Lieferung 7

Karl May

11. September 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Kanns nicht sagen. Ich wohn am Liebsten da, wo ich mich selbst und freiwillig eingemiethet hab. Dein Brustkasten ist kein Häuserl für mich. Thu halt doch eine Andre hinein, so wohl die Großmagd vom Staffelbauern oder eine Aehnliche.«

»Himmeldonner! Willst mich etwan ärgern mit dem Staffelbauern seiner Magd?«

»Nein. Ich meins sehr ehrlich. Das wäre so eine Richtige für Dich. Hat auch so breite Schultern wie Du, eine grad solche Fumpsnase und wascht sich alle Jahr nur zweimal. Da, wann Du sie nähmst, könntst sehr viel Wasser ersparn.«

»Bist doch ein Sakrifix! Schau, schau, willst Dich über mich breit machen! Das gefallt mir; das ist mir schon recht; so Eine hab ich gern. Wann Du nachher später das meinige Weib bist, so nimmst Du den Besen und ich die Mistgabel, und wir probiren damit, wer der Herr im Haus ist.«

»Du nicht und ich nicht. Wann ich mal ein Haus hab, so wirst Du halt weit davon wohnen.«

»Au weih! Das klingt schlecht und schlimm; aber es wird halt nicht grad so ausgelöffelt, wie Du es in die Suppen quirlst. Weißt, wo ich jetzt grad eben hingehn will, Dirndl?«

»Nein.«

»So rath einmal!«

»Ist nicht nöthig. Wo Du hin willst, das ist mir sehr schnupprig; warum soll ich mir also den Kopf darüber zerbrechen. Lauf, wohin Dein Schnabel zeigt.«

»Nun, der zeigt zu Dir und nach der Thalmühl hin.«

»Was willst da? Ein Kalb kaufen oder eine Kuh? Grad alleweil haben wir nix feil. Mußt also warten bis zum Herbst. Komm nachher wieder!«

»Schau, wie rasch Du bist, mich fortzujagen. Ich bin zwar ein Viehhändler, und ich kauf auch viel bei Euch, heut aber komm ich nicht, um mir einen Ochsen anzusehen. Es ist zwar auch ein Handel, den ich machen will, aber kein solcher, wie Du meinst.«

»So brauchst halt gar nicht zu kommen.«

»Meinst? Na, ein Kalb ists eigentlich auch, was ich haben will, eine kleine, junge, hübsche Kalbin, und diese, die heißt Paula.«

Sie trat einen Schritt zurück, blickte ihn groß an und fragte:

»Eine Kalbin? Die heißt Paula? Meinst etwan mich?«

»Wen sonst?«

»Nun, das ist gut! Das ist schön. Für einen Grobian kennt Dich ein jeder Mensch, aber daßt gar so ein großer Flegel bist, das hab ich mir doch nicht dacht. Das ist auch schon mehr als Flegel; das kann nur ein ganz Ausverschämter sagen, ein Rumpauf und Unhold, wie nur Du allein bist und wie es gar nimmer keinen zweiten giebt. Jetzt kenne ich Dich noch genauer als vorher, und jetzt nun kann ich weiter nix zu Dir sagen als:


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Mach, daßt mir aus den Augen kommst! Ich scham mich vor mir selber, daß ich überhaupt hier steh und mit Dir reden thu. Mach fort, und recht schnell!«

Sie streckte den Arm gebieterisch nach der Gegend aus, in welcher der Weg vorüber ging. Sie war in ihrem Zorne so wunderbar schön, daß selbst er sich davon begeistert fühlte; aber anstatt eine höflichere Entschuldigung auszusprechen, lachte er laut auf und sagte:

»Gehen? Ja, gehen will ich; aber nicht allein gehe ich hier fort, sondern Du mußt mit, Arm in Arm mit mir. Du wirst einhängen bei mir. Komm!«

Er hielt ihr den Arm hin und machte eine spöttische Verbeugung dazu. Sie trat noch weiter zurück und antwortete ihm:

»Das fallt mir eben ein! Wann Du nicht gehen und mich allein lassen willst, so muß halt ich selber das Feld räumen und fortgehen. Aber vorher will ich Dir sagen, daß ich nicht in den Wald zu meinen Eichkatzerln geh, um Dich hier zu treffen. Verstanden!«

»Ist der Wald etwan Dein?«

»Nein; aber er ist groß genug, daß Du Dir einen andern Weg suchen kannst. Brauchst nicht immer dahin zu gehen, wo ich bin. Du weißt, daß ich Dich nicht leiden mag, und wannsts ja noch nicht weißt, so will ichs Dir jetzt noch mal extra sagen. Ich mag Dich nicht schaun; Du bist mir zuwider, und wann Du nun noch eine Ehr und Reputation im Leib hast, so wirst Dich nimmer wieder vor mir sehen lassen.«

Da warf er mit einer zornigen Bewegung die Jacke von der Schulter, trat ihr näher und fragte in zischendem Tone:

»Das sagst mir? Mir?«

»Ja, hörsts ja!«

»Und das meinst im Ernst?«

»Ganz im Ernst.«

»Wirklich? Wirklich?«

»Wirklich ja! Wann ich Dich seh, so ists mir alleweil niemals spaßig zu Muthe.«

Da ballte er drohend die Fäuste.

»Und weißt, was es heißt, mir das zu sagen?«

»Nun, was solls weiter heißen? Nix!«

Er fand nicht sogleich die richtigen Worte. Seine Brust arbeitete. Wäre Paula ein Bursche gewesen, so hätte er sich auf sie gestürzt, und bei seiner rohen Natur kostete es ihm keine geringe Anstrengung, dies nicht zu thun.

Die Dichterin sah natürlich, daß sich eine Katastrophe vorbereitete. Sie flüsterte den beiden Andern zu:

»Wir müssen ihr helfen!«

»Wie denn?« fragte der Wurzelsepp.

»Wir müssen hin!«

»Warten wir noch!«

»Aber er wird sie wohl gar schlagen. Wir müssen ihr Hilfe bringen.«


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»Die kommt allbereits. Schau, dort!«

Er zeigte nach dem Baume, auf welchem der Wasserfex gesessen hatte. Dieser hatte natürlich Alles gehört und gesehen. Mit der Behendigkeit und Geräuschlosigkeit eines wilden Thieres hatte er sein Versteck verlassen. Nicht herabgeklettert war er, nein, so durfte man es nicht nennen - herabgewunden hatte er sich wie eine Schlange. Jetzt stand er unten, hinter dem Baumstamme, den glühenden Blick auf den Fingerlfranz gerichtet.

Dieser hatte seine Wuth so leidlich niedergekämpft. Er sagte:

»Was es heißen soll? Daß ich Dich sogleich niederschlagen möcht, wannt ein Bursch wärst. Da Du aber eine Dirn bist, eine dumme, alberne Dirn, so soll mich Dein Gelapp und Geplapper jetzt nicht rühren. Später wirst schon merken, wast eingebrockt hast, später, dann, wannt meine Frau bist.«

»Ich Deine Frau? Weißt, wann ich die sein werd?«

»Nun?«

»Am Nimmermehrstag.«

»Das denkst nur bloss aber es wird ganz anders kommen, als Du meinst. Hast nicht meinen Vatern gesehen dieser Tag?«

»Ja.«

»Wohl gar gestern?«

»Wohl; er war bei uns.«

»Und warum ist er da gewesen?«

»Was gehts mich an? Ich frag nicht darnach.«

»Wirst doch darnach fragen, denn er ist da gewesen wegen Deiner und wegen meiner.«

Sie erbleichte.

»Schau, wie Dir die Farb aus den Wangen geht! Ja, jetzt merkst wohl, was im Zeug ist? Unsre Vatern, der Deinige und der meinige, sind die beiden reichsten Leut allhier herum, und weil sie es sind, soll das viele Geldl halt zusammengethan werden. Es sind schon ein paar Jährle her, daß sie uns Beid für einander bestimmt haben.«

»Daraus wird nix!« rief sie schnell aus.

»Meinst?«

»Nun und nimmer nicht!«

»Da irrst! Gestern ists ausgemacht worden. Du wirst meine Frau.«

»Lieber sterb ich auf der Stell!«

»Das Sterben geht nicht so schnell. Mein Vatern ist gestern Abend nach Haus kommen und hat mir gesagt, wie die Sach steht. Nun muß ich heut nach der Thalmühl zu Euch, weil es doch so Brauch ist, daß der Bub vorerst mit dem Dirndl redet. Und weil ich mir denkt hab, daß Du hier heraußen bist bei den Viecherln, so bin ich halt zunächst in den Wald gangen, und richtig, ich hab Dich funden. Und gelt, nun weißt, woran Du bist?«

»Ja. Und Du weißts auch!«

»Freilich weiß ichs. Der Vatern hat mirs ja gesagt.«

»Was Der Dir gesagt hat, das gilt nix.«


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»So? Was dann?«

»Hier gilt freilich nur Das, was ich Dir sag.«

»Himmelsakra!«

»Ja, verstehst?«

»Nun, was sagst dann?«

»Ganz dasselbige, was ich bereits vorhin gesprochen hab: Ich kann Dich nicht ausstehn, und Du magst mir niemals wieder in den Weg kommen!«

»Sapperment, bist kurz angebunden und ein resulut Weibsbild! Na, ich werd meine liebe Noth mit Dir haben; das schau ich bereits vorher!«

»Gar keine Noth wirst haben, gar keine! Wir gehn einander nix an. Heirath, went willst, aber mich nicht. Ich brauch Dich nicht, und ich mag Dich nicht!«

»Aber ich mag Dich!«

»Was kümmert mich das? Nix!«

»Nix? So! Soll ich Dir etwan zeigen, daß es Dich zu kümmern hat? Ein jeds Dirndl wär froh, wenn der Fingerlfranz nach ihm ausschaun that. Du allein thust apart und rabiat; aber damit hast freilich bei mir kein Glück. Du bist mir versprochen, und ich komm zu Dir. Jetzt werd ich ein Busserl von Dir fordern, und Du wirst mirs geben!«

»Ich?« fragte sie zornig.

»Ja, Du!«

Sie streckte beide Hände abwehrend aus und zeigte eine Miene tiefsten Abscheus.

»Da irrst! Ehe ich Dich küß, küß ich lieber dem Dorfschneidern seine Perruckenatzel oder dem Schulmeistern seinen Glatzkopf. Vor Dir aber schuckerts mich, als hättst Trichinen und Wurmern im Maul.«

»So, Trichinen! Wart, die sollst aber doch gleich auch bekommen!«

Er griff nach ihr.

»Halt!« rief sie laut. »Ich schrei um Hilf!«

»Was soll Dirs helfen? Wer wird kommen?«

»Der Fex!«

Er lachte laut und verächtlich auf.

»Der Fex! Hahahaha, der Fex!«

»Er ist da unten am Wasser!«

»Ehe der hier heraufkommt, hab ich Dich bereits hundertmal gebusselt!«

»Ja, wannst so frech bist, einem schwachen Dirndl eine solche Schanden anzuthun. Aber nachher, wann er da ist, wird er Dirs geben, daßt genug hast!«

»Der, der Lodrio? Der kann gleich ganz hier nebenbei stehn, so küß ich Dich, daß die Funken fliegen. Da, paß mal auf! Jetzt gehts los!«

Er packte sie bei den Armen.

»Fex, Fex!« rief sie, so laut sie konnte.

»Fex, Fex, komm!« rief auch er lachend, indem er sie an sich riß, sie


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mit einem Arme an sich drückte, mit der andern Hand ihr Köpfchen festhielt und nun seinen Kopf niederbeugte, um sie zu küssen.

»Fex, Fex, ach, Fechserl, komm!« jammerte sie.

»Bin schon da!« erklang es hinter dem Fingerlfranz, der sich sofort umdrehte.

»Ah, bist da!« lachte er. »Schau zu, wie ich das Dirndl schmatz! Schau her!«

»Wirsts nicht thun, Bub, gewiß nicht!«

Der Fex stand still lächelnd bei ihm, als ob es sich um eine ganz freundliche Unterredung handle. Paula hing still und bewegungslos in den Armen des Viehhändlers. Ihr Gesicht zeigte, daß sie jetzt keine Angst mehr habe. Es glänzte vor Vertrauen zu dem Retter, welcher ihr erschienen war.

»Wie? Nicht werd ichs thun?« lachte der rohe Bursche. »Warum nicht? Wer wird mirs verbieten?«

»Ich!«

»Du? Nun, schau her, wie ich mich vor Dir fürcht! Jetzt eben gehts los!«

Er bog sich zum zweiten Male nieder. Da aber that es einen Krach, als ob man mit einem Axthelm auf Holz geschlagen habe, und der Fingerlfranz stürzte wie ein Stock zu Boden. Der Fex hatte ihn mit einem einzigen Faustschlag an den Kopf niedergeschmettert. Da Paula fest umschlungen war, war sie mit niedergerissen worden. Schnell aber machte sie sich los und sprang empor. `

»Fex,« rief sie, »Fex, das war die Hilf zur allerrichtigen Zeit.

Aber - - -«

Sie sprach nicht weiter. Franz war aufgesprungen. Er war nicht etwa besinnungslos geworden, o nein, dazu war sein Schädel viel zu dick. Freilich war es ein fürchterlicher Hieb gewesen, ein Schlag, den man der schlanken Gestalt Dessen, der ihn gegeben hatte, nie zugetraut hätte, und der Kopf brummte dem Getroffenen auch dermaßen, daß er ihn mit beiden Händen hielt und nicht gleich zu einem Entschlusse kommen konnte. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Das Weiße derselben war mit rothen, drohenden Adern unterlaufen.

»Hund!« brüllte er. »Das wagst!«

»Das hast verdient,« antwortete der Fex in aller Ruhe.

»So bekommst sofort den Zahlaus dafür!«

Er hatte jetzt die vorübergehende, halbe Betäubung überwunden und sprang auf den Fex ein.

Dieser wich zur Seite aus und warnte:

»Das laß sein, sonst bekommt Dirs schlecht!«

»Mir? Nein Dir!«

Er holte zu einem fürchterlichen Hiebe aus.

»Fex, flieh, flieh!« rief Paula voller Angst.

»Warum? Da schau!« antwortete er.

Der Hieb des Viehhändlers war daneben gegangen; dafür aber hatte er


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selbst einen empfangen, einen Fausthieb von unten herauf, an den Mund und die Nase, daß er um mehrere Schritte zurückgeschleudert wurde. Das Blut drang ihm sofort aus den beiden getroffenen Theilen. Da, seiner nicht mehr mächtig, griff er in die Tasche.

»Jetzt, jetzt ists aus mit Dir!« brüllte er.

Er hatte einen mit Stacheln versehenen, eisernen Schlagring hervorgezogen, welchen er als gefürchteter Raufer immer bei sich trug. Diesen Ring an die Hand gesteckt und dann mit der geballten Faust einen Hieb auf den Kopf, mußte die stärkste Hirnschale zerschmettern.

»O Gott, o Gott, flieh, Fex!« rief Paula, indem sie vor Entsetzen die Hände faltete und in die Knie sank.

»Hin, schnell hin!« rief die Dichterin.

Der Wurzelsepp aber faßte sie beim Arme und sagte:

»Noch nicht. Noch ists nicht gefehlt. Ich kenn den Fex!«

Und er hatte Recht.

Der Fex hatte einen Sprung zum nächsten Baume gethan, an dessen Stamm er sich lehnte, um den Feind leuchtenden Auges zu empfangen. Dieser sprang ihm nach, holte aus und führte einen Hieb nach seinem Kopfe, welcher einen Ochsen niedergeworfen hätte - stieß aber in demselben Augenblick einen fürchterlichen Schrei aus und ließ den Arm sinken. Der Fex war im richtigen Moment, sich niederbückend, zur Seite gewichen, und der Hieb hatte den Baum getroffen.

Eine kleine Weile war Alles still. Paula kniete entsetzt im Moose; der Fex stand hoch aufgerichtet neben dem Baume, und Franz hielt vor dem Letzteren, ganz bewegungslos, als ob ihn der Schlag gerührt hätte. Dann stieß er einen unartikulirten Schrei aus und wendete sich wieder gegen den Feind. Aber er setzte den bereits erhobenen Fuß wieder nieder, fuhr mit der linken Hand nach dem rechten Arme, und ließ einen gräßlichen Fluch hören. Er konnte den Arm nicht erheben.

»So, da hast den Lohn!« sagte der Fex in aller Ruhe. »Jetzt kannst zum Bader gehn und Dir den Arm neu flicken lassen. Wirst wohl nicht gleich wieder Eine küssen wollen, die nix von Dir wissen mag! Oder willsts nun vielleicht auch noch mit der linken Hand gegen mich versuchen?«

Franzens Gesicht war vor Grimm zu einer förmlichen Fratze verzerrt. Er erhob den linken Arm und that einen Schritt gegen den Fex zu; aber er besann sich, ging zu seiner Jacke, welche am Boden lag, hob sie auf und schritt langsam weiter, dem Rande der Lichtung zu. Dort angekommen, drehte er sich um, erhob die geballte Linke und drohte:

»Das bezahlst theuer, Fex! Dich zertret ich wie einen Wurm. Merk Dirs gut!«

Dann verschwand er hinter den Sträuchern. Der Fex ging ihm eine kurze Strecke nach, um sich zu überzeugen, daß er sich auch wirklich entferne. Dann kehrte er zurück.

Paula hatte sich wieder erhoben. Mit ausgestreckten Armen eilte sie auf


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ihn los. Es war ganz so, als ob sie ihn umschlingen wolle. Er war stehen geblieben und erwartete sie mit schlaff herabfallenden Armen, indem seine großen, blauen Augen ihr wonnig entgegen leuchteten.

War es dieser große, mächtige, erwartungsvolle Blick, oder war es etwas Anderes? - Paula ließ die Arme sinken und blieb, ihre Gefühle beherrschend, vor ihm stehen.

»Gott sei Lob und Dank!« sagte sie, tief aufseufzend. »Das war die größte Gefahr, in der ich mich in meinem Leben befunden hab. Und Du auch!«

Als sie die Arme vor ihm sinken ließ, verloren seine Augen den leuchtenden Glanz, und sein Gesicht erhielt einen Ausdruck, als ob eine schwere Wolke eine sonnige Landschaft verdunkle.

»Ich auch?« fragte er beinahe leise.

»Ja. Er konnt Dich ja erschlagen!«

Da zuckte es wie eine unbeschreibliche Verachtung um seinen Mund.

»Der, und mich!«

»Fürchtst ihn nicht?«

»Hab ich etwan ausgeschaut, als ob ich ihn fürcht?«

»Nein, freilich nicht. Aber ich hab Dir auch niemals eine solche Körperkraft zugetraut!«

Sie blickte bewundernd an seiner schlanken Gestalt empor. Er schüttelte trübe lächelnd den Kopf.

»Ja, wirst mir auch noch viel Anderes nicht zutrauen. Der Fex ist ein Schwächling und Dummkopf. Er ist der Sündenbock, auf den Alles hineinschlägt.«

»Ich nicht, Fex, ich nicht!«

»Ja, Du nicht und noch Einer!«

»Wer noch?«

»Der Wurzelsepp. Kennst ihn doch auch.«

»Ja. Ihr Beid habt freilich eine große Freundschaft. Dennoch darfst nicht denken, daß ich Dich veracht. Nein, Du bist mir werth. Du bist ja stets mein Schutz gewest, wann ich als kleins Dirndl mal irgend ein Angst und Jammer gehabt hab. Und vorhin, als der Franz mich nicht lassen wollt, da hab ich sogleich an Dich dacht. Schau, der Hallodri hat dort hinter dem Busch standen und mich angeschaut, obwohl ich hier die Jacken auszogen hatte. Der Mensch hat weder Scham noch Ehr im Leib. Wie aber bist so schnell zur Hilf da gewesen?«

Vorhin hatte sein bleiches Gesicht selbst während der Anstrengung des Kampfes sich nicht um einen leisen Schatten gefärbt; jetzt aber erröthete er fast wie ein Mädchen.

»Ich war hier nahe dabei.«

»Wo?«

»Dort.«

Er zeigte nach der Richtung, in welcher der Baum stand, in dessen Zweigen er gesteckt hatte. Durfte er sagen, daß er sich da oben befunden hatte,


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nachdem sie so entrüstet über den Umstand war, daß der Fingerlfranz sie belauscht hatte? Nein.

Sie aber fühlte sich nicht befriedigt und fuhr fort:

»Dort? Wie weit? Was hast denn gethan? Du sollst ja unten am Wasser sein!«

Sie blickte ihm forschend in die Augen, und er senkte den Blick wie ein Schulknabe, welcher bei irgend einer Missethat ertappt worden ist.

»Prächtig!« flüsterte die Dichterin. »Das sollte man malen. Ein Gedicht aber werde ich darüber machen, ein Sonnet von zwanzig Zeilen!«

Wohl hatte sie nicht Unrecht. Die beiden jungen Menschen bildeten eine Gruppe, welche eines geschickten Pinsels werth gewesen wäre.

Wer den Fex jetzt erblickte, mußte sich mit Staunen fragen, wie er zu diesem erniedrigenden Beinamen gekommen sei. Freilich, er war mehr als armselig gekleidet. Schuhe trug er gar nicht; seine Füße waren nackt, und die Wadenstrümpfe, welche bis an das ebenso nackte Knie reichten, waren mit allen möglichen Farben geflickt, gestopft und ausgebessert, ebenso die kurzen Kniehosen, welche nicht einmal von einem Gürtel sondern nur von einer groben Hanfschnur an den Hüften festgehalten wurden. Eine Weste gab es auch nicht, und die dunkle Jacke war auch vielfach ausgebessert und ihrem Träger zu kurz geworden. Das weiße Hemde bestand aus den verschiedensten Flecken, Leinen, Halbleinen und Kattun von ebenso verschiedener Feinheit, aber es war sauber gewaschen.

Ueberhaupt machte der junge Mensch trotz der großen Aermlichkeit seines Anzugs den Eindruck peinlichster Sauberkeit und - - noch Etwas, was sich aber gar nicht so leicht herausfinden ließ. Fühlen konnte man es wohl, aber beschreiben nicht.

Seine Gestalt war schlank aber nicht schwächlich; seine Glieder standen im schönsten Verhältnisse zu einander, und wer ihn zum ersten Male sah, dem wurde es schwer, den Blick von seinem Gesicht abzuwenden, denn dieses Gesicht war ein eigenartig schönes. Der kleine, feine Mund, über welchem die ersten Sprossen des Bartes keimten, die zart gebogene Nase mit den beweglichen Flügeln, die hohe Stirn mit den tiefdunklen Brauen, unter denen ein Paar tiefe, große Augen in der Bläue des Himmels leuchteten, das volle, blonde, kaum zu bewältigende Haar und dabei eine Haltung, so ungezwungen und doch dabei so stolz und selbstbewußt - das bildete ein Ganzes, welches eigentlich im größten Widerspruch stand mit dem Ausdrucke halber Stupidität, den man in diesem Gesichte zu sehen gewöhnt war.

Und jetzt, als die Frage des schönen Mädchens ihn peinlich berührte, trat dieser Ausdruck ganz und gar deutlich hervor. Wer ihn soeben sah, mußte ihn für einen stumpfsinnigen Menschen halten.

»Es fuhr Niemand über,« antwortete er langsam. »Da ging ich herein in den Wald.«

»Was hattst da zu thun, Fex?«

»Ich wollt - ich dacht - - ich - - -«


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Er stockte; er war sehr verlegen geworden. Nun flog über ihr Gesicht eine helle Röthe.

»Halt, ich weiß, was Du gewollt hast, Fex,« sagte sie. »Ich habs leicht errathen, weil Du Dich fürchtest, es mir zu sagen. Weißt, was es ist?«

Er antwortete nicht.

»Schlecht bist gewesen, ebenso schlecht wie der Andre. Gesehen hast mich und belauscht! Willst leugnen?«

»Nein,« antwortete er aufrichtig.

Wie kam es nur, daß Paula vorhin, als sie erfuhr, daß der Fingerlfranz sie belauscht habe, nur zornig geworden war und sich aber nicht geschämt hatte, während sie jetzt tief erglühte, da doch nur der Blick dieses stumpfsinnigen Menschen auf sie gefallen war? Im menschlichen Herzen liegen tiefe Räthsel vergraben. Wer vermag sie zu lösen?

»Also wirklich, hast mich angeschaut, als ich hier saß bei den Eichkatzerln und die Jack herunter gethan hatte? So, das ist sehr schön von Dir. Jetzt kann ich mich nun auch noch vor Dir in Acht nehmen, nun ich weiß, daßt mir auch hinterher läufst!«

»Nein, das ist nicht wahr, Paula! Nachgelauft bin ich Dir nicht; das kannst glauben!«

»So! Bist etwa ehnter da gewesen als ich?«

»Ja.«

»So konntst nicht still fortgehen?«

»Nein; das ging halt nicht.«

»Warum?«

»Ich saß ja da oben auf dem Baum.«

Er zeigte empor nach dem Orte, an welchem er versteckt gewesen war. Jetzt wurde sie wirklich zornig bei der Vorstellung, daß er von da oben herab geblickt hatte. Das Eichhörnchen hatte ihr die Halskrause zerrissen und sich da einen Schlupfwinkel gesucht, wo der Blick des Fex von oben ebenso leicht hatte eindringen können. Sie ballte die beiden, kleinen Hände und rief ganz aufgebracht:

»So, ein solcher Schubian bist? Auf die Bäum kletterst hinauf, um herab zu schaun, wo man sitzt und keine Ahnung hat, daß Jemand da ist? Jetzt kannst mir wohl ganz gestohlen werden! Schäm Dich in Deine Seel hinein, Fex! Ich hab immer stets ein Stück auf Dich gehalten und bin Dir manchmal beigesprungen, wenn Andre auf Dich hineingehackt haben; jetzt aber mögen sie Dich zwicken und zwacken, wie sie wollen, ich sag kein Wort mehr dazu. Du bist ein schlechter Kerl! Hasts verstanden?«

Er nickte langsam mit dem Kopfe. Dabei ging ein ganz undefinirbares Etwas über sein Gesicht, fast wie ein Zug diplomatischer Schalkheit.

»Brauchst nicht gar so sehr bös zu sein, Paula,« meinte er. »Ich hab ja doch nicht hingeschaut.«

»Wohin denn, he?«

»Nun, wo das Eichkatzerl saß.«


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»Ach so! Aber das Eichkatzerl hast gesehen?«

»Das schon.«

»Herrgottl! Er will nicht hingeschaut haben und hat doch das Viecherl gesehen! Weißt, wer das Katzerl sieht, der - der - sieht auch das Nestl, worin es krochen ist, Du heilloser Bub Du!«

»Aber nachher hab ich mich gleich umidreht!«

»So! Hast also nur einmal hingeschaut?«

»Nur ein einzig Mal.«

»Und nur kurz, ganz kurz?«

»So kurz, daß ich fast gar nicht hingeschaut hab.«

»Aber was hast dann auf dem Baum zu suchen, wann Du nicht wegen meiner hinauf steigst?«

»Wegen denen Katzerln war ich halt oben.«

»So, wegen denen? Mach mir keine Flattusen vor! Es glaubts Dir doch Niemand.«

»Aber doch ists wahr. Hast mir denn nicht vergangen gesagt, daß Dir zwei Eichkatzerln fehlen?«

»Ja, die sind weg.«

»Schau, da hab ich nachdenkt, wohin sie sein mögen.«

»Und da spazierst auf den Bäumerln herum, um sie allerwärts wohl aufzusuchen?«

»So nicht. Du mußt mich nur ausreden lassen. Du hast die Thierle so lieb, und es hat mir so wehe than, daß Dir zwei fehlen. Sie sind so zahm, daß sie sicher kommen wärn, wanns konnt hätten. Es muß ihnen halt ein Unglück geschehen sein.«

»Meinst? Das sollt mich kränken!«

»Ja, das hab ich mir dacht. Und sodann könnt doch noch eins und noch eins verschwinden; darum hab ich sucht, wohins kommen sind, und was hab ich funden? Erraths, Paula!«

»Ich weiß nicht.«

»Einen Habicht hab ich fliegen sehn.«

»Herrgottl! So hat ders wohl gefressen?«

»Jawohl. Ich hab den Habicht beobachtet und sein Nest entdeckt. Er hats erst kurz zu bauen anfangt da droben auf dem Baum; aber da hab ich auch die Stückle von die Bälg gefunden von denen Eichkatzerln. Sodann hab ich ein Stückle Fleisch geholt aus der Mühl und ein Rattengift dazu und habs dem Habicht hingelegt. Gestern nun hat seine Frau davon gefressen, und ich fand sie todt hier unten liegen. Und heut nun ist auch er dran gestorben. Er liegt oben im Nesterl. Ich bin hinauf klettert, um ihn herab zu holen; aber grad als ich droben ankommen war, kamst Du hier unten an. Und weil - weil - weil - - -«

»Jetzt weiter! Weil - - -?«

»Weil Du gleich die Jack auszogen hast und die Eichkatzerln gerufen, so wollt ich es nicht wissen lassen, daß ich allbereits - allbe - -«


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»So red doch, Fex!«

»Daß ich allbereits dorthin geschaut hatt, wo ich nicht hinschauen sollt. Darum blieb ich lieber dort oben sitzen.«

»Und hast dann aber ganz richtig hingeschaut!«

»Nein, nicht wieder! Ich hab mich umidreht und nicht eher den Kopf gewandt, als bis der Fingerlfranz kommen ist.«

»Und sodann bist mein Retter worden. Also von wegen meinen Katzerln hast oben gesessen? Das ist schön. Ein Herzeleid hast mir ersparen wolln? Schau, das ist gut; das gefallt mir von Dir.«

»Also bist wohl nicht mehr bös?«

»Ein klein Wenig sollt ich's wohl noch sein. Aber wann Du nicht da gewesen wärst, so hätt ich mich von dem Franz busseln lassen müssen, und da wär ich vor Scham und Unglück gestorben!«

»Ists so schlimm?«

»Ja. Ich hätt nicht länger leben mögen; das magst nur glauben. Und weilst mich da gerettet hast, so wollen wir wieder gute Freunde sein, Fex. Machst mit oder nicht?«

Paula streckte ihm die Hand entgegen.

Sie blickte ihm versöhnlich lächelnd in das Gesicht und streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff dieselbe mit seinen beiden Händen und betrachtete das kleine, weiße, sammetne Händchen mit einem Blicke, als ob er das größte Kleinod umfaßt halte.

»Ja, ich mag schon,« sagte er dabei.

»Und gern?«

»Freilich.«

»Und da haltst meine Hand so fest? Ists denn so was gar Besonderbares damit?«

Er erröthete und gab die Hand frei. Da ging ein kindlich lustiges Leuchten über ihr Gesicht. Sie meinte:

»Meinst etwan gar, daß ich ein hübsches Patscherl hätt?«

»Ja, grad das mein ich.«

»Das gefallt mir schon. Weißt, wir Dirndln sind gern hübsch. Hast mal die Geschicht gehört von der verzauberten Prinzessin?«

»Nein, noch nicht.«

»Die ist verzaubert gewest, und nachher ist ein Prinz kommen und hat sie gerettet. Nachher hat sie nachgesonnen, was sie ihm dafür thun soll. Und was meinst wohl, was sie sich ausgedacht hat?«

»Sie ist seine Frau worden?«

»Ja; aber das war später. Ich mein, vorher?«

»Das weiß ich schon gar nicht. Ich hab halt noch keine Prinzesserl erlöst!«

»Nun, sie hat ihm die Hand hingehalten, und er hat ihr einen Kuß drauf geben dürfen.«

»Das laß ich mir gefallen. Die Prinzeß ist, wie mir scheint, eine sehr vernünftige Weibsperson gewesen.«


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»So! Denkst wohl, Andere sind nicht so vernünftig?«

»Oft nicht.«

»Da ist Deine Guitarrn sehr falsch gestimmt! Ich werd Dir beweisen, daß man kein Prinzesserl zu sein braucht, um ein vernünftig Weibsbild zu sein. Du hast mich vorhin gerettet, nicht?«

»Warst verzaubert?«

»Nein, gar nicht. Der Franz ist Keiner, in den ich verzaubert sein könnt. Aber erlöst hast mich doch, und da will ich's grad so machen wie die Prinzeß.«

Um seine Lippen zuckte es leise, als er fragte:

»Willst also meine Frau werden?«

»Was fallt Dir ein! So schnell brauch ich noch keinen Mann! Aber einen Kuß auf das Patscherl darfst mir geben. Willst oder nicht?«

»Ich möcht halt schon. Weißt, es muß das schon eine große Delicateß sein!«

»Das weiß ich nicht, kannsts aber probirn. Da!«

Sie hielt ihm die Hand wieder hin; er ergriff sie, beugte sich darauf nieder und küßte sie. Aber als ob sie dabei ein beängstigendes Gefühl gehabt habe, zog sie die Hand schnell wieder an sich und betrachtete sie einige Augenblicke. Vielleicht wollte sie auch nicht sehen lassen, daß sie roth geworden war. Gleich aber flog ein neckisches Lächeln, welches ihr wunderbar gut stand, über ihr Gesicht, und sie meinte:

»Nun, wie wars? Delicat?«

Er stand vor ihr und hielt die Augen geschlossen. Als er sie dann aufschlug, drang aus der blauen Tiefe ein so mächtiger, strahlender Blick zu ihr herüber, daß sie sich unwillkürlich abwendete.

»Das kann ich nicht sagen,« flüsterte er.

»Warum nicht?«

»Weil - weil ich vorher darüber nachsinnen muß, Paula.«

»Ists denn so geheimnißvoll?«

»Ja, es ist halt, als ob man nun selber auch verzaubert wär.«

»Geh! Jetzt fangst auch Du an und sagst grad eben solche Dummheiten wie andre Leut. Aber Eins wirst wohl wissen. Hör, Fex, warum bist denn eigentlich mit mir so viel anders als mit Andern?«

»Weil auch Du ganz anders mit mir bist.«

»Ich? So? Und warum machst mir so - so - so große und tiefe Augen? Wann Du andere Leuteln anschaust, so siehst so - so dumm aus und so albern, als obst nicht weißt, was drei ist oder vier.«

»Wann ich Andre anschau, so weiß ich wirklich nix; aber wann ich Dich vor mir hab, so - so - - so - - -«

»So weißt wohl was?«

»Ja.«

»Was dann?«

»Daß - daß Du so gut bist.«


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»Weiter nix?«

»O doch.«

»Nun, so sags!«

»Jetzund nicht.«

»Wann sonst?«

»Wann - wann ich Dich wieder mal gerettet hab.«

»Bist doch ein besonderer Bub. Aus Dir kann man nie nicht klug werden. Jetzt nun aber haben wir lange genug gesprochen. Ich will gehen.«

»So geh ich mit!«

»O nein; Du kannst bleiben.«

»Das fallt mir nicht ein. Wann der Fingerlfranz unten am Wasser auf Dich wartet, so kannst wieder in Noth kommen grad wie vorher.«

»Ich geh nicht ans Wasser. Ich fahr noch nicht über. Ich will nicht nach Haus, jetzt noch nicht.«

»Warum? Dein Vatern wird warten.«

»Grad darum geh ich nicht. Der Franz ist bei ihm, und Du hast gehört, weshalb?«

»Ja, das hab ich wohl vernommen.«

»Nun, so weißt auch, warum ich noch nicht heimgehen will. Da, Fex, schau mich mal ordentlich an!«

Sie stellte sich, das Hütchen, auf welches sie eine Maiblume gesteckt hatte, in der Hand, vor ihn hin.

»Dich anschaun, das thu ich wohl. Aber warum?«

»Siehst mich auch richtig, das ganze Dirndl?«

»Ei wohl!«

»Nun, so sag mir doch mal, ob ich so ausschau wie Eine, die allbereits einen Mann haben muß!«

»Nein, so siehst nicht aus.«

»Wie dann?«

»Wie ein Blümerl, das noch jung ist und noch recht lang blühen soll. Und dem Franz gönn ich Dich nun erst grad recht gar nicht.«

»Der bekommt mich auch nicht. Darauf kannst Dich verlassen. Die beiden Vatern wollen nur das Geldl beisammen haben, aber ob dann auch die Leutln beinander gut thun, darnach fragens schon gar nicht. Ich, wann ich mir mal einen Mann nehm, so weiß ich ganz genau, was ich thu.«

»Was?«

»Nun, ich nehm ihn mir, ich selber. Ich brauch keinen Vatern dazu. Und nachher schau ich nicht nach der Taschen und in den Geldsack, sondern ich nehm mir grad Einen, der nix hat, gar nix.«

»Etwa so Einen, wie ich bin?«

»So wohl ungefähr.«

»Warum grad einen Armen?«

»Das fragst auch noch? Denk Dir doch nur die Freuden, die er hat, wenn er so ein reichs Dirndl bekommt! Und denk Dir dann auch die Freuden,


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die ich hab, wenn ich ihm so die Markerln und Thalern hinlegen kann und sagen: Schau, Fex, das ist nun jetzt Alles - - - Herrgottl!«

Sie hielt erschrocken inne und wurde blutroth. Hatte er nichts gemerkt, oder besaß er, welcher für halb stumpfsinnig galt, eine Selbstbeherrschung, daß er sein Gesicht so in der Gewalt hatte? Kurz und gut, er fragte ganz unbefangen:

»Worüber erschrickst denn so?«

»Weil ich mich versprochen hab. Hast denn gar nicht aufgemerkt?«

»Ich hab ja gar nix gehört. Es war ganz richtig.«

Da meinte sie in höchster Eile:

»Nein, es war grad ganz falsch. Nur weilst grad eben da bei mir standst, hab ich »Fex« gesagt. Es war aber ein ganz Andrer gemeint.«

»Wer dann, Paula?«

»Das kann ich doch nicht wissen; ich kenn ihn gar nicht, denn ich hab ihn noch gar nicht gesehn. Ich mein blos, daß es mir so große Freuden machen wird, wenn ich ihm das viele Geldl geb und er kann nachher auch essen, was andre Leuten bekommen und in's Wirthshaus gehn, um ein Bier zu trinken. Und auch eine Cigarren darf er rauchen, und eine ganze Hosen soll er haben und Schuh, nicht mehr baarfuß, und eine Westen und eine Uhren mit einer goldenen Ketten und Berlocken dran. Ich werd ihn mir schon herausstaffirn, daß die Leut schauen sollen und vor Aerger grün und gelb werden im Gesicht. Ja, das thu ich, das thu ich, weil er ein so arms, guts Schunkerl ist und Alles haut auf ihn ein und Keins ist brav und mitleidend mit ihm als nur ich allein und der Wurzelsepp!«

»Ja, Du und der Wurzelsepp!« bekräftigte er.

Da fiel ihr nun freilich ein, daß sie wieder eine Dummheit gesagt hatte. Sie erglühte über und über. Halb Mädchen und halb noch Kind, ließ sie sich von den Vorstellungen ihres guten Herzens und von dunklen Regungen, über deren Vorhandensein sie sich selbst noch keine Rechenschaft zu geben vermochte, zu Worten hinreißen, deren Bedeutung sie erst erkannte, als sie ausgesprochen waren.

»Was sagst da?« fragte sie rasch. »Was hast wieder mal verstanden?«

»Daß der Wurzelsepp Dich kennt.«

»Ja, das wars freilich; so hab ich gesagt,« stimmte sie erleichtert bei. »Jetzt aber nun muß ich fort. Vorher aber bitt ich Dich schön: Nimm Dich vor dem Franz in Acht. Er hat es nun auf Dich abgesehn, und wo er die Gelegenheit findet, wird er sich rächen. Er ist zu Allem werth; das weißt ja selber. Und wann Dir was geschäh, ich könnts nicht verwinden! Denk Dir, wann ich mal heraus zum Wasser käm und wollt überfahren, und Du lägst da und er hätt Dich niedergeschlagen. Heilige Jungfrau, was thät ich dann!«

»Das wird nicht geschehn, Paula, nie nicht.«

»Das kannst nicht wissen.«


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»Ich weiß es! Wann ich nur einen Talisman oder ein Amuletten haben thät, so wie ichs brauch. Nachher könnt ich sicher sein.«

»Was mußt dann für eins haben?«

»Zu so einem Amuletterl gehört ein Blätterl aus dem Gesangbuch.«

»Und das hast nicht?«

»Das hätt ich schon. Aber nachhero braucht man auch noch dazu ein Maiblümerl, was ein Dirndl gepflückt hat, die noch keinen Schatz hat und es Einem gern herschenken thut.«

»So kannst doch meins bekommen! Willst?« fragte sie rasch, indem sie nach ihrem Hute griff.

»Ich wollt schon. Aber giebsts auch gern her?«

»Dir doch allemal ganz gern!«

»Und hast auch keinen Schatz?«

»Nein.«

»Wirklich nicht?«

»Nein doch! Was plauschst nur wieder mal! Die Leutln haben doch Recht, wann sie sagen, daß Dir eine große Forellen im Kopf herumschwimmt. Wann die dann Dir mit ihrer Schnauz ans Maul kommt, dann schnappt allemal was Dummes heraus. Also willst das Maiblümerl zum Amuletten?«

»Ja, ja, giebs schnell her!«

Sie nestelte es los.

»Da hasts! Brauchst sonst noch was?«

»Jetzt nicht. Später dann.«

»Was dann?«

»Das darf ich jetzt noch nicht sagen. Aber wann die richtige Zeiten kommen ist, in welcher das Amuletten fertig wird, dann werd ichs schon sagen.«

»Hab ich's dann?«

»Nein. Du hasts nicht, aber Du wirsts mir dennoch geben.«

»Das ist nun wieder eine Reden, aus der man nicht klug werden kann. Man kann doch das nicht geben, was man selber nicht hat.«

»O freilich doch!«

»Nein, niemals nicht!«

»So weißts halt nicht. Man hats zwar nicht, aber indem mans giebt, wird was draus.«

»Du redst grad wie unser Hochzeitsbitter im Dorf. Wann der mal einladen kommt, so hält er eine Reden, die so gelehrig ist, daß man am End nachher nicht weiß, ob er zu einer Hochzeit eingeladen hat oder zu einer Kindtauf oder gar zu einem Leichenschmauß. Das letzte Mal, als der Vatern Gevatter sein sollt, hab ich gar denkt, es soll ein Schweinschlachten sein. So ists auch mit Dir.«

»So muß ich Dir ein Beispiel sagen. Schau, wann ich Dir einen Kuß geben sollt, hab ich ihn etwan schon vorher?«

»Nein.«

»Oder hast Du ihn?«


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»Auch nicht.«

»Aber wann ich Dich nachher küß, so hab halt ich einen Kuß, und Du hast auch einen. So sind also die beiden Busserln aus Nix fertig worden. Und wannst auch das wieder eine Forellen nennst, so wirds am Besten sein, daß ich Dirs einmal zeig. Komm her!«

Er that einen Schritt auf sie zu.

»Nein, nein!« rief sie aus. »Ich glaubs nun halt schon. Mit dem Busseln habt Ihr Bubn fast immer Recht; das ist aber auch das Einzige, worinnen man Euch glauben darf.«

»Schau, wie klug Du nun schnell bist!«

»Noch klüger ist's, wann ich jetzt geh. Kannst nachher immer aufmerken, wann ich Dich ruf; dann will ich übers Wasser fahren. Behüt Dich Gott!«

Sie eilte fort. Er blickte ihr nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden war; dann sah er die Blume mit leuchtenden Augen an, und drückte sie wiederholt an die Lippen. Nachher zog er aus der Tasche ein kleines Stückchen Seidenpapier, um das kostbare Geschenk in demselben zu verwahren.

Die drei Lauscher hatten sich indessen nicht etwa entfernt. Zwar besaß der Wurzelsepp soviel Zartgefühl, daß er die andern Beiden leise zum Fortgehen mahnte, aber für den Concertmeister war die Scene zu interessant, als daß er auf sie hätte verzichten mögen, und die Dichterin war erst recht nicht wegzubringen. Es ging ihnen kein Wort des interessanten Gesprächs verloren. Franza von Stauffen war ganz Ohr. Sie trippelte leise mit den Füßen vor Entzücken, und bei der Abschiedsscene wollte sie gar aus dem Versteck hervorbrechen. Aber der Wurzelsepp hielt sie fest.

»Willst gleich bleiben!« raunte er ihr zu. »Was sollen die beiden Leuteln von uns denken, wann sie erfahren, daß wir sie belauscht haben.«

»Was sie denken sollen? Daß ich ihre Freundin bin und daß sie mir zu meinem neuen Roman ein Sujet geben, welches gar nicht herrlicher sein kann. Ich muß hin, ehe sie fortgeht.«

»Nein, Du bleibst! Brauchst doch den Roman nicht hier im Wald zu machen!«

»Grad hier im Waldesgrün kommen Einem die besten Gedanken!«

»Das scheint nicht so! Daß Du hier ausbrechen willst, das ist gar kein guter Gedanke.«

»O doch! Schau, nun ist sie leider fort, und er papiert die Blumen ein. Ich muß hin!«

Sie riß sich los und trat heraus auf die Blöße. Helles Entzücken glänzte auf dem Angesichte des Wasserfex. Er wurde leider aus demselben gerissen, indem die Dichterin sich ihm leise genähert hatte und die Hand auf seine Schulter legte.

Er fuhr erschrocken zu ihr herum.

»Wer bist? Was willst?« fragte er.

»Wer ich bin?« meinte sie, sich hoch und stolz emporrichtend. »Ich


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bin eine Priesterin der himmlischen Muse, welche Gedichte macht und Romane drucken läßt.«

Er starrte sie verständnißlos an und sagte:

»Bist wohl verruckt?«

»Verrückt? Nein. Aber es kommt der Geist über mich, so daß ich in Versen und Reimen reden muß. Höre und staune!«

Und die Rechte mit dem Tintenfaßsonnenschirm hoch erhebend, declamirte sie laut:

»Hier steht unser Fex,
   Im Ringen ein Rex,
Die Paula - eine Hex
   Und der Fingerlfranz - - ein Klex!«

Lautes Lachen erscholl. Der Concertmeister hatte es nicht verbeißen können. Er trat vor und der Wurzelsepp folgte ihm.

»Was lachen Sie?« fragte sie in strengem Tone. »Meine Muse ist keine lächerliche. Sie verzeichnet die Thaten der Menschenkinder mit ehernem Griffel in ihr Memorandum. Und als ihre Beauftragte notire ich über diesen jungen Helden Folgendes:«

Sie schlug ihr Buch auf, nahm die Feder hinter dem Ohr hervor, tauchte sie in den silbernen Knauf des Schirmes, schrieb einige Zeilen und las dann:

»Der Fex rang mit dem Fingerlfranz
   Und warf ihn nieder mit viel Glanz.
Wen der mit seinen Fäusten packt,
   Der hat am ganzen Leib geknackt!«

Darauf blickte sie sich triumphirend um und fragte den Italiener:

»Nun, Signor, ist das nicht einzig?«

»Einzig, ja,« antwortete er. »Einzig, solamente, unicamente, ßehr, ßehr, Signora.«

»Und Du, was sagst Du dazu, Du hochpoetischer Sohn dieser Berge?« fragte sie den Wurzelsepp.

»Ich sag halt einstweilen gar nix dazu!«

»Du hast das gute Theil erwählt. Schweigen ist Gold! Und Du, des Tages Held und Recke?«

Diese Frage galt dem Fex. Er machte ein unbeschreiblich dummes Gesicht, deutete mit dem Finger an die Stirn und antwortete kopfschüttelnd:

»Bist ein armes Wurm. Kannst mich dauern. Was hab ich von Deinem Muß!«

»Muß!« lachte sie.

»Welch eine urwüchsige Verwechslung! Du gleichst den gefeierten Recken des grauen Alterthums. Sie kämpften furchtlos mit Drachen und Ungeheuern, ohne in die Heiligthümer der Gelehrsamkeit eingedrungen zu sein. Du bist ein würdiger Enkel von ihnen. Ich muß Dir das Wort des Dichters entgegenrufen: »Dem Verdienste seine Kronen!« Komm her zu mir, trauter Fex! Ich muß Dich küssen!«


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Sie streckte die Arme nach ihm aus. Er aber sprang ganz erschrocken zurück und rief aus:

»Himmelsakra! Was will Die mit mir! Fangt sie ein, und sperrt sie hinein ins Spritzenhaus!«

Der Concertmeister lachte, daß ihm die Thränen aus den Augen liefen. Die Dichterin aber rief entzückt:

»Welch ein köstlicher, urweltlicher Gedanke! Welch geistreiche Persiflage auf die göttlichen Musen! Welch ein granitner Witz eines vorsündfluthlichen Geistes! Sie lachen, Herr Concertmeister. Sie begreifen also die himmlische Ironie in der Interjection dieses von der Sünde noch nicht abgeleckten Helden. Ist er nicht unvergleichlich, unerreicht?«

»Ja, unvergleiklik, unerreichtet, incomparabile, imparagonabile, inarrivabile, ßehr, ßehr, außerordentlik ßehr!«

»Ja, wenn ich einen Lorbeerkranz hätte, ich würde seine Stirn mit demselben schmücken und krönen. Da wir uns aber nicht im Lande der Hesperiden befinden, so wirds auch eine Fichte thun.«

Eine kleine Fichte stand in der Nähe. Sie brach einen Zweig derselben ab, bog ihn rund zusammen und machte Miene, ihn dem Fex auf den Kopf zu setzen. Dieser aber stieß sie von sich ab und sagte:

»Fort! Geh ins Irrenhaus!«

Anstatt ihm nun zu zürnen, meinte sie erstaunt:

»Wie? Ins Irrenhaus? So habe ich ihn also nicht verkannt, sondern ihn ganz richtig beurtheilt. Er wird für einen Idioten gehalten, aber er kennt die Völker, bei denen der Wahnsinn als ein Geschenk der Götter gilt, bei denen die Irren zu den Erleuchteten des Himmels gezählt werden. Komm her zu mir, mein Bruder in den neun Musen! Wir sind geistesverwandt. Ich muß Dich küssen!«

Sie trat ihm näher. Er aber wich zurück und sagte:

»Geh fort! Wann Du Einen umärmeln willst, so thu's mit dem Schwarzen da! Ihr seid alle Drei verruckt. Ich hab mit Euch nix zu schaffen.«

Er eilte fort, zwischen die Bäume hinein.

»Wie stolz!« sagte sie. »Ich wollte ihn studiren, um ihn in meinem Romane als Sujet zu verwenden. Aber er ist unnahbar. Nicht?«

»Ja, unnahbar, incomprensibile! Con lui non c'è da far niente; es ist nichts mit ihm ßu maken.«

»Vielleicht mehr als mit anderen Leuteln,« meinte der Wurzelsepp. »Wann Ihr endlich nun nach der Thalmühl wollt und überfahren, so macht, daß Ihr mitkommt! Ich geh halt jetzt.«

Da hier nichts mehr zu schaffen war, folgten ihm die Beiden. Er führte sie nach dem Waldwege zurück, den sie vorhin verlassen hatten und welchem sie nun wieder folgten. Die Dichterin wollte ihn wieder in ein Gespräch verwickeln, um ihn nach Verschiedenem zu fragen, aber er war wortkarg und sehr nachdenklich geworden und hielt nicht mehr Stich.

Bald hörten sie Wasser rauschen. Sie kamen an den Fluß, welcher hier


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am Fuße des Berges vorüberging. Auch das gegenüber liegende Ufer desselben war mit Bäumen bestanden, doch gab es eine Stelle, an welcher sich das Grün zu einer Aussicht auf die Mühle öffnete.

Diese lag als ein ziemlich bedeutender Gebäudecomplex an einem Mühlgraben, welcher vom Flusse abgeleitet war. Mehrere hohe Gebäude ließen vermuthen, daß der Müller sein Geschäft im Großen betreibe. Rechts schloß sich ein großer Garten an dieselben an, und links lag auf der Höhe eine Art Villa, welche der Müller zur Sommerszeit an Badegäste vermiethete.

Oberhalb des Dorfes nämlich, zu welchem die Mühle gehörte, und mit demselben fast zusammenhängend, lag an beiden Ufern des Flusses die weltbekannte Badestadt, in welcher Tausende Heilung oder doch wenigstens Linderung ihrer Leiden suchten und auch fanden.

Der Wurzelsepp blickte suchend am Ufer hinauf und auch hinab. Er schüttelte den Kopf.

»Wo ist die Fähre?« fragte er. »Die kann doch nirgends anders sein, als hier!«

Er legte einen Finger in den Mund und stieß einen scharf gellenden Pfiff aus, welcher sofort im Walde beantwortet wurde.

»Wer gab diese Antwort?« fragte die Dame.

»Der Fex. Der Pfiff ist das Zeichen, daß Einer überfahren will. Kannst Dirs merken!«

»Aber ich kann nicht pfeifen.«

»So rufst seinen Namen Fex; dann kommt er.«

Man hörte eilige Schritte, und dann sahen sie den Fex durch die Büsche brechen.

»Wo ist denn die Fähre hinkommen?« fragte Sepp.

Der Fex blickte auch nach rechts und links - von der Fähre keine Spur.

»Fingerlfranz!« sagte er, weiter nichts, dann sprang er, gleich in den Kleidern, wie er war, in die kalte, tiefe, rauschende Fluth.

»Herrgott!« rief die Dichterin erschrocken. »Was thut er? Er kann sich den Tod holen!«

»Der nicht,« lachte der Sepp.

»Aber er kommt doch nicht wieder empor!«

»Nicht? Schau da hinunter!«

Ein bedeutendes Stück abwärts tauchte der Fex wieder auf, holte Athem und verschwand dann wieder.

»Warum thut er denn das?« fragte der Concertmeister.

»Weil der Franz allein übergefahren ist und nachher die Fähre nicht anbunden hat, um den Fex zu ärgern. Nun ist sie hinabgeschwommen, und er muß sie suchen und heraufbringen.«

»Dabei könnte er doch laufen!«

»Schau die hohen Felsen, die hier ans Ufer treten. Wann er sie ersteigen wollt, so würde eine sehr schöne Zeit vergehn. Lieber schwimmt er.


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Und wann man unterm Wasser schwimmt, so geht's halt schneller, als oben; darum kommt er nur herauf, wann er Luft schöpfen will. Um den braucht Ihr keine Angst zu haben; der ist im Wasser zu Haus wie wir auf der Erd. Er macht sogar die Augen auf, wann er unten schwimmt. Da sieht er die Fischen und alls Gethier, was es drinnen giebt. Er ist selber wie so ein Fischen; selbst wann er im Winter im Wasser ist, wird er nicht krank davon. Er hat schon Einigen das Leben gerettet.«

»So bekam er die Rettungsmedaille?« fragte Franza von Stauffen.

»Der, und eine Medallien? Das fallt wohl keinem Menschen ein. Es heißt, daß der Fex seine fünf Sinners nicht beisammen hat, und so ein armes Wurmel kann retten, so Viel er will, aber ein Ordensknöpferl bekommt er halt nicht.«

»Desto größere Theilnahme fühle ich für ihn. Ich muß ihn unbedingt näher kennen lernen.«

»So hüt Dich nur, ihm wieder einen Bußerl anzubieten! Bei dem nagelst keinen an; das sag ich Dir. Er find keinen Geschmack an solchem Larifari.«

Der Fex hatte Recht gehabt, als er beim Fehlen der Fähre den Namen des Fingerlfranz genannt hatte. Dieser hatte mit größter Selbstüberwindung seine Wuth hinabgewürgt und die Rache auf später verschoben. Er hatte darum den Kampfplatz verlassen, ohne den Kampf mit der einen, unverletzten Hand fortzusetzen, und war hinab nach dem Flusse gegangen, um nach der Mühle überzufahren.

Die Fähre lag hüben am diesseitigen Ufer, an welchem sich ja auch der Fex befand. Beide Ruder zu führen, das war dem Franz jetzt unmöglich. Er sprang hinein, band die Fähre los und setzte sich ans Steuer. So erreichte er das andere Ufer; freilich weit unterhalb derjenigen Stelle, an welcher gewöhnlich angelegt wurde. Statt nun die Fähre zu befestigen, sprang er heraus und ließ sie abwärts treiben, um dem Fex einen Streich zu spielen. Er wußte, mit welcher Härte derselbe von dem Müller, welchem die Fähre gehörte, behandelt wurde.

Jetzt nun begab er sich nach der Mühle.

In dem Parterre des einen Gebäudes befand sich rechts die Wohnstube und links die Restauration. Auch in dem Blumengärtchen vor derselben standen Tische und Stühle für die Badegäste, welche an schönen Tagen nach der Mühle kamen, um Waldluft, Speise und Trank zu genießen, sich an den berüchtigten Grobheiten des Wirthes zu erheitern und - der schönen Müllerstochter einen freundlichen Blick in die herzigen Augen zu werfen.

Auch jetzt saß ein solcher Gast in dem Gärtchen.

Als der Fingerlfranz vorüberging, zog er seinen Hut. Er kannte den Herrn.

»Guten Morgen, Herr Capellmeister,« grüßte er.

»Guten Morgen,« dankte der Gegrüßte. »Kommen Sie vielleicht aus dem Walde?«


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»Ja.«

»Sind Ihnen Spaziergänger begegnet? Ich warte nämlich auf den Concertmeister Rialti.«

»Hab nix gesehn.«

Damit trat er in das Haus und dann rechts in die Wohnstube. Diese war sehr altmodisch ausgestattet. Ein riesiger Kachelofen stand in der einen Ecke, in der Andern ein so großes Sopha oder vielmehr Kanapee, daß vier Personen auf demselben hätten schlafen können. Eine alte Wanduhr mit deckenhohem Kasten, mehrere Teller- und Schüsselbrette, ein großer, eichener Ausziehtisch nebst ebensolchen Stühlen - so sah es in der Stube aus, deren Fenster nicht mit Vorhängen versehen waren. Auch einen Spiegel gab es nicht. Die Diele war gescheuert und mit duftigen Tannen- und Fichtenzweigen belegt.

Am Tische stand ein breiter, bequemer Polsterstuhl, welcher auf Rollen ging. In diesem saß der Müller, eine starke Gestalt, jetzt aber zusammengefallen und von der Gicht geplagt. Seine Beine waren mit Watte dick umwickelt und die Füße steckten in unförmlichen Filzstiefeln. Auf dem Kopfe trug er eine braunwollene Zipfelmütze, und der Oberleib wurde von einer sogenannten Fitzjacke eingehüllt. Das Gesicht war grob, wie aus Holz zugehackt. Keine Spur von Weichheit war in demselben zu bemerken. Härte, Härte und immer wieder Härte war das Einzige, was man aus diesen Zügen zu lesen vermochte. Es schien unglaublich zu sein, daß dieser Mann der Vater Paula's war.

Neben sich, an der Armlehne des Stuhles, hatte er eine alte Clarinette hängen, während die rechte Hand mit einer Peitsche spielte, deren Stiel kurz, die Schnur aber desto länger war, so daß sie bis in die entfernteste Ecke reichte.

Diese Peitsche war das Scepter, mit welchem der Müller regierte. Er konnte nicht vom Stuhle auf, also leitete er von demselben aus seinen Haushalt und sein ganzes Geschäft. Die Peitsche war sein Dolmetscher, wenn er es nicht für nöthig hielt, ein Wort zu sprechen. Und alle kannten die Stimme dieses Dolmetschers genau. Vom leisesten Schmitz durch die Luft bis zum stärksten Klatschen und Knallen um die Beine irgend eines lässigen Dienstboten gab es eine Stufenleiter als Ausdruck aller Gefühle des Müllers, von der wohlgefälligen Zustimmung bis hinauf zum höchsten Grimme. In seinem Hause gab es keine Person, welche nicht bereits die Peitsche gekostet hätte. Mancher neu eintretende Dienstbote nahm sich vor, beim ersten Hieb fort zu gehen; aber der Müller zahlte so gute Löhne und die Verpflegung war um so viel besser als in andern Häusern, daß man sich bald an das eigenartige Scepter gewöhnte. Sehr viel trug freilich Paula dazu bei. Wer einmal in den Dienst des Müllers getreten war, dem hatte es das gute, liebe Mädchen bald so angethan, daß es ihm schwer wurde, das Haus zu verlassen.

Fragte man nun, wer mit der gefürchteten Peitsche am Meisten in Berührung kam, so war sicher ein Jeder sofort mit der Antwort da: der Fex. Und eigenthümlich: Alle glaubten auch, daß er dies reichlich verdiene. Er bekam sein Essen und Trinken, aber keinen Lohn. Und Jahre waren vergangen, ohne daß er irgend ein Kleidungsstück erhalten hatte. Er sprach mit keinem Menschen ein anderes Wort, als was ganz un-


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umgänglich nothwendig war, und schlief im Sommer und im Winter draußen in der Fähre. Wie er das im Sturme und Schneegestöber aushielt, das hätte Keiner begreifen können, wenn es überhaupt irgend Einem eingefallen wäre, diese Frage sich vorzulegen.

Am Wortkargsten war er mit dem Müller selbst. Nie, wenn er mit diesem sprach, hatte Jemand gesehen, daß er eine Miene bewegte oder mit der Wimper zuckte. Selbst der schärfste Peitschenhieb war nicht im Stande, ihm den leisesten Seufzer des Schmerzes oder eine Bewegung des kleinsten Fingergliedes zu entlocken. Und warum das? Alle meinten, es sei Verstocktheit, Ehr- und Gefühllosigkeit; er aber allein wußte es besser. Der Grund, aus welchem er die furchtbare Sclaverei wie ein heiliger Märtyrer trug, hieß - - Paula.

Der Fex war ein Waisenkind, von einer fremden Zigeunerin hergebracht, welche hier gestorben war. Er war damals vielleicht vier Jahre gewesen und hatte eine fremde Sprache gesprochen, welche Niemand kannte. Später hatte sich nur der Müller seiner angenommen, aus Speculation. Er bekam einen Dienstboten, dem er keinen Lohn zu zahlen brauchte. Sonst waren Beide, der Müller und der Fex, einander fremd - natürlich! Dennoch aber gab es Leute, welche im Stillen meinten, daß zwischen diesen Beiden ein Geheimniß obwalte. Wehe Dem, welcher bei der Lösung dieses Räthsels die Kosten zu tragen hatte!

Es war keinem Menschen eingefallen, den Fex in die Schule zu schicken. Der Schulzwang schien für ihn gar nicht vorhanden zu sein. So war es gekommen, daß er weder zu lesen noch zu schreiben verstand und auch nicht wußte, daß zwei mal drei sechs ist. Sogar das Geld kannte er nicht, wie es schien. Für die Ueberfahrt nahm er, was man ihm gab, und lieferte es getreulich an den Müller ab. Es war da fast zu verwundern, daß er von der Thurmuhr ablesen konnte, welche Stunde es sei. Er war eben ein Fex, ein geistig impotenter Mensch, und was ihm ja von verschwindenden Geistesgaben angeboren war, das war ihm durch seine Verstocktheit vollständig verloren gegangen. -

Als der Fingerlfranz jetzt beim Müller eintrat, befand der Letztere sich allein in der Stube.

»Grüß Gott!« brummte der Kommende und warf seinen Hut in die Ecke des Kanapees, sich selbst daneben hin.

»Himmelsakermentski, wie siehst aus!« rief der Müller erschrocken.

»Wie soll ich aussehn, he?«

»Als obt aus einer Rauferei kommst.«

»Das kann wohl sein.«

»Jetzund bereits? Am Morgen schon?«

»Giebts alleweil eine bestimmte Stunden, an welcher das Raufen beginnen darf?«

»Das nicht. Wer Lust hat, der kann sich zu jeder Zeit den Hals brechen lassen. Aber zugericht bist hübsch, das muß ich sagen. Die Nasen ist fast ganz entzwei, und das Maul ist angeschwollen, wie eine doppelte Leberwursten.«


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»Also ists doch appetitlich!«

»Finds nicht grad so. Mit wem bist denn so scharf zusammengerathen?«

»Wird Dich nicht sehr interessirn!«

»Grad sehr! Du bist der stärkste Kerl allüberall, und Keiner ist Dir über. Da möcht man schon gern wissen, an wem Du den Meister gefunden hast.«

»Den Meister? Was fallt Dir ein! Wann die Rauferei ehrlich ist, so giebts für mich nie keinen Meister. Aber wann man heuchlerings überfallen wird, so kann auch der Riese Goliath nix dafür, wann er einen Schmarren ins Gesicht erhält.«

»Wie? Hinterrücks bist überfallen worden?«

»Kannsts doch denken.«

»So sag doch, von wem!«

»Von einem Gesind von Dir.«

Da hob der Müller die Peitsche empor und ließ sie mit leisem Pfiff durch die Luft gehen, so daß es klang, wie wenn Einer vor Verwunderung die Luft pfeifend durch die geöffneten Lippen stößt.

»Einer von mir? Das denkst wohl blos nur! Ich wüßt Keinen bei mir, der es wagen wollt, sich mit Dir zu messen.«

»Ja eben hinterrücks!«

»Dem wollt ichs anschreiben!«

Bei diesen Worten gab er mit der Peitsche einen scharfen Schwipps, wie man einem Pferde, welches sich nicht in den Strang legen will, das Peitschenende an die empfindliche Gegend des Bauches schwippt.

»Wirst nicht viel schreiben!« meinte Franz.

»Oho!«

»Es ist doch Dein Liebling!«

»Mein Liebling? Wer wäre das? Seit wann hätt denn der Thalmüller einen Liebling?«

»Seit langer Zeit.«

»So! Und wie heißt derjenige Favorit?«

»Fex.«

Da fuhr die Peitsche mit einem lauten Knalle durch die Luft.

»Der Fex ists? Der hat sich an Dir vergriffen?«

»Ja freilich!«

»Und gar von hinten, unverhofft?«

»Ganz ohne daß ichs ahnen konnt.«

»So, so! Dem werd ichs sauber anstreichen! Wie ists denn eigentlich kommen?«

»Ich traf die Paula - - -«

»Die? Das ist gut. Hast ihr was gesagt?«

»Ja. Sie hat aber noch nix gewußt.«

»Ist auch nicht nothwendig. Ein Dirndl erfährts allemal noch zu zeitig,


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welchen Mann sie todtärgern soll. Also Die hast troffen! Was hat sie nun dazu gesagt?«

»Nun, es kam ihr freilich unverhofft, und da springens Einem nicht gleich so an den Hals. Ich hab freundlich zu ihr sprochen, und sie war auch nachher gar nicht übel dabei. Das hat mich so gefreut, daß ich sie gar um ein Busserl beten hab.«

»Schau, schau!« schmunzelte der Müller, indem er dem Sprecher einen leisen, freundlichen Hieb mit der Peitsche gab. »So rasch gehts bei Euch! Was hat denn die Paula dazu sagt?«

»Sie hats gemacht, wies jedes Weibsbild beim ersten Male macht. Sie hat verschämt gethan und sich ein Wengerl geziert und gesperrt. Das muß ja so sein, denn eine Dirne, die gleich das Maul weit aufsperrt, wie ein Kukuk, den die Rothkätherln nicht derfüttern können, die taugt dem Teuxel nix. Darum hat auch das mich gefreut, denn das darf nicht sein, wies im Gestanzel heißt:

»Das Dirndl hat gesagt:
   Hier hast den Schlüssel:
Sperr auf, und komm
   Zu mir ein Bissel.«

Es ist alleweil immer besser, wann der Bub sich eine Müh dabei geben muß, und die hab ich mir eben auch geben wollen. Das hat der Paula gefallt; sie hat gelacht und sich gespreizt, und dabei sind wir uns mit dem Schnaberle immer näher kommen - weißt schon, wie mans macht - - -«

»Ja, und da hat sie Dir ein so kräftig Busserl geben, daß Dir Maul und Nas blutet hat!«

»Willst mich etwa auch noch verspotten und verlachen! Dazu hab ich halt keine Lust; das kannst Dir denken!«

Der Müller gab ihm einen leisen, beruhigenden Peitschenhieb und sagte:

»Was Du gleich rabiat wirst! So aber ist das Jungvolk immerfort. Erzähl jetzt nun weiter!«

»Also wir sind grad nahe am Busseln gewest, und ich hab ganz deutlich gemerkt, daß die Paula sich darnach gesehnt hat, da plötzlich empfang ich von hinten einen Hieb an den Kopf, und als ich da die Paula gehen laß und mich umschau, steht der Fex da und macht mir ein Gesicht, als ob er mich morden wollt. Die Augen haben ihm geblitzt wie lauter Pulver, Colphoni und Bärlappmehl, weißt, wann man damit einen Blitz durch die Lampen bläßt!«

»Verteuxeli! Was fällt ihm ein!«

»Grad so hab ich ihn auch gefragt; dafür aber hat er mir noch einen solchen Schlag geben.«

»Und Du, was hast nachher mit ihm gemacht?«

»Ich hab ihn freilich angefaßt und an die Erd geworfen, daß ihm die Knochen kracht haben.«

»All so ists recht! Und dann?«


Ende der siebten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk