Lieferung 108

Karl May

18. August 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»So bitt, zeig mir dieselbige!«

Leni führte die alte, besorgte Frau nach der Thür derselben. Als sie klinkte, fand sie diese verschlossen.

»Er ist drin,« sagte sie. »Klopf so lange, bis er öffnet, und laß nicht los. Es könnten ihm sonst dumme Gedanken kommen.«

Sie entfernte sich, und die Frau begann zu klopfen. Sie that dies lange vergeblich. Endlich hörte sie drinnen rufen:

»Wer ist draußen?«

Die Stimme klang so eigenthümlich, ganz anders als diejenige ihres Sohnes.

»Ich bins, Deine Muttern,« antwortete sie.

»Was soll ich?«

»Mach auf, und laß mich eini!«

»Ich kann Dich nicht brauchen.«

»Sei doch gut, und laß mich hinein! Ich möcht mit Dir reden, Anton.«

»Später!«

»Nein, jetzund.«

»Mutter, ich bitt, laß mich allein!«

»Nein, grad allein sollst nicht sein, und wannst mir nicht aufmachst, so hol ich alle Andern herbei und mach halt einen Spektakeln!«

Die Angst gab ihr diese Drohung ein, welche nicht ohne Erfolg blieb, denn er öffnete die Thür und sagte:

»So komm! Wirst Dich aberst nicht gar sehr an mir erlustiren.«

Er kehrte sogleich wieder auf den Stuhl zurück, auf welchem er gesessen hatte. Seine Mutter machte die Thüre zu und trat näher.

»Herrgottle, wie schaust aus!« rief sie erschrocken, als sie sein Gesicht erblickte.

Es war alle Farbe aus demselben gewichen. Er sah in diesem Augenblicke um dreißig Jahre älter aus, als er war.

»Gefall ich Dir nicht?« fragte er.

Es klang wie Selbstironie und wie ein tiefer, tiefer Schmerz aus seinem Tone. Seine Stimme war belegt; sie hatte eine Klangfarbe, die noch niemals an ihr wahrgenommen worden war. Er saß gebückt, die Ellbogen auf den Knieen und das Gesicht in die Hände gelegt. Sein Auge hatte einen fast irren Blick und einen fieberhaften Glanz.

»Nein,« antwortete sie. »So gefallst mir freilich nicht, gar nicht, Anton!«

»Ich sollt meinen, daß ich Dir und dem Vatern schon lange nicht gefallen hätt!«

»Warum?«

»Weil ich so ein Wüster und Unguter war.«

»Anton, sag das doch nicht!«


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»Ich muß es sagen, weil es die Wahrheiten ist. Ich bin allezeit ein schlechter Bub gewest.«

»Kind, Kind! Willst mich zum Weinen bringen!«

»Nein, Mutter, weine nicht! Wirst gar oft schon über mich weint haben. Ich seh Dirs halt an. Hast vor Leid weint über mich und auch gar vor Hunger.«

»Nein, nein! Wir haben allzeit was zu essen habt. Da brauchst Dich nicht zu sorgen.«

»Nein, nix habt Ihr habt, gar nix, wann die Leni Euch kein Geld schickt hat.«

»Aber sie hat doch immer welches schickt!«

»Und von dem Sohne habt Ihr keins erhalten!«

»Weil wir nachhero keins brauchten.«

Er schüttelte den Kopf, zeigte auf einen Stuhl, welcher ganz in seiner Nähe stand, und sagte:

»Setz Dich herbei, Mutter! Ich muß mit Dir reden.«

Sie befolgte diese Weisung und nahm Platz.

»Schau, Mutter,« fuhr er fort, »das ist heut ein Tag, wie ich noch keinen derlebt hab. Ich hab nicht denkt, daß so was möglich sein könnt. Ich hab immer denkt, daß ich Derjenige bin, der da Recht hat und nach dem sich alle Anderen richten müssen. Nun aberst ists kommen, so plötzlich und so gewaltig wie der Schlag einer Keulen. Es hat mich beinahe niederworfen.«

»Darfsts Dir halt nicht so zu Herzen nehmen.«

»Weißt denn, was es ist?«

»Ja.«

»Von dera Leni?«

»Sie wird eine Gräfin.«

»Ja, das ists! Schau, ich hätt also eine Gräfin zur Frau haben konnt, wann ich anderst gewesen wär!«

»Mußt halt denken, daß es auch noch andere Dirndln giebt!«

»Aberst eine solche nicht.«

»Mußts nur suchen!«

»Nein. Eine Leni giebts halt nicht wieder. Das weiß ich schon ganz gewiß. Ich war gar nicht werth, daß sie mir gut gewest ist. Ich hab einen Edelstein in dera Handen habt, einen gar kostbaren Diamanten. Den hab ich verkannt und für ein Stuckerl schwarze, schmutzige Kohle gehalten.«

»Meinst die Leni?«

»Ja. Sie war dera Diamant, den ich wegworfen hab. Dann ist ein Anderer kommen, der besser war und klüger als ich; der hat ihn aufgehoben. Als ich das vorhin erfuhr, hab ich denkt, daß dera Edelstein wiederum mein werden muß. Aberst damit ist es halt aus. Ich hab mein Recht verloren, und ein Menschenkind ist doch auch keine Sach, die man wegwirft und sodann wiederum wegnehmen kann, ganz so, wie es Einem beliebt.«

Er hatte in scheinbar ruhigem Tone gesprochen; aber seine Stimme klang


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gepreßt, und er schluckte zwischen den einzelnen Worten und machte Pausen, als ob ihm das Reden sehr schwer falle.

Die alte Frau fühlte, daß die Rede ihn quälte, daß er sich selbst wehe that.

»Anton,« bat sie, »sprich doch lieber nicht davon! Es ist nicht gut.«

»O, es ist schon gut. Wann die Wunde heilen soll, muß man das wilde Fleisch herausi schneiden. Und das will ich jetzt thun.«

»Aberst das thut weh!«

»Das ist recht so, denn ich habs verdient. Ich habs schon ganz allein an Euch verdient.«

»Das sollst doch nicht sagen!«

»Es ist ja wahr! Habt Ihr denn nicht wartet, auf mich, auf einen Briefen von mir oder auf ein Geldl, das ich Euch schicken sollt?«

»Das schon zuweilen.«

»Aberst es ist nix kommen! Habt Ihr da nicht zankt und raisonnirt?«

»Ich nicht,« gestand sie.

»Du nicht, aber dera Vatern?«

»Ja, der freilich. Ich hab zuweilen weinen mußt, und da hat dera Vatern sich auch die alten Augen wischt und nachhero schimpft.«

»Schau, sogar weint habt Ihr über mich!«

»Da sind die Leutln schuld gewest, die dem Vatern von Dir verzählt haben.«

»So! Habens verzählt?«

»Oft.«

»Wer denn?«

»Die in Wien gewest sind und denen sie es sagt haben.«

»Und was haben sie sagt?«

»Daß wir hungern müssen und daßt aber Du herrlich und in Freuden lebst.«

»Herrgott! Das, das habt Ihr derfahren?«

»Es ist doch nicht wahr gewest.«

Sie sagte das im entschiedensten, zuversichtlichsten Tone. Er aber war in der kurzen Zeit dieser wenigen Minuten ein ganz Anderer geworden. Er gestand aufrichtig:

»Es ist wahr, Muttern; es ist wirklich wahr!«

»So schlimm aberst doch nicht?«

»Noch schlimmer!«

»Nein, Anton, nein!«

»O doch! Das will ich Dir gleich zeigen.«

Er zog eine wohlgefüllte Brieftasche hervor, legte sie ihr in die Hand und sagte:

»Wiegs einmal in dera Hand!«

Sie hob und senkte prüfend die beschwerte Hand und fragte:

»Was ist drin? Wohl gar ein Geldl?«

»Ja. Rath mal, wie viel!«


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»Das kann ich nicht derrathen.«

»Ja, da hast Recht. Das kannst nicht derrathen, denn es ist gar zu viel für Deine Gedanken.«

»Es sind wohl Kassenbilleterls?«

»Lauter Hundertmarkscheinen.«

»Herr, mein Gott! Soll ich das glauben!«

»Ja, und es sind auch noch größere Scheinen dabei. Es sind sechzigtausend Mark.«

Sie fuhr vom Stuhle auf.

»Glaubsts wohl nicht?« fragte er.

»Nein.«

»Ich war in Amerika, wo ich für meinen Gesang gar viel bekommen hab. Noch viel, viel mehr als das hier in dera Brieftaschen, aber ich hab viel verlebt und verspielt.«

»Anton!«

»Ja, so ein schlechter Kerlen bin ich gewest.«

Er legte nun seiner neben ihm sitzenden Mutter eine aufrichtige Beichte ab. Sie weinte vor Schmerz und doch auch vor Wonne, und das half auch ihm zu Thränen, die wie eine Erlösung auf sein Gemüth wirkten. Die Reue hatte ihn gepackt, und aller Haß, alle Rache, aller Zorn war verschwunden.

»Wirst mir vergeben können?« fragte er, als er geendet hatte.

Sie schlang die Arme um ihn und erklärte unter Schluchzen:

»Anton, Du weißt gar nimmer, was eine Muttern ihrem Kind vergeben kann. Schlecht bist doch nicht gewest, sondern nur leichtsinnig, und das wird halt besser werden.«

»Von heut an wirds anderst, von heut an!«

»Ja, Anton. Hier hast Dein Geldl. Wannst einmal ein paar Guldln übrig hast, wirst nun an uns denken.«

»Nein, ich nehms nicht wieder.«

»Ich kanns doch nicht behalten!«

»Behalten sollsts, behalten mußts, Du und dera Vatern. Es ist Euer.«

»Was!« rief sie fast bestürzt. »Unser soll es sein? So ein großes Geld!«

»Es ist Euer. Ihr sollt Euch das Häusle vorrichten. Das Uebrige thun wir auf Zinsen, von denen Ihr leben könnt.«

»Dann hast doch Du aber nix!«

»O, ich hab noch hier in dera Börs lauter Goldstuckerln, fast an die tausend Mark. Für die heutige Vorstellung erhalte ich auch ein fein Spielhonorar. Das kann ich ja gar nicht verbrauchen. Und nun nehm ich ein Engagement an einem großen Theatern, oder ich geb Concerten. Da sollst halt schauen, was für ein Geldl ich verdienen thu.«

»Und das darf dera Vatern wissen?«

»Natürlich muß er es wissen!«

»Herrgott, Herrgott! Was für ein Glück ist das, was für ein Glück!«

»Wo ist er denn?«


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»Draußen wird er noch stehen, im Himmel, wo die Göttern wohnten.«

»So werd ich ihn gleich holen.«

»Nein, ich hol ihn, ich selbst!«

Sie eilte hinaus und kehrte nach wenigen Minuten mit ihrem Manne zurück.

Die nun folgende Scene läßt sich gar nicht beschreiben. Die beiden Elternherzen konnten die Wonne kaum fassen, und Anton lag entzückt bald an der Brust der Mutter und bald am Herzen des Vaters. Er war ja niemals ein wirklich böser, schlechter Mensch gewesen, und wenn seine Eltern seinen Leichtsinn verziehen, so durften Andere sich nicht unterfangen, ihn zu verdammen.

Er war ein armer Teufel gewesen, ungewohnt, mit dem Gelde umzugehen. Als ihm dann das Glück und seine Stimme so große Summen in den Schooß warfen, war es da zu verwundern, wenn er sich selbst für eine Zeit verlor?

Es ist ja ein ewig wahres Bibelwort: »Ich aber sage Euch, im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße thut als über neunundneunzig Gerechte!«

Als sie sich dann endlich ausgesprochen hatten, kehrten sie auf die Bühne zurück, wo die glücklichen Paare sich fleißig im Tanze drehten.

Leni sah sie kommen. Sie machte den Grafen auf die frohen Gesichter aufmerksam:

»Schau den Anton an, lieber Arnim! Was sagst Du zu seinem Gesichte?«

»Hm! Seine Augen strahlen vor innerer Fröhlichkeit. Ich glaube, meine Leni hat da wirklich etwas Gutes angestiftet.«

»Ich hab auch still zum Herrgott gebeten, daß er es gelingen lassen möge.«

Da kam Anton herbei. Er streckte dem Grafen die Hand entgegen und sagte:

»Ich komme, um mir Ihre Verzeihung zu erbitten. Werde ich sie erhalten?«

»Gern, Herr Warschauer.«

»Und bin ich so ein schlechter Kerl, daß Sie mir Ihre Hand nicht geben?«

»Nein. Sie sind ein Anderer, wie ich zu meiner großen Freude sehe. Hier ist die Hand. Hoffentlich darf ich Sie nun wieder zu den Ehrenmännern rechnen.«

»Fragen Sie meine armen, alten, guten Eltern! Die werden Ihnen sagen, unter welche Abtheilung von Menschen ich jetzt nun zu rechnen bin. Und nun erlauben Sie mir auch, ein Wort zu Ihrer Braut zu sagen!«

Als er jetzt das herrliche Mädchen mit ruhigem, leidenschaftslosem Blicke betrachtete, sah er erst voll und ganz, was er verloren hatte. Es überkam ihn unendlicher Schmerz. Seine Augen füllten sich mit Thränen, und seine Stimme klang zitternd, als er sagte:

»Ich bin nicht gut gegen Sie gewesen, Leni, aber ich erleide meine Strafe, und so möchte ich Sie bitten, mir nicht mehr so gram zu sein wie bisher. Wollen Sie?«


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»Anton, ich war stets Ihre Freundin und bin es auch noch jetzt,« antwortete sie tief gerührt.

»Und wollen Sie es auch ferner bleiben, wenn natürlich auch nur aus der Ferne?«

»Gewiß. Sie sind brav. Sie sind für eine kurze Zeit am Herzen krank gewesen; aber jetzt sind Sie wieder gesund und werden es hoffentlich auch ferner bleiben.«

»Ja, ich bleibe es. Ich war sehr, sehr krank. Mein Arzt aber sind Sie gewesen. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Es hat bitter wehe gethan, sehr, sehr wehe. Nun aber bin ich kurirt und gebe Ihnen eine Hand des Dankes. Werden Sie mir nicht mehr zürnen?«

Sie schüttelte ihm nach kräftiger Gebirglerweise die dargebotene Hand und antwortete:

»Ich zürne nicht mehr. Haben Sie schon eine Dame, mit der Sie zu Tische gehen?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Natürlich meine Mutter. Ich bin stolz auf sie.«

»Das ist sehr schön! Anton, dafür muß ich Ihnen gut sein. Richten Sie es so ein, daß Sie neben mich zu sitzen kommen!«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Ja. Und noch Eins!«

Sie sah auf ihre Tanzkarte.

Sie sah auf ihre Tanzkarte und fuhr dann unter einem neckischen Lächeln fort:

»Ich habe da noch einen Walzer frei, den ich für Sie aufgehoben habe. Darf ich Ihren Namen dazu notiren?«

Sein Gesicht röthete sich.

»Leni,« fragte er, »haben Sie ihn mir wirklich aufgehoben, oder denken Sie erst jetzt daran, ihn mir zu geben?«

»Ich sage die Wahrheit, wenn ich gestehe, daß ich Ihnen denselben absichtlich reservirt habe.«

»So haben Sie es vorhin also doch nicht gar so schlimm gemeint, als wie es schien?«

»O doch! Aber ich hegte das feste Vertrauen zu Ihnen, daß Sie sich finden würden.«

»Nun gut, ich hatte mich verloren, besitze mich aber vollständig wieder und freue mich, nun auch den Walzer zu finden, den ich vorhin verloren geben mußte.«

So war Alles glatt und geebnet, vergeben und vergessen, und der Mißton, welcher sich in das heutige Vergnügen hatte einschleichen wollen, war verstummt.

Da, wo sich die königliche Loge befand, waren die Gasflammen verlöscht worden, doch war dieselbe so hell erleuchtet, daß man die Gestalt des Monarchen bemerkte, welcher sich in dem Hintergrunde niedergelassen hatte. Er betrachtete


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mit stillem Vergnügen die so verschiedenartigen Gestalten der Leute, die ihm mehr oder weniger ihr Glück zu verdanken hatten.

Nach einiger Zeit wurden die Tafeln plazirt. Der Pächter der Theaterrestauration begann, die Erzeugnisse seiner Kochkunst auftragen zu lassen.

Nun gab es bunte Reihe. Der Sepp hatte den Vorsitz, aber er war besorgt gewesen, neben sich zwei Damen zu haben, nämlich rechts die alte Barbara aus der Hohenwalder Mühle und links die alte Feuerbalzern.

Dann kamen sie Alle, wie sie sich zufällig zusammen fanden oder nach vorhergegangener Vereinbarung setzten:

Der Graf mit der Leni, neben dieser Letzteren der Anton mit seiner Mutter. Darauf folgte der früher blinde, jetzt aber sehr gut sehende Kronenbauer aus Kapellendorf mit der Mutter Ludwig Helds aus Oberdorf.

Da saßen Manche neben einander, welche sich vorher noch nie getroffen oder gesprochen hatten.

Einer der Stolzesten war der alte, brave Finkenheiner, welcher natürlich bei seiner Frau saß. Sein leuchtender Blick hing an seinen glücklichen Kindern, welche zu beiden Seiten der Eltern saßen, die Liesbetherl beim Müllerhelm und Anita, die Italienerin, bei dem Elephantenhanns, den sie mit Lorbeeren geschmückt hatte.

War das eine Freude und Herrlichkeit! Der alte Sepp betrachtete sich im Stillen als Mitschöpfer des Glückes aller Anwesenden. Er brachte den ersten Toast aus, natürlich auf den König. Alle erhoben sich und die Hochs wollten gar kein Ende nehmen.

Die braven, einfachen Leute waren wohl nicht für große Reden prädestinirt; aber bald riß ein wirkliches Toastfieber ein. Ein Jeder hielt eine Rede, natürlich auf irgend eine der anwesenden Damen.

Bald bekamen auch die Frauen und Mädchen Muth. Leni war die Erste, welche auf den Sepp toastete. Die Andern folgten. Es wäre ja eine wahre Schande gewesen, da zurück zu bleiben. Und als endlich gar der Champagner erschien, so öffneten die schaumig perlenden Tropfen auch der Muthlosesten den Mund.

Den letzten Toast hielt Einer, der sich mit seinen beiden Kameraden bisher schweigsam verhalten hatte.

»Du,« sagte der Frenzel leise zum Wenzel, »meinst Du nicht auch, daß wir was sagen müssen?«

»Natürlich! Wir können doch nicht so umsonst mit essen und trinken.«

»Die Wenzelei muß sich sehen lassen!«

»Freilich! Was sagst Du dazu, Menzel?«

»Ja, redet nur!« antwortete der Genannte.

»Wir? Nein, Du mußt reden!«

»Warum ich?«

»Weil Du der Oberste bist.«

»Ach ja, ich bin doch dera Herr Musikdirectoren! Also muß ich die Red loslassen.«


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»Thue es! Klopf ans Glas und steh auf!«

»Ja, das wird nicht leicht gehen.«

»Warum?«

»Ich fühls schon: Ich komm nicht in die Höhe.«

»O, das thut nix. Wannst nur erst einmal aufi bist, nachhero werd ich schon dafür sorgen, daßt nicht wiederum zu schnell abi kommst.«

»Wie willst das anfangen?«

»Das ist meine Sach. Ich halte Dich.«

»So will ichs versuchen.«

Er wackelte und wankte empor und klopfte. Alles war still.

Er wollte beginnen. Aber als er alle Blicke auf sich gerichtet fühlte, wurde es ihm Angst. Er brachte kein Wort hervor. Da erbarmte sich der Violonfrenzel des Collegen. Er rief mit lauter Stimme:

»Der Clarinettenmenzel, der unser Director ist, will eine Red halten.«

»Los, los, anfangen!« rief es rundum.

Der Herr Musikdirectoren öffnete die Lippen. Er machte einige Gestikulationen, aber der Anfang wollte nicht kommen.

Da erbarmte sich der Frenzel abermals seiner. Er wollte ihm einhelfen und sagte darum, aber so laut, daß Alle es hörten:

»Fang an! Sag, meine verehrten Herrschaften!«

Das war Rettung in der höchsten Noth. Der Herr Director begann:

»Meine verehrten Herrschaf - - - meine verkehrten Ferrkaf - - keine vermehrten - - feine verkehrten - Herr - Verr - Kerr - Scherr - - Kreuzhimmeldonnerwettern! Ich komm nit in die richtigen verehr - - vermehr - - versehr - - verheerten - - o Du Unglück und Sauerkraut! Jetzunder ist die Wenzelei blamerirt! Jetzunder ist die ganze Wenzeleien zum Teufel! Aberst ich werd schon noch unsere Ehre retten. Nehmts also die Gläsern in die Hand, und trinkt auf alle Gesundheiten, die hier versammelt sind. Stoßt an! Dreimal hoch!«

Natürlich war ein gradezu homerisches Gelächter ausgebrochen, welches nur überschallt wurde von dem dreimal wiederholten Tusche des Orchesters.

Der König hatte diesen Patenttoast nicht gehört. Er hatte sich entfernt.

Dann aber, als die Tafel wieder abgetragen worden war, begann der Ball von Neuem. Die Fröhlichkeit war ein reine und ungetrübte, und als das Fest zu Ende war, erklang es allgemein:

»So einen Tag des Glückes haben wir noch nicht erlebt. Wir haben ihn unserm König zu danken. Frömmigkeit, Fleiß, Liebe und Treue, Treue vor allen Dingen dem Heerde, der Familie, dem Vaterlande und dem Herrscher, das ist der einzige und wahre Weg zum Glück!« - -

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Ende der einhundertachten Lieferung - Schluß folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk