Lieferung 45

Karl May

4. Juni 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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mir was Guts zu sagen hat. Ich bin also hinab gangen und hab ihm leis die Thür geöffnet. Droben dann hat er mir sagt, daß er nicht schlafen kann, weil er so viel verloren hat, und daß er kommen sei, um nochmals zu spielen. Er hat Alles wieder gewinnen oder noch mehr verlieren wollt.«

»Ich denke, er hat kein Geld mehr gehabt?«

»Damit ist er freilich zu End gewest. Aber er bot mir an, die untera Mühlen gegen zweitausend Thalern zu setzen. Da hat mich dera Spielteufel abermals bei den Haaren dergriffen, und ich hab also mitmacht. Wir haben das Fenstern verhängt und die Thür verschlossen und kein lautes Wort sprochen, grad als ob wir ein Verbrechen ausführen wollten.«

»Schrecklich! Und der Erfolg?«

»Gleich bei dera ersten Tour hab ich gewonnen. Er hat Alles schon vorbereitet habt und mir ein Wechselpapieren geben, was er mit dera Mühlen einlösen wollt. Dann hat er die obera Mühlen verspielt und mir noch ein Papier geben. Sein Angesicht ist weiß wie Kreiden gewest, und seine Augen haben blitzt wie beim Satanas. Dann aber hat er mir den letzten Vorschlag macht. Alles, was ich gewonnen hab und auch meine fünftausend Thalern soll ich gegen sein großes Gut setzen und gegen Alles, was er hat. Er hats derzwingen wollen.«

»Und Sie sind darauf eingegangen?«

»Ja, ich hab nicht anderst konnt. Ich bin von dem großen Gewinn ganz wie betrunken gewest. Ich hab das ganze Geldl und auch seine beiden Papieren einsetzt und er dagegen einen dritten Wechselbrief, welcher so hoch lautete, wie sein Gut im Werth wesen ist. Das war ein Spiel, wie es wohl selten macht wird. Nur eine einzige Minut hat es dauert, und dann bin ich dera Gewinner gewest.«

»Das war wirklich ein fast beispielloses Glück, natürlich davon abgesehen, daß es ein verbotenes war. Wie hat sich der Silberbauer verhalten?«

»Er ist natürlich nun arm wie ein Bettlern gewest. Zunächst hat er still dagesessen und mich immer grad anstarrt. Dann ist er aufstanden und in dera Stuben hin und her laufen. Endlich hat er sagt, daß er es nicht gelten lassen kann. Ich hab ihm die drei Papieren heraus geben sollt. Das hab ich freilich nicht wollt, sondern sie eilig in meine Taschen steckt. Da ist er zornig worden, hat mich bei dera Brust ergriffen und zu Boden gedrückt. Ich habs ihm da gleich anschaut, daß er mich dermorden will. Der Blick ist so grausam gewest und so fest, daß kein Zweifel vorhanden sein konnt.«

»Schrieen Sie um Hilfe?«

»Nein. Die Kehle war mir vor Schreck zu. Ich hab mich wehren wollt; aberst er ist mir zu stark gewest. Er hat dabei einen Hammern aus dera Taschen nommen und damit ausholt, um mir den Kopf zu zerschlagen. Jetzt, in diesem Augenblick, hab ich rufen konnt.«

»Um Hilfe?«

»Nein. Ich bin so in Angst gewest, daß ich nur ihn um Gnade beten hab.«


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»Können Sie sich der Worte erinnern, welche Sie da gesprochen haben?«

»Ja. Ich weiß sie noch ganz gut. Ich hör sie noch jetzund klingen, wie sie damals mir aus dem Mund hervorkamen.«

»Nicht wahr, Sie riefen: Nimms hin, nimms hin! Ich sag halt nix! Gnade, Gnade!«

»Wie? Was? Sie wissen die Worten so genau, die ich sagt hab! Woher können Sie dieselbige wissen?«

»Von Ihnen selbst. Sie haben diese Worte während der vergangenen Jahre unzählige Male wiederholt. Aber erzählen Sie weiter.«

»Ich kann ja weiter nix derzählen. Ich hab nur noch sehen, daß er den Hammern auf mich schwang. Von nun an weiß ich nur noch, daß ich vorhin hier in dera Stuben wie aus einem bösen Traum aufwacht bin. Alles Andre aber ist mir unbekannt.«

»So ist es erwiesen, daß der Silberbauer Sie hat ermorden wollen. Natürlich hat er das ganze Geld und auch seine Wechsel an sich genommen und ist damit heimlich fortgegangen. Um aber alle Spuren seiner That auf das Sicherste zu vernichten, hat er Ihr Gut angebrannt.«

»Ja, so ists ganz gewiß.«

»Aber, wie es ihm beweisen? Er wird natürlich sagen, daß Sie geisteskrank sind, daß Sie sich das Alles ausgesonnen haben. Ich bin überzeugt, daß er der Mordbrenner und Dieb ist; aber wenn wir nicht noch schlagendere Beweise bringen, so befürchte ich, daß er doch freigesprochen wird.«

Da sagte der Sepp, welcher natürlich auch mit zugegen war:

»Schlagendera Beweise? Die sind da.«

»Ah! Wo?«

»Hier stehen sie: Ich und dera Herrn Lehrern. Wir haben den Hammern funden und auch den Kassenschein mit denen genauen Nummern, die dera Balzer vorhin sagt hat.«

Diese Worte machten natürlich einen ganz bedeutenden Eindruck auf die Andern. Der Sepp wurde aufgefordert, sich deutlicher zu erklären. Er erzählte von jenem Abende, an welchem er den Silberbauer im Garten getroffen und auch den Hammer gesehen hatte. Und dann berichtete der Lehrer von seiner und Sepps Beobachtung bei und unter dem Mühlenwehre. Diese Mittheilungen wurden schließlich mit größter Genugthuung aufgenommen.

»Jetzund kommts an den Tag!« rief die alte Balzerbäuerin. »Dera Herrgott ist gerecht. Er hilft, wann Niemand die Hilf erwartet. Und dera Engel, den er uns sendet hat, das ist dera Herr Lehrern. Als ich ihn zum ersten Mal troffen und sehen hab, da ists mir gleich in meinem Herzen und in dera ganzen Seel so gewest, als ob er ein Mann sei, dem ich viel zu danken hab. Und heut ists nun in Erfüllung gangen. Herr Lehrern, was Sie an mir und uns than haben, das werden wir nimmer vergessen!«

Sie ergriff seine Hand und führte dieselbe an ihre Lippen. Er entzog sie ihr schnell und entgegnete:

»Nicht mir haben Sie das Alles zu verdanken, sondern Ihrem Sohne,


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welcher uns auf die Spur seines Feindes führte. Uebrigens steht hier der Sepp, der noch viel mehr gethan hat als ich.«

»Sie haben sich Beide allerdings große Verdienste um diese arme Familie erworben,« sagte der Assessor. »Es war so außerordentlich wichtig, daß Sie dem Verstecke Ihre ganze Aufmerksamkeit zuwendeten. Das müssen wir auch jetzt thun. Wir dürfen nicht säumen. Brechen wir sofort auf, um den Inhalt der Kammer, welche sich unter dem Wasser befindet, zu untersuchen.«

Das geschah. Die fünf Männer versahen sich mit zwei Laternen und Hammer und Zange, um den Schrank öffnen zu können. Dann verließen sie die Flachsbreche, um sich nach dem Wehr zu begeben. Bei Balzers ließen sie die strenge Weisung zurück, daß über Alles das strengste Stillschweigen zu beobachten sei.

Als sie an dem Silbergute vorüberkamen, sagte der Assessor, auf das Gebäude zeigend:

»Also dort wohnt dieser Mann. Wäre es nicht vielleicht gerathen, uns vor allen Dingen seiner Person zu versichern?«

»O, den haben wir sicher!« antwortete der Medicinalrath.

»Ist sein Zustand so bedenklich, daß er uns auf keinen Fall entkommen kann?«

»Er liegt bewußtlos im Bette, vollständig betäubt. Der Arm ist ihm ausgerissen worden. Urtheilen Sie selbst, ob er im Stande sein kann, sich dem strafenden Arm der Gerechtigkeit zu entziehen.«

»Wenn es so ist, dann haben wir ihn freilich sicher. Dennoch werde ich ihm von heute an einen Wächter geben, der ihn keinen Augenblick verlassen darf.«

Aber selbst der erfahrenste und klügste Mensch und Arzt kann sich täuschen. Der Silberbauer war allerdings noch nicht aus seiner Betäubung erwacht, aber am Nachmittage bemerkte sein Sohn, daß das Gesicht des Vaters wieder Farbe bekommen habe. Der Kranke athmete ruhig und regelmäßig, und es schien, als ob der Zustand der Betäubung in einen natürlichen Schlummer übergegangen sei.

Von da an machte sich der Silberfritz in der Stube, in welcher sein Vater lag, möglichst viel zu schaffen, sagte aber Niemand etwas davon. Er wollte zugegen sein, wenn der Verunglückte erwachte. Es ließ sich ja mit Gewißheit erwarten, daß dann Worte fallen würden, welche kein Fremder hören durfte.

Als die Dämmerung hereinbrach, brannte der Silberfritz ein Licht an, und als er es auf den Tisch setzte, war es ihm, als ob der Vater sich bewegt habe. Vielleicht war der Schein des Lichtes dem Schlafenden zwischen den gesenkten Wimpern hindurch in das Auge gedrungen und hatte zur Beschleunigung des Erwachens beigetragen.

»Vater!« sagte Fritz, indem er zum Bette trat.

Der Schlafende bewegte die Lippen leise, und die Augenlider begannen zu zucken.


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»Vater, schläfst noch oder kannst mich hören?«

Da schlug der Bauer die Augen auf, hielt sie starr auf den Sohn gerichtet, schloß sie wieder und antwortete:

»Ich bin müd.«

»Müd bist? Und hast doch mehrere Tage lang stets geschlafen!«

»Ich? So lang?«

»Ja, seit Du in das Mühlrad fallen bist.«

Da riß es dem Kranken die Augen förmlich unnatürlich auf. Er starrte den Sohn an und fragte:

»Ich, ins Mühlrad fallen?«

»Ja. Weißts wohl gar nicht?«

Der Silberbauer zog den gesunden Arm unter der Bettdecke hervor. Jedenfalls hatte er auch den anderen hervorziehen wollen, denn es ging wie ein gewaltiger Schreck über sein Gesicht.

»Alle Teufeln! Was ist das? Hat mich etwan dera Schlag troffen? Ich kann den linken Arm nicht mehr bewegen!«

»Das glaub ich gar wohl! Du hast den Arm ja gar nimmer mehr.«

»Was? Ich hätt den Arm nicht mehr? Bist etwan toll? Wo sollt er hin sein!«

»Greif doch mal hin!«

Der Bauer fühlte mit der rechten Hand nach der linken Seite. Dann stieß er einen halblauten Weheruf aus.

»Alle Teufeln! Er ist fort, wirklich fort! Und dera Kopf brummt mir wie eine Baßgeigen. Jetzt weiß ich freilich, was geschehen ist. Ich war im Wehr, und nachhero - - -«

Er unterbrach sich. Von dem Wehre durfte doch kein Mensch etwas wissen.

»Sprich doch weiter!« sagte der Sohn.

»Nix ist zu sprechen. Ich besinn mich, daß ich ausglitten bin und in das Rad hinabstürzt. Dann war es aus mit meiner Besinnung. Es ist eine ganz verdammte Geschichten. Also das Rad hat mir den Arm weggenommen!«

»Ja, grad wie damals dem Finkenheiner.«

»Schweig! Den darfst mir nicht nennen! Aberst wie kommt es, daß ich gar keinen Schmerz dran hab?«

»Dera Doctor hat sagt, daß dies zuweilen vorkommen ist. Wann Einem ein Glied ausdreht wird, so ists nicht so schlimm, als wanns ihm abschnitten wird. Das Blut kam nicht heraus bei Dir.«

Der Alte lag eine Weile still und fragte dann:

»Ist indessen was passirt bei uns?«

»Ja. Die Martha ist fort, ganz und gar verschwunden.«

»Laß sie! Ich mein andera Sachen. Ist Niemand kommen, um mich zu sehen?«

»Ja, oft.«

»Wer?«


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»Die Bauern hier, die ich aberst nicht hereinilassen hab. Dann kamen Zwei. Der Eine sah gar vornehm aus, fast wie Einer vom Gericht oder von der Regierung.«

»Donnerwettern! Weiß man, wie es kommen ist, daß ich in das Rad fallen bin?«

»Nein.«

»Und - und - - weißt nicht, ob eine Frauen hier im Dorf ist, eine fremde Frauen?«

»Ich weiß nix davon.«

»Die etwan auf Besuch ist beim Finkenheiner?«

»Jetzund redest ja selber von ihm.«

»Wann ich das thu, so ists etwas ganz Anderes, als wann Einer unberufen von ihm beginnt.«

»Was für einen Besuch soll dieser Hungerleider bekommen!«

»Hm! Und doch - doch - - ist sie da! Ich hab sie erkannt, ganz genau erkannt. Und zwei Männern dort am Wehr, die wohl Alles sehen hatten.«

Er hatte das mehr zu sich selbst gesagt.

»Wen meinst?« fragte der Sohn.

»Das geht Dich nix an. Weiß Jemand, daß ich jetzund wiedern bei mir bin?«

»Nein.«

»So schweig auch noch. Niemand darf es wissen. Ich werd jetzund einmal fortgehen.«

»Wohin?«

»Hinaus aufs Feld. Weiter hast nix zu fragen.«

»Bist geschossen im Kopfe! Hinaus aufs Feld willst, in diesem Zustand hier?«

»Ja, ich muß.«

»Das ist unmöglich! Du liegst ja krank auf den Tod. Du kannst gar nicht aus dem Bett heraus.«

»Da kennst den Silberbauern schlecht. Was der will, das kann er auch. Wann mein Arm nicht blutet hat und wann er mir nicht wehe thut, so ist die Sach gar nicht schlimm. Er ist weg, und ein Krüppel werd ich bleiben; dennoch aber bin und bleib ich Derjenige, der ich gewest bin. Ich werd Dir gleich zeigen, wie gut ich aus dem Bett heraus kann.«

Er richtete sich mit Hilfe seines einen Armes empor. Sein Sohn aber schob ihn sofort wieder nieder und sagte:

»Liegen bleibst! Ich gebs nicht zu, daßt aufistehst. Nachhero, wannst stirbst, bin ichs, der die Vorwürfen bekommt.«

»Was fallt Dir ein!« zürnte der Alte. »Denkst wohl, weil ich nur noch einen Arm hab, so brauchst mir nicht mehr zu gehorchen? Da irrst Dich aberst gewaltig. Ich muß aufi.«

»Und ich duld es nicht!«


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Sein Gesicht bewies, daß er wirklich fest gewillt sei, seinen Vater am Aufstehen zu hindern. Dieser lachte einen Augenblick lang grimmig vor sich hin und sagte dann mit unterdrückter Stimme:

»Wirst mich schon aufistehen und gehen lassen, wann ich Dir nur Eins sag. Weißt, wann ich nicht jetzund gleich was thu, was Niemand wissen darf, so kommen die Schandarmen und schaffen mich ins Zuchthaus. Alles, Alles wird uns nommen, und dann bist ein Bettlern und ein Lump, größer noch als dera Finkenheiner.«

Der Silberfritz erschrack.

»Ists wahr, Vater?« fragte er.

»Ja. Läßt mich also aufi?«

»Hast was than, was verboten ist?«

»Dummkopf! Hab ich nicht täglich than, was verboten ist? So was kann mich nicht in Angst bringen. Ein Verbrechen ists, was ich than hab, ein großes, um reich zu werden und Dir ein tüchtig Stück Geld zu hinterlassen. Aus Lieb zu Dir hab ichs than. Und wann ich jetzund nicht sogleich fortgehen kann, so kommt die Sach gewiß an den Tag. Willst mich auch nun noch zuruckhalten?«

»Wanns so ist, so muß ich Dich freilich gehen lassen.«

»Oder soll ich mich dem Gericht freiwillig stellen? Wannsts meinst, so thu ichs,« höhnte der Alte.

»Bist des Teufels!«

»Nun gut! So steh ich jetzund aufi. Du magst mir helfen, das Gewandl anzuthun. Nachher wirst aufpassen, damit Niemand es sehen kann, daß ich fortgeh. Wann ich wiederkomm, so leg ich mich ins Bett, und kein Mensch weiß, daß ich fortgewest bin.«

»Aber wirsts auch aushalten?«

»Bin ich ein altes Weiberl?«

»Es kann Dir unterwegs was passiren. Es wird am Besten sein, daß ich mitgeh.«

»Ach so! Willst wohl sehen, was ich vorhab? Das schlag Dir aus dem Sinn. Meine Wege sind nicht für die Augen eines Andern. Schweig jetzund überhaupt, und kleid mich mit an.«

Er stand auf. Der Silberbauer besaß wirklich eine wahre Elephantennatur. Er bewegte sich mit einer Leichtigkeit, als ob ihm nicht das mindeste körperliche Leid widerfahren sei. In kurzer Zeit stand er angekleidet vor dem Sohne.

»Nun, schau ich aus wie Einer, dem unterwegs was geschehen kann? Meinst, daß ein Wind mich umzustoßen vermag?« fragte er.

»Ja, kräftig genug schaust wohl aus. Aberst es fragt sich halt, wie lange es währen wird.«

»So lange ich will. Jetzund steckst mir noch die kleine Laternen in die Taschen und ein Feuerzeug dazu. Den Jagdsack kannst mir auch umihängen. Ich werd Dir was mitbringen, worüber Du große Freud haben wirst.«


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»Was mags sein?«

»Geld, sehr viel Geld.«

Die Augen des Silberfritz erglänzten lüstern. Geld war ihm Alles. Für Geld gar er Alles hin, die Ehre und selbst auch - den Vater.

»Hasts wo irgend versteckt habt?« fragte er.

»Ja. Wann ichs jetzund nicht hol, wirds mir wegnommen und es kommt an den Tag, woher ich es nommen hab. Ich bring es Dir und Du wirsts irgendwo anders verstecken. Denn gefunden darfs auch hier im Haus nicht werden.«

»So geh, so geh schnell! Wann es so ist, so darf ich Dich freilich nicht zuruckhalten. Lauf, daßt fortkommst und mach geschwind, daßt wiedernkehrst!«

Jetzt, da es sich um Geld handelte, fragte er nicht mehr, ob sich der fast tödtlich verwundete Vater durch diesen unvorsichtigen, verwegenen Ausgang den Tod holen könne. Er wollte das Geld sehen, den glitzernden, blinkenden Mammon. Alles Andere war ihm sehr gleichgiltig. Sein Vater fühlte das gar wohl, aber es war ihm eben recht. Anstatt dem Sohn zu zürnen, freute er sich, daß dieser auch in dieser Hinsicht dem Vater so sehr ähnlich geworden war.

»Schau,« sagte er lachend, »was das Geldl für eine Wirkung hervorbringt. Jetzund thätst mich sogar nach Amerika hinüberlassen, wann es Dir ein Geldl einbringen thät!«

»Zehnmal um die ganze Welt herum!«

»So ists recht. Schau, das Geld ist die einzige wahre Macht und Gewalt, die es auf Erden giebt. Wem das fehlt, der ist nix und der gilt nix. Wer es aberst hat, dem gehorchens eben Alle, die Großen und die Kleinen, die Alten und die Jungen, die Gescheidten und die Dummen und auch die - Schönen und die Häßlichen. Das Letztere magst Dir gut merken, weilst noch jung bist und doch mal eine Frau nehmen mußt. Nun geh jetzund voran und schau zu, daß mir die Gesindeleut aus dem Wege gehen! Es darf mich Niemand sehen. Hier oben schließt zu und nach einer Stund und einer halben bist draußen am Gartenthor, um mich zu erwarten, damit ich ebenso heimlich wieder hereinkommen kann!«

Er hatte die Laterne nebst Zündhölzern eingesteckt und den Jagdsack umgehängt bekommen. Beide verließen die Stube. Der Sohn ging voran und ertheilte den im Wege Stehenden Befehle, durch welche sie entfernt wurden.

Auf diese Weise gelangte der Silberbauer unbemerkt in den Garten und - wohl auch aus demselben hinaus? Nein.

Anna, die reuig zurückgekehrte Frau des Finkenheiner, war den ganzen Tag in der Wohnung des Letzteren gewesen. Sie scheute sich, von Jemand gesehen zu werden. Jetzt aber, da es dunkel geworden war, verließ sie die Wohnung, um nach der Mühle zu gehen. Dort befand sich das Liesbetherl, um der alten Barbara in der Wirthschaft, welche bald nun ihre eigene


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werden sollte, zu helfen. Die Mutter wollte die Tochter abholen und nach Hause begleiten.

Sie schlug den Weg ein, welcher an den Gärten vorüberführte. Im Dorfe wäre sie ja gesehen und vielleicht sogar erkannt worden. Beim Garten des Silberbauers angekommen, blieb sie stehen und blickte über den Zaun hinüber. Dort befand sich der Mann, welcher schuld an ihrer Verirrung, an ihrem Unglücke war. Eine tiefe, tiefe Bitterkeit erfüllte sie, ein fast grimmiger Haß gegen den Menschen, der ihr Verführer gewesen war. Wie mild und freundlich war sie von ihrem braven, armen, unglücklichen Manne aufgenommen worden! Die Barmherzigkeit des Letzteren ließ ihr ihren Fehler und die Schlechtigkeit des Silberbauern in trübster Beleuchtung erscheinen. Sie war gekommen, sich an dem Verführer zu rächen. Sie fürchtete ihn nicht. Sie hätte sich sogar wohl auch nicht gescheut, auf einen persönlichen Kampf mit ihm einzugehen.

Da hörte sie Schritte, welche sich leise dem Gartenthore näherten. Wer kam da? Warum trat er so leise auf? Wollte er nicht gehört werden? In diesem Falle ging der Betreffende wohl auf verbotenen Wegen.

Sie drängte sich nahe an den Zaun heran und bog sich nieder, um nicht bemerkt zu werden. Kaum drei Schritte entfernt von ihr wurde das Thor geöffnet, und - - der Silberbauer trat heraus.

War das möglich! Er, der so schwer Verwundete, dessen Leben nur an einem Haare hing, hier im Freien? Und doch war eine Täuschung gar nicht möglich. Seine hohe, breite Gestalt mußte für einige Secunden stehen bleiben, um das Gitterthor wieder zu schließen, und da hatte sie Zeit, sich zu überzeugen, daß er es wirklich sei.

Sie gab sich gar keine Mühe, nach einer Erklärung zu suchen. Sie ahnte, daß er irgend etwas Böses, etwas Unheimliches vorhabe, und da war sie sofort und fest entschlossen, ihn zu beobachten. Darum folgte sie ihm auf dem Fuße.

Von Zeit zu Zeit stehen bleibend, um zu lauschen, ging er hinter dem Dorfe hinab und dann rechts über die Wiesen nach dem Wasser zu. Sie huschte unhörbar hinter ihm her, stehen bleibend, wenn er den Schritt anhielt, und dann wieder gehend, wenn er weiter ging.

Was wollte er dort, in der Gegend der Mühle? das fragte sie sich. Er hatte sich ja bereits am Abende, an welchem er verunglückte, dort herumgeschlichen.

So ging es weiter und weiter, durch das Gebüsch, bis hin zum Wehre. Dort blieb er lauschend stehen. Er horchte längere Zeit auf, um sich zu überzeugen, daß er sich ja ganz allein hier befinde. Sie hatte sich auf den Boden niedergekauert, kaum zehn Schritte weit von ihm. Er sah sie nicht.

Dann endlich trat er hin zu dem Busche, welcher den freien Raum maskirte, der sich zwischen dem Gemäuer des Wehres und dem Wasserbogen befand, welcher von dem Ersteren herabschoß.

Ein Zündholz leuchtete auf. Sie sah bei dem Scheine desselben ganz


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deutlich, daß eine kleine Laterne an der Erde stand, deren Lämpchen der Silberbauer anbrannte. Ebenso deutlich sah sie, daß er dann sich tief niederbückte, um unter den Zweigen des Busches hinweg zu kriechen und dann zu verschwinden.

Dieses Verschwinden war ihr völlig unbegreiflich. Sie, als einfache Frau konnte sich nicht sagen, daß hinter dem Wehre ein wasserfreier Raum sein müsse. Aber sie stellte gar keine Betrachtungen an. Sie eilte sofort dahin, wo er verschwunden war, bückte sich nieder und blickte unter den grünen Zweigen hindurch.

Da sah sie ihn mit dem Laternchen langsam zwischen der Wehrmauer und der Wasserfluth dahinschreiten. Er machte eine Thüre auf und war dann nicht mehr zu sehen.

Rasch entschlossen folgte sie ihm. Sie fragte nicht, ob die Passage hier mit Gefahren verknüpft sei. Sie wollte sehen und wissen, was er da drin zu thun habe, und da konnte kein Bedenken sie zurückhalten. Zwar war es jetzt dunkel in der kühlen, von Wasserdunst geschwängerten Passage; aber sie hatte ja vorhin beim Scheine seiner Laterne gesehen, wie man gehen müsse, um nicht in den Strom zu gerathen. Sie hielt sich so weit rechts wie möglich, eng an die Mauer, tappte sich langsam und vorsichtig an derselben hin und erreichte so die offene Thüre. Langsam schob sie den Kopf vor, um hinein zu blicken.

Der Silberbauer hatte den Jagdsack abgenommen und auf die früher bereits erwähnte Bank gelegt. Er stand vor dem offenen Kästchen und hatte den werthvollen Thalerschein in der Hand. Ihn betrachtend, murmelte er Worte vor sich hin, welche die Lauscherin wegen des Wasserrauschens nicht zu hören vermochte. Dann legte er den Schein in den Kasten, bückte sich nieder und hob den Hammer auf. Auch ihn betrachtete er und zwar mit einer Art grimmigen Behagens. Seine Lippen bewegten sich. Sie hätte viel darum gegeben, wenn sie die Worte, welche er sprach, hätte verstehen können.

Er betrachtete den Hammer

Jetzt warf er den Hammer weg, in denselben Kasten hinein, und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Er trat zum Schranke, um denselben zu öffnen. Es ging nicht rasch. In dieser feuchten Atmosphäre rostete das Schloß natürlich sehr leicht, und es war also schwer zu öffnen. Nur unter großer Anstrengung gelang es ihm, mit seinem einen Arme den Schlüssel im Schlosse zu drehen. Knarrend und kreischend that sich die Thüre auf. Die Lauscherin sah, daß der Schrank aus mehreren Abtheilungen bestand. In der unteren stand ein länglich viereckiger Kasten, an welchem sich ein großes Hängeschloß befand. Die beiden anderen Abtheilungen, welche nicht dieselbe Größe besaßen, waren mit Cigarrenkistchen angefüllt. Jedenfalls aber befanden sich keine Cigarren in denselben, denn sie wären in der hier herrschenden Feuchtigkeit binnen kürzester Zeit verdorben.

Der Müller hob zunächst den Kasten hervor und auf die Bank. Dann zog er einen Schlüssel aus der Tasche, um das Hängeschloß zu öffnen. Als ihm dies gelungen war und der Kasten geöffnet vor ihm stand, ruhte sein


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Blick mit gierigem Ausdrucke auf dem Inhalte desselben. Dann begann er, diesen Inhalt in den Jagdsack zu stecken. Die Frau sah deutlich, daß es lauter Goldrollen waren.

Es dauerte eine geraume Zeit, bevor der Kasten leer war.

Dann nahm er einige der Cigarrenkistchen her und schüttete den Inhalt derselben, welcher in Briefen und anderen Scripturen zu bestehen schien, auch in den Sack. Sodann nahm er den bereits erwähnten Hammer und den Fünfhundertthalerschein, um Beides auch mit hinein zu thun. Jetzt schien er fertig zu sein, denn er schloß den Schrank wieder zu und lud sich den Sack auf die Schulter, was ihm, da er nur noch den einen Arm besaß, nicht leicht wurde. Dann drehte er sich um, um zu gehen.

Bis jetzt hatte die Frau an der Ecke der Thüre gestanden; jetzt aber trat sie hervor. Der Schein der Laterne fiel auf sie. Er sah sie und stieß einen lauten Schrei aus. Er war geisterbleich geworden. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Die Hand sank ihm herab, und da er mit derselben den Sack unterstützt hatte, so fiel dieser ihm vom Rücken herab und auf die Erde nieder.

»Anna!« schrie er auf.

»Silberbauer! Was treibst hier im Verborgenen?«

Er stützte sich mit der Hand an die Wand.

»Bists wirklich?« stöhnte er auf.

»Wohl bin ich es!«

»Ich hab glaubt, daßt todt seist!«

»Wenns auf Dich ankommen wär, so wär ich schon längst todt, verbrannt und begraben unter den Ruinen des Schlosses, welches Ihr angesteckt habt.«

»Das ist nicht wahr.«

»Es ist wahr. Willsts leugnen?«

»Ich muß es leugnen, denn es ist eine Lügen.«

»Aberst ich weiß es genau.«

»Wie kannst das wissen! Hasts etwan sehen?«

»Ich hab es nicht sehen; aberst ich hab einen Zeugen.«

»Wen?«

»Barko, den Zigeuner.«

»Der lebt nicht mehr.«

»Weilt ihn ermordet hast.«

»Das ist abermals eine Lügen!«

»Natürlich mußt Du es leugnen, sonst kommst als Raubmörder und Mordbrenner an den Galgen. Ist nicht ein Künstler bei Dir gewest, Signor Bandolini mit Namen, der sich hier sehen lassen will?«

»Wohl war er bei mir.«

»Nun, der heißt eigentlich Jeschko und ist auch ein Zigeuner. Kennst vielleicht diesen Namen?«

»Meinst etwan den Barko seinen Brudern?«

»Ja.«


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»Alle Teufeln! Drum hab ich nicht wußt, warum dera Kerl mir so bekannt vorkommen ist!«

»Die Krankheit hat sein Gesicht entstellt. Er ist mit mir hierher gekommen. Er will keine Vorstellungen geben, sondern mir nur behilflich sein, mich an Dir zu rächen!«

Der Bauer ließ seine Augen wie rathlos in dem kleinen Raume umher schweifen. Dann blieben sie an Anna's Gestalt haften.

»Also rächen willst Dich,« sagte er. »Wie willst das aberst wohl anfangen?«

»Indem ich Dich anzeig.«

»Das wirst nicht fertig bringen.«

»Warum nicht? Ich brauch ja nur aufs Gericht zu gehen und das zu erzählen, was ich von Dir weiß.«

Ein höhnisches Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Du, das wirst bleiben lassen! Denn wannt von mir erzählst, so mußt auch von Dir reden, von dem Ehebruch, von Deiner Schand und daßt mit mir davonlaufen bist.«

»Warum sollt ich das nicht erzählen?«

»Weil das keine Frau thut.«

»Ich werde es dennoch thun. Alle Welt weiß es bereits, Jedermann hier im Ort. Und höher als alle Bedenken gilt mir die Rache. Du bist mein Verführer, mein Teufel gewest. Du hast mich verachtet und elend gemacht. Ich habe Dir meinen guten Ruf, meine Ehre, mein Glück, Alles, Alles geopfert, und dafür hast Du mich elendiglich betrogen, mich von Dir gestoßen. Mir gilt es gleich, ob die Leut hier Alles erfahren, was sie noch nicht wissen, wenn nur Du die Straf bekommst.«

Ihre Augen glühten voller Haß ihm entgegen. Er mußte an diesem Blicke erkennen, daß sie wirklich gewillt sei, alle Rücksicht auf ihre Person bei Seite zu lassen, nur um sich zu rächen. Dennoch aber gab er die Hoffnung nicht auf, sie eines Anderen zu bereden. Sie war ja Mutter. Darum sagte er:

»Jetzunder ist diese alte Sache bereits längst vergessen, und kein Mensch spricht mehr von ihr. Willst sie etwan wieder aufwärmen, Deinen Kindern zur Schand!«

»Den Namen meiner Kindern rufst vergeblich an, Silberbauer. Sie sind so brav und gut, daß mir die Augen übergehen, sobald ich nur an sie denk, vor Reue und vor Gram, aberst auch vor Grimm und Zorn gegen Dich. Solche Kindern hab ich damals verlassen können! Und warum? Weilst mich beredet hast und verführt mit schönen Worten. Grad der Gedank an meine Kindern macht mich unerbittlich in meiner Rach. Das laß Dir sagt sein!«

»So! Willst wohl allhier bei ihnen bleiben?«

»Ja.«

»Beim Finkenheiner?«

»Bei ihm.«


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Er lachte laut auf.

»So kannst mit ihm hungern und betteln!«

»Das bin ich gewöhnt. Seitst mich um mein Geld bracht hast, hab ich gar oft hungern und auch betteln mußt. Aberst jetzund brauchst da um mich gar keine Angst zu haben. Dera Herrgott wird helfen.«

»Meinswegen! Aberst dera Finkenheiner wird Dich hinaus werfen!«

»Meinst? Da irrst Dich gar sehr. Ich hab bereits mit ihm sprochen.«

»So! Hast wohl gute Worte geben, dem Lump?«

»Es hat gar keiner guten Worten bedurft. Er hat mir verziehen und mich zu Gnaden angenommen. Und grad das hat mich zur Erkenntniß bracht, was für einen guten, herzlieben Mann ich so elend macht hab. Das schreit doppelt laut nach Vergeltung.«

»Nun, wannsts so willst, so hab ich auch halt nix dagegen. Mach also, wast willst.«

Aber sein Gesicht zeigte gar nicht die Gleichgiltigkeit, welche in seinen Worten lag. Seine Augen glühten fieberhaft, unheimlich auf. Sie sah es, aber sie fürchtete sich nicht.

»Ja, das werd ich freilich machen. Morgen um diese Zeit steckst bereits im Gefängniß.«

Es zuckte in seinem Gesicht wie von einem neuen Gedanken, welcher ihm jetzt gekommen war.

»Weißt,« sagte er, »Du darfst nicht denken, daß ich mich vor Dir und Deiner Drohung fürcht. Dera Silberbauern braucht vor keinem Menschen eine Angst zu haben. Aberst ich denk jetzund halt daran, daß ich Dich mal lieb habt hab, und daßt freilich meinetwegen in Noth kommen bist. Das möcht ich halt wieder gut machen an Dir.«

Sie lehnte sich an den Thürrand, zuckte verächtlich mit der Achsel und antwortete:

»Meinst etwan, daßt das wirklich wiedern gut machen kannst?«

»Warum nicht?«

»Kannst mir meine Ehr wiedergeben, meine Jugend, mein Glück?«

»Jung kann ich Dich freilich nicht wiedern machen, aberst doch glücklich.«

»Wie denn? Womit?«

»Durch Geld.«

»Ah! Geld also willst mir geben?«

»Ja. Der Heiner ist ein armer Schelm. Er kann Dich nicht dernähren. Ich aberst werd Dir so viel geben, daßt ein Geschäft beginnen kannst, einen Handel, einen kleinen Verkaufsladen.«

»So! Schau, wie barmherzig Du bist! Wie viel willst mir denn geben?«

»Sag, wie vielst verlangst!«

»Das kann ich nicht. Ich werd lieber hören, wie vielst an mich wenden willst.«

»Weißt, ich werd ein Uebriges thun und Dir hundert Mark geben. Damit kannst sehr leicht schon was beginnen.«


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Sie benagte ihre Lippen mit den Zähnen, um den Grimm über dieses Angebot zu verbeißen. Dann fragte sie:

»Was meinst wohl, was ich mit diesen hundert Mark beginnen könnt?«

»Einen Handel mit Butter, Eiern und Grünzeug. Kaufst Dir ein Handwagerl für fünfzig Mark, und die andern Fünfzig legst im Einkauf an. Wannst sodann täglich zur Stadt fährst und die Sachen da verkaufst, so kannst ein sehr gutes Geschäften machen.«

»Ach so! Ich fahr mit dem Wagerl hin und her, im Sturm und Regen, Wind und Wettern, Hitz und Kälte! Und dera Silberbauern, der mich elend macht hat und die dreitausend Gulden verschlungen, die ich für die Mühl damals bekommen hab, der sitzt fein daheim am Ofen, laßt sichs gut sein und klimpert mit denen Goldstuckerln! Also mit hundert Mark ist all mein Elend gut bezahlt?«

»So will ich zulegen und Dir fünfzig mehr geben, daßt nur erkennst, wie gut ichs mit Dir mein!«

»Ja, gut hasts stets mit mir meint; das ist wahr!«

»Machst also nun mit?«

»Soll ich Dir wirklich auf diese Fragen eine Antworten geben?«

»Freilich! Deswegen hab ich doch fragt.«

»Nun, so sollst sie auch haben!«

Sie trat auf ihn zu. Ihr Blick bohrte sich in sein Auge, und mit zornbebender Stimme fuhr sie fort:

»Weißt, mit Geld kannst das, wast verbrochen hast, nimmer wieder gut machen. Mit hundert Markerln nicht, mit tausend und mit Millionen nicht. Ich mag kein Geld. Rache will ich, Rache! Bestraft mußt werden! An den Galgen odern auf das Schaffot muß dera Silberbauer! Nur das ists, was mich zufrieden machen kann. Weitern verlang ich nix. Wann Du Deine Strafe funden hast, dann bin ich zufrieden. Dann will ich nicht hinschauen, wann die Leut mit denen Fingern auf mich zeigen. Und übrigens bleib ich nicht hier. Ich geh in ein fremdes Land, und da will ich die Ueberzeugung mit hinnehmen, daß Dir Deine Sünden auch den richtigen Lohn bracht haben.«

»Wirst Dich wohl vorher noch bedenken, ehe Du das thust.«

»Ich hab mich bereits bedacht. Und Dich kenn ich gar zu genau. Jetzund bietest mir das Geldl; aberst ich würd es gar nimmer lang besitzen. Bevor ich eine Hand umidreht hätt, wär ich ganz plötzlich todt. Es ist ja immer Deine Art und Weis gewest, daß Leuten, welche Dir im Weg waren, ganz plötzlich storben sind.«

»So! Meinst also, daß ich sie dermordet hab?«

»Ja.«

»Und daß ich Dich auch dermorden würde?«

»Das glaub ich sichern und gewiß. Wann ich todt wär, könnt ich ja nimmer von Dir reden.«

Da stieß er ein trotz des Wasserrauschens schallendes Hohngelächter aus und sagte:


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»Schau, wast für ein kluges Weibsbild bist! Wann ich Dich todt machen wollt, so müßt es doch so geschehen, daß kein Mensch was davon wissen kann. Und wo und wann könnts da besser passen, als jetzund und hier, an dem Ort, von welchem Keiner eine Ahnung hat! Bist in dem Löwen seine Höhlen gangen, so magst auch sehen, wie Du wiedern heraus kommst!«

Er that zwei Schritte nach der Thüre, stellte sich unter dieselbe und stieß die Frau in das Innere des Raumes zurück.

»So!« lachte er. »Jetzund bist in meinen Händen. Nun geh zum Gericht und zeig den Silberbauern doch mal an!«

War es seine Meinung gewesen, daß die Frau sich jetzt vor ihm fürchten werde, so hatte er sich geirrt. Sie hatte natürlich nicht geglaubt, daß er sie so schnell angreifen werde. Ueberrascht war sie von ihm geworden, aber Angst hatte sie dennoch nicht vor ihm.

»Jetzund bist wohl Herr über mich?« fragte sie.

»Ja. Du bist in meiner Gewalt.«

»Kannst das beweisen?«

»Ja, indem ich Dich derwürg oder niederschlag.«

»Nun, das kannst mal versuchen!«

Sie blickte ihm muthig entgegen und schob die Laterne mit dem Fuße so zur Seite, daß er nicht zu dem Lichte gelangen konnte, ohne an ihr vorüber zu gehen.

»Meinst, daß ichs nicht thue?«

»Ich glaub es schon. Aberst ringen wirst doch mit mir müssen. Ich hab zwei Arme und Du nur noch einen. Verbunden bist auch an der Wund, die Du hast. Das reiß ich Dir sogleich aufi. Werden wohl sehen, wer das Uebergewicht erhält, Du oder ich!«

Er sah gar wohl ein, daß sie Recht hatte. Auf einen Kampf mit ihr konnte er es kaum ankommen lassen. Aber er war dennoch nicht verlegen.

»Ich brauch mich mit Dir gar nicht zu raufen,« sagte er. »Ich brauch nur zu gehen und die Thür zu schließen. Da steckst hier drin und mußt elend verhungern und verschmachten.«

»So! Ja, Du bist ein sehr Kluger! Geh nur immer und schließ mich eini! Ich hab gar nix dagegen. Ich werde Dich gar nicht hindern, fortzugehen. Aberst ich komm gar bald hinter Dir her!«

»Meinst, daßt von innen aufimachen kannst?«

»Jawohl.«

»Das möcht ich wohl sehen!«

»Ich kann es Dir ja sagen. Schau, Licht hab ich da, und hier in dem Sack steckt ein Hammer. Mit dem zerschlag ich die Thür; dann bin ich draußen.«

»Den Sack werd ich Dir wohl hier lassen! Den nehm ich schon mit!«

Aber der Sack lag neben der Bank, da, wo die muthige Frau stand. Sie setzte den Fuß darauf und entgegnete:


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»Versuch es doch einmal! Wer ihn haben will, der mag herkommen und sich bücken, um ihn weg zu nehmen.«

»Teufelsweib!« knirrschte er.

»Nicht wahr, jetzt siehst eini, daß es nicht so leicht ist wie früher und damals, die Arme zu betrügen? Willst raufen mit mir?«

Er sah ein, daß es unmöglich war, sie anders als durch einen directen Angriff unschädlich zu machen. Er brauchte sie nur anzufassen und hinaus in das Wasser zu stoßen. Sie mußte von der tosenden Fluth fortgerissen und getödtet werden.

»Ja!« schrie er wüthend. »Ich rauf mit Dir!«

Er sprang auf sie ein, um sie bei der Kehle zu erfassen. Sie machte eine schnelle Seitenbewegung, so daß es ihm nur gelang, sie beim Arme zu ergreifen. Da riß sie sich los und versetzte ihm einen Stoß, daß er an den Schrank taumelte.

»Da hasts!« rief sie. »Jetzunder werd ich Dich einischließen, anstatt Du mich!«

Sie wollte hinauseilen. Gelang es ihr, ihre Drohung wahr zu machen, so war es um ihn geschehen. Darum that er einen schnellen Sprung nach ihr, und es gelang ihm, sie zu erfassen und zurückzureißen.

»So! Geh doch hinaus! Schließ mich doch eini!« höhnte er, indem er sie zurückschleuderte. »Du bists, die verspielen wird.«

Er erhob die geballte Faust zum Schlage. Sie aber sprang blitzschnell auf ihn ein und stieß ihm ihre beiden Fäuste so an den Leib, daß er taumelte, und dann niederstürzte. Sie warf sich sofort auf ihn, und nun begann ein stilles, wortloses, aber angestrengtes Ringen zwischen dem schwachen, aber muthigen Weibe und dem riesenstarken, doch einarmigen Manne. Mit ihren blitzschnellen Bewegungen war sie ihm, mit seinen kraftvollen Faustgriffen aber er ihr überlegen. Es war ihm gelungen, sie bei der Gurgel zu fassen. Er drückte ihr dieselbe zu. Sie wehrte sich in der Verzweiflung des Todes. Zwar kratzte sie mit ihren Nägeln sein Gesicht tief auf, aber er ließ sie nicht wieder los. Er wußte, daß sie ihn nur leicht verwunden könne, während sie, wenn er nur die Faust fest zusammendrückte, in wenigen Augenblicken eine Leiche sein mußte.

Sie machte noch eine letzte, convulsivische Anstrengung, sich zu befreien - vergeblich!

»Kratz nur, Teufelskatze!« brüllte er. »Wirst im Leben nicht mehr kratzen! Heut ists das letzte Mal! In die Höll mit Dir!«

»Noch nicht sogleich!« ertönte eine Stimme am Eingange. Eine Gestalt schnellte herbei, bog sich über ihn nieder und riß seinen Arm von der Frau zurück. Der Silberbauer war so erschrocken, daß er vergaß, sich zu bewegen. Er starrte wie abwesend in das Gesicht des unerwarteten Ankömmlings, der gerade noch im letzten Moment gekommen war, um die Frau vom Tode zu retten.

»Was?« stammelte der Bauer. »Dera Schulmeistern!«


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»Ja, ich bin es,« sagte der junge Mann. »Mensch, findest Du denn gar eine solche Lust am Morden!«

Anna hatte sich mühsam aufgerafft. Sie lehnte matt am Schranke, hielt die Hände an den Hals und rang nach Athem. Der Silberbauer war auch schnell aufgestanden. Er beachtete nichts und sah nichts als nur den Lehrer.

»Verdammter Hallunk!« rief er. »Was willst hier; was hast hier zu suchen!«

»Dich, Mörder, suche ich.«

»Was hast mit mir zu schaffen?«

»Arretiren werde ich Dich, und zwar mit viel mehr Grund, als Du mich am ersten Tage arretiren wolltest.«

»Du bist dumm im Kopf. Diese Stuben hab ich für mich baut; sie gehört mir. Pack Dich hinaus, sonst fliegst von selberst hinaus!«

Er zeigte mit der Hand gebieterisch nach der Thüre. Ganz selbstverständlich folgte sein Auge dabei derselben Richtung. Er ließ den ausgestreckten Arm sinken.

»Alle Teufeln!« rief er aus. »Auch dera Wurzelsepp! Verfluchtger Kerl, was hast hier zu suchen?«

»Den Fünfhundertthalerschein, dent noch vom Feuerbalzer da liegen hast,« antwortete der Alte, indem er näher trat.

»Oho! Du redest wohl im Traume?«

»Nein. Hier in denen Kasten hat er legen, und da unten dera Hammer, mit demt den Balzer hast derschlagen wollen.«

»Ich versteh Dich gar nimmer!«

»Und das Geldl, wast vom Thalmüllern holt hast, die fremden Goldstuckerln aus dera Türkeien, sind wohl auch da?«

Der Bauer hielt sich mit der Hand am Schranke fest. Er fühlte eine plötzliche große Schwäche. Und jetzt trat auch der Assessor ein. Er hatte eine Laterne in der Hand. Der Lehrer und der Sepp waren vorangegangen, um die Herren zu überzeugen, daß man ganz ohne alle Gefahr sich unter das Wasser des Wehres begeben könne.

»Wer ist das?« entfuhr es dem Silberbauer.

»Dieser Herr ist der Staatsanwalt,« antwortete der Lehrer. »Ihre Rolle ist ausgespielt.«

Es ging wie ein Krampf über das Gesicht des Bauers. Er konnte nicht begreifen, woher diese Leute kamen, wie sie in den Besitz seines so tief bewahrten Geheimnisses gekommen seien. Aber Eins begriff er: Sie waren da. Es war Alles verrathen. Für ihn gab es keine Rettung als nur allein in der Flucht. Gelang es ihm, jetzt zu entkommen, so war es trotz seines Körperzustandes doch vielleicht möglich, der Strafe zu entgehen. Hier war seine Rolle ausgespielt, darin hatte der Lehrer Recht, aber als Gefangener wollte er sich nicht durch das Dorf führen lassen.

»Eure Rolle aberst spiel ich nicht mit!« schrie er wüthend auf.

Er sprang auf den Assessor ein und stieß ihn, der auf diesen blitzschnellen


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Angriff nicht vorbereitet war, zur Seite. Dadurch wurde der Eingang frei und er schoß hinaus. Aber indem er sich nach links wendete, um zwischen Mauer und Wasser hinauszueilen, sah er zwei Männer stehen, deren einer auch eine Laterne in der Hand hatte - die beiden Aerzte.

Sollte er mit ihnen kämpfen? Dazu gab es keine Zeit, denn da mußte er im nächsten Augenblicke von hinten ergriffen werden. Wohin also sich retten! Es gab nur einen Weg, hinein in die tosende Wasserfluth, welche vom Wehre herniederschoß. Der Assessor hatte sich augenblicklich wieder zusammengerafft und nach dem Ausgange gewendet. Schon streckte er seine Hand aus, um den Silberbauer zu ergreifen, da that dieser den verwegenen Sprung und verschwand in den abstürzenden Wogen.

»Herrgott!« rief der Assessor erschrocken. »Das ist ja der sichre Tod!«

»Was? Wo ist der Flüchtling?« fragte hinter ihm der Lehrer, welcher, weil er sich im Innern des Raumes befand, nichts gesehen hatte.

»Hier hinein ins Wasser.«

»Er soll uns trotzdem nicht entkommen!«

Der junge Mann warf den Rock ab und zog sich gedankenschnell die Stiefeln aus.

»Um Gotteswillen! Sie wollen ihm doch nicht etwa nach?« rief der Beamte.

»Warum nicht? Es ist nicht so gefährlich, wie es scheint. Haben müssen wir ihn. Ich muß ihn retten. Er darf nicht ertrinken. Seine Aussagen sind uns zu kostbar. Eilen Sie wieder zurück, hinaus, um mir nöthigen Falls zu helfen!«

Ein Sprung und die Wasser schlugen über ihm zusammen.

»Tüchtiger Kerl!« rief der alte Sepp. »Schnell hinaus, schnell, schnell! Sonst ersaufens sehr leicht alle Beiden!«

Die drei Herren eilten so schnell, wie das Terrain es gestattete, zwischen der Mauer und dem Wasser hin und krochen unter dem Busche wieder hinaus. Der Sepp folgte. Die Frau aber blieb allein zurück.

Draußen war es dunkel. Die eine Laterne, welche der Medicinalrath in der Hand hatte, konnte nichts nützen. Er setzte sie nieder.

Das Wasser hatte, vom Wehre zur Tiefe stürzend, sich ein tiefes Loch ausgehöhlt, in welchem es schäumende, kochende Strudel bildete. Dann aber floß es wieder ruhig zwischen den Ufern dahin.

»Was jetzt thun? Man sieht ja nichts!« sagte der Assessor. »Ich bin überzeugt, daß Beide verloren sind.«

»Vielleicht dera Herr Lehrern doch nicht,« antwortete der Sepp. »Ich habs sehen, daß er ein sehr guter Schwimmer ist.«

»Aber in diesen zischenden, drehenden Wassern! Und wann er den Bauer wirklich durch Zufall ergreift und dieser hängt sich an ihn, so ist er doch verloren.«

»Nun, hier könnens alle Beide nimmer sein. Sie sind mit dem Wasser fort. Wir müssen weiter hinab.«


// 1074 //

Er eilte fort und die Andern folgten. Dann, als sie eine Strecke zurückgelegt hatten, blieb der Alte stehen und rief:

»Herr Lehrern!«

Er erhielt keine Antwort.

»Herr Lehrern! Walther! Max! Max!«

In seiner Angst um den jungen Mann, den er so herzlich lieb hatte, nannte er ihn beim Vornamen. Er erhielt auch jetzt keine Antwort.

»Verteuxeli! Da ist halt doch das Unglück passirt. Wann er versoffen ist, so werd ich all mein Lebtagen nimmer wieder froh! Max, Max! Hörst denn den alten Seppen nicht mehr!«

Da antwortete in unmittelbarster Nähe die lachende Stimme des Lehrers:

»Natürlich höre ich Dich. Du schreist ja laut genug!«

»Herr Jerum! Da ist er! Aberst Mensch, warum gebens halt nicht gleich erst die Antworten?«

»Weil ich den Mund voll Wasser hatte. Es ist wirklich nicht ganz ungefährlich, einen Sprung in einen so rasenden Strudel zu thun, besonders bei Nacht.«

Er kam herbei.

»Gott sei Dank!« sagte der Assessor aufathmend.

»So leben Sie doch wenigstens noch. Der Bauer ist natürlich ertrunken.«

»Das ist möglich. Wenigstens bewegt er sich nicht mehr.«

»Wie? Was? Wissen Sie, wo er sich befindet?«

»Natürlich. Er liegt keine zehn Schritte von hier am Ufer.«

»So hat ihn das Wasser ausgestoßen?«

»O nein. Vom Ausstoßen ist hier keine Rede. Als ich in den Strudel sprang, fühlte ich einen festen Gegenstand, an welchen ich beim Emportauchen stieß und griff zu. Ich hielt ihn auch fest, als ich noch einige Male zur Tiefe zurückgerissen wurde, und es gelang mir, mit ihm den Fluthen zu entkommen. Es war des Silberbauers Arm, den ich ergriffen hatte. Ich schwamm mit ihm an's Ufer und da rief auch bereits der Sepp nach mir. Bitte, kommen Sie!«

Er führte die Herren nach der Stelle, an welcher er den Bauer liegen gelassen hatte.

»Hier liegt er, neben diesem Busch.«

»So werd ich gleich untersuchen, ob noch Leben in ihm ist,« sagte der Medicinalrath.

Er bückte sich nieder, fragte aber in verwundertem Tone:

»Wo soll er liegen? Hier?«

»Ja. Gleich neben dem Busch.«

»Er ist nicht da.«

»Unmöglich!«

Er bückte sich auch nieder und suchte. Die Anderen suchten mit - vergeblich. Der Silberbauer war verschwunden.

»Ist er etwa in das Wasser zurückgefallen?« meinte der Assessor.


// 1075 //

»Nein. Der Busch steht wenigstens eine Elle vom Ufer entfernt. Bitte, warten Sie einen Augenblick, meine Herren!«

Er eilte fort, um die Laterne zu holen, welche der Medicinalrath am Wehre niedergesetzt hatte. Als er dieselbe brachte, leuchtete er nach allen Seiten im Grase umher.

»Er ist fort, entflohen,« sagte er. »Der Mensch ist gar nicht besinnungslos gewesen. Er hat sich nur so gestellt und sich von mir aus dem Wasser schaffen lassen, um dann zu entfliehen. Hier sehen Sie die Spur im hohen Grase. Er ist nach dem Mühlgraben hinauf. Folgen wir schnell.«

Da das Gras hier eine ziemliche Höhe besaß, so war es leicht, der Spur zu folgen. Sie führte nach dem schmalen Steg, welcher über den Mühlgraben ging und verlor sich dann auf festem Boden.

»Er wird doch nicht etwa wieder unter's Wehr sein!« meinte der Medicinalrath.

»Das kann ihm nicht eingefallen sein,« antwortete der Lehrer. »Das hieße ja, sich widerstandslos unseren Händen überliefern. Nein. Jedenfalls ist er so schnell wie möglich nach Hause - -«

»Um sich dort von uns fangen zu lassen? Nein.«

»Gewiß nicht! Er ist nur nach Hause, um seinem Sohne zu sagen, was geschehen ist und wo dieser ihn zu suchen habe. Denn es versteht sich ganz von selbst, daß der Silberfritz seinen flüchtigen Vater mit Geld und anderer Kleidung und Wäsche versehen muß.«

»Das müssen wir verhindern!« sagte der Assessor. »Also schnell in das Dorf! Das Versteck aber dürfen wir auch nicht unbewacht lassen. Die beiden Herren Aerzte mögen hier bleiben, bis wir wiederkommen. Sepp mag nach dem Gasthofe eilen. Ich habe in der Vorahnung, daß ich sie brauchen werde, zwei Gensdarme dorthin bestellt. Vielleicht sind sie bereits da. Ist das der Fall, so mögen sie schleunigst nach dem Silbergute kommen. Sie aber, Herr Lehrer, führen mich jetzt nach demselben. Ich kenne den Weg nicht genau und es handelt sich darum, so schnell wie möglich hin zu gelangen.«

Diese Disposition wurde rasch ausgeführt, aber es war doch bereits eine wichtige Zeit vergangen.

Der Lehrer hatte mit seiner Vermuthung das Richtige getroffen. Der Bauer war zwar zunächst ziemlich betäubt gewesen, als er von dem Wasser herumgewirbelt wurde. Kluger Weise hatte er sich den Wogen widerstandslos überlassen. Da war er von Walther ergriffen und an das Ufer geschafft worden. Er hörte den Sepp rufen. Der Lehrer entfernte sich die wenigen Schritte. Sofort kroch der Bauer leise am Boden hin, richtete sich erst dann auf, als er gewiß war, nicht gesehen zu werden, und eilte dann davon, über den Mühlensteg hinüber und dem Dorfe zu.

Natürlich schlug er die Richtung nach seinem Garten ein. Am hintern Thore desselben stand sein Sohn.

»Kommst endlich!« sagte dieser. »Es sind längst mehr als anderthalbe Stunden vergangen. Sappermenten! Bist ja ganz naß!«

»Ja. Ich komm aus dem Wassern und -«


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»Und hast gar keinen Athem! Was ist geschehen?«

»Ein großes Unglücken. Ich bring nix mit und bin derwischt worden. Die Polizei will mich fangen. Ich muß fliehen.«

»Alle Teufel! Bist gescheidt!«

»Hör, ich hab keine Zeit, Dir Alles zu derzählen. Vielleicht kommens gleich hinter mir her und sind schon in einer Minuten da. Der Lehrer ist auch dabei, dera Hallunk. Ich brauch Geld und ein ander Gewand und auch Wäsch. Brings schnell herausi! Dann werd ich Dir auch Alles derzählen und derklären.«

»Hierher soll ichs bringen?« fragte der Fritz, jetzt vor Schreck nun selbst athemlos.

»Nein. Da ists zu gefährlich. Ich geh hinüber an unser Roggenfeld. An der unteren Eck desselben wirst mich finden.«

»Aberst wann sie indessen kommen und lassen mich nicht fort?«

»So steig ich hinauf zur Höh und versteck mich in's Felsenloch. Da findest mich gewiß.«

»Aberst wannst drin steckst, so sieht man Dich doch am Tag.«

»Da steck ich im Gebüsch und Du brauchst nur zu rufen.«

»Donnerwettern! Ich bin ganz außer mir vor Schreck! Du auf dera Flucht! Ists denn gar so gefährlich?«

»Ja. Es kostet mich den Kopf, wanns mich derwischen.«

»Aberst das Gut! Was wird mit dem Gut?«

»Das ist Dein. Verstehst? Und da man dabei auch auf Alles gefaßt sein muß, wannst mich etwan hier nicht findest, so bin ich fort und nach Scheibenbad zum Thalmüllern. Der ist mein Spezial und weiß Alles. Der muß mir forthelfen. Horch, da hör ich Schritten! Also fort! Komm an's Roggenfeld!«

Er huschte fort. Sein Sohn blieb stehen und lauschte. Es war nichts zu hören. Die Angst hatte den Bauer getäuscht. Fritz ging durch den Garten in das Haus und in die Stube seines Vaters. Er befand sich in außerordentlicher Aufregung. Der Silberbauer auf der Flucht! War das möglich? Das verwirrte ihm fast die Gedanken. Die Hauptsache war, den Vater mit Geld, einem Anzuge und trockener Wäsche zu versorgen. Soviel sah er bei all seiner Aufregung ein. Darum raffte er zusammen, was er dazu brauchte, nahm Geld aus dem Pulte und kehrte in fieberhafter Eile nach dem Garten zurück, um sich nach dem Roggenfelde zu begeben.

Aber er hatte die Hälfte des Gartens noch nicht durchschritten, so kamen ihm zwei Männer entgegen - der Assessor und der Lehrer.

»Guten Abend!« grüßte der Erstere. »Wohin, mein Bester?«

»Wer hat da zu fragen?« antwortete der Silberfritz trotzig. »Wer ist da? Wer derlaubt es sich, durch den Garten zu gehen?«

»Das können Sie sofort erfahren. Wer sind Sie?«

»Das geht halt Niemand nix an!«

»Es ist der Sohn des Bauers,« erklärte der Lehrer.


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»So? Wo wollen Sie hin? Und was haben Sie da in den Armen? Ah, einen Anzug, wie es scheint. Darf ich fragen, für wen er bestimmt ist?«

»Das braucht Keiner zu wissen!«

»Bitte, sprechen Sie höflicher zu uns! Ich bin Gerichtsbeamter und komme, mich nach Ihrem Vater zu erkundigen. Wo ist er?«

»Der? Wo soll er sein? Er ist ja krank! Droben im Bett liegt er. Das versteht sich ja ganz von selberst.«

»Wollen Sie uns einmal zu ihm führen?«

»Wanns zu ihm wollen, meinswegen.«

»Und was wollten Sie mit diesen Kleidungsstücken?«

»Auch das müssens wissen? Ich hatt sie heut im Garten in die Sonn aufhängt. Nun ists Nacht, und ich hol sie wieder in's Haus.«

»Es schien aber, als ob Sie damit fort wollten, zum Garten hinaus?«

»Fallt mir nicht eini! Ich hab nur sehen wollt, ob die Thür noch offen ist. Die muß des Nachts zugeschlossen werden.«

»Nun, sie ist noch offen. Haben Sie den Schlüssel mit?«

»Nein.«

»So werde ich selbst dafür sorgen, daß sie nachher verschlossen wird.«

»Sie? Was haben denn Sie hier im Silbergut zu befehlen?«

»Darüber werden Sie recht bald aufgeklärt werden. Kommen Sie nur!«

Als sie durch die Hinterthür in das Haus traten, brachte zu gleicher Zeit der Sepp, welcher also sehr schnell gelaufen war, die beiden Gensdarme und auch den Finkenheiner zur vorderen Thür herein.

»Da bin ich schon, Herr Assessor,« sagte er. »Und weil ich mir denkt hab, daß wir leicht Leuteln brauchen, die den Wächter machen müssen, so hab ich auch den Heiner mitbracht, weil er mir begegnen that.«

»Einen besseren Wächter giebt es allerdings nicht, als den Heiner,« erklärte Walther leise dem Beamten. »Es ist nämlich der Spezialfeind der ganzen silbernen Gesellschaft.«

Der Assessor nickte zustimmend und befahl dann den Gensdarmen:

»Einer von Ihnen bleibt hier im Flur postirt, um dafür zu sorgen, daß kein Bewohner dieses Hauses dasselbe ohne meine Erlaubniß verläßt. Der Andre folgt uns jetzt! Also führen Sie uns zu Ihrem Vater!«

Diese Aufforderung war an den Silberfritz gerichtet. Dieser antwortete:

»Der ist halt oben in seiner Stuben. Kommens also mit.«

Sie stiegen hinauf. Eine Lampe brannte dort. Natürlich war das Bett leer.

»Nun, wo ist er denn?« fragte der Assessor.

»Ja, wo ist er?« rief der Sohn, sich ganz erstaunt stellend. »Er muß doch da im Bett liegen!«

»Aber wie Sie sehen, ist er fort!«

»Wie kann er fort sein! Er ist ja krank, ohne Arm! Er hat stets dagelegen ohne Verstand!«

»Wir werden ihn wohl finden. Zunächst erlauben Sie mir einmal, die


// 1078 //

Gegenstände anzusehen, welche Sie jetzt aus dem Garten geholt haben. Ah! Ein Paar Stiefel! Haben die auch mit unten gehängt?«

»Ja.«

»Ein neuwaschenes Hemde und ebensolche Strümpfe. Warum mußten auch diese Gegenstände an die Luft gehängt werden?«

»Weil Alles feucht worden war.«

»So! Seit wann hing das Alles unten?«

»Am ganzen Tag.«

Der Assessor entfernte sich für kurze Zeit, um unten beim Gesinde nachzufragen. Als er dann zurückkehrte, sagte er:

»Es hat nicht ein einziger dieser Gegenstände im Garten gehangen. Sie haben mich belogen. Ich fordere Sie auf, mir die Wahrheit zu sagen.«

»Die hab ich sagt. Wer anders spricht, der ist ein Lügner!«

»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß Sie diese Gegenstände für Ihren Vater bestimmt haben. Wo befindet er sich?«

»Weiß ichs!«

»Ja, Sie wissen es!«

»Ich weiß nix davon, daß ichs weiß.«

»Nun, ich kann Sie nicht zwingen, mir zu sagen, was Sie nicht sagen wollen, aber Sie veranlassen mich durch Ihre Unwahrheiten, strenger mit Ihnen zu verfahren, als ich beabsichtigte. Sie sind hiermit arretirt!«

Der Silberfritz fuhr zurück, als ob er einen Schlag erhalten hätte.

»Was? Verarretirt soll ich sein!« rief er. »Ich, dera Silberfritz, dessen Vatern der Herr von ganz Hohenwald ist!«

»Von dieser Herrschaft weiß ich nichts. Sie bleiben einstweilen hier. Sie dürfen diese Stube ohne meine Erlaubniß nicht verlassen. Der geringste Versuch, gegen meinen Befehl zu handeln, würde mich veranlassen, Sie in Fesseln zu legen. Jetzt wollen wir nach Ihrem Vater suchen.«

Fritz wurde jetzt eingeschlossen. Draußen bemerkte der Lehrer zu dem Assessor:

»Ich bin überzeugt, daß die Durchsuchung des Hauses zu keinem Resultate führt. Der Sohn wollte aus dem Garten hinaus, um seinem Vater die Sachen zu bringen. Der Bauer befindet sich also im Freien.«

»Aber wo? Ich bin übrigens ganz und gar Ihrer Meinung.«

»Jedenfalls gar nicht weit vom Garten entfernt.«

»Meinen Sie, daß ich ihn draußen suchen lasse?«

»Nein. Dadurch würde er uns sicher entgehen. Die Beiden haben jedenfalls einen Ort verabredet. Wir kennen denselben nicht. Durch unser Suchen würden wir ihn nur auf uns und auf die ihm drohende Gefahr aufmerksam machen. Meiner Ansicht nach haben wir auch einen großen Fehler begangen.«

»Nicht daß ich wüßte!«

»Wir hätten den Silberfritz nicht stören, sondern ihm heimlich nachschleichen sollen. Er hätte uns ganz gewiß zu seinem Vater geführt.«


// 1079 //

»Allerdings. Sie müssen aber berücksichtigen, daß er uns auch sogleich bemerkte, als wir ihn sahen. Es war also unmöglich, ihm heimlich zu folgen. Uebrigens habe ich alle Hoffnung, den Bauer doch zu ergreifen. Wenn sein Sohn nicht kommt, um ihm verabredeter Maßen die Sachen zu bringen, so wird er sich jedenfalls herbeischleichen, um den Grund dieser Zögerung zu erfahren. Ich werde dafür sorgen, daß er da ergriffen wird.«

Es war freilich so, wie der Lehrer gesagt hatte: die sorgfältigste Durchsuchung des ganzen Gutes bewies nur, daß der Bauer sich nicht in demselben befand. Die sämmtlichen Gesindepersonen wurden bis auf Weiteres eingeschlossen. Der zweite Gensd'arm postirte sich in den Garten, um mit dem alten Sepp und dem Finkenheiner den Silberbauer festzuhalten, falls dieser sollte herbei geschlichen kommen. Sodann kehrte der Assessor mit dem Lehrer wieder nach dem Wehre zurück. Das Versteck mußte durchsucht werden. Nach dem dortigen Befunde mußte der Beamte sein Verhalten gegen die Bewohner des Silberhofes einrichten.

Als die Beiden am Wasser anlangten, fanden sie die beiden Aerzte am Ufer sitzen, und zwar in Gesellschaft der Frau des Finkenheiners, welcher es in dem Verstecke zu einsam geworden war, die sich aber auch nicht hatte entfernen wollen, bevor sie vernommen worden war.

Nach der Mittheilung, daß der Flüchtling noch nicht ergriffen worden sei, begaben sich die vier Herren nebst der Frau hinein in das Versteck. Der Assessor kannte Anna nicht persönlich, aber der Lehrer hatte ihn unterwegs, so weit er es vermochte, über ihre Person und ihre Verhältnisse aufgeklärt. Darum wendete er sich zunächst, bevor er den Raum und dessen Inhalt untersuchte, an sie:

»Wie kommt es, daß wir Sie mit dem Silberbauer hier überraschten?«

»Ich wollte nach der Mühl, und er ging vor mir her. Ich sah ihn ein Licht anbrennen, dann verschwand er unter dem Wasser. Ich bin ihm folgt, und als er mich sah, wollt er mich todt machen. Da haben wir mit nander gerungen. Und wann dera Herr Lehrern nicht kommen wär, so lebt ich jetzund nicht mehr.«

»Vielleicht muß ich Sie noch heut ersuchen, mir einige Auskunft über den Silberbauer zu ertheilen. Dazu ist aber später Zeit. Sagen Sie uns zunächst, was Sie hier erlauscht und beobachtet haben!«

Sie erzählte es. Als sie geendet hatte, nahm der Beamte den Jagdsack her und öffnete ihn.

»Wirklich, hier ist ein Hammer,« sagte er. »Das ist an und für sich gar keine verdächtige Erscheinung. Wer sich so ein heimliches Versteck herrichtet, kann ein solches Werkzeug oft brauchen. Warum aber dieses Versteck und warum hat er den Hammer in Sicherheit bringen wollen?«

Er betrachtete den Letzteren genau.

»Hm! Der Kopf hat drei Centimeter und einige Millimeter ins Geviert. So gaben Sie die Kopfwunde des Feuerbalzers an, Herr Medicinalrath.«


// 1080 //

»Ich habe das Maß einstecken,« antwortete der Genannte. »Bitte, zeigen Sie!«

Er erhielt den Hammer und zog das silberne Stäbchen hervor.

Das Maß stimmte ganz genau. Nun hielt er den Hammer ganz nahe an das Licht der Laterne, um ihn ganz genau zu betrachten.

»Eigenthümlich,« sagte er, »daß dieses Eisen nicht so verrostet ist, wie man es bei der Feuchtigkeit dieses Raumes erwarten sollte. Ich werde die Kopffläche, mit welcher der Hieb ausgeführt sein müßte, einmal ganz genau untersuchen. Vielleicht ist noch eine Spur von Blut aufzufinden. Und, Gott sei Dank, verstehen wir jetzt ganz sicher, Menschenblut vom Blute eines andern Geschöpfes zu unterscheiden.«

»Ja, wickeln wir dieses Werkzeug sehr sorgfältig ein! Es kann für uns von großer Wichtigkeit werden. Nun weiter!«

Er suchte im Sacke weiter nach, zog die Cigarrenkästchen und dabei auch den Kassenschein heraus.

»Welch eine Nummer!« rief er aus. »Es ist wirklich 9,993,330, also derselbe Schein, welcher dem Feuerbalzer geraubt wurde. Ich will hören, wie der Silberbauer nach seiner Ergreifung das Vorhandensein dieses Papieres in seinem Verstecke erklären wird.«

Er öffnete die Cigarrenkästchen und fand, daß der Inhalt derselben aus Briefen und schriftlichen Anweisungen bestand, zu deren näherer Untersuchung jetzt nicht Zeit war.

Dann wurden auch einige der Geldrollen untersucht. Sie enthielten lauter türkische Goldstücke von der Prägung eines und desselben Jahres.

Zum Oeffnen des Schrankes fehlte der Schlüssel. Der Silberbauer hatte ihn einstecken. Der Hammer hätte zwar zum gewaltsamen Oeffnen dienen können, allein da an ihm nach Blutspuren gesucht werden sollte, so mußte man darauf verzichten. Es war im Dorfe kein Schlosser vorhanden. Aber der Schmied verstand sich auch so leidlich auf Schlosserei und pflegte Schlösser durch Nachschlüssel zu öffnen, falls irgend ein Bewohner des Dorfes einmal einen Schlüssel verlegt oder verloren hatte. Der Lehrer erbot sich also, nach dem Dorfe zu eilen, um ihn zu holen, und erhielt gern die Erlaubniß hierzu.

Anna, welche sich hier nicht erblicken lassen wollte, fragte, ob sie sich nicht entfernen dürfe, da der Schmied sie sogleich erkennen werde. Der Assessor gestattete es ihr unter der Bedingung, daß sie für ihn zu haben sei, sobald er ihrer Aussage bedürfe.

Sie ging nach der Mühle, um, was ihre ursprüngliche Absicht gewesen war, ihr Liesbetherl abzuholen. Dort erzählte sie natürlich, was geschehen war, und der Müller hatte nichts Eiligeres zu thun, als nach dem Wehre zu gehen. Er kam gerade mit dem Lehrer und dem Schmiede dort an, blieb aber draußen stehen, um sich nicht aufdringlich zu zeigen und in Folge dessen zurückgewiesen zu werden.

Der Schmied war höchlichst verwundert, zu sehen, daß sich unter dem Wasser des Wehres eine so geheimnißvolle Kammer befand. Er öffnete mit


Ende der fünfundvierzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk