Schauspieler.

»Heraus mit ihr!«

Er griff zu, und der Capitän half ihm.

»Jetzt schafft den Wagen fort, und hier ist das Geld.«

Er gab dem Schauspieler eine Börse, welche den vereinbarten Sündenlohn enthielt. Dieser steckte jene ein, bedankte sich und setzte sich wieder im Wagen zurecht.

»Wie lang darf ich ausbleiben?« fragte der Kutscher.

»Bis Du den Wagen abgeliefert hast; ich brauche Dich vielleicht nöthig.«

»Das Abliefern wird langsam gehn.«

»Warum?«

»Wir müssen den Wagen erst ausräuchern; der Geruch könnte uns verrathen.«

»Ach. Wie wollt Ihr dies thun?«

»Ich habe das Nothwendigste bereits bei mir. Wir fahren hinaus vor die Stadt, wo wir auf freiem Felde unbeobachtet sind. Vielleicht kommen wir vor Mitternacht nicht retour.«

»So müssen wir versuchen, ohne Euch zu verkommen. Vorwärts!«

Der Wagen setzte sich in Bewegung und verließ das Gäßchen.

»Tragen Sie Ihre Schwester,« meinte der Baron zu dem Capitän. »Ich habe die Thüren zu öffnen und zu schließen.«

Richemonte folgte dieser Aufforderung. Sie schafften in der angegebenen Weise Margot in das Haus und hinauf in das Bibliothekzimmer. Das konnte unbeobachtet geschehen, da der Baron den Meisten seiner Leute Urlaub gegeben und die Uebrigen mit irgend einem Auftrage aus dem Hause entfernt hatte.


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Droben setzte der Capitän seine Schwester auf einen Stuhl.

»Wollen wir sie binden?« fragte er.

»Binden? Wird dies nöthig sein?«

»Ich denke es. Sie wird jedenfalls Widerstand leisten.«

»Pah, diesen Widerstand werden wir wohl brechen können!«

»Sie wird um Hilfe rufen!«

»So verhüllen wir ihr den Mund.«

»Sie wird die Hülle losreißen, wenn wir ihr nicht auch die Arme binden.«

»Gut, so wollen wir sie an den Stuhl fesseln. Wie blaß sie ist! Wie eine Leiche.«

»Sie wird doch nicht erstickt sein?« fragte der Capitän, indem sein Auge eine unheimliche Gluth erkennen ließ.

»Ich hoffe es nicht!«

»Es wäre dies wohl ein Strich durch Ihre Rechnung, Baron?«

»Durch die Ihrige ebenso!«

»Pah! Mir würde dies sehr gleichgiltig sein!«

»Ich bezweifle dies. Ich würde in diesem Falle nicht Ihr Schwager werden und also die Wechsel nicht zerreißen.«

Der Capitän lächelte und fletschte dabei die Zähne.

»O, diese Wechsel sind mir von jetzt an nicht mehr fürchterlich!«

»Nicht? Warum?« fragte der Baron, aufmerksam werdend.

»Sie haben meine Schwester in Ihrer Hand, und ich fordere die Wechsel!«

»Noch aber ist sie nicht meine Frau.«

»Ob sie es wird oder nicht, das wird ganz allein von Ihrer Geschicklichkeit abhängen.«

»Sie kann mir noch entrissen werden!«

»Das geht mich nichts an.«

»Ich begreife Sie nicht, Capitän. Ich habe Ihnen versprochen, Ihre Accepte zu vernichten, sobald Margot meine Frau ist. Ich werde Wort halten, eher aber nicht.«

Der Capitän zuckte die Achsel und antwortete:

»Ganz wie es Ihnen beliebt. Behalten Sie die Papiere meinetwegen ganz; es ist ja ebenso gut als ob sie vernichtet wären!«

Der Baron betrachtete ihn verwundert und fragte:

»Ah, wie meinen Sie das?«

»Muß ich Ihnen dies wirklich erklären?«

»Ich bitte darum!«

»Wissen Sie, welch eine Strafe das Gesetzbuch auf widerrechtliche Freiheitsberaubung legt?«

»Ah, meinen Sie dies so?«

»Ja. Und wissen Sie, wie die gewaltthätige Bezwingung einer Dame bestraft wird?«

Da röthete der Zorn das Gesicht des Barons.

»Hole Sie der Teufel!« sagte er. »Sie werden doch nicht glauben, daß ich mich fürchte.«

»Ich glaube es allerdings nicht, ersuche Sie aber, dasselbe auch von mir zu denken!«

»Sie wollen drohen?«

»Nicht im Mindesten. Ich will nur eben bemerkt haben, daß ich Ihre Wechsel jetzt nicht mehr fürchte. Ich werde sie nicht honoriren.«

»Und ich werde sie Ihnen doch präsentiren, falls sich vor meine Wünsche in Betreff Ihrer Schwester doch ein Hinderniß legt!«

»Präsentiren Sie sie in Gottes Namen! Zahlung aber setzt es nicht.«

»So dürfte Ihnen der Schuldthurm offen stehen.«

»Und Ihnen das Zuchthaus.«

»Ah, Sie würden mich anzeigen?«

»Ganz gewiß.«

Der Baron blickte den Andern überlegen an und antwortete:

»Sie sind ein schlechter Rechner. Sie haben einen bedeutenden Factor vergessen.«

»Welchen?« fragte der Capitän gleichgiltig.

»Sie sind ja mitschuldig.«

»Pah! Beweisen Sie das!«

»Nun, Sie stehen ja hier, hier mit dabei.«

Da stieß der Capitän ein geringschätzendes Lächeln aus und antwortete:

»Wie wollen Sie meine Mitschuld beweisen? Habe ich mit Ihrem Kammerdiener über Ihren Coup gesprochen?«

»Nein.«

»Oder mit seinem Sohne, dem famosen Ordonnanzofficier?«

»Nein.«

»Oder mit sonst einem Menschen?«

»Außer mir allerdings nicht.«

»Wie also wollen Sie beweisen, daß ich Ihr Mitschuldiger bin?«

»Die beiden Genannten haben Sie vorhin bei mir stehen sehen.«

»Ja, doch können sie unmöglich beschwören, daß ich gewußt habe, um was es sich handelt. Ich verhalte mich in dieser Angelegenheit so vorsichtig, daß mir später kein Mensch an den Leib gehen kann. Nur allein Margot werde ich zeigen, daß ich mit im Complot bin. Ich hasse sie, und sie soll wissen, daß ich mich räche.«

»Capitän, Sie sind ein fürchterlicher Mensch!«

»O,« antwortete dieser kalt, »wir Beide sind einander jedenfalls ebenbürtig. Aber, merken Sie auf, Baron! Mir scheint, daß sie bald erwachen wird. Die Röthe kehrt bereits auf ihre Wangen zurück. Wir müssen sie binden.«

Sie schlangen jetzt Tücher um das Mädchen und den Stuhl herum und banden ihr zugleich ein Taschentuch um den Mund, so daß sie nicht rufen konnte. -

Als der verkleidete Schauspieler vorhin in Margot's Wohnung gedacht hatte: »Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt, so habe ich gewonnen,« hatte er wohl nicht geglaubt, daß diese gefürchtete Entdeckung nur an einem einzigen Augenblicke hing.

Königsau hatte mit Blüchern ganz angestrengt gearbeitet. Er sollte in öffentlichen und auch geheimen Aufträgen des Marschalls nach Berlin gehen, und dieser hatte ihm eine Menge Dictate in die Feder geliefert.

»Man munkelt davon,« hatte der alte Held gesagt, »daß die Majestäten nach England gehen werden, um sich dort als Retter Europa's angaffen und fetiren zu lassen. Wir sind eingeladen. Wenn der König diese Einladung befolgt, so muß ich auch mit. Man wird uns dort Wochen lang herumschleppen, und weitere Wochen werden auf der Heimreise vergehen. Darum muß ich mich nach einem zuverlässigen Manne umsehen, der mir während dieser Zeit die Augen auf-


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hält, damit ich erfahre, was daheim vorgeht. Ich habe meine Feinde, große und kleine. Verstanden?«

»Sehr wohl, Excellenz,« antwortete Königsau verständnißinnig.

»Na, ich sehe, daß Du nicht auf die Nase gefallen bist, mein Junge; darum habe ich Dich auserwählt. Ich weiß, daß ich mit Dir aufrichtig sein kann. Sage mir doch einmal, was sie mit diesem Napolium gethan haben?«

»Verbannt.«

»Wohin?«

»Nach Elba.«

»Schön! Ich will gleich sterben, wenn ich gewußt habe, was dieses Elba für ein Land ist. Ich habe sogar den Namen nie gehört. Und nun hat man mir gesagt, was ich unter Elba zu verstehen habe. Was denkst Du wohl?«

»Eine Insel.«

»Ja. Was für eine?«

»Eine offene.«

»Sehr gut geantwortet, mein Junge! Eine offene Insel, ohne Mauern und Festungswerke, so offen, daß dieser Bonaschwarte sofort echappiren kann. Und die Hauptsache, wo liegt diese Insel?«

»In Italien.«

»Ja, ganz in der Nähe der italienischen Küste, wo man den abgesetzten Kaiser anbetet. Der Teufel soll diese Dummheit holen! Ja, sie könnten ihn meinetwegen in Kukuks Namen nach Italien verbannen, aber nicht nach Elba, sondern in den Vesuv hinein; da wäre es ihm auch einmal so warm geworden, wie er es uns gemacht hat. Ich sage Dir, ich traue dieser Geschichte nicht. Der Kerl kommt wieder.«

»Ich glaube es auch, Excellenz!«

»Wirklich?«

»Ja. Er hat einen großen Anhang in Frankreich. Man wird seine Rückkehr sogar mit Jubel begrüßen.«

»Das meine ich auch. Wir Soldaten haben uns die größte Mühe gegeben, ihn hinauszuschmeißen, und diese verteufelten Federfuchser halten ihm die Hinterthür offen, damit er ja nur recht bald hereinkommen kann. Man möchte diese Kerls in einem Mörser zerstampfen und dann das Pulver aus einer Pistole in die Luft blasen. Da bilden sie einen Friedenscongreß. Sie nehmen das Bischen Europa her, zwicken hier einen Lappen ab und leimen dort einen Lappen hinan. Und ehe sie mit dem Leimen und Zwicken zu Stande gekommen sein werden, wird Napoleon hinter ihnen stehen und ihnen auf die Finger klopfen. Und was wird dann geschehen, mein Sohn?«

»Sie werden dann rufen: »Blücher her!«

»Ja, Blücher her! Du hast Recht. Und was diese politischen Schneiderseelen dann gezwirnt, gefädelt und gestecknadelt haben, das werde ich mit dem Säbel wieder zerhauen müssen, das ist so sicher wie sonst Etwas. Darum muß ich die Augen offen halten, und Du sollst auch nach Berlin, um mir heimlich zu helfen, das bischen preußischen Verstand zusammen zu halten. Du schreibst mir regelmäßig, und ich schreibe Dir. Und kannst Du meine Briefe nicht lesen, so steckst Du sie lieber in's Feuer, statt daß Du sie einem Andern zeigst. Und nun schreibe! Ich werde Dir schriftliche Instructionen geben.«

So hatten diese Beiden bis zum Abende gearbeitet. Als der letzte Federstrich gethan war, sagte Blücher:

»Nun schmeiße die Feder in den Ofen, das Dintenfaß an die Wand und stecke die Scriblifaxerei in die Tasche. Ich habe das Ding satt. Gehe zu Deiner Margot, und sage ihr, sie soll mit ihrer Mutter ein Bischen herkommen. Wir haben ja noch Verschiedenes zu besprechen.«

Das war Königsau willkommen. Er machte sich schleunigst auf, um den Befehl des Alten auszuführen.

Es war dunkel, und als er die Straße hinabschritt, be-


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gegnete ihm da, wo er in die Rue d'Ange einzubiegen hatte, eine Equipage, welche im Trabe an ihm vorüberrollte. Er achtete kaum auf sie. Er ahnte nicht, daß man in diesem Wagen ihm soeben die Geliebte entführt habe.

Als er die Wohnung erreicht hatte, ließ ihn das Mädchen ein, welches sich zugegen befand, als Margot fortfuhr, morgen aber entlassen werden sollte. Er grüßte und fragte:

»Mademoiselle Margot?«

»Ist ausgefahren.«

»Ah! Wohin?«

»Zum Feldmarschall Blücher.«

»Wirklich? Eigenthümlich! Frau Richemonte ist natürlich mit?«

»Nein.«

»So fuhr Mademoiselle Margot allein?«

»Nein. Ein Officier war bei ihr.«

Königsau erstaunte noch mehr als vorher.

»Was für ein Officier?« fragte er. »Ein Deutscher?«

»Ich weiß es nicht. Madame wird es wissen.«

»So melden Sie mich sofort an!«

Frau Richemonte erstaunte natürlich ebenso, als sie erfuhr, daß Königsau mit ihr sprechen wolle. Sie ließ ihn eintreten und sagte:

»Margot ist zum Marschall, Herr Lieutenant.«

»Wann?«

»Vor wenig Minuten.«

»Ah! Zu Wagen?«

»Ja.«

»Ich bin ihm begegnet. Ich höre, daß ein deutscher Officier mit ihr sei?«

»Allerdings. Es war eine Ordonnanz des Marschalls.«

»Eine Ordonnanz? Unmöglich!«

»Oder ein Adjutant.«

»Ebenso unmöglich!«

»Aber, mein Gott, der Marschall schickte ja den Herrn, um uns zum Souper abzuholen.«

Königsau erbleichte, doch nahm er sich der kranken Dame gegenüber zusammen und fragte:

»Wie hieß er?«

»Ich weiß es nicht, ich habe nicht gefragt; ich habe ihn gar nicht gesehen.«

»Sie waren auch mit eingeladen, Madame?«

»Ja. lch ließ mich entschuldigen, weil ich mich sehr angegriffen fühlte.«

»Ah, so liegt meinerseits ein kleiner Irrthum vor!«

»Welcher?«

»Ich wußte nicht, daß der Marschall so aufmerksam war, bereits nach Ihnen zu senden; ich glaubte, Sie abholen zu müssen. Sie verzeihen, daß da meine Zeit gemessen ist.«

»Gehen Sie, mein lieber Lieutenant, und haben Sie die Güte, mich nochmals beim Marschall zu entschuldigen. Wenn die Stunde unserer Abreise bestimmt ist, werde ich sehen, ob mir Zeit bleibt, mich noch persönlich bei Blücher zu empfehlen.«

Königsau ging.

Er hatte ihr von seinem Schrecke nichts merken lassen. Er war beinahe überzeugt, daß ein neuer Anschlag gegen Margot vorliege, und rannte in größter Eile zum Marschall zurück, bei welchem er athemlos und mit hochrothem Gesichte eintrat.

»Donnerwetter, müssen Sie gelaufen sein!« sagte Blücher. »Was giebt es?«

»Ist Margot hier, Excellenz?« keuchte der Lieutenant.

»Nein. Ich denke, Sie bringen sie mit.«

»Ah, Excellenz haben nicht nach den Damen geschickt?«


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»Nein.«

»Keine Equipage?«

»Nein.«

»Keinen Ordonnanzofficier oder einen Adjutanten?«

»Nein. Was ist denn los?«

»So ist Margot entführt worden.«

Da sprang der Marschall vom Stuhle auf und rief:

»Tausend Teufel! Entführt? Sind Sie bei Troste, oder nicht?«

»O, gegenwärtig bin ich allerdings ganz und gar nicht bei Troste, Excellenz. Ich muß fort, augenblicklich fort!«

Er wendete sich um, um sich schleunigst zu entfernen; aber Blücher commandirte:

»Halt! Rechtsumkehrt! Weiß Er Tausendsakkerloter nicht, daß Er zu bleiben hat, bis ich Ihn entlasse! Also was ist mit Margot? Ich muß es wissen. Wenn eine neue Teufelei im Werke sein sollte, so darf man nicht besinnungslos hineinstürmen, sondern man hat fein klug und schlau zu verfahren. Verstehst Du mich, Junge?«

Königsau sah ein, daß der Alte Recht habe; er zwang sich zur möglichsten Ruhe und wiederholte:

»Margot ist entführt worden, Excellenz.«

»Das hast Du bereits einmal gesagt. Aber beweise es!«

»Es ist vor einigen Minuten eine Equipage vorgefahren.«

»Ah! Mit einem Officier?«

»Ja.«

»Was für einer?«

»Ich weiß es nicht. Mama hat ihn nicht gesehen gehabt. Er hat sich für eine Ordonnanz ausgegeben - - -«

»Von mir?«

»Ja, oder für einen Adjutanten - - -«

»Von mir?«

»Ja, und hat eine Einladung zum Souper von Ew. Excellenz gebracht.«

»Donnerwetter!«

»Mama ließ sich entschuldigen; sie ist sehr angegriffen und konnte nicht kommen.«

»Und Margot ist mitgefahren?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Diese Straße herab; ich bin dem Wagen begegnet.«

Königsau konnte sich kaum zur Ruhe zwingen. Vor Aufregung klang seine Stimme heißer. Auch Blücher stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab.

»Das ist eine Lüge, eine verdammte Lüge, ein Schwindel ohne Gleichen!« sagte er. »Ich habe Niemand gesendet. Ja, sie ist entführt, aber von wem?«

»Von wem anders als von Baron Reillac!«

»Donnerwetter, das glaube ich selbst! Und ihr schöner Stiefbruder ist im Complotte.«

»Jedenfalls, Excellenz.«

»Aber, wohin hat man sie geschafft? Wenn man das wüßte!«

»Ich glaube es zu errathen.«

»Ah, wirklich?«

»Ja, und ich denke nicht, daß ich mich irre.«

»Das wäre gut; das wäre fein! Wir könnten ihnen auf die Bude rücken! Wo?«

»Man hat sie nach der Wohnung Reillacs geschafft.«

»Hm! Warum denkst Du das?«

»Weil ich gestern Abend bemerkt habe, daß dort noch andere Heimlichkeiten ausgeheckt werden. Erinnern Sich Excellenz dessen, was ich dort belauschte?«

»Was?«

»Den neuen Anschlag. Der Capitän wollte sich heute erkundigen. O, mir ahnt was man mit Margot vorhat!«

Er ballte die Fäuste und machte eine Wendung, als ob er fortstürmen wolle.

»Was?« fragte Blücher abermals.

»Ich hörte gestern, daß sie gezwungen werden solle, in die Ehe mit diesem Baron zu willigen. Heut weiß ich, wodurch. Errathen es Excellenz nicht?«

Da trat Blücher einen Schritt zurück; sein Auge glühte, als er sagte:

»Ah! Mensch! Wäre das möglich!«

»Ich bin überzeugt davon.«

»So haue ich sie zu Brei, alle Beide!«

»Erst muß man sie haben, Excellenz. Ich muß fort! Bitte, mich zu entlassen.«

»Entlassen? Unsinn! Ich muß auch mit fort, und zwar mit Dir! Hast Du Waffen?«

»Jetzt habe ich keine bei mir.«

»So steckst Du ein Paar Pistolen von mir mit ein. Glaubst Du, daß wir das Haus des Barons finden werden?«

»Ich habe mir es sehr genau gemerkt.«

»Gut, so werden wir gehen und es stürmen!«

Er schnallte seinen Säbel um und nahm zwei Paar Pistolen von der Wand. Er war ganz so in begeisterter Rage, als ob es zu einer Schlacht gehen sollte. Königsau wollte auch nicht gern einen Augenblick verlieren, aber er besann sich doch und sagte:

»Excellenz, der Degen würde uns im Wege sein.«

»Warum?«

»Weil wir eine Mauer und eine Veranda zu ersteigen haben.«

»Gut, so lasse ich ihn zu Hause. Werden wir es allein ermachen können?«

»Man weiß es nicht. Es kommt auf die Umstände an.«

»Gut, so nehmen wir aus der Wachtstube ein paar tüchtige Kerls mit!«

Da aber kam Königsau ein bedenklicher Gedanke.

»Werden wir so mir nichts dir nichts eindringen dürfen, Excellenz?« fragte er.

»Warum nicht? Wir steigen hinauf und schlagen das Fenster ein.«

»Hausfriedensbruch!«

»Meinetwegen Weltfriedensbruch! Wer will uns etwas thun?«

»Es ist verboten, ohne Erlaubniß einzudringen.«

»Die Kerls haben das Mädchen. Das entschuldigt Alles!«

»Aber wenn sie Margot nicht haben?«

»Sie haben sie ganz bestimmt.«

»Können wir dies beweisen? Wird man uns suchen lassen?«

Blücher machte eine Miene des Mißmuthes.

»Junge, Du kannst Recht haben!« sagte er, jetzt ein Wenig nachdenklich.

»Denken sich Excellenz das Aufsehen.«

»Hm! Ja!«


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»Feldmarschall Blücher auf der Anklagebank wegen Hausfriedensbruches.«

»Verdammt fatal!«

»Und in Feindes Land! Das könnte böses Blut geben.«

»Ja, ja! Aber wir müssen Hilfe bringen, auf alle Fälle.«

»Auf möglichst gesetzlichem Wege aber.«

»Dann kann Margot zwanzig Jahre auf uns warten. Ich kenne die Schnelligkeit der Gesetze. Eine Schnecke ist eine Schwalbe gegen sie. Hast Du einen Gedanken?«

»Ja,«

»Nun, so schieße ihn heraus.«

»Wir begeben uns zum Maire des Arondissements.«

»Ah, zum Meister des Stadtviertels! Gut. Wenn der Blücher zu ihm kommt, so wird er wohl keine Sperrenzien machen.«

»Das denke ich auch. Wir sagen ihm, in welchem Verdacht der Baron bei uns steht. Er muß mit, um dort auszusuchen.«

»Gut. Aber er ist Franzose und wird einem Landsmanne die Augen nicht auskratzen.«

»So unterstützen wir seinen Scharfsinn.«

»Schön. Ich schlage vor, wir nehmen doch einige pommersche Grenadiere mit.«

»Jawohl, Excellenz, aber nur heimlich. Wir stecken sie hinauf auf die Veranda, wo sie unser Zeichen erwarten und vielleicht auch Etwas erlauschen können.«

»Dieser Gedanke ist sehr gut. Jetzt haben wir einen Plan, und wir werden ihn sofort ausführen. Weißt Du die Mairie?«

»Ja. Sie ist vis-à-vis des Gäßchens, um welches es sich handelt.«

»Das paßt. Da verlieren wir nicht viel Zeit. Hier hast Du die zwei Pistolen. Komm!«

Jeder der Beiden steckte zwei geladene Pistolen zu sich, und dann begaben sie sich hinunter in das Wachtlocal. Dort erregte das Erscheinen des Marschall's nicht wenig Aufsehen. Die Mannschaft sprang schleunigst von ihren Pritschen auf und salutirte.

Blücher überflog die Leute mit einem raschen Blick, dann trat er zu Einem von ihnen.

»Du, Kerl, bist Du nicht der August, mit dem ich gestern gesprochen habe?«

»Zu Befehl!« antwortete der Mann.

»Du hast mich gemeldet?«

»Zu Befehl.«

»Ist Dir das Urtheil bekannt gemacht worden?«

»Zu Befehl!«

»Wie lautet es?«

»Ein Verweis.«

»Gut, diesen Rüffel habe ich auch erhalten, schriftlich natürlich. Ja, lieber August, nun kannst Du Dich rühmen, daß Du den alten Blücher angezeigt und in Strafe gebracht hast. Man wird Dich anstaunen, mein Junge! Aber Euer Geld habt Ihr Euch nicht geholt!«

»Excellenz!«

»Was, Excellenz!«

»Das wäre zu bettelig erschienen.«

»Donnerwetter, August, Du bist stolz, Du hast Zartgefühl! Das freut mich von Dir, alter Schwede. Deshalb will ich Dir jetzt Gelegenheit geben, Dich auszuzeichnen. Kannst Du klettern?«

»Zu Befehl, Excellenz.«

»Ueber eine Mauer?«

»Ja.«

»Auch auf eine Veranda hinauf, welche Querlatten hat?«

»Ja.«

»Nun gut. Nimm noch Drei zu Dir, welche auch so klettern können. Gewehre braucht ihr nicht. Das Uebrige sollt Ihr erfahren. Aber macht schnell.«

In Zeit von einer Minute standen die vier Männer zur Verfügung, und der Marsch wurde angetreten.

Königsau machte den Führer. In dem Gäßchen und an dem Pförtchen angekommen, sagte er ihnen flüsternd:

»Wir suchen ein Mädchen, welches man, wie wir vermuthen, gewaltsamer Weise hierher gebracht hat. Ihr steigt hier über die Mauer und schleicht Euch geradeaus nach dem Hofe und an die Veranda, welche sich dort befindet. An dieser steigt Ihr in die Höhe und sucht zu erlauschen, was geschieht. Aber Ihr nehmt Euch in Acht, daß man Euch nicht bemerkt. Sollten wir Euch rufen, so kommt Ihr durch das Fenster in die Stube gestiegen.«

»Ja,« meinte der Marschall; »sobald ich rufe »August herein!« so zerhaut Ihr das Fenster und springt in das Zimmer.«

August Liebmann fühlte sich geschmeichelt. Er war nicht dumm; es kam ihm ein Gedanke, den er auch sofort auszusprechen wagte:

»Excellenz, ist das Mädchen gelaufen oder gefahren?«

»Gefahren natürlich! Warum?«

»Vor vielleicht einer Viertelstunde fuhr ein Wagen in dieses Gäßchen.«

»Ah! Was für ein Wagen?«

»Eine feine Kutsche.«

»Sapperlot! Woher weißt Du das?«

»Ich habe es selbst gesehen. Ich wurde durch den Wachthabenden nach der Mairie geschickt; da sah ich die Kutsche, welche hier hereinlenkte.«

»August, Du bist kein übler Kerl! Hast Du schon eine Liebste?«

»Nein, Excellenz.«

»Na sieh, wenn ich einmal eine Tochter übrig habe, werde ich sie Dir anbieten. Und nun klettert los, Ihr Schlingels. Laßt Euch aber von Niemanden sehen.«

Während die vier Soldaten sich leise und möglichst geräuschlos emporschwangen, begaben sich die beiden Männer nach der Mairie. Sie fragten einen der anwesenden Unterbeamten nach dem Maire und wurden in das Zimmer gewiesen, in welchem sich derselbe befand. Er saß bei einer Arbeit, von welcher er nicht aufsah; er erwiderte den Gruß der Beiden mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken und schrieb weiter.

Blücher hustete leise, da aber der Maire gar nicht darauf achtete, so fragte er Königsau leise:

»Was heißt Schafskopf oder Pinsel auf Französisch?«

»Benêt,« antwortete der Gefragte ebenso leise.

Blücher nickte befriedigt, trat einen Schritt auf den Maire zu und rief laut:

»Benêt, Doppel-benêt, dreifaches Benêt!«

Da fuhr der Maire wie von einer Otter gestochen von seinem Stuhle auf und fragte:


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»Was ist das? Wer spricht da? Wer ist gemeint?«

Blücher legte ihm die Hand auf die Achsel und fragte:

»Können Sie Deutsch?«

»Ja,« nickte er stolz.

»Na, wenn ich das wußte, so hätte ich anstatt Benêt Einfaltspinsel gesagt.«

Da schob der Maire, welchem die Brille nach der Nasenspitze gerutscht war, dieselbe in die Höhe und blitzte den Marschall wüthend an. Er legte sich zu einer Strafrede aus.

»Monsieur,« begann er; »wie können Sie es wagen, hier in meiner - - -«

Er hielt plötzlich inne. Erst jetzt hatte er den Alten richtig angesehen. Seine Züge nahmen den Ausdruck des höchsten Schreckens an.

»Ah, mein Sohn, Du scheinst mich zu kennen?« sagte Blücher freundlich.

Da machte der Maire eine knietiefe Verbeugung und antwortete:

»Ich habe die ausgezeichnete Ehre. Was befehlen Excellenz?«

»Zunächst, mein Sohn, befehle ich Dir, in Zukunft nicht wieder ein Schafskopf zu sein. Man kommt zu Dir, um mit Dir zu reden, nicht aber, um sich Deine hintere Fronte abzumalen. Verstanden? Und sodann wollte ich wissen, ob Du vielleicht ein Bischen Zeit für mich hast.«

»Ich stehe stundenlang zur Verfügung,« antwortete der Gefragte.

»Stehe so lange wie Du willst; jetzt aber sollst Du einmal mit uns gehen.«

»Wohin?«

»Kennst Du einen Baron de Reillac?«

»Sehr wohl. Ich habe die Ehre, sein Schwager zu sein.«

»Sein Schwager? Hm! Woher kommt denn diese Bekanntschaft?«

»Seine Schwester ist meine Frau.«

»Alle Teufel, da brauche ich mich nicht zu wundern, daß Du vorhin ein so großer Schafskopf warst.«

Bisher hatte der Maire gethan, als ob er die Malicen des Alten gar nicht bemerke, jetzt aber stellte er sich einigermaßen in Positur und sagte:

»Excellenz vergessen wohl, daß ich Beamter bin!«

»Als ich Dich vorhin sitzen sah, vergaß ich es allerdings; da hielt ich Dich für einen Oelgötzen. Gut, daß Du mich daran erinnerst! Du bist doch der Maire?«

»Zu dienen.«

»Schön. Ziehe mal Deinen Gottfried an, setze den Hut auf, und komm mit.«

»Wohin?«

»Zu Deinem lieben Schwager.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Das wird sich finden, mein Söhnchen.«

»Excellenz erlauben mir die Bemerkung, daß ich das wissen muß.«

»Und Du erlaubst mir die Bemerkung, daß Du das an Ort und Stelle erfahren wirst. Willst Du oder willst Du nicht?«

»Eigentlich brauche ich nicht mitzugehen.«

»So bleibe da, mein Sohn! Aber ich werde Dich holen lassen.«

»Ah! Durch wen?«

»O, ich habe da in und um Paris eine Viertelmillion blauer Jungens stecken; da thut mir ein Jeder gern den Gefallen, Dich beim Hinterbeine aus dem Stalle zu ziehen.«

»Wenn Excellenz drohen, so kann ich allerdings nicht widerstehen, mache aber - - -«

»Schon gut! Gehe mit; weiter brauchst Du nichts zu thun.«

Der Maire legte den Schreibärmel ab, zog den Ueberzieher an, griff zum Hute und erklärte sich bereit, die Herren zu begleiten. Draußen auf der Straße nahmen sie ihn in die Mitte und Blücher begann:

»Herr Bürgermeister, Sie haben vielleicht gehört, daß ich ein eigenthümlicher Querkopf bin. Im Guten geht Alles, im Schlimmen geht Nichts! Jetzt spreche ich zu Ihnen als den Vertreter der Polizei. Wir bedürfen Ihrer Hilfe.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Man hat einer Mutter ihre Tochter entführt.«

»Ah, der Geliebte ist mit ihr durchgegangen?«

»Nein; die Sache liegt strafbarer: man hat sie förmlich geraubt.«

»Ah! Menschenraub? Das wäre schlimm! Wer ist das Mädchen?«

»Es ist Mademoiselle Richemonte.«

»Ah, vielleicht die Schwester des Capitän Richemonte?«

»Allerdings. Kennen Sie ihn?«

»Ich sah ihn einige Male bei meinem Schwager. Wann ist sie entführt worden?«

»Vor noch nicht einer halben Stunde.«

»Von wem?«

»Wir haben eben Ihren Schwager in Verdacht.«

Da blieb der Maire erschrocken stehen und sagte:

»Meinen Schwager? Den Baron?«

»Ja, den neugebackenen Baron.«

»Aber warum, Excellenz?«

»Weil er ein Halunke ist, dem man so eine Niederträchtigkeit zutrauen muß.«

»Excellenz verzeihen; ich darf unmöglich anhören, daß ein Verwandter von mir - - -«

»Papperlapapp! Ihre Verwandtschaft geht uns gar nichts an. Ihr Schwager will Mademoiselle mit Gewalt zu seiner Frau machen; sie liebt ihn nicht. Hier dieser Herr, ein junger Freund von mir und wackerer Officier, ist ihr Verlobter. Gestern Abend hat Ihr Schwager ihn meuchlings auf der Straße überfallen und zwei Kugeln auf ihn abgegeben. Der Mord gelang nicht; da hat der Baron sich entschlossen, das Mädchen zu rauben.«

»Unmöglich!«

»Schwatzen Sie keinen Unsinn! Wenn ich, der alte Blücher, es sage, so haben Sie es zu glauben, sonst soll Sie der Teufel holen! Er hat sich zu dieser Schlechtigkeit sogar meines eigenen Namens bedient und einen als deutscher Officier verkleideten Menschen zu der Dame geschickt, der sie angeblich zu mir zum Souper abholen sollte. Der Wagen ist nach der Wohnung des Barons gefahren.«

»Aber, Excellenz, wie ich meinen Schwager kenne, so ist er - - -«

»Ein Erzspitzbube, nicht wahr?« fiel Blücher ein. »Da stimme ich vollständig bei!«

»Ich wollte allerdings das Gegentheil sagen!«

»Damit haben Sie bei mir kein Glück.«


// 249 //

»Aber die ganze Geschichte klingt so fabelhaft, daß ich - - -«

»Herr!« donnerte ihn Blücher da an. »Glauben Sie, daß ich mit meinem Heere nach Frankreich gekommen bin und Paris eingenommen habe, nur um einem kleinen Maire eine Fabel zu erzählen? Was ich sage, das sage ich!«

»Aber, was wünschen Sie von mir?«

»Ihr Schwager wohnt in Ihrem Arondissement. Nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Nun, wir wünschen, eine Haussuchung bei ihm zu halten.«

»Mein Gott, ist dies möglich?«

»Sogar sehr wirklich. Diese Haussuchung soll keine heimliche, sondern eine officielle sein.«

»Da soll ich mit helfen?«

»Natürlich. Ich respectire die Gesetze, Herr Maire.«

»Da muß ich Ihnen leider sagen, daß eine Haussuchung unmöglich ist.«

»Ah, warum?«

»An eine Haussuchung sind gewisse Vorbedingungen geknüpft, meine Herren, die - - -«

»Die hier vollständig vorhanden sind,« fiel Blücher ein.

»Im Gegentheile, im Gegentheile.«

»Was? Wie sagen Sie?« fragte Blücher. »Zu einer Haussuchung gehört nur Zweierlei.«

»O, mehr, vielmehr.«

»Papperlapapp! Zu einer Haussuchung gehört erstens ein Haus und sodann der, welcher es aussucht, pasta, abgemacht! Das Haus ist da, der Aussucher auch, ja es sind sogar deren mehrere da. Es giebt keinen Grund zur Ausrede für Sie.«

»Ich muß dennoch bei meinem Bescheide beharren, Messieurs.«

»So beharren Sie; uns wird das gar nicht stören. Aber Sie werden die Freundlichkeit haben, uns zu Ihrem lieben Herrn Schwager zu begleiten.«

»Eigentlich bin ich dazu viel zu sehr beschäftigt.«

»So arbeiten Sie eine Stunde länger, Monsieur. Wir Deutschen haben Ihretwegen manche Stunde arbeiten müssen. Wo ist das Haus, Lieutenant?«

»Hier, Excellenz!«

Sie waren natürlich nicht nach dem Gäßchen, sondern nach der vorderen Fronte der Straße gegangen. Die erste Etage des angedeuteten Hauses war nur theilweise erleuchtet. Der Marschall klingelte, und der Portier öffnete.

»Wohnt hier Baron Reillac?« fragte Königsau.

»Ja, Monsieur.«

»Ist er ausgegangen?«

»Nein.«

»Also daheim?«

»Ja.«

»Hat er Besuch?«

»Der Herr Capitän Richemonte scheint bei ihm zu sein.«

»Ah! Wer noch?«

»Weiter Niemand.«

»Da hören Sie es!« sagte der Maire mit befriedigter Miene.

»Was hören wir?« fragte Blücher, indem er den Maire die Treppe emporschob. »Denken Sie, wir sind so dumm wie Ihr Franzosen? Ihr meldet es wohl dem Portier, wenn Ihr ein Mädchen entführt und nach Hause schleppt? Gott segne Euren Verstand! Lieutenant, klingeln Sie. Man wird sehen, wo man Margot versteckt hat.«

Während Königsau mit Blücher gesprochen hatte und dann mit diesem nach der Mairie gegangen war, hatte Margot ihr Bewußtsein wieder erhalten.

Sie blickte umher und fand sich in einem ihr fremden Zimmer. Sie wußte nicht, wie sie hierher gekommen war, und wollte mit der Hand nach der Stirne greifen, wie man zuweilen thut, wenn man etwas überlegen will. Da merkte sie, daß sie gefesselt war, ja, daß man ihr sogar den Mund verbunden hatte. Und nun kam es plötzlich klar und hell über sie, wie sie hierher gekommen war. Es fiel ihr ein, daß eine Ordonnanz sie abgeholt hatte. Sie erinnerte sich des Parfums, welches sie eingeathmet hatte, und nun wurde sie von der Gewißheit durchschauert, daß sie das Opfer eines Betruges geworden sei.

Sie ließ ihr Auge im Zimmer umherschweifen; es war kein Mensch vorhanden. Wo befand sie sich? Es wurde ihr vor Angst siedend heiß im Innern.

Da hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie konnte den Kopf nicht bewegen, aber dies war auch nicht nöthig, denn der Betreffende trat gleich darauf vor sie hin.

Es war ihr Bruder.

Er verschränkte die Arme ineinander und blickte sie an. Sie schloß das Auge, um das Spiel seiner Mienen nicht ansehen zu müssen. Nach einer Weile stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und sagte:

»Das hat man davon, wenn man sich zur Geliebten eines Deutschen herabwürdigt!«

Sie konnte ihm nicht antworten. Er hatte große Lust mit ihr zu spielen, wie die Katze mit der Maus, darum trat er näher und schob ihr das Tuch ein wenig vom Munde fort.

Sie holte laut und tief Athem; diese reine Luft that ihr nach der Narkose außerordentlich wohl. Er bemerkte das und fuhr fort:

»Welch eine Luft! Nicht wahr? Nur meine Nähe verpestet sie!«

Sie hielt noch immer die Augen geschlossen. Sie wollte, bevor sie sich in ihrem Verhalten bestimmte, erst erfahren, welche Absicht er mit ihr habe.

»Wie schade, hier bei mir sein zu müssen, während Du glaubtest, bei Blücher und Deinem Soldaten speisen zu können.« Und tief höhnisch fügte er hinzu: »Welcher rühmt sich denn eigentlich des Glückes, Dich zu besitzen? Der Alte oder der Junge?«

Auch jetzt noch schwieg sie. Das ärgerte ihn, und darum sagte er:

»Doch das ist ja gleich. Du wirst von jetzt an das Eigenthum eines Anderen sein.«

Das half, denn sie öffnete jetzt die Augen und fragte:

»Wessen?«

»Das weißt Du nicht?«

»Nein.«

»Nun, des Barons!«

»Ah! Er hat mich rauben lassen, und Du hast ihm geholfen?«

»So ist es!«

»Mein Gott, ein Bruder!«


// 250 //

»Mein Gott, eine Schwester!« höhnte er.

»Weiß Mama, wo ich bin?«

Die Angst um die Mutter gab ihr diese Frage ein. Er lachte laut auf und antwortete:

»Sie? Es wissen? Hältst Du uns für wahnsinnig?«

»Sie wird es erfahren.«

»Gewiß, das wollen wir ja.«

»Wann?«

»Sobald es Dir beliebt.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Du wirst mich sofort verstehen. Paß auf.«

In diesem Augenblicke neigte sich der Baron über die Lehne des Stuhles herüber und küßte sie auf den Mund. Sie hatte nicht gewußt, daß er hinter ihr gestanden hatte. Sie stieß einen lauten Hilferuf aus, da aber sagte ihr Bruder schnell:

»Halt! Keinen Laut! Sobald Du rufst, bekommst Du einen Knebel in den Mund; das wird Deine Lage keineswegs angenehmer machen.«

»Wer berührte mich jetzt?« fragte sie, zitternd vor Abscheu.

»Ich.«

Bei diesen Worten trat der Baron hervor, so daß sie ihn deutlich sehen konnte.

»Unverschämter!« zürnte sie.

»Zanken Sie immerhin!« lachte er. »Sie befinden sich in meiner Hand. Ich werde Sie jedenfalls zu zähmen wissen.«

»Nie, niemals.«

»Ah, Sie glauben es nicht?« fragte er. »Nun, so hören Sie, was Ihrer wartet. Ich liebe Sie, und Sie stoßen mich von sich. Ich habe Sie gebeten und Ihnen gedroht, Alles umsonst. Nun greife ich zu dem letzten, aber unfehlbaren Mittel: Sie werden heute die Meine werden, heute, noch diesen Abend. Sie werden es eine lange Zeit sein, bis es mir gefällt, Sie zu entlassen; Sie werden dann in Ehren keinem Anderen gehören können und mich kniefällig bitten, die Schande von Ihnen zu nehmen, indem ich Sie zur Baronin Reillac mache. Und das werde ich dann vielleicht thun, vielleicht auch nicht.«

»Teufel.«

»Ja, ich bin ein Teufel, und Sie sind ein Engel; es wird eine interessante Verbindung.«

»Nie! Niemals!« rief sie.

»Pah , Sie können nicht widerstehen!« lachte er.

»Gott wird mich schützen.«

»Glauben Sie das nicht, Gott hat mehr zu thun, als sich um die kleine Margot zu bekümmern. Sie werden heute so gut sein wie meine Frau.«

»Ich werde sterben,« hauchte sie.

»Es stirbt sich nicht so leicht und schnell. Meine Zärtlichkeiten werden Ihnen bald gefallen, und dann werden Sie recht gern leben.«

Sie war leichenblaß geworden. Sie blickte ihm ängstlich forschend in das Gesicht und sagte:

»Baron, das kann Ihre Absicht nicht sein.«

»O, gewiß doch.«

»Ich kann Sie nie lieben.«

»Sie werden es lernen.«

»Haben Sie Mitleid! Denken Sie an meinen Vater, dessen Freund Sie einst waren, und an meine arme Mutter, welche bereits so viel gelitten hat.«

»Ihr Vater ist todt, und Ihre Mutter geht mich jetzt nichts an. Als meine Schwiegermutter jedoch wird sie mir sehr angenehm und willkommen sein.«

»So denken Sie an Gott, der Alles sieht.«

»Wirklich?« lachte er. »Er wird eine interessante Liebesscene sehen.«

»Und der Alles bestraft.«

»Vor dieser Strafe fürchte ich mich nicht.«

Sie schauderte. Dieser Mensch war wirklich ein Teufel. Sie wendete sich an den Bruder:

»So erbarme Du Dich mein; Du bist ja doch der Bruder.«

»Unsinn!« antwortete er. »Hast Du Dich meiner erbarmt?«

»Albin,« sagte sie vorwurfsvoll; »Du weißt, daß Mama und ich im Stillen für Dich gearbeitet und gehungert haben.«

»Das ist Dir gut bekommen,« sagte er mitleidslos. »Wenn Du die Frau des Barons bist, quittirt er meine Schulden. Als gute Schwester würdest Du dies beherzigen und ihm aus freien Stücken Dein Jawort geben. Du stehst jetzt an der letzten Entscheidung. Ich frage Dich: Willst Du freiwillig seine Frau werden oder gezwungen?«

Sie sah, daß hier auf kein Mitleid zu rechnen war, und antwortete:

»Ich werde es weder freiwillig noch gezwungen sein. Gott wird mich beschützen.« Sie dachte an das, was Königsau ihr gestern erzählt hatte, als sie bei Blücher saßen.


Ende der sechzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk