Lieferung 62

Karl May

1. Oktober 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1465 //

»Ja.«

»Was ist er?«

»Ein Slowak.«

»O wehe! Da ist er es nicht.«

Der Alte setzte sich wieder nieder. Ludwig aber machte die Bemerkung:

»Als Slowak nennt er sich nämlich Usko.«

»So geht er mich nix an.«

»Aber eigentlich heißt er Barko und ist ein Zigeunern.«

Sofort sprang der Sepp wieder auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Kreuzmillion! Warum sagst denn das nicht gleich!«

»Ich kann doch nicht Alles auf einmal sagen! Ein jedes Wort braucht seine Zeit, um aus dem Mund heraus zu kommen.«

»So sperr ihn weiter auf, damit es rascher geht! Weißt, je größer das Loch ist, desto mehr kann hindurch.«

»Ja, Du bist ein Kluger. Du weißt halt Alles auf dera Welt!

»Nun sei still und schweig und beantwort mir lieberst meine Fragen!«

»Das kann ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Wann ich schweigen soll, kann ich doch nicht antworten.«

»Willst still sein, Du Unnutz! Ich will nun rasch wissen, obst den Barko kennst.«

»Ich kenne ihn.«

»Wo hält er sich aufi?«

»All überall.«

»Er muß doch eine Wohnung haben!«

»Hast Du etwan eine?«

»Hm, eigentlich nicht. So ist er wohl auch so ein Herumtreiber grad wie ich?«

»Ja. Er handelt mit Blechwaaren, Mausefallen und solchen Dingen.«

»Ah, so hab ich ihn vielleicht schon mal sehen. Wann ich nur wissen thät, wo er grad heut und jetzund steckt! Kannsts nicht vielleichten derfahren?«

»Hm! Wann ich mir Mühe geben thät, so wär es vielleicht möglich.«

»Schön! Wannsts möglich machst, so kannst einen schönen Lohn verdienen.«

»Von Dir?«

»Ja.«

»Wieviel wird das sein?«

»Mehr alst vielleichten denkst. Weißt, dera Barko wird gar nothwendig braucht. Es hat Niemand wußt, daß er noch lebt, selbst sein Brudern nicht.«

»Wie? So weißt also, daß der Barko dem Tausendkünstlern sein Brudern ist?«

»Ja. Erst von Dir hab ich jetzt derfahren, daß er noch vorhanden ist.«

»Das ist freilich ein guter Zufall.«


// 1466 //

»Die Polizei wird sich freuen, wann sie ihn finden kann!«

»So? Warum?«

»Weil er ein Criminali ist, wie es keinen Zweiten giebt.«

»Das weißt auch bereits?«

»Besser als Du!«

»Vielleicht doch nicht besser.«

»Oho! Hast vielleicht von dem Silberbauern hört?«

»Daß er gefangen ist? Ja.«

»Und vom Thalmüllern?«

»Auch. Mit denen Beiden hat dera Barko früher zu thun habt.«

»Verteuxeli! Der Kerl, dera Ludwig, weiß wahrhaftig auch was davon! Wer hat es Dir denn sagt?«

»Erlauscht habe ich es. Und nachhero war dera Barko betrunken und hat allerlei Zeug sprochen, von einem Knaben, der beim Thalmüllern ist und der - ich weiß nicht mehr, wie er heißen soll. Es war so ein gar besonderlicher Name.«

»Etwa Fex?«

»Ja, ja, Fex hat er sagt. Kennst Du diesen?«

»Sehr gut. Und da er diesen Namen sagt hat, so ists nun auch ganz gewiß, daß er dera Richtige ist, den wir brauchen können. Er ist nämlich ein großer Verbrechern.«

»Das weiß ich auch.«

»Du? Woher willst das wissen?«

»Besser weiß ichs als Du. Er ist ein ganz niederträchtiger Schmugglern.«

»Davon weiß ich freilich nix. Kannst das auch beweisen?«

»Ja.«

»Sappermenten! So bist ganz dera Kerlen, den wir gern haben werden.«

»Wanns daraufi ankommen sollt, so kann ich mit noch weit mehr dienen.«

»Bist ein Tausendsassa!«

»Ja. Ich weiß nicht nur, was er than hat, sondern sogar auch noch, was er thun will.«

»Bist etwan allwissend?«

»Nein. Ich habs derlauscht, als er es seinem Kumpan derzählte und es mit ihm verabredete.«

»Was will er thun?«

»Einen Mord.«

»Donnerwettern! Wann?«

»Eigentlich weiß ich nicht, obs recht ist, wann ich Dir Alles sagen thu. Eigentlich sollt ich zu dera Polizeien gehen.«

»Papperlapapp! Wanns sich um diesen Barko handelt, so bin grad ich die allerrichtigste Polizeien; das wirst bald merken und einsehen. Also heraus damit! Wann will er einen Mord thun?«

»Heut Abend.«


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»Herr Jerum! Ist das möglich! An wem denn?«

»Das weiß ich nicht. Kennst vielleichten das Föhrenholz?«

»Natürlich. Es liegt bei Oberdorf, wo ich jetzunder soeben herkomme. Ich bin also durchgegangen.«

»Giebts da eine Mühlen?«

»Nein.«

»Und doch muß es dort eine geben!«

»Nein. Kannst eine ganze Stund im Umkreis laufen, ohne eine Mühlen zu finden. Das weiß ich ganz genau, und auch Du sollsts wissen, da das doch Deine Heimath ist.«

»Ich weiß es ebenso; aber ich bin ganz irre worden. Der Barko hat behauptet, daß es eine Mühlen giebt, welche in dera Nähe des Föhrenholzes liegen muß.«

»So! Was ists denn mit dera Mühlen?«

»Dort soll ein Mord geschehen.«

»An dem Müllern?«

»Nein. Der Betreffende muß ein Fremder sein, welcher jetzunder bei dem Müller wohnt.«

Die Augen des alten Sepp wurden größer.

»Sapperment! Jetzt geht mir eine Ahnung auf. Wirst Dich wohl versprochen haben. Beantwort mir nur schnell die Fragen: Weshalb soll er dermordet werden? Etwan aus Rachsucht?«

»Nein. Sie wollen ihn berauben.«

»Himmelsakra! Hat er denn was?«

»Sie sagten, daß er sehr reich sein muß. Sie redeten von dera Uhr und denen Ringen, von Gold und Diamanten.«

»Das Licht, welches mir aufigeht, wird immer größer. Was sagtens denn noch?«

»Ich hab aus ihren Reden hört, daß er von großer Gestalt sein muß, denn sie nannten ihn einen Riesen.«

»Das ist er auch, ja, das ist er.«

»Was! Kennst ihn etwa?«

»Wart erst noch! Haben sie nicht auch seinen Namen nannt?«

»Es scheint so, daß er grad so heißt wie ich, Ludwig.«

»Himmeldonnerwettern! Jetzund ists richtig, ganz richtig! Habens denn nicht auch sagt, was er ist?«

»Nein.«

»Sie müssen doch davon sprochen haben, ob er was ist, ein Kaufmann, ein Bauer, ein Professorn oder so was.«

»Nein. Nur mal ist ihnen ein Wörtle entschlupft. Das muß aberst ein Versehen sein, denn so was ist doch die allerreinste Unmöglichkeit!«

»Wie lautete das Wort?«

»König.«


// 1468 //

Da fuhr der Sepp mit den beiden Händen nach seinem Hute riß ihn vom Kopfe, warf ihn zu Boden und rief:

»Jetzund ists richtig! Ich habs! Es kann zusiegelt werden so sicher, wie ich da meinen Hut auf die Erde werfen thu. Ja, ja, ists, so ists! Es ist gar kein Zweifel möglich!«

»So ahnsts wohl, wer es ist?«

»Ahnen? Nein, ahnen thu ich es nicht; aber wissen thu ichs wissen, so sicher und gewiß, daß ich gleich tausend Eiden daraufi schwören könnt!«

»Wirst Dich auch nicht täuschen?«

»Nein. Das werd ich nun gleich noch sehen. Also beim Föhrenholz soll diese Mühlen liegen?«

»Ja.«

»Hasts vielleichten falsch verstanden. Haben sie nicht sagt, beim Föhrenbusch?«

Ludwig stutzte.

»Föhrenholz, Föhrenbusch,« sagte er einige Male hintereinander. »Hm! Ich kann es nicht genau behaupten. Diese beiden Worten sind einander so ähnlich, daß man sie ganz leicht verwechseln kann.«

»Denk nur richtig nach!«

»Ja, wann ichs mir recht überleg, so wird es wohl so sein, wie Du es sagt hast. Sie haben nicht das Föhrenholz meint, sondern den Föhrenbusch.«

»Habs mir doch gleich denkt.«

»Giebts denn einen solchen?«

»Freilich giebt es einen, und den kenne ich sehr genau. Es ist so, ich habe Recht. Meine Vermuthung ist ganz die richtige.«

»Wo ist dera Busch?«

»Bei Hohenwald liegt er.«

»Und ist eine Mühlen dabei?«

»Freilich! Gar nicht weit davon.«

»Und da wohnt wohl so ein reicher Kerlen?«

»Ja, und der heißt ganz richtig Herr Ludwig. Der also soll dermordet werden, Der! Herrgottsakra! Wer so was sagen thät, den möcht man ins Irrenhaus stecken!«

»Und es ist aber so. Ich habe es ganz deutlich hört.«

»Heut in dera Nacht? Wirklich? Doch um Gotteswillen nicht eher?«

»Nein. Vor Mitternacht ist er noch ganz sicher; aber hernach kommen sie.«

»Nun, so kannst jetzund nicht nach Haus gehen nach Oberdorf, sondern Du mußt mit mir gleich nach Hohenwald kommen. Mach schnell, daßt austrinken thust!«

»Wanns so steht, muß ich freilich mit. Und das thu ich gern. Eine Ermordung zu verhüten, das war mein Bestreben. Nur hab ich vergebens nach dera Mühlen sucht. Ich hätt nicht dacht, daß ich sie durch Dich finden würd.«


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»Welch ein Glück, welch großes Glück, daßt mich troffen hast! Ohne das wär dera Mord ausführt worden, und hernachens dieses Unglück, dieses Herzeleid, dieses Aufsehen und dieser Jammer!«

»Vielleicht hätt ichs auch ohne Dich funden. Ich hab ja am Nachmittage nach Hohenwald gehen wollt. Dorten hätt ich mich erkundigt und wohl hört, daß es da einen Föhrenbusch und in dessen Nähe eine Mühlen giebt.«

»Auch das ist möglich. Besser aber ists doch, daß wir uns troffen haben.«

»Was ist denn dera Herr Ludwigen für ein Mann?«

»Kein Schustern und kein Schneidern. Er ist ein gar reicher Herr!«

»Ja, die beiden Slowaken redeten gar von Millionen.«

»Die hat er auch. Und dazu ist er ein sehr hoch anstellter Mann. Das Amt, was er hat, ist kein kleines. Also mach, daßt mit mir kommst! Diese Angelegenheit hat eine große Eilen.«

Er setzte seinen Hut auf, warf den Rucksack über und griff nach seinem Alpenstocke. Da sagte Ludwigs Mutter:

»Und ich werd gar nicht fragt, ob ich ihn mit Dir gehen laß!«

»Was giebts da zu fragen!«

»Soll ich allein nach Haus!«

»Wirst den Weg schon finden. Es ist ja heller Tag.«

»Kann er denn nicht nachkommen?«

»Nein. Er muß halt gleich mit mir. Ich halt ihn fest und laß ihn nicht wieder los.«

»Da wollt Ihr gegen zwei Mördern gehen! Herrgottle, Ludwig, thu mir den Gefallen und mach nicht mit! Man weiß nicht was geschehen kann.«

»Mutter, was fällt Dir ein! Es ist meine Pflicht, mitzugehen.«

»Aber wannst sie mit fangen sollst! Da kommts zum Kampf. Wie leicht kannst dabei derschossen oder gar derstochen werden.«

»Halts Maul, alte Heulmeierin!« rief der Sepp. »Natürlich; werden die beiden Kerle festnommen, wanns kommen. Aber dazu brauchen wir Deinen süßen Ludwigen nicht. Da sind noch andera Leuteln da. Oder willst vielleicht auf die Belohnung verzichten, die er zu erwarten hat?«

»Meinst, daß er eine bekommen wird?«

»Und was für eine!«

»Wenn auch. Für fünf Mark oder zehn soll man sein Leben nicht riskiren.«

»Fünf Mark oder zehn! Wo denkst hin! Dera Herr, um den sichs handelt, giebt mehr, viel mehr. Hundert ist da noch zu wenig. Er zahlt tausend.«

»O Jerum!« rief sie, die Hände zusammenschlagend.

»Wohl auch noch mehr!«

»Mach mir nix weiß!«

»Sei still! Du bist halt so dumm, daß man Dir gar nix weiß zu machen braucht. Wir haben jetzt keine Zeit mehr, uns mit der alten tauben


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Großmuttern abzugeben. Hier hast ein Geldl! Zahl die Zech, und mach Dich nachhero davon!«

Er nahm einen Thaler aus der Tasche und legte ihn hin.

»Halt, Sepp, das zahl ich,« meinte Ludwig.

»Du? Du willst zahlen? Für den Wurzelsepp? Da kommst schön an! Heut ist mein guter Tag. Da zahl ich Alles.«

»Was nicht über fünfzehn Pfennige ist, hast vorhin sagt.«

»Das war ein Gespaß. Ich bin ein reicher Kerlen und kann das Geldl wegwerfen, wann ich Lust dazu verspür. Jetzt komm!«

Er wendete sich ab.

»Wann kommst heim, Ludwig?« fragte die Frau.

»So bald wie möglich, Mutter.«

»Doch schon am Nachmittag?«

Da wendete der Sepp sich noch einmal zu ihr herum, machte sein grimmigstes Gesicht und antwortete:

»Willst ihn Dir nicht lieber gleich auf den Buckel binden, he? So eine alte Karfunkeln hab ich doch noch gar nicht sehen! Dera Ludwigen ist Unteroffizieren west und hat sich gar in dera Schlacht das eiserne Kreuzerl derworben, und nun will ihn die Muttern behandeln, als ob er aus Pfefferkuchen backen und mit Prowangseröhlen bestrichen wär. Schäm Dich! Heut kann er nun nicht kommen.«

»O Jerum! Warum heut nicht?«

»Weil er viel zu verzählen hat und als Zeuge dienen muß. Er wird vor Gericht vernommen werden, und - - -«

»Er wird doch nicht etwan gar mit einisteckt werden!« unterbrach sie ihn.

»O Du großartige Dummheiten! Wird man einen Lebensrettern einistecken! Mach Dich von dannen, sonst lauft mir die Gallen in den Magen, und das könnt nachhero leicht mein Tod und letztes Ende sein. Dann käm ich als Gespensten allnachts an Dein Bett und streckte Dir die Zung heraus!«

»Bist aber heut ein Protziger und Grober!«

»Du hast die Schuld daran! Dera Ludwig geht mit mir und kommt erst morgen nach Haus. Er wird der Gast des reichen Herrn sein, den er derrettet hat, und dabei wird er sich wohler und besser befinden, als wannst ihn mit nach Haus nimmst, in Watten und Seidenpapieren einiwickelst und dann ins Glasschrankerl stellst, damit ihm ja kein Lüfterl an die Nasen weht und er den Schnupfen bekommt. So, jetzt hast genug! Merk Dirs, und behalt den alten Wurzelseppen lieb. Wannt wieder mal jung wirst, kannst seine Frau werden. Behüt Gott!«

Er schritt von dannen. Ludwig verabschiedete sich von seiner Mutter, sagte ihr einige beruhigende Worte und folgte dann dem Sepp.

Dieser brummte, während sie rüstig weiter schritten:

»So sind die Weibern. Sie heulen und klagen, wanns an eine Gefahr denken. Aberst sodann, wann die Gefahr wirklich hereinbrochen ist, nach-


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hero könnens auch die richtigen Helden sein. Dann besitzt oft so ein schwaches Weib mehr Muth und Ausdauer als dera stärkste Mann.«

»Hast sie freilich tüchtig ausscholten!«

»Das muß man. Wann ich es ihr nicht gar so derb sagt hätt, hätt sie anfangen zu wimmern wie eine Ziehharmonika, in welche die Katz ein Paar Löchern einifressen hat. Das kann ich nicht ausstehen. Freilich, wanns wissen thät, wer Der ist, dent rettet hast, so würd sie ein gar anderes Gesichterl machen, ein Gesichterl wie Schneeglöckchen und Selleriesalaten.«

»Warum hasts ihr nicht sagt?«

»Weil das Weibsvolken nicht Alles zu wissen braucht. Verstanden?«

»Aber ich darfs wohl derfahren?«

»Eigentlich nicht, denn es ist ein Geheimnissen. Ich denk aberst, daßt ihn kennen wirst.«

»So ist er wohl ein Bekannter von mir?«

»Ein sehr guter sogar, aberst nicht etwan so einer, mit demt schon Sechsundsechzig spielt hast oder einen Scaten oder Schafskopfen. Sehen hast ihn oft, aberst nicht mit ihm redet. Wannst ihn derblickst, so wirst ihn gleich kennen. Darum denk ich, es ist bessern, daß ich Dir schon jetzt sag, wer er ist.«

»Nun, wer?«

»Eigentlich bist ein gewaltiger Dummerian, daßt das nicht schon weißt.«

»Woher sollte ich es wissen?«

»Aus Allem, was sprochen worden ist. Er ist reich; er hat Millionen. Verstanden! Und Ludwigen heißt er auch! Nun denk doch mal nach, wo es in Bayern einen Ludwigen giebt, der so reich ist an Millionen!«

Da hielt der einstige Unteroffizier den Schritt an, legte dem Alten fast erschrocken die Hand auf die Schulter und sagte:

»Sepp, sollt meine Ahnung die richtige sein!«

»Nun, was ahnst denn?«

»Dein Herr Ludwig ist ein Mann von sehr großer, starker Figur?«

»Ja, ein Großer ist er.«

»Und eine hohe Stellung hat er? Wohl eine sehr hohe?«

»Eine gar sehr hohe, ja.«

»Um Gottes willen! Sage mir einmal, ist der König jetzunder in München?«

»Nein.«

»Wo denn?«

»Er ist auf eine Sommerfrischen gangen.«

»Wohin, wohin?«

»Na, nach Hohenwald.«

»Herrgott! Also doch, also doch!«

»Was jammerst denn?«

»Ich jammere ja nicht. Aber nachträglich möcht ich erschrecken über die


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Gefahr, in welcher er geschwebt hat. Also er ists, der König, unser lieber, guter König?«

»Ja, der ist es.«

Ludwig holte tief, tief Athem. Er wollte etwas sagen, aber es kam ihm ein anderer Gedanke. Er wendete sich schnell der Richtung des Weges zu, eilte fort und rief:

»Komm, Sepp, komm schnell! Wir müssen zu ihm, zu ihm!«

Er schritt so aus, daß ihm der Alte gar nicht zu folgen vermochte.

»Kreuzmillionenschockhaselnüssen!« schimpfte er. »Willst gleich anschleifen! Legst sofort den Hemmschuh an! Wer soll denn da mit Dir laufen!«

»Komm nur, komm!«

»Ich komm ja schon! Aberst mach ein Wenig langsamer, sonst bringst mich um! Auf zehn Minuten kann es nun auch nicht ankommen.«

»Auf eine einzige kann es ankommen!«

»Die That soll doch erst in dera Nacht geschehen. Und wannst so fortläufst, so läufst gleich über Hohenwald hinausi und bist um drei Uhr in Hamburgen und um Vier drüben in Amerika. Was soll aus meiner Lung werden und aus den meinigen Beinen. Ich setz mich hier nieder und geh gar nicht von dera Stell. Nachhero kannst Dir den Herrn Ludwigen selberst suchen!«

Er that wirklich so, als ob er sich niedersetzen wollte, und das half.

»Na, komm,« meinte Ludwig. »Du hast Recht. Wir haben ja noch genug Zeit.«

Nun schritten sie neben einander hin, möglichst rasch zwar aber doch nur so schnell, als der Alte auszuhalten vermochte. Dabei mußte Ludwig nun ausführlicher erzählen, was er erlauscht hatte.

Er hütete sich, Etwas zum Vorschein zu bringen, was dem Kerybauer schaden konnte. Er erzählte überhaupt nur, daß er gestern an der Ziegelhütte vorübergegangen sei und da bemerkt habe, daß sich Jemand darinnen befinde. Er hatte sich näher geschlichen und durch die Ladenöffnung Alles mit angehört. Er verschwieg, daß er die beiden Slowaken auch dann am Abende noch einmal beschlichen habe. Der Kerybauer und die ganze Schmuggelei mußte aus dem Spiele bleiben. Als er geendet hatte, meinte der Sepp:

»Das hat halt dera liebe Herrgott schickt, daßt an dera Ziegeleien vorüber bist. Wann das nicht wär, so wär morgen in dera Fruh das Bayern ein Waisenkind. Ich darf gar nicht daran denken, so steigen mir sogleich alle Haaren zu Berge.«

Nun schwieg die Unterhaltung, der Wald, durch welchen der Weg führte, senkte sich tiefer und tiefer, bis der Pfad in die bekannte, von Steinegg führende Straße mündete. Da lenkten sie links ein und sahen bald Hohenwald vor sich liegen.

Sie hatten die bereits vielfach erwähnte Brücke zu überschreiten und bogen dann wieder rechts, um nach der Mühle zu gelangen. Sepp deutete nach einer


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Stelle des Waldes rechter Hand, wo die Wipfel einiger sehr hoher Kiefern über die andern Bäume emporragten.

»Schau,« sagte er, »dort ist dera Föhrenbusch, von welchem die Red gewesen ist. Dort sind jetzunder die Bäumen niederschlagen und das Holz steht zum Verkauf in Klaftern; daher also werden die Kerlen kommen!«

Sie kamen sie an dem Wehre vorüber.

Jetzt kamen sie an dem Wehre vorüber und sahen die Mühle vor sich liegen.

»Siehst das Fenstern hier am Giebel,« meinte der Sepp. »Das ist dasjenige, durch welches sie einisteigen wollen.«

»Da drinnen wohnt der König?«

»Ja.«

»Ein König und eine solche Wohnung!«

»Ja, weißt, Du glaubst gar nicht, was für ein eigener und lieber Herr unser guter König ist. Wer ihn nicht kennt, der denkt, er sei ein recht Kalter und Stolzer. Aberst er ist grad das Gegentheil. Das wirst nun auch derfahren. Komm!«

Sie schritten nach dem Eingange zu. Als jetzt der Augenblick da war, vor seinem Könige zu erscheinen, fühlte Ludwig doch Etwas, was er bisher selbst in der Schlacht nicht empfunden hatte. Er kämpfte es aber tapfer nieder.

Eben kam die alte Haushälterin aus der Thür.

»Dera Sepp!« sagte sie scherzend. »Bist schon wieder da, Du Wegebreit und Unkraut! Wann man mal froh ist und denkt, daßt endlich fort bist, so bist erst recht wiederum daheim!«

»Daran ist nur die schöne Barbara schuld!« antwortete er.

»Ich? Geh und laß mich aus!«

»Nein, ich kann Dich nicht auslassen. Ich hab Dich einmal tief im Herzen drin. Du bist die schöne und liebreizende Schweinefinne, welche mir im Fleische sitzt. Darum komm ich immer wiederum zu Dir herbei!«

»Wannst so weiter redest, werd ich den Tact dazu schlagen,« drohte sie, nach einer Schaufel greifend, welche zufälliger Weise neben der Thür lehnte.

»Das kannst bleiben lassen! Ich bin schon fertig und hab weiter keine Zeit. Ist dera Herr Ludwigen daheim?«

»Ja, er sitzt oben in seiner Stuben und hat die Zeitung in dera Hand.«

»Schön! Komm, Ludwig!«

Er wollte hinauf. Da aber stellte Barbara sich ihm in den Weg und sagte:

»Oho! So rasch geht das nicht! Meinst, ich hab hier gar nix mehr zu gebieten und zu bedeuten! Hier ist kein Ort, wo jeder fremde Vogel ein- und ausfliegen kann, ganz so, wie es Dir beliebt.«

»Hast Recht! Das hätt ich gar beinahe vergessen. Du mußt doch wissen, wer mein junger Freund ist!«

»Auch ein Freund! Wie viele Freunde hast denn eigentlich?«

»Zehntausend und noch einige mehr. Also dieser junge Her der ist


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ein berühmter Professor der Astronomie aus Wien, der vor einigen Tagen den Vollmond entdeckt hat. Und diese hier« - fuhr er fort, auf Barbara deutend - »ist die Fürstin Pompadur die vor sechshundert Jahren die Krinolin derfunden hat. So, nun kennt Ihr Euch, und wir dürfen eini!«

Die Barbara wollte anfangs zürnen, brach aber doch in lautes Lachen aus, gab den Eingang frei und sagte:

»Dich kennt man schon, alter Lügenpatron! Hast nix als bunte Raupen und Würmern im Kopf. Niemals soll ich wissen, wer die Leutln sind, die er mitbringen thut! Aberst ich werds schon noch derfahren, wer dieser Vollmondastronomen eigentlich ist. Er ist weit laufen, das sehe ich schon. Er wird einen Hungern und einen Dursten haben. Darum werd ich gleich einen Schmarren backen, den kann er essen, wann er vom Herrn Ludwigen wieder abikommt. Und nachhero wird er mir sagen, wer er ist.«

Halb gerührt wendete der alte Sepp sich zu Ludwig:

»So ist sie halt immer, die alte, gute, treue Seele. Wann Jemand einikommt, dem muß sie gleich Etwas braten oder backen. Das ist ihr größtes Vergnügen auf dera Erdenwelt, und wanns mal sterben thut, so muß man sie in den Kochheerd oder den Backofen einimauern, sonst findets halt keine Ruhe nicht. Na, mach nur den Schmarren fertig, mein gutes Bärberl, und mach ihn nicht gar zu klein, denn ich helf auch mit essen.«

»Das kannst bleiben lassen! Von mir bekommst im ganzen Leben nix mehr präsenterirt. Du bists nicht werth.«

Da streichelte er ihr die vollen, rothen Wangen und bat zärtlich:

»Nur ein einziges Mal noch! Nicht?«

»Na, ist denn dera Appetiten gar so groß?«

»Ja, und dera Trinketiten noch größer.«

»So will ich mich noch mal derbitten lassen. Aberst mach, daßt Dich endlich besserst, sonst mußt noch verhungern, und wann ich bis an den Hals im Eierkuchen stecken thät!«

»O Jerum! Den möcht ich sehen, was da für eine gar große und dicke Rosinen drinstecken thät. So was Appetitliches und Extrafeines hätts noch gar nie geben!«

Er stieg die Treppe hinauf und flüsterte, oben angekommen, dem ihm folgenden Ludwig leise zu:

»Wart hier heraußen. Ich will Dich erst anmelden. Wann man zum König geht, ists was ganz Anderes, als wenn man seinen Gevattern besucht.«

Er legte Rucksack und Bergstock ab, nahm den Hut vom Kopfe, strich sich das Kopfhaar und den gewaltigen weißen Schnauzbart zurecht und klopfte dann an:

»Herein!« antwortete die sonore Stimme des Königs.

Der Sepp trat hinein und zog die Thür hinter sich zu. Der König richtete den Blick fragend auf ihn.

»Bitt gar schön um Verzeihung, Herr Ludwigen. Es steht Einer draußen, der halt mal mit Ihnen reden möcht.«


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Der Monarch hatte sich für seine Lectüre gerade jetzt wohl mehr als gewöhnlich interessirt, denn er zog, verdrießlich über die Störung, die Brauen zusammen und sagte in einem ziemlich scharfen Tone:

»Hoffentlich kein Querulant!«

»O nein! Das fallt Demjenigen gar nicht ein!«

»Und auch wichtig genug, so daß es sich rechtfertigen läßt!«

»Das versteht sich. Er ist ein guter und ein gar braver Bayer.«

Die Brauen wichen aus einander und ein leises Lächeln war zu sehen. Der König kannte den Alten. Wenn es nach dem Sepp gegangen wäre, so hätte er jeden braven Bayer zum Könige gebracht.

»Kannst Du das verbürgen?« erklang es, besser gelaunt als vorher.

»Von ganzem Herzen! Er ist ein ebenso guter Patriot, wie da mein Hut, auf dem noch keine Blume steckt hat, die nicht im schönen Bayernlande pflückt worden ist.«

»Auf solche Patrioten, wie Dein alter Chapeau da ist, kann Dein König freilich stolz sein. Das ist allerdings eine dringende Empfehlung für Den, der draußen steht.«

»O, der hat noch weit bessere. Er ist Unteroffizieren gewest und zweimal verwundet worden, hat das eiserne Kreuzerl erhalten und dient bei einem reichen Bauern als der Oberknecht, um seine arme Muttern und Schwestern unterstützen zu können.«

»So! Was wünscht er denn?«

»Wünschen und bitten will er nix. Aberst bringen will er dem Herrn Ludewigen was, und zwar das Allerbest, was es nur geben kann.«

»Was meinest Du?«

»Die Errettung vom Tode.«

Der König richtete, obgleich er sitzen blieb, den Oberkörper langsam empor, maß den Sprecher mit einem vollen, erstaunten Blicke und sagte:

»Errettung vom Tode? Wer soll gerettet werden, Sepp?«

»Sie!«

»Sepp!«

Wieder wollten die Brauen sich finster auf die großen, dunklen Augen senken.

»Bitt gar schön um Verzeihung! Aberst wanns nicht erschrecken wollten, so thät ich es sagen, was es ist.«

»Sprich!« erscholl es gebieterisch.

»Zwei fremde Slowaken haben Sie hier in dera Mühlen sehen und derkannt. Sie wollen heut in der Nacht kommen und Sie durchs Fenstern herein derschießen, um sich die Ringen und Diamanten zu holen.«

Da stand der König auf, kam hinter dem Tische hervor und fragte:

»Das ist doch nur die Erfindung eines wahnwitzigen Menschen, welcher es auf ein Geschenk abgesehen hat.«

»Nein, Herr Ludwigen. Es ist die reine Wahrheit. Und wann dera Ludwig Held, wie er heißen thut, nicht das Gespräch der beiden Mördern


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belauscht hätt, so wehten morgen im ganzen Lande Bayern die Trauerfahnen.«

»Sepp, das sagst Du mit solche Ueberzeugung! Bedenke, daß ich es nicht gewöhnt bin, mit mir scherzen oder mir eine ersonnene Fabel aufbinden zu lassen.«

Da antwortete der Alte in höflichem, aber doch einigermaßen vorwurfsvollem Tone:

»Dera Herr Ludwigen kennt mich wohl genau. Ich will gleich hier auf dera Stelle sterben, wann ich nicht vollständig überzeugt bin, daß dera Mordanschlag wirklich und in Wahrheit beabsichtigt wird.«

»Dann wollen wir die Sache untersuchen. Laß den Mann herein!«

»Darf ich auch dabei bleiben?«

»Ja.«

Der Sepp öffnete die Thür.

»Kannst hereinikommen. Fürcht Dich aber nicht und red halt von dera Leber weg!«

Ludwig trat herein, während der Alte die Thür hinter ihm zumachte, stellte sich in militärisch strammer Haltung vor den König hin, blickte ihm fest aber bescheiden in das Angesicht und erwartete so die Anrede des Monarchen.

Dieser musterte den jungen Mann mit scharfem Blicke. Die Prüfung mußte wohl befriedigend ausgefallen sein, denn er nickte ihm gnädig zu und fragte:

»Du kennst mich und weißt, wer ich bin?«

»Zu Befehl, Ew. Majestät.«

»Ich höre, daß ein Anschlag gegen mein Leben geplant worden ist. Bist Du überzeugt, daß dem so ist?«

»Zu Befehl, Ew. Majestät.«

»Nenne mich Herr Ludwig! Ich bin hier nicht der König. Erzähle mir in kurzen Worten, was Du mir zu sagen hast.«

Er winkte ihm dabei, eine bequemere Haltung anzunehmen. Ludwig gehorchte und begann seinen Bericht. Er trug denselben ohne Zagen mit klarer, sicherer Stimme vor. Er versprach sich dabei nicht ein einziges Mal. Seine Art und Weise machte sichtlich einen guten Eindruck auf den König, wenn auch der Inhalt seiner Rede einen ganz entgegengesetzten hervorbringen mußte. Als er geendet hatte, trat er einen Schritt zurück und wartete in ehrerbietiger Haltung auf den Bescheid des Königs.

Dieser sagte zunächst kein Wort. Er trat an das Fenster und blickte längere Zeit hinaus, ohne sich zu regen. Sein Gesicht war nicht zu sehen. Welche Regungen mußten jetzt durch seine königliche Seele gehen!

Als er sich dann wieder umdrehte, zeigte sein Gesicht den Ausdruck ruhiger, milder, wohlwollender Freundlichkeit. Anstatt von dem Mordanschlage zu sprechen, fragte er:

»Bist Du arm?«

»Ja, Herr Ludwig.«


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»Und unverheirathet?«

»Ja.«

Bei dieser Antwort flog eine leichte Röthe über sein offenes, Vertrauen erweckendes Angesicht. Der König bemerkte es. Er konnte nicht drüber in Zweifel sein, was dieses Erröthen zu bedeuten habe.

»Aber Du hast eine Braut?« fragte er lächelnd.

»Eine Braut nicht, aber eine Geliebte.«

Auch den Sinn dieser Worte faßte der Monarch sofort richtig auf, wie gleich seine nächste Frage bewies:

»Ihre Eltern sind wohl dagegen?«

»Nur dera Vatern. Der ist ein reicher Bauern drüben in Slowitz, ich aberst bin ein armer Bub.«

»Slowitz, das ist drüben in Böhmen, hm! Ist der Mann denn gar so reich?«

»So gar mit Scheffeln wird er die Ducaten doch wohl nicht messen können.«

»Erzähle mir von Deiner Familie!«

»O, da ist nicht Vieles zu derzählen. Die leben schlecht und recht und thun ihre Schuldigkeiten. Damit ist wohl Alles sagt, und da kann kein Dichtern eine Novelle oder gar einen Roman draus machen.«

»Dennoch will ich mehr von Deiner Mutter, Deiner Schwester und Deiner Geliebten hören. Von Personen, welche man lieb hat, spricht man doch gern.«

»Ja, das ist schon richtig. Wann ich es so nehmen thu, so könnt mir freilich sogleich das Herz überlaufen.«

»Nun, so laß es einmal überlaufen!«

Der König nahm wieder auf dem Sopha Platz und es gelang ihm, durch aufmunternde Fragen dem bescheidenen Burschen eine aufrichtige Darstellung seiner Verhältnisse zu entlocken.

Der Sepp erlaubte sich zuweilen eine Bemerkung, durch welche er entweder etwas Unbekanntes oder Ungenaues erläuterte, oder dem Erzähler Muth zu machen suchte, weniger zurückhaltend zu sein.

Es waren kaum zehn Minuten vergangen, so hatte Ludwig dem Könige weit, weit mehr erzählt, als er selbst glaubte; denn was nicht gesagt worden war, das wußte die scharfe Combinationsgabe des Monarchen auf das Sicherste zu errathen.

Jetzt war er zu Ende. Es war ein wirklich herzensfreundlicher Blick, welchen der König auf ihn warf, um abermals seine Gestalt zu prüfen.

»Und nun erzähle, auf welche Weise Du im Kriege verwundet worden bist und Dir das eiserne Kreuz verdient hast.«

Auch dieser Aufforderung kam der junge Mann nach, doch in so bescheidener Weise, daß zu hören war, er wolle mehr verbergen als erzählen. Das brachte ihm das Wohlwollen des Königs in noch höherem Maße ein. Der Letztere streckte ihm jetzt sogar die Rechte entgegen und sagte:

Er streckte ihm die Rechte entgegen.


// 1478 //

»Held, Du bist wirklich das, als was der Sepp Dich mir bezeichnete, ein guter, braver Bayer. Ich freue mich, Dich kennen gelernt zu haben, und hoffe, daß auch Du diesen Tag nicht vergessen wirst. Hier, nimm meine Hand. Es passirt nur Wenigen, dieser Auszeichnung sich rühmen zu dürfen. Der Händedruck Deines Königs mag Dir in Erinnerung bleiben für Dein ganzes Leben; er sei Dir die beste Belohnung für Deine Tapferkeit und Treue, ebenso für das, was ich Dir heute wieder zu danken habe, und der Gedanke an den gegenwärtigen Augenblick schwebe immer vor Dir wie ein Engel, welcher Dich vor dem Bösen warnt und vor jedem Fehltritt behütet!«

Das war ernst aber freundlich gesprochen. Der König hielt die Hand des armen Knechtes während der ganzen Rede fest umschlossen. Ludwig schluchzte. Es war ihm so selig, so fromm zu Muthe, wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er bückte sich nieder, drückte seine Lippen auf die königliche Hand und konnte es nicht verhindern, daß dabei einige Thränentropfen auf dieselbe fielen.

»Mein König und mein Herr,« schluchzte er, »ich möcht vor Wonne und vor Leid gleich sterben. Es ist mir, als ob meine Seele ausnander springen möcht vor Freude und vor Glück, doch ists mir auch ganz so, als ob ich ein ganzes Meer von Wehmuth in mir hätt, vor Wehmuth darüber, daß ein solcher Herr sich herabläßt, in dieser Güt und Freundlichkeiten mit mir zu reden. Verlangens mein Leben und ich gebs her, gleich auf dera Stell und mit tausend Freuden.«

»Nein,« lächelte der König gerührt, »ein solches Opfer verlange ich nicht von Dir. Du sollst leben, Dir und mir zu Freude. Du hast mir das Leben erhalten und dafür soll es fortan mein Bestreben sein, daß das Deinige sich glücklich gestaltet. Mein Dank wird nicht auf sich warten lassen.«

»O nein, Dank sinds mir gar nicht schuldig. Wann Einer von uns dem Andern danken muß, so bin halt nur ich Derjenige. Ich hab nur meine Schuldigkeiten than, und dabei ist doch gar nix, denn es war Alles so gar leicht und ich hab nix dabei zu wagen habt. Aber die Hauptsach ist, daß Sie wirklich meinen, mir einen Dank schuldig zu sein. So glaubens nun also, daß ich die Wahrheiten sagt hab?«

»Ja. Nachdem ich Dich gehört habe, bin ich vollständig überzeugt, daß ich morgen nicht mehr leben würde, wenn Du nicht gekommen wärest, mich zu warnen.«

»Gott sei Dank! Darauf, daß Sie das glauben, kommt ja Alles an. Da werdens nun also auch die Vorbereitungen treffen, daß der Anschlag nicht gelingen kann.«

»Ja, das werde ich ganz gewiß, und da wirst Du auch erkennen, daß Deine Warnung für Dich nicht ganz so gefahrlos ist, wie Du vorhin meintest.«

»Ich hab doch wirklich keine Gefahr gehabt.«

»Bis jetzt noch nicht. Sie wird aber ganz gewiß noch kommen. Es fällt mir natürlich gar nicht ein, dem Mordanschlage nur aus dem Wege zu gehen, sondern die Hauptsache ist, die Mörder für alle Zukunft unschädlich zu machen.«


// 1479 //

»Freilich, freilich! Das denk ich auch. Wir müssen sie ergreifen.«

»Wir, sagst Du?«

»Ja, natürlich!«

»So willst Du also auch mit dabei sein?«

»Ich hab mir das als eine ganz besondere Gunst und Gnad erbitten wollt.«

»Nun siehst Du, das ist es ja grad, was ich meine. Die Festnahme solcher Leute ist doch nicht ungefährlich, und wenn Du Dich dabei betheiligen willst, so begiebst Du Dich in Gefahr.«

»Sappermenten!« meinte Ludwig stolz. »Ich bin doch nicht etwa dera Kerlen, der sich vor den Beiden fürchten thut!«

Er hatte sich bei diesen Worten stramm emporgerichtet, und blickte dem Könige fast herausfordernd ins Gesicht. Dieser lächelte fröhlich und meinte:

»Ja, wie Du so dastehst, so machst Du wohl den Eindruck, daß Du kein Hase bist.«

»Na, ein Has, wann ich der wär, so thät ich mich gleich vor mir selber schämen. Nein, nein. Wissens, Majestät, wanns die Kerlen dergreifen wollen, so brauchens dazu keinen Andern, als halt nur mich ganz allein. Ich nehm sie Beid beim Wipfel, daß es ein Vergnügen sein soll.«

»Ich traue es Dir zu; aber Vorsicht ist auch hier nothwendig. Du wirst mir schon erlauben müssen, noch einige Andere daran zu betheiligen.«

»Das versteht sich ganz von selbst,« fiel da der alte Wurzelsepp ein. »Ich bin nicht Derjenige, der in der Ferne stehen möcht, wanns einen solchen Fang gilt.«

»Also auch Du, Alter, wirst mit helfen?«

»Natürlich! Oder meinens etwa, daß ich kein Mark mehr in denen Knochen hab? Da will ichs doch lieberst gleich mal zeigen. Komm her, Ludwig. Wollen mal mit nander raufen, damit unsera Majestäten sieht, was dera Wurzelsepp noch vermag.«

Er streifte die Aermel seiner alten Jacke empor, ballte die Fäuste und trat auf den Oberknecht zu.

»Halt,« lachte der König, »wir sind hier in keiner Schänke. Ich glaube auch ohne diesen Beweis, daß Du Dich nicht gleich werfen lassen wirst.«

»Gewißlich nicht! Ich möcht denen Urian sehen, der den Wurzelsepp zu Boden bringen will. Und so zwei armselige Slowakern, das wären die Richtigen dazu! Also wir Beiden, dera Ludwigen und ich, wir genügen. Es braucht kein Dritter da zu sein.«

»Hm! Ihr seid wirklich recht siegesgewisse Leute. Ich fürchte mich auch nicht, aber um allen Zufälligkeiten vorzubeugen werde ich noch Zwei zu Euch commandiren.«

»Noch Zwei? Etwa den Müllern?«

»Nein. Der darf von der ganzen Angelegenheit nichts wissen.«

»Nichts? Das ist gefehlt. Er ist doch dera Hauswirthen muß unterrichtet werden.«


// 1480 //

»Grad er auf keinen Fall. Er würde sich dabei vielleicht so verhalten, daß die Slowaken es bemerkten, daß sie verrathen worden sind.«

»Ja, dieser Gedank ist wohl richtig. Wann er es dera Barbara plaudert, so erhebt die ein Geschrei, daß man es in Asien und Amerika hören thut. Das thäten die Kerlen vielleicht merken.«

»Das ist ja meine Ansicht. Wir müssen uns die Sache gut überlegen.«

»Ganz richtig!« schmunzelte der Sepp. »Wir müssen es machen wie ein kluger Generalen, bevor er die Schlacht beginnt. Es gehört da eine richtige Strategerie und Taktiken dazu. Und dieses Beides verstehen wir.«

»Du ganz besonders,« nickte der König belustigt. »Darum sollst auch Du der Erste sein, den ich um Rath frage. Also wie werden wir uns am Besten verhalten müssen?«

»Das ist doch sehra leicht. Wir warten, bis sie kommen, und greifen tüchtig und schnell zu. Wann wir sie nachhero einmal in denen Fäusten haben, so kommen sie gewißlich nicht wieder los.«

»Was sagst Du dazu?« fragte der König den Knecht.

»Ich bin gegen diese Ansicht,« antwortete der Genannte in bescheidenem Tone.

»Warum?«

»Weil wir denen Mördern auf diese Weis Gelegenheit geben, eine Ausred zu machen.«

»Du hast sehr Recht.«

»Wir dürfen sie nicht gleich dergreifen, wann sie kommen, sondern wir müssen warten, bis sie den Mord begangen haben.«

»Bist verrückt?« rief der Sepp.

»Nein, das bin ich nicht.«

»Aberst Du meinst halt doch, daß sie unsere Majestäten dermorden sollen!«

»Das hab ich nicht sagt. Wir müssen sie auf dera That ertappen. Wir müssen warten, bis sie schossen haben und durch das Fenstern in die Stub einisteigen.«

»Jetzund bleibt mir dera Verstand gleich stillstehen! Sie sollen schießen und doch soll dera König nicht dermordet sein?«

»Nein, er lebt noch.«

»Aberst er wird sich doch nicht etwan hier ins Bett legen sollen?«

»Nein.«

»O Du Schwachkopf Du! Wann er nicht drin liegt, so schießens eben nicht!«

»Es legt sich ein Anderer hinein!«

»So schießens den todt, weils ihn für den König halten!«

»Das schadet nix.«

»Mensch, Dein Hirn möcht ich sehen! Das muß wie ein Leimtopf ausschauen! Wer soll sich denn hineini legen und derschießen lassen? Etwan ich? Fallt mir nimmer ein! Ich hab meinen König lieb und bin bereit, mein Leben für ihn zu wagen, aberst auf eine so unnöthige Art und Weisen sich


// 1481 //

im Bett umbringen lassen, dazu bin ich nicht als kleiner Bub auf die Welt kommen. Oder willst Du die Rolle übernehmen?«

»Nein. Hab ebenso wenig Lust dazu wie Du.«

»Wer solls dann sein?«

»Eine Puppe.«

Der alte Sepp sperrte das Maul weit auf, starrte ihn einige Augenblicke an, gab sich dann selbst eine schallende Ohrfeige und sagte:

»Sepp, Sepp, was bist doch für ein Dummrian gewest. Dera Ludwig hat Recht! So ein Gedank kann halt gar nicht besser sein! Wir machen eine Pupp, eine Figurenperson, und legen sie ins Bett. Wanns nachhero diese erschießen, so ists nicht schad um sie.«

»Nein! Wir aberst können denen Beiden beweisen, daß sie den König und Herrn haben derschießen wollen.«

»So ists! Ludwig, bist wirklich kein dummer Kerlen! Aberst wanns etwan merken, daß es nur eine Puppen ist!«

»Das merkens nicht. Dera Usko hat sagt, daß dera König ein Nachtlichten brennen thut. Dasselbige müssen wir so klein machen, daß es nur einen geringen Schein abgiebt. Nachhero brauchen wir gar keine ganze Figuren in Menschengröße, sondern nur einen Kopf, den wir auf's Kissen legen. Und das Deckbett ziehen und legen wir so, daß es den Anschein hat, als ob der Leib unter demselbigen läg.«

»Ich stimm vollständig bei! Nachhero könnens einistiegen und - Himmelsacra, den Kopf hab ich schon!«

»Den Deinigen etwa?«

»Nein, den geh ich nicht dazu her. Drunten im Gewölb hat dera Müllern einige Kürbissen liegen. Aus denen schneiden wir den Kopf. Die Schale ist dunkel, die giebt das Haar. Auf dera anderen Seiten schneiden wir sie weg und schnitzen ein Gesichten mit Mund und Nas und Stirn und Augen. Das soll ein Prachtkopf werden. Meinst nicht auch, Ludwig?«

»Ja, das ist das Best, was wir thun können, wann nämlich unser Herr damit einverstanden sein will.«

Der König hatte die Beiden nicht unterbrochen. Jetzt, als Ludwig die letzten Worte direct an ihn richtete, antwortete er ihm:

»Es ist wirklich eigenthümlich, daß Du ganz denselben Plan entwickelst, welcher auch mir vorschwebte. Ich hatte gleich den Gedanken, mich einer Puppe zu bedienen. Und der Kürbis ist geeigneter als jedes Andere dazu. Nur darf der Müller einstweilen noch nichts davon merken, daß ihm ein solcher fehlt.«

»Er soll nix wissen,» antwortete der Sepp. »Ich bin ein ehrlicher Kerlen, aberst bei so einer Gelegenheiten kann ich mausen wie ein Rab oder eine Elster.«

»Gut! Aber wer schneidet das Gesicht?«

»Ich,« antwortete der Alte.

»Wirst Du es bringen?«


// 1482 //

»So gut und noch bessern als jeder Andere. Wann ich zuweilen ins Oberammergau kommen thu, so hab ich gute Bekannte unter denen dortigen Holzschnitzern und da sitz ich allemalen tagelang bei ihnen und schneid irgend eine Figuren zurecht.«

»Aber wie!« lachte der König.

»Oho! Da giebts halt gar nix zu lachen! Ja, erst, da wollts nicht recht gelingen. Wann ich einen Frauenkopf schneiden wollt, so war es ein Elephantengesicht und wann ich ein Pferd schnitzen wollt, so wars nachhero ein Papageien. Sodann aberst gings immer besser und besser und jetzt bring ich ganz genau das, was ich bringen wollt. Also dera Kürbiskopf wird ganz gut werden, und wann ich mir ein Wengerl Mühen geb, so glaub ich sogar, daß er einige Aehnlichkeiten haben soll.«

»Das möchte ich mir eigentlich verbitten,« scherzte der König.

»Werdens sich aber diesmalen doch gefallen lassen müssen! Je ähnlicher die Visagen wird, desto eher lassen die Slowaken sich täuschen. Nun möcht ich auch wissen, wer die Anderen sind, die mit helfen sollen.«

»Zwei gute Bekannte von Dir. Der Lehrer und der Fex.«

»Ah, diese Beiden! Das laß ich mir schon gern gefallen. Wann die mit dabei sind, da muß die Sach gelingen. Wie aberst soll es anfangen werden?«

»Sehr einfach. Nachdem wir den Kopf in das Bett gelegt und die Decke so draperirt haben, daß es den Anschein hat, als ob ein Mensch unter derselben liege, verstecken sich Zwei von Euch hier im Zimmer. Die zwei Andern aber verbergen sich draußen vor dem Fenster so, daß sie den Mördern nahe sind, ohne von ihnen bemerkt zu werden.«

»Das ist leicht. Es steht ja Hollunder längs dera Mauer hin. Das giebt ein gutes Versteck. Aberst ich mein, daß es besser sei, wann sich Alle hier in dera Stub verstecken. Nachhero kommen die Mörder einistiegen und werden sogleich dergriffen.«

»Nein, dazu rathe ich nicht und ich habe meine guten Gründe. Ich muß Euch so viel wie möglich schonen.«

»Uns? Wer soll uns Etwas thun? Wir sind doch vier Personen gegen zwei.«

»Das ist richtig. Ich bin überzeugt, daß Ihr die Beiden überwältigen werdet; aber es ist doch leicht möglich, daß es trotz Eurer Uebermacht zum Kampfe kommen kann.«

»Wehren werden sich die Hallunken freilich, aberst es soll ihnen nix nützen. Wir nehmen sie halt gleich so fest, daß sie sich gar nicht rühren können.«

»Es fragt sich, ob Euch das gelingt. Und ich glaube, die Slowaken haben gefährliche Waffen bei sich. Wie leicht könnte da Einer von Euch verwundet werden!«

»Was schadet das? Gar nix!«

»Aber es kann und muß verhütet werden. Uebrigens dürft Ihr nicht


// 1483 //

denken, daß Alles so glatt gehen wird, wie Ihr es Euch denkt. Die Beiden können nicht zugleich einsteigen. Der Eine kommt hinter dem Andern. Wenn nun Derjenige von ihnen, welcher voransteigt, bemerkt, daß der Kopf ein vingirter ist; so -«

»Ein vingirter - wie soll ich das verstehen? Er ist doch aus einem Kürbis schnitten!«

»Vingirt heißt ein nachgemachter, unechter Kopf.«

»Ach so! Nun, wann ers bemerkt, so hat das nix zu bedeuten. Wir dergreifen ihn doch.«

»Aber dann wohl den Zweiten nicht. Der Erste wird sofort zurück wollen.«

»Wir halten ihn fest.«

»Ja doch, aber der Zweite, welcher noch nicht in der Stube ist, wird Zeit gewinnen, zu entkommen.«

»Sappermenten, das soll er nicht!«

»Es kann ihm aber gelingen, wenn alle Vier sich hier befinden. Nein, zwei von Euch müssen unbedingt draußen sein. Ich denke mir, daß dann der Erste von Zweien hier und dann der Zweite von den anderen Zweien draußen, während er sich beim Hereinsteigen befindet, festgenommen wird.«

»Hm, das will mir jetzund einleuchten. Das wird das Beste sein.«

»Ganz gewiß. Ich selbst werde mich draußen vor der Thür befinden und im geeigneten Augenblicke hereinkommen. Stricke, um die Strolche zu binden, müssen vorhanden sein.«

»Die werd ich auch besorgen und zwar vom allerbesten Hanf. Wann ich sie gleich daran aufihängen könnt, so sollts mir eine Gaudi und Vergnügen sein.«

»Also wann wollen sie kommen?«

»Ich denk mir halt, daß sie kurz nach Ein Uhr hier sein werden,« antwortete Ludwig.

»So müssen wir bis Mitternacht die Vorbereitungen beendet haben. Und wie waren ihre Namen?«

»Usko und Zerno. Aberst dera Usko heißt eigentlich anderst, nämlich Barko. Er ist ein Zigeunern, das hab ich derlauscht, und soll einen Bruder hier in Hohenwald haben, nämlich den Tausendkünstler Jeschko.«

Diese Mittheilung machte einen sehr schnellen Eindruck auf den König.

»Jeschko?« sagte er. »Den Signor Bandolini? Dessen Bruder ist er? Ah, das hinge ja mit der Vergangenheit des Fex zusammen!«

»Ja, vom Fex habens auch mit nander sprochen!«

»Welch ein Fang, den wir da machen werden! Vielleicht erhalten wir da Aufklärung über Verschiedenes, was uns bisher noch dunkel gewesen ist. Sepp, gehe doch in das Wirthshaus und schicke mir den Tausendkünstler heraus. Ich muß mit ihm sprechen.«

»Darf er wissen, wers ist, mit dem er da redet?«


// 1484 //

»Nein. Uebrigens kennt auch Ihr Beide mich nicht. Ich heiße Ludwig, anders nicht.«

»So werd ich gleich laufen. Die Barbara kann mit ihrem Schmarren, dens machen wollt, warten, bis ich wiederum zuruck bin.«

Der König lächelte über diese Bemerkung des Alten und sagte:

»Na, so eilig habe ich es nicht. Wir haben ja noch lange Zeit. Also laß Dir immerhin den Schmarren vorher schmecken. Es genügt, wenn dieser Bandolini überhaupt noch vor Abends zu mir kommt.«

»Na, bis dahin bringe ich ihn schon her citirt, so wie er leibt und lebt.«

»Schön! So sind wir also für jetzt fertig. Ich danke und werde Euch noch weiter danken. Wo wirst Du Dich bis zum Abende hier aufhalten?«

Ludwig, an welchen diese Frage gerichtet war, antwortete:

»Ich bleib mit dem Sepp beisammen. Wo der ist, da bin ich auch. Und wann uns die Zeit zu langsam vergeht, so ist doch eine Schänk im Dorf, wo man sich eine Kurzweil bereiten kann.«

»So will ich wenigstens verhindern, daß Du um meinetwillen Dein schwer verdientes Geld verzehrst. Hast Du eine Geldtasche mit?«

»Ja, einen Beutel hab ich gar wohl.«

»So mache ihn einmal auf.«

Er zog seine Börse hervor, um den Inhalt derselben in Ludwigs Beutel zu schütten. Der junge Bursche aber fuhr wie erschrocken zurück und sagte:

»Nein, nein! Ich dank gar schön! So was kann ich nicht zugeben!«

»Ich wünsche es aber.«

»Alles, Alles will ich thun, Majestät, aberst eine Bezahlung annehmen, das möcht ich nicht. Wann Sie es gebieten, so muß ich freilich gehorchen, aberst ich bitt gar schön, es nicht zu thun.«

Da reichte der König ihm die Hand.

»Braver Bursche! Aber wie soll ich Dir dankbar sein, wenn Du nichts von mir annehmen willst?«

»Ich hab den Dank bereits genossen und werd ihn im Herzen haben, so lang wie ich lebe.«

»Nun gut, so sollst Du Deinen Willen haben. Also geht jetzt zu Eurer Barbara und schickt mir den Fex und den Lehrer herbei, wenn Ihr diese Beiden trefft. Sagt ihnen aber ja nicht, um was es sich handelt.«

Der Sepp machte eine seiner curiosen Verbeugungen; der Andere aber machte ein militärisches Honneur; dann gingen sie. Draußen nahm der Alte Alpenstock und Rucksack auf und stieg die Treppe hinab. Unten wendete er sich an seinen Gefährten:

»Nun, was sagst dazu?«

»Gar nix!« antwortete Ludwig leuchtenden Angesichts.

»Hast die Sprach verloren?«

»Beinahe.«

»Und wie ists Dir zu Muthe da herum, in dera Gegend, wo das Herz sitzen thut?«


// 1485 //

»Ganz unaussprechlich.«

»Ja, man siehts Dir auch an, daßt im siebenten Himmeln bist. Ich weiß, wie es mir da unterm Kamisol gewumpert und gepumpert hat, als ich zum ersten Male mit ihm sprach. So einen Zweiten giebts halt nicht. Oder kennst vielleicht Einen?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Vergiß diese Stund nicht, Ludwig. Du wirst bald erkennen wie wichtig sie für Dein Leben sein wird.«

»Es wird die schönste und heiligste Stund meines ganzen Lebens sein und bleiben.«

»Ja, aberst nicht nur in dieser Beziehung, sondern auch in einer anderen. Dein Leben wird eine ganz andere Gestalt erhalten. Du wirst die Füßen auf einen ganz neuen Weg zu setzen haben.«

»Wie meinst das?«

»Das kannst Dir nicht denken? Warum hast das Geldl nicht angenommen? Ich habs so blinken sehen. Es waren viele Goldstuckerln dabei.«

»Das hab ich auch sehen. Aberst eher wär ich davonlaufen, als daß ich ein Geldl genommen hätt. Eine Bezahlung von meinem guten König! Nein, nein! Und wann ich verhungern sollt, das, was ich than hab, diese Pflicht und Schuldigkeiten laß ich mir nicht bezahlen.«

»Ja, das ist brav und auch klug. Es scheint, daßt ein gar kluger Rechner bist.«

Sein Blick war mit einem schalkhaften Ausdruck auf Ludwig gerichtet.

»Ja, rechnen kann ich wohl,« antwortete dieser ganz unbefangen.

»Das hab ich gleich dacht, sonst hättst das Geldl nommen.«

»Wie meinst denn das?«

»Nun, weilst nun noch viel mehr bekommen mußt.«

»Was fallt Dir ein!«

»Geh, thu doch nicht so, als obst mich nicht verstehen thätst. Ein Kluger bist, ein gar Kluger, das hab ich sagt und das werd ich auch noch fernerhin sagen.«

»Sapperment! Sag doch, wast meinst! Ich kanns nicht begreifen.«

»So, den Geheimnißvollen willst auch dazu spielen? Da kommst bei dem alten Sepp nicht gut an! Er schaut Dir durch und durch. Oder denkst etwan, daß der König sich von Dir das Leben retten läßt, ohne es Dir zu danken. Da bist schief gewickelt.«

»Ich will aber keinen Lohn!«

»Ja, das ist eben die Klugheit von Dir. Wannst das Geldl nommen hättest, so wären es vielleicht hundertundfünzig oder zweihundert Markerln gewest. Das war freilich zu wenig für das Leben eines Königs.«

»Sepp, was fallt Dir ein?«

»Was mir einifallt? Gar nix und doch auch viel. Du magst keinen Lohn? Denkst etwan, dera König richtet sich darnach, wast magst oder nicht?


// 1486 //

Er wird Dich belohnen, darauf kannst Dich verlassen und weilst das Geldl nicht nommen hast, nun grad wird er Dir noch mehr geben.«

»Er soll mir nur kommen!«

»Was willst dagegen machen?«

»Ich nehm halt nix. Das ist gewiß.«

»Auch die Gisela nicht?«

»Die hat nix damit zu thun.«

»So! Bist wirklich ein gescheidter Kerlen! Na, dera Wurzelsepp wirds dem König sagen, daßt nix haben magst, nicht mal die Gisela und wannst nachhero als alter Junggesellen begraben wirst, so darfst nicht schimpfen, denn Du selbst bist schuld daran. Aberst jetzt still, denn da guckt sie schon!«

Die Barbara war nämlich unter die halb offene Küchenthür getreten.

»Was giebts denn da unter Euch zu zanken?« fragte sie. »Daß nun dera Sepp niemalen Ruh und Frieden halten kann! Kaum hat er einen neuen Bekannten entdeckt, so schimpft er auf ihn hinein. Der kann mir gut gestohlen werden!«

»So stiehl ihn Dir selberst, denn eine alten Spitzbübin bist doch immer gewest. Wie steht es denn in dera Küchen! Ist das Essen bald fertig?«

»Noch nicht. Und wannst mich störst, so kannst noch lange warten. Schaff, daßt wiederum hinausi kommst.«

Er war nämlich zu ihr in die Küche getreten, sie aber schob ihn wieder hinaus.

»Wie fein das riecht!« lachte er. »Wie nur gleich? Jetzt weiß ich wirklich nicht, was sie uns zusammenschmort.«

»Brauchsts auch nicht zu wissen; wirsts schon bald derfahren. Also, mach Dich davon.«

Sie schob ihn vollends heraus, machte die Thür zu und schob von innen den Riegel vor, freilich nur zum Scherz. Da drehte er von außen den Schlüssel um und flüsterte Ludwig zu:

»Das macht sich gut. Jetzunder kann sie nicht heraus und ich werd den Kürbis mausen.«

»Wo ist er?«

»Gleich hinter dera Thür daneben.«

»Wo schaffst ihn hin?«

»Hinaus in den Garten. Da versteck ich ihn in den Büschen und kann ihn mir nachhero heimlich holen.«

»Aber sieht Dich Niemand?«

»Nein, denn ich hör, daß dera Müller in der Mühlen ist. So ist die Luft rein und es wird Niemand merken, was ich thu. Geh also hinein in die Stub. Ich komm auch gleich nach.«

Ludwig folgte dieser Aufforderung. In der Stube war Niemand. Er setzte sich auf einen Stuhl an den Tisch. Da knarrte hinter ihm eine Thür. Er blickte sich um und sah das rothe, lachende Gesicht der alten Barbara.

Wenn der Sepp geglaubt hatte, sie fest eingeschlossen zu haben, so war er


// 1487 //

im Irrthum gewesen, denn die Küche hatte ja zwei Thüren, eine nach dem Hausflure und eine nach der Wohnstube. Durch diese letztere kam sie jetzt herein.

»Wo ist er?« fragte sie leise.

Ludwig war beinahe erschrocken. Wie nun, wenn Sepp jetzt erwischt wurde?

»Wer denn?« fragte er verlegen.

»Nun, dera Sepp.«

»Er ist noch draußen, wird aber sogleich reini kommen.«

»Warum hat er den Schlüssel umidreht?«

»Hat er das macht?«

»Ja.«

»So möcht ich wissen, warum! Vielleicht weil Du selbst auch zuschlossen hast!«

»Nein, denn wann ich zuschließ, so braucht er nicht noch auch zuzuschließen. Er hat glaubt, ich bin nun einischlossen und kann nimmer heraus. Wer weiß, was für eine Narrheiten er treiben will. Ich werd gleich mal nachschauen.«

Sie schritt nach der Stubenthür.

»Sapperment, wo willst hin?« fragte Ludwig.

»Hinaus.«

»So bleib doch da.«

»Warum? Was machst für ein Gesicht?«

Sie betrachtete ihn aufmerksam. Er versuchte, gleichgiltig zu erscheinen und antwortete:

»Was soll ich für eins machen? Das meinige doch.«

»Das weiß ich. Aberst das ist in diesem Augenblicke ein gar besonderbares. Bist doch ganz verlegen. Weshalb denn?«

»Verlegen? Ich? Das fallt mir gar nicht ein! Ich wüßt auch nicht, warum?«

Er war langsam näher gekommen und versuchte nun, sich zwischen sie und die Thür zu stellen. Das aber fiel ihr auf. Sie gab ihm einen gelinden Rippenstoß und fragte:

»Was willst hier? Warum bleibst nicht dort sitzen, wost sessen hast?«

»Weil ich mit Dir sprech, komm ich herbei.«

»Kannst auch dort sprechen. Weißt, Du kommst mir verdächtig vor.«

»Was fallt Dir ein!«

»Ja. Dera Sepp schließt mich in die Küchen ein und Du versperrst mir den Weg. Da ist was nicht richtig in denen Backbirnen. Ich muß doch gleich mal nachschauen.«

Sie griff nach der Klinke; er aber faßte ihre Hand und sagte:

»Was hast für Gedanken! Bleib doch hier! Der Sepp wird gleich kommen.«

»Ja, aber ich werd ihm auch gleich kommen!«

Sie riß sich los und stieß die Thür auf.


// 1488 //

»Herrjemineh!« rief sie aus.

»Himmelsacra!« schrie draußen der Sepp.

Er war in diesem Augenblicke aus der gegenüber liegenden Thür des Gewölbes getreten, einen Kürbis von der Größe eines Männerkopfes in den Händen. Jetzt ließ er ihn vor Schreck fallen, so daß die Frucht bis vor Barbaras Füße rollte.

Nun standen sie sich gegenüber unter den beiden offenen Thüren.

»Was machst da?« fragte sie erstaunt.

»Das siehst ja,« stotterte er.

»In dem Gewölb bist gewest?«

»Leider!«

»Und den Kürbis hast mausen wollt!«

»Ja, leiderer!«

»Wohin hast ihn denn schaffen wollt?«

»Auf den großen Pappelbaum draußen vor dera Mühlen.«

»Bist ein Unnutz, den Niemand bessern kann.«

»Und Du bist eine alte Hexen, vor welcher kein Engel und kein Teuxel sicher ist. Wie kommst denn hier herbei? Ich hab Dich doch ganz fest einischlossen habt!«

»Ja, hast aberst nicht daran dacht, daß aus dera Küchen auch eine Thür in die Stuben führt.«

Da gab er sich wieder eine Ohrfeige und zwar noch viel kräftiger, als vorhin droben beim Könige.

»Verteuxeli!« schimpfte er. »Diese zweite Thüren hab ich freilich ganz vergessen habt. Nun steh ich da, wie ein Schulbub, der sich die Hosen vorn und hinten zerrissen hat.«

»Ja, ein Bub bist, aberst kein Schulbub, sondern ein Spitzbub. Für wen hast denn den Kürbissen haben wollt?«

»Für mich.«

»Wozu?«

»Das brauchst nicht zu wissen.«

»So! Also nicht mal derfahren soll ichs, warum ich bestohlen werd? Gleich schaffst den Kürbissen wiederum hinein!«

»Das ist schlimm! Könntst ihn mir doch auch lassen!«

»Ja, das könnt ich, denn auf einen Kürbissen kommts mir halt gar nicht an; aberst wissen muß ich, wozu ihn brauchen willst.

»Das darf ich nicht sagen.«

»So bekommst ihn auch nicht. Also heraus mit dera Sprachen. Willsts sagen oder nicht?«

»Nein.«

»So schaff ihn wiederum hinein!«

»Sappermenten! Das ist eine ganz verfluchte Geschichten!«, lachte er. »Jetzund muß dera Spitzbub die Sach wieder zurucklegen.«

Er bückte sich und hob den Kürbis auf.


Ende der zweiundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk