Lieferung 92

Karl May

28. April 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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Kein Lied hätte besser für ihn gepaßt, und er sang es allerdings auch mit einer wahrhaft berauschenden Meisterschaft.

Die Triolen, welche bald wie glitzernde, gold- und silberschimmernde Wellen, bald aber wie dunkle, gischtspritzende und schaumspeiende Wogen hier leicht bethörend, dort schwer und zähe auf- und niederstiegen, bildeten ein Tongewoge, welches von seiner außerordentlichen Technik vollständig beherrscht wurde. Es versagte ihm nicht eine einzige Note, und selbst da, wo der Componist das Auftauchen der Seejungfern durch ungeheuer schwierige Sextolen, welche abwechselnd in der Quinte und der kleinen None gipfelten, beschrieb, kam dieses gradezu halsbrecherische Tongemälde zu einem gradezu diabolisch fehlerfreien Vortrag, daß es den Hörern hätte schwindeln mögen.

Und dazu seine Stimme! Sie stieg voll bis ins große C herab und schwang sich klar und verwegen bis zum letzten Ton der zweigestrichenen Octave hinauf. Das waren keine Töne, das waren Tropfen, Schaumflecken und Perlen, welche aus der Tiefe des Sees emporstiegen und über den Wassern funkelten und schillerten, um dann auf die schimmernden Leiber der Seejungfern niederzuträufeln.

Der Sänger war den Zuschauern unsympathisch geworden, theils durch sein hochmüthiges Benehmen, theils weil man gehört hatte, was heut zwischen ihm und Leni vorgekommen war. Als Mensch verdiente er keine Achtung, und mancher der Anwesenden hatte sich vielleicht im Stillen vorgenommen, zu seinem Vortrage sich völlig gleichgiltig zu verhalten. Aber dieser staunenerregenden Leistung gegenüber verloren solche Vorsätze alle ihre Kraft. Der Beifall, welcher losbrach, glich einem Sturme, welcher sich nicht legen zu können schien.

»Was sagst zu ihm, Leni?« fragte der alte Sepp draußen im Empfangssalon seine Pathin.

»Dazu möcht ich wohl gar nix sagen,« antwortete sie.

»Warum?«

»Weil ich nicht reden möcht, sondern lieber lautauf weinen. Es ist traurig, o so sehr traurig, lieber Sepp!«

»Hast Recht. Wer so eine Stimm hat, der sollt dem Herrgott auf den Knieen danken, und sich alle Müh geben, ein guter Mensch zu sein.«

»O, es ist nicht nur die Stimm allein; es ist auch die unvergleichliche Begabung für die Technik des Gesanges. Tausend Andere, wanns auch diese Stimm hätten, würden es im ganzen Leben nicht so weit bringen, dieses Fannylied richtig zu singen. Unser Herrgott hat dem Anton Alles in den Schooß worfen, was er zum Meister braucht. Ich kann Dir aufrichtig sagen, daß meine Stimm wohl noch schöner ist als die seinige, so weit man einen Sopranen mit einem Tenoren vergleichen darf; aberst das Andre besitz ich nicht in solchem Grade. Er braucht nur zu wollen, so kommts bei ihm geflogen; das hört man ihm an. Ich aberst hab manchen Tag und manche Nacht über einer einzigen, schweren Stelle üben müssen. Und darum hat auch das, was ich erreich, einen so großen Werth für mich. Er hats umsonst; darum wirft ers weg. Ich muß es mit theurer Müh bezahlen; darum halt ichs fest und


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heilig. Das ist dera Unterschied zwischen mir und ihm. Sein Talent macht ihn hochmüthig; mich aber macht das meinige streng gegen mich selbst. Wollen sehen, wer glücklicher sein wird, er oder ich.«

»Du, mein gutes, braves Herzerl, Du!« sagte der Sepp gerührt, indem er sie mit väterlicher Zärtlichkeit an sich drückte.

Diese beiden, braven Menschen verstanden sich so gut, weil sie ohne Falsch und ohne Flecken waren. Ihre Blicke leuchteten sich so warm und innig entgegen, daß - - - daß der Graf hätte eifersüchtig werden können. Er hatte sich nach Leni umsehen wollen und stand nun unter der Thür. Da war er absichtslos Zeuge der Umarmung.

Es gab ihm einen Stich durch das Herz. Dieses herrliche Mädchen lag so vertrauensvoll in den Armen des Alten. Aber, wunderbar! Dieser Stich verursachte ihm keine Schmerzen. Er gönnte dem Hauptmanne dieses Glück, denn er hatte ihn lieb gewonnen. Aber doch stieg es in seinem Herzen wie eine Art von Eifersucht auf, und es trat ihm plötzlich hell und klar die Gewißheit vor seine Seele, daß die Sängerin das einzige, das allereinzige Wesen sei, welches er mit seinen Armen, seinem ganzen Herzen und Leben umschlingen könne.

Da erblickte ihn Leni. Sie wand sich erglühend aus Sepps Armen. Dieser aber trat auf den Grafen zu, reichte ihm die Hand und sagte:

»Verzeihen Sie, daß wir hier in der Fremde uns vielleicht allzusehr an unsere heimathlichen Verhältnisse erinnern. Wenn dieselben Ihnen bekannt wären, so würden Sie es begreifen, daß wir Beide so gern und fest zusammenhalten.«

Der Graf drückte die ihm dargebotene Hand.

»Bitte, es bedarf keiner Entschuldigung. Sie hatten sich lange Zeit nicht gesehen; Sie trafen sich hier unerwartet; die Rechte der Herzen sind heilig. Ich klage mich schwer an, Sie gestört zu haben.«

Sie kehrten nach dem Musiksaale zurück, welchen Anton längst wieder verlassen hatte. Die Kapelle begann eben einen neuen Vortrag. Die Angehörigen derselben wußten auch nicht, welche der anwesenden Damen eigentlich die Ubertinka sei, denn sie hatten sich auch nach jedem Vortrage wieder in das Musikantenzimmer zurückzuziehen.

Nach ihnen traten, da die bisherige Reihenfolge beigehalten wurde, der Pianist und Violinist wieder auf, und sodann richteten sich die Blicke erwartungsvoll verstohlen wieder auf Leni.

»Man scheint zu wünschen - -« wollte der Graf sagen, welcher bei ihr stand.

»Ich bin an der Reihe,« lächelte sie, »und darf keine Unordnung aufkommen lassen.«

»Also wollen Sie?«

»Freilich.«

»Den Abendregen?«

Er sagte das Wort mit besonderer Betonung, als Nachklang ihrer Unter-


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haltung draußen im Augarten. Sie nickte zustimmend, und er geleitete sie an das Instrument.

Schon der Einleitung war anzuhören, daß man jetzt ein ganz eigenartiges Musikstück zu hören bekommen werde. Die Töne perlten leise, leise und heimlich, wie Regentropfen, welche an das Fenster klingen und eigenthümlich melodisch auf die Schiefer und Ziegeln des Daches schlagen.

Ebenso heimlich, melodiös tröpfelnd erklangen die Töne von Leni's Lippen:

»Horch, was klopft auf Busch und Baum?
   Fenster auf, zu lauschen!
Hör ich durch den Gartenraum
  Engelsflügel rauschen?
Nein, aus dunkler Wolke fließt
  Leiser, linder Segen;
Sieh, wie sanft es niedergießt!
  Sei uns tausendmal gegrüßt,
Süßer Abendregen!«

Es war für den Componisten eine sehr schwierige Aufgabe gewesen, dieses herrliche Lied Geroks in Musik zu setzen. Die Begleitung hatte den niedertröpfelnden, leisen Abendregen zu malen. Aber die Lösung war ihm auf das Beste gelungen. Die innig mit einander verbundenen Töne glichen harmonischen Tropfen, welche vom Himmel thauen, wenn nach einem heißen, sengenden Tage die Sonne hinter Wolken verglüht ist und dann der gütige Abend der Erde das erquickende Naß spendet, welches der verbrannten Flur das Leben wiedergiebt.

Dann tritt der fromme Landmann an das Fenster, lauscht der linden Melodie des tropfenden Segens und faltet die Hände, um aus dankerfülltem Herzen ein Gebet emporzusenden.

So fromm und gut klangen auch die weichen, herzlichen Töne der Sängerin:

»Linde legt sich schon der Staub,
   Balsamduft umwittert;
Stille hält das durstge Laub,
   Das vor Wonne zittert.
Trunken schlägt die Nachtigall
   In Jasmingehegen,
Und vermischt mit Flötenhall
   Deiner Tropfen leisen Fall,
Linder Abendregen!

O, wie wehn so feucht und weich
   Die verkühlten Lüfte!
O, wie wogen würzereich
   Nachtviolendüfte!
Was der Dürre sich verschloß,
   Oeffnet sich dem Segen;
Mach aus meines Herzens Schooß
   Auch des Dankes Düfte los,
Holder Abendregen!«


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Jetzt modulirte die Begleitung in ein sanftes, klagendes Moll über, denn es giebt auch im Seelenleben des Menschen Tage der Dürre, wo nur ein Thränenregen die Qual lösen, den Schmerz besiegen und das Herz wieder mit Hoffnung erfüllen kann:

»Sag, was kommt so mildiglich
   Gleich wie Du geflossen?
Thränen sind es, die in sich
   Lang ein Mensch verschlossen.
Aber endlich fühlt sein Herz
   Inniges Bewegen;
Thränen fließen niederwärts,
Lösen den verjährten Schmerz
   Wie ein Abendregen.

Rausche, rausche immerfort
   In der Abendstille;
Bricht auch schon ein Sternlein dort
   Aus der Wolkenhülle,
Und indeß wir uns zur Ruh
   Leichten Herzens legen,
Säußle vor dem Fenster Du,
Sing ein Schlummerlied uns zu,
   Milder Abendregen!«

Diese letzte Strophe war in belebterem Tempo gehalten. Es glänzten ja hier und da wieder Sterne am bisher verhüllten Firmament, und der Abendregen hatte, nachdem die lechzende Erde erquickt war, nur noch die beruhigten Müden in Schlaf zu singen. Die runden, perlenden, zauberhaften Töne der Sängerin schwebten auf den Klängen des Piano wie schwimmende Sterne durch den Raum und verklangen nach und nach so lieb, so mild wie goldene Himmelsaugen, welche sich leise zum Horizonte senken, um hinter demselben zur Ruhe zu gehen.

Das war ein Lied gewesen, wie man noch keines gehört hatte. Es lag etwas so Geheimnißvolles, Räthselhaftes, Unirdisches in dieser Composition, und grad so unbegreiflich hatte auch Leni's Stimme geklungen, gar nicht, als ob sie aus einer Menschenbrust komme, sondern einem unsichtbaren Wesen entstamme, welches himmlische Melodien athmet.

Die Zuhörer waren weder zu Thränen gerührt noch zu lautem Frohlocken begeistert; nein, der Eindruck dieses Gesanges war ein ganz, ganz anderer, ein unendlich tieferer. Es war, als sei eine himmlische Daseinsform herabgeschwebt, dem Auge nicht erkennbar und mit keinem Sinne als nur mit dem Gehöre zu begreifen. Wenn es wahr ist, was die Gelehrten sagen, daß es eine Musik der Sphären giebt, so mußte das, was man jetzt gehört hatte, jenen unendlichen Räumen entstammen, in denen Sonnen ertönen und Sterne singen.

Es waren Worte, welche gesungen worden waren, aber man hatte nicht auf diese Worte gehört, sondern auf den unendlich süßen, in ein stilles Entzücken versetzenden Klang der Stimme, für welchen es in der Sprache keine treffende Bezeichnung gab. Es war den Anwesenden, als ob sie im Traume


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Engelsstimmen vernommen hatten. Sie nahten sich in stiller, wortloser Bewunderung der Sängerin. Man drückte und küßte ihr die Hände und bereitete ihr einen Triumph, welcher zwar wortlos aber aufrichtig und ergreifend war.

Auch der Graf sagte nichts. Er sah das herrliche Mädchen umringt von den Anderen und schritt vom Piano fort auf den alten Sepp zu, welcher an der erwähnten Thür stand und mit derselben das bereits beschriebene Experiment vorgenommen hatte. Er ergriff dessen Hand und schüttelte sie herzlich.

»Sie Glücklicher!« sagte er zu ihm. »Wie sind Sie zu beneiden!«

»Ich? Weshalb, Graf?«

»Daß Sie eine solche Pflegetochter besitzen.«

»Ach, deshalb! Ja, sie ist stets meine größte Freude gewesen und hat mich niemals betrübt.«

»Wie ist sie denn aus der verborgenen Sennerin eine solche Sängerin geworden?«

»Der König Ludwig hat sie entdeckt und dann auf seine Kosten ausbilden lassen.«

»Er selbst! Ich könnte diesem Monarchen herzlich zürnen, daß nicht ich an seiner Stelle gewesen bin. Ich befinde mich in einer gradezu unbegreiflichen Stimmung. Nicht sie, sondern ihre Seele hat gesungen. Und diese Seele muß so fromm und so rein sein, wie die Klänge dieses Liedes waren. Sie erscheint mir wie ein Engel, dessen lichte, fleckenlose Gewandung niemals mit dem Schmutze des Irdischen in Berührung gekommen ist oder kommen kann.«

»Da haben Sie freilich Recht!« stimmte der Sepp mit einem frohen Seufzer bei. »Wenn sie auch kein Engel ist, so darf ich doch sagen, daß ich noch niemals ein Mädchen gefunden habe, welches meiner braven Leni gleicht.«

»Leni, also Leni ist ihr Taufname,« flüsterte der Graf, indem sein Auge wonnig erglänzte. »Glücklich Derjenige, welcher das Recht besitzt, sie mit diesem Worte zu nennen!«

Da ging hinter ihnen die Thür auf, und der Lakai, welcher die Musici zu bedienen hatte, trat ein. Er ging zu dem Commerzienrath und meldete ihm, daß der Sänger Criquolini mit ihm sprechen wolle.

»Der? Was hätte er mir mitzutheilen?« fragte der Hausherr.

»Er hat gegen mich nichts geäußert. Er scheint über irgend Etwas erzürnt zu sein.«

»Hast vielleicht Du es an Aufmerksamkeit gegen ihn fehlen lassen?«

»O nein. Die Herren haben Alles, was ihr Herz begehrt, und ich habe alle ihre Wünsche erfüllt.«

»Hm! Will sehen!«

Er begab sich nach dem Musikantenzimmer. Der Sepp ahnte, was sich dort ereignen werde. Er ging zur Leni und suchte sich mit ihr so zu placiren, daß der Krickelanton, wenn er ja durch die Thür hineinschauen sollte, die Beiden nicht erblicken konnte.

Als der Commerzienrath eintrat, schritt der Sänger zornig im Zimmer auf und ab. Die Augen der Anderen waren gespannt auf ihn gerichtet.


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»Sie haben mich zu sprechen gewünscht?« fragte der Commerzienrath.

Anton wendete sich mit einem raschen Rucke ihm zu, fixirte ihn mit einem beinahe verächtlichen Blick und antwortete:

»Ja, Herr Baron. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie wissen, was Kunst ist!«

»Ich glaube allerdings, das zu wissen,« antwortete der Commerzienrath, erstaunt über diese Frage.

»Und welche großartige Bedeutung die Kunst für das Menschengeschlecht und dessen Entwickelung hat?«

»Auch das weiß ich.«

»Nun, so werden Sie auch wissen, welches Quantum von Ehre man dem Künstler zu erweisen hat!«

»Ich hoffe es.«

»Schön, Herr Baron. Halten Sie uns, die wir hier vor Ihnen stehen, für Künstler oder für Stümper und Dilettanten?«

»Welche Frage, Signor!«

»Bitte, antworten Sie! Und berücksichtigen Sie bei Ihrer Antwort ganz besonders mich!«

»Ich weiß zwar nicht, weshalb Sie meine Meinung von mir fordern, aber ich will Ihnen mittheilen, daß ich Sie allerdings für einen Künstler halte.«

»Warum behandeln Sie mich nicht als solchen?«

»Hätte ich das unterlassen? Es ist mir nichts bewußt davon.«

»So! Ich bin stets der Ueberzeugung gewesen, daß die Kunst ihren Jünger adelt und daß der Letztere berechtigt ist, als Kavalier betrachtet zu werden!«

»Gewiß!«

»Nun, warum pferchen Sie uns hier ein wie in einen Stall? Warum bedenken Sie uns nicht ebenso mit einer Einladung wie die Signora Ubertinka, welche doch nichts Anderes ist, als wir sind?«

»Einpferchen? Mein Herr, Sie bedienen sich da ganz eigenthümlicher Ausdrücke!«

»Ich bin sehr berechtigt dazu, denn wir sind sogar, während Keiner von uns sich zu produciren hatte, hier eingeschlossen worden.«

»Unmöglich! Davon weiß ich nichts.«

»So ist das ohne Ihren Befehl geschehen, ändert aber nichts an der Sache selbst. Wir haben die Sängerin sehen wollen, aber während ihres zweimaligen Auftretens diese Thür von innen verschlossen gefunden.«

»Das muß ein Irrthum sein!«

»Es ist keiner. Diese Herren können es mir bezeugen. Sollte es wirklich wahr sein, daß Sie nichts davon wissen, was ich allerdings noch bezweifeln möchte, so - - -«

Er sprach in erhobenem Tone, ganz so, als ob er der Vorgesetzte des Barons sei. Dieser hatte ihm bisher ruhig und höflich geantwortet, jetzt aber brauste er auf, ihn unterbrechend:


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»Halt! Wollen Sie erklären, daß ich ein Lügner sei? Das verbitte ich mir!«

»Pah! Sie sind verantwortlich für die Angelegenheiten, welche in Ihrem Hause geschehen, mögen Sie nun Etwas davon wissen oder nicht!«

»Herr, Sie werden frech! Mag die Thür verschlossen worden sein von Diesem oder Jenem, mir ist das gleich. Sie haben sich darüber nicht zu beschweren. Daß Sie die Sängerin sehen wollen, geht mich nichts an; ich habe dieselbe für mich eingeladen, nicht aber für Sie. Das gebe ich Ihnen zu bedenken!«

»Dagegen kann ich nichts haben. Aber warum bin ich nicht auch geladen worden?«

»Sie sind nicht geladen, sondern nur engagirt. Dazu habe ich meine Gründe.«

»Besitzen Sie denn da auch den Muth, mir dieselben mitzutheilen?« fragte er höhnisch.

»Allerdings! Es gehört kein Muth dazu. Oder meinen Sie etwa, daß ich mich vor Ihnen zu fürchten habe?«

»Pah! Für einen großen Helden halte ich Sie nicht. Also bitte, die Gründe!«

»Der Grund ist, daß ich Sie für das halte, was ich Ihnen nicht zu sein scheine, nämlich für einen Helden.«

»Ah! Wie meinen Sie das?«

»Sie sind ein Held, aber von einer sehr zweifelhaften Sorte. Sie fallen im Augarten brave Mädchens an und werden dafür von Reitknechten gepeitscht. Und da verlangen Sie, daß ich Ihnen eine Einladung ertheile? Ich bin ein aufrichtiger Bewunderer der Kunst und ein Freund der Künstler; aber ich weiß sehr wohl, den Künstler vom Menschen zu unterscheiden. Als Künstler haben Sie für Ihre beiden Lieder unsern Beifall erhalten; als Mensch aber verdienen Sie nicht Applaus, sondern - -«

Er sprach nicht weiter.

"Was verdiene ich als Mensch?"

»Fahren Sie fort!« gebot Anton, einen Schritt näher tretend. »Was verdiene ich als Mensch? Ich will es wissen!«

»Unsere - Verachtung. Da haben Sie es!«

Der Sänger fuhr zusammen, richtete sich dann hoch auf, ballte die Faust und rief:

»Was? Wie war das? Bitte, sagen Sie mir das gefälligst noch einmal!«

Er ballte drohend die Hand. Der Baron aber antwortete furchtlos:

»Unsere Verachtung! Nun werden Sie es sich wohl merken können, da ich es Ihnen wiederholt habe.«

»Mensch - - - Kerl - -! Diese Frech - - -!«

»Schweigen Sie!« donnerte ihn der Baron an. »Noch ein einziges, beleidigendes Wort, so lasse ich Sie hinauswerfen. Machen Sie sich davon!


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Ich dulde ein Subject, wie Sie sind, keinen Augenblick länger in meinem Hause!«

Der Sänger machte Miene, ihn anzufassen, konnte diese Absicht aber nicht ausführen. Die Unterredung war so laut geführt worden, daß man die zornigen Stimmen der Beiden auch in den Salons und dem Corridore hörte. Mehrere Diener waren herbei geeilt und drängten Anton von ihrem Herrn ab.

»Hinauswerfen wollen Sie mich!« knirschte der Sänger. »Ah, das soll ganz Wien erfahren. Ich werde dafür sorgen, daß Sie bei sämmtlichen Künstlern der Hauptstadt in Verruf gerathen. Kein Einziger derselben soll mehr Ihre Schwelle überschreiten!«

»Darüber würde ich mich gar nicht wundern, da Sie hier gewesen sind. Man kann von achtbaren Künstlern freilich nicht verlangen, daß sie da verkehren, wo sich ein rüder Mädchenjäger aufgehalten hat. Uebrigens kann es mir nur zur Ehre gereichen, von Ihnen in Verruf erklärt zu werden. Und nun sind wir mit einander fertig. Gehen Sie!«

Anton lachte laut auf.

»Ja, ich gehe,« antwortete er, »sonst muß ich gewärtig sein, von Ihnen engagirt und nachher wegen Hausfriedensbruch angeklagt zu werden. Aber bevor ich mich entferne, haben wir noch etwas Nöthiges abzumachen.«

»Ich wüßte nicht, was das sein könnte!«

»Etwas rein Geschäftliches allerdings, nämlich meine kleine Rechnung.«

»Ah, schön!« sagte der Baron verächtlich. »Sie sind ja Miethling und müssen natürlich bezahlt werden. Also bitte, wie hoch beläuft sich Ihr Honorar?«

»Sie zahlen natürlich den mir geläufigen Preis, fünfhundert Gulden pro Lied; das macht also tausend Gulden.«

»Taus - send - Gul - den?« fragte der Baron, dem der Mund offen stehen bleiben wollte. »Sind Sie toll, mein Herr!«

»Nein, gar nicht. Dieses Honorar ist sogar sehr civil bemessen, da Sie ja eingestandenermaßen genau wissen, was ein Künstler zu bedeuten hat.«

»So meinen Sie wirklich, daß Ihre beiden Vorträge diese Summe werth sind?«

»Gewiß! Ich kann Ihnen nachweisen, daß ich in Amerika ganz so bezahlt worden bin. Und heut am Vormittage haben Sie mir gesagt, daß meine Rechnung beglichen werden soll. Hätten Sie mich geladen und nicht 'gemiethet', wie Sie sich auszudrücken beliebten, so hätte ich gratis gesungen, und Ihnen wären tausend Gulden erspart geblieben. Oder wünschen Sie, daß ich diese Honorarforderung einklage?«

Er sagte das in wahrhaft giftiger Weise. Der Commerzienrath antwortete sogleich:

»Nein. Ein Baron von Hamberger läßt sich von einem Criquolini nicht verklagen. Verfügen Sie sich morgen früh in mein Geschäfts-Comptoir. Ich werde meinen Kassirer beauftragen, Ihnen diese Summe auszuzahlen. In welcher Geldsorte wünschen Sie dieselbe?«


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»In derjenigen, die Ihnen beliebt.«

»Schön, Signor. Hoffen wir, daß nicht Ihnen selbst die Summe zu bedeutend wird.«

Er verbeugte sich ironisch und der Sänger entfernte sich.

Der Baron aber schrieb einige Worte auf eine Visitenkarte und befahl dem Lakai, dieselbe sofort nach der Wohnung des Hauptcassierers zu tragen. Sie enthielt den Befehl:

»Wo möglich noch heute Abend für tausend Gulden Kupfermünzen besorgen. Morgen früh Criquolini aushändigen.«

Darauf kehrte er in den Salon zurück und erzählte halb zornig, halb belustigt, über welchen Gegenstand er sich mit dem Sänger habe unterhalten müssen.

Dieses Vorkommniß vermochte nicht, eine Störung herbeizuführen, besonders da nach kurzer Zeit die Tafel eröffnet wurde und jeder Herr seine Dame zu Tische führte.

Der Graf hatte erreicht, daß er Leni neben sich bekam. Er bediente sie mit einer Aufmerksamkeit, als ob sie eine regierende Fürstin sei.

Natürlich war das Tischgespräch meist auf Musik gerichtet. Leni lobte mit einigen anerkennenden Worten die Fertigkeit, welche der Graf auf dem Clavier gezeigt hatte, und fragte ihn, ob er auch singe.

»Nur unter zwei Augen,« antwortete er.

»Das ist sehr wahr,« bestätigte die Commerzienräthin, welche seine Worte gehört hatte. »So oft ich Gäste bei mir gesehen habe, ist nach den Künstlervorträgen dann von uns noch privatim ein Wenig musicirt und gesungen worden. Der Graf hat sich da nie geweigert, zu spielen; alle unsere Bitten aber, ein Gesangsstück vorzutragen, sind vergeblich gewesen. Wir sind darüber sogar zuweilen in wirklichen Zorn gerathen!«

»Wüßte ich nicht,« antwortete der Graf, »daß Sie nur scherzen, so würde mich Ihr Zorn auf das Tiefste betrüben, gnädige Frau. Ich habe mich zu singen geweigert, weil ich verhüten wollte, eben diesen Ihren Zorn zu erwecken. Ich befinde mich nämlich in dem unglücklichen Besitze einer Stimme, welche ich unmöglich hören lassen kann.«

»Wer glaubt Ihnen das? Niemand! Man hat mir sogar im Vertrauen mitgetheilt, daß Sie einen prachtvollen Bariton haben sollen. Wollen Sie das leugnen?«

»Einen Bariton habe ich, aber was für einen! Wollte ich mich bei Ihnen hören lassen, so würden Ihre gerühmten Salons vollständig in Mißcredit gerathen.«

»Darauf möchte ich es ankommen lassen. Haben Sie Muth, Graf?«

»Nein. Als Sänger bin ich entsetzlich schüchtern.«

»Man wird Sie so gut begleiten, daß Sie nicht umschütten können.«

»O, in dieser Beziehung habe ich gar keine Sorge, meine Gnädige. Aber meine Stimme klingt gerade so - hm, womit soll ich sie vergleichen? - gerade so, wie ein ungeöltes Wagenrad.«


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»Das wäre höchst interessant. Graf Senftenberg, welcher nur lauter Vorzüge und gar keine Schwächen besitzt, hat eine Stimme, welche er nicht hören lassen kann! Aber nun wollen wir sie gerade hören! Und wenn Sie nicht wollen, so wird man Sie zu zwingen wissen!«

Sie sagte das in komisch drohendem Tone.

»Kennen Sie ein solches Zwangsmittel?« fragte er belustigt.

»Ja, gewiß.«

»Warum haben Sie es da nicht bereits schon in Anwendung gebracht?«

»Weil ich erst heut Abend in den Besitz desselben gekommen bin. Es heißt - Signora Ubertinka. Bitte, Signora, unterstützen Sie meine Aufforderung. Er wird ganz gewiß nicht den Muth besitzen, Sie zu erzürnen, indem er Ihre Befürwortung nicht beachtet.«

Aller Augen richteten sich natürlich auf Leni. Sie erröthete verlegen und antwortete:

»Ich muß die Ehre der Fürsprecherin ablehnen, denn ich habe keine Berechtigung, anzunehmen, daß ich die Entschließungen des Herrn Grafen auch nur im Geringsten beeinflussen könne.«

Dabei blieb sie trotz mehrfacher Aufforderungen von auch anderer Seite, ein Verhalten, von welchem der Graf sich sehr befriedigt fühlte, denn er ersah daraus, welch einen feinen Tact, welch Zartgefühl und welche Bescheidenheit Leni besaß.

Nachdem das Souper eingenommen worden war, wurde allerdings zwischen den einzelnen Tänzen privatim musicirt. Einige Damen und auch Herren ließen sich hören. Die Stimmung wurde so animirt, daß sogar der Sepp Leni fragte, ob sie nicht Lust habe, mit ihm einen echten, bayrischen Jodler zu singen.

»Willsts wirklich wagen?« fragte sie ihn unter einem pfiffigen Lächeln.

»Warum nicht?«

»Als Sepp hast jodeln dürft; obsts aber auch als Hauptmann darfst, das ist ungewiß.«

»O, ich thät jodeln, auch wann ich ein Feldmarschalllieutenanten wär. Meine Stimm ist noch gar nicht schlecht, und ich denk, daß wir nicht auslacht werden.«

»Gut, so wollen wirs versuchen.«

»Aberst mir fehlt die Zithern, und ein Pianoforten kann ich nicht spielen.«

»So werd ich selbst begleiten. So viel Clavier hab ich halt im München lernt.«

Es erregte allgemeine Sensation, als bekannt wurde, daß die Beiden einen Jodler vortragen wollten. Der alte Sepp machte seine Sache recht gut und reicher Beifall war der Erfolg.

Dadurch aber wurde die Person des Hauptmannes für die Anwesenden noch mysteriöser, als sie bereits schon war. Ein Officier, welchem Millionen


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zur Verfügung standen, der trotz seiner hohen Jahre wie ein echter Gebirgsbub jodelte, das war doch eigentlich etwas Ungewöhnliches.

Und auch Leni zeigte sich in einem ganz anderen Lichte, als sie die frohen, heimischen Weisen erschallen ließ. Das waren nicht die früheren Himmelstöne, sondern das war das heitere, jubelvolle Trillern der Lerche, welches die Zuhörer hinriß.

Der Graf war ganz begeistert von dieser neuen Leistung.

»So froh, so heiter können Sie sein?« sagte er. »Da wird mir das Herz wieder leicht.«

»Ists Ihnen schwer gewesen?« fragte sie.

»Ja. Die Bewunderung, welche bisher mein Herz erfüllte, drückte mich beinahe nieder. Es war mir, als ob ich aus der Tiefe zu Ihnen aufschauen müsse, als ob Sie in einer unerreichbaren Höhe über mir thronten. Nun aber sehe ich, daß Sie doch neben mir stehen, daß ich Sie mit meinen Augen, mit meinen Händen erreichen kann. Das nimmt die Beängstigung von mir und macht mich froh.«

Sie erglühte. In seinen Worten lag ja ein Geständniß, welches sie nicht verstehen durfte. Darum entgegnete sie:

»Ich bin ganz im Gegentheile überzeugt, daß Sie hoch über mir stehen. Ich bin die kleine Lerche, welche trillern darf, so oft sie das Schnäbelchen aufthun will. Sie aber sind - sind -«

Sie zögerte, fortzufahren.

»Bitte, was bin ich?« drängte er sie, sich zu ihr niederneigend.

»Sie sind - - der vornehme, stolze Graf, welcher nicht - nicht singen will.«

»Stolz? Nein, diese Eigenschaft kenne ich nicht an mir. Und daß ich nicht singe, ist keine Ueberhebung.«

»Haben Sie denn wirklich so eine häßliche Stimme?«

»O nein. Ihnen will ich gestehen, daß mein Bariton sich recht wohl hören lassen kann.«

»Nun, warum lassen Sie sich da so vergeblich bitten?«

»Es ist wirklich nichts als eine gewisse Schüchternheit.«

»So fassen Sie Muth!«

»Heißt das, daß ich singen soll?«

»Ja.«

»Aber, warum befürworteten Sie vorhin nicht die Bitte der Commerzienräthin?«

»Weil - bitte, erlassen Sie mir diese Antwort!«

»Und doch möchte ich sie so gern hören. Bitte, bitte, Signora!«

Er hatte das Gesicht so zu ihr niedergesenkt, daß sie seinen Athem fühlte. Seine Stimme klang so mild, so innig. Es durchzitterte sie ein unendlich seliges Gefühl.

»Sie hätten mir zürnen müssen,« antwortete sie leise.

»Warum zürnen?«


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»Weil Niemand ein Recht hat, am allerwenigsten aber ich, sich eine Gewalt über Sie anzumaßen.«

»Was das betrifft, so giebt es freilich eine Person, aber auch nur eine einzige, für deren Wunsch ich kein Widerstreben hätte. War es Ihr Wunsch, mich singen zu hören?«

Sie blickte ihm ernst, fast vorwurfsvoll in die Augen, antwortete aber heiter, als ob sie den Sinn seiner Worte nicht verstanden habe:

»Ich hätte es gern gehabt, um der anderen Herrschaften willen, denen dadurch gewiß eine Freude bereitet würde.«

»Gut, so will ich singen, aber nur unter einer kleinen Bedingung. Werden Sie mir dieselbe erfüllen?«

»Ja, wenn ich kann.«

»Sie können es. Es kostet Sie gar nichts, gar nichts. Ihr Wunsch soll erfüllt werden, wenn Sie mir gestatten, Sie nur einmal, nur ein allereinziges Mal bei Ihrem Vornamen zu nennen.«

Jetzt war das Roth, welches ihre Wangen überflog, von intensivster Tiefe.

»Signora, antworten Sie mir! Darf ich?« flüsterte er fragend. Sie nickte.

»Ich danke herzlich, herzlich!« klang es aus der Tiefe seiner Brust. »Sie dürfen freilich nicht eine großartige Kunstpiece von mir erwarten. Ein Lied, ein einfaches Lied nur ists, was ich singen kann. Bitte, wählen Sie, welches!«

Es lag eine solche Herzinnigkeit in seinem Tone und aus seinen ernsten Augen strahlte so wahr und aufrichtig das Gefühl, welches seine ganze Seele erfüllte, daß Leni, was ihr wohl noch nie passirt war, sich wirklich tief verlegen fühlte. Sie antwortete mit leise vibrirender Stimme:

»Ich weiß ja nicht, welche Sie singen.«

»Nun, die bekannten Compositionen unserer beliebten Liedercomponisten, Schubert, Mendelssohn, Kücken, Abt und Andere.«

»Haben Sie darunter ein Lieblingslied?«

»Warum fragen Sie so?«

»Weil ich dieses hören möchte.«

»Leider giebt es kein besonderes, welches ich bevorzuge. Aber - ich kenne eins, welches ich am Liebsten wählen würde, weil - weil - weil ich es heut, jetzt, so recht aus vollem Herzen singen könnte.«

»So wählen Sie es, bitte.«

»Wohl, ich werde es wählen. Aber ich singe es nicht um der Anderen willen, sondern ich singe es nur für Sie, für Sie allein. Ihnen gelten die Worte, und Sie sollen mir dann sagen, ob Sie meinen einfachen Vortrag mit einem milden Urtheile belegen werden.«

Gerade jetzt war ein Tanz zu Ende gegangen. Der Graf begab sich zu dem Pianisten, nannte ihm das Lied und erfuhr von ihm, daß er es ohne Noten begleiten könne. Als dann Beide an das Instrument traten, ging ein allgemeines »Ah!« des Erstaunens durch den Saal.


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»Der Graf will singen, der Graf!« hieß es. »Er hat sich soeben längere Zeit mit der Signora unterhalten. Sie hat ihn also doch so weit gebracht. Die Glückliche!«

Man nahm erwartungsvoll Platz. Leni blieb stehen, wo sie sich befand. Ihr Herz klopfte heftig. Er wollte nur für sie singen! Ihr sollten die Worte des Liedes gelten! Welches würde es sein?

Sie griff unwillkürlich mit beiden Händen nach ihrer Brust, als er am Schlusse des Vorspieles begann:

»Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
   Da war's um mich geschehen.
Ich fühlte Deines Auges Strahl
   Durch meine Seele gehen.
Ich fühlte Deiner Stimme Laut
   Mich wunderbar durchdringen.
Dein Blick so süß, Dein Wort so traut
   Erweckten neu mein Singen.«

Der Graf hatte leise begonnen. Seine Stimme zitterte ein Wenig, man hörte es. Er hatte noch nie in solcher Gesellschaft gesungen und war in Wirklichkeit schüchtern. Aber nach und nach wurde seine Stimme fester und sicherer. Sie erhob sich zu ihrer vollen Stärke, und nun hörte man allerdings, daß er einen prächtigen, auch recht gut geschulten Bariton besaß. Das klang so voll und frisch und dabei doch so zart und schmelzend, und in tiefster Innigkeit ertönte die zweite Strophe:

»Mit dem Gebet: 'O wärst Du mein,
   Mir, wie ich Dir, ergeben!'
Senkt ich in Deines Auges Schein
   Mein ganzes Sein und Leben.
Ich lauschte Deines Wortes Klang,
   Und die mich floh'n, die Lieder,
Sie kehrten, wie mit holdem Sang
   Im Lenz die Lerchen, wieder.«

Ja, so war es! Die Liebe zu Leni hatte ihn zum Singen gebracht, diese Liebe ganz allein. Sie fühlte, daß dieses Geständniß an sie gerichtet war. Sie hatte bemerkt, daß es von seinen Augen gesehen worden war, als sie mit den Händen nach dem Herzen griff. Sie wurde bald blaß und bald roth. Ihn aber erfüllte es mit Jubel und laut erklang die letzte Strophe:

»Dein Blick so süß, Dein Wort so traut
   Erweckten neu mein Singen.
Ich fühlte Deiner Stimme Laut
   Mich wunderbar durchdringen.
Ich fühlte Deines Auges Strahl
   Durch meine Seele gehen;
Ich sah Dich nur ein einzig Mal,
   Da war's um mich geschehen!«


// 2198 //

Man hatte gewußt, daß der Graf singen könne, aber er hatte alle Erwartungen weit übertroffen. Man überschüttete ihn mit Glückwünschungen über das Gelingen seines Debüts. Er nahm das ziemlich gleichgiltig hin. Von den Herren und Damen umringt, suchte er mit sehnendem Blicke die Sängerin. Sie befand sich nicht mehr im Saale.

Sie war in den Empfangssalon geschlüpft und stand dort hinter den Gardinen am Fenster. Ihr Busen wogte, ihr Herz klopfte so stürmisch. Was war mit ihr geschehen?

Hatte sie nicht bisher den Krickelanton geliebt? Hatte sie sich nicht elend gefühlt, da er für sie verloren war? Und heute hatte sie erkennen müssen, daß er ihrer Liebe nicht werth sei und daß ihre Lebenswege sich in Zukunft niemals wieder berühren könnten?

Hätte sie durch diese Erkenntniß nicht eigentlich niedergeschmettert werden müssen? Hätte sie nicht darüber weinen müssen, weinen immerfort? Gewiß!

Und nun? Weinte sie? Nein. Fühlte sie sich unglücklich? Abermals nein. Es war im Gegentheile in ihr die Empfindung erwacht, als ob sie neugeboren sei, als ob sie erst heute zu leben beginne. Die ganze schwere, trübe Vergangenheit war versunken und vor ihr flammte eine Helle auf, in welche sie nicht zu blicken wagte. Sie fürchtete, geblendet zu werden.

Sie wußte, daß der Graf jetzt kommen werde, um sein Urtheil zu empfangen. Sie zitterte bei diesem Gedanken. Aller Augen mußten es bemerken, wie auffällig er sie bevorzuge. Wenn er doch nicht käme! Und doch sehnte sie sich, ihn zu sehen, ihn zu hören und ihm zu sagen, daß -

Was denn? Was wollte sie ihm sagen? Sie wußte es und wußte es doch nicht.

»Herrgott, führe es zum guten Ende!« flüsterte sie. »Gieb mir die Kraft, mich dagegen zu wehren! Wie darf ich so Etwas nur denken!«

Drin im Saale begann die Tanzmusik wieder. Die Gäste waren also mit sich selbst beschäftigt, und das benutzte der Graf jedenfalls, Leni unauffällig aufzusuchen. Es bemächtigte sich ihrer ein Gefühl, welches sie Angst hätte nennen mögen. Und da war er auch schon. Sie hörte seinen Schritt. Er suchte sie. Er sah sie und trat zum Fenster.

»Signora!«

Sie that, als ob sie es nicht gehört habe. Sie glich dem Strauße, welcher vergebens seinen Kopf versteckt, um sich zu retten. Er wird ja doch vom Jäger gesehen und - erlegt.

»Signora! So gedankenvoll?«

Jetzt konnte sie nicht anders. Sie mußte sich ihm zudrehen. Ihr Gesicht war leichenblaß und ihre dunklen Augen schauten fast angstvoll auf ihn. Er sah es und trat einen Schritt zurück.

»Sie zürnen mir?« fragte er.

Sie antwortete nicht. Sie hätte jetzt keinen Laut hören lassen können.

»Bitte, sagen Sie mir aufrichtig, daß Sie mir zürnen. Soll ich gehen? Soll ich Sie verlassen?«


// 2199 //

Sie konnte nicht reden. Sie wollte Ja sagen, und da sie nicht einmal dieses Wörtchen hervorbrachte, wollte sie nicken, daß er gehen solle. Aber - wie kam es doch nur, daß sie nicht nickte, sondern schüttelte?

»Ich darf bleiben? Gott sei Dank!« sagte er, tief und erleichtert aufathmend. »Sie haben mein Lied gehört und verstanden?«

Jetzt nickte sie.

»Und verurtheilen mich nicht, daß ich gerade dieses und kein anderes gewählt habe?«

»Nein,« hauchte sie.

»Dann will ich auch meine Bedingung erfüllt haben. Ich wage es.«

Er ergriff ihre Hand, zog dieselbe an seine Lippen und flüsterte dann, seinen Blick tief in ihre Augen senkend:

»Leni, Leni, ich habe nicht geahnt, welcher Seligkeiten das Menschenherz fähig ist. Ich sah Dich nur ein einzig Mal, da wars um mich geschehen. Weiter kann, will und darf ich heute nichts sagen. Der Allgütige möge es nach seinem Wohlgefallen lenken!«

Da trat der Sepp herein. Als er die Beiden Hand in Hand dastehen sah, zuckte es vergnügt über sein altes, gutes Gesicht, doch that er, als ob er nichts gesehen hätte. Der Graf trat schnell von Leni zurück.

»Ich muß doch auch kommen, um mich bei Ihnen zu bedanken,« sagte der Sepp zu ihm. »Sie haben mir mit dem Liede eine sehr große Freude bereitet. Wie sind Sie denn gerade auf dieses gekommen?«

»Es ist - mein Lieblingslied,« antwortete der Graf, einen lächelnden Blick auf Leni werfend.

»So! Das ist sehr schön, denn gerade dieses Lied habe ich mir gar wohl gemerkt und werde es auch niemals vergessen.«

»Ist es einmal für Sie von Bedeutung gewesen?«

»Allerdings. Es ist das erste Lied gewesen, welches da meine Leni öffentlich gesungen hat, und der König war dabei.«

»Ach, Signora, so war es Ihnen also bekannt?«

»Ja,« antwortete sie. »Ich werde jenes Abends stets gedenken. Er hat über meine Zukunft entschieden.«

»Wirklich? Für immer?«

»Für immer,« nickte sie.

Ein Schatten flog über sein Gesicht und seine Stimme klang bittend und ernst:

»Man glaubt zuweilen, daß ein Ereigniß bestimmend für das ganze Leben sei, das ist wahr; aber es treten dann später noch andere Ereignisse ein, durch welche diese erstere Wirkung aufgehoben wird. Kann das nicht auch bei Ihnen der Fall sein?«

»Ich glaube nicht. Jener Abend hat entschieden, daß ich Sängerin sein werde. Mein König hat es gewünscht und ich habe ihm gehorcht, obgleich ich damals lieber noch die Frau eines armen Wildschützen geworden wäre, den ich zu lieben glaubte. Ich werde dem Könige mein Wort halten.«


// 2200 //

Diese Antwort fiel wie kaltes Wasser in die Gluth seines Herzens. Aber die Worte 'den ich zu lieben glaubte' berührten ihn wunderbar freudig. Er, der Graf, ein Nachfolger eines Wildschützen bei einer früheren Sennerin! Dieser Gedanke hätte eigentlich erkältend wirken sollen, aber der Graf kam gar nicht dazu, sich mit demselben zu beschäftigen. Er bezwang sich, eine gleichgiltige und höfliche Miene zu zeigen und warf einige allgemeine Bemerkungen hin, an welche sich schnell ein kurzes Gespräch knüpfte; dann war der Tanz zu Ende und Andere kamen herbei.

Sepp aber ließ jetzt seine Leni nicht los. Er blieb bei ihr, bis er wieder allein mit ihr war, strich ihr zärtlich mit der Hand über das volle, weiche Haar und sagte:

»Dirndl, denkst halt noch daran?«

»Woran denn, Sepp?«

»Damals, am Morgen, nachdem dera Krikelanton entflohen war! Da bist zum König gangen, der beim Pfarrer gewest ist, und ich hab mich gar sehr mit Dir stritten, so, daß wir fast zornig aus nander gangen sind. Weißt noch, was ich damals sagt hab?«

»Vielleicht hab ichs vergessen.«

Sie hatte es aber nicht vergessen. Sie wußte es gar wohl.

»Da hast an dem Wildschützen festhalten wollt und ich hab sagt, daßt Dein Glück machen und einen Baron oder gar einen Grafen heirathen könntest. Dann fahr ich in dera Ekkipaschen aus und eß Flaustern und Kavuar dazu. Kannst Dich nicht besinnen?«

»Doch. Jetzt fallt mirs eini.«

»Recht so! Und nun, was denkst? Hat dera Sepp nicht immer Recht?«

»Zuweilen.«

»O nein, nicht zuweilen, sondern immer, und so auch heut. Oder ist nicht Alles ganz so eingetroffen?«

»Wieso denn?«

»Nun, dera Graf ist da.«

»Sepp!«

»Was willst?«

»Mach keinen dummen Scherz!«

»Ein Scherz ists nicht, und ein dummer vollends gar nicht. Du mußts doch mit allen Augen schauen, daß er Dich lieb hat!«

»Schweig, Sepp! Ich mag das nicht hören!«

»Bist wieder mal die Zuwiderwurzen?«

»Nein. Wie könnt er mich lieb haben! Ein Graf! Wo denkst hin!«

»Donnerwettern! Mach mich nicht wild! Ist meine Leni etwan nicht werth, daß ein Graf sie heirathet? Antwort mal!«

»Ich heirath gar nicht!«

»Das wollen wir schon sehen! Heirathen mußt! Und wannst keinen Anderen nimmst, so wirst zwungen, mich zu nehmen. Dich werd ich da gar nicht fragen! So ein Dirndl wie Du; grad und wohl gewachsen, mit Augen,


// 2201 //

wie eine Kohle und den Mund wie eine Kirschen, mit einer Stimm, wie ein Engel und einem Herzen wie, wie, wie, Sappermenten, wie was denn gleich? Und nicht heirathen willst? Da soll doch gleich dera Teuxel dreinspringen. Der Graf hat Dich lieb, von ganzer Seele lieb, und seine Frau wirst, sonst kannst nur gleich zusammenpacken und davon laufen. Ich mag nix mehr von Dir wissen, gar nix!«

Er that, als ob er zornig geworden sei. Sie wußte gar wohl, daß er es nicht so meine; darum lachte sie zu seiner Drohung:

»Thu nicht so grausig, Sepp! Ich glaubs Dir doch nicht. Und heirathen thät ich grad Dich lieber als jeden Andern, denn bei Dir wüßt ich doch, was für Einen ich bekommen thät.«

»So! Was denn für Einen?«

»Einen recht Stürmischen und Krakehler, der aber im Herzen so weich ist wie ein Pflaumenmus. Und wie kannst nur denken, daß dera Graf mich lieb hat! Er hat mich ja heut zum ersten Male sehen!«

»Schweig, Gelbschnabel! Was kannst Du von dera Lieb verstehen! So ein Alter, wie ich bin, weiß ganz anders davon zu sprechen!«

»Du? Oho!«

Sie lachte ihn aus.

»Lach nur, Du Sakrifiz! Ich weiß dennoch, was ich weiß. Die Lieb ist schnell da, ganz plötzlich und unerwartet, wie ein junger Sperling, welcher noch nicht ganz flügge ist, Dir aus dem Nest herab auf die Nasen fällt. Dann krabbelt und zappelt er unten herum, piept und giepst vor lauter Angst, und Du brauchst nur zuzugreifen, so hast ihn fest. Verstanden?«

»Ja, aberst ein Graf fallt Einem nicht so gleich auf die Nasen!«

»Wer denn sonst? Willst wohl gar einen König oder Kaiser haben? Es ist schon dafür gesorgt, daß die Bäum nicht in den Himmel wachsen. Einen Grafen bekommst, keinen Andern, und wannst mit ihm nicht zufrieden bist, so kauf Dir auf dem Jahrmarkt einen Zappelhanswursten. Ich aber schau Dich dann nimmer an! Jetzt nun kommst wieder herein! Da stehst am Fenster, schaust hinausi und zählst die Straßenlaternen. Marsch fort! Hier hab ich zu befehlen, und was dera Path sagt, das gilt! Ab! Pasta! Sela!«

Er nahm ihren Arm in den seinigen und schritt mit ihr stolz nach dem Saale. Jetzt war er ganz wieder der alte Hauptmann. Kein Mensch hätte ihm angesehen, daß er da draußen im Salon nur der alte Wurzelsepp gewesen war.

Die Soirée währte gerade bis Mitternacht; dann begann man, sich zu verabschieden. Der Graf kam zu Leni.

»Signora,« sagte er, »meine Equipage steht unten, um mich abzuholen. Geben Sie mir die Erlaubniß, Sie nach Ihrer Wohnung fahren zu lassen!«

»Sehr gern, wenn ich nicht meinem Pathen bereits versprochen hätte, mich von ihm begleiten zu lassen.«

»Er wird vielleicht verzichten, wenn ich ihn darum bitte.«


// 2202 //

»Das möchte ich doch nicht gern. Wir haben uns so lange Zeit nicht gesehen und müssen uns so viel erzählen.«

»Das begreife ich; aber wäre dazu nicht auch morgen Zeit?«

»Er hat mich so lieb; ich mag ihn nicht betrüben.«

Da neigte er sich ihr zu und sagte leise, aber mit Betonung:

»Signora, fürchten Sie mich nicht! Ich steige nicht mit ein. Sie sollen allein fahren.«

Da schaute sie ihm groß und offen in sein ernstes Gesicht, auf welchem jetzt ein trübes Lächeln lag, und antwortete:

»Das ist es nicht, was mich abhält, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich fürchte mich gar nicht vor Ihnen; ich würde mich Ihnen im Gegentheile zu jeder Zeit gern anvertrauen. Aber bitte, lassen Sie mich dennoch mit dem Hauptmanne gehen!«

»Wenn Sie das so herzlich wünschen, muß ich freilich verzichten. Aber ich darf wohl annehmen, daß Sie mir nicht zürnen?«

»Mit keinem Gedanken.«

»Und darf ich Ihnen vielleicht morgen die schuldige Aufwartung machen?«

Es that ihr wirklich leid, auch hier gegen seinen Wunsch antworten zu müssen:

»Ich möchte mich nicht in diese Fesseln der Déhors schlagen lassen und habe auch die Gewohnheit, niemals Herrenbesuch zu sehen.«

»Das muß ich achten. Aber wenn wir uns an anderem Orte begegnen, so darf ich Sie begrüßen?«

»Gern. Es soll mich freuen, Sie wiederzusehen. Und heute nehme ich eine angenehme Erinnerung mit nach Hause.«

»Ist das wahr? Darf ich das glauben?«

»Glauben Sie es!«

»Und wem gilt diese Erinnerung?«

»Einem Liede, welches wir nicht zu hören bekommen hätten, wenn, wenn - -«

Sie hielt doch inne. Er aber vervollständigte sie schnell, indem er herzlich sagte:

»Wenn es nicht mein heißer Wunsch gewesen wäre, Sie einmal 'Leni' zu nennen. Gute Nacht, Le - - Signora!«

Er küßte ihr die Hand und verabschiedete sich dann auch von dem alten Sepp.

Dieser sowohl wie auch Leni wurden von dem Commerzienrathe und dessen Frau auf das Dringendste aufgefordert, so bald wie möglich, und zwar ganz zur beliebigen Zeit, wieder zu kommen. Dann gingen sie.

Der alte Wurzelhändler spielte den Cavalier ausgezeichnet. Er schritt hoch aufgerichtet, die Sängerin am Arme, deren Wohnung zu.

»Könntest eigentlich bei uns wohnen,« sagte Leni. »Ich glaub, Frau Salzmann hätt auch für Dich ein Logis.«


// 2203 //

Die Wirthin war nämlich eher nach Hause gegangen, da sie auf Leni nicht zu warten brauchte, weil der Pathe diese begleiten wollte.

»Das kann ich nicht,« antwortete er. »Weißt, ich hab hier was zu thun, wobei ich am Liebsten im Gasthof bleib. Da schaut Niemand auf mich, und ich kann kommen und gehen, ganz wie es mir beliebt.«

»Das könntest bei uns auch.«

»Nein, das ist - -«

Er hielt inne und blieb stehen.

Auf der andern Seite der Straße lag ein bekanntes Tanz-Etablissement. Alle Fenster desselben waren erleuchtet; das Thor stand weit offen, und die costumirten Gestalten, welche den Flur belebten, ließen errathen, daß hier eine Maskerade, vielleicht ein Volksmaskenball abgehalten werde.

»Siehst die Beiden?« fragte der Sepp.

»Ja, dera Krickelanton und dera Baron von Stubbenau. Sie sind eben hinein.«

»Das trifft sich gut. Denen muß ich nach!«

»Warum?«

»Wegen dem Baron bin ich auch mit hier. Ich muß wissen, was er thut.«

»So willst da hinein?«

»Ja. Darfsts mir nicht übel nehmen, wannst jetzt nun allein heim mußt.«

»Das thu ich nicht. Ich bleib bei Dir.«

»Dirndl! Was fallt Dir ein!«

»Nix. Ich will schauen, was dera Anton thut.«

»Geht Der Dich denn noch was an?«

»Nein. Aberst ich will es ihm ins Gesicht sagen können, was für ein Kerl er ist.«

»So komm!«

»Wart noch! Wir sind doch noch ganz ohne Maskerade und Anzug.«

»Vielleichten kann man das drin erhalten.«

Der Sepp sah die beiden Genannten auf der Treppe verschwinden. Er trat mit Leni in den Flur und wendete sich an einen müssig dastehenden Herrn in Civil, dem es ziemlich leicht anzusehen war, daß er sich in amtlicher Eigenschaft hier befand.

»Herr, sind Sie vielleicht ein Sicherheitswachmann?«

»Ja. Warum?« antwortete der Gefragte.

Sepp zog eine Medaille aus der Tasche, zeigte sie ihm und erkundigte sich:

»Haben Sie die beiden Herren bemerkt, welche zuletzt hier eintraten?«

»Ja. Interessiren Sie sich für dieselben?«

»Ja. Ist Maskengarderobe hier zu bekommen?«

»In der ersten Etage. Auch die beiden Herren, nach denen Sie fragen, werden sich welche da nehmen.«

»Bitte, gehen Sie hinauf und melden Sie mir, was für Anzüge sie tragen, damit ich sie dann erkenne. Ich warte auf der Straße.«


// 2204 //

Der Wachmann begab sich hinauf, und Sepp ging mit seiner Begleiterin wieder hinaus. Nach ungefähr zehn Minuten kam der Polizist und meldete, daß die Beiden Türkenanzüge angelegt hätten. Er beschrieb die Letzteren so genau, daß eine Verwechselung gar nicht möglich war.

»Befinden sie sich noch in der Garderobe?«

»Nein. Soeben begaben sie sich in den Saal.«

»So kommen auch wir hinauf, ohne von ihnen bemerkt zu werden.«

Es war ein ganz bedeutender Vorrath von Maskenanzügen vorhanden. Sepp sowohl wie auch Leni nahmen Domino's. Die Letztere band eine Halbmaske vor das Gesicht. Der Alte aber mußte wegen seines großen, characteristischen Schnurrbartes, um von Anton nicht erkannt zu werden, eine vollständige Larve vorlegen.

Dann begaben sie sich in den Saal.

Sie erblickten die beiden Türken sofort. Diese standen noch in der Nähe der Thür und schienen Jemand zu suchen. Anton war von dem Baron durch seine kräftigere Gestalt leicht zu unterscheiden. Er drehte sich zufällig nach der Thür um und erblickte Leni. Ihr frischer, üppiger Mund und die volle Gestalt, deren Formen selbst unter dem Domino zu erkennen waren, reizten ihn. Er trat herbei und fragte, auf die lange Gestalt des Sepp deutend:

»Schöne Maske, ist das Dein Geliebter?«

»Nein,« antwortete sie mit der bei Maskeraden gebräuchlichen Fistelstimme, so daß er sie nicht erkennen konnte.

»So geht er Dich nichts an?«

»Gar nichts.«

»Dann biete ich Dir meinen Schutz an.«

»Taugt der Etwas?«

»Das will ich meinen!«

»Ich traue den Türken nicht.«

»Ich auch sonst nicht. Heut aber sind sie ganz brave Kerls. Gieb mir Deinen Arm! Komm!«

Er legte ihren Arm in den seinigen und zog sie fort. Sie folgte ihm willig, und als Sepp das sah, unterließ er es natürlich, Einsprache zu erheben.

Der sogenannte Baron folgte seinem Freunde nicht. Er blieb stehen und musterte den Sepp.

»Armer Teufel!« lachte er. »Jetzt bist Du Wittwer. Die Hexe hat doch gelogen. Sie kam mit Dir und gehört also zu Dir. Den Eintritt hast Du bezahlt; weiter wollte sie nichts. Nun läßt sie Dich sitzen oder vielmehr stehen. Ists nicht so?«

»Donnerwetter, ja!« antwortete Sepp mit natürlicher Stimme, welche der Baron ja nicht kannte. »Bezahlt hab ich, und nun ist sie futsch. Der Teufel hole sie!«

»Warum hast Du sie so ruhig fortgelassen?«

»Weil es Andre giebt.«

»Brav so! Auch ich will mir Eine holen. Wollen wir miteinander suchen?«


// 2205 //

»Wenn Du mir die Schönste lässest, ja.«

»Sehr gern. Der Geschmack ist ja verschieden. Komm also mit und trink vorher Eins mit mir!«

Er zog ihn nach dem Buffet. Der alte Sepp hatte seinen Zweck leichter erreicht, als er erwarten konnte. Sie stachen eine Flasche Wein aus und trollten dann durch den Saal, in lustiger Weise mit jeder Maske anbindend.

Da blieb der Baron vor einer stehen, einem Blumenmädchen, welche auch nur Halbmaske trug, so daß der untere Theil ihres Gesichtes von der Nase an zu sehen war.

Sie war üppig gebaut. Das kurze, rothe Röckchen reichte ihr kaum zwei Zoll über das Knie, und das schwarzsammetne Mieder war auf das Tiefste ausgeschnitten. Sie trug alle ihre Reize zur Schau, schien aber bisher keinerlei Vertraulichkeit geduldet zu haben.

»Schöne Maske, ich kenne Dich,« sagte er.

»Häßlicher Kerl, Du irrst Dich,« antwortete sie.

»Komm her, und laß Dich küssen; so wird Dir mein Mund gleich bekannt vorkommen.«

Er wollte sie umarmen und an sich ziehen; sie aber stieß ihn kräftig von sich und rief:

»Zurück, Muselmann! Küß Deine Haremsnegerin, aber mich nicht! Du riechst nach Moschus und Bosporus!«

»Alle Teufel, bist Du giftig! Du bist doch sonst nicht so gegen mich, schöne Balletkönigin.«

Sofort wurde sie freundlicher.

»Du kennst mich wirklich?«

»Natürlich! Wer Dich einmal küßte, der kann Deinen Mund nicht vergessen.«

»Oho! Hättest Du mich geküßt?«

»Tausendmal!«

»Beweise es!«

»Ich brauche Dir nur meinen Namen zu sagen - Egon.«

»Ah - endlich seid Ihr da. Ich hoffe doch, daß der - der Andre auch mit gekommen ist!«

»Natürlich. Wie hätte ich ohne ihn vor Dir Gnade finden können,« lachte er.

»Wo befindet er sich?«

»An der Angel.«

»Das sollte ihm übel bekommen!«

»Sei gnädig mit ihm! Es ist nur ein kleines Intermezzo. Siehst Du den Türken mit dem Domino drüben am zweiten Pfeiler?«

»Ja. Ist er es?«

»Es ist Dein zukünftiger Herr und Gebieter. Sobald er Dich erkennt, wird er den Domino zum Teufel jagen. Geh zu ihm!«


// 2206 //

»Noch nicht. Ich will erst beobachten, ob er dort vielleicht Feuer fängt. In diesem Falle würde ich dann löschen. Verrathe mich ihm nicht!«

Sie entfernte sich, um ihre Schritte langsam nach dem erwähnten Pfeiler zu lenken.

Dort gab sich Anton alle Mühe, von Leni heraus zu bekommen, wer und was sie sei. Er wollte sich die bekannten Maskenfreiheiten erlauben; sie aber duldete nicht die geringste Vertraulichkeit.

»Mädchen,« sagte er endlich unwillig, »Du bist ja das reine Eis! Hast Du denn gar kein Blut im Herzen?«

»Nur für treue Liebe.«

»Ich bin treu.«

»Beweise es!«

»Wie soll ich es beweisen?«

»Indem Du bei mir bleibst und mit keiner andern Maske sprichst.«

»Alle Teufel! Du verlangst viel! Ja, Du forderst das Unmögliche!«

»So trolle Dich fort!«

»So schnell nicht. Erst sollst Du mit mir eine Flasche Sect ausstechen! Willst Du?«

»Ja. Komm also ans Buffet!«

»Danke! Dort trinkt man keinen Champagner mit einer schönen Maske. Dazu sind andere Orte da. Schau, die Logen da oben! Für lumpige zwei Gulden bekommt man eine. Man schließt sich dort ein und ist ungestört. Dort werden wir uns demaskiren und können trinken und küssen, so viel uns beliebt. Komm!«

»Danke für die Loge! Ich stimme weder für das Küssen, noch für das Demaskiren.«

»Auch später nicht?«

»Nein.«

»So bist Du eine Nonne!«

»Und Du ein Faun. Wir passen nicht zusammen. Lauf fort, so weit es Dir beliebt!«

Aber er ging nicht. Gerade ihr Widerstand reizte ihn. Er legte den Arm um sie, wurde aber von ihr zurückgestoßen. Das sah das Blumenmädchen, welches indessen herangekommen war.

»Ist sie spröde, schöner Türke?« höhnte sie.

Er betrachtete sie scharf und antwortete dann:

»Mag sie spröde sein und zum Teufel gehen. Ich hänge mich an Dich!«

Dabei ergriff er ihren Arm.

»Oho! Ob ich will!« rief sie, ihn zum Scheine von sich abwehrend.

»Du willst gern! Oder sollte ich Dich vergebens gesucht haben?«

»Mich gesucht? Türke, Du irrst.«

»Fällt mir nicht ein. Anton erkennt seine Valeska auf den ersten Blick.«

Das Blumenmädchen war die Ballettänzerin Valeska, seine Geliebte.


// 2207 //

»Wahrhaftig, auch er erkennt mich sofort!« sagte die Letztere. »Aber woran?«

»Woran erkennt man den Diamant? Kannst Du es sagen? Man erkennt ihn, und damit ist es gut. Komm, Liebchen, Loge Nummer fünf. Ich habe bereits den Schlüssel.«

Sie entfernten sich, gar nicht mehr auf Leni achtend, welche Wort für Wort diese Unterhaltung angehört hatte und ihnen unbemerkt nachfolgte.

In einer Ecke des Saales führte eine schmale Treppe hinauf nach den Logen, in denen lüsterne Herren mit käuflichen Dirnen ungestört sich aufhalten konnten. Nachdem der Türke mit seinem Blumenmädchen einige Zeit verschwunden war, stieg auch Leni diese Treppe empor.

Oben gab es einen schmalen Gang, auf welchen die Thüren der kleinen Logen führten. Ueber diesen Thüren waren die Nummern angebracht. An einem kleinen Tischchen saß die Schließerin.

Um sicher zu gehen, fragte Leni dieselbe:

»Ist Nummer fünf noch frei?«

»Nein. Nummer vier ist noch zu haben. Zwei Gulden. Trinkgeld nach Belieben. Wollen Sie?«

»Ja. Hier sind drei Gulden. Der dritte für Sie. Sind die Logenwände dünn oder dick?«

»Dünne Bretter. Du mußt Dich also in Acht nehmen, meine schöne Maske, wenn nachher Dein Anbeter kommt. Wenn man nicht ganz leise spricht, wird jedes Wort nebenan gehört, sobald nämlich die Musik schweigt. Hier ist der Schüssel.«

Leni nahm den Schlüssel und begab sich nach der Thür ihrer Nummer. Da soeben ein rauschender Galopp getanzt wurde, so waren ihre Schritte nicht zu hören, und auch das Oeffnen ihrer Thür verklang unter den Accorden der Blechmusik.

Die Loge war klein, für zwei Personen eingerichtet. Ein Sopha, ein Tischchen, zwei Stühle und ein Spiegel, das war das Möblement. Am Fenster, welches zum Saale schaute, waren Gardinen angebracht, welche geschlossen werden konnten. Leni zog die ihrigen sofort zu.

Dann untersuchte sie die Seitenwand nach der Nummer Fünf hin. Die Bretter waren mit Tapeten überklebt, und es gab keine Lücke oder Ritze, durch welche man hätte hinüberschauen können.

Sie hoffte aber, da nichts zu sehen war, wenigstens Etwas zu hören. Darum zog sie den einen Stuhl hart an die Seitenwand und setzte sich darauf.

Als der Galopp verklungen war, zeigte es sich, daß ihre Erwartung nicht getäuscht werden solle. Wenn sich das Ohr einmal an das allgemeine Stimmengewirr des Saales gewöhnt hatte, konnte man ganz leicht hören, was nebenan gesprochen wurde. Soeben jetzt erklang die Stimme des Blumenmädchens:

»Es wird doch Niemand nebenan sein!«

»Nein. Ich fragte ja die Schließerin. Kommt später Jemand, so hören


// 2208 //

wir es. In Nummer Sechs sitzen Zwei; das ist aber auf der andern Seite; die hören es.«

»Pah! Und wenn sie uns auch hörten! Wir thun ja nichts Anderes als sie. Komm, Schatz, küsse mich!«

Küsse schallten; dann hörte Leni Anton fragen:

»Valeska, willst Du einmal wirklich und ganz aufrichtig sein?«

»Das bin ich doch stets mit Dir,« antwortete sie mit Sirenenton.

»Ich hoffe es. Bin ich wirklich der Einzige, den Du liebst?«

»Zweifelst Du etwa?«

»Ich kann mir gar nicht denken, daß eine solche Schönheit wie Du keine Anbeter haben soll.«

»Keine haben soll? Wer hat das gesagt? Es sind ihrer genug vorhanden; aber was mache ich mir aus ihnen? Ich will nur Dich, Dich, Dich! Hörst Du?«

»Schwöre mir das!«

»Schwören? Du nimmst das sehr dramatisch, mein Lieber!«

»Weil ich weiß, daß ich ohne Dich nicht leben kann!«

Sie lachte lustig auf.

»Wie viele Andere giebt es noch, ohne die Du auch nicht leben kannst?«

»Keine!«

»Lügner!«

»Wirklich keine!«

»Standest Du denn vorhin nicht im Begriff, dem schönen Domino zu sagen, daß Du ohne sie nicht existiren könntest?«

»Unsinn! Ich unterhielt mich aus reiner Langeweile mit diesem blödsinnigen Frauenzimmer. Willst Du mir das übel nehmen?«

»Nein; es ist ja Maskenball. Aber wie steht es mit früheren Zeiten? Du sprachst einmal von einer Sennerin, die beinahe Deine Braut geworden wäre. Lebt die noch?«

»Das weiß ich nicht.«

»Man scheint Personen, die man hat heirathen wollen, gewöhnlich nicht so leicht wie Du aus den Augen zu verlieren.«

»Ich habe mich nicht mehr um sie bekümmert. Sie hatte sich meiner Liebe unwerth gemacht.«

»Wieso?«

»Sie bestahl mich.«

»Was! Ein Mädchen bestiehlt den Geliebten? Das ist unbegreiflich!«

»Ich habe es begreifen müssen. Sogar bei den Besuchen, welche sie meinen Eltern machte, hat sie dieselben bestohlen.«

»Die hätte ich angezeigt!«

»Ich wollte es nicht thun; aber als ich sie einstmals mit einem Andern zusammen traf, und zwar in der innigsten Umarmung, die man sich denken kann, da riß mir die Geduld. Ich zeigte sie an und brachte die Beweise. Sie kam in das Gefängniß, und dann habe ich mich natürlich nicht weiter um sie


Ende der zweiundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

Karl May – Forschung und Werk