Lieferung 21

Karl May

18. Dezember 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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zum Ende des Concertes dort zu bleiben, war aber, da er jetzt nicht gebraucht wurde, auf den Gedanken gekommen, für einige Augenblicke die freie Luft zu genießen. Da ganz in der Nähe eine Laterne brannte, sah er den unglücklichen Springer an der Mauer hängen und eilte herbei.

»Was Teufel!« meinte er. »Was für ein Vogel hat sich denn da gefangen?«

»Hilfe, Hilfe! Ssie mich loßmacken, ßehr, ßehr!« antwortete der Concertmeister.

»So sehr werde ich das nicht machen, mein Lieber. Sie hängen da sehr gut, um mir Antwort geben zu können. Wie kommen Sie denn in diese Falle?«

»Ich ßein keweßen im Karten.«

»Ah, im Theatergarten? Was haben Sie denn da eigentlich vorgehabt, he?«

»Ich - ich - ich ßein keweßen ßpaßier.«

»Ach so! Und wenn man in einem Garten spazieren geht, so spaziert man zugleich über die Mauer?«

»Ich hab wollen auf - auf Straßen.«

»Schön! Aber dazu haben Sie die Thüren nicht benutzt. Lieber Freund, das ist verdächtig. Ich arretire Sie. Sie werden mir nach der Polizeiwache folgen.«

»Ich arretiren? Oh, oh, oh! Ich kann nicht mit macken arretir!«

»So? Warum denn nicht?«

»Ich müssen ßpielen Violin bei Concert.«

»Sie? Mit spielen? Wer sind Sie denn da eigentlich, um diese Hauptsache nicht zu vergessen?«

»Ich ßein Signore Antonio Rialti.«

»Alle Teufel! Der Concertmeister?«

»Ja.«

»Können Sie das beweisen?«

»Ssehr kut, ßehr!«

»So! Dann begreife ich nur nicht, wie Sie in die Lage kommen können, sich während des Concertes, bei welchem Sie mitwirken müssen, hier an diese Mauer aufzuhängen. Ich werde Sie jetzt befreien, und sodann haben Sie die Güte, mir zum Herrn Director des Theaters zu folgen, der Sie legitimiren mag. Ich werde Sie emporheben, und versuchen, Ihre Arme aus den Aermeln Ihres Frackes zu ziehen. Also jetzt. Hopp, hoch!«

Er faßte ihn an und hob ihn hoch. Der Italiener wurde frei, doch nicht in der Weise, wie Beide es sich gedacht hatten. Nämlich er schnellte mit Armen und Beinen, um die Ersteren aus dem Fracke zu ziehen; dadurch stieß er den Polizisten in das Gesicht, so daß dieser ihn loslassen mußte. Dadurch verlor der Kleine natürlich den Halt, plumpste abermals nieder und - die Frackschöße zerrissen; er stürzte zu Boden.

»Oh Unklück, oh Schmerz!« rief er aus. »Da ich lieken im Dreck!«


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»Ja, da liegen Sie im Dreck; da haben Sie Recht. Doch hoffe ich, daß Sie nicht ewig hier liegen blieben. Ich habe Eile mit Ihnen.«

»Ich auck. Ich werd auferßtehn. Aber nun der Frack! Der ßein noch oben.«

»Na, den werden wir gleich herunterbekommen, nämlich, so viel noch davon oben hängt - ein halber Schößel.«

Der Italiener stand auf. Er untersuchte die anderthalb Schwalbenschwänze, welche noch an ihm hingen, und blickte dann hinauf, wo die fehlende Hälfte hing.

»Schlimm, ßehr schlimm!« sagte er.

»Ja, für den dort oben. Wollen Sie ihn wirklich noch herab haben? Er kann Ihnen nichts nutzen.«

»Nein. Ich kleik mir lassen geben ein ander Frack aus Karderoben vom Theater.«

»Das ist das Klügste. Aber wie sehen Sie denn hier vorn aus? Sind Sie auch auf dem Bauche spazieren gegangen und nicht blos auf der Mauer?«

"Wie sehen Sie denn aus?"

Es war ihm nämlich bei seinem Rutsch vom Baume die vordere Seite der Hose und Weste höchst unglücklich beschädigt worden. Der Kleine blickte an sich hernieder und jammerte:

»A poveretto me - ich Unklücklicker!«

»Ja, und hier!«

Er hob die anderthalb Schwalbenschwänze empor, unter denen auch die Hose einen bedeutenden Riß aufzuweisen hatte. Der Concertmeister fühlte nach hinten, betastete den Defect und rief:

»Auk da! Oh weh, oh weh!«

»Freilich! Sie sind überall und auf allen Seiten in schweren Verlust gerathen. Wenn wir in das Theater gehen, werden wir uns sehr in Acht nehmen müssen, daß Sie nicht von unberufenen Augen begutachtet werden. Kommen Sie! Ich hoffe, daß Sie mir nicht während der wenigen Schritte ausreißen!«

»Außenreißen! Ich! Wie können ich außenreißen bei dießer Toilette!«

»Schön! Also vorwärts!«

Er führte ihn fort. Als sie in das Portal traten, hielt sich der Polizist stets so, daß der Schatten auf den Kleinen fiel. So brachte er ihn mit vieler Mühe und Vorsicht bis nach der hinteren Treppe. Da erklangen die Violintöne des Fex. Der Concertmeister blieb, wie vom Schlage gerührt, einen Augenblick lang stehen.

»Verrath, Verrath!« rief er dann plötzlich. »Man ßpielen mein Sstück, mein Sstück!«

Er rannte fort, so schnell er konnte, der Polizist natürlich hinter ihm her, da der Gedanke sehr nahe lag, daß der Flüchtling einen falschen Namen angegeben und sich nach dem Theater hatte bringen lassen, um dort, wo es mehrere Thüren gab, eine gute Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.

So ging der Dauerlauf die Treppe empor, durch mehrere Gänge bis an


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das erste Garderobezimmer, aus dessen Thür der im Theatergebäude stationirte Feuerwehrmann trat, welcher drin zu thun gehabt hatte. Er sah die Beiden gerannt kommen, den Polizisten hinterher. Natürlich nahm er an, daß der Vorauseilende ein flüchtiger Erdenbewohner sei, nach dem die Polizei sich sehne, und fing ihn in seinen starken Armen auf.

»Halt, halt!« sagte der Kleine. »Ich müssen fort, fort, ßokleick weiter!«

»Nein, Sie bleiben!« antwortete der Feuerwehrmann. »Und übrigens haben Sie hier ganz still zu sein, um nicht zu stören, sonst gebe ich Ihnen Eins auf den Schnabel!«

Er holte mit dem Arme aus, um seiner Verheißung Nachdruck zu geben. Das imponirte dem Signor, und er wagte nun nur noch die Bitte, ihn zum Director zu bringen.

Dies geschah natürlich. Als der Leiter des Kunsttempels den Arrestanten erblickte, kam er ihm schnell entgegen.

»Um Gotteswillen! Wo haben Sie gesteckt?«

Der Gefragte antwortete nicht. Er hörte sein eigenes Stück, und zwar viel besser und genialer vorgetragen, als er es vermocht hätte. Das benahm ihm den Athem.

»An der Mauer hat er gehangen, hier mit dem Frack. Da, sehen Sie, Herr Director.«

Bei diesen Worten faßte der Polizist den Signor; der Feuerwehrmann griff auch mit zu, und so wirbelten sie ihn mehrere Male um sich selbst herum, so daß alle seine Lecke, welche er beim heutigen Schiffbruche davongetragen hatte, in eminentester Weise zum Vorschein kamen.

»An der Mauer? Der Herr Concertmeister?« fragte der Director. »Das ist ja gar nicht möglich!«

»Sie müssen es doch seiner Kleidung ansehen!«

»Ja, die sieht freilich schrecklich aus, schrecklich!«

»Also dieser Herr ist in Wahrheit Signor Rialti?«

»Ja.«

»Sie recognosciren ihn als denselben?«

»Ja.«

»Er ist nämlich mein Arrestant.«

»Was! Alle Teufel! Wen hat er denn ermordet?«

»Sich selbst beinahe. Er hat, wie ich bereits sagte, sich selbst aufgehängt, doch glücklicher Weise nicht mit einem Stricke am Halse, sondern mit und an den Frackschößen.«

»Wie ist das gekommen?«

»Fragen Sie ihn selbst! Mir hat er es bisher nicht erklären können. Uebrigens habe ich nun meine Pflicht gethan und fühle mich zu Weiterem nicht mehr berechtigt. Ich empfehle mich!«

Er entfernte sich mit dem Feuerwehrmanne.

»Aber, bester Signor,« lachte der Director, »ich bin in fürchterlicher Sorge um Sie gewesen. Wo haben Sie denn eigentlich bisher gesteckt?«


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Aber soeben erschollen die letzten Accorde des »Nun ruhen alle Wälder«, und dann hörte man den darauf folgenden Beifallssturm. Darum beantwortete der Gefragte nicht die an ihn gerichtete Erkundigung, sondern rief:

»Das waren mein Sstück. Welk einen Applaus! Wer haben geßpielen, wer?«

»Glücklicher Weise habe ich einen ausgezeichneten Ersatzmann für Sie gefunden, noch im letzten Augenblicke.«

»Wer? Wo? Ich müssen ihn ßehen, ßehr, ßehr!«

Er rannte fort und - geradewegs auf die Scene, ohne an den schauderhaften Zustand seiner Kleidung zu denken. Glücklicher Weise war soeben der Vorhang herabgelassen worden, so daß der Anblick des Beschädigten wenigstens dem Publikum erspart blieb. Doch rannte dieser mit - Leni zusammen, welche auch in diesem Augenblicke herbeikam, um dem Fex die Hand zu geben.

»Pardon - Verßeihen Ssie!« rief er aus.

»Wer - der Herr Concertmeister!« sagte sie erstaunt. »Und wie - oh, gehen Sie!«

Sie wendete sich schnell von ihm ab. Er aber hatte jetzt keine Zeit, auf seinen Zustand Rücksicht zu nehmen. Er stürzte auf den Fex zu, in dessen Händen er seine Violine erblickte.

»Wer haben keßpielt? Ssie, Ssie?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Fex.

Erst jetzt betrachtete der Kleine denselben genauer. Wegen der anderen Kleidung, welche der Fex jetzt trug, hatte er ihn nicht sogleich erkannt; nun aber rief er erstaunt aus:

»Fex, der Fex! Du, Du willßt haben keßpielt mein Sstück auf meiner Violine?«

»Ja.«

»Das ßein nicht wahr, nicht!«

Da nahm ihn der Director am Arme und zog ihn unter beruhigenden Worten mit sich fort, in ein Zimmer hinein. Dort blieben sie eine Weile, dann kam der Director allein wieder heraus und winkte den Sepp zu sich heran. Es gab eine ernste Auseinandersetzung, von welcher nur die letzten Sätze zu verstehen waren, da sie nicht mehr heimlich, sondern mit erhobener Stimme gesprochen wurden.

»Also, ist er wirklich wegen - wegen - - na, auf den Baum gestiegen?« fragte der Director.

»Ja, nur deshalb.«

»Und kein Anderer hat davon gewußt, als nur Sie ganz allein?«

»Keiner.«

»Sie haben mich in schwere Verlegenheit gebracht, doch - -«

»O, ich hab wußt, daß der Fex es noch besser macht.«

»Eben darum will ich Ihnen verzeihen. Wir haben dadurch einen Violinisten entdeckt, der sonst wohl noch lange im Verborgenen geblieben wäre; aber es hat dabei zu bleiben, daß der Signor unwohl geworden ist.«


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Dieser, nämlich der Signor, schlich sich nach einiger Zeit mit seiner Geige heimlich davon. Er hatte, um seine Blößen zu decken, sich aus der Garderobe einen Theatermantel ausgeborgt.

Beinahe wäre er dabei noch von Liszt erwischt worden, denn kaum hatte er den Gang verlassen, so kam dieser herbei, da jetzt nun sein Vortrag beginnen sollte.

Das kostbare Instrument, welches er sich eigens mitgebracht hatte, wurde auf die Bühne geschafft. Gleich als der Vorhang sich erhob und Liszt vortrat, wurde er von freudigen Rufen empfangen, in welche sich sogar, die ungarische Abstammung des Künstlers berücksichtigend, mehrere »Eljen!« mischten.

Er spielte Themen aus der von ihm selbst componirten Hunnenschlacht, natürlich mit gewohnter, unerreichbarer Meisterschaft, welchen er als Honorar für den ihm gespendeten geradezu nie dagewesenen Beifall eine Paraphrase folgen ließ.

Als er geendet hatte, kehrte er nach der Loge des Königs zurück.

Jetzt kam die vorletzte Nummer. Mancher Blick hatte erst verwundert auf dem Programm geruht: »Die alte Bettlerin, gedichtet und componirt vom Fex, gesungen von Signora Mureni.« Seit aber der Besitzer dieses sonderbaren Namens sich als ein so ausgezeichneter Geiger gezeigt hatte und die Nachrichten über seine Person und Verhältnisse von Mund zu Mund gegangen waren, hatte sich die Spannung, mit welcher man dieser Nummer entgegensah, ganz bedeutend gesteigert.

Die Scene wurde wieder so gesetzt wie beim ersten Auftreten Leni's - die alte Sennhütte auf hoher Alm. Als der Vorhang sich hob und das Auditorium dieses nun bereits bekannte Bühnenbild erblickte, wurde lebhafter Beifall geklatscht. Die Musik begann, und die Leni trat auf.

»Die Lorbeerkränze!« befahl der Director leise.

Sie wurden gebracht und in Bereitschaft gehalten.

Beim ersten Anblick der Sängerin ging es wie eine Enttäuschung durch den Zuschauerraum. Sie trat in gebeugter Haltung ein, mit einem alten Mantel bekleidet, ein Tuch um den Kopf und einen Stock in der Hand. Ihr Gesicht war das eines alten Weibes - ohne Schminke, Farbe und sonstige künstliche Mittel. Man hatte ihr einen warmen Empfang zugedacht, aber diese Erscheinung erkältete die Wärme, mit welcher man ihrer bisherigen Vorträge gedacht hatte.

Die Blicke flogen von ihr weg nach dem Orchester. Was waren das für Töne, für Harmonieen, so fremdartig herzergreifend, fast schmerzhaft die Nerven berührend. Das klang wie an einander gereihte klingende Thränen!

In eben solchen Tönen begann die alte Bettlerin ihr Lied. Ihre Stimme zitterte vor Alter, und ihr matter Hals wollte nur schwer den Kopf in der Höhe tragen. Sie sang von Krankheit und Hungersnoth, von verrathener Liebe und zehrendem Grame, verlassen von den Eltern, verlassen von dem Manne, im Kampf mit dem Elend, das Herz voller Jammer - nur ein einziger Strahl wars, der in das Dunkel ihr drang - - -

Dabei hob sich ihr Haupt, und ihre Augen gewannen Leben; die Stimme


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wurde kräftig, voller Halt, die Instrumentalbegleitung stieg im Crescendo empor, und den Arm mit dem Stocke hoch erhebend, sang sie, im Mezzoforte beginnend und im stärksten Fortissimo endend:

»Als Alle mich verlassen hatten
   In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
   Mein König hat an mich gedacht!«

Jetzt, jetzt mehr als zuvor zeigte es sich, welche Kraft in Leni's Stimme lag. Wie ein brausender Strom ergoß sie sich über das ganze Haus. Hingerissen von dieser Mimik, diesem Vortrage, dieser Stimme, brachen bereits jetzt die Hörer in stürmischen Beifall aus.

Und nicht die Sängerin allein war es, der dieser Letztere galt; nein, das Lied, der Text sowohl wie auch die Melodie, war so eigenartig, so originell und dabei meisterhaft gehalten, daß man ganz unwillkürlich beim Lob der Sängerin auch des Dichters und Componisten denken mußte.

Und wieder begann sie von Entsagung und Anfechtung, von aller Noth des Körpers und der Seele. Jetzt gehen sogar die Kinder von ihr, Undank zahlend für die größten Opfer. Jetzt giebt es keine Seele mehr, an der sie sich festhalten kann, um nicht unterzugehen - nein, doch eine, eine erhabene Seele: Der König ist ihr erschienen als rettender Engel mit helfender Hand, und nun jubelt sie abermals:

»Als Alle mich verlassen hatten
   In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
   Mein König hat an mich gedacht!«

Wieder derselbe Beifall, und dann beginnt sie von der letzten Tagereise der irdischen Pilgerfahrt. Das Leben stirbt hin; der Staub neigt sich mehr und mehr der Erde zu. Das Auge wird dunkel, und die anderen Sinne verweigern den Dienst. Von vornher rauscht bereits die Brandung der Ewigkeit. Mach Deine Rechnung quitt mit dem Leben, so arm es auch gewesen sein mag. Mit wem soll sie, die Bettlerin, abrechnen? Wem ist sie Etwas schuldig? Den Menschen, die ihrer nicht gedachten? Den Ihrigen, von denen sie verlassen wurde? Nein, ihrer kann sie nur mit der Bitte gedenken: »Verzeihe ihnen, o Herr, wie ich ihnen verzeihe!« Aber Einen giebt es, einen Einzigen, dem sie so viel schuldig ist, ihre Rettung von Verzweiflung und Tod. Ihm muß sie die erlösende That schuldig bleiben. Aber noch ihre letzten Gedanken gehören ihm, und mit ihrer letzten Kraft richtet sie sich vom Sterbelager empor, und ihre letzten Worte lauten:

»Als Alle mich verlassen hatten
   In meines Unglücks schwerer Nacht,
Stand ich in meines Königs Schatten;
   Mein König hat an mich gedacht!«


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Welch ein Vortrag! Wars möglich, daß vor wenigen Monaten diese Sängerin noch eine arme, ungebildete Sennerin gewesen war? Sie war während der letzten Strophen in die Knie, dann sogar ganz niedergesunken, und hatte sich sodann, ganz wie eine Sterbende, mit letzter Kraft halb erhoben, um die letzten Takte wie einen Segenswunsch hinüber zur Königsloge schwellen zu lassen.

Da flossen Thränen, wirklich heiße Thränen. Niemand schämte sich derselben; aber als trotz dieser tiefen, tiefen Rührung der Beifall beginnen wollte, da sprang sie vollends vom Boden auf, machte eine abwehrende Armbewegung, warf Mantel, Tuch und Stock von sich und stand nun ganz so da wie bei ihrer ersten Nummer - als Sennerin Leni.

Das überraschte. Was hatte das zu bedeuten? Was wollte sie? Warum that sie das? Ein lautloses Schweigen trat ein, keine Hand bewegte sich mehr, um mit dem Taschentuche offen oder halb verstohlen die Thränen zu trocknen.

Was sie wollte? O, es sollte ja noch die letzte Strophe kommen, in welcher sie von sich selber singen wollte, dankerfüllt gegen den hohen Wohlthäter, durch dessen Barmherzigkeit sie hier begeistert und begeisternd stand.

Der Dirigent nickte rechts und links lächelnd seinen Leuten zu. »Jetzt kommts! Paßt auf!« wollte er sagen. Und wirklich, er hatte Recht.

Nicht mehr schmerzlich klagend und doch ganz in derselben Melodie, in epischer Fülle und Schönheit klang das Vorspiel voran, und dann fiel Leni ein:

»Einsam, auf hoher, stiller Alm,
   Lebt ich, die Tochter der Natur,
Im prächt'gen Wald ein armer Halm,
   Gehört ich meiner Heerde nur.
Da plötzlich drang ein Ton der Gnade
   Zu mir ins kleine Alpenhaus
Und rief von meinem engen Pfade
   Ins reiche Leben mich hinaus - - -«

Die Spannung, mit welcher Aller Augen und Ohren gegen die Sängerin gerichtet war, läßt sich gar nicht beschreiben. Und sie verdiente es auch. Das waren Herzenstöne, welche ihrer schönen Brust entquollen, und darum konnte es gar nicht anders sein: sie mußten wieder zum Herzen gehen. Und weiter lautete die Strophe:

»Wohl möcht ich fürchten all den Glanz,
   Der fremd mir und erdrückend war;
Vielleicht welkt nie ein Lorbeerkranz
   Dereinst auf meinem greisen Haar;
Doch, leuchtet mir an Tempelsstufen
   Der Kunst bezaubernd Morgenroth,
Und hat mein König mich gerufen,
   So folg ich freudig dem Gebot.


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Ade, ade, ihr grünen Matten;
   Ade, der Gletscher wilde Pracht!
Ich steh in meines Königs Schatten;
   Mein König hat an mich gedacht!«

Wohl selten war eine solche Wirkung eines Liedes gesehen worden, wie jetzt. Schon in der Mitte der Strophe hatte die Stimme Leni's zu zittern begonnen. Thränen füllten ihre Augen. Bei den Worten: »Ade, ade, ihr grünen Matten« mußte die Begleitung eine Pause machen, denn die Sängerin schluchzte laut auf und konnte nicht weiter; dann aber fuhr sie weiter fort, und unter strömenden Thränen, aber wie mit Orgelton und Glockenklang endete sie mit mächtig dahinbrausender Stimme:

»Ich steh in meines Königs Schatten;
   Mein König hat an mich gedacht!«

Die Worte waren verklungen, und die Musik schwieg. Still wie in einem leeren Tempel war es für einen Augenblick - da schallte ein lautes, lautes, herzbrechendes Weinen durch den Raum; der Sepp war es. Der Fex konnte sich auch nicht halten und fiel ein. Leni, bis jetzt still stehend, schlug die beiden Hände vor das Gesicht und eilte schluchzend hinter die Coulissen und - - -

War es möglich! War so Etwas bereits einmal dagewesen? Auch draußen im Zuschauerraume, rechts und links, oben und unten, brach die Rührung hervor, welche nicht mehr zurück zu halten war: Man weinte allgemein.

Auch der König saß still und bewegungslos, den Arm, welcher das Taschentuch hielt, auf die Brüstung gestützt und das Gesicht in die Hand gelegt - - - er weinte!

Wagner und Liszt, die beiden Meister der Tonkunst, auch ihre Kraft war zu gering: Sie hatten Thränen.

Nur einer saß unten, dessen Auge nicht naß wurde - der Krikelanton. Der Grimm ließ ihn zu keiner Rührung kommen.

So blieb es fast über eine ganze Minute lang, in solcher Situation eine ganz beträchtliche Zeit; dann aber regten sich erst zwei Hände, dann mehrere, endlich alle. Ein unbeschreiblicher Jubel brach los. Die Leni mußte erscheinen.

»Mureni heraus! Mureni!« rief es immer von Neuem.

Sie erschien immer wieder. Da rief eine Stimme:

»Der Fex heraus!«

»Der Fex! Fex, Fex!« fielen Andre ein.

Er kam. Und da rief abermals jemand:

»Wurzelsepp, heraus! Der Pathe heraus!«

»Sepp! Wurzelsepp! Der Pathe!« so erklang es aus vielen hundert Kehlen.


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Und als nun die Drei bis fast vor an die Lampen traten, da kamen die Diener und machten die vorhin gesungenen Worte unwahr:

»Vielleicht welkt nie ein Lorbeerkranz
Dereinst auf meinem greisen Haupte.«

O, sie brauchte nicht zu warten, bis der Schnee des Alters sich auf ihr Haupt legen wird! Bereits heut, bei ihrem ersten Auftreten, waren ihr Lorbeerkränze beschieden. Mehrere, mehrere wurden gebracht, und weinend, immer noch weinend, legte sie einen davon dem Fex auf den Kopf und einen andern dem Wurzelsepp. Der Alte befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand. Er weinte und lachte zu gleicher Zeit. Immer noch auf offener Bühne stehend, umarmte er die Leni und umarmte den Fex, und als der Director herbeitrat, um der Sennerin noch einen mächtigen Blumenkorb zu überreichen, da faßte der Alte auch ihn in die Arme, hielt ihn riesenfest und sprang mit ihm zu gleichen Beinen auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, herum.

Ja, einen solchen Erfolg hatte dieses Haus noch niemals erlebt, und als der Vorhang fiel, nahm der Director die Leni fest und führte sie in sein Zimmer. Dort blieb er vor ihr stehen, blickte sie einige Augenblicke lang zagend an und sagte dann:

»Nein, ich will keine lange Rede halten sondern es kurz machen: Signora Mureni, welche Bedingungen machen Sie mir, wenn ich Sie engagire? Ich bitte um eine gnädige Strafe!«

»O, ich werde allerdings sehr gnädig sein,« antwortete sie. »Ich strafe Sie nicht.«

»Das macht mir das Herz leicht. Sie wollen also Ihre Bedingungen nicht gar so drückend machen?«

»Ich mache gar keine.«

Sein Gesicht begann, vor Freude zu glänzen.

»Wie? Sie wollen das mir überlassen?«

»Nein. Sie verstehen mich falsch. Ich will Sie nicht strafen und Ihnen auch keine Bedingungen machen; das heißt, ich kann überhaupt kein Engagement eingehen.«

»Ah! Das heißt, bei mir nicht!«

»Nein, überhaupt nicht. Ich bin nicht leichtsinnig und lasse mich durch den heutigen Erfolg nicht zu einer Selbstüberhebung verleiten. Ich besitze Gaben, die ich später einmal beherrschen werde; jetzt aber bin ich noch ein dummes Ding, welches viel, so sehr viel zu lernen hat.«

»Ists denn so gar sehr viel?«

»So viel, daß es mir zuweilen angst und bange wird. Bedenken Sie, daß ich fast beim A B C habe anfangen müssen und beim Einmaleins. Und welche reichen Kenntnisse gehören oft dazu, um eine Rolle zu verstehen!«

»Sie haben Recht. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich im Grunde genommen über den Ernst, mit welchem Sie Ihren hohen Beruf betrachten, freue.«


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»Ich danke Ihnen und will Ihnen dafür auch ein offenes Geständniß machen, Herr Director.«

»Nun, ich bin gespannt, es zu hören.«

»Ich werde nie, nie vergessen, daß ich meinen ersten Schritt bei Ihnen gethan habe. Sie sind also gewissermaßen mein Pathe, mein - - -«

»Ihr Wurzelsepp!« unterbrach er sie lächelnd.

»Ja; Sie brauchen sich dieses Vergleiches nicht zu schämen. Der Sepp ist ein tüchtiger Kerl; auf den laß ich nichts kommen; also auf Sie auch nicht, da Sie mein Pathe ebenso sind. Und wenn ich mir einst sagen kann, daß ich das Schulbuch weglegen darf, so werde ich, wenn auch kein festes Engagement, aber doch wenigstens Station bei Ihnen nehmen, damit Sie sehen, daß ich dankbar bin.«

»Daß Sie dankbar sind, das haben Sie heut mit Ihrer letzten Nummer bewiesen - - -«

»Die eigentlich die vorletzte war. Die letzte ist ja gar nicht gegeben worden.«

»Daran sind Sie schuld mit Ihren Erfolgen. Uebrigens bestand die letzte Gabe nur in einem kurzen Orchesterstück. Also ich darf mich darauf verlassen: Station bei mir ....?«

»Ja.«

»Die Hand darauf!«

»Hier, topp!«

»Topp!«

Da wurde die Thür geöffnet. Der König stand unter derselben. Er trat ein, da der Director sich sofort unter einer tiefen Verneigung zurückzog und den Eingang hinter ihm schloß.

Der König nickte ihr mild vertraulich zu und fragte

»Ein Engagement eingegangen?«

»Angeboten worden aber nicht darauf eingegangen, Majestät!«

»Warum?«

»Ich bin ja noch ein kleins Schuldirndl!«

»Recht so! Nicht stolz werden! Sie tragen einen überreichen Gottessegen in sich. Aber bevor Sie über denselben verfügen, müssen Sie sich desselben durch großen Fleiß und ernste Ausdauer würdig machen. Ist der Fex wirklich zugleich Dichter und auch Componist des letzten Liedes?«

»Ganz gewiß, Majestät.«

»Ein wunderbarer Mensch! Vielleicht Ihnen ebenbürtig an Gaben und Energie. Aber jetzt vor allen Dingen von Ihnen! Sie haben mir heut eine seltene Freude bereitet. Ich war eine kurze Zeit sehr glücklich. Haben Sie einen Herzenswunsch, so sagen Sie ihn mir!«

Sie schüttelte sinnend mit dem Kopfe.

»Fällt Ihnen nichts ein? Nun, so denken Sie einmal nach! Ich gebe Ihnen Zeit.«

Da sagte sie erröthend:


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»Majestät, ich habe einen Wunsch; aber er ist so groß, so groß und ein schlimmes Wagniß!«

»Ist das Wagniß gar so gefahrdrohend?«

»Ja. Ich kann mir den Zorn Ew. Majestät erwerben.«

»Nun, so denke daran: Ich steh in meines Königs Schatten!« beruhigte er sie lächelnd. »Sprich also freimüthig! Was wünschest Du?«

Er hatte das Sie in das Du umgewandelt. Das gab ihr den Muth zu den Worten:

»Es ist ein Geschenk, ein Andenken, welches ich heilig halten würde bis an meinen Tod, höher als alles Andere, und kein Blick sollts je entweihen.«

Bei diesen Worten waren ihre Augen dunkler geworden. Sie füllten sich mit Thränen.

»Nun, was ist es denn? Sei muthig!«

»Nur ein - ein - nur ein Taschentuch,« stockte sie.

Er wendete sich halb ab, wie um seine Rührung zu verbergen, schwieg eine Weile und sagte dann:

»Du sollst es erhalten. Ja, Du hast Recht, es ist eine Gabe, welche kein anderer Monarch verleihen würde. Aber die Tropfen, welche es trank, hast Du meinem Auge entlockt, und Du sollst sie auch empfangen und behalten dürfen. Ich sende es Dir. Und hier hab ich Dir Etwas mitgebracht. Ich ahnte, daß Dein Debut nicht ohne Erfolg sein werde. Es sind Dir reiche Kränze geworden. »Dein König hat an Dich gedacht.« Er bringt Dir nur ein einziges Blatt; vielleicht aber überdauert es alle diese Kränze. Gute Nacht!«

Er gab ihr ein kleines Etui in die Hand und ging schnell hinaus, ihr keine Gelegenheit zum Dank zu geben. Sie öffnete das Etui. Es enthielt - ein Lorbeerblatt, in Gold gefaßt und mit edlen Steinen umgeben. Auf dem Rücken der Fassung war eine Sennhütte eingravirt, und darunter standen die Worte: »Auf der Alm, da giebts ka Sünd.«

Sie drückte dieses kostbare Kleinod an ihr Herz, sank auf die Kniee nieder und sagte:

»O Gott, so was bin ich doch gar nicht werth. Ich will ja recht brav und fromm sein, denn jede Sünd, die ich begehen würd, ist doppelt schwer!«

Als sie dann aus dem Zimmer trat, stand der Sepp da und wartete auf sie.

»Wo ist der Fex?« fragte sie.

»Den hat der Capellmeistern gefangen nommen. Wer weiß, was der ihm da für Luftschlössern vorbauen wird. Wann der talkete Kerlen nur klug ist und gar nicht mitmacht.«

Richtig, als die Beiden noch sprachen, kam der Fex aus der Coulisse, halb auf der Flucht, hinter ihm her der Capellmeister, ihn am Schoße der geborgten Joppe festhaltend.

»Halt, halt, Herr Fex!« rief er dringend.

»Laß mich aus mit dem »Herrn!« Ich bin der Fex,« antwortete der


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junge Mann, indem er sich von ihm frei zu machen suchte. »Ich hab halt jetztunder keine Zeit mehr übrig.«

»So gieb mir doch wenigstens Antwort!«

»Ich mach nicht mit!«

»Für fünfzehnhundert Mark und freie Station? So biete ich hundert mehr. Also schlag ein!«

Er zog den Fex zu sich zurück und hielt ihm die Hand zum Einschlagen entgegen. Dieser gab sich vergebliche Mühe, sich loszureißen und antwortete ungeduldig:

»Jetzt frag ich nun blos, obst mich loslassen willst! Ich mach nicht mit. Jetzt hasts nun ganz genau gehört.«

»Nein; ich laß Dich nicht los! Du mußt mitmachen. Ich will auch noch zulegen. Ich geh siebzehnhundert. Das ist doch ein nobles Angebot. Nun wirst Du mir den Zuschlag geben.«

»Nein, sondern die Joppen geb ich Dir.«

Wie ein Joseph bei der Potiphar schlüpfte er aus dem Rocke, welcher in der Hand des Capellmeisters hängen blieb, und rannte fort - der Capellmeister mit dem Rocke hinter ihm her. Aber schon nach wenigen Augenblicken kam er von der anderen Seite wieder. Vorsichtig und schlau hinter der Coulisse hervorspähend, fragte er lachend:

»Ist er halt auch wieder da?«

»Nein,« antwortete der Sepp.

»Das ist gut. Nun bin ich ihn los, und er mag sehen, wo er mich findet. Jetzt nun sagst mal, ob Ihr auch fertig seid.«

»Freilich. Wir können gehen.«

»So will ich erst meine Garderoben ablegen und mein eigen Gewandl wieder anthun. Wartet noch diese Minuten!«

Er ging in diejenige Garderobenabtheilung, in welcher er sich umgezogen hatte. Leni meinte:

»Jetzt komm, Sepp; ich will indessen nach meiner lieben Madame Qualéche sehen. Die wartet auf mich.«

Sie traten hinaus und gingen hinunter nach dem Corridore, welcher hinter dem Parquet entlang führte. Eben als sie dort eintraten, that es einen großen Krach, und eine fette Stimme rief:

»Zu Hilfe! Zu Hilfe! Wo bin ich?«

Das war Madame Qualéche. Sie hatte mit Paula auf die Leni warten wollen. Um nicht stehen zu müssen, hatte sie es vorgezogen, sich zu setzen. Ein Stuhl aber von der Sorte, wie sie hier im Gange standen, war ihr zu schmal. Darum hatte sie sich von Paula zwei derselben zusammentragen lassen und darauf Platz genommen. Nach ihrer bekannten Weise war sie sogleich auf demselben eingeschlafen.

Paula war, um sich die Zeit des Wartens zu vertreiben, indessen langsam auf und abgegangen. Die dicke Dame hatte nach Art solcher Schläferinnen fleißig genickt. War ihr der Kopf dabei zu weit niedergesunken, so hatte sie


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sich sogleich wieder in aufrechte Stellung zurecht gerückt. Durch dieses wiederholte Rücken waren die beiden Stühle nach und nach auseinander geschoben worden, und als sie jetzt nun eine etwas kräftigere Bewegung machte, rutschte sie zwischen den Stühlen nieder und setzte sich mit einem lauten Plumps auf den Boden nieder. In ihrem ersten Schrecke und, noch halb im Schlafe, nicht sogleich wissend, wo sie sich befand, schrie sie um Hilfe. Leni und der Sepp kamen von der anderen Seite geeilt.

»Was machst denn hier?« fragte der Letztere. »Hast Dich wieder hergesetzt wie dort in der Mühlen unten an der Treppenstufen? Du mußt doch außerordentlich gern da unten auf der Parterrenerden sitzen.«

»Oh, oh!« stöhnte sie. »Ich Unglückliche! Seht doch einmal nach, ob ich noch ganz bin, ob ich nicht Etwas zerbrochen habe!«

»Ganz bist noch; das sehe ich wohl schon. Und zerbrochen wirst auch nix haben; das ist gewiß.«

»Aber es thut mir ja Alles weh!«

»Das wird nicht gefährlich sein. Wer so weich fallt, der kann nix brechen. Deine Knochen sind halt sehr gut gepolstert; denen kann so ein Fall nix schaden.«

»Aber ich fühle es ja!«

»Wo denn?«

»Hier in den Armen und in den Beinen und da hinten im Kreuze und in den Rippen und oben am Halse und sogar auch im Kopfe.«

»So hast eben Alles gebrochen, Du armes Wurm. Ich will nur gleich nach dem Siechkorb laufen.«

»Nach was?« rief sie entsetzt.

»Nach dem Siechkorb.«

»Was ist das für ein Korb?«

»Das ist derjenige Korb, in dem die todten Kranken und die lebendigen Leichen, die Versauften und Gehenkten nach dem Krankenhaus und nach der Leichenhallen schafft werden.«

»Und in dem soll ich fortgeschafft werden!« stöhnte sie erschrocken. »Auf keinen Fall! Lieber sterbe ich!«

»Dann wirst erst recht in den Korb steckt.«

»So bleib ich leben, auf alle Fälle!«

»Schön! So wollen wir sehen, obt aufstehen kannst. Greift mal zu, Paula und Leni. Aberst derb; sie ist schwer!«

Die beiden Mädchen griffen an den Armen an, und er stellte sich hinter die Dicke, faßte sie mit beiden Armen um den Leib und commandirte:

»Jetzt, hebt auf! Eins, zwei und drei!«

Sie wendeten alle Kräfte an, aber vergeblich, da die Directorin um so schwerer war, als sie sich lang ausstreckte und nicht die mindeste Anstrengung machte, die Bemühungen der Drei zu unterstützen.

»Es geht nicht,« meinte der Sepp, indem er sie wieder fallen ließ.


// 494 //

»Nein, es geht nicht!« stöhnte die Dame selbst. »Ich unglückliches Menschenkind! Wie komme ich wieder auf!«

»Da kommt ein Logenschließer; der mag mit helfen.«

Der Mann eilte herbei und faßte dienstbeflissen mit an; aber da es dem Sepp eigentlich gar nicht sehr ernst mit seiner Anstrengung war, so blieb auch diese Bemühung vergeblich.

»Sie ist wirklich zu schwer!« meinte der Schließer.

»O nein,« antwortete der Sepp. »Wir sind ja an die vier Personen, und da haben wir wohl Kräften genug, sie empor zu winden. Aber ich glaub nun halt doch auch, daß sie sich einen Schaden than hat.«

»Ja, ja!« stimmte sie bei. »Mein ganzer Körper schmerzt mich so, als ob er eine einzige Wunde sei!«

»So wollen wir mal untersuchen. Zeig den Arm her!«

Er ergriff ihren rechten Arm und rückte ihn mit aller Kraft aus.

»Au!« schrie sie auf.

»Thats etwan weh?« fragte er.

»Schrecklich!«

»So hast ihn brochen. Und nun der linke!«

»Au!« schrie sie auch jetzt, als er an diesem in seiner kräftigen Weise zog.

»Auch er thut weh?«

»Fürchterlich!«

»So ist auch er brochen. Und nun da unten!«

Er ergriff sie an dem einen Fuße, um ebenso an demselben zu ziehen.

»Was wollen Sie mit meinem Beine?« schrie sie auf.

»Ich will mich da mal dranspannen, um auch so zu rucken, wie an den Armen.«

»Um aller Welt willen, nein!«

»Warum nicht?«

»Weil das Bein bereits jetzt so sehr schmerzt, daß ich es kaum mehr aushalten kann.«

»So hast es auch brochen! Und das Andere? Zeig her!«

»Nein, nein!« wehrte sie zeternd ab.

»So halt doch still! Warum denn nicht?«

»Es schmerzt noch weit mehr als dieses.«

»So ists halt noch zerbrochener. Wir können Dich da unmöglich aufibringen. Da giebts nur eine einzige Hilf und Rettung.«

»Welche denn?«

»Der Siechenkorb. Ich werd gleich darnach laufen. Der Logenschließern mag mitkommen, daß wir ihn schnell herbei bringen. Es gehören zwei Leutln dazu.«

Er ergriff den Schließer beim Arme und zog ihn mit sich fort. Sie waren bereits an der Thür, da rief die Dicke:

»Halt, halt! So bleiben Sie doch! Ich habe nichts gebrochen.«


// 495 //

»Freilich hast Alles brochen!« antwortete der Sepp, »sogar der Hals ist entzwei; er thut Dir ja weh!«

»Nein, jetzt nicht mehr. Laßt den Siechkorb da, wo er ist! Ich kann ganz allein aufstehen. Paßt auf!«

Sie hielt sich am Stuhle an und würgte sich ohne alle Unterstützung auf. Dann aber stand sie athemlos und pustend da, wie eine Dampfmaschine.

»Verteuxeli! Wahrhaftig, es ist gangen!« rief der Sepp, sich ganz erstaunt stellend.

»Freilich!« keuchte sie.

»Also hast wirklich nichts brochen?«

»Nein, nein!«

»Aber den Korb müssen wir dennerst holen, wannt etwan nicht gut laufen kannst.«

»Mich hinein legen lassen, wo die Leichen gesteckt haben! Auf keinen Fall! Ich kann laufen! Da seht!«

Sie lief so schnell, wie seit Jahren nicht, den Corridor hinab, dem Ausgange zu.

»Ja,« lachte der Sepp, »Du, wannst so sehr gut laufen kannst, so kannst bald Schnelllaufern werden oder Postboten hinaus auf's Land! Ich bin nur froh, daßt ganz blieben bist. Vorerst sah's gefährlich aus. Ich hab eine Aengsten ausstanden wie in meinem ganzen Leben noch nimmer. Jetzt da kommt auch der Fex. Der wird sich gar sehr freuen, daßt nicht zerbrochen bist.«

Der Fex war heruntergekommen, weil er in den oberen Räumen vergeblich nach der Leni und dem Sepp gesucht hatte. Als er die Worte des Letzteren hörte, erkundigte er sich nach der Veranlassung derselben.

»Schalksnarr!« raunte er dem Alten zu. »Kannst die Dummheiten doch nimmer lassen!«

»Ja, weißt,« antwortete der Alte, »so ein Gespaß, wanns halt keinen Schaden macht, ist meine einzige Freuden auf der Welt. Was thun wir?«

»Nach Haus gehen wir.«

»Bereits?«

»Ists etwan nicht spät genug?«

»Eigentlich ja. Aberst nach dem Jubilari heut Abend thät ich doch am Allerliebsten noch ein Bier mit Dir trinken.«

»Etwan im Wirthshausen?«

»Freilich! Wo sonst?«

»Das müßt fein schön ausschaun, wenn ich, der Fex, in eine Restaurationen käm und mich als Gast hinsetzen thät. Da würden die Leutln die Mäulern gar sehr aufisperren. Ich bin noch nimmer mein Lebtag irgendwo einikehrt.«

»Aberst heut kannsts. Heut bist ein großer Mann!«

»Heut bin ich noch immer der Fex.«

»Wirsts aberst nicht bleiben!«


// 496 //

»Vielleicht doch!«

»So! Nachdem der König Dich hat in seine Logen kommen lassen? Was hat er Dir da eigentlich sagt?«

»Das werd ich Dir morgen verzählen. Jetzt aber müssen wir gehen und unsere Damen begleiten.«

»Damen begleiten! Himmelsakra, bist auf einmal nobel worden! Damen und begleiten!«

»Sollen wir sie allein nach der Mühlen laufen lassen?«

»Warum nicht? Dera Mond ist aufigangen und scheint wie eine Gaslampen hernieder.«

»Dennoch müssen wir höflich sein.«

»Na, meineswegen! Aberst mit dera Dicken werden wir unsere liebe Noth und Besorgnissen haben.«

Er hatte Recht. Sie wär am Liebsten heimgefahren; aber da es hierorts keine Droschken gab, so mußte sie auf diese Bequemlichkeit verzichten. Doch schimpfte sie weidlich auf den Concert- und den Capellmeister, daß diese es versäumt hatten, ihr die Cavalierdienste anzubieten.

»Das schadet nix,« wurde sie von dem Sepp getröstet. »Wannst in krummen Arm laufen willst, so kann ich Dir ja den meinigen geben. Hier hast ihn!«

Er machte ihr eine Verbeugung und bot ihr den Arm an; sie aber wies ihn ab. Mit dem Wurzelsepp Arm in Arm gehen, sie, die Frau Directorin Qualéche! Welch eine Blamage, wenn es bekannt worden wäre!

Aber als sie die Stadt hinter sich hatten, und nun der schlechtere Nachbarweg begann, wo sie oft über Steine und Unebenheiten strauchelte, bat sie den Alten doch selbst, sie zu führen.

»Ja, nun ist der Sepp freilich gut!« lachte er. »Na, da hast den Arm. Häng ein! Und wannst herfallen thust, oder Dich wieder mal aufs Parterr setzen willst, so sags; ich hab halt nix dagegen.«

Ein Mann war zu ihrer Unterstützung zu wenig; der Fex mußte sie an dem andern Arm nehmen. So kam es, daß dieser keine Zeit und Gelegenheit fand, seine Gedanken mit der Paula auszutauschen.

An der Mühle trennte man sich. Paula gab dem Fex die Hand und sagte:

»Ich hab noch gar nicht zu Dir sprechen konnt, lieber Fex. Mein Herz ist so sehr voll von dem, was ich sehen und hört hab, daß ich gar keine Worten find. Aber freuen thu ich mich grad so sehr wie Du, daß Dir eine solche Ehren widerfahren ist. Sag mir nur das Eine: Was hat der König mit Dir sprochen?«

»Er will mich zu einem großen Meistern auf der Violinen thun und auch aufs Conservatori hinauf.«

»O Jegerl! Wann wohl?«

»Das ist noch nicht bestimmt. Es soll erst morgen in dera Früh ausmacht werden. Vielleicht muß ich bereits morgen von hier fort.«


// 497 //

»Was für ein Schreck!«

»Wie! Du verschrickst darübern, daß der König mir so eine große Gnaden erweisen will!«

»Darüber? O nein! Darüber kann ich mich ja nur ganz außerordentlich gefreun. Aberst daßt von hier fort sollst, darüber bin ich so verschrocken. Willst denn auch wirklich fort? Hast bereits ja sagt?«

»Nein. Ich hab gar nix sagt, wedern Ja noch Nein, denn ich hab vor Freuden und Glück gar nimmer reden und antworten konnt. Aberst dera König hat zu mir in einem Ton sprochen, gegen den es gar keinen Einspruch geben kann. Also muß ich gehorchen.«

»So kommen wir wohl gar nimmer mit nander zusammen?«

»O doch. Und wanns gleich am Morgen fort ging, so thät ich doch sicher erst von Dir Abschied nehmen.«

Mittlerweile hatte Leni den Hausschlüssel angesteckt. Sie brachte die Thür nicht auf und der Sepp trat zu ihr, um ihr zu helfen. Da auch die Frau Directorin bereits an der Thür stand, so fand Paula Zeit, leise zu sagen:

»Fex, bleib noch ein Wengerle aufi.«

»Warum?«

»Ich komm noch an den Fluß.«

Das war noch niemals da gewesen, so eine heimliche Bestellung. Es überrieselte den Fex wonnig. Dennoch aber meinte er voll aufopfernder Bedenklichkeit:

»Thus liebern nicht!«

»Warum?«

»Wanns Dein Vatern bemerkt!«

»Will mich schon in acht nehmen.«

»Ich seh, er hat noch Licht in dera Stuben. Er muß es doch hören, wannst die Thür aufschließest.«

»Ich geh nicht vorn heraus, sondern durch die Hinterthür. Also, Du wartest auf mich, Fex?«

»O wie gern, Paula!«

»So laß Dir aberst gegen den Sepp nix merken.«

»O, der kann Alles wissen. Der ist mein Freund und auch der Deinige, der wirds nimmer verrathen.«

Jetzt war die Thür offen und die beiden Mädchen traten mit der Dicken ein.

»Wirst auch zur Treppen hinaufkönnen?« fragte der Sepp die Letztere.

Sie antwortete nicht sofort. Es war dunkel im Hausflur. Die Sache war höchst bedenklich.

»Nun, was meinst?«

»Schwer wirds gehen!« antwortete sie verzagt. »Es ist kein Licht im Hause und auch oben nicht.«

»Ich werde eins anbrennen,« sagte die Leni, indem sie rasch die Treppe emporstieg.


// 498 //

»Das kann auch nicht für Alles helfen,« bemerkte der Sepp. »Wart noch ein Wenig, Fex! Wir werden der >Dame< helfen müssen.«

Und als jetzt Leni oben mit dem Licht erschien, griffen die Beiden zu und halfen schieben. Die Lampe beleuchtete die Treppe nur nothdürftig, so daß die Directorin die Stufen nicht deutlich erkennen konnte. Sie stolperte.

»O weh!« rief sie aus. »Es geht nicht!«

»Nicht? Warum?« fragte der Sepp.

»Meine Beine! Meine Beine!«

»So hast sie wohl dennerst zerbrochen und wir müssen Dich im Siechkorben nach dem Krankenhäuserl tragen.«

»Nein, nein!« schrie sie auf. »Ich brauch keinen Siechkorb. Ich kann laufen, ich kann hinauf!«

Sie holte tief Athem, setzte an und pustete hinauf. Es gelang, aber oben wäre sie in Folge dieser riesenhaften Anstrengung beinahe hingefallen. Sie mußte in die Stube geführt werden. Ihr körperlicher Zustand absorbirte ihr Denken und Sinnen auf eine solche Weise, daß sie bisher noch kein einziges Wort gefunden hatte, um der Leni zu ihrem außerordentlichen Erfolge zu gratuliren. Nicht eine einzige Sylbe hatte sie darüber verloren.

Da ertönte unten die Clarinette des Müllers.

»Kommt schnell hinab, daß ich Euch hinauslasse!« sagte Paula zum Sepp und Fex. »Das gilt mir.«

Sie riegelte die Hausthür hinter den Beiden zu und trat sodann bei ihrem Vater ein. Dort fand sie trotz der späten Abendstunde zu ihrem Erstaunen den Fingerlfranz.

Dieser war jenseits des Flusses auf geschäftliche Veranlassung in einigen Dörfern gewesen und am Abend ganz erzürnt zu dem Müller gekommen. Er hatte nach einem kurzen, höchst mürrischen Gruß den Stock und den Hut in die Ecke geworfen, ganz wie Einer, der sich über irgend Etwas ungewöhnlich geärgert hat.

»Na, was giebts denn, was hast denn?« hatte der Müller gefragt. »Wer hat Dich wieder mal so verzürnt?«

»Das fragst auch noch!«

»Freilich!«

»Kannsts Dir doch denken!«

»Hältst mich etwan für allwissend?«

»Nein; aberst Denjenigen, über den ich mich in dera Zeiten immer verzürnen muß, den weißt doch genau.«

»Meinst etwan den Fex?«

»Grad denselbigen.«

»Was hat er Dir denn than?«

»Than? Gar nix!«

»Und da bist so außer dem Häuserl heraus?«

»Ja, eben weil er nix than hat, weil er unterlassen hat, was er thun soll.«


// 499 //

»So! Was wäre denn das?«

»Bist doch heut sehr schwer von Begriffen!«

Da zog der Müller die Augenbrauen zusammen und antwortete im nicht eben freundlichsten Tone:

»Du, so kommst mir nicht!«

»So! Soll ich etwan Honig reden, wann der Magen voller Giften und Gallen ist!«

»Was geht Dein Magen mich an! Ich hab mich dieser Tage so viel ärgern müssen, daß ich Dich nicht auch noch brauch, um mir den Aerger vermehren zu lassen.«

»So halt bessere Aufsichten über den Fex.«

»Das thu ich auch.«

»Ich merk halt nix davon. Heut war ich drüben hinter dem Wassern, und als ich nachher kam, um Dich zu besuchen, und als ich da überfahren wollt, da war keine Fähr nicht da, sie war gar nicht vorhanden.«

»Sie liegt am Ufer.«

»Ja, am diesseitigen, ich aber war am jenseitigen.«

»Da bist selber schuld.«

»So! Und hat etwan der Fex nicht da zu sein, wann Jemand kommt und überfahren will?«

»Nein!« antwortete der Müller im grimmigen Tone.

»Nicht? Was?« fragte der Franz erstaunt.

»Nein!«

»Und das sagst selbst, Du, der Thalmüllern?«

»Hörsts ja!«

»Er hat doch überfahren müssen, so lange ich es nur weiß! Seit wann ists anders worden?«

»Seit es ihm beliebt.«

»Alle Millionen Teuxels! Kanns überhaupt irgend was geben, was dem belieben kann oder nicht?«

»Ja freilich.«

»Nun, was denn?«

»Das Ueberfahrn zum Beispiel.«

»Bist nicht gescheidt!«

»Wohl bin ich gescheidt, aberst der Fex ist heut auch gescheidt worden. Er - er - na, wie heißt es wohl gleich, wann der Arbeiter seinem Herrn den Gehorsam aufsagt, das neumodische Wort?«

»Ein Strike?«

»Ja, ein Strike; der Fex strikt.«

»Das sollt er wagen? Wirklich?«

»Freilich! Heut, als es dunkel war, hat er die Magd zu mir schickt und mir sagen lassen, daß er heut nicht mehr überfahren thät.«

»Der Hallunk! Warum wohl nicht?«

»Weil er ins Theatern gangen ist.«


// 500 //

Der Franz sperrte den Mund so weit auf, als es nur irgend möglich war, und fragte dann zögernd:

»Ins - The-a-te-«

»Theatern, ja.«

»Der Fex ins Theatern! Höre, Müllern, wannst mich etwan veralbern willst, so kannst mich dauern!«

»Ich Dich veralbern? Bist ja bereits albern genug!«

»Halts Maul! Das duld ich nicht! Der Fex hat an der Fähr zu sein, wann man ihn braucht. Ich hab nicht herübern konnt und seinetwegen bei Nacht fast zwei Stunden umlaufen müssen, um über die Brück zu gelangen. Und nun hör ich, daß er im Theatern ist!«

»Freilich!« lachte der Müller. »Im Theatern ist er!«

Sein Lachen aber klang wie das Knurren eines Hundes, welcher sich zum Zubeißen anschickt.

»Etwan gar zum Concerten, welches am heutigen Abend im Theatern abgehalten wird?«

»Ja, so hat er mir sagen lassen.«

»Und was hast dazu sagt?«

»Nix.«

»Und dagegen than?«

»Auch nix.«

»Was! Nix und wiedern nix! Das willst Dir also ruhig gefallen lassen, he?«

»Ja.«

»Himmeltausend! Ich begreif Dich nicht!«

»Was hätt ich thun sollen! Gieb mal den guten Rath!«

»Ihn durch die Polizeien zuruckholen lassen.«

»Das geht nicht!«

»So! Warum denn nicht?«

»Weilst nicht zu wissen scheinst, daß der Fex kein Schulbuben mehr ist. Er ist groß und herauswachsen. Ich muß ihm nun auch mal eine freie Zeit lassen. Ich muß überhaupten sehr froh sein, daß er mir bisher noch keinen Lohn abverlangt hat.«

Er machte dabei ein ganz außergewöhnliches Gesicht. Natürlich verschwieg er, daß er, seit der Fex ihm mit der Anzeige gedroht hatte, sich vor ihm fürchtete. Der Fingerlfranz schüttelte den Kopf und meinte:

»Thalmüllern, jetzt alleweil bist mir ein Räthsel!«

»So versuchs zu lösen!«

»Hm! Bist stets streng mit dem Kerl gewest, und heut plötzlich redest ihm das Wort. Noch das vorletzt Mal hab ich grad auch hier sessen und er stand an der Thür; da hast ihm die Peitsch ins Gesicht und um die Füßen schlagen, daß die Striemen aufilaufen sind, und nun auf einmalen nimmst ihn so sehr in Schutz und in Schirm. Sag, was ist schuld daran?«


// 501 //

»Hm!«

»Hast einen Grund dazu?«

»Ja freilich.«

»Und welchen?«

»Den, nun, den kann ich Niemandem sagen.«

»Was! Auch mir nicht, Deinem Schwiegersohne?«

»Nein.«

»Aberst wannt nicht aufrichtig mit mir sein willst, mit wem nachher sonst!«

»Warum grad denn mit Dir, he?«

»Ich habs doch soeben sagt: Ich bin der Schwiegersohn.«

»Noch bists nicht.«

»Aberst am Sonntag werd ichs sein.«

»Ah! Wieso denn?«

Diese Fragen wurden alle in einer Art Galgenhumor ausgesprochen. Der Franz wußte wirklich nicht, was er von dem Müller denken solle. Er antwortete:

»Weil da die Verlobung ist!«

»Ach so, die Verlobung! Hm, ja! Aberst da kannst Dich doch vielleicht ein Wengerl täuschen.«

»So! Machst wohl Spaßen?«

»Nein, ich red leider sehr im Ernsten.«

»Ich will doch hoffen, daßt Wort halten wirst!«

»Freilich halt ich Wort.«

»Also gut!«

»Aberst wem halt ich Wort?«

»Nun, doch mir!«

»Dir? O, an Dich denkt halt Niemand mehr.«

»An mich nicht? Donnerwettern! An wen dann?«

»An -« er beugte sich weiter vor, hielt die Hand an den Mund, als ob er ein großes Geheimniß mitzutheilen habe, und fuhr fort: »- an den König.«

Der Fingerlfranz fuhr erstaunt zurück.

»Was?« fragte er. »An den König?«

»Ja.«

»Wieso?«

»Das ist eigentlich auch ein Geheimniß.«

»Von dem ich nix wissen darf?«

»Ich solls geheim halten.«

»Aber vor mir auch? Das ist nicht nöthig.«

»Hm! Ich hab Vertrauen zu Dir, aber dennerst ists zu gefährlich, davon zu reden.«

»So! Meinst etwan, daß ichs verrath?«

»Nein, das grad nicht, aberst es kommt doch bei einem Jeden mal die Stund, in der er plaudern thut.«

»Bei mir nicht.«


// 502 //

»Meinst?«

»Ja, bei mir ganz sicher nicht. Wann sichs um die Paula handelt, so kann ich schweigen bis an mein End.«

»Um diese handelt sichs freilich.«

»So? Nun, so sags.«

»Hoppsa! So schnell geht das nicht.«

»O, grad so schnell muß das gehen!« sagte der Franz ungeduldig. »Die Paula ist mir versprochen worden, und so will ich sie auch haben, ich muß sie haben.«

»Wirklich?«

»Ja. Sie muß mein werden, selbst wann sich der Teufel dagegen stemmen thät.«

»Pah! Was wolltst dagegen machen?«

»Alles!«

»Auch wanns selber eine Teufeleien wär?«

»Ja.«

»So könnt sichs vielleicht noch ändern lassen.«

»Was?«

»Nun, die Geschichten, die ich dem König hab versprechen müssen heut in der Fruh.«

»Was ist das für eine Geschichten? Was hast versprechen müssen? Heraus damit! Ich muß es wissen!«

»Oho! Kommst mir in diesem Tone!«

»Ja. Ich sags noch einmal: Wann sichs um die Paula handelt, so mach ich keinen Spaß. Ich hör schon aber, worauf Du hinzielen willst!«

»Nun, worauf?«

»Willst etwan Dein Jawort zurucknehmen?«

»Ja, das ists.«

»Donnerwettern! Warum?«

Er sprang von seinem Stuhle auf und trat in drohender Haltung vor den Müller hin. So wollte dieser ihn haben; zornig sollte er werden, denn der Zorn ist der größte Feind der Ueberlegung und Vorsichtigkeit. Der Müller that, als ob er die drohende Stellung des gewaltthätigen Menschen gar nicht bemerke, und antwortete:

»Weil ich muß.«

»So! Weilst mußt! Wer zwingt Dich denn?«

»Dera König.«

»Tausendgranaten! Der König! Ists möglich!«

»Natürlich.«

»Er war also wirklich da bei Dir?«

»Heut in der Fruh bereits.«

»Ich hab gar nicht wußt, daß er bei Dir war. Was hat der mit mir und Dir zu thun?«

»Sehr viel. Aberst schrei nicht so laut, es brauchts Niemand zu hören.


// 503 //

Was wir heut hier mit nander sprechen, davon darf kein Mensch niemals keine Ahnung haben. Dort steht die Flaschen. Nimms Glas und gieß Dir Einen ein!«

Der Franz war sehr aufgeregt. Er goß sich nach einander zwei Gläser voll und goß sie hinab.

»Nun, so red endlich mal!« sagte er dann.

»Gut! Aberst ruhig mußt bleiben!«

»Wann ichs kann, ja.«

»Du mußt können!«

»Wollens versuchen.«

Er rückte seinen Stuhl näher an den Polsterstuhl des Müllers. Dann erklärte dieser flüsternd:

»Also der König will, daßt die Paula nicht bekommst.«

»Was gehts dem an? Was hat der darein zu reden!«

»Ein König hat seinen Willen, ohne daß man ihn nach dem Grund fragen darf. Hasts verstanden, Franz?«

»Ja, aberst der Fingerlfranz hat auch seinen Willen!«

»Doch ein König bist nicht!«

»Habs auch nicht nöthig. Du hast mir Dein Wort geben und das mußt mir halten!«

»Wann ichs nun nicht halten kann?«

»Oho! Weißt, der Paula bin ich gut, ich mag keine Andre. Schon deshalb besteh ich drauf, daßt mir Dein Wort halten mußt. Aber sodann giebts noch Eins.«

»So! Was ist das?«

»Es sind bereits alle Gästen zur Verlobung geladen; wann nun aus der Verlobung nix wird, so bin ich blamerirt vor aller Welt. Und das soll ich mir etwan gefallen lassen? Auf keinen Fall! Lieber thu ich Etwas, was -«

»Nun, was?« fragte der Müller, indem er den Blick mit großer Spannung auf Franz gerichtet hielt.

»Was kein Andrer thut.«

»So! Was wäre das?«

»Meinswegen ein Verbrechen. Für die Paula thu ich Alles, wann ich sie nur zur Frau bekomm.«

»Wirklich?«

»Ja, wirklich! Ich geh Dir mein Wort darauf. Ich laß sie mir nicht nehmen, auf keinen Fall!«

»Was willst dagegen machen?«

Der Franz goß sich ein Glas voll, trank es auf einmal aus und antwortete dann in trotzigster Weise und indem er mit der Faust auf den Tisch schlug:

»Was ich thun thät, das weiß ich schon!«

»Nun, so sags.«

»Nein, so was sagt man nicht.«


// 504 //

»Warum nicht?«

»Weils zu gefährlich ist.«

»Ich denk, wir Beid sollen Vertrauen zu nander haben, und nun spielst den Versteckten mit mir!«

»Kannst Dirs doch denken, was ich mein'.«

»Nein, denken kann ich mirs nicht.«

»Nun, so will ichs sagen. Wann ich die Paula nicht bekommen soll, Der, der sie erhalten soll, der - dem - den - na, dem Genade Gott!«

»Willst ihn etwan abmorxen?«

»Wie ein Kalb! Ich drück ihm die Seel aus dem Leib! Darauf kannst nur immer Gift nehmen!«

»Du, das ist gefährlich!«

»Ach was! Mir die Paula nehmen zu wollen, das ist noch viel gefährlicher! Also mach keine so lange Red und sags liebern grad heraus, warum ich sie nicht bekommen soll.«

»Weil der König einen Andern für sie hat.«

»Was geht die Paula dem Könige an!«

»Nix, gar nix!«

»Nun, so brauchsts Dir doch auch nicht gefallen zu lassen!«

»Oho! Meinst, daß ich ungehorsam sein soll? Das werd ich schön bleiben lassen! Das wär mein größter Schaden.«

»So! Aber wer ist dann Derjenige, der sie bekommen soll, den möcht ich doch kennen lernen!«

»Kennst ihn schon bereits.«

»So! Dann desto bessern! Ich kenn keinen Menschen, vor dem ich mich fürchten thät, wann sichs um einen Kampf um die Paula handelt. Also sag den Namen!«

»Sollst ihn gleich hören. Aber erschrick ja nicht!«

»Red kein solches Blech! Also, wer ists?«

»Der Fex.«

Da machte der Franz vor Staunen einen Satz, daß er mit dem Kopfe an die niedrige Decke stieß.

»Der Fex!« stieß er hervor. »Jetzt hab ich mich verhört, oder Du hast Dich gehörig versprochen!«

»Wann ich eine lange Reden halt, so kann ich mich wohl mal versprechen, aber wann ich nur einen einzigen Namen sag, ein einzig Wort, so ists von Gewicht.«

»Der Fex, der Fex!«

»Ja doch!«

»Der, der!«

»Was schreist nur so!«

Der Franz lief in der Stube herum wie ein Besessener. Die Augen des Müllers leuchteten vergnügt. Je zorniger der Viehhändler wurde, desto lieber war es natürlich dem Alten.


Ende der einundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk