Lieferung 41

Karl May

7. Mai 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Man wird vermuthen, daß - - ah pah! Warum solche Erklärungen! Singen wir. Bitte!«

Sie setzte sich an das Instrument. Er hatte eigentlich keine Lust zum Singen und trat darum nur zögernd an ihre Seite.

»Also nur für mich, nur für mich!« bat sie. »Denken Sie sich, ich sei Diejenige, bei welcher Sie so gern allein sind. Ich will gern hören, ob Sie bei dem Gedanken an mich mit der rechten Innigkeit zu singen verstehen.«

Sie blickte dabei so verführerisch zu ihm auf, daß es ihn heiß überlief. Dann ließ sie die Hände über die Tasten gleiten.

Der volle Arm blickte weiß und bloß bis an den Ellbogen aus dem Spitzenärmel. Er brauchte nur den Blick zu senken, so fand er Halt an dem üppig vollen Busen, welcher den Stoff des Kleides zu zersprengen drohte. Er fühlte, daß er jetzt im Stande sei, mit der von ihm erwarteten Innigkeit zu singen.

»Nun, noch drei Takte,« nickte sie. »Jetzt!«

Er begann mit unterdrückter, schmelzender Stimme:

»Ich bin so gern, so gern allein,
   Daheim in meiner stillen Klause.
Wie klingt es doch dem Herzen wohl,
   Das liebe, traute Wort »zu Hause!«
O, nirgends auf der weiten Welt
   Fühl ich so frei mich von Beschwerden.
Ein braves Weib, ein herzig Kind,
   Das ist mein Himmel auf der Erden.

Gewandert bin ich hin und her
   Und mußte oft dem Schmerz mich fügen.
Den Freudenbecher setzt ich an;
   Ich trank ihn aus in vollen Zügen,
Doch immer zog es mich zurück,
   Zurück zu meinem heimschen Heerde.
Ein braves Weib, ein herzig Kind,
   Das ist mein Himmel auf der Erde.

All Abends, wenn der Tag zur Ruh
   Und ich mich leg zum Schlummer nieder,
Dann bete ich zum Herrn der Welt;
   Es schließen sich die Augenlider,
Ich halte beide Hände fromm
   Zu dem, der einstens sprach sein Werde:
Du guter Gott, erhalte doch
   Mir meinen Himmel auf der Erde!«

Er hatte mit so unterdrückter Stimme gesungen, daß man es wohl kaum draußen auf dem Corridor oder im Nebenzimmer deutlich hätte vernehmen können. Dies gab seinem Vortrage scheinbar die Seele, welche ihm fehlte. Als die letzten Töne verklungen waren, nahm Asta die Hände von den Tasten und sagte:


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»Herrlich! Diese Stimme und dieser Vortrag! Wie soll ich Ihnen danken!«

»Fühlen Sie wirklich das Bedürfniß des Dankes?«

»Gewiß, gewiß! Sagen Sie mir Etwas!«

Sie hob das Gesicht zu ihm empor und blickte ihn aus halb verhüllten Augen an, verheißungsvoll und verlockend. Aus ihrem leicht geöffneten Munde glänzten die breiten, aber tadellos glänzenden Zähne zwischen den rothen, üppigen Lippen hervor. Er wagte es:

Ich wüsste einen Dank.

»Ich wüßte einen Dank!«

Er näherte sein Gesicht dem ihrigen.

»Welchen?«

Sie wich nicht zurück.

»Darf ich ihn mir selbst nehmen?«

»Wenn Sie es können!«

»O, leicht, nämlich so!«

Er legte seine Lippen auf ihren Mund. Sie hielt den Druck für einen Augenblick aus, schien ihn sogar zu erwidern, zog dann aber ihre Lippen schnell zurück und zürnte:

»Welche Kühnheit! Herr Warschauer, wie können Sie sich das erlauben!«

Ihr Gesicht zeigte aber weniger Zorn, als aus ihrem Tone zu hören war.

»Sie selbst erlaubten es ja!« antwortete er.

»Konnte ich ahnen, was Sie wollten!«

»Ja, denn Sie wissen, daß ich Wildschütz gewesen bin, und seit jener Zeit gelüstet mich stets nach Verbotenem.«

»Also nicht nach Erlaubtem?«

»Nein.«

Da lachte sie silbern auf und meinte:

»So giebt es ja ein sehr einfaches Mittel, sich vor Ihren Küssen sicher zu stellen!«

»Das möchte ich kennen lernen.«

»Man braucht es Ihnen nur zu erlauben, dann schweigen Ihre Wünsche.«

»O, Ihnen gegenüber niemals.«

»Also wäre ich völlig schutzlos in Ihre Hand gegeben, Sie - - Wilderer!«

»Oder umgekehrt, ich in die Ihrige. >Halb zog sie ihn, halb sank er hin, da wars um ihn geschehn.< So, wie in diesen Göthe'schen Strophen ist es mir, wenn ich Ihnen in die Augen blicke.«

Anton hatte während seines Aufenthaltes in Wien gar wohl gelernt, sich auszudrücken. Asta schlug ihm ein Schnippchen und kicherte vertraulich:

»Was für Gefährlichkeiten könnten meine armen Augen für Sie haben!«

»Die allergrößten. Ich kann in ihren Tiefen ertrinken. Diese blauen, strahlenden, lockenden Sterne, tief und gefährlich wie die blauen Wasser eines Sees! Wer hineinschaut, der kann nie, nie wieder heraus.«

»Wie poetisch! Wem haben Sie dieses Bild abgelauscht?«


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»Keinem!«

»Nicht? Und doch ergehen sich unter hundert Dichtern wohl neunzig in diesem Vergleich. Hören Sie:« Und sie trillerte leise: »O Du himmelblauer See - - -! Kennen Sie das?«

»Nein.«

»Schade! Es ist auch nur ein einfaches Alpenlied, aber doch so - - ah, trauen Sie mir zu, daß ich es Ihnen vorsingen kann?«

»Gewiß!«

»Ich habe keine Stimme.«

»Nach Ihrer Sprache haben Sie einen Halbsopran. Und wenn dieser nicht hinter Ihren andern Vorzügen zurückbleibt, so besitzen Sie eine kostbare Stimme.«

»Welch eine Täuschung! Ich schrille wie eine Clarinette!«

»Das möchte ich bezweifeln. Bitte, bitte, singen Sie es doch! Ja?«

»Wohl auch nur für Sie allein?«

»Das möchte ich mir ausbedingen.«

»Nun wohl, es soll nur Ihnen gelten. Aber ich bin so beengt; ich muß die Stimme befreien.«

Dabei zog sie die Granatbroche aus dem Kragen. Dieser gab sich vorn auseinander und »ihre Stimme war frei«, wie sie gesagt hatte, aber auch noch etwas Anderes. Die obern Knöpfe des Kleides waren nicht zu. Als nun die Broche entfernt worden war, gab der leichte Stoff dem Drucke ihrer vollen Formen nach, und Anton, welcher seitwärts hart hinter ihr stand, vermochte nun einen Blick herab zu werfen, welcher von dem vollen Halse abglitt um noch tiefer zu dringen, dahin, wo ein Einblick eigentlich verboten sein sollte.

Er fühlte sich wie berauscht. Er ahnte nicht, daß hier eine klare Absicht vor lag, daß dieses Mädchen ihm die Augenweide mit voller Berechnung bot. Sie hatte ja nur aus dem Grunde zu singen gewünscht, um einen Grund zu haben, die einengende Broche entfernen zu können.

»Also, soll ich beginnen?« fragte sie.

Auch diese Frage geschah aus Berechnung, denn durch dieselbe erhielt sie Gelegenheit, zu ihm aufblicken zu können. Sie bemerkte seinen flimmernden Blick und seine gerötheten Wangen und wußte nun, daß ihre List gelungen sei.

Er nickte nur. Es war ihm, als wenn er statt aller Worte nur Küsse geben solle. Er war ja noch viel, viel zu befangen, um den Raffinerieen einer berechnenden Kokette mit kaltem Blute Stand halten zu können.

Eigentlich hatte er ihr keine gute Stimme zugetraut; darum fühlte er sich auf das Angenehmste enttäuscht, als sie jetzt mit leiser, vibrirender und recht angenehmer Stimme begann:

»Zwischen Felsen, die voll Schnee,
Liegt a himmelblauer See,
Und wer in den See schaut 'nein,
Sieht das höchste Glück tief drein.
   O Du himmelblauer See,
   Du stillst mein Herzleid nit,
   Stillst nit mein Weh!

Und beim See im Mondesstrahl
Sitzt und singt a Nachtigall.
Und wers hört, dös G'sang, wie's hellt,
Meint, voll Freuden sei die Welt.
   O du Gesang so hold beim See,
   Du stillst mein Herzleid nit,
   Stillst nit mein Weh!


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Aus der Hütte hint' beim See
Guckt a Dirnderl, weiß wie Schnee,
Weiß wie Schnee und roth wie Blut;
Ob dös Dirnderl mir ist gut?
   O du himmelblauer See,
   Aus ist das Herzeleid,
   Aus ist das Weh!«

Es war eine etwas feste aber doch recht klangvolle Stimme, mit welcher sie dieses anspruchslose Lied sang. Sie ließ die hinein gehörenden Jodler fort und gab nur die Melodie. Dabei sang sie mit einem Ausdrucke, welcher des Guten zu viel that, aber bei Anton die beabsichtigte Wirkung mehr als vollauf hervorbrachte. Es ist für einen jungen, lebensfrischen und feurigen Mann gewiß schwierig, gleichgiltig zu bleiben, wenn er hinter oder neben einer ebenso jungen Dame steht, welche mit verführerisch ausgewirkten Formen am Klaviere sitzt und sich alle Mühe giebt, durch den bestrickenden Klang ihrer Stimme den Eindruck ihrer Reize noch zu erhöhen.

Nach dem letzten Tone stand sie schnell auf, so daß sie hart vor ihm zu stehen kam.

»So! Nun fällen Sie Ihr Urtheil!« sagte sie.

Ihr Athem fächelte seine Wange. Dieser Hauch hatte etwas gelind Aromatisches. Wäre Anton ein Kenner gewesen, so hätte er sofort erkannt, daß die Dame geröstete Kaffeebohnen gekaut hatte, was man doch nur thut, um einen üblen Athem zu maskiren. In seinem Rausche aber war es ihm, als ob dieser Hauch ihre Seele sei, welche zu ihm überfluthe, um nun die seinige hinüber zu locken auf Nimmer-, Nimmerwiederkehr. Es giebt wirklich einen Rausch, welcher mit dem Worte >schönheitstrunken< characterisirt werden kann, und in diesem Rausche war Anton befangen. Er stammelte beinahe, als er antwortete:

»Ich soll mein Urtheil fällen über Ihren Gesang, gnädiges Fräulein? Ich bin kein Gelehrter. Was ich weiß, das habe ich mir erst in der letzten Zeit aneignen können. Da habe ich auch von jenen wunderbaren Wesen gehört, welche, im Wasser schwimmend, den Schiffer durch die Schönheit ihrer Gestalt und den verlockenden Ton ihrer Stimme so berauschen, daß er sich ohne Bedenken in die Fluthen warf - - -«

»Sie meinen die Sirenen?«

»Ja. Ihrem Zauber sollen nach der Sage Tausende verfallen sein, und nur ein Einziger entkam ihnen. Er verklebte seinen Gefährten die Ohren mit Wachs, damit sie die Stimme der Sirenen nicht hören konnten. Er aber


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wollte sie hören, und um da diesen verführerischen Wesen nicht zum Opfer zu fallen, ließ er sich mit festen Stricken an den Mast binden. Er ist der Einzige gewesen, der sie singen hörte, ohne verloren zu sein.«

Sie legte ihm die Hand schmeichelnd auf den Arm und fragte:

»Und warum erwähnen Sie diese sagenhaften Wesen?«

»Weil ich Ihnen sagen soll, welchen Eindruck Ihr Gesang auf mich gemacht hat. Sie haben gesungen wie eine Sirene, und da Sie auch viel, viel reizender sind als jene Wesen gewesen sein können, so können Sie sich denken, welchen Eindruck Sie auf mich gemacht haben. Ich befinde mich unter einem Zauber, dem ich mich nicht entziehen kann, obgleich ich sehr wohl weiß, wie gefährlich er für mich ist.«

»Sie sind ein Schmeichler, ein großer, großer Schmeichler! Wie könnte ich Ihnen jemals gefährlich werden!«

»Dadurch, daß Sie Gefühle und Wünsche in mir erwecken, für welche sich keine Erhörung hoffen läßt.«

»Welche Wünsche wären das?«

»Sie sind alle zusammen zu fassen in das eine, einzige Verlangen nach - Gegenliebe.«

»Gegenliebe?« lachte sie. »Dann müßte ja vor allen Dingen Liebe vorhanden sein!«

Sie trat ihm noch um einen halben Schritt näher, so daß ihr Körper sich leicht an den seinigen schmiegte. Die Wärme, welche von ihren vollen, weichen Formen zu ihm überstrahlte, durchfluthete ihn wie eine magnetische Gewalt, welcher er nicht zu widerstehen vermochte. Er, ein armer Gebirgler, ein früherer Wilddieb, und sie, die Tochter einer adeligen Familie - er dachte gar wohl daran; aber ihre Augen brannten ihm verlangend entgegen; zwischen Hoffen und Zagen hob er langsam den Arm und legte ihn um ihren Leib, erst leise, wie um zu versuchen, ob sie vor dieser Berührung zornig zurückweichen werde, dann aber fester und immer fester. Sie machte nicht die leiseste Bewegung des Widerstandes; darum wagte er es, sie an sich zu ziehen. Ihr Körper folgte dem Drucke seines Armes; ihr Busen schmiegte sich an seine Brust, und ihr Kopf legte sich willig auf seine Achsel.

»Asta!« flüsterte er, glühend vor Freude.

»Anton!« antwortete sie, tief aufseufzend. »Was thun Sie mit mir!«

»Ich liebe, liebe, liebe Sie!« antwortete er, indem er nun auch den andern Arm um sie schlang und sie nun fest, fest an sich drückte. »Und Sie, Asta?«

»Niemals hat ein Mann mich so berühren dürfen. Ich weiß nicht, warum ich es von Ihnen dulde!«

»Warum von mir! Darf ich mir die Antwort auf diese Frage suchen, Asta?«

»Werden Sie dieselbe finden?«

»Ich vermuthe es und würde unendlich glücklich sein, wenn meine Vermuthung sich als Wahrheit erweisen dürfte.«

»Nun, so vermuthen Sie einmal!« forderte sie ihn lächelnd auf.


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»Es ist die Liebe, welche Ihnen gebietet, mich nicht so wie Andre von sich zu weisen.«

»Die Liebe? Meinen Sie? Ich habe dieses Gefühl noch niemals kennen gelernt und weiß also auch nicht, ob das, was ich empfinde, Liebe ist.«

»So wollte ich, ich könnte erfahren, was und wie Sie jetzt empfinden.«

»Das können Sie nicht erfahren, denn es ist mir ganz unmöglich, es zu beschreiben.«

»O bitte, machen Sie wenigstens den Versuch, es zu beschreiben!«

»Auch der Versuch ist unmöglich.«

»O nein. Fragen Sie nur Ihr Herz! Es wird Ihnen Antwort geben. Oder, Asta, soll ich es nicht lieber fragen?«

Er beugte sein Gesicht so weit zu ihr nieder, daß er mit seiner Wange fast die ihrige berührte.

»Ja, fragen Sie!«

»Nun, was sagt Ihr Herz jetzt in diesem Augenblicke? Räth es Ihnen vielleicht, sich mir zu entziehen?«

Er drückte sie so fest an sich, wie man es sonst bei einer Dame, welche man erst so kurze Zeit lang kennt, nicht zu wagen pflegt. Sie hielt diesen Druck ohne Widerstreben aus und antwortete:

»O nein; von einem solchen Rath empfinde ich nichts, gar nichts. Ich fühle vielmehr, daß - - -«

Sie hielt inne und barg mit gut gespielter, mädchenhafter Verschämtheit ihr Gesicht an seiner Brust.

»Bitte, bitte, sprechen Sie weiter!« flüsterte er zärtlich. »Was fühlen Sie?«

Sie erhob den Kopf ein Wenig und antwortete mit der naiven Befangenheit eines Backfisches:

»Ich fühle, daß - daß - - daß es so süß, so entzückend hier bei Ihnen ist.«

»Herrlich, herrlich!« jubelte er mit fast zu lauter Stimme. »Und was sagt Ihr Herz jetzt?«

Er hielt ihren Kopf mit der linken Hand fest, damit sie ihm nicht entschlüpfen möge, und küßte sie auf den Mund. Sie gab sich aber gar nicht die Mühe, ihm ihre Lippen zu entziehen, ja er fühlte sogar einen leisen Gegendruck. Sie antwortete nicht. Sie schloß die Augen und behielt den Kopf ganz in derselben Lage, so daß es ihm leicht wurde, den Kuß mehrere Male zu wiederholen.

»Asta,« fragte er, »ist das Ihre Antwort?«

»Ja,« hauchte sie.

»So darf ich Sie küssen?«

»Muß ich Ihnen das nun erst noch sagen?«

»Nein, nein! Welch ein Glück, welch eine Seligkeit! Sie lieben mich! Sie lieben mich!«

Und sie fast zu sehr an sich pressend, gab er ihr nun Kuß um Kuß.


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Sie duldete es. Ja, sie schlang sogar ihre Arme jetzt auch um ihn und gab sich seinen Liebkosungen ohne alles Widerstreben hin.

Da ließen sich Schritte hören. Die Beiden fuhren schnell auseinander. Er nahm ein Notenblatt in die Hand, und sie setzte sich vor die Claviatur und griff einige leise Accorde, als ob sie Beide eben im Begriffe ständen, einen Vortrag zu beginnen.

Ein Diener trat ein, um sich zu erkundigen, ob die Herrschaften vielleicht einen Befehl für ihn hätten. Er erhielt den Bescheid, daß er nicht gebraucht werde, und wurde nach dem Baron und Milda gefragt. Er berichtete, daß Beide nach der Stadt gegangen und noch nicht wieder zurückgekehrt seien, und entfernte sich dann wieder.

»Eigentlich eine Rücksichtslosigkeit gegen uns,« meinte Asta. »Man läßt doch nicht die Gäste allein, ohne sich vorher zu entschuldigen!«

»Diese Rücksichtslosigkeit ist mir außerordentlich willkommen, denn sie bietet uns ja Gelegenheit, allein und unbelauscht zu sein.«

»Jetzt nun nicht mehr. Nachdem wir erfahren haben, daß wir allein sein werden, dürfen wir nicht länger beisammen bleiben. Das würde der Dienerschaft auffallen. Diese Leute sind ja stets geneigt, sich Romane zu bilden, welche nur auf ihren vagen Vermuthungen beruhen. Man muß vermeiden, ihnen Gelegenheit dazu zu geben.«

»Sie mögen Recht haben; aber was mache ich mir aus den Gedanken dieser Menschen!«

»O bitte! Ein Herr braucht da vielleicht weniger Rücksicht zu nehmen als eine Dame. Ich mag auf keinen Fall der Dienerschaft Veranlassung zu irgend welchen Vermuthungen geben und werde mich also jetzt zurückziehen müssen.«

»Wie schade, wie jammerschade!«

»Liegt Ihnen denn gar so viel an meiner Nähe?«

»Wie können Sie diese Frage aussprechen! Muß einem Menschen nicht Alles, Alles an seinem Glücke liegen, Asta?«

»Ja. Aber haben Sie noch nicht gehört, daß das größte Glück der Liebe in dem Geheimnisse liegt, in welches sie sich so gern zu hüllen pflegt? Wir können uns ja sehen und sprechen, ohne daß es Andere bemerken.«

»Wo?«

»O, überall.«

»Und wann?«

»Zu jeder Zeit.«

»Auch heut?«

»Heut? Heut haben wir uns ja hier gesprochen!«

»Aber wie lange! Nur so kurze Zeit. Es sind ja nur so wenige Minuten gewesen.«

»Und doch wissen wir Alles, grad so, als ob wir seit Ewigkeiten beisammen gewesen wären. Nicht?«

Sie war wieder von ihrem Stuhle aufgestanden und legte bei der letzteren Frage ihre Arme um seinen Leib. Zu ihm aufblickend, bot sie ihm den Mund


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zum Kusse, ein Wunsch, welchen er natürlich sofort und auch sehr vollständig erfüllte. Anstatt durch diese widerstandslose Hingabe sich warnen zu lassen, fühlte er sich von derselben in der Weise hingerissen, daß er ihr entgegnete:

»Was sollen wir wissen? Nichts wissen wir, ganz und gar nichts. Wir haben uns ja kaum sagen können, daß wir uns lieb haben. Und was giebt es außer diesem nicht Alles noch zu sagen und zu besprechen! Asta, meine herrliche, süße Asta, wir müssen uns heute noch sehen! Ich lasse Sie nicht eher von hier fort, als bis Sie mir die Erfüllung dieses Wunsches versprochen haben!«

»Ungestümer!« zürnte sie in scherzhaftem Tone. »Sie verlangen gar zu viel!«

»Der Liebe ist nichts zu viel, sondern Alles zu wenig!«

»Haben Sie denn nicht bereits genug geküßt?«

»Nein. Und wenn ich Ihnen Tausend und Millionen Küsse gegeben hätte, so wäre es nicht genug, denn ich möchte an Ihren Lippen hangen in alle Ewigkeit. Bitte, bitte! Der Abend ist noch so lang und wir haben noch so viel Zeit, uns zu treffen.«

»Ist denn Ihre Liebe gar so groß?«

»Groß? Dieser Ausdruck sagt viel, viel zu wenig. Sie ist nicht groß, sondern unendlich.«

»Sie machen mir fast Angst. Dazu ist sie so glühend, so - unbescheiden!«

»Es liegt ja im Wesen der Liebe, daß sie unbescheiden sein muß. Sie wünscht, sie verlangt, sie will erhört sein, sie will genießen. Und das kann sie nicht, wenn sie sich allein befindet. Oder haben Sie es noch nicht gehört:

Die Liebe ist nicht gern allein,
Es müssen immer Zweie sein!«

»Aber Sie sehen doch ein, daß für heute die Erfüllung Ihres Wunsches eine Unmöglichkeit ist!«

Sie sagte das freilich nicht in abweisendem Tone, sondern in einer Art und Weise, aus welcher er erkennen mußte, daß sie wohl selber auch wünschte, wieder mit ihm zusammen zu treffen. Darum wurde ihm der Einwand leicht:

»Von einer Unmöglichkeit kann keine Rede sein. Es kommt ja nur auf Ihren guten Willen an. Und wenn Sie mich wirklich lieben, so dürfen Sie nicht so grausam sein, mir die Erfüllung dieser ersten Bitte zu versagen.«

»Also appelliren Sie an mein gutes Herz?«

»Ja, und ich hoffe, daß es diese Appellation gelten lassen werde.«

»Wohl gern. Aber sagen Sie, wo und wann wir uns treffen wollen! Wir sind ja zu beobachtet.«

»So gehen wir fort, hinaus, in den Park.«

»Gerade dies würde am Allermeisten auffallen, da man uns ja gehen sehen muß.«

»So warten wir, bis man uns nicht mehr sehen kann!«

»Also bis sich die Anderen zur Ruhe begeben haben? Ist Ihre Liebe


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denn wirklich so begehrlich, daß sie sich nicht einmal scheut, den Schlaf zu opfern?«

»Nur den Schlaf? Asta, Ihnen könnte ich noch viel, viel mehr opfern - Alles, Alles! Und hier ist ja nicht von einem Opfer die Rede. Es ist ja das Glück, welches uns erwartet, der Himmel, die Seligkeit.«

»Nun, wenn wir uns erst so spät sehen wollen, so ist es ja gar nicht nothwendig, das Schloß zu verlassen. Wir können uns da recht gut im Innern desselben treffen.«

»Ausgezeichnet! Aber wo?«

»Machen Sie einen Vorschlag.«

»Ich nicht. Befehlen Sie selbst.«

»Nun, ich möchte mich nicht allzu weit von meiner Wohnung entfernen, dieselbe womöglich nicht einmal verlassen.«

»Desto lieber mir! Soll ich also zu Ihnen kommen?«

»Ja, wenn Ihnen der Weg nicht zu weit ist.«

Dabei lächelte sie ihn so schelmisch lockend an, daß er nach einigen abermaligen heißen Küssen antwortete:

»Wie könnte er mir zu weit sein! Um Sie zu sehen, würde ich bis an das Ende der Welt gehen.«

»Nun, eine solche Anstrengung verlange ich nicht von Ihnen. Kommen Sie also zu mir. Ich wohne natürlich drüben in der Damenabtheilung. Sie werden die zweite Thür des Corridors rechts nur angelehnt finden.«

»Und wann?«

»Sobald Milda mit dem Baron nach Hause gekommen ist und Alle schlafen gegangen sind.«

Diese Abmachung wurde noch mit einigen Küssen besiegelt, welche das üppige Mädchen nicht empfing, sondern gab. Dann trennten sie sich.

Anton ging von da an ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. Er konnte den Augenblick des Stelldicheins kaum erwarten. Er dachte nicht an Leni; er stellte also auch nicht einen Vergleich an zwischen dieser und der koketten Aristokratin. Er befand sich überhaupt gar nicht in der Lage zu Vergleichen, denn sein Denkvermögen war absorbirt von dem einzigen Gedanken an die zärtlichen Stunden, welche ihn erwarteten. Er war überzeugt, daß Asta ihn wirklich liebe. Oder mußte sie ihn nicht lieben, wahr und heiß, da sie sich ihm so ganz ohne alle Gegenwehr zu Eigen gab? Daß eine Baronesse ihm ihr Herz geschenkt hatte, eine Baronesse, welche ein Jeder nur ihrer Schönheit allein wegen gern errungen hätte, das machte ihn förmlich betrunken. Durch diese Bekanntschaft, diese Liebe stieg er ja gleich eine ganze Reihe von Stufen empor aus der Armuth und Niedrigkeit zur Höhe und zum Reichthume.

Leider wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt, da Milda so spät von der Bürgermeisterin zurückkehrte. Dann aber, als tiefe Ruhe und Stille im Schlosse herrschte, schlich er sich leise und vorsichtig zu seiner Sirene.

Das war der Schatten, welcher über den Corridor gehuscht war.


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Die Ruhe, welche soeben erwähnt wurde, war eine nur scheinbare, denn außer den beiden Liebenden schliefen noch zwei Andere nicht: der Baron und Milda.

Der Erstere war zu aufgeregt durch die Scene, welche er bei seiner einstigen Geliebten erlebt hatte. Er war blamiert worden in einem fast unmöglichen Grade. Seine Tochter hatte sich von ihm losgesagt und ihm sogar das Schloß verboten. Was war da zu thun? Bitten und gute Worte geben? Unmöglich! In diesem Falle hätte er unbedingt Max Walther als seinen Sohn anerkennen müssen, und das fiel ihm auf keinen Fall ein. Er nahm sich also vor, streng aufzutreten und auf seine Rechte nicht zu verzichten. Aber über das Wie war er sich nicht klar, und das Nachdenken darüber ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Und Milda konnte ebenso wenig schlafen wie er. Der Gedanke, den Vater aufgeben zu müssen, machte sie unglücklich, trotzdem sie sich niemals mit kindlicher Innigkeit hatte an ihn schließen können. Die Trauer darüber wurde freilich reichlich aufgewogen durch den beglückenden Gedanken an Max. Einen Bruder gefunden zu haben, und zwar einen solchen, dessen Persönlichkeit ihr sofort eine herzinnige Zuneigung abgezwungen hatte, das war ja ein höchst beseligendes Gefühl!

Und ganz natürlich gedachte sie dabei auch seiner Mutter, welche so viel gelitten hatte. Sie fühlte sich so glücklich bei dem Gedanken, dieser Frau Ersatz bieten zu können für die leidvolle Vergangenheit. Sie wollte ihr eine Tochter, eine liebevolle Tochter sein; sie war ja doch seit den ersten Jahren ihres Lebens eine mutterlose Waise gewesen.

Sie häkelte das Medaillon, welches sie an einer goldenen Kette am Halse trug, los und öffnete es. Die goldene Kapsel enthielt das Miniaturporträt der Verstorbenen. Sie betrachtete es mit liebevollem, feuchtem Blicke, wie sie es schon tausend-, tausendmal betrachtet hatte. Es waren so milde, freundliche Züge; aber diese Freundlichkeit war keine glückstrahlende, sondern eine trübe, wohl nur augenblickliche. Es sprach aus diesem Angesichte so viel Enttäuschung und schmerzliche Entsagung, daß der Beschauer sofort zur herzlichsten Theilnahme veranlaßt wurde.

»Meine Mutter, meine liebe, liebe, arme, gute Mutter!« flüsterte Milda. »Erst jetzt verstehe ich den herben, wehmüthigen Zug, den selbst Dein mildes Lächeln nicht verbergen kann. Du hast viel und still gelitten. Das begreife ich nun. Du bist längst erlöst; aber wenn Dein Geist jetzt bei mir weilt, so wirst Du begreifen, was ich heute empfunden habe. Es ist so schwer, so sehr schwer, auf den Vater verzichten zu müssen. Weile immerfort bei mir und hilf es mir tragen!«

Sie preßte das Bild an ihre Lippen. Als sie es dann an seine Stelle wieder zurück stecken wollte, mochte sie es an einem Punkte, welchen sie bisher noch nicht so fest berührt hatte, etwas energischer als gewöhnlich drücken, denn es ließ sich ein leises Knacken hören.

In dem Gedanken, das Medaillon beschädigt zu haben, zog sie es schnell


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wieder hervor, und siehe da, es hatte sich auf der hinteren Seite geöffnet, da, wo Milda niemals eine Möglichkeit der Oeffnung vermuthet hatte.

Ganz überrascht hielt sie diese Seite dem Lichte näher. Steckte auch hier Etwas darin? Vielleicht ein zweites Bild? Nein. Sie erblickte kleine, kaum erkennbare Schriftzüge. Es lag ein kleiner, zusammengefalteter Zettel darin, aus dem allerdünnsten und feinsten Papier bestehend. Trotz der Kleinheit des Raumes, welchen er in der einen Medaillonhälfte eingenommen hatte, besaß er doch, als Milda ihn auseinander gefaltet hatte, die Größe des sechzehnten Theiles eines Schreibebogens.

Die Schrift war wegen ihrer außerordentlichen Enge und Kleinheit für das bloße Auge kaum zu lesen. Doch besaß Milda ein niedliches Mikroscop. Sie war eine große Blumenliebhaberin und hatte sich dieses Vergrößerungsglas angeschafft, um selbst die kleinste Blüthe in allen ihren Theilen untersuchen zu können.

»Wem gelten diese Zeilen?« fragte sie sich. »Mir oder einem Anderen? Im letzten Falle habe ich nicht das Recht, sie zu lesen. Aber Mama hat das Medaillon für mich bestimmt, also darf ich wohl ohne Bedenken die Schrift untersuchen.«

Sie nahm das Mikroscop hervor und setzte es von Wort zu Wort auf das Papier. Auf diese Weise gelang es ihr, Folgendes zu lesen:

»Meine süße Milda, mein herziges Töchterchen! Mit vieler Mühe habe ich diese Zeilen für Dich fixirt. Wenn Du sie liesest, werde ich wohl längst nicht mehr auf dieser Erde weilen. Es ist ein Vermächtniß, welches ich Dir hinterlasse. Ich habe viel gelitten, wohl unverschuldet; eine einzige Schuld nur habe ich auf dem Herzen liegen, und ich wage es, sie mit hinüber in das Jenseits zu nehmen, in der sicheren Erwartung, daß Du sie an meiner Stelle tilgen werdest. Ich muß Dir das Herzeleid anthun, Dir zu sagen, daß Dein Vater kein Ehrenmann ist. Du wirst vielleicht, wenn Du diese Zeilen liesest, genug Seelenfestigkeit besitzen, von dieser Mittheilung nicht niedergeschmettert zu werden. Er hat gesündigt, und ich war so schwach, um Deinetwillen und aus Furcht vor ihm darüber zu schweigen. Sobald Du mündig bist, aber nicht eher, sollst Du mein Bekenntniß lesen, denn vorher kannst Du ja keine Disposition über Dein Vermögen treffen. Es gilt, unrechtes Gut zurück zu erstatten. Vielleicht lebt dann Emilie von Sendingen noch, die oder deren Kinder ich vergeblich gesucht habe - heimlich, da Dein Vater nichts davon wissen darf. Gehe am Tage Deiner Mündigerklärung in die kleine Bibliothek, welche ich Dir hinterlasse, und nimm das -«

Von diesem Worte an hatten die Zeilen aus irgend einem Grunde ihre Deutlichkeit verloren. Die Züge waren vergilbt und selbst durch das Mikroscop nicht mehr mit Deutlichkeit zu erkennen. Stundenlang noch saß Milda, aber nicht ein einziges Wort mehr brachte sie heraus. Ihre Mutter hatte sich von dieser Stelle an vielleicht einer anderen Tinte bedient, welche nicht die Güte der vorherigen besaß.


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Endlich, nach langer, vergeblicher Anstrengung, ließ sie von dem fruchtlosen Versuche ab. Sie legte Papier und Mikroscop fort, stand vom Stuhle auf und schritt erregt in dem Zimmer hin und her.

»Meine Ahnung!« flüsterte sie. »Sie ist nicht glücklich gewesen. Sie ist gestorben, mit einer Schuld auf dem Gewissen - um meinetwillen! O Gott, die Arme, Arme! Und welche Schuld ist es? Sie spricht von der Zurückerstattung unrechten Gutes - an diese Emilie von Sendingen! Ist diese Letztere beraubt worden? Und von wem? Vom Vater?«

Dieser Gedanke quälte sie entsetzlich. Ruhelos wanderte sie auf und ab.

»Und erst, wenn ich mündig bin, soll ich es erfahren! So lange Zeit soll ich auch mitschuldig sein? Unmöglich! Was soll ich in der Bibliothek? Noch sind alle Bücher, welche Mama hinterlassen hat, vorhanden. Nein, nein, so lange Zeit warte ich nicht!«

Sie machte eine höchst energische Handbewegung.

»Fremdes Gut soll ich besitzen? Eine Diebin soll ich sein? Nein, nein, nein! Aber ich kann doch nicht weiter lesen! Ich weiß ja nicht, was ich machen soll! Freilich glaube ich, gehört zu haben, daß es chemische Mittel giebt, alte Schriftzüge lesbar zu machen. Das muß ich thun, das muß ich versuchen, und zwar sehr bald! Aber an wen wende ich mich da? Wem darf ich mich mittheilen, wem kann ich in dieser so discreten Angelegenheit mein Vertrauen schenken? Ah! Habe ich nicht einen Bruder? Habe ich nicht Max? Dem werde ich Alles sagen, und er wird mir behilflich sein, die Schrift zu enträthseln.«

Sie legte den Zettel wieder zusammen und that ihn in das Medaillon zurück. Ueber dem nutzlosen Versuche, die Zeilen zu entziffern, war eine sehr lange Zeit vergangen. Die kurze Sommernacht war vorüber und der Morgen brach an. Milda löschte das Licht aus und die Helle, welche der junge Tag verbreitete, war hinreichend, alle Gegenstände, welche sich im Zimmer befanden, deutlich zu erkennen.

Sollte sie jetzt nun schlafen gehen? Nein, sie fühlte kein Bedürfniß dazu. Sie war zu aufgeregt, als das sie zu schlummern vermocht hätte. Sie wollte Beruhigung in der reinen, erfrischenden Morgenluft finden und verließ das Zimmer, um sich hinab in den Park zu begeben.

Die dicken Läufer, welche auf dem Corridor lagen, dämpften ihre Schritte, zumal sie leise auftrat, um keinen Schläfer in der Ruhe zu stören.

Der Corridor hatte ein breites Fenster, welches genügend Licht hereintreten ließ. Milda hatte fast die Thür erreicht, welche in Asta's Zimmer führte, als dieselbe geöffnet wurde. Sie blieb überrascht stehen. Sie konnte nicht gesehen werden, da die Thür nach derjenigen Seite aufgeschoben wurde, in welcher sie sich befand. Die zwei Sprechenden befanden sich unter dem Eingange des Zimmers und wurden von der Thür verdeckt. Zwei waren es, denn zuerst flüsterte die eine Stimme:

»Leb wohl, mein süßes, süßes Mädchen!«

Und dann antwortete die andere:


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»Leb wohl, Geliebter, leb wohl!«

»Welche Seligkeiten habe ich bei Dir gefunden!«

»Nein, sondern welche Seligkeiten hast Du mir gebracht! Komm, noch einen Kuß!«

»Noch tausend, tausend!«

»Dazu haben wir leider nicht die Zeit.«

Das Geräusch mehrerer Küsse ließ sich hören; dann sagte die zweite Stimme:

»So, nun ists genug!«

»Nein, noch drei - zwei - nur noch einen!«

»Hier! - aber nun geh auch! Es ist ja ganz hell auf dem Corridor!«

»Und wann sehen wir uns wieder?«

»Nach dem Frühstücke im Park.«

Er ging, ohne sich umzublicken. Milda erkannte den Sänger. Er hatte den Schlafrock an und trug seine Stiefeletten in der Hand. Ohne sich zuvor zu überlegen, ob es gerathen sei, sich sehen zu lassen, trat sie rasch zwei - drei Schritte vor. Sie stand vor Asta, welche, die Thür noch in der Hand, dem Geliebten nachblickte, welcher soeben hinter der leise geöffneten Corridorthür verschwand.

Die überraschte Liebhaberin hatte ein weißes, dünnes Nachtgewand an. Sie erschrak sichtlich, als sie Milda bemerkte.

»Du - Du - Du!« stotterte sie.

»Asta!« hauchte die Freundin, fast noch erschrockener als die Andere.

»Du schläfst nicht!«

»Nein! Und Du -«

»Auch ich konnte nicht schlafen.«

»Das läßt sich erklären, wenn man sich in solcher Gesellschaft befindet.«

»Gesellschaft? Wie meinst Du das?«

»Nun, - Warschauer!«

»Ah, Du hast ihn gesehen?«

»Nicht nur gesehen, sondern auch gehört habe ich Euch.«

»So hast Du also - gelauscht! Höre, das ist in den Kreisen, zu denen wir gehören, streng verpöhnt!«

Sie sagte das in einem so scharfen und verweisenden Tone, als ob nicht sie es sei, welche sich im Unrecht befand.

»Ich kam nicht, um zu horchen,« antwortete Milda zurückweisend. »Ich wollte soeben hinab in den Park als Ihr die Thür öffnetet, und wurde somit Zeugin Eures Gespräches.«

»So! Hoffentlich bist Du nicht eifersüchtig!«

»Nein. Auf eine so zweifelhafte Errungenschaft kann ich unmöglich eifersüchtig sein.«

»Zweifelhaft? Es ist stets ein Glück, einen hervorragenden, begabten Mann zu erobern.«

»Auch wenn man diese Eroberung mit dem Verluste der Ehre bezahlt?«


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»Was fällt Dir ein! Ueberlegst Du Dir nicht, daß diese Worte eine Beleidigung gegen mich enthalten?«

»Und überlegst Du Dir nicht, daß es eine Beleidigung ist, die Gastfreundlichkeit eines anständigen Hauses zu solchen - - Unerlaubtheiten zu benutzen?«

Milda war wirklich seit gestern Abend eine ganz Andere geworden. Vorher wäre es ihr unmöglich gewesen mit der selbstständigen und nicht wenig tyrannischen Freundin in diesem Tone zu sprechen. Asta fühlte sich auch wirklich davon betroffen.

»Willst Du mir etwa verbieten, mit einem Herrn, welcher mich anbetet, zu verkehren?« fragte sie leise, aber in zornigem Tone.

»Nein.«

»Nun, so schweige!«

Sie wollte sich beleidigt in das Zimmer zurückziehen, aber Milda ergriff die Thür und hielt sie noch einige Augenblicke offen.

»Schweigen kann ich nur dann,« antwortete sie, »wenn dieser Verkehr, falls er hier bei mir stattfindet, zu einer anderen Zeit und in anderer Toilette vorgenommen wird. Blicke Dich an! So, wie Du hier stehst, kann sich nur eine Frau vor ihrem Manne sehen lassen.«

»Pah! Was verstehst Du davon! Du bist ja ein Kind. Oder willst Du mir etwa verbieten, dem Sänger die Erlaubniß zu ferneren Besuchen zu ertheilen?«

»Wenn Du meinst, daß es sich mit Deiner Ehre verträgt, so mag er Dich besuchen, wann und wie es ihm beliebt, nur aber nicht hier bei mir. Ich kann nicht wünschen, daß vielleicht Einer der Dienerschaft einen meiner Gäste bemerkt, welcher mit den Stiefeln in der Hand und im Schlafrocke des Nachts seine liebenswürdigen Visiten macht.«

Sie wollte sich umdrehen, um sich zu entfernen. Jetzt aber wurde nun sie von Asta festgehalten.

»Heißt das etwa,« fragte diese, »daß Du mir die Gastfreundschaft aufsagst?«

»So unhöflich bin ich nicht. Nur bitte ich, zu bedenken, daß Du mir Rücksichten schuldig bist!«

»Pah, Rücksichten! Rücksichten ist nur der Gastgeber seinem Gaste schuldig. Ich erkläre Dir, daß ich den Besuch meines jetzigen Geliebten noch sehr oft erwarte.«

»In dieser Weise und zu dieser Zeit?«

»Ja.«

»So werde ich ihm sagen, daß sich dies mit meinen Ansichten nicht verträgt.«

Asta's Augen leuchteten zornig auf.

»Ihm willst Du es sagen, ihm?« zischte sie.

»Ja.«

»Weißt Du, wie Du mich dadurch blamirst?«


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»Ich habe Dir meinen Wunsch mitgetheilt und bei Dir kein Verständniß für denselben gefunden. Ich bin also, falls ich nicht Eins von Euch Beiden fortweisen will, gezwungen, mich an ihn zu wenden.«

»So, so also ists gemeint! Das ist mir noch niemals geboten worden, und nun von Dir, von meiner Freundin!«

»Als Freundin mußt Du doppelte Rücksicht hegen.«

»Wieder diese alberne Rücksicht! Ich sage Dir, daß Du mit Herrn Warschauer nicht zu sprechen brauchst, denn ich werde Steinegg noch heute verlassen!«

Sie blickte forschend in Milda's Gesicht. Sie glaubte, zu gewinnen, falls sie diesen Trumpf ausspiele. Doch die junge Schloßherrin antwortete ruhig:

»So brauchst Du mir nur zu sagen, zu welcher Zeit ich Dir die Equipage, welche Dich nach dem Bahnhofe bringt, zur Verfügung stellen soll.«

Asta blickte sie ganz betreten an. Das hatte sie nun freilich nicht erwartet. Ihr Trumpf war überstochen worden.

»Ists wahr, ists wahr?« stieß sie hervor. »Du lässest mich gehen?«

»Ja, gern. Es ist ja Dein Wille, und Du weißt ja, daß ich denselben stets befolgt habe.«

»Und überlegst Du Dir auch, was dann kommen wird?«

»Ich erwarte es in Ruhe.«

»Ich werde nie, nie wiederkommen!«

»Das thut mir leid; aber ich muß es eben so gut wie möglich ertragen.«

»Ich werde Dich nie wieder kennen!«

»Vielleicht habe ich dann doch einmal das Glück, eine andere Freundin kennen zu lernen.«

»Und ich werde - ja, ganz gewiß, ich werde den Sänger und den Professor gleich mit mir von hier fortnehmen!«

»Dann reisest Du ja in liebenswürdiger Gesellschaft. Das freut mich um Deinetwillen.«

So erstaunt wie jetzt war Asta noch nie in ihrem Leben gewesen. Sie kannte die sonst so unselbstständige Freundin gar nicht mehr. Darum fuhr sie in einem Tone, als ob sie es gar nicht fassen könne, fort:

»Aber, um aller Welt willen, was fällt Dir ein! Du bist ja ganz wie ausgewechselt! Bedenke doch, was Dein Vater sagen wird!«

»Der wird wohl schweigen.«

»Im Gegentheil. Du wirst eine außerordentliche Scene mit ihm haben.«

»Ich fürchte diese Scene nicht.«

»Wir sind ja auf seine Veranlassung hier. Wir sollen hier bleiben. Was wird er sagen, wenn er erfährt, daß Du uns fortweisest!«

»Das habe ich nicht gethan. Du gehst aus eigenem Antriebe, und ich stelle mich Dir nicht hindernd in den Weg. Das ist Alles.«

»Und doch ist es ganz dasselbe, als ob Du uns von hier fortjagtest!«


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»Nun, so entschließt er sich jedenfalls, Euch zu begleiten. Uebrigens haben wir diesem leidigen Thema bereits schon zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Die Lust zum Spaziergange ist mir verleidet. Ich gehe wieder nach meinem Zimmer.«

»Ach, jetzt gestehst Du indirect ein, daß Du gar nicht beabsichtigtest, nach dem Park zu gehen. Du warst nur hier, um uns zu belauschen. Welch eine Gemeinheit von Dir!«

Sie sagte das im Tone tiefster Indignation.

»Glaube, was Dir beliebt,« antwortete Milda kalt. »Aber wirf mir keine Gemeinheit vor. Du sprichst sonst aus Deinem eigenen Spiegel!«

Sie schob jetzt die Thür zu und ging, nach ihrem Zimmer zurückkehrend. Dort öffnete sie das Fenster und setzte sich an dasselbe, mit trüben Augen hinausschauend in die Landschaft, von deren frischen Angesicht soeben der Wind den dünnen Nebelschleier fortblies.

Also nicht nur den Vater hatte sie verloren sondern auch die Freundin. Standen ihr außerdem noch andere Verluste bevor, etwa solche, die sich auf ihr Vermögen, ihren Reichthum bezogen? Jedenfalls. Das ließ sich ja aus dem Zettel schließen, welcher das Vermächtniß ihrer Mutter enthielt.

So saß sie in Gedanken versunken. Sie beachtete es nicht, daß die Sonne sich erhoben hatte und allmählig höher stieg. Sie beachtete es auch nicht, daß das Leben im Innern des Schlosses erwachte und daß sich Schritte hören ließen. Nach und nach wurden ihre Lider müd und fielen über die Augen. Ihr Athem ging leiser und leiser; ihr Köpfchen sank seitwärts nieder - - sie schlummerte ein.

Aber nicht lange war ihr dieses Vergessen des augenblicklichen Kummers beschieden. Sie wurde von dem Geräusch erweckt, welches durch das Oeffnen der Thür verursacht wurde. Sie erhob schnell den Kopf. Ein Diener stand am Eingange.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein! Ich soll nachschauen, ob Sie bereits wach sind.«

»Wer befahl es?«

»Der Herr Baron.«

Bereits hatte sie den Befehl auf den Lippen, daß sie nicht zu sprechen sei, aber sie stieß doch auf einen Grund, diesen Entschluß zu ändern.

»Sagen Sie ihm, daß ich wach und zu sprechen bin!« befahl sie.

Doch blieb sie, als der Diener sich entfernt hatte, ruhig auf ihrem Stuhle sitzen. Auch als dann nach wenigen Minuten ihr Vater eintrat, machte sie keine Miene, sich zu erheben. Er warf einen finstern, forschenden Blick in ihr bleiches, übernächtiges Gesicht und sagte, ohne ihr einen guten Morgen zu wünschen:

»Kannst Du mich nicht begrüßen?«

Sie blickte durch das Fenster und antwortete, ohne ihr Auge auf ihn zu richten:


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»Ich glaube, gehört zu haben, daß es stets der Eintretende ist, welcher zu grüßen hat.«

»Auch wenn dieser Eintretende der Vater ist?«

»Dann vielleicht nicht.«

»Nun - - -«

»Dieser angenommene Fall kann bei mir nicht stattfinden. Ich habe Ihnen bereits gestern mitgetheilt, daß ich keinen Vater mehr habe. Ich bin Waise.«

Er trat schnell näher zu ihr heran.

»Hoffentlich fällt es Dir nicht ein, diese unsinnige Faxe weiter zu spielen!«

»Sie mag unsinnig sein oder nicht, so gebe ich sie nicht auf. Es ist schade, darüber auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Vermuthlich sind Sie in einer rein finanziellen Angelegenheit zu mir gekommen?«

»Nein. Ich komme als Vater, welcher zu befehlen hat. Ich verlange unbedingt, daß - - -«

Er hielt inne. Sie war langsam aufgestanden, hatte sich zu ihm herumgewendet und richtete nun ihr Auge mit einem so ernsten, hoheitsvollen Blick auf ihn, daß er verstummte.

»Herr Baron,« sagte sie langsam und jedes Wort schwer betonend, »wollen Sie die Frau Bürgermeisterin Holberg zur Baronin von Alberg machen?«

»Alle Teufel! Das fällt mir nicht ein!« rief er aus.

»Wollen Sie den Lehrer Max Walther als Ihren Sohn anerkennen?«

»Daß ich albern wäre! Ueberhaupt verbitte ich mir solche Fragen. Ich muß am Besten wissen, was ich zu thun habe, und am Allerwenigsten kannst Du es sein, von der ich mir - - -«

»Und noch eine Frage!« fiel sie ihm in die Rede, indem sie an das Schreiben ihrer Mutter dachte, welches sie im Medaillon bei sich trug. »Wollen Sie mir sagen, ob Sie eine Dame Namens Emilie von Sendingen kennen?«

Er wechselte die Farbe und trat um einen Schritt zurück.

»Nun?« fragte sie, als er zögerte, ihr eine Antwort zu ertheilen.

»Nein,« antwortete er, »ich kenne sie nicht.«

»Und haben Sie sie auch nicht gekannt?«

»Nein.«

»Ich merke, daß Sie zu Allem, was ich Ihnen vorzuwerfen habe, nun auch noch die offenbare Lüge fügen! Ach!«

Sie that den letzten Ausruf in der Weise, wie man sich von irgend etwas ganz Verächtlichem abwendet. Dadurch wurde seine Verlegenheit in Zorn verwandelt.

»Höre,« sagte er in drohendem Tone, »ich sage Dir jetzt allen Ernstes, daß das Theater endlich aus sein muß. Ich habe keine Lust, mich von Dir als Hanswurst behandeln zu lassen!«

»Das thue ich auch nicht. Wären Sie nur Hanswurst, so könnte ich Sie


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doch wenigstens bemitleiden. Sie spielen aber die undankbare und moralisch abstoßende Rolle des Intriguanten. Sie sind der Mephisto, dessen Anblick einem jeden Guten zuwider ist. Und da Sie gesonnen sind, diese Rolle nicht aufzugeben, so kann unmöglich der Vorhang fallen. Der letzte Act ist ja noch nicht zu Ende.«

»Er wird bald zu Ende gehen, noch heut oder bereits noch heut Morgen.«

»Zu Ende? O, er hat noch gar nicht begonnen, sondern er wird erst in dem Augenblicke beginnen, an welchem Sie sich auf jene Emilie von Sendingen besonnen haben.«

»Donnerwetter! Wer kann sich auf jeden Namen besinnen, den man während eines viel bewegten Lebens vielleicht einmal gehört hat!«

»Vielleicht? Und nur einmal?«

»Mehrmals gewiß nicht, denn sonst könnte ich mich besinnen. Mein Gedächtniß gehört ja nicht zu den allerschlechtesten. Uebrigens, wie kommst Du dazu, mich nach diesem Frauenzimmer zu fragen?«

»Um über sie Auskunft von Ihnen zu erhalten.«

»Thut mir leid!« lachte er höhnisch. »Ich kann da beim besten Willen nicht dienen.«

»Besinnen Sie sich gefälligst!«

»Wird ganz ohne Erfolg sein.«

Sie standen sich nicht wie Vater und Tochter gegenüber, sondern wie feindliche Diplomaten, welche auf der Bühne sich anstrengen, einander an Klugheit und Finesse zu überbieten.

»Nun,« sagte Milda mit Nachdruck, »wenn es Ihnen unmöglich ist, sich auf die Person zu besinnen, so wird es Ihnen vielleicht leichter, mir Auskunft zu geben, in welchen Verhältnissen sich diese Dame befunden hat.«

»Schwerlich! Uebrigens, welche Art von Verhältnissen meinst Du da?«

»Die pekuniären natürlich.«

Er zog die Brauen hoch empor. In seinem Gesicht stand die Frage geschrieben, welche auszusprechen er sich allerdings sehr hütete:

»Weiß sie vielleicht mehr, als ich ahnen kann?«

Laut sagte er hingegen:

»Es versteht sich ganz von selbst, daß mir auch diese sehr unbekannt sind.«

»Das ist mir wirklich unbegreiflich, denn die Dame hat durch Sie ganz bedeutende Verluste erlitten.«

»Himmeldonnerwetter!« rief er aus. »Was fällt Dir ein!«

Es war ihm anzusehen, daß der Hieb, welchen er jetzt erhalten hatte, sehr gut saß.

»Mir fällt nichts ein,« antwortete sie. »Ich handle überhaupt nicht nach einem blosen Einfalle, sondern ich spreche aus Ueberlegung und Berechnung.«

»Das ist außerordentlich zu bezweifeln!«

»Ich werde es Ihnen sofort beweisen, daß ich aus Berechnung handle.


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Ich berechne mir nämlich soeben im Stillen, wie groß die Summe ist, welche ich dieser Emilie von Sendingen zurückzuzahlen haben werde. Ich will ihr natürlich ihren Verlust ersetzen.«

»Welche Dummheit!« rief er unüberlegt aus. »So eine riesige Summe.«

Da erhob sie rasch und stolz den Kopf.

»Ah, jetzt haben Sie sich gefangen! Jetzt haben Sie zugegeben, daß Sie von diesem Gelde wissen!«

Er antwortete nicht sofort. Er war wüthend über sich selbst, daß er sich hatte übertölpeln lassen. Er zog sein Taschentuch, strich sich mit demselben über das Gesicht und antwortete dann:

»Natürlich sagte ich das nur aus Ironie!«

»Lüge! Die Ironie bedient sich einer ganz andern Betonung, Herr Baron. Ich erwarte, daß Sie mir jetzt Ihre Geständnisse machen.«

»Geständnisse? Der Vater der Tochter? Das wird ja immer toller! Und damit ist nun auch meine Geduld zu Ende. Ich habe mir während dieser Nacht überlegt, daß es ein Fehler war, Dich so allein und ohne gesellschaftlichen Halt hierher nach Steinegg zu schicken. Ich werde diesen Fehler wieder gut machen, indem ich Dich wieder mit nach Wien nehme. Die Einrichtung dieses Schlosses werde ich einer geeigneteren Kraft übertragen. Mache Dich bereit, mit dem Mittagszuge abzureisen.«

Sie schüttelte lächelnd das schöne Köpfchen.

»Geben Sie sich keiner Täuschung hin, Herr Baron,« antwortete sie. »Ich lasse mir nie im Leben wieder einen Befehl von Ihnen geben. Sie werden also ohne mich abreisen müssen, dennoch aber nicht ohne passende Gesellschaft sein, denn Asta wird Sie begleiten, und voraussichtlich wird auch der Professor mit seinem Schüler sich Ihnen anschließen.«

»Wie? Was?« fragte er. »Die wollen reisen?«

»Von Asta weiß und von den beiden Anderen vermuthe ich es.«

»Warum?«

»Weil ich es nicht dulden kann, daß Ihr berühmter Sänger die liebenswürdige Baronesse des Nachts im Schlafrock und in den Strümpfen besucht. Ich habe Beide überrascht.«

»Ah! Also ein Rendezvous!«

»Ja, von der niedrigsten Art.«

»Mädchen! Was fällt Dir ein! Das ists ja grad, was ich gewünscht habe!«

»Das glaube ich Ihnen, ich aber wünsche es nicht.«

»Oho!«

Er sagte dieses Wort wie eine Drohung. Darum trat sie vom Fenster hinweg einen Schritt auf ihn zu, hob den Kopf stolz höher und antwortete:

»Und hoffentlich gilt hier mein Wunsch mehr als der Ihrige. Das Schloß ist in meinem Namen gekauft und auf denselben eingetragen. Ich bin die Besitzerin. Ich habe zu befehlen, ich und kein Anderer. Sie haben als Vater die Nutznießung meines Vermögens, soweit ich die Zinsen nicht selbst bedarf,


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und da ich dieses Vermögen von jetzt an nicht mehr als das meinige betrachte sondern als das Eigenthum jener Emilie von Sendingen, so werden wir unser Budget so tief wie möglich stellen. Ich werde, wie ich Ihnen bereits sagte, mich einem Rechtsgelehrten anvertrauen, so daß ich dessen, der sich meinen Vater nannte, vollständig entbehren kann. Reisen Sie also heut ab. Und da ich Ihnen gestern eine Summe geben mußte, so vermuthe ich, daß Sie kein Baargeld bei sich führen. Ich werde Ihnen aushelfen. Welche Summe brauchen Sie?«

»Aus - hel - - fen!« stieß er sylbenweise hervor. »Das klingt ja sehr gut! Die Tochter will dem Vater aushelfen - aushelfen! Dummes Ding, ich werde Dir jetzt zeigen, wer hier zu gebieten hat! Dort steht die Cassette. Ich werde Dir gleich den Muth nehmen, welchen Du mir wohl nur darum zeigst, weil Du im Besitz der Casse bist. Sie gehört mir. Ich nehme sie in Beschlag.«

Er trat an den Tisch, auf welchem die eiserne Schatulle lag, und wollte sie an sich nehmen; aber sie kam ihm mit einigen schnellen Schritten zuvor, legte die Hand darauf und sagte:

»Halt! Das Geld ist mein, oder vielmehr, es gehört mir nicht, und ich muß es für die rechtmäßige Besitzerin verwalten. Lassen Sie also davon ab!«

»Was! Ich soll nicht - - -«

»Nein,« unterbrach sie ihn energisch, die Hand abwehrend gegen ihn ausstreckend.

»O doch! Ich werde Dir zeigen, ob es hier einen Herrn oder eine Herrin giebt!«

Er faßte ihren Arm. Da richtete sie sich zu ihrer ganzen Höhe auf und fragte:

»Wollen Sie mit einer Dame ringen?«

»Ja, wenn ich gezwungen werde!«

»Dann gut! Ich werde aber - - - ah, Gott sei dank, es kommt Hilfe! Ich höre es.«

Draußen auf dem Corridore wurden nämlich streitende Stimmen laut.

»Zurück!« hörte man den Diener sagen. »Der Herr ist bei dem gnädigen Fräulein.«

»Der? Der Herr Baron wohl?« fragte eine kräftige Stimme, in welcher Milda sofort diejenige des alten Wurzelsepp erkannt hatte.

»Natürlich!«

»Nun, da muß ich halt erst recht hinein!«

»Nein, Sie bleiben hier!«

»Du, mach mir keine Wippchen, sonsten machst Du mit meinem Alpenstock Bekanntschaft. Dich werd ich wohl fragen, ob ich dahin gehen darf, wohin ich gehen will!«

»Mensch! Bist Du verrückt! Ohne Anmeldung darf überhaupt Niemand hinein.«


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»Das weiß ich schon auch. Aberst anmelden werd ich mich schon selberst, dazu brauch ich keinen Faullenzern, der nur den ganzen Tag dasteht und das Mustern von dera Tapeten anklotzt. Mach Platz!«

»Nein! Zurück!«

»Was? Angreifen thust mich auch, mich, den Wurzelsepp! Du, da blas ich Dich gleich in denen Wind! So, da fliegst fort! Wünsch glückliche Reisen!«

Man hörte, daß ein Mensch sehr kräftig weit fortgeschleudert wurde und gegen die Wand flog; dann wurde die Thür geöffnet und der Sepp trat ein.

»Grüß Gott, und guten Morgen auch, Fräulein Baronessen!« sagte er, indem er die Thür hinter sich rasch wieder zuzog. »Nehmens es nicht übeln, daß ich selberst aufimacht hab!«

»Nein, mein guter Sepp,« antwortete sie sehr freundlich. »Du kommst grad zur rechten Zeit.«

»Wieder mal? Es ist doch zum Verteuxeli, daß dera Sepp allemalen grad zur richtigen Zeiten kommt. Brauchst mich wohl?«

»Ja.«

»So sag nur, wozu! Was soll ich thun?«

Er merkte es gar nicht, daß er sie vor Freude, so freundlich empfangen zu werden, duzte. Der Baron war nicht etwa zurückgetreten. Milda hatte sich beim Eintreten des Sepps von dem Tische entfernt, und das hatte er benutzt, sich der Schatulle zu bemächtigen. Er stand jetzt da, sie mit beiden Händen festhaltend.

»Man will mich bestehlen,« antwortete sie.

»Himmelsakra! Wer ist denn dera Kerlen, der das wagen will?«

»Dieser Mann hier.«

»Dera Baronen? Er will wohl da denen Kasten mausen?«

»Ja. Es ist meine Casse.«

»Und das willst nicht dulden?«

»Nein. Er wollte Gewalt anwenden und sogar mit mir ringen. Da bist glücklicher Weise Du dazwischen gekommen.«

»Na, so soll gleich das Theatern beginnen. Wart nur den einzigen Augenblick. Ich will mir nur erst die Händen frei machen.«

Er legte Rucksack, Hut und Alpenstock weg und schritt dann breitspurig auf den Baron zu. Dieser wußte augenblicklich gar nicht, was er machen sollte. Die Situation war eine so ungewöhnliche, ja gradezu unglaubliche. Er that zunächst nichts weiter, als daß er den Sepp zornig anblickte.

»Was machst für Augen?« sagte dieser. »Denkst wohl, daß man sich davor fürchten soll? Da kennst denen Wurzelseppen schlecht. Gleich thust den Kasten wiederum her auf den Tisch!«

»Kerl!« donnerte der Baron. »Soll ich Dich festnehmen und auspeitschen lassen!«

»Durch wen etwan? Ich möcht wohl denen Krötenfrosch sehen, der es


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wagen wollt, seine Pratschen nach dem Sepp auszustrecken! Legst das Kasterl weg odern soll ich Dir helfen!«

»Himmeldonnerwetter! Ich bin der Herr hier!«

»Ja, und ich bin dera neue Parkaufsehern, und wannt nicht gleich gehorchst, so sollst merken, wast für einen wackern Diener Du verengagerirt hast. Vorwärts gleich!«

Er faßte die Casse mit an, schob sie dem Baron mit Gewalt an den Leib und zog sie dann ebenso schnell und kräftig wieder an sich. Dadurch entriß er sie dem Baron, setzte sie auf den Tisch, stellte sich vor denselben und sagte:

»So! Da liegt sie hier! Und wer sie haben will, der mag versuchen, ob er die Festung wohl derstürmen kann.«

Der Baron eilte zur Thür und zog die Glocke. Sogleich trat der Diener ein.

»Schaff diesen Kerl hinaus! Er wird wegen Hausfriedensbruch arretirt.«

Milda stand lächelnd still dabei. Der Sepp hatte ihr mit den Augen zugezwinkert, und das beruhigte sie. Der Diener trat auf den Alten zu, ergriff ihn am Aermel und sagte:

Vorwärts! Hinaus!«

Er wollte ihn fortziehen.

»Ja, vorwärts und hinausi!« antwortete der Sepp, und im nächsten Augenblick flog der Diener zu der Thür, welche er offen gelassen hatte, hinaus.

Der Baron stieß vor Wuth einen Fluch aus und rief dem Diener, welcher sich schnell aufgerafft hatte und wieder hereinkam, zu:

»Windbeutel! Hast keine Kraft! Hol Dir schnell Hilfe!«

Der Diener eilte fort. Der Vater wendete sich zur Tochter:

»Das ist eine Blamage, welche ich Dir nie vergessen werde. Ich werde Dir einen Stubenarrest dictiren, welcher so lange währt, bis Du mich weinend um Verzeihung bittest!«

»Die Blamage haben Sie sich selbst bereitet,« entgegnete sie. »Der Stubenarrest existirt wohl nur in Ihrer Einbildung, und eine Bitte um Verzeihung erwarte ich von Ihnen.«

»Das wird sich sogleich finden!«

»Ja,« nickte der Sepp. »Das wird sich sogleich finden. Ich bin halt nur neugierig, was für eine Hilfen dera Diener bringen wird. Ich freu mich schon daraufi. Je Mehrere ich herausi werfen muß, desto liebern ist es mir. Und wann ich nachhero einmal warm worden bin, dann fliegt auch dera Herr Baronen mit durch das Atmosphärerl. Ach, Der kommt mit! Na, das kann mich gefreuen! Der kennt mich schon.«

Der Diener war nämlich zunächst auf den Hausmeister gestoßen und brachte ihn mit.

»Da steht das Subject,« sagte er. »Also zugegriffen!«

Er kam herein. Der Hausmeister folgte ihm, aber langsam.


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»Du,« rief ihm der Sepp warnend entgegen, »schau hier an die Wand! Da hängt auch ein gar schöner Spiegeln. Willst hereinifliegen?«

Der Angeredete betrachtete sich den Alten, welcher mit ausgespreizten Beinen und vorgestreckten Fäusten die Beiden erwartete, und warf dann einen bedenklich fragenden Blick auf den Baron.

»Nun, vorwärts!« befahl dieser.

»Gnädiger Herr, dieser Mensch ist sehr rücksichtslos. Ihn anzufassen ist wirklich gefährlich.«

»Ah, Du fürchtest Dich?«

»Nein, aber ich bin Familienvater - - -!«

»Du, das hast Du sehr schön sagt, daßt Vatern bist von dera Familien! Wannst mich angreifst, so mach ich alle Deine Kindern zum Wittwer! Nun komm heran!«

»Beim Himmel, die Kerls fürchten sich!« rief der Baron. »Jetzt frag ich, ob Ihr gehorchen wollt oder ob ich Euch zum Teufel jagen soll.«

Der Diener fühlte sich auch nicht wohl. Er war durch die Bedenklichkeit des Hausmeisters eingeschüchtert worden, und der Sepp hatte wirklich das Aussehen, als ob er bereit sei, es mit zehn Personen aufzunehmen.

»Also, wollen wir?« fragte der Diener.

»Ja, wenn wir müssen!« antwortete der Hausmeister.

Sie kamen langsam auf den Sepp zu.

»Schön!« sagte dieser. »Jetzt kanns beginnen. Aberst sagt mir nur auch, durch welches Fenstern ich Euch werfen soll, durchs erste oder zweite. Mir ists ganz huschischnuppi, und so mach ichs also ganz, wie es Euch gefallen thut.«

Das schüchterte sie wieder ein. Sie blieben vor ihm stehen, ohne ihn anzufassen. Milda machte ihrer Verlegenheit ein Ende, indem sie ihnen erklärte:

»Dieser Mann ist mir willkommen. Ihr habt Euch zu hüten, Euch an ihm zu vergreifen. Geht hinaus!«

Das war Erlösung! Sie waren hinaus, ehe der Baron ein einziges Wort der Entgegnung hatte sagen können. Er wollte seinem Grimme Ausdruck geben, als die Thür abermals geöffnet wurde. Max Walther trat mit seiner Mutter ein. Beide blieben an der Thür stehen.

»Na,« lachte der Sepp, »da sind sie nun. Ich bin ihnen nur voranlaufen, um hier zu sagen, daß sie gleich kommen werden.«

Walther merkte auf den ersten Blick, daß es hier eine Differenz gegeben habe. Er sagte zu Milda:

»Ich sah draußen die Dienerschaft in Erregung. Man achtete gar nicht auf uns. Und hier- - -? Bedarfst Du vielleicht meines Rathes, liebe Schwester?«

Der Baron war vor innerer Aufregung ganz leichenblaß geworden.

»Meine Tochter bedarf keines andern Rathes als des meinigen!« rief er. »Wer hat Ihnen überhaupt die Erlaubniß gegeben, hierher zu kommen?«

»Die Herrin dieses Schlosses,« antwortete der Lehrer, ohne den Sprecher


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nur eines einzigen Blickes zu würdigen. »Liebe Milda, sag also, ob ich Dir hier dienen kann!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Willkommen, mein guter Max! Der Baron wollte eine Gewalt über mich ausüben, zu welcher er kein Recht hat. Er beabsichtigte, sich hier meiner Kasse zu bemächtigen, und hat mir unter Anderem mit Stubenarrest gedroht, welcher so lange dauern soll, bis ich ihn unter Thränen um Verzeihung bitte.«

»So? Hm!« machte es Walther, indem er geringschätzig die Achsel zuckte. »Dieser Mann verkennt die Situation so vollständig, daß ich ihn über dieselbe aufklären muß.«

»Ich verbitte mir jedes Wort!« gebot der Baron. »Ich bin nicht der Mann, von einem Dorfschulmeister Aufklärung zu brauchen!«,

»Mir aber scheint es doch so! Ich sage Ihnen, Baron von Alberg, wenn Sie heut mit dem Mittagszuge nicht Steinegg verlassen, so reise ich morgen nach Wien und sorge dafür, daß Ihr 'früheres Handeln in den hervorragenden Blättern der Hauptstadt veröffentlicht werde. Es liegt in Ihrem eigenen Interesse, auf diese meine Weisung einzugehen. Sie haben nicht die mindeste Hoffnung, daß ich diesen Entschluß ändern werde, ebenso wie es ganz unmöglich ist, daß ich jemals meine Ansicht, welche ich über Sie hege, ändern kann. Wenn Sie klug sein wollen, so verlassen Sie dieses Zimmer!«

»Was! Das bieten Sie mir?«

»Ja,« antwortete schnell der Sepp. »Und weils halt so steht, so wirds mir eine große Freuden und eine hochgeschätzte Ehren sein, Dich hinausi zu schmeißen, wannst Dich nicht soforten von dannen machst. Also verschwind jetzunder nur, sonst helf ich nach!«

Er trat auf den Baron zu.

»Verflucht!« knirrschte dieser. »Hier geschieht geradezu das Unmögliche! Es fällt mir nicht ein, gegen die rohe Gewalt anzukämpfen; aber die Behörde wird Euch belehren, wer hier zu befehlen hat.«

»Wer? Dazu brauchen wir die Behörd schon gar nimmer nicht. Hier hat Niemand zu befehlen als dera Wurzelseppen alleini. Und daßts weißt: Ich werd da bleiben und aufipassen, obst zu Mittagen mit dera Eisenbahnen von dannen fährst. Wannsts nicht machst, so fahr ich auch gleich mit nach dem Wien hinein, und dort werd ich denen Leutln sagen, wast für ein Schubiaken bist. Und nun sei so gut, und mach die Thür zu, aberst fein von draußen!«

Er hatte gar nicht nöthig gehabt, diese Weisung auszusprechen, denn der Baron befand sich schon unter der Thür. Draußen im Corridor stand die Dienerschaft. Die Leute steckten die Köpfe zusammen und wichen zwar höflich vor ihm zurück, blickten ihm aber nicht etwa mit sehr ehrerbietigen Augen nach.

Als er an Asta's Thür vorüber wollte, wurde dieselbe aufgestoßen. Sie war überhaupt nur angelehnt gewesen, denn die Bewohnerin des Zimmers hatte gelauscht.


Ende der einundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk