Lieferung 51

Deutscher Wanderer

6. September 1884

Die Liebe des Ulanen.

Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May.


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Er fand die reizende Adeline an dem angegebenen Orte seiner wartend. Sie weigerte sich nicht, ihm ihren Arm zu geben, und dann spazierten sie mit einander unter den Bäumen dahin, welche die nach Meziéres führende Landstraße zu beiden Seiten einfaßte.

Sie sprachen über Nichts und Vieles. Bei einem solchen Beisammensein gewinnt ja das Nichtssagendste eine Bedeutung. Er hatte bald den Arm um ihre Taille gelegt, was sie ihm nicht verwehrte, und endlich versuchte er, ihr einen Kuß zu geben, und fand einen Widerstand, der nicht schwer zu besiegen war.

Doch machte Adeline ganz und gar nicht den Eindruck auf ihn, als ob sie gegen einen jeden Andern in gleicher Weise sich verhalten hätte.

Auf dem Rückwege war ihre Umschlingung schon weit inniger geworden, und sie blieben von Zeit zu Zeit stehen, um ihre Lippen zu einem Kusse zu vereinigen. Als dann das Dorf wieder vor ihnen lag, sagte er im Tone des Bedauerns:

»Wie schnell ist diese Stunde vergangen! Ich wünsche sehr, Sie näher kennen zu lernen.«

»Ist das etwas so Schweres?« fragte sie.

»Gut! Ich werde morgen noch hier bleiben!«

»Werden Sie die Zustimmung Ihres Gefährten erlangen?«

»Er wird zustimmen müssen. Aber wird es uns auch möglich sein, uns zu treffen und zu sprechen?«

»Ja, wenn Sie es wünschen.«

»Ich wünsche es sogar sehr. Bitte, geben Sie Zeit und Ort an!«

Sie blieb stehen und deutete nach rechts hinüber.

»Sehen Sie im Mondenscheine dort die Waldesecke?« fragte sie.

»Ja.«

»Am Tage werden Sie eine hohe Eiche bemerken, welche dort steht. An dieser Eiche treffen Sie mich Mittag punkt ein Uhr. Ich gehe Pflanzen sammeln.«

»Ah! Köstlicher Gedanke! Ich werde Ihnen helfen!«

»Wir werden fleißig sein. Jetzt gute Nacht, Monsieur.«

»Gute Nacht.«

Es erfolgte eine lange und innige Umarmung, begleitet von sich wiederholenden heißen Küssen. Es war ganz so, als ob sie sich bereits seit langer Zeit gekannt hätten. Dann schieden sie. Sie begab sich trauernd nach der Hütte ihrer Eltern, und er schritt nach dem Gasthause zu wie Einer, der sich einen Genuß verschafft hat, welcher ihm ganz und gar nicht verboten ist.

Während seiner Abwesenheit hatte sich etwas nicht Unwichtiges ereignet, oder vielmehr schon bereits während er sich noch auf dem Saale befand.

Gerade als der Capitän sein Abendbrod verzehrte, waren zwei neue Gäste angekommen, ein älterer und ein jüngerer Mann. Sie nahmen an einem nahen Tische Platz. Es war Richemonte ganz so, als ob er den älteren bereits gesehen habe, doch konnte er sich nicht besinnen.

Beide bestellten sich Trank und Speise. Während dieses Letztere aufgetragen wurde, fragte der Aeltere:

»Logiert nicht ein fremder Herr bei Ihnen, welcher seinen Namen Laroche eingetragen hat?«

»Ja, Monsieur,« antwortete der Wirth.

»Haben Sie noch Platz für uns Beide?«

»Sind Sie die zwei Herren, welche Monsieur Laroche erwartet?«

»Ja. Hat er von uns zu Ihnen gesprochen?«

»Er hat mir gesagt, daß Sie sich hier treffen wollen. Er


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wird nicht schlafen gehen, sondern Sie auf seinem Zimmer erwarten.«

»Welches Zimmer ist es?«

»Nummer Drei.«

»Gut! Geben Sie auch uns ein Zimmer!« Und zu seinem Gefährten gewendet, fragte er: »Wir brauchen doch nicht verschiedene Stuben?«

»Nein, wir bleiben bei einander, Onkel Florian.«

Bei dieser Antwort des Jüngeren ging es wie ein helles Licht durch Richemontes Gedächtniß. »Onkel Florian!« Ja, jetzt besann er sich. Diesen Menschen hatte er nicht nur irgendwo gesehen, nein, den kannte er sogar sehr genau. Es war Florian Rupprechtsberger, der einstige Kutscher von Jeanette. Was wollte dieser Mensch hier? Er wohnte in Berlin bei der Familie von Königsau! Wer war dieser sogenannte Herr Laroche, welcher ihn erwartete?

Diese Fragen legte er sich vor. Er hatte Zimmer Nr. Zwei und lag also neben diesem Laroche. Er stand, kurz entschlossen auf und begab sich nach oben; ganz unhörbar schritt er auf die Thür seines Zimmers zu und öffnete ebenso leise mit dem Schlüssel. Sodann stellte er einen Sessel hart an die von seiner Seite aus verriegelte Verbindungsthür der beiden Zimmer, und nahm Platz darauf, um schweigend das Kommende abzuwarten. Er war überzeugt, sich äußerlich so verändert zu haben, daß Florian ihn nicht erkannt haben könne.

Endlich, nach längerer Zeit hörte er Schritte. Man klopfte drüben.

»Wer ist da?« fragte eine Stimme von innen.

»Ich, Florian.«

Es wurde geöffnet, und der Genannte trat ein.

»Welche Unvorsichtigkeit, Deinen Namen draußen auf dem Corridor zu nennen!« hörte Richemonte. »Wir gehen hier unter fremden Namen und müssen dieselben beibehalten! Du kommst sehr spät. Ich dachte, daß es sich bei Nacht im Walde sehr schlecht suchen lasse.«

»Ich denke, daß ich Ihre Verzeihung schon erlangen werde. Wie gut, daß wir uns trennten! Man bestreicht da in der gleichen Zeit eine größere Fläche.«

»Wie?« fragte der Andere schnell und freudig. »Bist Du vielleicht glücklich gewesen?«

»Oder Sie, gnädiger Herr?«

»Ich wurde nicht vom Glücke begünstigt.«

»Und ich denke, den Ort gefunden zu haben. Sie hatten zwar den Situationsplan bei sich, aber ich habe mir Alles ganz genau gemerkt. Die Bäume, welche auf dem Plane stehen, sind natürlich größer und stärker geworden; zwischen ihnen kann Gebüsch entstanden sein; aber es stimmte Alles: die Erhöhungen und Vertiefungen, die Bäume; nur der Baumstumpf fehlte, welcher mit angegeben ist.«

»Er kann währenddem ausgefault sein. Hast Du nicht den Boden untersucht?«

»Wir hatten keine Werkzeuge mit als unsere Stöcke und Messer, und eine Kriegskasse vergräbt man doch tiefer, als daß man sie mit dem Messer erreichen kann. Wir müssen uns morgen einen Spaten verschaffen und den Ort gemeinsam untersuchen.«

»Natürlich! Für morgen genügt es nur, zu wissen, ob wir den richtigen Ort gefunden haben, und dann - - -«

Da begann drüben die Tanzmusik wieder aufzuspielen, und Richemonte konnte kein Wort mehr verstehen.

»Donnerwetter!« flüsterte er erregt. »Da taucht die Kriegskasse wieder auf! Sie suchen sie; sie haben sie vielleicht schon gefunden, wenigstens den Ort an welchem sie vergraben liegt. Dieser Laroche ist ganz sicher ein Königsau! Welch' ein Glück, daß wir hier eingekehrt sind! Aber diesesmal sollen sie mir nicht entkommen. Die Kasse wird mein, oder der Teufel ist mit ihnen im Bund!«

Noch während die Musik spielte, hörte Richemonte drüben die Thüre gehen. Florian entfernte sich. Jetzt gab es nun nichts mehr zu erlauschen; darum entkleidete Richemonte sich leise und legte sich zu Bette. Aber der Schlaf floh von seinen Augen; die Gestalten der Vergangenheit wurden lebendig und traten vor seine Seele; all sein Zorn, sein Grimm, sein Haß wurde wieder wach gerufen. Er wälzte sich auf dem Lager hin und her und zog, als der Tag anbrach, es vor, auf den Schlaf nun zu verzichten.

Er durfte sich jetzt unten nicht sehen lassen; aber er verließ leise sein Zimmer, um dem Diener einzuschärfen, wie er sich zu verhalten habe. Als er dann zurückgekehrt war, schloß er sich ein und zog sich leise an. Er mußte, wenn die Kriegskassensucher das Gasthaus verließen, bereit sein, ihnen zu folgen.

Als dann das Leben sich im Hause zu regen begann, huschte er einmal hinab, um zu gebieten, daß Keinem, der etwa nach ihm und seinem Gefährten fragen würde, Auskunft ertheilt werden solle. Ein Baron und ein Capitän, das waren hier so seltene und so vornehme Leute, daß er überzeugt war, man werde genug Respect haben, sein Gebot zu befolgen.

Nun stellte er sich auf die Lauer. Er bedauerte, daß er keine Waffen bei sich trug; doch hatte er ein Einschlagemesser bei sich, dessen eine Klinge so lang, scharf und spitz war, daß es sich immerhin als Vertheidigungs-, unter Umständen sogar auch als Angriffswaffe gebrauchen ließ.

Endlich regte es sich in dem Zimmer neben ihm. Der Bewohner desselben hatte ausgeschlafen und begab sich nach kurzer Zeit hinab in die Gaststube. Eine halbe Stunde verging, und dann sah Richemonte, daß drei Personen aus dem Hause traten und sich langsam entfernten. Zwei waren der frühere Kutscher Florian und sein Verwandter, und das Gesicht des Dritten zeigte eine solche Familienähnlichkeit, daß der Capitän in ihm sofort einen Königsau erkannte.

Jetzt verließ auch er sein Zimmer und begab sich eiligst zu dem Baron, den er noch im Bette fand.

»Schon wach?« fragte Sainte Marie. »Wir sollen doch nicht etwa schon aufbrechen?«

»Nein,« antwortete er. »Du kannst ruhig liegen bleiben. Wir werden heute noch nicht abreisen.«

»Nicht?« rief der Baron, ebenso erfreut wie verwundert. »Aus welchem Grunde?«

»Ich habe keine Zeit, Dir das jetzt auseinanderzusetzen. Ich muß schleunigst ausgehen und komme wohl erst am Abende nach Hause. Dann wirst Du erfahren, um was es sich handelt. Ich hoffe, daß Du Dir die Zeit nicht lang werden lässest.«

Er hatte keine Ahnung von der Freude, welche er mit dieser Mittheilung seinem Verwandten machte, und verließ


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nun das Gasthaus mit dem festen Vorsatze, Königsau und seine beiden Begleiter nicht aus dem Auge zu lassen.

Draußen vor dem Dorfe bekam er sie zu Gesicht. Sie waren von der Straße abgewichen und machten sich an einem Felde zu schaffen. Bei demselben stand nämlich ein Pflug, neben welchem eine Hacke und eine Schaufel lagen. Die beiden letzteren Instrumente waren ihnen ein sehr willkommener Fund. Sie nahmen dieselben auf und entfernten sich rasch, um nicht etwa mit dem Eigenthümer in Collision zu kommen.

Richemonte folgte ihnen von Weitem. Das Terrain war ein sehr coupirtes, und so wurde es ihm nicht schwer, sie im Auge zu behalten, ohne von ihnen gesehen zu werden. Erst als sie den Wald erreichten, mußte er sich näher an sie heranmachen, um sie sich nicht entgehen zu lassen.

Was den Baron betrifft, so dachte er mit Wohlgefallen an sein gestriges Abenteuer. Er befahl dem Diener, ihn im Gasthofe zu erwarten, und begab sich zu der verabredeten Zeit nach dem Rendezvous, welches sehr leicht zu finden war, da der betreffende Baum weit über seine Umgebung emporragte.

Adeline hatte bereits auf ihn gewartet und duldete es ohne Widerstreben, daß er sie mit einem Kusse begrüßte.

»Beinahe wäre es mir unmöglich gewesen, Wort zu halten,« sagte sie.

»Warum?«

»Weil mein Vater heute selbst geht, um Kräuter zu suchen, die ich noch nicht kenne. Er hat einige Patienten in seiner Heerde, für welche er die Pflanzensäfte braucht. Nun sollte ich mit der Mutter bei den Thieren bleiben, habe aber einen alten Gevatter zu ihnen gestellt.«

»Das hast Du recht gemacht, mein liebes Kind. Wir werden nun mit einander durch Busch und Wald streifen und einige sehr schöne und glückliche Stunden genießen.«

Das geschah. Sein Kopf war geschwächt; er dachte nicht an die Folgen, welche seine Begegnung mit der reizenden Adeline haben könne; er sagte ihr seinen Namen, nannte ihr seinen Wohnort und gab ihr schließlich in seiner Gedankenlosigkeit das Versprechen, sie zu heirathen.

Was Adeline betrifft, so fühlte sie keine Leidenschaft für ihn. Seine Person war keine unangenehme; sie konnte ihn gut leiden. Die Hauptsache für sie bestand in seinem vornehmen Range, und als er ihr endlich gar das erwähnte Versprechen gab, da war für sie kein anderer Gedanke und keine andere Rücksicht vorhanden, als ihn bei diesem Versprechen fest zu halten. Baronin von Sainte-Marie zu werden, welch ein Gedanke! Um ihn zu verwirklichen, wäre sie zu Allem fähig gewesen, vielleicht selbst zu einem Verbrechen.

So streiften sie durch den Wald, zuweilen sich zu einer kurzen Ruhe niedersetzend, um die Süßigkeiten der Liebe gegenseitig auszutauschen. Sie achteten dabei nicht auf die Richtung und den Weg; die Liebe war der einzige Gedanke, den sie hatten.

Sie saßen jetzt abermals im duftenden Moose, sich liebkosend und von der glänzenden Zukunft sprechend, welche dem armen Hirtenmädchen bevorstand, als plötzlich gar nicht weit von ihnen ein lauter Schrei erschallte.

Sie horchten auf, und Adeline sagte:

»Mein Gott, das war kein gewöhnlicher Schrei! Es ist - - -«

Sie hielt inne und fuhr erschrocken zusammen, denn es erscholl ein Hilferuf, laut und gräßlich, wie ihn nur Einer, welcher sich in Todesgefahr befindet, ausstoßen kann.

»Was geschieht da!« stieß sie hervor. »Mein Vater ist im Walde! Komm!«

Sie faßte den Baron bei der Hand, um ihn fortzuziehen.

»Ja,« sagte er. »Es befindet sich Jemand in Todesgefahr. Komm! Wir müssen helfen!«

Er rannte voran, und sie folgte ihm. Die beiden Rufe hatten ihnen die Richtung angegeben. Sie gelangten an eine Stelle, wo der Boden des Waldes sich zu einer Art von Schlucht niedersenkte. Da unten war der Schauplatz eines erbitterten Kampfes.

Zwei Männer hatten einen Dritten gepackt; sie strengten sich an, denselben nieder zu ringen, während er sich mit einem Messer gegen sie wehrte. Nicht weit von ihnen lag ein Vierter auf der Erde; er schien todt zu sein. In kurzer Entfernung von der ringenden Gruppe sah man ein breites, frisch ausgegrabenes Loch, aus welchem die Stiele einer Hacke und einer Schaufel emporragten.

Die beiden Ersteren waren Florian und sein Neffe; der Dritte mit dem Messer war Richemonte, und Der, welcher mit einer Stichwunde in der Brust an der Erde lag, war kein Anderer als Gebhardt von Königsau.

Der Baron sah seinen Verwandten in offenbarer Lebensgefahr. Er wußte zwar nicht, um was es sich handele, aber er fühlte den Drang, Richemonte beizustehen. Er sprang die steile Böschung hinab, ohne von den Ringenden, welche nur mit sich selbst beschäftigt waren, bemerkt zu werden, ergriff die Hacke, holte aus und schlug mit solcher Gewalt auf Florian ein, daß der arme, treue Mensch mit vollständig zerschmettertem Kopfe zusammenbrach. Ein zweiter Hieb traf den Verwandten des einstigen Kutschers. Richemonte hielt ihn mit den Armen fest umschlossen.

»Ah! Du!« rief er. »Welch ein Glück! Komm, schlage auch Den nieder! Ich halte ihn fest!«

Der junge Mensch konnte sich nicht bewegen. Er sah die Hacke hoch erhoben, stieß einen fürchterlichen Angstschrei aus und lag im nächsten Momente neben seinem ermordeten Oheim.

Richemonte schnaufte noch vor Anstrengung. Er hatte es mit kräftigen Gegnern zu thun gehabt. Fast athemlos fragte er:

»Aber wie kommst Du hierher?«

Der Baron stand wie eine Bildsäule vor ihm. Mit noch erhobener Hacke starrte er nach den Leichen der beiden Männer, welche er getödtet hatte.

»Nun?« drängte Richemonte.

Da sah ihn der Baron wie abwesend an und antwortete:

»Was sagtest Du?«

»Ich will wissen, wie Du an diesen Ort gekommen bist.« o

»Ich ging spazieren. Aber, mein Gott! Die Hacke ist voller Blut und Dein Messer auch.«

Richemonte blickte es an, verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln und antwortete:

»Natürlich ist es blutig! Ich habe ja diesen Menschen damit niedergestochen!«

»Wer ist er? Warum griffen sie Dich an?«

»Sie mich? Pah! Ich war es, welcher angriff!«


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»Du? Warum?«

Seine Augen zeigten einen eigenthümlichen, irren Flimmer, und der Ton seiner Stimme war nicht mehr derjenige eines Menschen, welcher vollständig selbstbewußt redet und handelt. Der Anblick des Blutes hatte die alten Erinnerungen wachgerufen.

»Du kennst diesen Menschen nicht,« antwortete Richemonte, auf Gebhardt deutend. »Er hat mit den beiden Andern hier dieses Loch gegraben. Kannst Du Dir denken, warum er von Deutschland bierhergekommen ist, um die Hacke in diesen Boden einzuschlagen?«

»Nein.«

»So will ich Dir sagen, daß hier die Kriegskasse vergraben liegt, welche wir so lange gesucht haben.«

Da kehrte das Bewußtsein in den Blick des Barons zurück. Seine Augen leuchteten auf, und er rief:

»Die Kriegskasse? Donnerwetter! Wir werden reicher!«

»Ja, wir werden Millionen besitzen. Dieser Mensch ist Gebhardt von Königsau, welchen wir bereits in Algerien verfolgten. Er ist uns damals entgangen; jetzt aber habe ich meine Rechnung vollständig mit ihm abgeschlossen. Der Andere hier ist der Kutscher Florian, und der Dritte sein Verwandter, wie ich gestern erlauschte.«

Der Baron war an den Rand des Loches getreten. Er blickte hinab, die Hacke noch immer in der Hand. Sein Gesicht hatte jenen Ausdruck wieder angenommen, welcher ein Vorbote eines jener Anfälle war, unter denen der geistig Gestörte zu leiden hatte.

»Das Geld ist da unten! Der Schatz! Die Kriegskasse! Da muß man hacken, hacken! Heraus mit dem vielen Gelde, und hinein mit den Erschlagenen!«

Während er diese Worte sprach, sprang er in das Loch hinab und begann zu hacken, ohne sich weiter um den alten Capitän zu bekümmern.

Dieser hatte antworten und in seiner Erklärung fortfahren wollen, kam aber nicht dazu. Seine Augen waren erschrocken nach dem Rande der Schlucht gerichtet, von welchem zwei Personen langsam herabgestiegen waren.

Während nämlich der Baron dem Capitän zu Hilfe gesprungen war, hatte Adeline vor Schreck über den Anblick der Kämpfenden ihre Schritte gehemmt. Sie war kein furchtsames Wesen, der erste Eindruck war rasch bekämpft, und schon wollte sie dem Geliebten folgen, als sie hinter sich das Geräusch von schnellen Schritten hörte.

Sie drehte sich um und erblickte - ihren Vater, welcher, als er sie erkannte, erstaunt stehen blieb. Er hatte ein Messer mit sehr langer Klinge in der Hand. Es diente ihm zum Ausgraben der Wurzeln.

»Du hier, Mädchen?« fragte er. »Ich denke, Du bist daheim! Wer hat gerufen? Wer befindet sich in Gefahr?«

»Da, sieh!« antwortete sie, nach unten deutend.

Er blickte hinab, grad an dem Augenblicke, an welchem der Baron den Zweiten niederschlug.

»Ah! Mörder!« meinte er. »Ich muß hinab!«

Sie faßte ihn am Arme und hielt ihn zurück.

»Halt, halt!« raunte sie ihm zu. »Der Eine ist mein Geliebter, ein Baron. Wenn Du willst, daß ich eine Baronin werden soll, so sei still und menge Dich nicht eher in diese Sache, als bis ich es will!«

Er machte ein höchst verblüfftes Gesicht.

»Du, eine Baronin?« fragte er.

»Ja; komm mit hinab! Richte Dich nur ganz genau nach meinem Verhalten!«

Richemonte sah sie kommen. Der Schreck verzerrte für einen Augenblick seine Züge. Er nahm den Griff seines Messers fester in die Hand. Der Schäfer hielt aber das seinige auch noch gefaßt. Zwei Zeugen des Mordes! Sollte es nochmals zum Kampfe kommen?

»Herr Capitän, befürchten Sie nichts!« rief ihm Adeline entgegen. »Wir kommen als Freunde!«

»Wie! Sie kennen mich?« fragte er.

»Ja. Ich habe dem Herrn Baron im Walde Gesellschaft geleistet, und da wurde natürlich auch von Ihnen gesprochen.«

»Wer sind Sie?« fragte er finster.

»Ich heiße Adeline Verdy. Mein Vater ist Schäfer in dem Orte, wo Sie heute übernachteten.«

»Ah! So sind Sie wohl eine Tänzerin von gestern Abend?«

»Ja.«

»Sie hatten ein Stelldichein im Walde verabredet?«

»So ist es!« antwortete sie offen, obgleich seine Miene eine höchst verächtliche war.

»So sind Sie eine Courtisane?«

»Ich weiß nicht, was dieses Wort bedeutet. Was ich bin, das werden Sie wohl noch erfahren.«

»Schön, schön, meine Verehrteste! Sie haben gesehen, was hier geschehen ist?«

»Natürlich!«

»Auch gehört, was wir gesprochen haben?«

»Jedes Wort!«

»Hole Sie der Teufel! Wie können Sie meinen Gefährten verführen, mit Ihnen im Walde herum zu schleichen! Wie können Sie sich mit Angelegenheiten befassen, welche nicht die Ihrigen sind?«

»Diese Angelegenheit ist gerade so gut die meinige wie die Ihrige; auch das werde ich Ihnen zu beweisen wissen. Hier ist ein Schatz vergraben, eine Kriegskasse. Diese drei Männer wollten sie holen und wurden dabei von Ihnen und dem Baron ermordet. Lassen Sie uns sehen, ob hier in Wirklichkeit Etwas vergraben liegt! Du aber, Vater, halte Dein Messer bereit. Dem Herrn Capitän ist nicht sehr zu trauen!«

Sie trat an das Loch, um den Bemühungen des Barons zuzuschauen. Der Schäfer bog sich zu den Todten nieder, um sie genauer zu betrachten. Richemonte wußte gar nicht, wie er sich verhalten solle. Dieses Mädchen hatte ihm gegenüber eine Sicherheit entwickelt, welche ihn in Bestürzung versetzte. Sie mußte sich im Besitze einer Thatsache befinden, welche ihr Grund gab, sich nicht vor ihm zu fürchten. Er trat zu ihrem Vater und fragte:

»Sie waren auch mit dem Baron im Walde?«

»Das geht Sie nichts an!« brummte der Schäfer, welcher nicht wußte, ob er mit Ja oder Nein antworten solle. »Wir haben gesehen, daß Sie diese drei Männer ermordeten. Das Weitere wird sich finden.«

»Ah! Sie wollen den Inhalt der Kasse wohl mit uns theilen?«

»Was wir wollen, geht Sie jetzt noch nichts an! Sehen Sie zunächst zu, ob die Kasse wirklich zu finden ist!«

Der Capitän zog die Lippe empor und entblößte seine


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langen, gelben Zähne. Er hätte den Schäfer und dessen Tochter am liebsten erstochen, fürchtete sich aber vor dem Messer des Ersteren und wollte auch erst abwarten, was die beiden Personen gegen ihn unternehmen würden. Darum beschloß er, ihre Gegenwart zunächst zu ignoriren und den Baron bei seiner Arbeit zu unterstützen. Er stieg in die Grube und nahm die Schaufel in die Hand.

Der Baron arbeitete, ohne sich um irgend wen zu kümmern, wie ein Wahnsinniger, der er in diesem Augenblicke auch wirklich war. Das Loch wurde zusehends breiter und tiefer, aber es zeigte sich keine Spur eines Kastens oder sonstigen Gefäßes.

Der Schäfer stand mit seiner Tochter am Rande der Grube. Es war ihm, als ob er träume. Seine Tochter wollte eine Baronin werden; man wollte hier eine Kriegskasse ausgraben. Beides war ja unglaublich! So verging eine halbe Stunde nach der andern, ohne daß man Etwas fand. Da sprang der Capitän aus der Grube und rief:

»Nichts liegt da, gar nichts! Dieser Kerl, dieser Königsau, muß sich geirrt haben! Er hatte einen Zettel, einen Plan, nach dem er sich richtete. Wo muß er ihn haben? Wo ist dieses Papier hingekommen?«

Er suchte überall, ohne das Gesuchte zu finden. Da meinte die Schäferstochter, welche eine Sicherheit entwickelte, als ob sie in alle Verhältnisse eingeweiht sei:

»Hat er ihn vielleicht eingesteckt? Vater, suche den Todten dort einmal aus!«

Der Zettel war allerdings jetzt unmöglich zu finden. Er war, als Königsau von dem Capitän rücklinks überfallen wurde, und den Messerstich erhielt, zur Erde gefallen. Während des nachfolgenden Ringens hatten die drei Männer ihn in das aus der Grube aufgeworfene Land so tief hineingetreten, daß er nicht mehr zu sehen war, und Richemonte hatte dann so viel Land darauf geschaufelt, daß alles Nachsuchen vergeblich sein mußte.

Während der alte Schäfer in die Taschen Gebhardts griff und denselben hin und her wendete, begann aus der Wunde, welche nicht mehr geblutet hatte, das Blut von Neuem zu fließen. Zu gleicher Zeit bewegte der Todtscheinende die Arme.

»Herrgott! Er lebt noch!« rief der Schäfer.

»Wirklich? Ist es wahr?« fragte Richemonte, indem er schnell hinzutrat.

»Ja; er bewegte die Arme. Ich werde ihn untersuchen.«

Der Mann mochte einige chirurgische Kenntnisse besitzen. Er unterwarf den Deutschen einer eingehenden, möglichst genauen Untersuchung und meinte dann:

»Er lebt wirklich. Er ist nicht todt.«

»Wird er wieder zum Bewußtsein kommen?« fragte Richemonte.

»Gleich wohl nicht. Die Verwundung ist eine schwere, eine lebensgefährliche. Er könnte bei guter Pflege wohl noch gerettet werden. Aber ehe er zum Bewußtsein gelangen könnte, wird ihn das Wundfieber gepackt haben.«

»Verdammt! Wir haben ihn in unserer Gewalt. Wir könnten ihn zwingen, uns das Geheimniß mitzutheilen. Wenn er stirbt, geht es verloren; wenn er aber leben bleibt, so wird er uns gefährlich!«

Er strich sich nachdenklich die Spitzen seines Bartes; dann wendete er sich mit einer raschen Bewegung an das Mädchen:

»Mademoiselle, haben Sie gelernt, zu schweigen?«

»Ja,« antwortete sie.

»Kann man sich auch auf Ihren Vater verlassen?«

»Gerade so, wie auf mich selbst.«

»Und würden Sie Beide schweigen, wenn ich Ihnen verspreche, daß, falls wir die Kasse noch finden, Sie einen Theil der darin befindlichen Summe erhalten sollen?«

»Ja,« antwortete sie bedenklich. »Ich setze aber voraus, daß dieser Theil nicht ein zu armseliger ist. Wieviel geben Sie?«

»Den zehnten Theil.«

»Das ist genug. Wir werden also schweigen.«

Es war eigenthümlich, die Gesichter der Beiden jetzt zu beobachten. Der Capitän machte das Gesicht eines Fuchses, welcher mit der Henne einen ewigen Frieden schließt, um sie desto eher verspeisen zu können. Das Mädchen aber ließ ein Lächeln sehen, hinter welchem viel mehr verborgen lag, als der Alte ahnte. Der Letztere fuhr fort:

»So sind wir also einig. Der Zufall hat uns zusammengeführt, und so wollen wir auch Verbündete bleiben. Es gilt, diesen Verwundeten heimlich so lange zu pflegen, bis er sprechen und uns sein Geheimniß mittheilen kann. Könnten Sie ihn nicht in Ihrer Wohnung aufnehmen?«

»Es würde sich vielleicht ermöglichen lassen, Monsieur.«

»Aber es dürfte kein Mensch Etwas merken!«

»Das versteht sich ganz von selbst. Vorsicht und Verschwiegenheit liegen ja in unserm eigenen Interesse.«

»Nun gut! So wollen wir ihn verbinden, damit er sich nicht verblutet. Sie halten mich für den Mörder dieser Leute?«

»Ja,« antwortete sie, ihn furchtlos anblickend.

»Sie irren sich. Ich werde Sie von den Verhältnissen unterrichten, und dann sollen Sie sehen, daß Ihre gegenwärtige Meinung eine falsche ist.«

Sie nickte ihm freundlich zu und antwortete:

»Und Sie sollen auch meine Verhältnisse kennen lernen. Dann werden Sie überzeugt sein, daß ich alle Ursache habe, nichts zu thun, was zu Ihrem Schaden ist.«

»Ah! Wieso?«

»Davon sprechen wir später. Jetzt haben wir mehr zu thun.«

»Sie haben Recht. Den Verwundeten können wir erst dann, wenn es dunkel ist, nach Ihrer Wohnung bringen. Bis dahin haben wir zu thun. Das Loch muß wieder zugeschüttet werden.«

»Und die Leichen?«

»Legen wir mit hinein. Vorwärts! Komm heraus!«

Diese letzten Worte galten dem Baron, welcher noch immer im Schweiße seines Angesichts an der Vergrößerung des Loches arbeitete. Der Capitän mußte ihn am Arme ergreifen und herausziehen. Er war von einem Ueberfalle seiner Krankheit ergriffen worden. Sein Blick fiel auf die zerschmetterten Köpfe der beiden Leichen. Sie sahen gräßlich aus. Seine Augen wurden noch stierer, als sie vorher gewesen waren; er fuhr sich mit beiden Händen in die sich sträubenden Haare und rief in jammerndem Tone:

»Gott, ich habe sie gemordet! Ich bin ein Mörder! Wo ist die Kriegskasse? Wo ist sie?«

»Still!« raunte ihm der Capitän zu. »Soll man uns etwa hören und erwischen!«


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»Erwischen? Nein, nein! Seid still, still! Sprecht leise, ganz leise! Aber der Mörder bin ich doch!«

»Es giebt Stunden, in denen sein Geist krank ist,« erklärte Richemonte den beiden Andern.

»Ich werde ihn gesund machen,« meinte Adeline.

Sie trat zu dem Baron, legte den Arm um ihn, drückte ihn zärtlich an sich und sagte:

»Sei ruhig! Sei still! Du bist doch kein Mörder!«

Er blickte ihr forschend in das Angesicht, und dabei schien es in seinem Geiste ein wenig heller zu werden.

»Kein Mörder?« fragte er. »Wer aber bist denn Du? Ah, Du bist meine Tänzerin, Adeline, die schöne Hirtentochter! Ja, ich bin kein Mörder. Du aber bist meine Braut, meine Geliebte. Komm, laß Dich küssen!«

Er zog sie an sich und küßte sie auf den Mund. Sie litt es geduldig, als ob sich das von selbst verstehe.

»Adeline!« meinte ihr Vater verwundert.

»Donnerwetter!« bemerkte der Capitän. »Eure Bekanntschaft scheint eine sehr innige zu sein!«

»Aber eine heilsame für den Kranken, wie Sie sehen,« antwortete Adeline.

Sie führte den Baron, der sich willenlos von ihr leiten ließ, nach einer kleinen Bodenerhöhung, wo sie mit ihm wie auf einer Bank Platz nahm. Ihr Vater sah ihr verwundert zu. Sie schien ihm ein ganz anderes Wesen geworden zu sein. Der Capitän aber brummte in den Bart:

»Alle Teufel! Da kommt mir eine Person in den Weg, welche mir sehr bequem, aber auch sehr unbequem werden kann. Welches von Beiden das Richtige ist, das wird sich ja wohl zeigen, und darnach habe ich mich dann zu richten.«

Er forderte den Schäfer auf, ihm bei der Zuwerfung der Grube behilflich zu sein. Der Mann gehorchte. Er war, so lange er lebte, ein armer aber ehrlicher Kerl gewesen. Jetzt war er auf einmal Zeuge eines mehrfachen Mordes geworden; er fühlte sich betäubt; er arbeitete, ohne zu wissen, was er eigentlich that; er half, die beiden Leichen in das Loch legen; er schüttete das Land in dasselbe; er stampfte es fest und streute Laub und Reißignadeln auf die Stelle, welche nun bedeutend höher geworden war als vorher. Er that das fast ganz ohne Willen und Absicht, so ungefähr, wie ein Nachtwandler es gethan haben würde.

Unterdessen hatten der Baron und Adeline sich leise flüsternd unterhalten. Der Erstere hatte unter fortwährenden Liebkosungen ihr Mittheilungen gemacht, welche von ungeheuerer Wichtigkeit für sie waren, wie ihre verstohlenen Blicke zeigten, welche sie von Zeit zu Zeit triumphirend auf Capitän Richemonte richtete.

Endlich brach der Abend herein, und nun wurde der Verwundete auf eine bis dahin improvisirte Tragbare gelegt und von Richemonte und dem Schäfer nach dem Häuschen des Letzteren getragen. Der Baron und Adeline folgten Arm in Arm, als ob es sich ganz von selbst verstehe, daß sie so innig zusammen gehörten.

Was an diesem Abende in der Hütte des Schäfers noch geschah und verhandelt wurde, das deckte der Schleier des Geheimnisses. Der Knecht aus Jeanette wunderte sich nicht wenig, daß seine beiden Herren so spät nach dem Gasthofe zurückkehrten. Geradezu bestürzt aber war er über den aufgeregten Zustand des Barons, welcher fast an Raserei grenzte.

Das, was Sainte-Marie laut schrie und erzählte, war geradezu gefährlich. Der Capitän mußte ihn mit Hilfe des Dieners binden und knebeln. Unter diesen Umständen war von einem Hierbleiben keine Rede. Es wurde ein Wagen zur Stelle geschafft; man lud den Baron auf und verließ noch während der Nacht den so verhängnißvollen Ort.

Das Ende der Reise, deren Erfolg erst ein so vortheilhafter gewesen war, zeigte sich als dem gerade entgegengesetzt. Der Baron war kaum zu bändigen. Er sah nur die Geister erschlagener Menschen und tief geöffnete Gruben mit Kriegskassen. Er bildete sich ein, während jeder Schlacht, bei Austerlitz, Magenta, Solferino und vielen anderen, Kriegskassen gestohlen zu haben. Er schrie einmal nach Liama und das andere Mal nach Adeline, um bei ihnen Rettung zu suchen vor den Gestalten, welche ihn verfolgten.

Die Aerzte, welche zu Rathe gezogen wurden, riethen zu einer dauernden Ortsveränderung, und da sich gerade Gelegenheit bot, Jeanette mit einer anderen Besitzung zu vertauschen, so ging der Captitän auf diesen Handel ein. Er war im Grunde genommen ganz froh, von Jeanette fortzukommen, denn mit diesem Orte waren zu unangenehme Erinnerungen für ihn verknüpft, und außerdem hatte er die Erfahrung gemacht, daß die Bewohner desselben mehr von seinen Verhältnissen erfahren hatten, als ihm lieb und angenehm sein konnte.

Der Ort, nach welchem er übersiedelte, war Ortry. Er hatte nur erst kurze Zeit da gewohnt, als ihm gemeldet wurde, daß eine junge Dame angekommen sei, welche ihn zu sprechen wünsche. Er erstaunte nicht wenig, in dieser Dame Adeline, die Schäferstochter, zu erkennen. Sie war ganz wie eine Dame von Stande gekleidet. Jedenfalls hatte sie dazu einen Theil der Summe verwendet, welche der Capitän ihrem Vater zurückgelassen hatte, um die zur Pflege Gebhardts nöthigen Ausgaben zu bestreiten.

»Bringen Sie mir gute Nachricht?« fragte er sie.

»Ja,« lautete die Antwort. »Der Verwundete ist so weit hergestellt, daß für sein Leben nichts mehr zu befürchten ist.«

»Haben Sie über die Kriegskasse mit ihm gesprochen?«

»Ja. Er verweigert jede Auskunft.«

»Mir wird er sie nicht verweigern. Ich werde ihn zum Reden zu zwingen wissen! Noch heute fahren wir ab. Ich werde sogleich meine Reisevorkehrungen treffen.«

»Sie meinen, daß ich mit Ihnen fahren soll?«

»Natürlich!«

»Kann ich nicht vorher den Herrn Baron sehen?«

»Wozu?«

»Nun, es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich gern sehen möchte, wie er sich befindet.«

»Das muß Ihnen gleichgiltig sein. Sie scheinen zu vergessen, daß er sich nur in einem Anfalle seiner Krankheit auf einige Augenblicke mit Ihnen beschäftigt hat. Zwischen einem Barone und einer Schäferstochter aber ist eine so große Kluft, daß Sie sich um das Befinden meines Sohnes gar nichts zu kümmern haben.«

Da stand sie von dem Stuhle auf, auf welchem sie Platz genommen hatte. Indem ihre Augen zornig aufblitzten, antwortete sie:

»Sie irren sehr, Herr Capitän! Der Unterschied zwischen einer ehrlichen Schäferstochter und Mördern, Dieben und gewesenen Spionen ist nicht so groß, wie Sie ihn hinstellen.«

Er machte eine Bewegung des zornigsten Erstaunens und rief:

»Wie meinen Sie das? Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, daß der Herr Baron mir Alles erzählt hat. Während Sie die Grube zuwarfen, habe ich Ihre ganze Biographie von ihm erhalten. Ich weiß Alles, Alles, was Sie gethan und verbrochen haben; ich stehe Ihnen mehr als ebenbürtig gegenüber und werde Ihnen beweisen, daß es ein großer Fehler ist, mich zu verachten, weil ich die Tochter eines ehrlichen Hirten bin.«

Da blitzte es heimtückisch in Richemontes Augen auf.

»Ah!« sagte er. »Was mein Sohn gesprochen hat, ist ein Erzeugniß des Wahnsinns gewesen. Kommen Sie sofort mit zu ihm. Er wird Alles, Alles widerrufen.«

»Ich danke!« antwortete sie, überlegen lächelnd. »Ich habe gehört, daß es in diesem Schlosse viele verborgene Winkel giebt, in denen ich nicht gern verschwinden möchte. Ich gehe. Am Bette des Deutschen, den Sie tödten wollten wie seine beiden Begleiter, werde ich mit Ihnen meinen Vertrag abschließen. Gehen Sie nicht auf denselben ein, so wird mein Vater sofort Anzeige des Geschehenen erstatten. Der, welcher verwundet in unserer Hütte liegt, ist der rechtmäßige Besitzer Ihres Eigenthums, denn der einzige Sainte-Marie, welchen es nach dem Tode des Marabut noch gab, ist von Euch erschlagen worden. Ich rathe Ihnen: Machen Sie Ihren Frieden mit mir, sonst sind Sie verloren!«

Ehe er in seinem Grimme Worte zur Antwort fand, hatte sie das Zimmer verlassen, und nach einer Minute lag auch bereits Schloß Ortry hinter ihr - - -.

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8. Ein Kundschafter.

Der große Turenne sagte einstmals zum französischen Minister Louvois: »Ein unfriedfertiger Nachbar ist der schlimmste aller Feinde. Man ist gezwungen, ihm gegenüber stets auf dem »Qui vive« zu stehen, und dieses Mißtrauen ist ein ewiges Hinderniß aller friedlichen Bestrebungen. Sieger kann nur derjenige bleiben, welcher von Beiden der Verschlagenere und Rücksichtslosere ist.«

Mag die augenblickliche Ursache dieses Ausspruches gewesen sein, welche sie wolle, der berühmte französische Feldherr hat mit diesen seinen Worten das Verhältniß Frankreichs zu Deutschland, wie es stets war und immer sein wird, ganz vortrefflich gezeichnet. Frankreich ist der unfriedfertige Nachbar, gegen welchen die deutsche Wachsamkeit stets auf dem Posten sein muß. Bald durch fränkische Hinterlist, bald durch offene Gewalt geschädigt, hat Deutschland durch Jahrhunderte fortgesetzt erfahren müssen, wie sehr wahr Marschall Turenne gesprochen habe.

In Friedrich dem Großen war allerdings ein Deutscher erstanden, dessen Scharfsinn und politische Feinheit der französischen Verschlagenheit überlegen waren. Er, der kleine deutsche Fürst, verstand es ganz vortrefflich, aus den Intentionen des Erbfeindes für sich die vortrefflichsten Früchte zu ziehen, und seine diplomatische und kriegerische Wachsamkeit und Schlagfertigkeit führten zu Erfolgen, welche dem bösen Nachbar nur gezwungener Weise abgelockt werden konnten.

Dann erhob der korsische Ländereroberer seine Riesenfaust gegen Deutschland. Er trat das Kaiserreich in Trümmer und spannte die Fürsten desselben an seinen Triumphwagen. Nur der unerbittlichen Gegnerschaft Englands und dem vereinigten Zusammengreifen Rußlands, Oesterreichs und Preußens gelang es schließlich, den Gewaltigen niederzuringen und ihn, wie einen zweiten Prometheus, an den fernen Felsen im einsamen Weltmeere festzuschmieden.

Seit jenen Tagen herrschte in Frankreich die feste Ueberzeugung, daß es auch späterhin nur einer Vereinigung dieser Mächte möglich sei, die Fänge des französischen Adlers in Banden zu schlagen. Napoleon der Dritte ahmte als Neffe in allen Stücken seinem Onkel nach, und seine Erfolge in Italien und der Krim gaben seinem Eigendünkel Nahrung. Er hatte durch Palikao wehrlose Chinesen besiegt und sogar drüben in Mexico seine Adler fliegen lassen; das machte ihn so übermüthig, daß er schließlich glaubte, ein eben solcher Schlachtengott zu sein wie der Gründer des Thrones Buonaparte. Er hegte die Ansicht, daß es kein Reich der Erde gebe, welches ohne Verbündete es wagen könne, einen Krieg mit Frankreich zu planen.

Er überschätzte seine Kräfte und unterschätzte diejenigen der anderen Nationen, besonders der Deutschen.

Der Deutsche ist der Phlegmatiker in der europäischen Völkerfamilie. Unter seinem ruhigen, anspruchslosen, scheinbar gleichgiltigen und träumerischen Wesen verbirgt sich eine außerordentlich kraftvolle, widerstandsfähige Constitution. Seine sprichwörtlich gewordene Geduld giebt ihm den Anschein eines Menschen, den man ungestraft am Barte zausen könne; aber unter dieser äußeren Ruhe verbirgt sich ein reges Ehrgefühl, welches, wenn rücksichtslos beleidigt, sich plötzlich gewaltig emporbäumt, und dann pflegt der so falsch beurtheilte »deutsche Michel« ein ganz anderer Kerl zu werden. Er geht dann gerade auf seine Feinde los und schlägt mit dem Kolben so machtvoll drein, daß es »fluscht,« wie der alte Blücher zu sagen pflegte. In solchen Fällen pflegt der sonst so stäte Germane sogar eine Beweglichkeit zu entwickeln, gegen welche die sogenannte »affenartige Behendigkeit« der französischen Gamins nicht aufzukommen vermag.

Nach den napoleonischen Kriegen hatte eine verhältnißmäßig lange Ruhe den Deutschen und besonders den Preußen innerlich kraftvoll erstarken lassen, ohne daß der oberflächlich urtheilende Franzose es bemerken oder zugeben wollte. Der verbesserte Volksunterricht und treffliche Kriegsschulen hatten die Aufgabe gehabt, ausgezeichnete Officiere und ein intelligentes Heer heranzubilden. Zöglinge dieser Kriegsschulen waren in entfernte Länder gesandt worden, um sich in den dortigen Kriegen an Erfahrungen und Anschauungen zu bereichern. Sie kehrten als tüchtige Strategen und Taktiker zurück, ohne daß dies von Anderen beobachtet wurde.

Während Napoleon über Marschälle und Generale verfügte, welche sich in Afrika, Rußland, China, Italien und Mexiko einen berühmten, vielleicht aber auch berüchtigten Namen geholt hatten, besaß Preußen nur seinen Wrangel, welcher zu alt war, um eventuellen Falles eine Heerleitung zu übernehmen. Andere waren während des Schleswig-Holsteinischen Krieges zwar auch genannt worden, aber so oberflächlich, daß auswärts gar keine Notiz von ihnen genommen wurde.

Daß sogar preußische Prinzen, wie zum Beispiel Friedrich Karl, strategische Werke verfaßt hatten, hielt man für Spielerei,


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und war ja einmal von einer Verbesserung oder Neuorganisation kriegerischer Institutionen die Rede, so verhallte die Kunde davon in dem Stimmengewirr von Ereignissen, welche von eclatanterer Wichtigkeit zu sein schienen. Der deutsche Michel besitzt eben einen guten Theil Mutterwitz und hatte es verstanden, im europäischen Spiele nicht ahnen zu lassen, welche Karten er habe und welche Trümpfe zuletzt aufzulegen er im Stande sei. Ihm das edle Schach anzubieten, hielt man ihn für zu ungebildet und befangen; man hatte ihm nur erlaubt, an einer ungeschickten Partie Schafkopf theil zu nehmen. Warf man ihm ja einen Stecher hin, so gab er klein zu. Man ahnte nicht, daß er schlauer Weise die Matadore in der Hand behielt, um am Schlusse die Gegner desto sicherer zu schlagen.

War in Paris von Bismarck, von Moltke die Rede, so zuckte man die Achseln. Der Erstere war ein mittelmäßiger Staatsmann mit ungewandten Manieren und der Letztere ein Officier, weiter nichts. Mit solchen Männern brauchte man nur so zu rechnen, wie der Spieler mit gewöhnlichen Blättern rechnet:: sie gehören zur Karte, sind aber nichts weniger als entscheidend.

Als Napoleon die mexikanische Schlappe erhalten hatte, ließ er sich im Gefühle der Blamage, an welcher er laborirte, allerdings herbei, mit diesem Bismarck in einen Notenwechsel zu treten. Er bot Preußen eine Gebietsvergrößerung um acht Millionen Einwohner an und verlangte dafür den preußischen, bayrischen und hessischen Landestheil, welcher zwischen dem Rhein und der Mosel liegt. Dieser Streich sollte das Ansehen, welches er bei seinem Volke verloren hatte, wieder herstellen. Wie ungeschickt, wie tölpelhaft, daß dieser Bismarck nicht auf denselben einging! Mit diesem sogenannten Lenker des preußischen Staatswesens war eben ganz und gar nicht anständig zu verkehren!

Nun knüpfte Napoleon mit Wien ganz ähnliche Verhandlungen an. Oesterreich ging darauf ein, Venetien abzutreten und dafür preußisch Schlesien zu erhalten. Zu gleicher Zeit erklärte der Kaiser der Franzosen, daß den deutschen Mittel- und Kleinstaaten mehr Selbstständigkeit zu gewähren sei. Damit hatte er dem »ungeschickten« Bismarck den Rache- und Fehdehandschuh hingeworfen. Der ungelenke Deutsche bückte sich gleichmüthig und hob ihn auf.

Napoleon hatte in Mexiko einen österreichischen Erzherzog in das Verderben und den Tod getrieben; jetzt trieb er das Vaterland des armen Max von Mexiko in das Unglück.

Preußen marschirre. Die Namen seiner Feldherren waren fast unbekannt; Oesterreich konnte ihm berühmte Männer entgegenstellen. In Paris speculirte man auf eine rasche Niederwerfung Preußens oder, was man noch lieber sah, auf ein langwieriges, wechselvolles Ringen der beiden Gegner. Ein solches Ringen hätte Frankreich Gelegenheit zu hundert günstigen Schachzügen gegeben. Aber es kam anders. Preußen siegte; es warf seinen Gegner, der leider sein Bruder war, mit ungeahnter Schnelligkeit darnieder; dasselbe geschah mit den anderen deutschen Staaten.

Auch jetzt noch unterschätzte Napoleon die Kräfte des Siegers. Er verlangte durch den Gesandten Benedetti die Grenze vom Jahre 1814. Dadurch wäre Rheinbayern und Rheinhessen nebst Mainz an Frankreich gekommen. Außerdem sollte Preußen auf das Besatzungsrecht in Luxemburg verzichten. Im Weigerungsfalle drohte der Neffe des Onkels mit Krieg gegen Preußen.

Bismarck schloß, ohne Frankreich zu fragen, Frieden mit Oesterreich und antwortete dem Kaiser kurz entschlossen: »Gut, so machen Sie Krieg! Bekommen werden Sie nichts!«

Nur auf Zurathen Anderer nahm Napoleon seine Kriegsandrohung zurück, wendete sich aber, um auch diese Schlappe zu verbergen, wegen Ankaufs von Luxemburg an den König von Holland. Er wollte den Franzosen auf alle Fälle eine Gebietserweiterung bringen. Der König von Holland war nicht abgeneigt; aber Bismarck erfuhr davon und erklärte öffentlich, daß er seine Einwilligung versage. Zugleich machte er die Bündnißverträge bekannt, welche er mit den süddeutschen Staaten abgeschlossen hatte, und so sah Napoleon sich abermals durch den Deutschen zurückgewiesen und besiegt.

Diese wiederholten Niederlagen Napoleons gegen Bismarck wirkten sehr verhängnißvoll auf die inneren Verhältnisse Frankreichs zurück. Der Kaiserthron verlor immer mehr und mehr von seinem Glanze. Die Partheien begannen, an demselben zu rütteln. Man verlangte Rache an Deutschland, und die Kaiserin Eugenie that Alles, um den Kaiser zu einem Kriege zu bestimmen. Napoleon hörte nicht auf, Preußen durch Anerbietungen auf Kosten Deutschlands und Belgiens in Versuchung zu führen, mußte aber einsehen, daß alle diese Anträge an der eisernen Stirn Bismarcks abprallten. So wurde denn der Krieg beschlossen und die Vorbereitungen dazu heimlich begonnen. Napoleon sah ein, daß sein bereits wankender Thron stürzen werde, wenn es ihm nicht gelinge, Deutschland in den Staub zu treten. Er erklärte, um seine Absicht zu verbergen, daß die Aufrechterhaltung des Friedens zu keiner Zeit gesicherter gewesen sei als eben jetzt; aber Bismarck war nicht der Mann, sich durch eine so grobe List täuschen zu lassen.

Dieser große Staatsmann war überzeugt, daß Frankreich nur nach einer Ursache suche, um den Krieg erklären zu können, und daß es schließlich den ersten besten Vorwand dazu vom Zaune brechen werde.

Napoleon überschätzte die Vortheile der französischen Heeresverfassung. Er hatte bei General Leboeuf, dem Kriegsminister, angefragt und von diesem die Antwort erhalten: »Nous sommes archiprêt.« Das heißt zu Deutsch: »Wir sind erzbereit,« also im höchsten Grade bereit. Auch das hatte Bismarck erfahren, und es läßt sich denken, daß er seine Maßregeln darnach ergriff. - - -

In jener Zeit lag in einer der engen Nebengassen, welche die Rue des Poissonniers mit der Chaussée de Clignancourt verbinden, eine jener unheimlichen Tabernen, deren Existenz nur darum von der Polizei geduldet wird, weil sie als Mausefallen benutzt werden. Solche Kneipen bleiben lange Zeit scheinbar unbeobachtet und unbeaufsichtigt; aber dann stellen sich plötzlich eines schönen Abends die Sicherheitsbeamten ganz unvermuthet ein, um einen reichen Fang zu machen.

Der Wirth dieser Taberne, ein verschlagener und zugleich verwegener Mensch, machte den Dieb und Hehler zu gleicher Zeit; aber noch niemals war es der Polizei gelungen, ihn so zu fassen, daß man ihn hätte bestrafen können. Die bei ihm verkehrenden Gäste waren Leute, welche mit den Gesetzen mehr oder weniger in Conflict gerathen waren, und wurden von Kellnerinnen bedient, deren Charakter ein mehr als zweideutiger zu nennen war.


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Das Haus hatte eine sehr schmale Fronte, und nie zeigte dieselbe des Abends ein erleuchtetes Fenster. Es schien ganz unbewohnt zu sein, außer dem Keller, in welchem sich die betreffende Restauration befand und in welchen man von Außen auf einer Reihe von gebrechlichen Stufen hinabsteigen mußte.

Dieser Keller war lang und schmal. Man hatte ihn in verschiedene Abtheilungen getheilt, deren vorderste die Gäste inne hatten. Nur Diejenigen, denen der Wirth ein besonderes Vertrauen schenkte, hatten die hinteren betreten dürfen, worüber sie aber gegen Andere kein Wort verloren.

Heute saßen vielleicht ein Dutzend Männer an einer Tafel. Ein Jeder hatte ein großes Glas mit scharfem Schnaps neben sich stehen. Die Unterhaltung war eine höchst einsilbige. Den Wirth hatte heute noch Niemand gesehen. Das Aeußere der beiden Kellnerinnen, welche zugegen waren, das heißt ihr Aussehen und ihre beinahe freche Bekleidung, ließ auf ein vollständig destruirtes Ehrgefühl schließen. Die Eine saß mitten unter den Männern, hatte den Einen derselben beim Kopfe genommen und that von Zeit zu Zeit einen tüchtigen Zug aus seinem Glase. Die Andere saß allein in einer Ecke, hatte den Kopf in die Hand gestützt, so daß ihr Gesicht im Schatten lag, und schien nicht bei sehr guter Laune zu sein.

Der ihr am Nächsten Sitzende wendete sich ihr zu und sagte:

»Was ist denn mit der Sally? Sie sieht ja aus, als ob sie von Vater Main den Abschied bekommen hätte?«

»Den Abschied?« lachte das andere Mädchen. »O, der ist ihr sicher genug! Vater Main ist nur ungehalten, weil sie seit letzter Zeit so ungeheuer zimperlich und spröde geworden ist.«

»Spröde? Das war sie doch früher nicht. Man hat sich mit ihr stets sein Vergnügen machen können.«

Das Mädchen zuckte die Achseln, warf den Mund auf und meinte:

»Hm! Sie hat einen Anbeter.«

»Einen Anbeter? Einen Geliebten? Donnerwetter! Wer ist der Kerl? Kenne ich ihn?«

»Nein. Du bist ja längere Zeit nicht hier gewesen. Er ist ein Fremder, der erst seit einiger Zeit hier verkehrt!«

»Dann ist Vater Main sehr unvorsichtig geworden!«

»Wieso?«

»Nun, einen Fremden läßt man doch nicht so schnell einheimisch werden, daß er den Stammgästen das Mädel wegschnappt.«

»O, er schnappt noch Anderes weg.«

»Was?«

»Das Geld.«

»Ah! Er spielt?«

»Ja, und zwar sehr gut.«

»Bei Euch? Da oben?«

Dabei machte der Frager eine geheimnißvolle Fingerbewegung nach der Decke zu.

»Natürlich da oben!«

»Wagt man denn nicht zu viel, ihn da einzuweihen? Ist er einer der Unserigen?«

»Er gehört zu uns. Es ist ein Changeur.«

Dieses Wort bedeutet eigentlich einen Geldwechsler, war aber hier im Sinne eines Wechselfälschers gemeint.

»Ein Changeur? Ja, diese Leute machen viel Geld; sie können spielen, und zwar hoch spielen. Zu diesem gefährlichen Geschäfte gehören feine und gescheidte Köpfe. Wie heißt er?«

»Er sagt es nicht. Wir nennen ihn nur den Changeur. Er ist außerordentlich vorsichtig. Sally aber nennt ihn ihren Arthur.«

»Wo ist er her?«

»Er sagt, daß er aus den Pyrenäen stamme.«

»Ob es wahr ist!«

»Jedenfalls. Er spricht ganz den Dialect, welcher in Foix oder Roussillon gebräuchlich ist. Uebrigens ist er ein ganz charmanter Kerl, der keinen Spaß verdirbt und gewöhnlich Das, was er im Spiele gewinnt, wieder zum Besten giebt.«

»Da ist er ein Mann! Das liebe ich. Ein gescheidter Mensch, welcher aus den Taschen der Reichen lebt, darf gegen seine armen Kameraden nicht knausern. Wird er heute kommen?«

»Das ist unbestimmt. Er ist seit einigen Tagen nicht hier gewesen. Darum macht die Sally ein solches Gesicht. Das alberne Mädchen denkt, er ist ihr untreu geworden.«

»Pah! Was wäre das weiter! Ist es Der nicht, so ist es Jener! Komm, Sally; trinke mit mir!«

Die Angeredete machte eine abwehrende Bewegung. Darum wendete der Sprecher sich zu der Anderen:

»Bei Gott, Du hast Recht! Sie ist spröde geworden. Der Teufel hole die Frauenzimmer!«

»Mich auch mit?« fragte sie lachend.

»Nein. Um Dich zu bekommen, soll er noch längere Zeit warten. Du bist immer ein gutwilliges Kind gewesen. Komm; trink, und gieb mir einen Kuß!«

Sie erhob sich, trat zu ihm hin, trank sein Glas halb leer und küßte ihn dann in das hagere, abgelebte und abgeschminkte Gesicht. Es war ein häßlicher Anblick, die Zärtlichkeit zu sehen, welche dieses verworfene Mädchen dem alten Manne erwies. Die Anderen lachten.

»Wohl bekomme es, Lermille!« rief einer der Gäste. »Du machst ja ein Gesicht, als habest Du eine Delicatesse genossen, welche Dir seit langer Zeit nicht zu Gute gekommen ist.«

»Es ist auch so!« antwortete er, mit der Zunge schnalzend.

»Das mache nur uns nicht weiß! Wir kennen Dich! Wir wissen Alle, daß Deine Stieftochter Deine Geliebte ist. Wo hast Du sie?«

Der Alte erbleichte, und seine Augen erhielten einen eigenthümlichen ängstlichen Flimmer. Er antwortete:

»Ich habe sie nicht mehr.«

»Nicht mehr? Wo steckt sie denn?«

»Sie ist todt.«

»Todt? Unmöglich! Dieses kräftige, strotzende Mädchen, um die ich Dich und Andere oft beneidet haben, ist todt? An welcher Krankheit ist sie denn gestorben?«

»Hm! An der Seilerkrankheit.«

»Der Kukuk soll mich holen, wenn ich von dieser Krankheit jemals Etwas gehört habe!«

»Ich meine, sie ist vom hohen Seile gestürzt.«

»Donnerwetter! Ist das wahr?«

»Natürlich! Ich bin ja dabei gewesen!«

»Das ist ein ungeheures Pech für Dich. Die verdiente ein schönes Geld, und Du wärst gut mit ihr verkommen,


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wenn sie nicht die dumme Angewohnheit gehabt hätte, mit Andern mehr zu liebäugeln als mit Dir.«

»Das ist ja auch ihr Tod gewesen.«

»Wieso?«

»Nun, sie hatte sich Einen angeschafft, einen armseligen Kräutersammler. Auf ihm hat sie die Augen gehabt und nicht auf dem Seile. Darum hat sie die Balance verloren und ist herunter gefallen.«

»War sie gleich todt?«

»Sofort. Das war noch ein Glück. Sie hatte alle Rippen und Glieder gebrochen.«

»Wo ist das geschehen?«

»In Thionville. Aber sprechen wir nicht weiter davon. Ich mag von dieser Angelegenheit nichts mehr hören.«

»Warst Du da noch bei der Truppe des Abu Hassan?«

»Ja.«

»Warum hast Du sie verlassen? Er zahlte ja so gut.«

»Ich mochte nichts mehr vom Geschäfte wissen, nachdem ich so elender Weise um das Mädchen gekommen war.«

»Und was treibst Du nun? Wovon lebst Du jetzt?«

»Was geht das Dich an! Kümmere Du Dich um Deine Angelegenheiten, aber nicht um die meinigen! Jetzt privatisire ich.«

»Alter, das glaube ich nicht.«

»Nicht? So! Warum nicht?« fragte der einstige Bajazzo, welcher der Mörder seiner Stieftocher war, im höhnischen Tone.

»Weil zum Privatisiren Geld gehört.«

»Nun, wer sagt Dir denn, daß ich keins habe?«

Der Andere machte ein erstauntes Gesicht und antwortete:

»Ah! Du hast welches? Das ist etwas Anderes! Aber wissen möchte ich doch, wie Du so plötzlich reich geworden bist. So lange ich Dich kenne, ist Alles, was Du verdientest, Dir durch die Gurgel gerollt. Erspart hast Du Dir keine Centime. Ich denke mir, Du hast irgend einen klugen Streich verübt.«

»Wenn es so wäre, was gehet es Dich an.«

»Richtig! Mich geht es ganz und gar nichts an. Aber komme einmal her, Alter! Ich muß Dir doch einmal in Dein versoffenes Spitzbubengesicht sehen.«

Der Bajazzo sträubte sich, aber vergebens. Der Andere drehte seinen Kopf nach sich herum, betrachtete erst das Gesicht und dann auch den Anzug des Akrobaten und sagte dann:

»Dieses Gesicht kenne ich, und diesen Anzug auch. Als Ihr in Remilly arbeitetet, trug ihn Dein College, welcher den Herkules machte. Dir sind Rock, Hose und Weste viel zu weit. Und von so einem Director, wie Abu Hassan, der Zauberer war, geht man als armer Bajazzo nicht einer bloßen Gefühlsregung wegen fort. Ich traue Dir überhaupt verteufelt wenig Gefühl und Gemüth zu. Du hast das Alles im Branntewein ersäuft. Ich glaube ganz richtig zu ahnen, wenn ich vermuthe, daß Du Deiner Gesellschaft mit der Kasse und in diesem fremden Anzuge durchgegangen bist.«

»Unsinn!«

»Pah! Gestehe es nur ein, Alter!«

Da riß sich der Bajazzo los und meinte zornig:

»Ich wiederhole Dir, daß Du Dich ganz und gar nicht um meine Angelegenheiten zu bekümmern hast, Du nicht und auch kein Anderer.«

»Und ich wiederhole Dir, daß Du damit ganz recht gesprochen hast. Aber ich wollte Dir nur zeigen, daß ich Dich durchschaue. Uebrigens sind wir, die wir hier sitzen, überhaupt Alle, welche hier verkehren, gute Kameraden, von denen Keiner den Andern verräth. Was ich gesagt habe, kann Dir also nicht den geringsten Schaden machen. Und darum denke ich, daß Du Deinen Freunden einige Flaschen anbieten wirst, da Du jetzt so gut bei Mitteln bist.«

»Das fällt mir gar nicht ein. Ich habe nicht so viel Geld, wie Du vielleicht denkst, und muß damit langen, bis ich wieder eine neue Stellung habe.«

»Geizhals! Eigentlich hast Du, da Du so lange Zeit nicht hier gewesen bist, wieder Einstand zu zahlen, und so denke ich - - na, er soll Dir erlassen bleiben; denn da kommt Einer, der nicht so knaußerig ist wie Du.«

Bei diesen Worten drehte er sich nach der Thür, durch welche ein neuer Ankömmling eingetreten war.

Dieser war ein junger, vielleicht achtundzwanzigjähriger Mann mit angenehmen, sogar männlich schönen Gesichtszügen. Das ziemlich kurz verschnittene Haar war ebenso wie der volle Schnurrbart, welcher seine Oberlippe buchstäblich zierte, von tief schwarzer Farbe, gegen welche der helle Teint frappirend abstach. Seine Gestalt war nicht zu hoch, aber breit und kräftig gebaut. Er machte trotz des einfachen Anzuges, welchen er trug und dessen Haupttheil in einer blauen Leinwandblouse bestand, einen sehr angenehmen, fast möchte man sagen, an diesem Orte distinguirten Eindruck.

»Das ist der Changeur!« rief der vorherige Sprecher. »Willkommen! Warum bist Du an den letzten Tagen nicht dagewesen?«

Der Ankömmling bekam von Allen die Hände. Sally, die Kellnerin, war mit einem lauten Freudenschrei aufgesprungen und ließ ihm gar keinen Augenblick Zeit, auf Gruß und Frage zu antworten.

»Endlich, endlich kommst Du!« rief sie, indem sie beide Arme um ihn schlang. »Wo bist Du während dieser langen Zeit gewesen?«

»Lange Zeit?« fragte er unter einem seltsamen Lächeln, welches wohl freundlich sein sollte, aber einen mühsam niedergedrückten Widerwillen doch nicht ganz zu verbergen vermochte. »Es sind ja nur drei Tage!«

»Aber dennoch eine Ewigkeit für meine Sehnsucht! Warum bist Du nicht gekommen?«

»Geschäfte!« antwortete er unter einem leichten Achselzucken.

»Sind sie Dir gelungen?«

»Wie stets!«

»Ja, Du bist ein kluger Kopf!« meinte sie stolz. »Du wirst Dich nie erwischen lassen. Komm! Du mußt mir erzählen!«

Sie wollte ihn nach ihrem vorigen Sitze ziehen; er aber wehrte ab und antwortete:

»Später, Sally! Ich darf die Kameraden nicht vernachlässigen; auch habe ich vor allen Dingen Durst. Gieb mir Wein; aber vom Guten. Verstanden? Und diesen Messieurs bringst Du drei Flaschen Absynth. Sie trinken dieses starke Zeug lieber als den Wein. Wenn man gute


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Geschäfte gemacht hat, muß man auch die Kameraden leben lassen.«

»Siehst Du, Bajazzo, daß der Changeur nobel ist?« fragte der frühere Wortführer. »Er beginnt zu regaliren, nachdem er kaum hereingetreten ist!«

Der Changeur nahm bei den Uebrigen Platz, während Sally sich schmollend über seine Weigerung, sich zu ihr zu setzen, entfernte, um das Verlangte herbei zu holen.

»Bajazzo?« fragte er, den Alten betrachtend. »Ein neuer Kamerad?«

»Ja. Ein alter Sünder, dem man Vertrauen schenken kann.«

»In was arbeitet er?«

»In Allem. Er nimmt mit, was er bekommen kann. Der Mann war nämlich bei der Truppe eines maurischen Gauklers, den man Abu Hassan, den Zauberer nennt. Dort ist seine Stieftochter, die Thurmseilkünstlerin, vom Seile gestürzt und hat den Hals gebrochen, und vor Schmerz darüber ist er der Gesellschaft mit der Kasse und diesem prachtvollen Anzuge durchgebrannt.«

»Schuft!« rief der Bajazzo.

»Schweig!« rief der Andere. »Deine Art und Weise kenne ich! Ah, da kommt der Wein und der Absynth. Laßt uns einschenken und anstoßen! Wer weiß, wie oft wir noch in dieser Weise beisammen sein können.«

»Hast Du Sorge, daß man Dich erwischt und einsteckt?« fragte die Kellnerin, welche vorhin dem Bajazzo einen Kuß gegeben hatte.

»Halte das Maul, Betty! Es handelt sich hier um ganz andere Dinge!«

»Wichtige natürlich!« meinte sie schnippisch.

»Ja, sehr wichtige!«

Er schenkte sich und den Andern ein und erhob sich dann.

»Stoßt an!« forderte er sie auf. »Der alte Capitän soll leben!«

Sie stießen zwar mit an, waren aber über diesen unerwarteten Toast so erstaunt, daß sie zu trinken zögerten.

»Der alte Capitän? Wer ist das, Levier?« fragte Einer von ihnen.

Das französische Wort Levier bedeutet Brechwerkzeug, Brecheisen. Diesen Namen trug der Mann, eine deutliche Erklärung des Handwerkes, welches er betrieb.

»Wer der alte Capitän ist?« meinte er. »Ich dachte, daß es doch wenigstens Einen unter Euch geben werde, der ihn kennt oder doch von ihm gehört hat. Ich habe ihn auch noch nicht gesehen; aber es steht zu erwarten, daß die Zeit bald kommt, in welcher wir ihn kennen lernen werden. Dann blüht unser Weizen; dann wird es viel, viel besser für uns, als es jetzt ist. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Wieso? Rede! Sprich!« erscholl es von allen Seiten.

Auch Sally kam herbei, um die Sache mit anzuhören. Sie setzte sich neben den Changeur und legte ihm vertraulich die Hand auf die Schulter. Er zuckte bei dieser Berührung leicht zusammen, ließ es ihr aber weiter sonst nicht merken, ob diese Annäherung ihm angenehm sei oder nicht.

»Nun,« begann Brecheisen seine Erklärung mit wichtiger Miene. »Ihr wißt doch, daß der Marschall Niel schon längst unserer Armee eine neue Organisation gegeben hat?«

»Natürlich weiß ich das!« antwortete sein Nachbar.

»Ja, Du vor allen Dingen mußt das wissen, Rossignol. Du warst ja ganze drei Monate Soldat, machtest dann aber lange Finger und mußtest dann am Schlusse der Strafzeit das Unglück haben, daß man Dich nicht mehr bei der Armee sehen wollte.«

Rossignol heißt Nachtigall, aber auch Dietrich. Der also Genannte war also auch ein Einbrecher. Er lachte und sagte dann:

»Ja; sie meinten, ich hätte keine Ehre mehr. Dummheit und Ehre! Ich kam auf diese Weise vom Militärdienste frei. Aber fahre doch fort, Brecheisen!«

»Nun,« ließ der Andere sich weiter vernehmen, »schon als im Jahre Siebenundsechzig wegen der luxemburgischen Frage der Tanz beginnen sollte, bildeten sich Schützengesellschaften, welche den Namen Sociétés des Franc-tireurs erhielten. Die Sache schlief leider damals ein, denn dieser Bismarck wagte es, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Jetzt aber ist alle Aussicht vorhanden, daß diese Gesellschaften Arbeit erhalten werden.«

»Wieso denn?«

»Das fragst Du noch? Weißt Du denn eigentlich, was man unter einem Franctireur versteht?«

»Nun, einen bewaffneten Franzosen, welcher das Recht hat, jeden Feind seines Vaterlandes niederzuschießen.«

»Das ist richtig und doch auch falsch. Schon jeder Soldat der Linie und der Mobilgarden wäre dann ja ein Franktireur. Man beabsichtigt allerdings, Gesellschaften von freien Schützen zu bilden und sie den verschiedenen Armeecorps beizufügen. Das sind dann Privatleute, welche vom Kaiser das Recht erhalten, ihr Vaterland zu vertheidigen. Kein Völkerrecht kann ihnen Etwas anhaben. Selbst wenn man sie ergreift, müssen Sie als einfache Kriegsgefangene behandelt werden, welche man ordentlich verpflegt und nach dem Friedensschlusse wieder frei läßt. Aber ich meine, es ist sehr gut, für das Vaterland zu kämpfen, noch besser und gescheidter aber ist es, für sich selbst ein wenig den Freischützen zu spielen. Ist das nicht wahr, Dietrich?«

»Das denke ich auch!« antwortete der Gefragte.


Ende der einundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Die Liebe des Ulanen

Karl May – Forschung und Werk