Lieferung 60

Karl May

17. September 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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tochter heißen zu können. Und nun? Wie ists geworden? Heut kommen wir zur Verlobung, und wir müssen mit langen Nasen abziehen. Das hat man noch nie erlebt.«

»Denkst Du, ich sehe das gern!« grollte Kery.

»Zum Donnerwetter, so leide es doch nicht!«

»Was soll ich machen?«

»Dreinschlagen, mit allen Fäusten dreinschlagen. Ich sollte an Deiner Stelle sein. Da sollten die Fetzen fliegen.«

»Es handelt sich doch nur um einen kurzen Aufschub!«

»Laß Dir nichts weiß machen. Das kenne ich besser. Aus diesem kurzen Aufschub wird ein langer, und endlich wird aus der ganzen Sache nichts. Hast Du das denn nicht schon bemerkt? Erst hatte sie keinen Geliebten und wollte in das Kloster. Jetzt will sie nicht in's Kloster, weil sie einen Geliebten hat. Und diese Geschichte ist bereits so weit gediehen, daß der Ludwig es wagt, Dir Gesetze vorzuschreiben und auch uns zu drohen.«

Bisher war Gisela zur Rede Osecs still gewesen; nun aber fiel sie ein:

 

»Er wird wohl auch Ursache dazu haben!«

»Meinst Du?« lachte er höhnisch.

»Ja.«

»Hat er es Dir gesagt?«

»Nein. Er ist keine Klatschbase.«

»Pah! Er weiß nichts und spricht nur so, um uns zu ärgern.«

»Dazu hat er den Character nicht. Was der Ludwig sagt, das ist wahr. Und wenn er von Schmugglern und Paschern redet, so kann er jedenfalls seine Worte beweisen.«

»Er mag es versuchen. Uebrigens werde ich ihn wegen Beleidigung verklagen, und es soll ihm schwer werden, sich heraus zu beißen.«

»Das wird ihm keine große Mühe machen. Und selbst wenn es ihm schwer fiele, würde ich ihm dabei behilflich sein.«

»Alle Teufel! Was fällt Dir ein! Willst Du ihm etwa Recht geben mit seinen Schmugglern?«

»Ja.«

»Willst Du damit sagen, daß Du auch so Etwas weißt?«

»Ja, das will ich.«

Seine Augen waren mit scharfem, stechendem Blicke auf sie gerichtet.

»Nun, was weißt Du denn?« fragte er.

»Das brauche ich nicht zu sagen.«

»Oho! Weil Du nichts weißt.«

»Nichts? Ist das nichts, was da hinten am alten Backofen geschieht?«

»Donnerwetter! Sollte man es denken! Am alten Backofen! Was geschieht denn dort?«

»Das wißt Ihr ebenso gut wie ich.«

»Hm, hm! Sonderbar, sonderbar! Jetzt nun weiß ich, woher der Lud-


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wig seine Klugheit hat. Von Der da, von der Gisela! Die ists, die ihm ihre Träumereien für Wahrheiten aufgebunden hat. Jetzt bist Du nun klar über Das, was der Ludwig Dir anhaben kann, alter Kery. Ist das nicht lächerlich?«

Dem Kerybauer war es keineswegs lächerlich. Er stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. Er preßte die Lippen zusammen; er biß die Zähne auf einander. Es kämpften verschiedene Gefühle in seinem Innern gegen einander.

Er hatte seine Tochter lieb. Das fühlte er recht deutlich, heut, wo sie durch ihr Auftreten bewies, daß sie wirklich seine Tochter sei! Die Ansichten, welche er vom Leben hatte, waren beschränkt. Geld, Geld und immer wieder Geld, weiter war nichts zum Glücke eines Menschen erforderlich.

»Bist Du denn dem Ludwig gar so gut?« fragte er sie.

»Von ganzem Herzen, Vater,« antwortete sie offen.

»Aber er ist ein Lump!«

»Was nennst Du einen Lump?«

»Wer nichts hat.«

»So ist er keiner.«

»Ach! Was hat er denn?«

»Gesundheit, Verstand, Fleiß, ein gutes Herz, eine reine Ehre und - mich. Ist das nicht genug, Vater?«

»Dummheiten sinds, die Du da vorbringst!«

»Ich halte es für keine Dummheiten.«

»Hat er denn Geld?«

»Nein.«

»So hat er eben nichts, gar nichts. Schau Dir dagegen den Osec an. Der ist reich, steinreich. Der kann Dir jeden Wunsch am Auge ablesen.«

»Nein, Vater, das kann er nicht.«

»Mache Dich nicht lächerlich!«

»Für die Wünsche, die ich habe, hätte der Osec gar kein Verständniß. Meine besten Herzenswünsche können nicht mit Geld erfüllt werden. Nimm dem Osec sein Geld, was bleibt dann noch übrig?«

Er war frappirt von dieser Frage.

»Sein Geld kann man ihm nicht nehmen,« antwortete er, so indirect zugebend, daß gar nichts übrig bliebe.

»So? Wie viele Millionen hat er denn?«

»Dummheit! Wer spricht von Millionen!«

»Ich! Es ist gar mancher Millionär schon ein Bettler geworden. Osec hat ein paar Tausende. Was ist das? Wird er arm, so bleibt nur der Haß und die Verachtung. Ludwig ist arm; er kann wohlhabend werden. Was für ein anderer Mann würde er dann sein als Osec!«

Kery war keineswegs gegen Verstandesgründe verschlossen. Er mußte im Stillen seiner Tochter Recht geben, ließ sich dies aber nicht merken. Da trat sie ganz an ihn heran und fragte:


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»Sage mir einmal, Vater, wenn Ludwig grad eben so reich wäre wie Osec, welcher von Beiden wäre Dir als Schwiegersohn lieber?«

Er zog die Brauen finster zusammen. Er fühlte sich überwunden, glänzend besiegt. Aber er machte es wie die Franzosen, welche stets Sieger sind. Wenn sie eine Schlacht verlieren, so telegraphiren sie einen großen Sieg nach Paris. So machte es auch der Kerybauer. Er antwortete:

»Frag nach gescheidteren Sachen. Natürlich wäre mir der Osec zehnmal lieber.«

»Das ist nicht wahr.«

»Oho!«

»Nein. So dumm bist Du nicht. Und wenn ich so dumm wäre, so könntest Du wohl nicht stolz auf mich sein.«

Der alte Osec sah gar wohl, daß die Worte und Vorstellungen der Tochter nicht ganz ohne Eindruck auf den Vater blieben. Dem mußte er entgegenarbeiten. Darum trank er sein Glas aus, stand auf und sagte:

»Ich begreife Euch nicht, Ihr Leute. Ich werde auf das Heftigste beleidigt, indem ich dabeisitze. Anderswo macht man wenigstens erst dann die Leute schlecht, wenn sie abwesend sind. Ich bin gar nicht etwa hergekommen, um so Etwas anzuhören. Ich kann ja gehen. Es giebt noch Orte, an denen man froh ist, wenn ich komme.«

Er griff nach seinem Hute.

»Was fällt Dir ein!« rief Kery, ihm den Hut schnell wieder aus der Hand nehmend.

»Was mir einfällt? Giebst auch Du mir etwa Unrecht?«

»Nein, ganz und gar nicht.«

»Warum duldest Du es dann, daß man mich in dieser Weise beleidigt?«

»Das darf Dich nicht beleidigen.«

»Donnerwetter! Wenn man meinen Sohn schlecht macht, in dieser Weise von ihm redet, ihn mit einem Knecht vergleicht, der besser sein soll, als er - ist das etwa nicht beleidigend für mich?«

»So streng darfst Du es nicht nehmen. Du weißt ja, wie die Frauen sind.«

»Ja, das weiß ich; sie haben lange Haare und kurzen Verstand. Man darf sie nur nicht zu üppig werden lassen. Mein Frau muß in Gegenwart Anderer stets still sein. Wenn Du Deinem Mädchen aber erlaubst, in meiner Gegenwart zu reden, wie es ihr gefällt, nun so kann ich mich nur dadurch vor ihren Ungereimtheiten retten, daß ich mich entferne.«

Er drängte, trotzdem er den Hut nicht mehr in der Hand hatte, nach der Thür zu. Kery warf Gisela einen zornigen Blick zu und rief:

»Das hat man davon, wenn man ein zu guter und nachsichtiger Vater ist. Da werden Einem die besten Freunde entfremdet. Räumt hier und unten auf, und scheert Euch nachher in's Bette! Ich habe den Aerger satt. Komm, Osec, wir gehen hinab in die Niederstube.«

Indessen war Ludwig, als der junge Osec fortgefahren war, nach dem


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Holzschuppen zurückgekehrt. Er fand dort auf den Stufen seine Schnur noch ganz genau so, wie er sie hingelegt hatte. Das war das sichere Zeichen, daß die beiden Slowaken noch nicht angekommen waren. Er steckte also die Schnur wieder ein und stieg die Treppe empor.

Ein starker Duft drang ihm entgegen. Das Heu war bis hoch an das Dach aufgespeichert. Da er täglich einige Male hier oben war, fand er leicht eine Stelle, an welcher er im Dunkeln nicht bemerkt werden konnte und von welcher aus es ihm möglich war, ohne Geräusch den Rückzug anzutreten. Dort legte er sich nieder.

Es war bereits über elf Uhr geworden, und die Slowaken mußten also bald eintreffen, wenn sie überhaupt eintreffen wollten. Und richtig, er lag noch kaum fünf Minuten, so hörte er Schritte, welche aus dem Hofe unten in den Schuppen traten. Dann polterten schwere Stiefel stolpernd die Treppe herauf.

»Donnerwetter, mach doch leise!« sagte eine unterdrückte aber doch deutlich hörbare Stimme.

»Ich trete, trete doch leise auf!« stammelte der Andere, dem man es anhörte, daß er betrunken war.

»Das bemerke ich nicht. Es darf doch hier Niemand wissen, daß wir da sind. Leise, leise, viel leiser!«

Der Betrunkene war von einer Stufe abgerutscht.

»Ich bin - bin ja leise,« sagte er. »Es war hier eine Stufe - Stufe zu viel.«

»Du hast eine zu viel im Kopfe. Na, bist Du oben?«

Der Betrunkene stieg nämlich voran.

»Ja, ich bin - bin oben. O, Donner-donnerwetter!«

Er hatte nämlich geglaubt, bereits oben zu sein, sich aber geirrt. Es gab noch eine Stufe zu ersteigen. Er wollte aber gradaus gehen und stürzte in Folge dessen zum Eingange herein.

»Sapperment! Was war es denn?« fragte der Andere. »Wieder eine - eine Stufe zu viel!«

»Wie viele sind denn zu viel? Wo bist Du? Ich fühle Dich doch gar nicht!«

»Hier bin ich, hier. Im Schnee - Schnee sitze ich da.«

»Schnee! Sollte man so etwas denken! Hält er das Heu für Schnee! Nein, so besoffen ist er noch nie gewesen. Wo sitzest Du denn eigentlich?«

»Hier, hier, rechts von Dir - Dir!«

Der Andere bückte sich und griff nach ihm.

»Das ist doch nicht rechts, sondern links. Und Du sitzest ja gar nicht.«

»Ich sitze - sitze fest.«

»Nein. Du liegst auf dem Bauche und streckst alle Viere kerzengerade von Dir. Steh auf. Hier am Eingange können wir nicht bleiben. Wir müssen weiter nach hinten.«

»Hinten? Ich bleib - bleib hier! Hier ists fein - fein.«


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»Unsinn! Wenn zufällig ein Knecht kommt, der zu Tanze gewesen ist und hier schlafen will, weil er nicht mehr in's Haus kann, so erwischt er Dich.«

»Nein, sondern ich ihn - ihn!«

»Rede nicht, sondern komm!«

»Ich bleib!«

»So setze Dich wenigstens aufrecht.«

»Ich sitz - sitz ja schon!« behauptete er, obgleich er noch genau so wie vorher auf dem Bauche lag.

Sein Kamerad sah, daß heut mit ihm nichts zu machen sei, und ließ ihn liegen. Es wurde nicht gesprochen. Ludwig hatte bemerkt, daß sie ihre Blechwaaren nicht bei sich hatten. Wo mochten dieselben versteckt worden sein?

Nach einiger Zeit begann der Betrunkene zu röcheln und zu schnarchen.

»Himmeldonnerwetter!« fluchte der Andere. »Der Kerl schnarcht, daß man es drei Stunden weit hört! Wenn ich ihn nicht wecke, kommt das ganze Gesinde gelaufen. Usko! Usko!«

»Wa-a-as?« brummte der Slowak.

»Schnarche nicht so!«

»Ich? Ich schna-narche nicht!«

»Freilich schnarchst Du! Und wie!«

»Nein, ich bin es nicht - nicht!«

»Wer denn?«

»Usko ists. Usko schna-narcht.«

»Na, der Usko bist doch eben Du!«

»Nein. Ich bin Bar- Barko, der Zigeuner.«

Der Andere, Zerno geheißen, ließ ein leises Pfeifen hören, ganz wie Einer, welcher in der Ueberraschung die Lippen spitzt und den bekannten Pfiff ausstößt.

»Barko also bist Du?« fragte er.

»Ja. Barko schna-na-narcht niemals.«

»Dein Bruder ist Jeschko?«

»Jeschko ist mein Bru-ru-ruder. Der schna-na-narcht auch.«

Wieder war es eine kleine Weile still. Ludwig wußte nicht, wer Barko war. Er wußte nur von heut Mittag her, wo er sie in der Ziegelei belauscht hatte, daß Jeschko, der Zigeuner, als Tausendkünstler nach Hohenwald gekommen sei und in irgend einer Beziehung zu dem Silberbauer und dem Thalmüller stehen müsse. Dennoch aber hatte er das Gefühl, daß das Gespräch, welches er jetzt hörte, von größter Wichtigkeit sei, wenn auch nicht für ihn, so doch für Andre. Er war daher außerordentlich gespannt auf den Fortgang desselben.

Wieder begann der Betrunkene zu schnarchen. Es klang, als ob eine starke Säge auf einen Spahn stößt.

»Usko! Usko!« rief der Andre.

Er erhielt keine Antwort; darum wendete er den anderen Namen an:

»Barko! Hörst Du mich?«

»Ja - ja,« grunzte der Gefragte.

»Bist Du es - Du, Jeschko?«


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»Ja,« log der Andere, welcher sicherlich auch sehr begierig war, das Geheimniß seines Gefährten zu erhorchen.

»Wo ist das Kind - Kind?«

»Ich weiß es nicht.«

»Deine Frau - Frau hat mir es wieder gestohl-stoh-stohlen.«

»Das ist nicht wahr. Meiner Frau fällt es gar nicht ein, ein Kind zu stehlen!«

»Ich ha-ha-hab es gesehen - sehen!«

Beim Sprechen überkam ihm, wie es bei Betrunkenen oft der Fall zu sein pflegt, der Schlucken. Darum wiederholte er oft ein Wort seiner Rede.

»Wann denn?« fragte Zerno. »Ge-ge-gestern.«

Es war klar, daß er sich in seinem Rausche über viele Jahre hinweg in seine Vergangenheit zurückversetzt glaubte.

Er sprach nicht weiter, und auch der Andre schwieg. Dieser Letztere mochte sich überlegen, wie er weiter zu fragen habe. Da aber begann Usko selbst:

»Hast Du - Du die Messer mit?«

»Ja.«

»Auch die Fli-li-linte?«

»Auch diese.«

»Gut. Es gilt dem Lu-lu-Ludwig. Er ist rei-rei-reich, steinreich.«

Der Knecht wäre beinahe erschrocken. Es war von Messern und einer Flinte die Rede, und er hieß ja Ludwig. Doch konnte ja von ihm gar nicht die Rede sein, da die Beiden von seiner Anwesenheit nichts wußten.

Aber nun war es die Frage, wer dieser Ludwig sei, dem es gelten sollte. War von einem Ueberfalle, von einem Morde die Rede? War ganz derselbe gemeint, von welchem sie bereits in der Ziegelhütte gesprochen hatten?

»Rede nicht davon!« sagte Zerno. »Lieber von etwas Anderem!«

Der Betrunkene verstand ihn falsch, denn er antwortete: »Der An-Andere? Das ist der Thalmü-mü-müller. Er hat den Fe-fe-fex.«

»Fex? Der Thalmüller hat den Fex? Was ist das, der Fex? Eine Krankheit?«

»Nein, sondern der junge Ba-baron.«

»Du träumst wohl!«

»Träumen? Nein. Gieb mir Schna-naps!«

»Ja, ja, der fehlt Dir gerade noch. Der Verstand ist Dir schon zum Teufel gegangen.«

»Teu-teu-teufel! Ja, der Teufel hat ihn geho-ho-holt!«

»Wen?«

»Den Ba-barko.«

»Der bist doch Du.«


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»Ni-ni-nicht mehr. Jetzt heiße ich Usko - Usko!«

»Ach so! Still! Ich höre Etwas.«

Es hatte sich unten ein Geräusch vernehmen lassen. Leise Schritte kamen die Treppe herauf.

»Usko!« erklang die Stimme des Kerybauers.

»Der kann nicht antworten,« sagte Zerno.

»Ach Du, Zerno. Was ist denn mit ihm?«

»Besoffen ist er wie ein Thier.«

»Donnerwetter! Kann er nicht damit warten, bis er Zeit dazu hat?«

»Ich habe ihn gewarnt.«

»Die Waare wird gleich kommen. Weil Usko nicht kann, wirst Du doppelt zugreifen müssen.«

»Ist weiter Niemand hier?«

»Nein. Die anderen Träger sind erst für morgen Abend bestimmt.«

»Ists schon ausgemacht, wie Alles wird?«

»Es mußte Einiges geändert werden. Ich erkläre Euch alles morgen früh. Es geht diesmal über den Föhrenbusch.«

»Ist das nicht zu gefährlich?«

»Nein. Warum sollte es gefährlich sein?«

»Weil in neuerer Zeit dort Holz geschlagen worden ist. Das steht nun in Klaftern, und man kann leicht gesehen werden.«

»Da bin ich ganz anderer Meinung. Grad die Holzstöße sind von großem Vortheile. Man kann sich hinter denselben besser verbergen, als hinter einem dünnen Baume. Es ist verteufelt ärgerlich, daß der Usko betrunken ist. Ich hatte einen Auftrag für ihn.«

»Kann ich ihn nicht übernehmen?«

»Auch. Kennst Du meine Knechte alle?«

»Alle, am Besten aber den Oberknecht.«

»Das ist der Ludwig. Ihn betrifft dieser Auftrag. Triffst Du ihn öfters?«

»Nur ganz wenig.«

»Seid Ihr etwa Freunde?«

»Ganz im Gegentheil.«

»Das ist mir lieb, denn die Sache ist nicht sehr vortheilhaft für ihn. Ich habe ihn nämlich fortgejagt.«

»Sapperment! Warum?«

»Weil er mich bestohlen und betrogen hat.«

»Der? Dieser scheinheilige Spitzbube. Da hat man es: Diejenigen, welche die ehrlichsten Gesichter schneiden, sind die gefährlichsten Spitzbuben. Was hat er denn gemaust?«

»Verschiedenes. Geld und Goldsachen.«

»Der muß angezeigt werden. Welche Freude hätte ich, wenn er ins Gefängniß käme!«

»Ich will es nicht thun. Ich will es ihm vergeben, seiner armen Mutter


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wegen. Ich habe ihm sogar aus lauter überflüssiger Güte erlaubt, noch diese Nacht bei mir zu schlafen, weil seine Mutter auf Besuch bei ihm war.«

»Das ist der Kerl doch gar nicht werth!«

»Allerdings. Aber was kann man dafür, daß man ein gutes Herze hat. Aber seinen Lohn soll er doch bekommen, wenn auch auf andere Weise. Und dazu sollst Du mit beitragen.«

»Vom Herzen gern! Wenn ich diesem Kerl Eins anhängen kann, so lasse ich mich recht gern sogar des Nachts aus dem schönsten Schlafe wecken.«

»Gut. Ich sehe, daß ich mich auf Dich verlassen kann. Er soll nämlich für einen Schmuggler gehalten werden.«

»Ist denn das fertig zu bringen?«

»Sogar ganz leicht.«

»Und ich soll es machen?«

»Ja.«

»So habe ich wirklich keine Ahnung, wie es angefangen werden muß.«

»Nichts leichter als das. Du hast einfach nur ein Briefchen auf den Weg zu legen, so, daß es genau aussieht, als ob Einer das Papier verloren habe.«

»Hm! Das wäre ja leicht genug. Und das soll die gewünschte Wirkung hervorbringen?«

»Ganz gewiß. Du weißt es ebenso gut, daß die Grenzbeamten jetzt ihre Augen verteufelt offen halten. Man muß Alles versuchen, sie zu täuschen. Der Brief, von dem ich rede, soll zwei Fliegen mit einem Schlage treffen. Er soll uns die Grenzer vom Halse schaffen und zugleich den Ludwig in den Verdacht bringen.«

»Darf ich den Inhalt wissen?«

»Natürlich. Er wird so abgefaßt, als ob er von einem hiesigen Pascherkaufmanne an einen jenseitigen geschickt worden sei. Es wird dem Letzteren gemeldet, er solle sich darauf einrichten, daß heut Nachts ein Uhr zwanzig Träger mit Spitzen und Seide durch das Hainholz die Grenze passiren würden.«

»Hm! Ich beginne, zu begreifen. Die Grenzbeamten werden in Folge dessen das Hainholz besetzen; wir aber gehen über den Föhrenbusch.«

»So ist es.«

»Dazu ist es aber nothwendig, den Beamten den Brief in die Hände zu spielen.«

»Der Ludwig wird ihn besorgen.«

»Der? Freiwillig etwa?«

»Sogar sehr freiwillig.«

»Das glaube ich nicht.«

»Und ich bin überzeugt davon. Ich habe eine alte Brieftasche; in diese wird der Brief gesteckt, nachdem er ganz fehlerhaft zugemacht worden ist, so daß man leicht zu dem Inhalte kann. Der Ludwig wird in der Frühe mit seiner Mutter heim nach Oberdorf gehen. Du gehst ihm voraus und legst ihm


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an einer dazu passenden Stelle die Tasche hin; aber er darf Dich ja nicht erblickt haben.«

»Sapperlot, der Plan ist ausgezeichnet!«

»Nicht wahr?«

»Ja. Er wird die Brieftasche finden und aufmachen.«

»Nachher den Brief auch, weil dieser keine Adresse hat und das Couvert so lose zusammengemacht ist, daß es bei der ersten Berührung auseinander geht. Er liest den Brief und wird nichts Eiligeres zu thun haben, als ihn der Behörde zu übergeben.«

»Aber das schadet ihm doch nichts!«

»Nein, das nicht.«

»Wie soll er für einen Pascher gehalten werden?«

»Dadurch: Kurze Zeit später, nachdem er seinen Brief abgegeben hat, gelangt ein anderer an die Behörde, in welchem ungefähr Folgendes zu lesen ist:

»>Der gewesene und aus dem Dienste gejagte Knecht Ludwig Held ist einer der gewandtesten Paschgänger der ganzen Grenze. Er wird heute Ihren Beamten Sand in die Augen zu streuen versuchen; indem er einen selbst verfertigten Brief vorzeigt, von welchem er angeben will, ihn gefunden zu haben. In demselben steht, daß ein bedeutender Pascherzug heute Nachts ein Uhr durch das Hainholz gehen werde. Während nun die Grenzwache nach diesem Punkte gezogen wird, geht der Pascherzug an einem weit südlicher gelegenen Orte über die Grenze. Also, hüten Sie sich!<«

»Und die Unterschrift?«

»Gar keine oder ein fingirte natürlich.«

»Aber die Sache hat einen höchst bedenklichen Haken.«

»Ich wüßte nicht, welchen.«

»Die gleiche Handschrift der beiden Briefe.«

»Darum sorge Du Dich nur nicht. Jeder der beiden Briefe wird von einem Anderen geschrieben. So gescheidt sind wir auch, um da unsere Maßregeln zu treffen. Also willst Du die Sache übernehmen?«

»Wenn sie einen Verdienst abwirft, ja.«

»Ihr seid doch Hallunken! Keiner will einen Schritt umsonst thun.«

»Umsonst ist nicht einmal der Tod, denn auch da sind die Begräbnißkosten zu bezahlen.«

»Du sollst den Weg bezahlt bekommen, mußt Dich aber früh aufmachen, denn ich weiß nicht, wann der Knecht aufbrechen wird. Dann postirst Du Dich an einen Ort, von welchem aus Du den Ludwig kommen siehst, ohne selbst von ihm bemerkt werden zu können. Du mußt genau aufpassen, ob er die Brieftasche findet und das Schreiben öffnet. An dem Ausdrucke seines Gesichtes kann ein gescheidter Kerl erkennen -«

»Na, ich rechne mich nicht zu den Dummköpfen. Oder bin ich einer?«

»Ich halte Dich für ziemlich durchtrieben. Also aus seinem Gesichts-


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ausdrucke wirst Du zu erkennen vermögen, was er denkt und ob er den Brief abgeben wird.«

»Werde schon aufpassen.«

»Das hoffe ich. Den Brief bringe ich Dir nachher hinüber. Diese Angelegenheit ist also beendet. Jetzt kannst Du herabkommen. Ich habe den Wagen gehört. Bekümmere Dich aber vorher einmal um Usko!«

Der Slowak rüttelte seinen Kameraden. Dieser aber war jetzt so fest im Schlafe, daß er ohne besondere Anstrengung nicht zu erwecken war.

Die Beiden entfernten sich.

Ludwig hatte den Bauer für keinen Engel gehalten, aber daß er eines solchen Planes fähig sei, das hatte er niemals gedacht. Vielleicht war dieser Anschlag dem Kopfe des alten Osec entsprungen. Welch ein Glück, daß Ludwig Ohrenzeuge dieses Gespräches gewesen war!

Er hatte hier oben genug gehört und zog es vor, anstatt die Rückkehr Zerno's zu erwarten, sich lieber nach der Küche zu schleichen. Darum näherte er sich vorsichtig, um nicht an den Betrunkenen zu stoßen, dem Eingange und stieg dann leise die Treppe hinab.

Als er aus dem Schuppen herauskam, begab er sich nicht sogleich nach dem Wohngebäude, sondern er huschte vorher um eine Ecke, um einen Blick nach der Gegend des alten Backofens zu werfen.

Er wäre sehr gern näher gegangen, allein er befürchtete, bemerkt zu werden. Etwas Deutliches war ja nicht zu beobachten. Dazu wäre eine Annäherung nöthig gewesen, die ihn in die größte Gefahr gebracht hätte. Es genügte ihm, zu bemerken, daß dort Menschen sich leisen Schrittes bewegten, und nun gab er sich zufrieden.

Jetzt schritt er nach dem Wohnhause, dessen Hinterthür offen stand. Unter der letzten Treppenstufe lag, wie er mit Gisela verabredet hatte, der Schlüssel zur Küche. Es war ein gefährliches Unternehmen. Wie leicht konnte gerade im betreffenden Augenblicke Kery oder Osec aus der Wohnstube treten! Aber es war kein Laut zu hören. Vielleicht befand sich jetzt gar Niemand darin.

Er schloß leise auf, trat hinein und riegelte sodann von innen zu.

Das Fensterchen, welches nach der Stube führte, war erhellt und geöffnet. Es brannte eine Petroleumlampe drinnen auf dem Tische. Vorhanden war kein Mensch. Aber Schreibpapier lag auf dem Tische und Tinte und Federn befanden sich dabei.

Er setzte sich auf einen niedrigen Schemel, um das Kommende zu erwarten. Erst nach längerer Zeit nahten sich Schritte. Der Kerybauer trat mit den beiden Osec's in die Stube. Der jüngere Osec war wieder zurückgekehrt, nachdem er den Umtausch der echten Packete mit den gefälschten bewirkt hatte. Sie setzten sich an den Tisch.

»Also sind wir wieder einmal fertig,« sagte der alte Osec mit einem Seufzer der Erleichterung. »Es ist doch allemal eine strenge Arbeit.«

»Schwerer noch ists, die Päckte über die Grenze zu schleppen,« meinte Kery. »Ich möchte es nicht versuchen.«


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»Hasts auch gar nicht nöthig. Hoffentlich gelingt Dir es dieses Mal ebenso wie immer.«

»Ich habe keine Sorge.«

»Mache es nur so mit dem Briefe und Deinem Ludwig, wie ich Dir gerathen habe, so kann es gar nicht fehlgehen.«

»Ist schon besorgt. Der Zerno legt den Brief auf den Weg und der Knecht wird ihn dann sicherlich finden.«

»Wenn er ihn dann abgiebt und Dein Brief kommt hinterher, so bist Du ihn für immer los, nicht nur als Knecht, sondern auch als Hochzeiter für Deine Tochter.«

»Ich hoffe es.«

»Da ist gar nichts nur zu hoffen, sondern es ist eine wirkliche Gewißheit. Denn wenn die Behörde einmal ein Mißtrauen auf einen Menschen geworfen hat, dann wird es schwer, sich aufrecht zu halten. Es kommen Belästigungen über Belästigungen, von denen er gar nicht weiß, woher sie stammen. Es wird ihm Alles schwer gemacht, ohne daß er es bemerkt, wie und warum. Kurz und gut, wenn der Ludwig in den Verdacht kommt, ein Pascher zu sein, so wird er auch sehr bald einer werden. Und dann ist es umgedreht so, wie er Dir gesagt hat: Du brauchst Deine Tochter einem Pascher nicht zu geben.«

»Eigentlich thut er mir wirklich leid.«

»Sei still! Das brauchst Du nicht immer und immer wieder zu sagen.«

»Er war fleißig, treu, still, sehr ordentlich und der Erste des Morgens und der Letzte des Abends bei der Arbeit. Jammerschade, daß er so ein armer Schlucker, ein solcher Habenichts ist.«

»So! Wenn er also Etwas hätte, so würdest Du ihm Deine Tochter wohl geben?«

»Hm. Darüber läßt sich jetzt nun nichts mehr sagen. Ich brauch einen Schwiegersohn, welcher Geld hat.«

»Das ist die einzig richtige Erkenntniß. An dieser halte fest, sonst kann es noch schief gehen mit dem steinreichen Kerybauer!«

Er betonte das Wort >steinreich< mit einem so ironischen Nachdrucke, daß der Bauer ihn schnell fragte:

»Verfolgst Du mit dieser Drohung vielleicht eine Absicht?«

»Ja und nein. Eine klare Absicht habe ich heute noch nicht, denn wir sind ja Freunde; aber warnen will ich Dich hiermit.«

»Warum warnen?«

»Weil es sehr leicht kommen könnte, daß unsere Freundschaft ein Loch erhielt. Doch wollen wir das für später aufheben. Jetzt muß das Geschäft glatt gemacht werden. Hier ist, wie wir es stets gehalten haben, das Verzeichniß der Waaren, welche Du heute übernommen hast. Darunter setzest Du Deine Empfangsbescheinigung und Quittung.«

Er gab ihm einen eng beschriebenen Papierbogen hin. Kery nahm denselben in die Hand, las ihn aufmerksam durch und fragte dann:

»Es sind doch wirklich alle diese Gegenstände in den Packeten?«


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»Hat jemals Etwas gefehlt?«

»Nein. Aber heute handelt es sich um fünfzehntausend Gulden; da möchte man recht sicher gehen.«

»Du kannst ja nachsehen!«

»Dazu war und ist keine Zeit, und wenn ich die Packete öffne, so verlieren sie ihr gutes Aussehen. Also will ich Euch vertrauen und den Zettel unterschreiben.«

Er schrieb unter das Verzeichniß:

»Diese sämmtlichen Handelsgegenstände vom Lieferanten richtig, voll und in gutem Zustande empfangen zu haben, bescheinigt hiermit
          Slowitz.                                                                             Georg Kery.«

Als er dann das Papier zurückgab, brachte Osec ein anderes zum Vorscheine. Es war ein Wechselformular.

»Und nun acceptirst Du diesen Wechsel. Das ist eine leichte Arbeit. Deinen Namen vorn quer herüber, so ist es gethan.«

»Das ist leicht, jawohl; aber das Einlösen und Zahlen ist schwerer.«

»Ich präsentiere Dir das Papier nur erst dann, wenn Du bei Casse bist.«

Kery las die wenigen Zeilen.

»Ah, Du hast ihn nicht auf ein bestimmtes Datum, sondern auf Sicht gestellt? Warum das?«

»Eben nur aus Freundschaft und Rücksicht für Dich. Da kann ich Dir ihn eben präsentiren, wenn es Dir paßt. Stelle ich ihn aber auf einen gewissen Tag, so kann es möglich sein, daß Du an demselben gerade nicht bei Gelde bist.«

»Wenn Du das wirklich freundschaftlich handhabst, so ist es ja gut.«

»Daran brauchst Du nicht zu zweifeln. Uebrigens lauten auch alle die anderen Wechsel, welche ich von Dir in Händen habe, auf Sicht. Ich habe sie nie präsentirt und auch niemals einen Kreuzer Zins verlangt. Ist das Freundschaft oder nicht?«

Das Gesicht des Bauers nahm jetzt einen ganz anderen Ausdruck an. Er war bleich geworden; er sagte:

»Auf Zinsen könnt Ihr leicht verzichten, denn Ihr habt das Geld auch leicht verdient - im Spiele.«

»Nun ja; aber wenn Du das Einem sagst, so glaubt er es Dir nicht. Ein Jeder wird es für eine Unwahrheit halten, daß der geizige Kerybauer solche Summen im Spiele verloren hat. Uebrigens bist Du uns ein sicherer Mann und es fällt uns gar nicht ein, Dich zu drängen. Das Spiel wendet sich oft rasch. Vielleicht hast Du in einem Vierteljahre uns Alles wieder abgewonnen. Also schreib!«

Kery griff abermals zur Feder und acceptirte den auf Sicht und fünfzehntausend Gulden lautenden Wechsel. Die beiden Osec's verfolgten die Bewegungen seiner Feder mit gierigen Blicken. Ein triumphirendes Lächeln glänzte in ihren Zügen, als er ihnen dann das verhängnißvolle Papier hingab. Jetzt


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gehörte das Kerygut ihnen. Er hatte seine letzten Fünfzehntausend für Packete hingegeben, welche nur Lumpen und Papier enthielten.

Der Alte steckte Empfangsbescheinigung und Wechsel zu sich, legte sich bequem im Stuhle zurecht und sagte:

»So, das Geschäft ist geordnet und nun können wir wieder von Familienangelegenheiten reden. Wie steht es also mit Deiner Tochter? Wird sie die Frau meines Sohnes?«

»Wenn es nach meinem Willen geht, ja.«

»Ist es denn möglich, daß es gegen Deinen Willen gehen kann?«

»Ihr wißt so gut wie ich, daß in der Welt Alles möglich ist. Kann ich sie zwingen, wenn sie nicht will?«

»Ja.«

»Wie denn? Etwa sie vor den Altar schleppen? Was würde die Behörde dazu sagen?«

»Das ist Deine Sache und nicht die unserige. Ich will ganz aufrichtig mit Dir sein. Ich pfeif eigentlich auf Deine Gisela. Sie hat nichts und mein Sohn kann unter den Reichsten des Landes wählen.«

»Was? Sie hätte nichts?« rief Kery

 »Ja, gar nichts hat sie!«

»Oho! Bin ich nicht Besitzer des Keryhofes!«

»Einstweilen! Aber streiten wir uns nicht über solche selbstverständliche Sachen! Also eigentlich bin ich ganz dagegen, daß mein Sohn Deine Tochter heirathen will. Es ist eine Mißheirath -«

»Donnerwetter!«

»Ruhig! Laß mich sprechen und dann kannst auch Du reden. Leider hat er sich so in sie vergafft, daß er meint, er könne ohne sie gar nicht leben. Darum will ich Rücksicht nehmen und meine Zustimmung geben. Dafür verlange ich aber auch, daß mir von Euch nichts in den Weg gelegt wird. Du hast der Gisela heute einen Aufschub gewährt. Ich bin nicht damit einverstanden, ich laß mich nicht auf die lange Bank strecken. Ich will Gewißheit haben, und zwar bald. Ich will nächste Mittwoch nach Tische wiederkommen, da sollst Du mir Bescheid sagen.«

»Das kann ich nicht. Ich habe der Gisela vierzehn Tage gewährt.«

»Aber ich gewähre Dir nur die Zeit von heute bis Mittwoch.«

»Bis dahin kann ich ihr keine anderen Gedanken beibringen.«

»So werde ich sie ihr beibringen!«

»Wieso?«

»Ich bin Dein Freund, wenn aber die Freundschaft so mit Füßen getreten wird, wie es von Deiner Tochter geschieht, so hört sie eben auf, Freundschaft zu sein, und verwandelt sich in das gerade Gegentheil. Sagt Deine Tochter zur nächsten Mittwoch nicht Ja, so zieht Ihr aus dem Hofe.«

Der Bauer fuhr kerzengerade aus seinem Stuhle auf.

»Ausziehen?« fragte er.

»Ja.«


// 1430 //

»Wie meinst Du das? Meinen Hof soll ich verlassen?«

»Ja, das meine ich.«

»Niemals!«

»Nicht? Schau, was Du für ein Querkopf bist. Wie willst Du es denn anfangen, hier bleiben zu dürfen?«

»Wie ich es anfangen will? Gar nicht. Ich bleib eben sitzen. Es kann mir Niemand mein Eigenthum nehmen. Ich halte es fest bis zum Tode.«

»Auch wenn ich die Wechsel präsentire, die ich von Dir in den Händen habe?«

»Ja.«

»Kannst Du zahlen?«

»Ja.«

»Womit denn wohl? Hast Du etwa Geld daliegen?«

»Nein. Aber wenn Du wirklich so schlecht wärst, sogleich auf Einlösung der Papiere zu dringen, so würde ich eine Hypothek aufnehmen.«

Da lachte Osec laut auf und sein Sohn stimmte mit ein.

»Von wem willst Du denn diese Hypothek bekommen?«

»Von überall her. Der reiche Kerybauer bekommt geborgt, so viel er haben will.«

»Auch so viel, wie die Summe meiner Wechsel ist?«

»Allemal.«

»Du scheinst keine Ahnung zu haben, wie hoch diese Summe gestiegen ist. Hast Du Dir Alles aufgeschrieben?«

»Das Spielgeld nicht; das will ich wieder gewinnen.«

»Oder noch mehr dazu verlieren! Ich habe mir Alles ganz genau notirt, die Summe und das Datum. Hier steht es auf dem Zettel. Lies einmal nach! So viele Wechsel habe ich von Dir in meinen Händen, alle auf Sicht.«

Er gab ihm den Zettel hin. Als Kery zu lesen begann, wurde sein Gesicht todtesbleich und seine Nase zusehends spitz. Seine Hände zitterten, und als dann sein Blick auf die unten stehende Hauptsumme fiel, entglitt der Zettel seinen Händen. Er legte sich in die Lehne des Stuhles zurück und schloß die Augen.

Er legte sich in die Lehne des Stuhles zurück.

Die beiden Osec's stießen sich triumphirend mit den Ellbogen. Sie warteten, bis er sprechen werde, vergebens.

»Kery!« rief nach einer Weile der Alte.

Er erhielt keine Antwort.

»Kery! Rede doch!«

Diese Aufforderung hatte ganz denselben Mißerfolg. Der Bauer rührte sich nicht. Da ergriff der Alte ihn an der Schulter und rüttelte ihn, aber auch vergebens.

»Sapperment!« meinte sein Sohn. »Ich glaube, der Schlag hat ihn getroffen!«

»Das wäre das Allerbeste. Er käme in den Sarg und seine Familie in das Armenhaus. Wir aber hätten den schönen Hof für uns.«


// 1431 //

»Er bewegt sich wirklich nicht!«

Jetzt stand der Alte auf und strich dem Bauer über das Gesicht.

»Er ist todt, wirklich todt!« sagte er dann. »Wir haben gewonnen!«

»Wie immer. Es ist doch gut, wenn man mit den Karten richtig umzugehen versteht. Der Dummkopf hat es niemals bemerkt, daß wir ihn betrogen haben.«

»Weil wir ihn vorher immer betrunken machten. Wäre er nüchtern gewesen, so hätte er sich nicht betrügen lassen. Er ist ein gar schlauer Kerl gewesen.«

»Aber was thun wir jetzt?«

»Wir müssen die Leute wecken. Laufe doch einmal hinauf und wecke die Frau!«

»Magst Du das nicht lieber thun?«

»Fürchtest Du Dich etwa, sie zu erschrecken?«

»Ja.«

»Schwachkopf! So werde ich gehen.«

Er ging hinaus und traf da auf - Ludwig. Dieser war Zeuge des ganzen Vorganges gewesen und hatte, als der Alte sich anschickte, aus der Stube zu gehen, schnell die Küche verlassen. Er that, als ob er zur Treppe herabgekommen sei.

»Wer kommt da?« fragte der Alte, da es so finster im Flur war, daß er den Knecht nur hörte, aber nicht sah.

»Ich.«

»Wer denn?«

»Der Ludwig.«

»Was machst denn Du hier unten?«

»Frisches Wasser will ich holen für meine Muttern. Es ist ihr unwohl worden.«

»Komm schnell da herein! Da ist Einer, dem es noch viel unwohler geworden ist.«

»Wer ists?«

»Dein Herr.«

»Der geht mich nix mehr an.«

Er that, als ob er sich entfernen wolle.

»Kerl, bleib! Der Bauer ist todt!«

»Todt? Um Gottes willen! Ist das wahr?«

»Ja, der Schlag hat ihn gerührt.«

Jetzt ging der Knecht mit hinein. Er that natürlich außerordentlich erschrocken und ließ sich nicht merken, daß er Alles wisse.

»Wie ist denn das gekommen?« fragte er.

»Ganz plötzlich und unerwartet. Wir saßen so fröhlich und freundschaftlich beisammen und redeten über die Saaten, daß sie so schön stehen draußen. Da plötzlich legte er sich hintenüber, that einen Seufzer und war todt.«

Ludwig öffnete dem Bauer die Weste, knüpfte ihm die Halsbinde ab


// 1432 //

und griff ihm mit der Hand unter das Hemde nach der Herzgegend. Seine bang besorgten Züge erheiterten sich.

»Er ist nicht todt. Er lebt noch,« sagte er. »Er ist nur ohnmächtig gewest.«

»Gott sei Dank! Das war ein Schreck! Den mag ich im Leben nicht wieder mitmachen,« rief der Alte, welcher soeben erst gesagt hatte, daß es das Beste sei, wenn den Bauer wirklich der Schlag getroffen habe.

»Ja, er wird wohl bald aufiwachen,« erklärte Ludwig. »Soll , Jemand geweckt werden?«

»Jetzt nun nicht. Vielleicht ist keine Hilfe nothwendig.«

»So kann auch ich wieder gehen.«

Er verließ die Stube, that, als ob er vom Hofe her Wasser hole und es nach dem oberen Stockwerke trage, kehrte aber heimlich in die Küche zurück, deren Thür er wieder hinter sich verriegelte. Dazu hatte er aber wegen der dabei anzuwendenden Vorsicht eine ganz beträchtliche Zeit gebraucht, im Ganzen wohl über eine Viertelstunde, und so wunderte er sich gar nicht, als er von der Küche aus bemerkte, daß Kery indessen das Bewußtsein wieder erlangt hatte.

Die beiden Osecs hatten ihn nach dem Kanapee getragen, in dessen Ecke er nun saß. Sie waren mit einander überein gekommen, ihm von dem Erscheinen Ludwigs gar nichts zu sagen. Daß dieser Letztere im vollständigen Anzuge war, das hatten sie übersehen, sonst hätten sie sich wohl veranlaßt gefühlt, größere Vorsicht anzuwenden.

Kery vermochte bereits wieder mit ihnen zu reden. Er war noch leichenblaß, und seine Stimme klang eintönig. Als Ludwig zum Fenster trat, um in die Stube zu blicken, hörte er ihn eben sagen:

»Das war das erste Mal in meinem Leben, daß mich eine solche Schwäche überkommen ist. Gebt mir jetzt Ruhe, sonst könnte es wiederkehren und würde gefährlich sein. Aus der Ohnmacht könnte ein Schlaganfall werden.«

»Ja, wir wollen Dir Ruhe geben. Wir haben ja Zeit,« antwortete der Alte. »Wir setzen uns her und warten. In einer Viertelstunde wirst Du Dich wohl erholt haben.«

»So schnell geht das nicht.«

»Ja, länger brauchen wir doch nicht da zu bleiben. Wir wollen doch auch unsern Schlaf genießen!«

»So fahrt ab!«

»Und was giebst Du uns für eine Antwort?«

»Heut keine.«

»Aber zur Mittwoch will ich sie haben.«

»Da sollst Du sie bekommen.«

»So merke es Dir genau! Wenn die Gisela nicht Ja sagt, hast Du die Wechsel zu bezahlen. Schlaf wohl!«

Er bot ihm die Hand zum Abschiede. Kery zog schnell die seinige zurück, schüttelte den Kopf und sagte mit matter Stimme:


// 1433 //

»Geh nur, geh! Eine Hand bekommst Du von mir niemals wieder. Ich weiß nun, woran ich mit Euch bin.«

»So? Woran denn?«

»Ihr seid Gauner.«

»Donnerwetter! Sagst Du das etwa im Ernst? Zum Spaße taugt es nichts.«

»Es ist mein Ernst. Ich sehe jetzt Alles klar. Erst habt Ihr mir geschmeichelt, bis ich mit Euch zu spielen begann. Ich wurde ein leidenschaftlicher, heimliche Spieler und verlor ohne Unterlaß bedeutende Summen. Ich wollte sie wiedergewinnen und verlor immer mehr dazu. Das Geld begann mir zu mangeln. Da verführtet Ihr mich zum Paschen. Ihr habt einen festen schuftigen Plan verfolgt, und es ich Euch gelungen. Ihr könnt zur Mittwoch kommen. Meine Antwort sollt Ihr hören.«

»Schön! Was Du da Schlimmes von uns sagst, das wollen wir Dir vergeben, denn Einem, der ohnmächtig gewesen ist, dem muß man so Etwas verzeihen. Wenn Du weißt, woran Du mit uns bist, so wissen wir auch, wie wir mit Dir halten. Du bist vollständig fertig mit Deinem Vermögen und kannst Dich nur dadurch retten, daß mein Sohn Deine Tochter heirathet.«

»Oho! Fertig bin ich noch nicht!«

»So? Was hast Du dann noch?«

»Ihr seid über meinen Besitz fast noch besser unterrichtet als ich. Die Wechsel, welche Ihr von mir in den Händen habt, betragen genau den Werth meines Gutes und - - -«

»Ja,« unterbrach ihn der Alte lachend, »da haben wir immer genau nachgerechnet. Die Wechsel liegen daheim in meinem Pulte, und dieser neue kommt auch mit dazu. Dabei liegen auch alle Lieferscheine, die Du unterschrieben hast.«

»Warum habt Ihr diese aufgehoben?«

»Zum Beweise gegen Dich. Wenn Du etwa Etwas gegen uns unternehmen wolltest, so würden wir diese Lieferscheine dem Gericht übergeben.«

»Mein Himmel! Welch eine raffinirte Schlechtigkeit!«

»Nur Klugheit ist's, weiter nichts.«

»Aber diese Scheine können ja auch Euch mit schaden!«

»Niemals. Wir haben sie gefunden.«

»Oho! Ihr, grad Ihr habt mir ja Alles geliefert!«

»Wo steht denn das? O, wir sind sehr vorsichtig gewesen. Eine jede Quittung lautet genau so wie die heutige. Es ist von einem Lieferanten die Rede, aber Dein Name steht allemal darunter, und die Ueberschrift lautet bei jedem Scheine >Ueber gelieferte Schmuggelwaaren, abgegeben auf Gefahr des Empfängers.<«

»Ich würde beschwören, daß Alles von Euch gewesen ist!«

»Du kämst gar nicht zum Schwure!«

»Wohl Ihr?«

»Ja.«


// 1434 //

»Und Ihr würdet einen Meineid schwören!«

»Ja. Ein Meineid ist kein Beinbruch.«

Da stand der Bauer vom Sopha auf. Er schwankte.

»Herr, mein Gott, in welche Hände bin ich da gerathen!« sagte er. »Das ist Alles so teuflisch berechnet. Da giebt es weder Mitleid noch Erbarmen. Ich bin das Opfer und werde abgeschlachtet. Aber ganz todt bin ich doch noch nicht. Noch habe ich fünfzehntausend Gulden, und bevor die nicht verprozessirt sind, bekommt Ihr meinen Hof nicht.«

»Die hast Du noch? So! Das ist schön!« lachte der Alte hämisch. »Vielleicht werden sie eher alle, als Du denkst. Also, mach Dich gefaßt. Zur Mittwoch bin ich da.«

»Ich werde Dich erwarten.«

»Hast Du Etwas noch zu bemerken?«

»Nein.«

»Dann behüt Dich Gott!«

»Euch mag er auch behüten, nämlich vor ferneren Missethaten!«

Die Beiden gingen; sie konnten das Haus durch die offen stehende Hinterthür verlassen. Er begleitete sie nicht zu ihrem Wagen, welcher mit den beiden ausgesträngten Pferden seit der Rückkehr von Osec junior draußen auf der Straße am Gartenzaune hielt. Er stieß, als er ihre Schritte nicht mehr hörte, einen lauten, unartikulirten Schrei aus, warf sich auf das Sopha, wühlte mit beiden Fäusten in dem Polster desselben und fand keinen Trost und keine einzige erleichternde Thräne.

Ludwig hatte, als er bemerkte, daß die Osecs nun bald gehen würden, die Küche verlassen und den Schlüssel, nachdem er die Thür verschlossen hatte, wieder unter die Treppe gelegt.

Er war sodann in höchster Eile nach dem Pferdestalle gelaufen, um sich einen kurzen, festen Strick zu holen. Mit demselben ging er hinaus zum Rollwagen der Osecs und befestigte den Strick in Schlingenform an die hintere Wagenachse.

Warum und wozu that er das?

Es war ihm kein Wort der Unterhaltung entgangen. So hatte er auch gehört, daß der Alte sagte, er habe die Wechsel und Schmuggelquittungen zu Hause bei sich im Pulte liegen und werde auch den neuen, heutigen Wechsel dazu thun. Als er diese Worte vernahm, kam ihm ein Gedanke, kühn, ja verwegen, aber er nahm sich vor, ihn auszuführen, wenn es irgend möglich sei. Er wollte mit den Osecs heim zu ihnen. Er mußte zugleich mit ihnen dort eintreffen. In den Wagen konnte er sich nicht zu ihnen setzen, denn sie durften ja nicht wissen, daß er bei ihnen sei, und so befestigte er die Schlinge an die Achse. Wenn er mit den Füßen in dieselbe trat und sich mit den Händen oben am Wagen festhielt, so konnte er leicht mit ihnen fortkommen, ohne von ihnen bemerkt zu werden.

Als er diese einfache Vorbereitung getroffen hatte, legte er sich hart am Zaune hin auf den Erdboden, um die Osecs zu erwarten.


// 1435 //

»Der Herrgott wird mir verzeihen, daß ich heut zum Spitzbuben und vielleicht gar zum Einbrecher werden will!« dachte er. »Ich nehme nur geraubtes Gut zurück und erlöse Unschuldige aus dem Elende. Der Kery könnte es nicht überleben, seinen Hof verlassen zu müssen. Er thut sich ganz sicher ein Leid an. Das muß verhütet werden!«

Er brauchte nicht lange zu warten, so kamen die Beiden.

»Donnerwetter, hat der Kerl ein zähes Leben!« sagte der Alte. »Ich freute mich bereits auf das Begräbniß. Da muß dieser verdammte Knecht kommen und uns die Freude zu Wasser machen! Wenn er dem Bauer nicht Luft geschafft hätte, so wäre dieser sicherlich nicht wieder aufgewacht.«

»Ja, dieser verteufelte Ludwig muß doch überall seine Hand im Spiele haben!«

»Nun nicht mehr. Er hat ausgespielt, ebenso wie sein Herr.«

»Wie der sich auf die Fünfzehntausend vertröstete!«

»Er wird sich wundern, wenn er hört, daß der Empfänger nichts bezahlt, weil er nur Lumpen erhalten hat. Dann wird er klein beigeben.«

»Er war bereits jetzt ganz sanft. Er that sogar fromm, was ihn früher niemals eingefallen ist. Na, die Stränge sind in Ordnung. Steig ein! Es kann fortgehen!«

Während die Beiden vorn aufstiegen, kroch der Knecht behend herbei, griff sich hinten an der Oberleiste fest und setze die beiden Füße in die Schlinge. Er stand in der Letzteren ganz hübsch und sicher, so daß er seine Hände gar nicht sehr anzustrengen brauchte. Dann setzte sich der Wagen in Bewegung, erst langsam und dann in schnellen Trab.

Bis zu dem Dorfe, in welchem die Osecs wohnten, hatte man eine gute Stunde zu gehen. Zu Wagen gelangte man in einer halben hin, selbst jetzt bei Nacht, da der Weg ein guter und dem Geschirrführer wohl bekannt war.

Das Gut, welches die Beiden bewohnten, lag vor dem Dorfe. Ludwig kannte es genau, ebenso von innen wie von außen. Er war als Bote seines Herrn sehr oft da gewesen.

Am Thore angekommen, mußte der Wagen halten, bis es aufgeschlossen wurde. Diese Gelegenheit benutzte Ludwig, aus der Schlinge zu steigen und dieselbe von der Achse zu lösen. Dann schlich er sich fort, längs eines niedrigen Zaunes hin, welchen er an einer gewissen Stelle überstieg. Nach wenigen Schritten stand er an der hinteren Seite des Hauptgebäudes.

Dieses Letztere war im Gebirgsstyle erbaut, mit weit hervorstehendem Dache, unter welchem im Stockwerke oben ein hölzerner Söllergang um alle vier Seiten des Hauses lief. Diese Galerien, welche man besonders in Oberbayern, Tyrol und der Schweiz zu sehen bekommt, werden meist von hölzernen Säulen getragen. So auch hier. Ludwig ergriff eine dieser Säulen und flüsterte, wie sich aufmunternd, vor sich hin:

»Hier müssen wir halt hinauf. Da ist die Stub von dem Alten und daneben seine Schlafkammern. Von dem Söller aus kann man in beide schauen,


// 1436 //

und es ist sogar eine Thür da, durch welche man auf den Hausboden kommen kann.«

Es war ihm ein Leichtes, da hinaufzuklettern und über die Brüstung zu steigen. Er befand sich nun auf der Galerie. Er schlich sich leise nach der vordern Seite des Hauses und bemerkte, daß die Beiden noch im Stalle waren. Die andern Bewohner des Hauses schliefen jedenfalls.

»Das paßt ausgezeichnet,« sagte er sich. »Da hab ich noch gut Zeit, mir den Eingang zu verschaffen.«

Er schlüpfte zu der Thür, welche von der Außengalerie hinein in das Innere des Stockwerkes führte. Sie war leicht zu öffnen, auch von außen. Er trat da ein und tastete sich möglichst rasch nach der Stube des alten Osec, in welcher er auch schon einige Male gewesen war. Die Thür war nicht verschlossen. Er huschte hinein und drehte die Wirbel des einen Fensters auf, so daß dasselbe von der Galerie aus aufgestoßen werden konnte. Nachdem er sich so den >Einbruch< erleichtert hatte, kehrte er eiligst auf demselben Wege nach der Galerie der hinteren Hausseite zurück. Dort kauerte er sich neben dem Fenster, dessen Wirbel er von innen geöffnet hatte, nieder und wartete auf den Alten, der nun jedenfalls bald zu Bette ging und vorher den Wechsel und die Empfangsbescheinigung ins Pult in Sicherheit brachte. Bei dieser Gelegenheit konnte Ludwig hoffentlich sehen, in welche Abtheilung oder in welchem Fache die Werthpapiere, nach deren Besitz er strebte, steckten.

Was er zu unternehmen beabsichtigte, war gefährlich. Ertappte man ihn dabei, so wurde er ganz sicherlich als Dieb festgenommen und bestraft. Sein Gewissen aber sagte ihm, daß er kein Verbrechen beabsichtige, sondern daß ganz im Gegentheile Das, was er vorhatte, eine gute und lobenswerthe That sei. Dieses Bewußtsein gab ihm den Muth und die innere Ruhe, deren er bedurfte, wenn sein Unternehmen gelingen sollte.

Er hatte nicht lange zu warten, so hörte er Schritte, welche sich der Stube näherten. Die Thür ging auf, und der alte Osec trat ein, eine hellbrennende Lampe in der Hand, hinter ihm sein Sohn.

Der Alte setzte die Lampe auf den Tisch, hing seinen Hut an den Nagel und griff dann in die Tasche, aus welcher er die beiden bereits erwähnten Papiere hervorzog, mit ihnen noch ein drittes, einen Brief. Diesen Letzteren bemerkend, sagte er:

»An den habe ich gar nicht gedacht. Das ist der Brief, den der Kery an die Grenzbehörde geschrieben hat, damit sie den Ludwig für einen Pascher halten sollen. Er hat ihn mir zur Besorgung gegeben, weil wir näher an der Bahn wohnen als er.«

»Er sollte aber doch bereits morgen Vormittags in den Händen der Behörde sein!«

»Freilich. Darum kannst Du noch nicht schlafen gehen. Du mußt hinüber nach der Haltestelle laufen und ihn dort in den Briefkasten stecken. Da kommt er mit dem Fünfuhrzuge noch mit fort.«

»Noch einmal fort zu laufen, das paßt mir schlecht. Ich bin müde.«


// 1437 //

»Es geht nicht anders, und wenn - - - was ist denn das? Da liegt ja auch einer.«

Er hatte erst jetzt ein Schreiben bemerkt, welches auf dem Tische lag. Er nahm es in die Hand und las die Adresse. Dann sagte er:

Von drüben herüber. Der ist heut Nachmittag angekommen, und die Mutter hat ihn hierher gelegt, damit ich ihn gleich sehen soll. Sie wird gedacht haben, daß es eilig sei.«

Er öffnete den Brief und las ihn.

»Wohl eine Bestellung?« fragte sein Sohn.

»Ja, und zwar eine tüchtige. Das wird uns Etwas einbringen.«

»Zeig einmal her!«

Er erhielt den Brief, las ihn durch und meinte sodann:

»Das wäre freilich ein gutes Geschäft, ein Geschäft, wie wir es noch gar nicht gemacht haben; leider müssen wir mit dem Kery theilen.«

»Müssen? Wer sagt das?«

»Es ist ja immer so gewesen!«

»Aber es kann auch einmal anders gemacht werden.«

»Und die Träger verlangen auch ihr Antheil.«

»Das ist mir immer ärgerlich gewesen. Aber weißt Du, die Waare, welche hier bestellt wird, nimmt nicht viel Raum ein. Es werden nur vier Packete, freilich aber außerordentlich werthvolle. Zwei Männer genügen, sie hinüber zu schaffen.«

»Hm! Meinst Du etwa - - -?«

Der Alte nickte zu der nicht ausgesprochenen Frage und sagte:

»Ja, das meine ich. Wir brauchen eigentlich gar Niemand dazu. Wir können es selbst thun.«

»Ich denke das auch. Aber wir müssen dann auch die Gefahr auf uns nehmen.«

»Natürlich! Oder fürchtest Du Dich?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Na, also!«

»Wann würde es sein?«

»Nicht eher als am Donnerstage, aber auch nicht später.«

»Das paßt, weil wir Mittwoch zu Kery müssen. Dann wissen wir, woran wir mit ihm sind, und brauchen in Beziehung auf dieses Geschäft keine Rücksicht auf ihn zu nehmen. Gieb also Antwort hinüber, daß wir die Waaren am Donnerstage selbst bringen werden.«

»Ich werde gleich morgen früh schreiben. Aber welchen Ort geben wir an?«

»Das ist die Hauptsache. Wir müssen einen Weg einschlagen, den wir ganz genau kennen, auf welchem aber die wenigste Gefahr ist, mit den Grenzern zusammen zu treffen.«

»So schlage einen vor!«

»Es fällt mir im Augenblicke keiner ein.«


// 1438 //

»Ich wüßte wohl eine Route, welche die beste wäre, sie ist aber auch die beschwerlichste.«

»Welche meinst Du?«

»Der Wendelsteig.«

»Sakkerment! Der ist des Nachts nicht nur beschwerlich, sondern gradezu gefährlich!«

»Der gefährlichste Theil ist drüben in Bayern. Wenn wir es richtig anfangen, brauchen wir den gar nicht zu betreten. Die drüben mögen uns entgegenkommen.«

»Wenn sie darauf eingehen, so sollte es mich freuen.«

»Natürlich gehen sie darauf ein. Ich werde den Brief darnach einrichten.«

»Und wo treffen wir sie?«

»Grad mitten im Felsenklamm.«

»Dazu rathe ich nicht.«

»Warum?«

»Der Ort ist zu gefährlich.«

»Das denke ich nicht. Er eignet sich im Gegentheile am Allerbesten zur Zusammenkunft. Hüben und drüben Felsen. Wie oft ists schon passirt, daß die beiden Parteien sich nicht getroffen haben. Das ist aber im Felsenklamm ganz unmöglich.«

»Aber wir können auch desto leichter gefangen werden!«

»Pah! Es weiß ja Niemand um unser Vorhaben. Wir sind die beiden Einzigen. Wir sprechen zu keinem Andern davon, und so müßte es gradezu mit dem Teufel zugehen, wenn wir erwischt würden.«

»Es könnte ganz zufällig ein Grenzer sich dorthin postiren.«

»Ein Einzelner? Nun, der würde uns wohl nicht sehr stören, sondern vielmehr wir ihn.«

»Du meinst, daß wir Gewalt anwenden würden?«

»Wenn es nöthig ist, ja.«

»Hm! Dann ists desto gefährlicher.«

»Pah! Wir stecken die Pistolen zu uns. Giebt es Einen, der sich uns in den Weg stellt, so ists um ihn geschehen. Uebrigens kommt es sehr darauf an, welche Zeit wir wählen.«

»So spät wie möglich.«

»Nein, sondern grad im Gegentheile so zeitig wie möglich. Die meisten Pascherzüge werden zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen unternommen; darum sind die Grenzer um dieser Zeit am Aufmerksamsten. Vor Mitternacht fühlen sie sich sicherer. Da kommen wir also viel leichter durch.«

»Das ist schon wahr; aber vor Mitternacht können wir nicht hinüber. Bedenke, daß es bis zum Felsenklamm von hier aus fast drei Stunden sind. Wir müßten also, um noch vor Mitternacht dort einzutreffen, um acht Uhr hier aufbrechen. Da ist es noch nicht gehörig dunkel. Man würde uns sehen.«


// 1439 //

»So theilen wir den Weg.«

»Wie meinst Du das?«

»Wir schaffen am vorhergehenden Abende die Packete eine Strecke weit fort.«

»Und lassen sie dort liegen?«

»Ja.«

»Das ist ja viel zu riskant. Wenn wir sie da nicht ganz ausgezeichnet verstecken, so werden sie gefunden, und wir sind nicht nur um das viele Geld, sondern laufen sogar die größte Gefahr, erwischt zu werden.«

»Das befürchte ich nicht.«

»Und ich befürchte es sehr. Wenn unser Versteck entdeckt wird, so wird man uns bei demselben ablauern. Wenn wir dann am andern Abende kommen, werden wir ergriffen. Donnerwetter! Das wäre mir eine schöne Bescheerung!«

»Mir natürlich auch. Aber ich habe da gar keine Sorge, denn ich weiß einen Ort, an welchem wir die Packete ganz unbesorgt liegen lassen könnten.«

»Welcher wäre das?«

»Ich meine beim Pfarrer in Felsberg.«

»Bist Du toll!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Der Pfarrer wird sich hüten, Dir Deine Paschergüter aufzubewahren!«

»Wenn ich ihn fragte, ja, da würde er mich wohl hoch nehmen. Aber er darf ja davon gar nichts wissen. Wir schleichen uns mit den Packeten in seine Scheune. Die hat er oben unter dem Dache noch ganz voll Stroh vom vorigen Jahre.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Ich wollte ihm einen Theil davon abkaufen und bin erst vorgestern hinaufgestiegen, um es mir anzusehen. Ich habe mir da gleich die Localität gemerkt. Die Leiter liegt stets an, und die Thür ist weder bei Tag noch bei Nacht verschlossen.«

»Hm! Ich traue doch nicht recht.«

»Unsinn! Wir tragen das Schmuggelgut hinauf und verstecken es ganz hinten tief unter dem Stroh.«

»Wenn man uns dabei ertappt!«

»Das ist gar nicht möglich. Wir dürfen es nur nicht dumm anfangen. Liegen die Packete einmal da oben, so sind sie uns sicher. Darauf kannst Du Dich verlassen. Von da an haben wir dann am Donnerstag Abend nur eine halbe Stunde bis zur Grenze und drei Viertelstunden bis zum Felsenklamm. Also kann ich die Jenseitigen ganz gut schon für elf Uhr des Abends bestellen.«

»So, wie Du es hermachst, scheint es freilich leicht zu sein.«

»Es ist auch leicht, und wir machen es nicht anders.«

»Nun, meinetwegen. Ich bin dabei und will nur wünschen, daß es glückt.«

»Es muß glücken. Also abgemacht! Und nun will ich die Papiere aufheben.«


// 1440 //

Er trat ganz nahe zum Fenster heran. Dort stand eine alte Rollkommode, welche wohl vom Urgroßvater stammte. Er zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete. Als die Rolle aufgeschoben war, wurden mehrere Kästchen sichtbar, welche nicht verschlossen, sondern zum Herausziehen mit einem Knopfe versehen waren. Darunter war ein Bret angebracht, welches nach innen geschoben und auch wieder herausgezogen werden konnte. Im letzteren Falle bildete es den Schreibtisch des alten Osec.

Dieser zog jetzt das Bret heraus, holte die Lampe herbei, um sie darauf zu setzen, und schob sich einen Stuhl herbei, auf welchem er Platz nahm. Dann zog er eines der Kästchen auf, in welchem weiter nichts als eine alte Brieftasche lag. Er nahm sie in die eine Hand, schlug mit der anderen darauf und sagte:

»Hier stecken Moses und die Propheten! Wieviel giebst Du dafür?«

»Den Keryhof zahle ich dafür.«

»Ja, genau so viel beträgt es.«

»Aber ob wir ihn auch bekommen!«

»Ob? Oho! Da giebt es ja gar keinen Zweifel zu hegen.«

»Er wird sich bis auf das Aeußerste wehren.«

»Das weiß ich freilich auch; aber sein Wehren wird ihm nichts nützen.«

»Er wird behaupten, daß wir falsch gespielt haben.«

»Kann er es beweisen?«

»Freilich nicht.«

»Nun, wer soll uns da Etwas anhaben!«

»Muß man gewonnenes Spielgeld nicht herausgeben, wenn man angezeigt wird?«

»Nein. Sobald man das Geld in den Händen hat, hat man es sicher.«

»Aber Du hast es ja nicht.«

»Hier sind Wechsel! Das ist genau so gut wie Geld.«

»Aber es ist kein baares Geld. So ein Wechsel hat meiner Ansicht nach nur den Werth, daß Du mit ihm beweisen kannst, dem Kery die Summe, auf welche er lautet, abgewonnen zu haben. Also ist die Schuld eine Spielschuld und kann nicht eingeklagt werden.«

»Schau, was Du für ein gescheidter Kerl bist!« lachte der Alte. »Der reine Advocat! Hast Du etwa Juristerei studirt?«

»Ja,« antwortete der Sohn, in das Lachen einstimmend.

»Wo denn?«

»Hier bei Dir! Du bist der allerbeste Lehrmeister in solchen Sachen.«

»Das mag richtig sein. Wenigstens hat es noch Keinen gegeben, dem es gelungen wäre, mich zu übertölpeln. Und der Kery soll nicht der Erste sein, von dem ich mich überlisten lasse. Wenn die Wechsel auch nur Spielschulden bedeuten, so muß doch ein jeder Wechsel bezahlt werden. Wenn ich ihn einklage, hat das Gericht nichts zu fragen, woher er stammt. Und da schau her! Auf einem jeden steht ganz deutlich zu lesen: >Werth erhalten<. Er hat also von mir die Summe erhalten, die er hier unterschrieben hat.«


Ende der sechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk