Lieferung 34

Karl May

19. März 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Freilich. Ich bin ganz entzückt darüber!«

»Ich weniger.«

»Warum?«

»Nun, daß ich meinen lieben Professor für längere Zeit bei mir haben soll, das freut mich. Daß der Sänger bei mir ausgebildet werden soll, ist mir sogar eine Ehre. Ich werde ihnen Beiden gern die Thore öffnen. Aber daß ich noch zweien Lehrerinnen gastlich - - - das ist mir unbequem.«

»Weißt Du denn, wer sie sind?«

»Gleich viel, wer sie sind!«

»Nein, denn die Eine bin ich, und die -«

»Du? Du? Unmöglich!«

»Ja, ich! Und die Andere sollst Du sein, Du selbst, liebe Milda!«

»Du scherzest!«

»Es ist mein völligster Ernst.«

»Ich, Lehrerin eines angehenden Künstlers! Bist Du toll! Ich wüßte nicht, was er von mir lernen sollte!«

»Anstand!«

»Was? Anstand?«

»Ja, Anstand und Tournüre!«

»Höre, das klingt höchst sonderbar!«

»Und ist doch so sehr einfach. Er soll nämlich, wie Dein Vater mir mittheilt, sich bisher nicht in sehr exclusiven Verhältnissen befunden haben, und in Folge dessen ist es ihm noch schwierig, sich in höheren Kreisen als souverainer Künstler zu bewegen. Eine alte Erfahrung aber lehrt, daß man diesen Chic sich am Leichtesten und Schnellsten und am Sichersten im Umgange mit gewandten und liebenswürdigen Damen aneignet. Diese beiden Eigenschaften besitzen wir. Du bist sehr liebenswürdig, und ich schmeichle mir, gewandt zu sein. Voilá tout! Einverstanden?«

»Ich möchte das doch noch immer für einen Scherz Deinerseits halten.«

»Das darfst Du nicht; es ist völliger Ernst. Der betreffende Herr mag wohl einige kleine Ecken und Härten besitzen, welche er in unserer Gesellschaft verlieren soll. Nun, ich will mich dieser Aufgabe sehr fleißig und mit aller Sorgfalt widmen, denn ich habe gehört, daß er - im Vertrauen zu Dir gesagt - ein außerordentlich hübscher Kerl sein soll.«

»Kerl! Asta!«

»Pah! Unter vier Augen ist selbst ein solcher Ausdruck einmal gestattet!«

»Also, das hast Du bereits gehört?«

»Ja. Sein Aeußeres soll sehr vielversprechend sein. Du weißt, daß ich mich stets besonders gern mit den Vorzügen des starken Geschlechtes beschäftigt habe. Ich gehöre zu den umworbensten Mitgliedern unserer »weiblichen Phalanx«, und so ist es für mich vom größten Interesse, zu probiren, ob ich diesen »Neuentdeckten« besiegen werde oder ob er Sieger über mich sein wird.«

»Asta, ich bitte Dich!«

»Bitte, sei nicht prüde! Tugendhaft sind wir ja Alle, denn man be-


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obachtet uns. Aber sobald wir uns unter uns befinden, können wir den lästigen Schleier ablegen. Ich halte es mit der Liebe, denn ich bin jung und schön. Wäre ich alt und häßlich, so würde ich mich nach einem anderen Sport umsehen.«

Diese mehr als aufrichtigen Auslassungen machten einen höchst peinlichen Eindruck auf Milda. Die schöne Blondine nannte sich zwar ihre Freundin, aber von Milda's Seite war diese Freundschaft viel mehr eine Bekanntschaft gewesen. Von Herzen hatte sie sich nie zu ihr hingezogen gefühlt. Sie hatte auch recht wohl gewußt, daß Asta eine mehr sinnlich als geistig bevorzugte Natur sei; aber daß sie solche Grundsätze wie jetzt entwickeln könne, hatte sie freilich nicht geahnt. Sie fühlte sich abgestoßen und hätte wohl eine nicht sehr freundliche Bemerkung gemacht, wenn nicht gerade jetzt das erste Glockenzeichen für den Abgang des Zuges gegeben worden wäre. Das überhob sie der Gelegenheit, einen so schnellen Riß zwischen sich und Asta entstehen zu lassen. Beide begaben sich hinaus an den Zug, wohin Asta ihr Gepäck sich nachkommen ließ.

Sie hätten sich ganz ungestört weiter unterhalten können, denn es stieg Niemand weiter bei ihnen ein. Jetzt läutete es zum dritten Male. Die Schaffner schlugen die ja noch aufstehenden Thüren zu.

»Steinegg, erster Classe!« rief eine Stimme. »Was? Sie wollen erster Classe fahren?«

»Ja.«

»Das muß ein Irrthum sein. Zeigen Sie Ihr Billet!«

»Hier!«

»Ah, wirklich! Also schnell, schnell, hier herein!«

Der Schaffner riß die Coupeethüre auf, und die beiden Mädchen sahen - - den Krikelanton einsteigen, Milda zu ihrem geheimen Ergötzen, Asta aber zu ihrem größten Aerger.

»Ihr Diener!« grüßte er höflich und setzte sich nieder.

Milda nickte ihm zu, Asta aber zuckte verächtlich die Achsel und wendete sich ab. Auf der nächsten Station bat sie den Schaffner um ein anderes Coupee, mußte aber zu ihrem Grimme vernehmen, daß alle anderen Plätze dieser Classe bereits besetzt seien. Sie mußte sich drein ergeben, mit diesem entsetzlichen Menschen bis Steinegg fahren zu müssen.

Dort wartete ihrer eine Equipage, welche sie nach dem Schlosse brachte. Der Erste, welcher ihnen entgegentrat, war - Professor Weinhold, welcher mit dem vorigen Zuge angekommen war und sich durch einen Brief des Barons von Alberg legitimirte, welchen er der Tochter überreichte.

Der Vater schrieb Milda ganz dasselbe, was sie bereits von Asta gehört hatte, und fügte allerlei wirthschaftliche und andere Bemerkungen hinzu, welche sich auf ihr Verhalten zum Professor und dessen Schüler bezogen. Nach diesem Letzteren befragt, erklärte der Professor, daß derselbe nicht direct von Wien hierher gefahren sei, sondern vorher einen kurzen Abstecher nach seiner Heimath gemacht habe, aber heut ganz gewiß noch ankommen werde. Es wurde sofort


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dafür gesorgt, daß er bei seiner E Ankunft alle nöthigen Bequemlichkeiten vorfinden werde.

Der Krikelanton hatte sich, nachdem er am Bahnhofe aus dem Coupee gestiegen war, nach dem Gasthause begeben, wohin er seine Effecten vorausgeschickt hatte. Dort ließ er sich ein Zimmer geben und befahl den Friseur zu sich. Als er später wieder in die Gaststube trat, starrte ihn der Wirth offenen Mundes an.

»Ah, Verzeihung!« sagte er. »Ich weiß nicht - weiß nicht - aber sind Sie der Herr, welcher sich vorhin Nummer Drei anweisen ließ?«

»Ja.«

»Dann begreife ich nicht - -! Welch eine Veränderung ist da mit Ihnen vorgegangen! Fast hätte ich Sie für einen ganz Andern gehalten.«

Anton begab sich nach dem Schlosse. Er trug einen höchst eleganten Anzug, den Frack unter dem Ueberrocke. Auch sein Gang, seine Haltung war eine ganz andere. Der Aufenthalt in Wien hatte zwar keineswegs lange gedauert, war aber doch von sehr günstigem Einflusse auf sein Aeußeres gewesen. Auch des Hochdeutschen war er nun mächtig, so daß er nicht befürchten mußte, sich eine Blöße zu geben.

Im Schlosse angekommen, fragte er den Diener nach dem Professor und wurde zu demselben geführt. Dieser ließ sogleich die Baronesse benachrichtigen, daß Herr Warschauer angekommen sei. Zugleich ließ er anfragen, wann es gestattet sei, denselben vorzustellen.

»Was meinst Du?« fragte Milda. »Es ist bereits Dämmerung, also Abend. Sollten wir nicht so rücksichtsvoll sein, ihn erst bis morgen von seiner Reise ausruhen zu lassen?«

»Ausruhen? Wozu?«

»Nun, er ist soeben erst angekommen; darum sollten wir - - ah, da fällt mir ein, daß ja seit dem unserigen kein weiterer Zug gekommen ist!«

»Wirklich? Dann hat er sich bereits heute hier befunden, oder er ist mit einer anderen Gelegenheit hier angekommen. Auf keinen Fall aber ist er so ermüdet, daß wir ihn bis morgen schonen müßten. Wir wollen ihn sehen. Und wie heißt er? Warschauer? Allerdings kein sehr distinguirter Name. Klingt fast wie ein Jude. Bruder Straubinger, Bruder Warschauer! Hm! Mir ists, als ob ich diesen Namen erst kürzlich gehört hätte.«

»Mir auch.«

»Aber wo?«

»Ich kann mich nicht besinnen.«

»Ich auch nicht.«

»Nun, so - aber, höre, da fällt mir ein! Weißt Du, wer Warschauer hieß? Anton Warschauer?

»Nun, wer?«

»Der Passagier, welcher mit in unserem Coupee saß.«

»Ja, wahrhaftig, Du hast Recht. Jetzt fällt auch mir es ein. Anton Warschauer nannte er sich, als der Polizist ihn nach seinem Namen fragte.


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Aber das ist auf alle Fälle nur ein Zufall. Du meinst doch nicht etwa, daß dieser Mensch und der Sänger eine Person seien?«

»Das möchte ich nicht glauben.«

»Es ist ganz unmöglich! Die hoch interessante Person, von welcher ich gehört habe, und dieser freche Kerl können gar nicht identisch sein. Also, wollen wir ihn jetzt kommen lassen?«

»Wenn Du meinst?«

»Ja, ich meine es. Nun, was giebts?«

Diese Frage war an den wieder eintretenden Diener gerichtet.

»Frau Bürgermeister Holberg ist da,« meldete er.

»Kann wieder gehen!« befahl Asta ganz so, als ob sie die Herrin des Hauses sei.

»Verzeihe,« fiel Milda ein. »Ich möchte sie doch empfangen.«

»Aber Du siehst doch ein, daß wir jetzt keine Zeit für sie übrig haben!«

»O doch!« erklärte die Herrin leise, um dem wartenden Diener nicht hören zu lassen, was sie mit der Freundin spreche. »Ich muß Dir nämlich ein Geständniß machen, liebe Asta.«

»Nun?«

»Als Du mir gestern telegraphirtest, daß Du heute kommen würdest, war die Dame gerade bei mir, und in meiner Freude über Deine Ankunft lud ich sie ein, mich jetzt zu besuchen. Ich wollte sie Dir vorstellen, da ich ja unmöglich wissen konnte, daß Du in dieser Weise dagegen sein werdest. Nun ist sie da, und ich kann sie unmöglich wieder fortschicken.«

»Das ist mir höchst fatal. Du hättest mit dieser Einladung warten sollen, bis Du wußtest, ob es mir angenehm sei oder nicht. Ich bin nun einmal auf solche Bekanntschaften nicht passionirt.«

»Aber dieses eine Mal wirst Du es mir zu Liebe über Dich ergehen lassen, bitte!«

»Nun, nur höchst ungern, das sage ich Dir allerdings. Wie wird es aber da mit dem Sänger?«

»Den können wir trotzdem empfangen.«

»In Gegenwart dieser - Bürgermeisterin?«

»Ja. Warum nicht?«

»Weil es, streng genommen, eine Beleidigung für ihn ist, wenn Du ihn in Gegenwart einer so gewöhnlichen Person empfängst.«

»Das wohl kaum, denn er ist ja selbst bürgerlich.«

»Aber das Genie adelt ihn. Na, sie mag eintreten. Es ist aber ganz gewiß das erste und das letzte Mal, daß ich mit ihr spreche. Du darfst von mir nicht erwarten, daß ich große Herzlichkeit gegen sie zeige.«

Der Diener erhielt Befehl, die Bürgermeisterin herein zu lassen. Als die Dame hereintrat, begrüßte sie Milda wie eine lieb gewordene Person. Das Mädchen zeigte eine nicht ganz verhehlte Befangenheit, gab sich aber Mühe, sich gegen sie ganz so zutraulich wie gewöhnlich zu verhalten.

Asta hingegen nahm ihren Gruß mit hochmüthiger Herablassung hin und


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trat dann an den offenstehenden Flügel, um in den dort liegenden Noten herum zu blättern.

Die Bürgermeisterin war nicht eine alte Frau. Sie konnte wenig über vierzig Jahre zählen. Man sah es ihr an, daß sie sehr schön gewesen sein müsse. Ihr Auftreten war bescheiden, aber selbstbewußt. Sie mußte es unbedingt sehen und fühlen, daß sie von Asta mit Geringschätzung behandelt werde, besaß aber eine zu gute und gediegene Bildung, als daß sie ihre Indignation darüber hätte zeigen mögen.

Sonderbar! Sie und Milda waren einander in Beziehung auf die Gesichtszüge nicht im Mindesten ähnlich; hätte man aber den Hohenwalder Lehrer Max Walther zwischen Beide gestellt, so wäre es eine Unmöglichkeit gewesen, nicht zu sehen, daß er sowohl mit Milda als auch mit dieser Frau eine frappante Aehnlichkeit besitze.

Die Schloßherrin theilte ihrem Besuche mit, daß sie eben jetzt im Begriffe stehe, einen Herrn zu empfangen, welcher beabsichtige, sich als Sänger auszubilden. Sodann gab sie Befehl, Herrn Warschauer herbei zu bitten.

Die Spannung der beiden Mädchen war eine ganz bedeutende. Da öffnete der Diener die Thüre und meldete:

»Herr Professor Weinhold. Herr Warschauer!«

Die Beiden traten ein und verbeugten sich. Die Blicke trafen sich. Anton war im Frack, weißer Cravatte und eben solchen Glaçéehandschuhen. Er hatte keine Ahnung, daß er hier diese beiden Damen finden werde; dennoch aber verrieth nicht ein Zug seines Gesichtes, daß er sie kenne oder gar über diese Begegnung überrascht sei.

Ganz anders Asta. Sie blickte ihn mit großen Augen an. Zunächst fragte sie sich, ob es möglich sei, daß der »Kerl« in so veränderter Gestalt jetzt vor ihr stehe, als sie aber seine Identität anerkennen mußte, konnte sie einen Ruf der Bestürzung nicht unterdrücken:

»Also doch, Milda!«

Und sie, die sich nicht beherrschen konnte, wollte in Beziehung auf Umgangsform seine Lehrerin sein!

Milda war ebenso betroffen wie ihre Freundin, wenigstens einen kurzen Moment lang; dann aber fühlte sie eine innere Freude darüber, daß es gerade so und nicht anders sei. Sie war nicht schadenfroh, aber sie sagte sich doch, daß Asta diese Niederlage mehr als voll verdient habe.

»Meine Damen,« stellte der Professor vor, »gestatten Sie mir, Ihnen meinen jungen Freund und Schüler, Herrn Warschauer, dringend zu empfehlen! Er ist ebenso wie ich in der Lage, Ihrer Freundlichkeit und Nachsicht zu bedürfen.«

Milda gab ihm und dann auch Anton die Hand und sagte zu dem Letzteren:

»Sie sind mir herzlichst willkommen. Papa schreibt mir viel Liebes und Gutes von Ihnen, und es soll mich aufrichtig freuen, wenn ich Ihnen


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den schweren Weg, welchen Sie so muthig betreten haben, ein Wenig erleichtern kann. - Hier, meine Freundin Baronesse Asta von Zelba.«

Die Beiden standen einander gegenüber. Ihre Augen trafen sich mit prüfendem Blick. Der seinige blieb ruhig und fest auf ihr haften; sie aber senkte ihr Auge. Es war ihr unmöglich, ihn so wie er sie anzusehen. Dann wendete er sich zu Milda:

»Gnädige Baronesse, ich komme unfreiwillig als Einer, dem Sie einen Theil der Traulichkeit Ihres Heims zum Opfer bringen sollen. Ich kann mich nicht selbst entschuldigen, und Sie sollen selbst entscheiden, ob ich ein strenges Urtheil verdiene oder nicht.«

Wie klang das so ganz anders als vorher auf dem Bahnhofe! Asta's Augen blitzten unwillkürlich auf, und als er sich jetzt zu der Bürgermeisterin wandte, um auch dieser vorgestellt zu werden, da folgte sie seinen Bewegungen mit hellen Blicken.

Wie war es nur möglich, daß sie diesen jungen Mann auf dem Bahnhofe so hatte beleidigen können? Diese kräftige, ebenmäßige Gestalt, diese gewandten Bewegungen, die eigenartigen, männlich schönen Züge, das große, dunkle, gluthvolle Auge - ja, er war schön, und er war sogar noch mehr, er war interessant, höchst interessant.

Sie beschloß ihren großen Fehler durch gesteigerte Liebenswürdigkeit wieder gut zu machen.

»Eigentlich bin ich Diejenige gewesen, welche die Ankunft der Herren hier gemeldet hat,« sagte sie. »Der Herr Baron von Alberg hatte die Güte, mich damit zu beauftragen. Ich hatte das Vergnügen, mich wiederholt mit ihm über den neuen Stern zu unterhalten, welcher so plötzlich am Himmel der Kunst erschienen ist. Leider konnte ich nicht erfahren, in welchem Sternbilde er eigentlich entdeckt wurde.«

Während die Herren sich setzten, antwortete der Professor:

»Um auf Ihr Bild einzugehen, könnte ich antworten: im Sternbilde des Steinbockes.«

»Also im Thierkreise!« lachte sie.

»Ja,« fiel Anton selbst mit ein. »Ich wurde nämlich im Gebirge entdeckt und will zur besseren Erläuterung hinzufügen, daß ich eigentlich ein Wenig Wildschütz gewesen bin.«

Dabei ließ er seinen Blick zu Asta hinüberschweifen. Sie erröthete, denn sie dachte an die Scene im Bahnhofe, wo er den »Wilddieb« mit einer Ohrfeige beantwortet hatte.

»Ja,« fügte der Professor bei, »sonderbarer Weise macht Herr Warschauer kein Hehl daraus, daß er zuweilen das Leben gewagt hat, um sich eine Gemse zu holen. Die Herren vom Amte sind auch so scharf hinter ihm her gewesen, daß er sich nur dadurch retten konnte, daß er einen Bären tödtete, welcher dem Könige an das Leben wollte. Diese kühne That war der erste Schritt auf der Bahn, welche er jetzt zu wandeln hat. Der zweite Schritt


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war der fürchterlich waghalsige Aufstieg zur Felsenwand, von welcher er mir meine arme, verunglückte Frau herabholte.«

»Ich bitte, bitte, nicht weiter!« fiel Asta ein. »Das ist ja ein ganzes Verzeichniß von Heldenthaten. Gemsjäger, Bärentödter, den König gerettet, Ihre Frau Gemahlin gerettet! Dürfte man darüber nicht vielleicht etwas Näheres hören?«

Anton sträubte sich gegen die Erzählung dieser Ereignisse; aber der Professor ließ es sich nicht nehmen, die Kühnheit seines Schülers in ein helles Licht zu stellen. Anton konnte nichts dagegen thun, als hier und da einen Einwand dazwischen zu werfen, wenn der Professor sich gar zu weit hinreißen ließ.

Dadurch wurde die Unterhaltung eine außerordentlich belebte. Ein Wort gab das andere. Anton hatte keine Schule genossen, aber er war außerordentlich gut beanlagt. Er hatte seinen Aufenthalt in Wien fleißig ausgenutzt und fühlte sich in Folge des heutigen Vorkommnisses den Damen überlegen. Das gab ihm eine außerordentliche Sicherheit, und so war es kein Wunder, daß er bei seinen körperlichen Vorzügen einen höchst günstigen Eindruck machte, besonders auf Asta, welche für männliche Schönheit so sehr leicht empfänglich war.

»Und bitte, wo haben Sie ihn denn zum ersten Male singen gehört?« fragte sie.

»Das sollte ich eigentlich gar nicht erzählen,« antwortete der Professor, »denn die Rolle, welche ich dabei spiele, ist keineswegs eine sehr ehrenvolle. Es war in einem kleinen Badeorte. Ich saß in einer hoch gelegenen Restauration, zu welcher ein steiler Pfad empor führte. Herr Warschauer kam diesen Pfad herauf gestiegen und begann gerade unter meinem Fenster zu jodeln. Im beispiellosen Erstaunen über diese unvergleichliche Stimme vergaß ich, daß das Fenster geschlossen sei, und fuhr mit dem Kopfe durch das Glas. Meine Frau hat dann mit dem Hammer nachgeholfen, daß ich den Kopf wieder hereinziehen konnte. In dieser Weise wurde der Stern entdeckt. Sie sehen, meine Damen, daß der Beruf eines Kunstastronomen kein ganz ungefährlicher ist.«

»Dann muß die Stimme freilich eine außerordentliche sein!«

»Ich habe bisher meinen großen Vorrath von Kunstausdrücken und termini technici vergebens durchstöbert, um die geeigneten Ausdrücke, Herrn Warschauers Stimme zu beschreiben, zu finden.«

»Schade, daß die Herren Künstler gewöhnlich so spröde und zurückhaltend sind.«

»Wieso?«

»Sie pflegen sich nur selten zu einer kleinen Gabe erbitten zu lassen.«

»Ja, leider gehört Herr Warschauer auch unter diese Kathegorie.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Ist er so unerbittlich?«

»O nein,« antwortete Anton jetzt selbst. »Nur bin ich nicht immer


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gestimmt, die gewöhnliche Neugierde Jedermanns zu befriedigen. Sie werden mich hier ja täglich singen hören, wohl mehr, als Sie es wünschen mögen!«

»Und wann werden Sie beginnen?« fragte Asta, ihm einen heißen Blick zuwerfend und dann eine ziemlich bezeichnende Wendung nach dem Flügel machend.

»Sofort, nachdem ich die Erlaubniß dazu erhalten habe.«

»Und wenn Sie dieselbe nun jetzt empfangen?«

»Ah,« lachte der Professor. »Auch eine jener Diplomatinnen, welche unüberwindlich sind!«

»Das soll sich jetzt erst zeigen. Milda, Du hast doch jedenfalls ein hübsches Lied hier liegen.«

»Wohl, aber wir wollen Herrn Warschauer doch nicht gleich heute belästigen?«

»Warum nicht? Ich mache mich anheischig, ihn so lange zu bitten, bis er die Bitte erfüllt.«

Wieder sandte sie ihm einen Blick zu, welcher berechnet war, ihn verwundend zu treffen. Es war ihm ganz eigenthümlich zu Muthe. Er stand auf und trat zu ihr hin.

»Sie sollen nicht lange bitten müssen, gnädiges Fräulein,« sagte er. »Bitte, suchen Sie eines der Lieder aus!«

»Gern; aber helfen Sie mit!«

Sie schob ihm einen Theil der Noten zu. Beide suchten; dabei kam es wie von Ungefähr, daß ihre Hände sich berührten. Er erröthete. Sie bemerkte es.

»Er ist mein; er ist mir verfallen!« erklang es in ihrem Innern.

Endlich entschloß sie sich für eines der Lieder.

»Hier, bitte, mein Herr! Ich habe diese Composition nur ein einziges Mal gehört. Sie ist von einer Zartheit und Innigkeit, welche einen außerordentlich tiefen Eindruck in mir zurückgelassen hat. Darf ich bitten?«

»Gern, wenn der Herr Professor die Güte haben will, mich zu begleiten.«

Der Professor trat an das Instrument.

»Wenn ich auf dem Lager liege, componirt von Robert Franz? Gut, beginnen wir!«

Er setzte sich. Anton stand hinter ihm. Asta stellte sich so; daß er ihr und sie ihm offen in das Gesicht sehen konnte. Der Professor präludirte die zwei Tacte, und dann begann Anton:

»Wenn ich auf dem Lager liege,
   In Nacht und Dunkel gehüllt,
So schwebt um mich ein liebes,
   Anmuthig süßes Bild.


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Wenn mir der stille Schlummer
   Geschlossen die Augen kaum,
So schleicht das Bild sich leise
   Hinein in meinen Traum.

Doch mit dem Traum des Morgens
   Zerrinnt es nimmermehr;
Dann trag ich es im Herzen
   Den ganzen Tag umher.«

So einfach das Gedicht ist, so einfach auch die Melodie. Wie viele tausend Male mochte dieses Lied schon gesungen worden sein, nur damit ein anderes folgen solle. Und welch einen Eindruck machte es hier!

Als er langsam in As-dur begann, vermochte keine der Zuhörerinnen, unbeweglich zu bleiben. Es klang, als ob die hellsten, reinsten Perlen von seinen Lippen rollten. Er sang leise, mit unterdrückter Stimme; aber man hörte, welcher Mächtigkeit dieselbe fähig sei. Das war eine Zartheit, ein Schmelz! War das denn wirklich der Tabuletkrämer, der damals seine ungelenken Jodler hinausgeschrieen hatte? Keine der Damen war eigentlich eine Musikkennerin; aber alle Drei fühlten sich tief, tief ergriffen, nur eine Jede in ihrer Weise.

»Dann trag ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher!«

sagte Asta, als er geendet hatte. »Wie gut ist es doch, daß der Sänger nicht verurtheilt ist, das zu thun, was er singt! Sie würden bald müd werden.«

»Wohl kaum,« antwortete er. »Ich würde mein Herz nur einem Bilde öffnen, welches ich gern in demselben trage, und dann ermüdet man nicht.«

»Und wie müßte dieses Bild beschaffen sein?«

Ihre Augen leuchteten förmlich auffordernd zu ihm herüber.

»Blond,« antwortete er.

»Das ist mein Ideal.«

»Und weiter!«

»Vielleicht folgt die Schilderung später einmal. Jetzt möcht ich auch den andern Damen gerecht werden: Für Jede ein Lied. Bitte, gnädige Baronesse!«

»Für mich auch eins?« sagte Milda. »Nun, dann mein Lieblingslied. Hier ist es!«

Sie legte ihm das Notenblatt hin. Es war überschrieben: »Blühendes Thal.« Der Gesang beginnt sogleich, ohne Vorspiel:

»Wo ich zum ersten Mal Dich sah,
Wie üppig grünt' die Wiese da.
   Wo ich zum ersten Mal Dich sprach,
   Da blühn die Veilchen unterm Dach.


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Wo ich Dich küßt in dunkler Nacht,
Da lodert nun der Rosen Pracht,
   Doch wo ich Abschied nahm in Leid,
   Da rauscht nun eine Trauerweid'.

Bald jauchzt in Wonne mir das Herz,
Bald sinkt es ein in tiefstem Schmerz.
   So blüht und rauscht das ganze Thal
   Von unsrer Lieb, von unsrer Qual.«

Er hatte jetzt vermieden, Asta anzusehen, und doch fühlte er förmlich ihren Blick auf sich ruhend. Es war etwa Fascinirendes, Gefangennehmendes an diesem Mädchen. Er fühlte sich von ihr abgestoßen und doch auch mit eigenthümlich zwingender Macht wieder angezogen. Er dachte kaum an das Lied, welches er sang. Er sah kaum die Noten, und er hörte kaum seine eigenen Töne. Es war, als ob er sich in einem Zauber befinde.

Und nicht allein er war bezaubert. Auch Asta fühlte Etwas, was sie noch nie gefühlt hatte. Dieser Wildschütz machte ihr mit seiner herzbestrickenden und sinnbethörenden Stimme zu schaffen. Wenn Orpheus mit seinem Gesange Steine lebendig machen konnte, warum sollte es dieser geradezu beispiellose Tenor nicht vermögen, ein kaltes Herz in Liebesgluth zu versetzen? Warum vermied er ihren Blick? Sie veränderte ihre Stellung, um ihn zu zwingen, sie anzublicken, aber da wendete er sich ab:

»Bitte, Frau Bürgermeister, nun auch Sie ein Lied.«

»O nein, ich möchte Sie nicht belästigen,« antwortete sie in ihrer Bescheidenheit.

»Sie belästigen mich nicht, sondern es ist ein Wunsch, welchen Sie mir erfüllen.«

»In diesem Falle möchte ich Sie um dasjenige Lied bitten, welches mich unter allen hier vorzufindenden stets am tiefsten rührt: »Des kranken Kindes Traum.« Bitte, hier sind die Noten!«

Er überflog die Melodie. Sie begann in A-moll, in so weichen, herzinnigen Tönen fragt das Kind:

»Was wecken aus dem Schlummer mich
   Für süße Töne doch?
O Mutter, sieh, wer mag es sein
   In später Stunde noch?«

Und die Mutter, welche am Bette des sterbenden Kindes wacht, antwortet voller Angst:

»Ich höre nichts, ich sehe nichts;
   O schlummre fort, so lind,
Man bringt Dir keine Ständchen jetzt,
   Du armes, armes Kind!«


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Aber das Kindesohr hört doch Töne, Töne, welche nun heller und heller, jubelnd erklingen. Das Moll mit seinen Klagen ist vorüber, und nun ertönt es in freudigem, sicherem Dur:

»Es ist nicht irdische Musik,
   Was mich so freudig macht;
Mich rufen Engel mit Gesang,
   O Mutter, gute Nacht!«

Er hatte dieses Lied leise und zart begonnen wie die andern beiden auch; dann aber, bei den Worten »es ist nicht irdische Musik«, begann seine Stimme zu schwellen, stärker und stärker; bei »mich rufen Engel mit Gesang« brauste sie durch das Zimmer, daß in Wahrheit und buchstäblich die Fensterscheiben klirrten, und dann sank sie bei dem letzten Gruße an die Mutter schnell wieder zum leisen, hinsterbenden Flüstern herab.

Und diese Stärke seiner Stimme hatte nichts Gewaltsames, nichts Erzwungenes an sich. Die Sonne strengt sich auch nicht an, wenn sie das ganze Licht und die ganze Wärme ihrer Strahlen zur Erde sendet. Asta war unwillkürlich zurückgewichen. Sie war fast erschrocken über diese gewaltige Fülle von Wohlklang und Metall. Milda saß mit gefalteten Händen auf ihrem Stuhle und blickte den Sänger zweifelnd an. War es denn möglich, daß diese Worte, diese Töne aus einer menschlichen Brust kamen? Und die Bürgermeisterin hatte sich abgewendet und weinte inbrünstig. Es war überhaupt eigen, daß diese drei weiblichen Wesen sich ganz genau und treffend durch die Wahl ihrer Lieder characterisirt hatten. Asta mit ihrem einfachen, nackten Constatiren des Verliebtseins:

»Dann trag ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher!«

Milda, die Liebe tiefer, viel tiefer erfassend:

»So blüht und rauscht das ganze Thal
Von unsrer Lieb, von unsrer Qual.«

und die Bürgermeisterin nur an die größte Liebe, an die Mutterliebe denkend:

»Man bringt Dir keine Ständchen jetzt,
Du armes, armes Kind!«

Sie war auf das Tiefste ergriffen. So wie jetzt hatte sie dieses Lied noch niemals singen gehört, und darum bäumte sich aller, aller Schmerz wieder empor, den sie seit langen, langen Jahren still im Herzen getragen hatte. Sie hatte zuweilen geglaubt und gehofft, ihn endlich, endlich besiegt zu haben; aber er regte sich von Zeit zu Zeit, um ihr zu zeigen, daß er noch immer vorhanden sei, und jetzt, heute Abend, war er mit einer Gewalt losgebrochen, welche ihr Herz erzittern und ihre Seele erbeben machte. Sie konnte sich nicht beherrschen, sie konnte nicht länger hier bleiben. Mit riesiger Anstrengung drängte


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sie die Thränen nur für die wenigen Augenblicke zurück, welche sie brauchte, um sich zu verabschieden.

Sie machte dem Professor eine höfliche und Asta eine sehr kalte Verbeugung, gab Milda die Hand und streckte sie dann auch Anton entgegen.

»Herr Warschauer,« sagte sie mit leiser Stimme, denn wenn sie laut hätte sprechen wollen, so wär sie in Schluchzen ausgebrochen, »ich danke Ihnen innigst für das Lied! Gott hat Ihnen in Ihrer Stimme eine Macht über die Menschenherzen gegeben, welche Ihnen und Andern zum Segen, aber auch zum Verderben gereichen kann. Er gebe Ihnen nun auch das ächte, wahre, treue Fühlen; dann werden Sie die Seele besitzen, ohne welche selbst die größte Kunst nur todt und leblos ist. Ich danke Ihnen nochmals! Gute Nacht!«

Ganz ohne es zu wollen, hatte sie eine scharfe und äußerst treffende Kritik geführt. Ja, sein Gesang war ohne Gefühl, ohne wahre Empfindung. Ihm fehlte die Seele; er hatte sie mit der Leni von sich gestoßen. Welchen Eindruck hätten seine Lieder gemacht, wenn eine wahre, reine und treue Liebe in seinem Herzen gelebt hätte! Leni's Lieder wirkten ja gerade deshalb, weil sie eine unglückliche Liebe im Herzen trug, so wunderbar, so hinreißend. Anton mußte, um auf die Höhe seines Berufes zu gelangen, innerlich von Neuem geboren werden.

Die Bürgermeisterin ging. Kaum hatte sie die Thür hinter sich zugemacht, so brachen ihre Thränen von Neuem aus. Es klangen ihr brausend und anklagend die Worte in's Ohr:

»Man bringt Dir keine Ständchen jetzt,
Du armes, armes Kind!«

Sie wankte langsam den Schloßberg hinab, müd und immer müder werdend und flüsterte wieder und immer wieder:

»Mein Kind, mein Kind, mein armes Kind! Mein Max, mein armer, kleiner Max! Dir wurde an der Wiege bei Fackelschein gesungen, und nun - bringt man Dir keine Ständchen mehr, Du armes, armes Kind! O Gott, gieb mir doch ein Zeichen, ob er todt ist, gestorben und verdorben in fremden, kalten Händen! Und lebt er noch, so laß mich ihn wiederfinden, damit ich gut mache, was an ihm gefehlt worden ist!«

So betete sie inbrünstig und ging langsam weiter, weinend und die Hände ringend.

Da trat ein Mann, der wartend am Rande des Weges gestanden hatte, an sie heran, blickte ihr in das Gesicht, um dasselbe bei der Dunkelheit des Abends zu erkennen und sagte dann in frohem Tone:

»Grüß Gott, Frau Bürgermeisterin! Ich hab hört, daß Sie auf dem Schloß waren und hier auf Sie wartet seit fast einer Stunden.«

»Sepp!« rief sie. »Sepp, ists wahr, bist Du es? Soeben habe ich zu Gott wegen meines Kindes gebeten, und da trittst Du zu mir heran. Ist das nicht, als ob mein Gebet Erhörung finden solle!«


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»Na, regens sich halt nimmer auf, Frau Bürgermeistrin. Eine Botschaften bring ich schon; das ist wohl wahr.«

»Eine Botschaft! O Gott, mein Gott, ich danke Dir! Sepp, hast Du ihn gefunden?«

»Wen? Sie meinen wohl denen Buben?«

»Ja, wen soll ich denn sonst meinen!«

»Na, seins halt nur nicht gleich so hitzig! Wann ich sag, daß ich eine Botschaften bring, so denkens nachher gleich, daß Alles aufifunden worden ist. So schnell gehen diese Sachen doch nicht.«

»Aber eine Spur hast Du vielleicht doch?«

»Eine Spuren? Ja, die hab ich vielleicht entdeckt; aberst es ist nur so eine ganz kleine, ein Gedank von einer Spuren, und da müssen wir halt erst sehen, obs auch wohl die richtige ist.«

»So erzähle! Sag, wo, wie und wann Du diese Spur entdeckt hast.«

»Wo, wie, wann? Also von dem Ort, von der Zeit und auch von dera Art und Weisen soll ich gleich in einem Athem berichten! Hörens mal, Frau Bürgermeistrin, das halt der Hundertste nicht aus! Und ich bin so ein alter Kerlen, bei dems Hirn schon ein Wengerl eintrocknet ist. Wann ich gleich so viel auf einmal sagen soll, so bleibt mir gleich dera halbe Verstand stehen und die andera Hälften läuft mir fort. Nachhero sitz ich da und kann mich auf gar nix besinnen. Nein, das geht nimmer. Das muß recht hübsch langsam gethan werden, so in dera richtigen Reihen, Eins nach dem Andern und auch nicht hier auf dera Straßen, wo man die fünf Sinnen nicht so beisammen haben kann wie drinnen in dera Stuben, wo's einen Kaffee giebt, oder ein Bier und auch ein Käs und Brod oder gar einen Endknopf von dera Servelleratwursten dazu.«

»Du hast Recht. Hier ist freilich nicht der Ort zu solchen Mittheilungen. Mein Gott, wenn man sich so lange Jahre gesehnt hat, vergebens gesehnt, und man hört, daß diese Sehnsucht doch vielleicht gestillt werden kann, so denkt man freilich nicht sogleich an das Naheliegende. Also komm mit zu mir. Da magst Du mir erzählen, was Du erfahren hast.«

»Na, endlich! Das ist ein Worten, was ich gelten lassen will. Dort kann auch Niemand nix hören. Hier aberst in dera Dunkelheiten kann man nimmerst wissen, ob nicht Einer in dera Nähe steht und Alles hört.«

Sie gingen abwärts nach dem Städtchen. Die Bürgermeisterin lief so schnell, daß der Sepp Mühe hatte, nachzukommen. Er kannte die Wohnung seiner Auftraggeberin. Es war eines der besten Häuser der Stadt. Er war schon öfters bei ihr gewesen und darum kannte ihn auch das Dienstmädchen der Bürgermeisterin.

Dort angekommen, mußte er sich sofort an den Tisch setzen und erhielt ein gutes Abendessen vorgesetzt.

»Das laß ich mir schon gefallen,« meinte er schmunzelnd. »So was hat Unsereiner nicht immer. Das ist vom Mittag übrig blieben, ein halbes


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Backhähnerl mit Selleriesalaten und Backbirnen. Das öffnet den Verstand und macht die Augen hell. Und gar auch noch ein Gläserl Wein dazu! Na, das ist ja grad, als ob man die silberne Hochzeiten verzehren thut! Prost Mahlzeit, Frau Bürgermeistrin! Sie brauchen sich nicht mit anzustrengen, Essen werd ich schon selberst. Nachhero kann ich auch verzählen.«

Er ließ es sich schmecken. Sie saß ihm gegenüber und sah ihm zu. Obgleich sie ihre Begierde, Etwas zu erfahren, kaum beherrschen konnte, bemühte sie sich, äußerlich ruhig zu sein, und freute sich auch wirklich darüber, daß es dem Alten so ausgezeichnet schmeckte. Wenn er sein Glas ausgetrunken hatte, schänkte sie es ihm schnell wieder voll und nöthigte ihn, nur zuzulangen. Das Trinken erleichtert bekanntlich das Essen, und je schneller der Sepp fertig wurde, desto eher konnte er seinen Bericht beginnen.

Er dagegen glaubte, nicht sogleich Alles sagen zu dürfen. Er hatte gehört, daß eine große Freude unter Umständen ebenso gefährlich wirken kann wie ein großer Schmerz. Er wollte vorsichtig sein, zumal er sehr große Stücke auf die Bürgermeisterin hielt.

Endlich legte er Messer und Gabel weg und wischte sich den Schnautzbart mit dem Zipfel des Tischtuches ab. Sie athmete erleichtert auf.

»So!« sagte er. »Das hat geschmeckt, und nun könnten wir wohl von unsera Angelegenheiten reden, wanns sicher wissen, daß's Niemand hören thut.«

»Wer soll es hören? Das Mädchen ist in der Küche.«

»Na, ich hab Dirndln kannt, dera Ohren gingen von dera Küchen aus dreimal ums ganze Haus herum. Da muß man sich in Acht nehmen.«

»Die meinige horcht nicht.«

»So? Das ist sehr gut. Dafür werd ichs auch heirathen, wann ich mal Eine brauchen thu, welche nicht neubegierig ist. Jetzt aberst darf ich Niemand auszanken von wegen dera Wißbegierden, denn ich hab ja jetzt selbst überall hinanhorchen mußt, um zu derfahren, was ich gern wissen wollt.«

»Nun, und was hast Du erfahren?«

Er machte ein verwundertes Gesicht und antwortete:

»Ich? Nix hab ich derfahren, gar nix.«

»Was? So hast Du wohl nur Scherz gemacht, als Du sagtest, daß Du eine Spur gefunden habest?«

»Nein. In so einer Sachen mag ich keinen Scherz treiben; das fallt mir freilich nicht ein. Aberst ich mein, daß ich nix derfahren hab, wie's frühern gewest ist. Und das muß ich doch wohl wissen, um merken zu können, ob ich richtig denkt hab oder nicht.«

Er blickte sie erwartungsvoll an. Sie lehnte sich in den Stuhl zurück, schloß für einen Augenblick die Lider, als ob sie überlegen wolle, und sagte dann:

»Also wissen willst Du, was früher geschehen ist? Ja, vielleicht hab ich einen Fehler gemacht, daß ich Dir nicht Alles aufrichtig erzählte.«

»Freilich wohl. Je mehr ich weiß, desto besser und leichter kann ich forschen. Jetzt hab ich wohl Einen funden, der an einer fremden Thüren


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niederlegt worden ist, aberst ob er auch der Richtigen ist, wer kann das wissen.«

»So! An einer fremden Thür? Wo?«

»In dera Gegend von Regensburgen.«

»Nun, das ist ja die Gegend, welche ich Dir genannt habe!«

»Ganz richtig. Aberst um Regensburgen herum sind gar viele Oertern und gar viele Häusern und gar viele Thüren. Was nun ist das Richtige?«

»Ich habe Dir gesagt, daß ich den Ort selbst nicht weiß.«

»Das ist schlimm. Aberst grad darum muß ich doch das Andre derfahren, was Sie noch wissen.«

Sie kämpfte mit sich selbst. Sie hatte ein großes Vertrauen zu dem Alten, und sie wußte recht gut, daß er dieses Vertrauen auch gar wohl verdiene; aber konnte sie, die Frau, einem Manne von ihrer Jugend erzählen, von dem Fehltritt, dessen sie sich damals schuldig gemacht hatte? War das nicht zu viel verlangt?

Als sie so zögerte, nickte er bedächtig vor sich hin und sagte:

»Na, ich weiß es gar wohl: es giebt halt Sachen, von denen man nicht gern redet. Darum will ich auch nix derfahren. Nachhero aberst dürfens auch nicht verlangen, daß ich mich weitern um diese Sach bekümmern thu. Ich sag Ihnen also, was ich weiß, und sodann mögens halt schaun, obs das Uebrige selber dermachen können. Ich werd Ihnen also mal was zeigen.«

Er holte seinen Rucksack aus der Ecke, in welche er ihn gelegt hatte, öffnete ihn und nahm einen kleinen Lederbeutel heraus, den er ihr gab.

»Hier habens dieses Beuterl, Frau Bürgermeistern. Schauns mal hinein, obs das kennen, was sich jetzt darinnen befindet!«

Sie zögerte. Sie hielt den Beutel zagend in der Hand, drückte ihn an die Brust und seufzte:

»Was wird es sein? Was?«

»Das werdens ja gleich schaun!«

»Jawohl. Aber es ist mir, als ob ich jetzt ein Urtheil vernehmen solle, welches über Leben und Tod entscheidet.«

»Na, so schlimm wirds halt doch nicht sein. Da nehmens auch noch das Papiererl, was ich da in meiner Taschen hab.«

Er zog ein zusammengefaltetes Papier aus der Tasche und gab es ihr hin. Da öffnete sie. Es enthielt jenes kleine Stückchen Holz, welches zu dem bereits erwähnten Kreuz gehörte.

»Das Bruchstück, welches ich Dir anvertraut habe!« sagte sie. »Das giebst Du mir wieder? Warum? Hat es Dir nichts genützt?«

»Machens nur das Beuterl auf, nachhero werdens sehen.«

»Nun gut! So sei es gewagt!«

Sie öffnete den Beutel. Er enthielt jenes schwarze Holzkreuzchen, welches der Sepp bei dem Lehrer Walther entdeckt hatte. Die Frau fuhr von ihrem Stuhle auf.


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»Das Kreuz, das Kreuz!« rief sie. Sie hielt es nahe an die Lampe, um es genau zu betrachten, und sah auch, daß das abgebrochene Stückchen ganz genau dazu paßte. »Es ists, es ists, es ist mein Kreuz, mein Kreuz! O Gott, endlich wird es Licht; endlich finde ich, was ich so lange Zeit und so vergeblich gesucht habe!«

Sie preßte das Kreuz an ihr Herz und an ihre Lippen und brach in Thränen aus. Der Sepp sagte nichts. Er war selbst aufs Tiefste gerührt. Er ließ sie gehen. Nach einer Weile fuhr sie fort:

»Wo das Kreuz gefunden worden ist, muß auch Derjenige sein, dem es gehört hat! Von wem hast Du es, Sepp, von wem?«

»Ja, ich weiß halt nicht, ob ichs sagen darf.«

»Warum nicht?«

»Weil mirs verboten worden ist.«

Das war nicht wahr. Er wollte vorsichtig sein. Er wollte hören, was sich damals begeben hatte, als die Mutter ihr Kind von sich gab. Erst dann konnte er gewiß wissen, ob der Lehrer dieses Kind gewesen sei, und erst dann konnte er, seiner Ansicht nach, die verlangte Mittheilung machen.

»Wer hat es Dir verboten?« fragte sie.

»Der, von dem ichs hab.«

»Er muß doch einen Grund dazu gehabt haben?«

»Freilich hat er ihn habt. Er hat nicht wollt, daß ein Mißbrauchen damit macht werde, und darum hat er mir befohlen, ich solls nimmer eher hergeben und nicht eher was verzählen, als bis ich selberst mich überzeugt hab, daß die Personen auch wirklich ganz die richtige ist.«

»So traust Du mir also nicht?«

»Ich? O, ich hab ein gar groß Vertrauen zu dera Frau Bürgermeisterin, aberst was mir anbefohlen worden ist, das muß ich doch thun.«

Sie blickte still vor sich hin, betrachtete das Kreuz wieder und wieder und sagte dann:

»Nun wohl, Du sollst sehen, daß ich wohl die Richtige bin. Ich werde Dir Alles erzählen.«

»Daran werdens wohl sehr recht thun. Ich werd hernach auch Alles sagen, was ich zu sagen hab.«

Sie war aufgestanden und ging in großer Erregung einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb sie bei ihm stehen, legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte:

»Sepp, sage mir, warum Du ledig geblieben bist!«

»Ich? Na, weil mich Keine hat haben wollt.«

»Dich? Wenn ich Dich ansehe, so möchte ich trotz Deines Alters behaupten, daß Du in Deiner Jugend ein ganz hübscher Bursche gewesen sein mußt.«

Er nickte leise vor sich hin, schüttelte dann den Kopf und antwortete:


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»Ja, was soll das nützen, wann man kein übles Aussehen hat und hernach dennoch keine Frau bekommt! Freilich wohl bin ich nicht ganz häßlich gewest, aberst es hat mir gar nix nützt.«

»So hast Du gar kein Mädchen gehabt?«

»Freilich hab ich mal Eine habt; dera Leni ihre Muttern ists gewest. Die hab ich so lieb habt, so sehr lieb; aberst sie ist mir untreu worden, als ich beim Militären standen hab und eine Zeiten lang nicht heimkommen bin.«

»Also geliebt hast sie?

»Grad wie mein Leben und auch noch mehr.«

»Das wollt ich wissen. Ich wollt erfahren, ob Du die Liebe kennen gelernt hast.«

»O, die hab ich kennen lernt, mehr als genug, mit all ihrem Glück und mit all ihrem Leid. Als ich hab hört, daß es aus ist mit uns, da ist mirs grad so gewest, als ob ich schier vergehen soll und mich gleich hinlegen und sterben. Das hätt ich wohl nicht zweimal derleben konnt; das, wann mans nur einmal mitmachen thut, so ists grad schon mehr als genug.«

Er wischte sich über die Augen und dann mit dem Aermel über den Schnurrbart. Es war die Rührung über ihn gekommen, welche ihn jedesmal übermannte, wenn er an jene Zeit dachte, in welcher er hatte entsagen müssen.

»Sepp, ich fühle mit Dir. Nun ich weiß, daß Du die Liebe kennen gelernt hast, wirst Du mich verstehen und nicht gar schlimm von mir denken. Ich kann also von dem Jugendfehler, welchen ich begangen habe, mit Dir sprechen.«

»Ja, das könnens halt ganz gut. Ich hätt mir wohl spätern ein Weib nehmen konnt, wann ich wollt hätt, denn es hat mehrere geben, welche gar gern ihr Ja sagt hätten und sind auch ganz saubera Dirndln gewest; aber ich hab eben nicht wollt. Die Lieb hat mir zu tief im Herzen sessen; sie ist meine erst und einzige gewest und wird auch mal mit mir ins Grab hinunter gehen. Da brauchens also gar keine Sorg zu haben. Was die Lieb betrifft, davon versteh ich schon auch so ein kleines Wengerl.«

»So höre mich an! Ich werde es möglichst kurz machen, um nicht all des Vergangenen aber nicht Vergessenen wieder in mir aufzuwühlen.«

»Ja, Sprechens nur! Ich hör schon zu.«

Sie setzte sich ihm wieder gegenüber und begann:

»Als ich jung war, hielt man mich für ein schönes Mädchen - - -«

»Ja,« fiel er ein. »Das glaub ich gar wohl, daß die Frau Bürgermeistrin ein appetitlichs Dirndl wesen ist. Das sieht man ja sogar jetzunder noch.«

Sie überhörte diese Bemerkung und fuhr fort:

»Mein Vater war Banquier. Er galt für reich; aber er hatte sich auf Zureden seines Compagnons in sehr verwickelte Speculationen eingelassen, und eines schönen Tages stellte es sich heraus, daß ihm kein Gulden und kein


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Kreuzer übrig bleibe, wenn er so ehrlich sein wollte, seine Passiva zu decken.«

»Ja, das hat man davon, wann man sich einen Compagnonerl anschafft! Das hab ich mir auch immer denkt, und darum hab ich meinen Wurzelhandel stets ganz alleini trieben. Ich mag halt keinen Andern dazu.«

»Er war ehrlich und zahlte. Er mußte eine untergeordnete Stelle im Bureau eines Andern annehmen.«

»Das war brav. Er hat Niemand betrogen. Solche Leutln sind aberst nicht gar zu häufig zu finden.«

»Ich hatte einen Jugendgenossen, welcher stets viel Interesse an mir genommen hatte. Er studirte Jurisprudenz und besuchte uns täglich, wenn er in den Ferien daheim war.«

»Ah, jetzunder beginnt die Liebesgeschichten!«

»Nein. Ich war ihm sehr freundschaftlich gesinnt, aber Liebe fühlte ich nicht für ihn.«

»Der arme Schluckerl!«

»Ich glaube vielmehr, daß meine Schwester ihm im Stillen eine innige Zuneigung widmete. Sie war ein gutes, aber immer kränkliches Mädchen, welches wenig Geräusch von sich machte. Er hieß Holberg.«

»Ah, so heißens doch jetzt selbst! So ist er also doch noch Ihr Mann worden?«

»Später! Als Vater sein Geschäft aufgeben mußte, reichte sein Gehalt nicht zu, unsere gemeinschaftlichen Bedürfnisse zu bestreiten. Ich als Aelteste sah mich darum gezwungen, dem Vater die Last zu erleichtern. Ich sah mich nach einer Stelle um und wurde Gouvernante in einer adeligen Familie.«

»Das ist ein großes Viehzeug, eine Gouvernanten; das weiß ich auch schon bereits. Denen Gouvernanterln steht die Nasen manchmalen höher als denen Herrschaften selbst. Das hab ich sehen, wann ich zu denen vornehmen Leutln kam und Wurzeln verkaufen wollte. Keine einzige Gouvernanten hat mir einen Enzianen oder auch nur einen Kalmussen abkaufen wollt!«

»Was sollte eine Gouvernante mit Kalmus machen?«

»Mit Kalmus? Na, der ist gar sehr gesund, auch für Gouvernanten, besonders wanns Bauchgrimmen haben und die stechende Koliken dazu.«

»Ach so! Also weiter. Meine Herrin war kränklich und mußte jährlich sechs Monate ins Bad. Natürlich nahm sie ihre Kinder mit, und ich mußte sie begleiten.«

»Der Herr aberst nicht?«

»Nein. Der blieb daheim. Er war bei der Regierung angestellt. Ueberhaupt besaß meine Dame einen sehr selbstständigen Character. Sie liebte es nicht, von ihrem Manne abhängig zu sein. Im Bade machte sie die Bekanntschaft eines jungen, höchst interessanten, adeligen Herrn, welcher sich Herr von Walther nannte.«

»Walther? Hm!« brummte der Sepp.


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»Was meinst Du? Kennst Du den Namen?«

»Ja, den kenn ich schon.«

»Wer heißt so?«

»Es soll mal einen Dichtern geben haben, welcher Walther von dem Vogelleim geheißen hat.«

»Walther von der Vogelweide, meinst Du wohl?«

»Na ja; der Walthern war aberst doch dabei.«

»Ich glaubte schon, Du hättest von jenem adeligen Herrn gehört.«

»Nein. Dafür werden Sie halt desto mehr von ihm hört haben. Nicht?«

»Leider! Ich bemerkte nämlich sehr bald, daß er nur um meinetwillen so oft kam. Das gefiel mir. Ich war ihm gut. Sein Aeußeres nahm mich gefangen, und seine gesellschaftliche Gewandtheit imponirte mir. Ich war sehr streng erzogen, hatte keine Mutter mehr und mit dem Vater und der Schwester sehr einsam gelebt. Es entging mir also alle Welt- und Lebenserfahrung. Meine Liebe wuchs von Tag zu Tag. Er wußte es einzurichten, mich oft allein zu treffen, und sprach endlich von seiner Liebe zu mir. Meine Zuneigung zu ihm war zur tiefen Hingebung geworden. Er sprach davon, seinen Eltern zu schreiben, und brachte mir nach kurzer Zeit ihre schriftliche Einwilligung. Nur machten sie die Bedingung, daß unsere Liebe noch einige Zeit geheim bleiben solle.«

»Warum denn?«

»Weil er eine alte, hocharistokratisch gesinnte Verwandte besaß, deren einziger Erbe er war. Sie hätte ihm aber die Erbschaft entzogen, wenn er eine Verbindung mit einer Bürgerlichen eingegangen wäre.«

»Also habens auf ihren Tod warten sollen?«

»So war es.«

»Na, das ist schön! Das ist gut! Und das nennt sich nachhero vom Adel und hocharistokraterisch! Unsereiner thät sich in dera Seelen hinein schämen, wann man auf den Tod einer alten, guten Tanten warten sollt. Das ist ja grad so schlimm, als wann man die alte, liebe Karfunkeln gleich todtschlagen thut! Ich dank sehr schön!«

»Leider sind solche Verhältnisse gar nicht sehr selten. Aber Du brauchst Dich gar nicht so zu ereifern. Er wartete gar nicht auf den Tod einer Verwandten.«

»Nicht? Aberst sogleich erst haben Sies sagt!«

»Es war ja gar nicht wahr! Er hatte mich belogen.«

»Was! Dera Schuft! Aberst warum hat er dann so eine Lügen macht?«

»Um meine Liebe auch ohne Ehe besitzen zu können.«

»Ah! So ist diese Sachen! So ein Hallodri ist er gewest! Na, Der, wann ich ihn da hätt, hier in dera Stuben, dem thät ich das Genick zerbrechen und auch noch ein paar andre Knöcherln dazu!«


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»Ich liebte ihn, und in Folge dessen glaubte ich ihm. Er besaß mein ganzes Vertrauen, und wir verlobten uns im Stillen. Zwar gab ich meine Stellung nicht auf, aber wir befanden uns trotzdem möglichst oft und allein bei einander, und da - - da habe ich ihm denn mehr Vertrauen bewiesen als er verdiente. Ich habe es bitter bereuen müssen.«

»Ja, so gehts halt, wann so ein Schuftikus einem armen Dirndl den Himmeln vormalt, und doch hat er nix als nur Teufeleien im Kopf!«

»Das war im Spätherbst, und nach einigen Tagen verließen wir das Bad. Er ging nach Wien, und ich folgte meiner Gebieterin nach deren Besitzung.«

»Nun habens den Kerlen wohl gar nimmer wieder sehen?«

»O doch. Zunächst schrieben wir uns oft. Ich mußte alle meine Briefe poste restante adressiren - - -«

»Possi fressante? Warum?«

»Wegen seiner Tante. Sie wohnte bei ihm, und so war es leicht möglich, daß ihr eine Zuschrift von mir in die Hände fallen konnte.«

»Hörens mal, Frau Bürgermeistrin, das glaub ich halt nicht.«

»Du hast Recht. Ich aber glaubte es. Er besuchte mich auch einige Male heimlich. Dann blieb er aus, und auch seine Briefe kamen immer seltener. Ich hatte gegen Ende des Winters zu meinem Schreck gefühlt, daß der innige Umgang mit ihm nicht ohne Folgen geblieben sei, und es ihm mitgetheilt, aber keine Antwort erhalten. Meine Briefe wurden gar nicht mehr von der Post abgeholt und kamen zurück. Ich begann zu ahnen, daß ich meine Liebe einem Unwürdigen geschenkt hatte.«

»Freilich. Das selbige hab ich schon längst geahnt.«

»Ich suchte natürlich meinen Zustand zu verbergen. Im Anfange des Juni ging meine Dame wieder ins Bad, aber in ein anderes, nämlich nach Eger.«

»Und Sie mit?«

»Ja. Zu meiner freudigen Ueberraschung begegnete ich - - meinem Geliebten.«

»Himmelsakra! Was hat er sagt?«

»Er zeigte eine große Freude und entschuldigte sein Schweigen damit, daß er ganz plötzlich eine Reise nach Petersburg habe antreten müssen und jetzt erst zurückgekehrt sei. Er betheuerte mir, daß er nun im Begriff gestanden habe, mich aufzusuchen, und ganz glücklich sei, mich so unerwartet gefunden zu haben.«

»Na, wers glaubt!«

»Ich liebte ihn ja, und darum glaubte ich es.«

»Ja, die Lieb ist das schönste, aberst auch das dümmste Ding auf Gottes Erdboden!«

»Natürlich theilte ich ihm meine Sorgen mit. Ich hatte höchstens noch drei Wochen Frist und konnte es nicht über mich gewinnen, meinen Zustand der Herrin oder gar meinem Vater mitzutheilen. Er ging leichthin darüber weg


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und tröstete mich mit dem Versprechen, die Angelegenheit auf das Befriedigendste zu arrangiren.«

»Da gabs halt nur Eins: Er mußt Sie heirathen.«

»Das war ja unmöglich, weil seine Tante noch lebte, wie er sagte. Aber er zeigte mir so viel Liebe, daß ich mich beruhigte und ihm versprach, ganz nach seinem Willen zu handeln.«

»Na, da bin ich halt fast neubegierig, was sein Willen gewest sein wird!«

»Grad zu dieser Zeit bekam ich einen Brief, in welchem mir Vater meldete, daß die Schwester sehr krank geworden sei. Auch ihn hatte der Verlust seines Vermögens außerordentlich angegriffen. Er fühlte sich schwach und wünschte, daß ich schleunigst zu ihm kommen möge, um mich seiner und der Schwester anzunehmen. Das sagte ich dem Geliebten. Er fand, daß dieser Brief grad zur günstigen Zeit komme. Ich mußte ihn meiner Herrin zeigen und erhielt sogleich meine Entlassung.«

»Und auch ein Geldl dazu?«

»Nein. Ich war im Vorschuß, da ich sehr oft kleine Summen nach Hause gesandt hatte. Das Gehalt, welches Vater bezog, war sehr niedrig.«

»So sinds also nach Haus gangen?«

»Nein. Herr von Walther hatte sich nach einer nicht zu fernen Stadt gewandt, in welcher eine Hebamme Annoncen, wie man sie oft zu lesen pflegt, in den Blättern veröffentlichen ließ. Sie nahm Damen, welche ihre Entbindung in discreter Weise halten wollten, bei sich auf. Zu ihr mußte ich. Als ich mich drei Wochen bei ihr befand, war ich Mutter eines wunderhübschen kräftigen Knaben geworden, und - - das Geld, welches Walther mir gegeben hatte, war alle. Natürlich glaubte ich, daß er kommen werde. Er kam auch und wohnte einige Tage lang im besten Hotel des Ortes. Da wurde das Kind auf den Namen Max getauft.«

»Also Max von Walther? Hm!«

Er nickte nachdenklich vor sich hin.

»Was hast Du, Sepp? Du machst jetzt wieder ein Gesicht grad wie vorhin.«

»Ja, dies Gesichten mach ich allemalen, wann ein Kind tauft wird, Frau Bürgermeistrin.«

»Ich verstehe Dich nicht. Ich war an jenem Tage ganz glücklich. Mein Verlobter sprach von unserer Hochzeit, und als wir so allein in der kleinen Stube beisammen saßen, ich mit dem kleinen Max auf dem Arme, eine glückliche, hoffnungsvolle Mutter, da ertönten aus dem Gärtchen herauf die Töne eines Ständchens, welches er mir und dem Kinde bringen ließ. Der Garten lag abgeschieden, und es war nur ein Streichquartett; darum machte dieses Ständchen gar kein Aufsehen, keine Störung im Orte, ich aber fühlte mich um so entzückter darüber.«

»Na, den Kerlen begreif ich jetzt fast nicht. Ich trau ihm gar nix Gutes zu, und doch läßt er gar ein Ständchen geigen! Hm!«


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»Es war das erste und wohl auch das letzte, welches man dem Kinde gebracht hat!«

Und sich an das Lied erinnernd, welches der Krikelanton gesungen hatte, fügte sie traurig hinzu:

»Ich höre nichts, ich sehe nichts, 
   O schlummre fort, so lind,
Man bringt Dir keine Ständchen jetzt,
   Du armes, armes Kind!«

Sie schwieg. Der Sepp verstand nicht, warum sie diese Strophen sagte, und schwieg darum auch. Nach einer längeren Weile fuhr sie fort:

»Als er dann an jenem Abende von mir ging, war ich so glücklich. Das Glück sollte ein schnelles und ganz unerwartetes Ende nehmen. Nämlich als ich am andern Morgen erwachte, brachte mir die Hebamme einen Brief, welcher für mich abgegeben worden sei. Ich erkannte auf dem Couvert die Handschrift meines Verlobten und öffnete, eine freudige Ueberraschung vermuthend.«

»Und es war doch keine?«

»O, es war im Gegentheil die schrecklichste Nachricht, welche mich treffen konnte.«

»Was hat drin standen?«

»Sepp, das würdest Du nie vermuthen, im ganzen Leben nicht!«

»Na, eine Schurkereien ists doch!«

»Ja, der würdige Abschluß einer entsetzlichen Schurkerei. Ich werde Dir den Brief vorlesen, obgleich ich seinen Inhalt auswendig weiß. Ein jedes Wort, ein jeder Buchstabe ist mir mit glühenden Zügen in die Seele geschrieben.«

Sie ging in das Nebenzimmer und kam mit einem alten, ganz zerlesenen Blatte zurück.

»Das ist der Brief,« sagte sie. »Tausende von Thränen, nein, Millionen und Abermillionen sind darauf gefallen. Sie haben die Schriftzüge verwischt, und doch kann ich sie noch lesen. Höre!«

Sie las mit bewegter Stimme.

Sie faltete das Blatt auseinander, fuhr sich mit der Hand über das Auge, als ob sie von dort einen Schleier entfernen wolle, und las langsam und mit tief bewegter und zitternder Stimme:

          »Liebe Bertha.
Es ist die Zeit gekommen, in welcher ich es für gerathen halte, Dir eine Mittheilung zu machen, welche ich Dir wohl nicht so lange Zeit hätte vorenthalten sollen.
   Wir müssen uns trennen, und zwar für immer. Zwar habe ich Dich geliebt und liebe Dich auch noch, aber das Weib eines unter einer Freiherrnkrone Geborenen hättest Du doch nie werden können. Der Sommer ist so schön. Die Sonne flimmert, und es duften die Blumen. Der Schmetterling nippt von der Rose und fliegt dann weiter. Die Rose warst Du, und der Schmetterling bin ich.


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   Wir haben einen schönen Traum geträumt. Jetzt müssen wir erwachen, denn das Leben ist sehr streng und verlangt nüchterne Menschen.
   Natürlich habe ich von allem Anfang an diese Trennung voraus gesehen und mich darnach verhalten. Ich heiße nicht von Walther. Ich habe mir diesen Namen beigelegt aus Gründen, welche Du begreifen wirst. Auch habe ich keine alte Tante, welche ich beerben soll. Das sagte ich ja nur, um Dich einmal recht innig als - - Braut umarmen zu können. Diese Umarmung ist zu innig gewesen. Ich bedaure das jetzt um Deinetwillen. Aber es läßt sich nicht ändern. Natürlich bin ich so aufmerksam gegen Dich, Dir den kleinen Max nicht zu rauben. Du magst ihn als Andenken an die glücklichen Stunden behalten, welche Du in meinen liebevollen Armen verlebtest.
   Forsche nicht nach mir! Es würde doch vergeblich sein. Du findest mich nicht. Und wolltest Du mich ja belästigen, so würde ich in meiner einflußreichen Stellung die Mittel besitzen, mich aller Querulei nachhaltig zu erwehren.
   Ich habe Dir gestern Abend zum Abschied ein Ständchen bringen lassen, damit für immerdar ein zarter, poetischer Hauch über dem Andenken an unsere Trennung schwebe. Vielleicht hätte ich das unterlassen sollen, denn dieses Ständchen habe ich fast mit dem letzten Gulden bezahlt, den ich besitze.
   Ich habe in diesem verdammten Bade heuer wenig Glück aber desto mehr Pech gehabt. Mein Geld ist alle, und alle meine Mittel sind nun erschöpft. Ich muß fast wie ein Handwerksbursche von hier abreisen und sehe mich also gezwungen, Dir die Befriedigung der Hebamme zu überlassen. Das wird Dir nicht schwer werden; Du hast ja Kleider und Wäsche genug bei Dir.
   Uebrigens warne ich Dich, allzu lang bei ihr zu bleiben. Ich erfuhr, daß Deine Schwester nur noch kurze Zeit zu leben habe. Vielleicht ist sie jetzt bereits todt. Wenn Du an ihrem Begräbnisse theilnehmen willst, mußt Du dich also höchst wahrscheinlich beeilen.
   Natürlich wünsche ich Dir und Deinem Max alles Glück der Erde. Es sollte mich freuen, wenn ich einst von Euch nur Erfreuliches zu hören bekäme. Also zuletzt herzlichen Dank für Deine Liebe und Hingebung. Denke zuweilen an Deinen - - sogenannten
          Curt von Walther.«

Es war still im Zimmer, als sie den Brief vorgelesen hatte. Sie hatte denselben auf den Tisch gelegt und blickte starren Angesichtes in die Ecke.

Der Sepp stand auf. Er stieg mit langen Schritten hin und her, stieß halblaute Flüche und Kraftworte aus, blieb endlich vor ihr stehen und fragte:

»Wissens, wers gewest ist?«

»Nein.«

»So habens nicht nach ihm geforscht?«


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So viel es mir möglich war, ja. Aber es ist vollständig vergeblich gewesen.«

»So gut also hat er sich verstecken konnt! Ich!«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Lampe empor sprang und fast umgefallen wäre. Dann fügte er hinzu:

»Ja, versteckt hat er sich gut, sehr gut. Aberst er wird seine Rechnung ohne den Sepp macht haben!«

»Wie so?«

»Wie so? Das fragens auch noch? Wie so? Nun, weil ich ihn finden werd!«

»Das ist unmöglich!«

»Meinens halt? O nein, da denkens sehr falsch, sehr falsch! Wissens, es giebt einen Herrgott, der das Gute belohnt und das Böse bestraft. Er wird den alten Wurzelseppen leiten, daß dieser den Herrn Curt von Walthern finden thut. Unds liegt mir halt schon heut in allen Gliedern, daß ich mit dem Urianer schon recht bald zusammen gerathen thu. Aberst dann, o dann! Himmelsakra, dann werden die Aesten und die Spänen so herumi fliegen, als ob Einer mit dera Axten einen Baum niederschlagen thut!«

»Daran denk ich längst nicht mehr!«

»Aberst ich seit jetzt! Hätt ichs schon ehern wußt, so hätt ich den Hallunken schon bereits funden. Das ahn ich ganz deutlich. Na, na, ich freu mich halt schon jetzt, wies sein wird, wann ich ihn ins Gebet nehm und in die Beichten. Dem solls zu Muthen werden als ob die Welt gleich untergehen wollt!«

»Es sind seit jener Zeit über zwei Jahrzehnte vergangen. Ich habe natürlich nicht öffentlich geforscht; aber einen Erfolg hätte mein Suchen doch gehabt, wenn der Erfolg überhaupt möglich gewesen wäre. Jetzt nach dieser langen Zeit ists nun ganz die Unmöglichkeit. Uebrigens, weshalb sollt ich nach ihm suchen?«

»Weshalb? Was für eine Fragen! Natürlich muß er seinen Zahlaus erhalten.«

»Nein. Ja, damals habe ich auch an Rache gedacht. Ich bin vor Schmerz, Jammer und Elend fast wahnsinnig gewesen. Das ist aber längst, längst vorüber. Ich bin alt und ruhig geworden und denke nicht mehr an Rache. Ich überlasse sie dem lieben Gott.«

»Und noch Einem!«

»Wem?«

»Dem lieben Gott und dem Wurzelsepp. Diese Beiden halten gar große Stucken auf nander und werden den Kerlen schon zu finden wissen. O Du mein Himmelreich, wie muß es Ihnen damals ums Herze gewest sein, nach dems den Brief gelesen hatten!«

»Ich war starr wie eine Leiche!«

»Das glaub ich halt gar gern.«


Ende der vierunddreißigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk