Dieter Krauße |
Barthsamel aus Herlasgrün |
Seit ihrem Entstehen zwischen 1885 und 1887 haben
›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ mehrfach den Herzschlag, ihr Aussehen und ihre
Namen verändert. Viel lieber haben ›Der Derwisch‹, ›Zobeljäger und Kosak‹, diesen
Fortsetzungsroman ›Im Tal des Todes‹ gelesen. Dabei ist so manches scheinbar
Unwesentliche auf der Strecke geblieben. Das ist schade! Darüber nachzudenken
ist aber allemal interessant.
Im ursprünglichen Text begegnen wir dem
Barthsamel. Diese nicht überall verständliche Form der Personenbenennung ist eng
an die erzgebirgische und vogtländische Mundart gebunden. Damals wie auch heute
noch wird in der Umgangssprache der Familienname vorangestellt und der Vorname,
oftmals verkürzt, einfach angehängt. So wird aus dem Samuel Barth der Barthsamel
oder, um ein wenig näher an die Gegenwart und von Karl May abzurücken, z. B. aus
dem Max Wenzel der Wenzel-Max, aus dem Edmut Kluge der Klugen-Ed und aus dem
Manfred Pollmer der Pollmer-Manfred. Das ist heute in Hohenstein-Ernstthal und
überall im Erzgebirge, in Plauen und überall im Vogtland gang und gäbe. Mit
Sicherheit hat Karl May zu Hause und während seiner Seminarzeit in Plauen diese
Art der Namensgebung verwendet. So weit zum Namen des Barthsamel.
In der Prärie des Wilden Westens erzählt dieser
Barthsamel seinem Gegenüber, dass er in Herlasgrün geboren ist. Das ist ein
kleiner Ort im Vogtland.
Herlasgrün – Foto: Mario Kämpf.
Das wiederum liegt am weitesten westlich
in Sachsen. Und es reicht sogar bis nach Bayern und Thüringen. Plauen ist heute
die Kreisstadt des Vogtlandkreises in Sachsen. Herlasgrün besitzt eine
Bahnstation, die jetzt von der Vogtlandbahn bedient wird. Von Plauen aus legt
die Bahn diese 15 km in 18 Minuten zurück. Weiter in Richtung Zwickau und dort
mit Umsteigen nach Hohenstein-Ernstthal, zu den Eltern, überquerte Karl May auf
dieser Strecke die Göltzsch-talbrücke. Es ist die größte Ziegelbaubrücke der
Welt, 78 m hoch und 574 m lang, an deren Bau der Hohensteiner Ferdinand Dost,
ein Zeitgenosse Karl Mays, als Bauleiter mitgearbeitet hat.
Der Barthsamel erzählt, dass er einmal auf die Kirmse
nach Ruppertsgrün gegangen ist. Das ist vier Kilometer entfernt und hat auch
eine Station an dieser Eisenbahnlinie. Die Dorfkirche mit barocker Ausstattung
ist bemerkenswert.
Dorfkirche von Ruppertsgrün – Foto: Mario Kämpf
Man muss wissen, dass vor allem im
Vogtland die Kirmes, die Kirchweih also, nach Weihnachten das bedeutendste Fest
war. Da ging es hoch her. Kuchen, vogtländische Klöße und Sauerbraten und Bier
wurden reichlich genossen. Im Gasthof war großartiger Tanz, bei dem mit scharfen
Augen auf die Burschen aus dem Nachbardorf geachtet wurde, damit die
einheimischen Mädchen nicht abhanden kamen. Barthsamel gewinnt die Zuneigung
eines Mädchens, sie heißt Auguste. Und so »lief ich alle Abende von Herlasgrün
nach Ruppertsgrün«, erzählt er. Aber Vater und Mutter waren gegen eine
Verbindung der beiden. »Auguste sollte etwas Vornehmes bringen, […] so etwa
einen Lehrer (!) oder einen Briefträger, oder einen Weichensteller.« Trotzdem
blieb die Liebe erhalten. »Aber dann kam das Verhängnis in Gestalt eines jungen
Kandidaten des Schulamtes.« Das »war zu jener Zeit ein zwanzigjähriger junger
Hilfsschulmeister mit einem jährlichen Gehalt von hundertzwanzig Talern, nebst
zehn Neugroschen monatlich für’s Orgelspielen und fünf Groschen für jede Leiche
nach dem Gottesacker hinaus zu singen. Privatstunden gab er extra, die Stunde zu
fünfzehn Pfennigen.« Karl May kannte die Verhältnisse. Auguste entscheidet sich
tatsächlich für Guido. So heißt der junge Hilfsschullehrer, aber immerhin
schenkt sie ihrem Samel ihre ersparten vierundzwanzig Taler als Reisegeld, und
der macht sich auf den Weg nach Amerika. Seiner Geliebten schickt er folgende
Abschiedsverse:
»Meine Gustel lass ich hier;
Samel’s Geist weilt
stets bei ihr.«
Gedichtet hatte er diese Verse selbst, aber von eben diesem Schulmeister ließ er sie pikanterweise aufschreiben, weil zwar das Dichten, aber nicht das Schreiben seine starke Seite war. Nach einigen Jahrzehnten in der Prärie war die Erinnerung an das Vogtland, wo »die meisten Orte ein grün hintendran haben«, verblasst. Allerdings, eine Auguste besaß er immer noch, das war sein Schießprügel, der im Laufe der Zeit in einen recht abenteuerlichen Zustand geraten war. –
Die Kolportage fordert nun ihren Tribut. Im Felsengebirge erfährt der Barthsamel einige Jahr später von einem Vogtländer, er ist der Schwager seiner echten Auguste, dass deren Ehe mit dem Schulmeister unglücklich verlief und ohne Kinder blieb (!).
Nie konnte sie ihren ersten Geliebten vergessen, und sehr viel später folgte sie diesem nach Amerika. Und sie ist ganz in der Nähe! Keine Frage, sie treffen sich und die nie völlig erkaltete Liebe wird wieder lebendig. Viel gibt es aus der alten Heimat, aus dem Vogtland zu erzählen. –
Heute ist das Vogtland mit seinem Musikwinkel und der
Vogtland-Arena ein lohnendes Ausflugsziel. Außerdem ist das Wernesgrüner Bier
immer noch in aller Munde. Na denn, zum Wohl, Barthsamel aus Herlasgrün!