Lieferung 54

Karl May

6. August 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Und sie weiß es?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie hat vorhin nicht so ausschaut, als obs einen Freier erwarten thät.«

»Ists denn Einer, demt sie gönnen kannst?«

»Dem gar nimmer! Und seit ich mir jetzt denken muß, daß Derjenige sie umarmen und küssen darf, so gönne ich sie gar Keinem auf dera Welt.«

»Wer ists denn?«

»Derjenige, den ich derwähnt hab, als ich vorhin mit dem Bauer redete. Hasts nicht hört, daß ich sagt hab, ich könne mich mit dem Stephan nicht vertragen?«

»Hört hab ichs wohl, aber nicht wußt hab ich, wen und wast meintest.«

»Der Kerl heißt Stephan Osec und wohnt nicht weit von hier auf einem Dorf. Sein Vater ist dort dera reichste Bauer, ein stolzer und hochmüthiger Geldprotz. Der Bub ist noch hochmüthiger, aberst dabei so dumm, daß es Einem derbarmen kann.«

»Ist er hübsch?«

»Wie eine Vogelscheuch. Aberst Geld muß doch wiederum zu Geld, und so mögens die Alten verabredet haben, daß die Jungen ein Paar werden.«

»Jerum! Da sollt die Gisela mir leid thun!«

»Mir auch, wanns sich zwingen ließ.«

»Meinst, daß sie ihn mag?«

»Das kann ich nimmer für möglich halten.«

»Sie wird wohl dennoch gehorchen müssen.«

»Möglich, denn dera Bauer hat einen gar harten Kopf. Und doch ists nicht ganz unwahrscheinlich, daß sie ihm widerstrebt.«

»Das wird ihr nix helfen.«

»Wer weiß. Ich hab sie nur als mild und gut und gar sanft kennen lernt. Doch wann ich sie zuweilen so im Stillen anschau und sie merkt es nicht, so ists mir, als ob sie doch auch ein Wenig nach dem Vatern gerathen sei. Wann er hart mit ihr ist, so zuckt es um ihre Mundwinkeln, und in ihren Augen blitzt es heimlich auf.«

»Dann zankt sie wohl mit ihm?«

»Nein, sie bleibt still. Es scheint mir, daß sie es nicht für der Mühen werth hält, wegen einer Kleinigkeiten dem Vatern zu widerstehen. Aberst wann es sich mal um was Großes und Wichtiges handelt, um ihr Lebensglück, so ahne ich, daß sie es zum ersten Male zeigt, daß sie auch einen Willen hat.«

»Nachhero wirds schlimm. Wenn zwei solche zusammen gerathen, da fliegen die Funken!«

»Mögen sie fliegen! Ich werd sie löschen.«

»Obsts vermagst?«

»Ich hoffe es.«

»Du, als armer Knecht? Was könntest dem reichen und stolzen Kery-Bauern zu gebieten haben!«


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»Nix, gar nix. Aberst ein klein Wenig wird er doch auf mich hören müssen.«

»Wohl von wegen dem Geheimniß, von dem vorhin sprochen hast?«

»Ja.«

»Wann ich dasselbige doch derfahren könnt!«

»Vielleicht später mal. Jetzund aber muß ichs für mich behalten. Nun haben wir die schöne Zeit verschwatzt, und ich muß doch noch arbeiten. Kannst mitkommen. Ich muß in den Stall, um die Pferd zu füttern, mit denen ich in dera Stadt gewest bin. Nachhero, wann ich da fertig bin, ist der Kaffee bereit und dann gehen wir hinaus auf das Feld spazieren.«

»Darfst denn fort? Wirds dera Bauer auch derlauben?«

»Ich frag ihn gar nicht. Ich werd fortgehen, sobald ich meine Arbeit macht hab. Heut ist kein Werktag. Und wenn ich am Abend meine Pferden wiederum besorgen thu, so hab ich meine Pflicht than. Komm!«

Sie verließen Beide jetzt die Stube, ohne zu ahnen, daß sie grad von Derjenigen belauscht worden seien, von welcher so vorzugsweise die Rede gewesen war.

Diese, nämlich Gisela, stand jetzt mitten in der Küche, und wer sie jetzt in diesem Augenblicke gesehen hätte, der hätte vielleicht nicht gewußt, was er von ihr denken solle.

Sie hielt die Hände gefaltet und blickte mit verklärtem Ausdrucke nach oben.

»Er liebt mich; er liebt mich!« flüsterte sie. »Und ich habs doch nicht geahnt. Er war stets so still und so kalt, so ernst und so zurückhaltend. Und diesen Stephan Osec hat man mir zugedacht, den czechischen, hinterlistigen Menschen! Ja, Ludwig hat Recht. Wenn der Vater mir diesen Verhaßten aufzwingen will, so wird er zum ersten Male im Leben erfahren, daß ich die Erbin seines unbeugsamen Characters und seines festen Willens bin. Wo mag die Mutter sein? Ich muß ihr gleich mittheilen, was ich jetzt erfahren habe.«

Sie eilte hinaus, um die Genannte zu suchen. Dieselbe pflegte um diese Zeit, nach dem Mittagsessen, die Milch- und andern Wirthschaftsräume zu besuchen. Da aber war sie heut nicht mehr zu finden, denn als sie in der Kammer, in welcher die Milchgefäße standen, gewesen war, hatte der Bauer die Thür geöffnet und ihr in seiner gewöhnlichen, rauhen Weise gesagt:

»Laß jetzt die Milch sein! Ich habe mit Dir zu reden.«

»Ists nothwendig?«

»Ja. Komm herauf in meine Stube.«

»Magst Du nicht vorher Dein Mittagsschläfchen halten?«

»Nein; heut hab ich keine Zeit dazu.«

Nun war sie ihm gefolgt, theils verwundert, theils aber auch beängstigt von seiner Mittheilung, daß er Etwas mit ihr zu reden habe. Er pflegte stets höchst selbstständig zu handeln. Er war der absolute Beherrscher des Hauses, und es fiel ihm nicht ein, die Meinung eines Andern zu berücksichtigen. Eine


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Besprechung im Vertrauen, wie sie zwischen Eheleuten so häufig sind, hatte seit langen Jahren auf dem Kery-Hofe nicht stattgefunden. Daher wußte die Bäuerin sogleich, daß es sich um eine außergewöhnliche, wichtige Angelegenheit handeln müsse.

Als Beide oben in der Stube des Bauers ankamen, setzte er sich auf einen Stuhl, schob der Bäuerin einen zweiten hin und sagte:

»Setz Dich. Was ich Dir zu sagen habe, das ist nicht sogleich abgemacht.«

Sie folgte dieser Aufforderung und hielt nun voller Spannung den Blick auf die strengen Züge ihres Mannes gerichtet. Dieser schien nicht recht zu wissen, wie er beginnen solle. Er räusperte sich einige Male und fragte sodann in unsicherem Tone:

»Bist Du gesund?«

Sie blickte ihn ganz erstaunt an und zögerte mit der Antwort.

»Nun, hast Du mich verstanden? Ich will wissen, ob Du gesund bist?«

»Aber warum denn? Natürlich bin ich gesund!« antwortete sie.

»Das glaube ich nicht.«

»So? Welchen Grund hättest Du denn, anzunehmen, daß ich krank bin?«

»Ich habe Dich oft husten hören.«

»Mich? Ich weiß von keinem Husten etwas!«

»Du siehst jetzt immer so blaß aus!«

»Ich? Und Andre sagen mir, daß ich von Woche zu Woche röther werde!«

»Grad das beängstigt mich. Diese Röthe ist ein Zeichen von Blutandrang nach dem Kopfe. Dich kann sehr leicht einmal der Schlag rühren, so daß Du ganz plötzlich todt bist.«

»Herrgott!« rief sie erschrocken. »Was fällt Dir ein! Wie kannst Du so reden! Ich bin in meinem Leben noch nie krank gewesen.«

»Das ist nicht gut!«

»Wie? Nicht gut? Ich begreife Dich nicht!«

»Leute, welche nie krank sind, sterben am schnellsten!«

»Dann ständest Du ja ganz in derselben Gefahr! Auch Dich habe ich noch nicht krank gesehen.«

»Das ists ja, was mir Sorgen macht. Ich fühle schon seit längerer Zeit, ohne daß ich davon gesprochen habe, daß ich nicht mehr der Alte, der Frühere bin. Es geht bergab mit mir.«

»Mein Gott! Das sagst Du nicht!«

»Ich sage es Dir jetzt, im Vertrauen, ohne daß Andre es zu wissen brauchen. Es wird mir oft ganz schwindlig. Es braust mir in den Ohren. Die Beine werden schwer, und aus den Armen sind die Kräfte fort.«

»Du greifst aber heut grad noch so zu wie früher!«

»Scheinbar. Ich strenge mich über meine Kräfte an, um mir nichts merken zu lassen. Das schadet mir aber; das greift mir meine Nerven so sehr an, daß ich nachher des Nachts nicht schlafen kann. Das darf nicht so


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fortgehen. Ich muß mich schonen und Du Dich auch. Das sind wir uns selbst und unserer Tochter schuldig.«

»Aber ich fühle mich wirklich noch ganz so rüstig wie früher und allezeit.«

»Täuschung! Das muß ich verstehen. Wenn ich so fortfahre wie bisher, gehe ich zu Grunde. Ich brauche Einen, der mir die Arbeit abnimmt.«

»Da hast Du den Ludewig.«

»Der ist ein tüchtiger Knecht, ja; aber das genügt mir nicht. Einem Knecht kann ich nicht Alles anvertrauen. Ich brauche einen Mann, der zu befehlen versteht. Ein Knecht kann das nicht.«

»Meinst Du etwa einen Verwalter oder Inspector?«

»Nein. Mein Gut kann sich freilich mit manchem Rittergute messen, aber die Inspector- und Verwalterfaxen sind nicht nach meinem Gusto. Es fällt mir nicht ein, so einen Kerl zu besolden. Dazu bin ich ein zu guter Geschäftsmann und kenne meinen Vortheil. Nein. Ich will Einen hernehmen, der mir meine Arbeit ganz und gar abnimmt, ohne daß ich ihm nur einen einzigen Kreuzer zu bezahlen brauche.«

»Das ist eine verwunderliche Absicht.«

»Wieso?«

»Du wirst keinen solchen Menschen finden.«

»Das sagst Du, weil Du es nicht verstehst. Ihr Frauen denkt ja überhaupt zu kurz. Wenn wir einen Sohn hätten, brauchten wir ihm doch keinen Lohn zu zahlen.«

»Ja, ein Sohn! Das ist was ganz Anderes!«

»Das ist grade das, was ich meine. Ich will einen Sohn haben.«

»Einen - - Sohn - - -?« fragte sie ganz gedehnt.

»Ja. Du verstehst mich immer noch nicht. Einen wirklichen Sohn kann ich freilich nicht haben; aber weil ich eine Tochter besitze, wird es mir leicht werden, einen Schwiegersohn zu finden, dem ich meine jetzigen Obliegenheiten auf die Schulter legen kann. Was machst Du denn für ein Gesicht?«

Er hatte gar wohl Veranlassung, diese Frage auszusprechen, denn die Bäuerin hatte die Hände zusammengeschlagen, dafür aber den Mund desto weiter geöffnet. Sie machte ein Gesicht, als ob ihr etwas ganz und gar Unbegreifliches widerfahren sei.

»Nun, antworte! Was sagst Du dazu?« gebot der Bauer.

»Einen - Schwieger - - sohn! Gisela soll heirathen?«

»Ja.«

»Will sie denn?«

»Dumme Frage! Ob sie will oder nicht, das geht doch mich nichts an. Hier fragt es sich doch nur, ob ich will! Und ich will! Verstanden!«

»Aber, Mann, wie kommst Du denn so plötzlich auf diesen Gedanken?

»Plötzlich ganz und gar nicht. Ich habe mich im Gegentheile schon seit langer Zeit mit ihm beschäftigt, seit so langer Zeit und auch so oft, daß ich mich bereits nach einem Schwiegersohn umgesehen habe.«

»Um Gotteswillen!«


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»Was? Ich glaube gar, Du erschrickst!« »Du hast wohl gar schon einen gefunden?«

»Ich glaube Du kennst mich so, daß ich nicht eher von Etwas spreche, als bis ich die Sache bereits fest und fertig habe. Ja, der Schwiegersohn ist da.«

»Mein Gott! Und ich weiß nichts davon!«

Sie sagte das in vorwurfsvollem Tone. Er aber meinte sehr ruhig:

»Du? Was brauchtest Du davon zu wissen? Es war genug, daß ich mich nach einem umsah.«

»Ich bin aber doch die Mutter!«

»Das geb ich freilich zu. Doch ich bin der Vater und der Herr im Hause, der über solche Dinge ganz allein zu bestimmen hat.«

Die Bäuerin hatte es nur höchst selten gewagt, eins ihrer Rechte geltend zu machen oder gar ihrem Manne zu widersprechen. Jetzt aber hielt sie die Angelegenheit für wichtig genug, zu bemerken:

»Du weißt, daß ich nichts dagegen habe, daß Du der Herr im Hause bist - - -«

»Möchte auch wissen, was Du dagegen haben wolltest!« fiel er ihr in die Rede.

»Aber jetzt, wo es sich um die Verheirathung meiner Tochter handelt,« fuhr die Frau fort, »mußt doch zugeben, daß Gisela mein Kind ebenso gut ist, wie das Deinige.«

»Wer leugnet das?«

»Du nicht? Nun, so wirst Du mir auch dieselben Rechte einräumen, welche Du beanspruchst.«

Er ließ ein sarkastisches Lächeln sehen und antwortete in beinahe scherzendem Tone:

»Was Du da sagst! Ganz dieselben Rechte? Da irrst Du Dich doch! Der Vater ist doch ein ganz anderer Kerl als die Mutter. Deinen Segen kannst Du geben; das ist Dir erlaubt. Dieses Recht hast Du, weiter aber keins. Den Schwiegersohn habe ich zu bestimmen.«

»Auch wenn er mir nicht paßt?«

»Auch dann.«

»Und ich soll mit ihm leben?«

»Du? Wer sagt das?« lachte er auf. »Seine Frau hat mit ihm zu leben.«

»Ich aber auch. Denn ich denke, daß ich nicht nach der Hochzeit meiner Tochter aus dem Hause gejagt werde.«

»Natürlich! Zusammenwohnen werden wir mit ihm. Das ist aber auch Alles. Zu befehlen hat er nichts, sondern nur zu arbeiten. Herr meines Hauses bleibe ich nach wie vor.«

»Und Du sagst Dir nicht, wie schwer es ist, mit einem Menschen, den man nicht leiden kann, unter einem Dache zu wohnen?«

»Weißt Du denn bereits, daß Du ihn nicht ausstehen kannst?«


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»Nein. Ich kenne ihn noch gar nicht.«

»So rede also nicht in den Wind und nicht so dummes Zeug!«

»Wer ists denn?«

»Du wirst Dich wundern, was für einen prächtigen Kerl ich mir ausgesucht habe. Er ist vor allen Dingen reich - - -«

»Das kann ich mir denken!«

»Natürlich! Ein Lump kommt mir nicht ins Haus. Sodann ist er der Sohn eines guten Freundes von mir, und endlich, was ich sehr hoch anschlage, ist er stets gewöhnt gewesen, seinem Vater unbedingt zu gehorchen. Wir bekommen also einen Schwiegersohn, welcher es niemals wagen wird, mir zu widersprechen.«

»Dir? Dir allein? Mir darf er wohl widersprechen?«

»Pah! Du wirst so wenig mit ihm zu thun haben, daß es gar nicht darauf ankommt, ob Ihr einerlei Meinung seid oder nicht.«

»Ich weiß wohl, daß ich da nichts zählen werde. Aber wer ists denn?«

»Der Stephan Osec!«

Als sie diesen Namen hörte fuhr sie erschrocken von ihrem Stuhle auf.

»Der Osec! Der, der!«

»Ja, dieser!«

Sie starrte ihn an. Das Blut war aus den Wangen gewichen. Schnell aber kehrte es zurück. Ihre Miene wurde eine beruhigtere; sie setzte sich wieder nieder und sagte:

»Das war fast albern von mir!«

»Was?«

»Daß ich mich so erschrecken ließ.«

»Was meinst Du damit? Ich weiß nicht, was Du sagen willst.«

»Du hast doch nur Spaß gemacht.«

»Spaß? Ich? Wie kommst Du auf diesen Gedanken? Bin ich denn ein solcher Harlekin, daß Du glauben kannst, ich mach sogar dann Dummheiten, wenn es sich um die Verheirathung meiner Tochter handelt?«

Da erbleichte sie abermals.

»Also hast Du im Ernst gesprochen?«

»Natürlich.«

»Das ist aber doch unmöglich!«

Da zog er seine Stirn in Falten.

»Sei nicht albern! Warum sollte das denn unmöglich sein?«

»Der Osec und unsere Gisela! So Etwas ist gar nicht möglich!«

»Oho! Hast Du vielleicht Etwas dagegen?«

»Etwas nur? Nein, Alles, Alles habe ich dagegen! Der bekommt meine Tochter nun und nimmermehr!«

Jetzt stieß er ein höhnisches Gelächter aus und fragte dabei:

»Wie willst Du das anfangen?«

»Ich willige nicht ein!«


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»Das brauchst Du gar nicht, denn Du wirst von keinem Menschen gefragt.«

Da stand sie langsam von ihrem Stuhle auf, es lag auf ihrem sonst so milden Angesichte ein Ausdruck, den er noch niemals bemerkt hatte.

»Du lachst mich höhnisch aus,« sagte sie. »Ich kann nichts dagegen machen. Lache also weiter! Aber meine Tochter bekommt der Osec im ganzen Leben nicht!«

»So? Ach?«

»Ja. Ich bin Dir unterthan gewesen seit dem ersten Tage unserer Ehe bis heut. Ich hab mich biegen und schmiegen müssen oft wie ein Wurm, um nicht ertreten zu werden. Ich hatte mich in Dein Gesicht und Deine Gestalt vergafft. Du warst Derjenige, vor dem sich die anderen Burschen fürchteten, und deshalb war ich unverständiges Ding stolz darauf, Deine Braut zu sein. Das habe ich nachher büßen müssen - - -«

»Ah, büßen!« fuhr er auf.

»Ja. Du bist mein Tyrann geworden, und ich war Deine Sclavin bis heut. Aber ich will nicht darüber klagen und mich nicht beschweren, denn ich trage die Schuld daran. Ich konnte jeden Andern bekommen und war so dumm, nur Dich zu wollen. Ich werde auch in Zukunft Deine Sclavin bleiben; aber in einem Punkte habe ich auch meinen Willen: Mein Kind lasse ich mir nicht unglücklich machen, so unglücklich wie ich selbst bin. Selbst eine Löwin vertheidigt ihre Jungen, und da - - -«

»Papperlapapp!« rief er lachend. »Eine Löwin! Das ist ein wunderbarer Vergleich. Wo hast Du ihn denn einmal gehört? Du, die ängstliche Maus, jetzt plötzlich eine Löwin! Das klingt geradezu toll!«

»Mag es toll klingen. Ich werde meine Tochter zu vertheidigen wissen. Wenn Du diesen Gedanken nicht freigiebst, so - - -«

»Still! Kein Wort weiter!«

Auch er war aufgestanden und schlug, während er diese Worte sprach, mit der Faust auf den Tisch, daß dieser in allen seinen Fugen krachte. Die Frau zuckte angstvoll zusammen und schwieg.

»Schau,« fuhr er fort, »wie Du gehorchst! Und das ist Dein Glück! Eine solche Sprache laß ich mir nicht gefallen. Offenen Widerspruch? Das fehlte noch! Wenn Ihr Frauen mit List gegen den Mann conspirirt, so läßt man es sich gefallen, denn dazu seid Ihr geboren, und man achtet es nicht; aber in dieser Weise gegen mich aufzutreten, das ist mir zu stark. Das unterlaß, wenn Du nicht Etwas erleben willst, was sonst nur ungezogene Mädchen in der Schule erleben, nämlich eine Tracht Prügel zu bekommen. Ich will Dir ja erlauben, vorzubringen, was Du gegen den Osec hast; aber das ist auch Alles. Ein weiteres Recht kann ich Dir nicht einräumen. Ein solches Auftreten aber wie jetzt, das unterlasse ja! Ich warne Dich! Also warum paßt er Dir nicht?«

»Ich mag keinen Osec im Hause haben. Jedermann weiß, daß Vater und Sohn sich ihr Vermögen nur auf unrechte Weise erworben haben.«


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»Das ist leere Klatscherei.«

»Nein. Sie sind Pascher.«

»Beweise es!«

»Die Polizei wird es ihnen schon noch beweisen!«

»Darauf kannst Du lange warten. Wenn Du nichts weiter gegen sie hast, so kannst Du lieber schweigen.«

»Er ist zu alt.«

»Unsinn! Ein Mann ist nie zu alt für eine Frau. Ihr Weiber müßt erfahrene Männer haben, die es verstehen, Euch straff in den Zügeln zu halten.«

»Er ist der häßlichste Kerl im ganzen Lande!«

»Das ist nur vortheilhaft für Gisela. Er wird es dankbar anzuerkennen wissen, daß er eine schöne Frau bekommt. Er wird sie auf seinen Händen tragen.«

»Er gilt für dumm; aber er ist es nicht. Er ist heimtückisch und hinterlistig und zu allen Schlechtigkeiten fähig!«

»Das ist Verleumdung.«

»Nein; es ist wahr!«

»Schweig! Was ich sage, das hast Du zu glauben!« donnerte er.

»Und Gisela kann ihn nicht ersehen!«

»Ach, das weißt Du so gewiß?«

»Ja.«

»Hast Du sie etwa schon gefragt, ob sie ihn haben will?«

»Das ist nicht nöthig. Es ist genug von ihm gesprochen worden, daß ich wissen kann, was sie von ihm denkt.«

»Was sie von ihm denkt, das kann hier gar nicht in Betracht kommen. Die Sache ist abgemacht und kann nicht zurückgenommen werden.«

»Um Gotteswillen! So hast Du mit den Osecs schon gesprochen?«

»Natürlich! Ich habe Dir ja bereits gesagt, daß die Angelegenheit vollständig abgemacht ist. Nachher, zur Kaffeezeit, werden Beide kommen.«

»Vater und Sohn? Zu uns?«

»Ja, und auch die Mutter mit. Du freust Dich doch auf sie?«

»Freuen! Freuen soll ich mich!«

»Nun, Du kannst mit der Alten einen schönen, interessanten Klatsch beginnen. Das ist ja Euer größtes Vergnügen. Natürlich wirst Du Alles auftragen, was Du vermagst, denn es ist die Brautschau.«

»Brautschau! Mein Himmel! Und das ist ausgemacht worden, ohne mir ein Wort zu sagen!«

»Das war nicht nöthig.«

»Aber ich brauchte es doch nicht erst im letzten Augenblicke zu erfahren!«

»Pah! Je später ich Dirs sagte, desto besser, denn je früher Du es erfahren hättest, desto eher hätte die Lamentation begonnen.«

»Für Das, was Du da sagst, finde ich keine Worte. Wenn Du das Glück Deines Kindes so verschacherst, so mag es auf Dein Gewissen zu liegen


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kommen. Aber mir es bis zu diesem Augenblicke zu verschweigen, das ist die reine Hinterlist und Heimtücke!«

»Was?« brüllte er auf. »Hinterlist und Heimtücke! Das sagst Du mir, mir, mir! Ah, ich habe Dich gewarnt. Hier, schau zu, wie die Heimtücke zu fühlen ist!«

Er holte aus und versetzte ihr einen Faustschlag, daß sie niederstürzte.

»Und merke es Dir,« fügte er hinzu, »wenn Du Dir gegen die Osecs durch ein Wort oder auch nur einen Blick merken lässest, daß der Besuch Dir nicht angenehm ist, so schlage ich Dich vor ihren Augen so lange, bis Du den Stephan gradezu bittest, die Gisela zu heirathen! Das ist mein letztes Wort.«

Er verließ die Stube und stieg die Treppe hinab. Unten im Hausflur angekommen, warf er ganz zufällig einen Blick zur Thür hinaus, und da bemerkte er einen Menschen, welcher sich mit langsamen Schritten dem Gute näherte. Sogleich trat er zur Thür hinaus, um denselben zu erwarten.

Der Kerl schien einer jener Slavonier zu sein, wie sie als Drahtbinder und Blechhändler allüberall herumziehen. Er hatte enge Hosen an, einen kurzen Mantel übergeworfen und ein schmalkrämpiges Hütchen auf. Er trug eine Anzahl Töpfe, Tiegel, Reibeisen, Mausefallen und anders Draht- und Blechgeschirr auf dem Rücken. Seine Haare hingen wirr und lang bis auf die Schultern herab, und sein Aussehen war so schmutzig und verwildert, daß man sich leicht vor ihm fürchten konnte.

Als er den Bauer erblickte, kam er schneller herbei, griff an seinen Hut und grüßte in dem czechisch-slowenischen Idiome:

»Dobry den, pane Kery! Tesi ma, ze se s wami shledam - guten Tag, Herr Kery! Es freut mich, Ihnen zu begegnen!«

Dabei suchten seine Augen verstohlen nach rechts und links, ob er vielleicht von noch irgend Jemand bemerkt werde.

»Halts Maul, Usko!« antwortete der Bauer unwirrsch, »Du weißt, daß ich Deine fremde Schlabberei nicht verstehe.«

»Ich habe gegrüßt,« meinte der Slowak nun in geläufigem Deutsch.

»So rede deutsch, Kerl!«

»Haben Sie keine Arbeit für mich? Töpfe oder Schüsseln einzustricken, Herr?«

»Mach keinen Unsinn! Wir sind allein. Es hört uns Niemand. Also können wir sprechen. Aber mach die Sache kurz. Wo ist Zerno?«

»Noch auf der Suche, Herr.«

»Bringst Du Nachricht?«

»Ja, eine sehr gute. Morgen grad um Mitternacht dürfen Sie kommen.«

»Schön! Das paßt sehr gut, denn morgen bekomme auch ich neue Waare. Da können wir gleich umtauschen. Wann wird Zerno kommen?«

»Noch heut Abend. Darf ich bei Ihnen übernachten?«

»Ja. Kannst im Heu schlafen. Aber jetzt am Tage ist es mir lieb, wenn Du mein Gut noch meidest.«


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»So werde ich gehen und am Abend wiederkommen. Bohu was poraucim; do opet wideni - Gott befohlen; auf Wiedersehen!«

»Willst Du schweigen mit Deinem fremden Geschwätz!«

»Es ist besser, die Leute denken, ich kann nicht gut Deutsch. Adieu, Herr!«

Er machte sich von dannen, und der Bauer trat wieder in das Haus. Grad in diesem Augenblicke kamen Ludwig, der Knecht, und seine Mutter aus der Wohnstube.

»Nun, seid Ihr fertig mit Klatschen?« fragte Kery.

»Wollen Sie mir verbieten, mich mit meiner Mutter zu unterhalten?« antwortete Ludwig.

»Schau Du lieber nach den Pferden!«

»Das werde ich wohl thun.«

»Und sorge dafür, daß Platz für zwei Fremde ist! Wir bekommen Besuch.«

»Weiß schon. Die Osecs kommen zu Dreien angefahren.«

»Haben sie es Dir wirklich gesagt?«

»Wüßte ich es sonst?«

»Wie kommen sie dazu, Dir das mitzutheilen, he?«

»Vielleicht ists besser, wenn Sie sie selber fragen.«

»Kerl, wenn Dein Herr fragt, hast Du zu antworten! Was hast Du mit ihnen zu schwatzen! Nur deshalb bist Du so spät zurückgekommen. Ich werde Dich unter ein strengeres Kommando nehmen müssen.«

»Je strenger es ist, desto lieber ists mir. Als Unterofficier liebe ich die Strenge. Komm, Mutter!«

Er nahm seine Mutter bei der Hand und ging nach dem Stalle. Der Bauer blieb zornig stehen, hatte aber seinen besondern Grund, den Knecht nicht gegen sich aufzubringen. Als jetzt Gisela mit verklärtem Gesicht aus der Küche trat, verfinsterte sich das seinige noch viel mehr.

»Was ziehst für einen Fratz?« fragte er. »Du machst doch ein Gesicht, als ob Du die ganzen Lottogewinne verschluckt hättest!«

Früher war sie auf eine solche Anrede still davon gegangen, jetzt aber blieb sie vor ihm stehen und antwortete:

»Ich hab freilich einen sehr großen Gewinn gemacht.«

»So? Welchen denn?«

»Den allergrößten.«

»Schwatz nicht in Räthseln!«

»Nein. Den Gewinn wirst Du wohl heut noch erfahren. Wo ist die Mutter?«

»Droben in meiner Stube. Kannst hinaufgehen und ihr jammern helfen.«

Ihr Gesicht nahm schnell einen besorgten Ausdruck an.

»Was ist mit ihr?« fragte sie.


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»Frag sie selber! Dann wirst Du zugleich Etwas erfahren, was Dir große Freude machen wird.«

»Diese Freude wird nicht groß sein,« sagte sie, ihm ruhig und voll in das Gesicht blickend.

»Hör nur erst, was es ist!«

»Das ist nicht nöthig. Ueber so einen Bräutigam werde ich nicht vor Freude närrisch.«

»Bräutigam? Wen meinst Du?«

»Den hübschen Osec. Da hast Du ein Meisterstück gemacht, Vater!«

»So? Woher weißt Du denn überhaupt davon?«

»Welche Frage! Ich als Braut werde es doch wissen, daß der Bräutigam kommt! Was denkst Du denn von mir! Ich bin ganz entzückt über diesen Besuch.«

Sie machte ihrem Vater einen Knix und eilte fort, zur Treppe hinauf. Sie hatte in ungewöhnlicher Freundlichkeit gesprochen. Er wurde dadurch förmlich verblüfft.

»Habe ich denn recht gehört?« fragte er sich. »Ironie war das nicht. Dazu war ihr Gesicht zu aufrichtig, und das würde sie auch nie wagen. Aber wirklich und aufrichtig kann ihre Freude doch auch nicht sein, denn das ist ja rein unmöglich.«

Er sann noch einige Augenblicke über ihr Verhalten nach, konnte sich aber dasselbe nicht anders erklären als:

»Es geht manchmal ganz verkehrt zu in der Welt, und grad das, was man am Allerwenigsten denkt, geschieht am Leichtesten. Sollte sie heimlich in den Stephan verliebt sein? Man hat ja oft das Beispiel, daß sich das schönste und gescheidteste Mädchen in den albernsten und häßlichsten Kerl verliebt. Wäre das der Fall, so wollte ich gern damit zufrieden sein. Werden sehen, werden schon sehen!«

Er ging nach dem Garten, von welchem aus die Straße zu überblicken war, auf welcher der erwartete Besuch herbeikommen mußte.

Indessen war Gisela oben bei ihrer Mutter eingetreten. Diese saß auf dem Stuhle, das Gesicht in die Hände gelegt, und weinte bitterlich.

»Mutter, meine liebe Mutter, Du weinst!« rief sie. »Warum denn?«

Sollte die Mutter der Tochter sagen, wie roh sie vom Vater derselben behandelt worden sei? Nein.

»Warum ich weine?« antwortete sie. »Ach, Gisela, wenn Du es wüßtest!«

»Ists gar so schlimm?«

»Das Allerschlimmste, was es nur geben kann.«

Die Tochter betrachtete die Mutter genauer. Der Hieb, den die Letztere erhalten hatte, hatte eine Spur zurückgelassen, welche Gisela jetzt bemerkte.

»Um Gotteswillen! Der Vater hat Dich geschlagen!« entfuhr es ihr.

»Nein, Kind! Wie kannst Du so Etwas nur denken!«


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»Nur denken? Meinst Du, wir Alle wüßten es nicht, daß er Dich zuweilen mißhandelt?«

»Was? Wie? Ihr wißt es?«

»Ja, Mutter. Ich habe es Dir noch nicht gesagt, um Dich nicht zu betrüben. Jetzt aber, da ich es ganz genau an Deiner Wange sehe, kann ich es nicht mehr verschweigen. Nicht wahr, er hat Dich geschlagen?«

»Er war zornig, sonst hätte er es nicht gethan, mein Kind.«

»Also doch! Meine Mutter geschlagen. Mein lieber Gott! Und zwar meinetwegen!«

»Warum vermuthest Du das?«

»Ich weiß es. Du hast ihm widersprochen. Du hast es nicht dulden wollen.«

»Was denn?«

»Daß ich den Osec nehmen soll.«

»Wie! Du weißt es bereits?«

»Ja. Ludwig erzählte es seiner Mutter, und ich belauschte es. Die Osecs haben es ihm gesagt, daß sie kommen werden, zur Versprechung wohl bereits.«

Die Bäurin trocknete ihre Thränen, blickte die Tochter verwundert an und sagte:

»Und das sagst Du so lachenden Muthes!«

»Ist dieser Stephan es denn werth, daß ich seinetwegen nur eine einzige Thräne vergieße?«

»Nein, gewiß nicht!«

»Nun, so laß mich also lachen!«

»Aber, Kind, ich begreife Dich nicht! Ich habe dem Vater widersprochen, bis er mich sogar schlug. Ich habe es für ein gräßliches Unglück angesehen, und Du lachst!«

»Weil es mir wirklich lächerlich ist, zu denken, daß ich diesen Menschen heirathen soll.«

»Aber dem Vater ist es Ernst, wirklicher und wahrhaftiger Ernst!«

»Das glaube ich wohl.«

»Und er wird Dich zwingen, einzuwilligen!«

»Das glaube ich nicht.«

»Höre, Gisela, Du weißt, daß er es nicht duldet, ihm zu widersprechen.«

»Und ich werde ihm doch widersprechen.«

»So wird es so lange entsetzliche Scenen geben, bis er Dich zwingt, Ja zu sagen.«

Jetzt nun nahmen die Züge Gisela's einen ernsten Ausdruck an. Sie antwortete:

»Ja werde ich nicht sagen, nun und nimmermehr. Ich würde mich eher in das Wasser stürzen, als mich von diesem Menschen anders berühren lassen als wie Einen ein Jeder berühren darf.«


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»Aber der Vater wird Dich zwingen! Ich wiederhole es.«

»Nein, und abermals nein, und tausendmal nein! Es wird keine Scenen geben. Darauf kannst Du Dich verlassen. Ich werde mich mit dem Vater gar nicht zanken. Ich bin ihm bis heut in Allem gehorsam gewesen; hier in diesem Falle würde der Gehorsam der reine Selbstmord sein.«

»Was willst Du denn aber thun?«

»Das weiß ich noch nicht genau. Ich will es mir noch überlegen. Nur das weiß ich, daß ich mich nicht zanken werde. Mit offenem Widerstand kommt man beim Vater nicht aus. Ich muß erst mit meinem Verbündeten reden.«

»Hast Du einen solchen?«

»Ja.«

»Wer könnte das sein?«

»Ludwig.«

»Der? Dein Verbündeter?«

»Ja, ohne daß er es weiß. Ich hörte, daß er zu seiner Mutter sagte, er werde es nicht dulden, daß der Osec mich bekomme. Und ich glaube, er weiß ein Mittel, den Vater von seinem Vorhaben abzubringen.«

»Welches wäre das?«

»Das weiß ich selbst noch nicht, werde es aber hoffentlich recht bald erfahren. Komm also herab, Mutter. Wir wollen den Kaffee fertig machen. Und dann, wenn die Osec kommen, sind wir so freundlich gegen sie, daß der Vater ganz irr werden muß an uns!«

»Kind, ich möchte schon jetzt ganz irr an Dir werden. Du bist ja wie ganz umgewechselt!«

»Das bin ich auch. Dieser Stephan soll sich verrechnet haben.«

»Vielleicht bist Du es, die sich verrechnet!«

»Nein, nein. Es ist doch ganz unmöglich, daß ich ihn heirathe, denn - denn - - -«

»Denn - - Nun, was denn?«

»Denn ich weiß bereits einen Andern.«

»Was? Wie? Hast Du etwa einen Schatz, ohne daß ich es ahne?«

»Nein.«

»Aber Du redest doch von einem Andern!«

»Ja freilich. Er ist mein Schatz nicht, aber ich habe ihn unendlich lieb und er mich auch. Du siehst also, daß der Osec heut umsonst kommt.«

Da schlug die Mutter die Hände zusammen, schüttelte den Kopf und sagte staunend:

»Mädchen, Du bist wirklich ganz plötzlich eine vollständig Andere geworden. Ich kenne Dich gar nicht mehr!«

»Das glaube ich wohl. Wenn ich nicht ich selber wäre, würde ich mich auch nicht mehr kennen.«

»So sag mir doch, wer der Andere ist!«


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»Willst Du es wirklich wissen?« meinte das schöne Mädchen in schäkerndem Tone.

»Natürlich!«

»Es ist kein Reicher.«

»O weh! Da giebts der Vater im ganzen Leben nicht zu.«

»Darüber mache ich mir jetzt noch keine Sorgen. Wenn er auch kein Vermögen besitzt, so ist er doch hübsch, brav und arbeitsam. Weißt Du, ich will es Dir sagen!«

Und die Mutter umarmend, näherte sie dem Ohre derselben ihre Lippen und flüsterte:

»Der Ludewig ists.«

»Mädchen!« fuhr die Bäuerin auf.

»Du erschrickst wohl gar?«

»Natürlich.«

»Bist Du gegen ihn?«

»Davon ist keine Rede. Seine Armuth ist bei mir kein Hinderniß, aber der Vater, der Vater!«

»Den fürchte ich nicht mehr, seit ich weiß, daß Ludewig mich lieb hat.«

»Er hat es Dir aber doch noch nicht gesagt, wie Du vorhin sprachst!«

»Wir haben freilich noch kein Wort darüber gesprochen. Aber ich hörte es, als er seiner Mutter erzählte, wie lieb er mich habe. Er weiß, daß er mich niemals bekommen kann und hat doch meinetwegen so lange Zeit bei uns gedient. Er hätte sich beim Militär eine Anstellung erdienen können, ist aber lieber wieder zu uns gekommen, um nur in meiner Nähe sein zu können. Ist das nicht schön von ihm?«

»Wenn er das Deinetwegen gethan hat, so muß er Dich freilich sehr, sehr lieb haben.«

»Nur meinetwegen. Mutter, meine gute Mutter, bist Du bös, daß ich ihn so lieb habe?«

Sie schlang die Arme um die Bäuerin und legte ihr Köpfchen an deren Herz.

»Nein, mein Kind! Wie könnte ich Dir bös sein. Ists denn ein Wunder, daß er Dich lieb hat und Du ihn wieder? Er ist als armer Junge von der Schule weg zu uns gekommen. Damals warst Du noch ein kleines Mädchen, und er hat Dir bereits in jener Zeit so viel Gutes gethan.«

»Ja, ich habs gewußt, daß ich ihm herzlich gut bin; aber ich habe nicht gedacht, daß er mich wieder liebt. Wäre er reich, so würde der Vater nicht dagegen sein. Und auch Dir wäre ein Reicher vielleicht lieber.«

Nein, mein Kind!

»Nein, mein Kind. Wenn ich für Dich wählen sollte und die Wahl zwischen einem Reichen und einem Armen hätte, denen Du gleich gut wärst, so würde ich mich für den Letzteren entscheiden.«

»Ist das wahr?«

»Ganz gewiß. O, ich habe auch alle Ursache dazu!«

»Wegen des Vaters?«


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»Ja. Er war der Reichste im Ort und darum auch allen Andern voran. Das gefiel mir. Wäre er nicht reich gewesen, so hätte er mehr Bescheidenheit gezeigt und mir dummen Dinge nicht so gut gefallen. Ludwig ist ein tüchtiger Oberknecht und wird ein ebenso tüchtiger Landwirth werden. Du wirst von heut an mit dem Vater viel zu kämpfen haben. Wie Du Dich dabei verhalten willst, das weiß ich freilich nicht, aber ich weiß desto gewisser, daß ich Dir aus allen Kräften beistehen werde. Doch jetzt haben wir keine Zeit, über diese Sachen zu sprechen. Wir müssen in die Küche. Komm, Gisela, komm! Später sind wir ungestörter als jetzt.«

Als sie in die Küche kamen, fanden sie Ludwig dort, welcher seine durchnäßten Kleider an den heißen Ofen aufhängen wollte, und um die Erlaubniß bat, dies thun zu dürfen.

»Wie sind sie denn so naß geworden?« fragte die Bäurin.

»Ich sprang in das Wasser.«

»Warum?«

»Die Osecs werden nachher kommen; diese können es vielleicht besser erzählen als ich.«

Weiter brachten sie nichts aus ihm heraus.

Als der Kaffee dampfend auf den beiden Tischen stand, versammelten sich Herrschaft und Gesinde wieder in der Wohnstube. Ludwig hatte seine Mutter nicht mitgebracht, um sie nicht abermals der beleidigenden Behandlung des Kery-Bauers auszusetzen.

Da hörte man eine Peitsche knallen und. sodann das Rollen eines Wagens, welcher draußen vor der Thür hielt.

»Holla!« rief eine laute, scharfe Stimme. »Ist Niemand da, uns zu empfangen?«

»Rasch hinaus zu den Pferden!« befahl der Bauer. »Die Osecs sinds.«

Ludwig sprang auf, um hinaus zu eilen.

»Halt!« gebot Kery. »Du nicht. Du heut zum Festtag mit Deinen Lumpen auf dem Leib! Was sollte da der Besuch denken! Es ist eine Schande, daß Du hier in der Stube sitzest. Mach, daß Du Deinen Kaffee trinkst, und scheere Dich dann zum Teufel!«

Die andern Knechte eilten fort, um Pferde und Wagen zu besorgen. Der Bauer ging natürlich auch hinaus, um die Angekommenen zu begrüßen. Er brachte sie herein.

Die beiden Osecs, Vater und Sohn, waren einander außerordentlich ähnlich, zumal sie ganz dieselbe Kleidung trugen, wie sie in jener Gegend gebräuchlich ist-schwarze, enge Lederhosen mit hohen Schaftstiefeln darüber, rothe Sammetwesten mit blinkenden Metallknöpfen und eine kurze Jacke ohne Schöße.

Beide waren lang und hager; Beide hatten dünne, scharfe Gesichtszüge und die Haut voll großfleckiger, häßlicher Sommersprossen. Das Haar des Jungen war semmelblond und struppig, das des Alten grau und ganz kurz verschnitten. Beide hatten dieselbe Physiognomie, das Gesicht des Fuchses, welcher sich Mühe giebt, ungefährlich zu erscheinen. Dabei war das Auftreten


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des Sohnes ein außerordentlich dummdreistes. Häßlich, sehr häßlich waren Beide. Das konnte gar nicht geleugnet werden.

»Da ist unser Besuch,« sagte der Kerybauer. »Meine Frauen heißen Euch willkommen.«

»Wers glaubt!« lachte der alte Osec.

»Warum wollen Sie es nicht glauben?« fragte Gisela im munteren Tone. »So angesehene Leute sieht man nur zu gern kommen.«

»Wettermädel, Du gefällst mir! Komm, gieb mir Deine Hand!«

Sie streckte sie ihm entgegen. Er drückte sie ihr und schob sie dann seinem Sohne zu.

»Siehst Du auch den gern kommen?«

»Natürlich! Ein Junger ist Einem allemal lieber als ein Alter.«

»Glaubs! Wenn er Dir wirklich lieber ist, so gieb ihm keine Hand, sondern einen Kuß!«

»Den kann er ganz gern haben.«

Sie hob wirklich das hübsche Gesichtchen zu dem langen Burschen empor. Dieser war schnell bereit, diesen so unerwarteten Genuß in Empfang zu nehmen, und bückte sich nieder. Mit gespitztem Munde und halb geöffneten Lippen wollte er sie küssen. Da aber hob sie blitzschnell die Hand und schob ihm Etwas in den Mund.

»Da ist der Kuß!« lachte sie.

Er fuhr zurück, starrte sie überrascht und enttäuscht an, kaute, sprudelte und spuckte dann den Gegenstand aus.

»Pfui Teuxel!« rief er. »Was war das?«

»Dreierlei. Schmeckt es nicht?« fragte sie.

»Wie verflucht. Für so einen Kuß muß ich danken!«

»Ist nicht nothwendig. Es war Butter, Pfeffer und Petroleum. Ich hab mir einen Vorrath gemacht davon. Vielleicht bekommst Du später wieder Appetit.«

Die Knechte und Mägde lachten, daß es schallte.

»Was habt Ihr zu feixen!« zürnte der Kery-Bauer. »Und Dir, Mädchen, sage ich, daß ich mir so dumme Witze gegen einen geladenen Gast verbitte!«

»Laß sie; laß sie nur!« beruhigte ihn der alte Osec. »Was sich liebt, das neckt sich. Das ist eine alte Sache. Du mußt es doch auch wissen, denn Du bist ja auch mal jung gewesen.«

»Aber solche Küsse haben wir uns damals doch nicht geben lassen!«

»Andre Zeiten, andre Sitten! Vielleicht ist jetzt Pfeffer und Petroleum an der Mode. Aber da sehe ich ja den Ludwig. Grüß Dich Gott, Bursche! Hast auch die Kleidung umgewechselt?«

Er reichte ihm die Hand.

»Was geht Dich Dem seine Kleidung an!« sagte der Hausherr zornig. »Soeben habe ich ihn ausgezankt, daß er sich an einem Festtag Nachmittags, an welchem man noch dazu so liebe Gäste bekommt, in dieser Kleidage herzusetzen wagt.«


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»Was? Ausgezankt ist er worden? Das hat er nicht verdient.«

»So? Warum denn?«

»Das wirst Du wohl wissen.«

»Ich weiß gar nichts.«

»Hat er nichts erzählt?«

»Kein Wort. Diesem Kerl möchte man eine jede Silbe abkaufen.«

»Das ist nicht nöthig,« fiel da Ludewig ein. »Wenn es nöthig und am rechten Platze und in der richtigen Zeit ist, weiß ich schon auch zu reden; aber schwatzen ist freilich nicht meine Angewohnheit. Hätte ich von der Sache erzählt, so wäre es herausgekommen, als ob ich mich rühmen wollte.«

»Wenn Du nicht schwatzhaft bist, warum schwatzest Du da jetzt?«

»Weil es an der Zeit war.«

»Das finde ich nicht. Und rühmen? Ich möchte wissen, wessen Du Dich rühmen könntest.«

»Zanke nicht! Er hat Recht!« erklärte der alte Osec. »Wenn er nicht gewesen wäre, ständen wir Beide nicht hier.«

»Warum?«

»Weil wir da ersoffen wären.«

»Unsinn! Ersoffen!«

»Freilich. Er sprang uns nach und holte uns Beide heraus.«

»Wo? Und wie sollte das geschehen sein?«

»Wir fuhren die beiden neuen Füchse zum ersten Male aus. Das sind zwei höllische Bestien. Sie gingen uns durch.«

»Euch? Hahahaha! Das konnte mir wohl nicht passiren!«

»Vielleicht noch leichter als uns! Kurz und gut, sie gingen uns durch. Es war uns geradezu unmöglich, sie zu halten. Sie rannten in Carrière dem Flusse zu. Alles, was wir thun konnten, war, sie nach der Brücke zu bringen. Aber das verschlimmerte die Sache. Sie rissen das Geländer fort und stürzten mit dem Rollwägelchen, in welchem wir saßen, in das tiefe Wasser hinab.«

»Donnerwetter! Das ist ja geradezu lebensgefährlich!« rief Kery.

»Ja, schön war es freilich nicht.«

»Was habt Ihr denn da gemacht?«

»Nichts! Was wollten wir machen? Wir waren ja vor Entsetzen ganz und gar starr. Ich weiß nur, daß ich, als der Wagen gegen das Geländer flog, aus demselben hinab und in das Wasser geschleudert wurde.«

»Und ich auch,« fügte der Junge bei. »Der Vater rechts und ich links.«

»Da ist's geradezu ein Wunder, daß Ihr lebendig hier steht!«

»Ja, das ist richtig. Und dieses Wunder hat Euer Ludewig vollbracht. Er kam auf seinem Wagen aus der Stadt, uns entgegen. Er sah von Weitem die ganze Geschichte und trieb seine Pferde an, um schnell herbeizukommen. Als er den Fluß erreichte, hielt er an, sprang aus seinem Wagen heraus und direct in das Wasser hinein. Das heißt, gesehen habe ich das nicht, denn ich war bereits dreiviertel todt. Ich bin kein Schwimmer, denn ich hab all mein Lebtage zu viel Knochen gehabt, welche gleich untergehen. Ich schluckte


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also riesig Wasser und verschwand rasch in der Tiefe. Natürlich verlor ich den Verstand. Als ich ihn wiederfand, lag ich am Ufer und mein Junge da neben mir. Bei ihm aber war der Verstand noch nicht wieder da.«

»Vielleicht kommt er später noch, in einigen Wochen oder Monaten,« bemerkte Gisela.

»Schweig, Mädchen!« zürnte ihr Vater. »Das ist doch eine ganz verfluchte Geschichte gewesen! Da stand das Leben auf dem Spiele!«

»Nicht blos auf dem Spiele, sondern es hing nur noch an einem einzigen dünnen Faden,« antwortete der alte Osec. »Der Ludewig hat uns die Haut so lange geklopft und gerieben, bis wir wieder lebendig geworden sind.«

»Und die Pferde? Die sind doch jedenfalls ersoffen?«

»Ein Wunder wäre es nicht, dort in der tiefen, reißenden Stelle. Aber zum größten Glücke war es ein ganz leichter Wagen. Die Thiere haben sich oben erhalten, bis der Ludewig uns Beide am Ufer hatte. Sodann ist er wieder hineingesprungen, und es ist ihm gelungen, auch noch das Gespann herauszuwürgen.«

»Drum, drum also war er so naß und dreckig geworden! Kerl, konntest Du das nicht sagen!«

Dieser letztere Zuruf war an Ludewig gerichtet. Dieser antwortete in sehr gleichmüthigem Tone:

»Wenn ich nicht gleich in so patziger Weise empfangen worden wäre, hätte ich es vielleicht erzählt. So aber verging mir jede Lust dazu.«

»Du hast ja zweien Menschen und dazu auch zweien Pferden das Leben gerettet. Du wirst die Rettungsmedaille bekommen.«

»Für die Menschen oder für die Pferde?«

»Natürlich für uns, für uns!« erklärte Osec, der Vater, in bestimmtem Tone. »Du mußt ein ganz verteufelter Schwimmer sein!«

»Ich schwimme leidlich.«

»So hast Du nicht solche Knochen wie wir. Es mag für einen Schwimmer nicht schwer sein, eine solche That zu vollbringen, aber ich werde Dich dennoch belohnen.«

»Ist nicht nöthig. Danke!«

»Pah! Es soll mir Keiner nachsagen können, daß ich mich, meinen Jungen und zwei Pferde habe umsonst retten lassen. Ich wollte Dich gleich belohnen, aber Du machtest mir gar zu schnell von dannen. Hier, nimm, Ludewig!«

Er zog den Beutel, griff hinein und gab dem Knecht zwei Zettel in die Hand. Das that er in einer Weise und mit einer Miene, als ob er ein Königreich verschenke.

Ludewig betrachtete die beiden Zettel und sagte:

»Herr Osec, das kann ich nicht annehmen!«

»Warum nicht?«

»Es ist zu viel.«

»Wie? Zu viel? Sollte ich mich vergriffen haben?«


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»Jedenfalls.«

»Was habe ich Dir gegeben?«

»Zwei ganze, volle Guldenzettel.«

»So habe ich mich doch nicht vergriffen.«

»Wirklich? Zwei Gulden wollten Sie mir geben?«

»Ja.«

»Die kann ich nicht annehmen. Es ist wirklich zu viel.«

»Närrischer Kerl! Behalte es doch! Ich kann es ja geben. Ich bin der Mann dazu!«

»Und dennoch. Ich bitte, es wieder zurück zu nehmen!«

»Nein, das thue ich nicht. Alles zurückzunehmen, dazu bin ich viel zu nobel. Dem Verdienste seine Krone! Wenn es Dir wirklich zu viel ist, so gieb mir den einen Gulden wieder und behalte den anderen.«

»Auch das kann ich nicht.«

»Warum aber denn?«

»Weil auch das noch zu viel ist.«

»Du bist mir ein ganz unbegreiflicher Mensch. Ich kann den Gulden ganz leicht verschmerzen. Das kannst Du mir glauben!«

»Möglich! Aber es verträgt sich mit meinem Gewissen nicht.«

»Nun, wenn Dein Gewissen dabei ins Spiel kommt, so muß ich Dir freilich den Willen thun. Ich bin bekanntlich ein guter Christ und werde mich also hüten, jemals Etwas zu thun, wodurch ein Anderer mit seinem Gewissen in Conflict gerathen könnte. Aber Deinen Lohn mußt Du auf alle Fälle haben. Wenn Dir ein Gulden zu viel ist, so gieb die beiden Zettel her.«

Ludewig that dies. Der Geizige steckte sie ein, suchte dann eine lange Zeit in seinem kleinen Silbergelde herum, gab ihm Etwas davon und sagte:

»So, das kannst Du wohl mit gutem Gewissen annehmen.«

»Nein, auch das nicht.«

»Warum?«

»Es sind doch fünfzig Kreuzer!«

»Ja, ein halber Gulden.«

»Das ist noch zu viel.«

»So behalte dreißig und gieb zwanzig heraus.«

»Immer noch zu viel.«

»Wie viel willst Du denn? Zwanzig?«

»Nein.«

»Donnerwetter! Wie viel denn?«

»Gar nichts.«

»Mensch, ich begreife Dich wirklich nicht, ganz und gar nicht! So Etwas macht man doch nicht ganz und gar umsonst!«

»Ich habe nichts zu verlangen. Ich habe es freiwillig gethan.«

»Und ich bezahle Dich freiwillig, obgleich Du nichts zu verlangen hast!«

»Ich nehme lieber gar nichts, als daß -«

Er hielt inne.


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»Was denn? Was willst Du sagen?«

»Das wissen Sie nicht?«

»Nein.«

»Wirklich und wirklich nicht?«

»Wie kann ich es wissen? Hältst Du mich etwa für allwissend?«

»Nein, aber dennoch können Sie recht gut wissen, was ich meine. Ich will lieber gar nichts nehmen, als mich mit zwei lumpigen Gulden beleidigen lassen!«

»Oho! Pfeifst Du so!« fuhr Osec auf.

»Ja, so pfeife ich, und so würde ein jeder pfeifen, welcher Ehre im Leibe hat.«

»Du willst wohl gar mehr als zwei Gulden.«

»Nein. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich gar nichts zu verlangen habe.«

»Ich gebe es Dir dennoch!«

»Sie dürfen es nicht so geben, daß die Gabe eine Beleidigung für mich ist.«

»Mensch, was fällt Dir ein! Ein Knecht muß froh sein, zwei Gulden zu erhalten!«

»So! Wieviel habe denn ich Ihnen gegeben?«

»Du? Mir? Gar nichts!«

»Sie irren sich. Ihre Pferde waren neu. Wieviel haben Sie dafür bezahlt?«

»Achthundert Gulden.«

»Nun, diese achthundert Gulden wären verloren gewesen, wenn ich die Pferde nicht herausgeschafft hätte. Und für diese achthundert Gulden geben Sie mir zwei! Und da rechne ich noch gar nicht, wieviel Ihr Leben werth ist und dasjenige Ihres Sohnes. Hätte ich das gewußt, so hätte ich die Pferde gerettet, weil mir die Thiere leid thaten, Sie aber hätte ich ruhig ersaufen lassen.«

»Mensch, Du wirst grob!«

»Nein, sondern ich sage Ihnen nur meine Meinung, Herr Osec. Hätten Sie mir die Hand gedrückt und gar kein Geld angeboten, so hätte ich mich gefreut. Aber mich mit zwei Gulden abfinden, für zwei Menschenleben, zwei Pferde und einen Wagen, welcher zertrümmert und zu Schanden geworden wäre, mit zwei Gulden, welche nicht einmal ausreichen, mir meinen Anzug wieder herstellen zu lassen, das ist lumpig! So Etwas thut man aber am Allerwenigsten dann, wenn man auf die Brautschau geht, um die einzige Tochter eines steinreichen Mannes zu angeln. Sie sind der reiche Herr Osec, aber nebenbei sind Sie auch ein Geizkragen und Filz ohne Gleichen. Wehe dem Mädchen, welches einen solchen Schwiegervater bekommt!«

Alle, Alle hatten sich darüber geärgert, daß der geizige Mensch seinen Lebensretter mit so einer Bagatelle abfinden wollte. Darum war diesem Keiner, selbst nicht sein eigener, sonst so strenger Herr, in die Rede gefallen. Und als


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dieselbe nun einen so unerwartet kräftigen Ausgang nahm, war es zu spät, dies zu verhindern und ihn zu unterbrechen. Als er die letzten Worte gesprochen hatte, ging er schnell hinaus. Noch bevor er die Thür schloß, vernahm er einen zornigen Ausruf der beiden Osecs. Dies ärgerte ihn aber keineswegs, sondern machte ihm nur Vergnügen.

Er hatte seiner Mutter gesagt, daß sie in dem hinteren Garten auf ihn warten solle. Sie war aber nicht zu sehen. Vielleicht hatte sie geglaubt, daß er nicht so schnell zurückkehren werde. Er setzte sich also auf eine von Sträuchern umgebene Bank und verfiel in ein trübes Nachdenken.

Das Gespräch mit seiner Mutter hatte ihm über seine Liebe, seine Hoffnungen und Befürchtungen die Augen geöffnet. Er hielt es noch jetzt, obgleich seine Mutter das Gegentheil behauptet hatte, für unmöglich, daß das reiche, schöne Mädchen seine Liebe erwidern könne. Daher sah er mit dem heutigen Tage einen Wendepunkt seines Lebens nahe getreten. Und das war jedenfalls nicht eine Wende zum Guten, zum Glücke.

Wurde Gisela gezwungen, den jungen Osec zu heirathen, so war seines Bleibens nicht länger. Ließ sie sich aber nicht zwingen, so gab es dennoch keine Hoffnung für ihn, glücklich zu werden. Auch dann war es für ihn am Besten, fortzugehen und nur seiner Mutter und seiner armen Schwester zu leben.

Ueberall zeigte sich der Himmel trübe und sein Horizont bewölkt. Würde es einmal einen Lichtstrahl geben, dem es gelänge, diese Wolken zu durchbrechen? Wohl kaum!

So saß er eine längere Zeit, ohne von irgend Jemand gestört zu werden. Da fiel sein umflorter Blick zufälliger Weise nach dem Eingange des Gartens, und da gewahrte er Gisela, welche hereintrat, gefolgt von dem jungen Osec. Beide kamen nach der Richtung, in welcher die Bank stand, auf der er saß.

Sollte er sich von ihnen sehen lassen? Nein! Aber fortgehen konnte er auch nicht, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Es gab nur den einen Ausweg, sich hinter die Sträucher zu stellen, bis sie vorüber waren. Er that dies so schnell wie möglich.

Sie kamen näher. Er hörte des Mädchens helle, fröhliche, neckische und des Burschen scharfe Stimme.

»Du weißt also, weshalb wir kommen?« fragte der Letztere.

»Ja,« antwortete sie.

»So brauche ich es Dir nicht zu sagen?«

»Nein. Das hast Du nicht nöthig.«

»Und was sagst Du? Werden wir umsonst gekommen sein?«

»Gewiß nicht.«

»Gott sei Dank! So wird also der Handel gelingen?«

»Auf alle Fälle. Sie ist ja gar nicht theuer,« antwortete sie, sich zur Erde bückend, um eine Blume zu pflücken und dieselbe an ihren schönen, vollen Busen zu stecken.


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»Sie ist gar nicht zu theuer?« fragte er gedehnt und im Tone der Befremdung.

»Gewiß nicht. Der Vater wird doch von Euch nicht mehr verlangen, als von anderen Leuten. Zwei oder drei Gulden.«

»Für wen denn?«

»Das fragst Du noch?«

»Freilich! Ich muß doch wissen, von was Du redest!«

»Nun, doch davon, wovon auch Du sprichst.«

»Das kann doch gar nicht sein!«

»So begreife ich Dich nicht. Du hast mich doch gefragt, ob ich wisse, weshalb Ihr heute zu uns gekommen seid.«

»Das habe ich gefragt, aber Du scheinst es nicht zu wissen.«

»O, sehr genau!«

»Nun, weshalb?«

»Wegen der jungen Ziege, die Ihr kaufen und mitnehmen wollt.«

»Ziege? Wann wäre denn von einer Ziege die Rede gewesen!«

»Also nicht?«

»Nein. Wir werden doch nicht Beide zu Wagen herüberkommen, um eine Ziege zu kaufen! Wir haben selbst mehrere.«

»Ach so! Da habe ich freilich falsch verstanden. Also kommt Ihr zum Besuch?«

»Ja und auch nein. Unser Besuch hat einen ganz besonderen Zweck.«

»Das ist schön, sehr schön.«

»Meinst Du?«

»Ja. Ich liebe die Menschen, welche einen Zweck haben, nämlich wenn es ein guter ist.«

»Der unserige ist ein sehr guter.«

»So wünsche ich, daß Ihr ihn erreichen mögt.«

»Ich weiß, daß wir ihn erreichen. Darum ist meine Mutter nicht gleich mit gekommen. Sie wird erst später kommen und da gleich die Verwandtschaft mitbringen.«

»Die Verwandtschaft? Wollt Ihr vielleicht ein Erbe eintreiben und unter einander vertheilen?«

»O nein, das ist es nicht. Es giebt ein Familienfest.«

»Wohl gar eine Kindtaufe?«

»Auch nicht.«

»Hochzeit?«

»Beinahe.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Beinahe Hochzeit! Was heißt das?«

»Sage Du es lieber! Mir fällt das Rathen schwer. Weißt Du, ich habe in der Schule gar nicht viel gelernt.«

»Du siehst mir aber gar nicht darnach aus!«

»Schadet nichts. Es ist besser, man sieht klüger aus, als man ist.«


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»Da hast Du freilich Recht. Also will ich es Dir sagen. Eine beinahe Hochzeit, das ist ein Verspruch, eine Verlobung.«

»Ach so! Also einen Verspruch wollt Ihr halten. Das ist sehr interessant. Wer soll den verlobt werden? Etwa gar Du?«

»Ja.«

Sie waren an der Bank stehen geblieben. Gisela machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:

»Du willst Dich verloben? Das ist gar kein übler Witz von Dir.«

»Wieso?«

»Weil ich weiß, daß Du Dich nur im Scherz verloben kannst. Im Ernst bringst Du das doch nicht fertig.«

»Nicht im Ernste? Warum denn nicht?«

»Weil Du nichts, gar nichts hast, was dazu gehört.«

»So! Nun sag doch einmal, was das ist!«

»Zunächst bist Du zu dumm!«

Sie sagte das mit solchem Ernste, daß er einen Schritt zurückwich.

»Gisela! Jetzt machst Du den Scherz!«

»O nein. Ich meine es im Ernste.«

»Ists wahr? Also ich bin zu - zu dumm?«

»Ja, zu dumm zur Verlobung.«

»Bist Du bei Trost!«

»Sehr bin ich bei Trost. Wer sich verloben will, muß doch eine Geliebte haben!«

Sie blickte ihn von der Seite forschend an, und als er nicht antwortete, fragte sie:

»Hast Du eine?«

»Ja.«

»Eine wirkliche Geliebte? Verstehe wohl, eine wirkliche Geliebte, mit welcher Du gesprochen hast und die Dir auch gesagt hat, daß sie Dich haben will?«

»Nein, so eine habe ich freilich nicht.«

»Nun, siehst Du, wie dumm Du bist! Du hast nicht einmal das, was man zur Verlobung am Allernothwendigsten braucht, eine Geliebte.«

»Die brauche ich nicht.«

»So! Du verheirathest Dich wohl mit - mit - der Ziege, die wir zu verkaufen haben?«

»Spotte nicht. Ein rechter und richtiger Bursch läßt die Eltern für sich wählen.«

»Das wäre mir ein Bursch! Den Kerl möcht ich nicht haben. Ein Bursch muß einen eigenen Willen und eine Schneid besitzen, dann ist man ihm gut, dann hat man Vertrauen zu ihm. Aber Einer, der sich bevatern und bemuttern läßt, der hat bei uns Mädchens kein Glück. Ich wenigstens möcht keinen solchen!«

»Wirklich nicht?« fragte er, beinahe erschrocken.


// 1296 //

»Nein. Schau, ich bin ein Mädchen und kein Bube, aber meinen freien Willen habe ich doch. Ich will auch, wenn ich einmal heirathe, für mich selbst wählen. Sollte ich Einen nehmen sollen, den mein Vater für mich ausgesucht hat, so würde ich ihn grad darum nicht nehmen, selbst wenn ich ihn ganz gut leiden könnte.«

Er stand still vor ihr und blickte sie forschend an. Sein schon ohnedies häßliches Gesicht wurde noch abstoßender gemacht durch einen Zug von Heimtücke und Hinterlist, welcher jetzt in demselben zu bemerken war. Er mochte ahnen, daß sie diese Worte nur sage, um ihm die Gelegenheit zu der beabsichtigten Liebeserklärung abzuschneiden, und sann nun nach, wie er sich am Besten zu diesem klugen Schachzuge verhalten solle.

»So willensstark wärst Du?« sagte er.

»Ich bin keineswegs sehr energisch. Aber man heirathet aus Liebe, und wer nicht nach Liebe fragt und nach Liebe strebt, kann auch keine erhalten. Einen Menschen, der mich durch seinen Vater von meinem Vater begehrt, den mag ich nicht, denn er achtet und liebt mich nicht. Er behandelt mich wie eine Waare, wie ein willenloses Thier, welches man kaufen kann. Und ein Bursche, welcher mir schon als Mädchen keinen Willen zutraut oder vielmehr keinen Willen läßt, wie mag der mich erst später behandeln, wenn ich erst einmal seine Frau geworden bin!«

Er sah sehr wohl ein, wie Recht sie hatte. Darum fragte er:

»Also wenn zum Beispiel ich Dich haben wollte und ich schickte meinen Vater zu dem Deinigen, um Dich von ihm zu fordern, und beide Väter wären einverstanden, was thätest Du in diesem Falle?«

»Das, was ich soeben gesagt habe: Ich möchte Dich nicht.«

»Und wenn Dein Vater Dich zwingen wollte!«

»Ich würde mich nicht zwingen lassen.«

»So! Aber weißt Du, ein Vater hat Gewalt und Recht über die Tochter!«

»Nur so viel, wie ihm das Gesetz einräumt. Zur Heirath kann er mich nicht zwingen. Ich würde mich an das Gericht wenden und den Schutz desselben finden.«

»Donnerwetter!«

»Warum fluchst Du?«

»Hm! Davon nachher! Aber Dein Vater könnte Dich enterben!«

»Das möchte er thun. Ich fände sogleich eine Stelle oder einen Mann, mit dem ich glücklich sein kann. Aber wir sind von unserem Thema abgekommen. Ich habe gesagt, Du seiest zu dumm zum Heirathen. Das ist noch nicht Alles, denn Du bist auch zu häßlich dazu.«

»Bist Du des Teufels!«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich sage die Wahrheit. Oder hast Du Dich noch niemals im Spiegel betrachtet?«

»Sehr oft.«


Ende der vierundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk